Wir werden Helden von Platan (Bande der Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 9: Eine Wette die Hoffnung weckt ---------------------------------------- Nachdem Landis und der Doppelgänger von Nolan Oriana eine Weile ordentlich durchgeschüttelt hatten, war sie endlich aufgewacht und stand erst völlig neben sich, ehe sie etwas sagte. Sie hat Nerven aus Stahl, ging es Nolan durch den Kopf. Wie konnte sie nur an so einem Ort seelenruhig schlafen? „Landis? Nolan? Du auch, Alona?“, murmelte sie, noch schläfrig. Erstaunt rieb sie sich die Augen, als könnte sie es nicht glauben. „Was macht ihr denn hier?“ „Dich suchen!“, antworteten sie ihr gleichzeitig, voller Enthusiasmus. Äußerlich konnte man keinerlei Verletzungen an ihr ausmachen, sie war unverletzt, zum Glück. Sicherheitshalber fragte Landis aber doch lieber nach. „Bist du in Ordnung? Geht es dir gut?“ „Ja, alles Bestens. Wirklich.“ Oriana blickte zwischen den beiden hin und her. „Ihr seid also nur meinetwegen hier? Ich wollte niemandem Sorgen bereiten.“ Sie senkte den Kopf und flüsterte etwas vor sich hin. Es sah fast so aus, als wäre ihr diese Angelegenheit peinlich oder eher als würde sie sich davon geschmeichelt fühlen, dass die beiden ihr zur Hilfe gekommen waren, was untypisch für sie war. Schließlich wollte sein Abbild wissen, was sie denn hier zu suchen hatte und ihr Blick wandelte sich daraufhin in Sorge. „Ich war mit Alona spazieren, als ich jemanden weinen hörte.“ Sie schwieg kurz, ehe sie fortfuhr. „Ich habe noch nie jemanden so weinen hören. Ich konnte es nicht einfach ignorieren und bin der Stimme deshalb in den Wald gefolgt, bis zu einem Grabstein, aber da war niemand. Dann brach plötzlich der Boden unter meinen Füßen weg und an mehr erinnere ich mich nicht.“ „DU bist freiwillig in den verbotenen Wald gegangen?“ Darüber waren die beiden mehr als verblüfft. Sonst waren es ausnahmslos Landis und Nolan, die gegen Regeln verstoßen. „Na und? Hätte ich sie denn einfach weinen lassen sollen, oder was? So herzlos bin ich auch nicht!“, reagierte sie genervt und wäre am liebsten aufgestanden, um den Jungs zu zeigen wer die Hosen anhatte, doch sie fühlte sich zu schlapp dazu. „Wehe, ihr erzählt jemandem davon!“ „Schon gut, wir werden nichts sagen“, versicherte Landis ihr, mit einer Geste, dass sie sich beruhigen konnte. „Wichtiger ist jetzt herauszufinden, wie wir hier wieder rauskommen. Unsere Eltern werden schon verzweifelt genug sein.“ Eine Frauenstimme erklang darauf aus dem Nichts und hallte von den kalten Wänden wider. „Niemals. Ihr werdet diesen Wald niemals wieder verlassen, Sterbliche.“ Der Boden fing bedrohlich an zu beben. Staub regnete von der Decke auf die Kinder herab und kitzelte dem Kätzchen so sehr in der Nase, dass es niesen musste. Gegenseitig hielten alle drei sich an den jeweils anderen fest und blickten panisch durch die Gegend. „H-Hey! Was ist denn auf einmal los? Ich bin doch noch viel zu jung zum sterben!“ „Nicht nur du! Zappel nicht so rum, Nolan! Das macht die Sache auch nicht besser!“, warf Oriana ein und gab ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. Während die beiden daraufhin kurz davor waren in einen, nicht mal halbwegs ernst gemeinten, Streit zu geraten, entdeckte Landis als erster die Gestalt über dem Altar, die sich dort gebildet hatte. Eine Frau ohne Gesichtszüge mit langen Haaren, deren Körper in einem matten weiß leuchtete. Kein Zweifel, das konnte nur eine sein. „Xeldrite!“, machte Landis seine Erkenntnis lauthals kund und sorgte gleich dafür, dass seine Freunde aufhörten darüber zu diskutieren, wie man sich bei einem Beben korrekt verhielt. Zu ihrer Erleichterung ließ wenigstens das Beben allmählich nach, durchatmen konnte sie aber trotzdem noch nicht, angesichts ihrer neuen Gesellschaft. „Ich hatte an dem Mädchen den Geruch eines Naturgeistes wahrnehmen können. Ich lag also richtig. Es war gut, das Tier gehen zu lassen, damit es euch herlockt. Aber etwas an dir ist anders.“ Ihre Worte, die sie an Landis gerichtet aussprach, sorgten sichtlich für Verwirrung. Nicht nur Nolans Abbild fing an die Luft um seinen Freund durch die Nase einzusaugen, um auf diese Weise herauszufinden, was man sich unter dem Geruch eines Naturgeistes vorstellen sollte, auch Oriana suchte bei ihm nach einem auffälligen Merkmal, welches ihr bislang entgangen sein könnte. Nur wenige Sekunden später wirkte sie jedoch so, als wäre ihr tatsächlich ein Mal eingefallen, welches Landis besaß, sagte aber nichts dazu. Alona dagegen war empört darüber so hinterhältig ausgenutzt worden zu sein. „Lan soll ein was sein?“, hakte das Abbild nach ausgiebigem beschnuppern nach, fügte aber dann eine andere Frage hinzu, welche die erste verdrängte. „Du bist doch diese Nel aus der Geschichte, die da auf dieser Säule steht, richtig?“ Da der Geist dazu nichts äußerte, sondern ihre Gäste einfach nur wie besessen anstarrte, zupfte Landis beunruhigt am Oberteil seines Freundes. „Du, No, ich glaube, sie mag uns nicht.“ „Ach was, lass mich nur machen. Uns muss man doch gern haben, wir sind Helden“, grinste er sorglos, was Oriana nur zum Seufzen brachte. Auf den Altar kletternd, damit er sich besser mit Xeldrite unterhalten konnte, startete Nolan einen neuen Versuch. „Also, dass da sind Lan, Ria und Alo. Und ich heiße Nolan. Und wir würden gerne deine Freunde werden.“ Dämonische Züge hoben sich in ihrem Gesicht hervor und sie fing laut zu lachen an, gefolgt von einem kräftigen Windstoß, der diesen törichten Sterblichen von ihrem Altar bis an die Säule in der Mitte des Raumes schleuderte. „Oh nein, No!“ „Nolan!“ Schnell rannte die, nun hellwache, Oriana zu ihm, um nach ihm zu sehen. Alona folgte ihr. Derweil blieb Landis dort stehen, wo er war, und stellte den Geist zur Rede. „So kannst du meinen Freund doch nicht behandeln, dass ist gemein! Er will dir doch nur gutes!“ Abermals brach Xeldrite in schallendes Gelächter aus. Diese Naivität der Menschenkinder war wahrlich zu amüsant, als es nur abwegig zu finden. „Warum gibt jemand wie du sich eigentlich mit einem gewöhnlichen Sterblichen ab? Dein Geruch ist eindeutig nicht rein menschlicher Natur.“ „Können wir mal aufhören über meinen Geruch zu sprechen?!“ Zwar hatte er irgendwann schon mal was von diesen Naturgeistern aufgeschnappt, konnte sich zu dem Zeitpunkt aber nicht erklären, was es genau damit auf sich hatte. Das war auch jetzt nicht so wichtig. „No ist mein Freund und ich verbringe gerne Zeit mit ihm. Wenn du ihm nur eine Chance geben würdest, könntest auch du so viel Spaß mit haben wie ich es jeden Tag mit ihm erleben darf.“ Unglaublich, diese Sterblichen waren ganz schön vorlaut geworden. Früher war es noch nicht so gewesen, da hatten sie noch Respekt vor solchen Überwesen wie sie es war. Nicht einmal Furcht schienen sie zu empfinden. Waren sie wirklich so blind oder schlicht unwissend? „Lächerlich! Habt ihr eine Ahnung, was ihr da sagt? Ich werde noch viele Jahre länger Leben als ihr, welchen Sinn hätte es also? Davon abgesehen würdet ihr mich ohnehin irgendwann vergessen, das ist nun mal so zwischen Sterblichen und Überwesen.“ „Ich würde dich nicht vergessen“, hörte man die Stimme von Nolans Abbild und dem des Originals, der nach wie vor als Zuschauer das Geschehen verfolgte, zeitgleich im Raum widerhallen. „Und es hätte sogar sehr viel Sinn. Denk allein an den ganzen Spaß, den du haben wirst. Ist das nicht besser, als sich hier alleine zu langweilen?“ Erbost über so viel Einfalt fing der Körper von Xeldrite rot zu glühen an und die dämonischen Züge auf ihrem Gesicht wurden noch grimmiger als vorher. „Leicht dahersagen kann so etwas jeder!“ Er nickte Oriana dankend für ihre ungewöhnliche Fürsorge ihm gegenüber zu und presste mit einem schmerzverzerrten Gesicht eine Hand auf seine Brust, als er aufstand und sich an die Säule hinter ihm anlehnte, gegen die er geschleudert wurde. Ein freundschaftliches Grinsen huschte über sein Gesicht. „Wollen wir wetten?“ Diese dreiste Bemerkung brachte das Fass gänzlich zum überlaufen und Xeldrite streckte eine Hand aus, worauf eine Baumwurzel aus dem Boden direkt unter Oriana hervorbrach, sich fest um sie wickelte und innerhalb von Sekunden mit sich unter die Erde zog. Zeitgleich riefen die beiden Jungen den Namen des Mädchens und sie wollten ihr durch das Loch im Boden folgen, doch dieses hatte sich längst von selbst wieder verschlossen, so als sei nichts passiert. „Ihr wollt also eine Wette? Schön, so sei es! Ich werde innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden die Seele dieses Mädchens verschlingen. Bis dahin habt ihr Zeit euch aus meinen Traum zu befreien, in dem ihr euch bereits befindet! Wenn es euch gelingt, will ich eurer Willenskraft vertrauen und ihr dürft alle gehen. Wenn nicht ...“ Plötzlich verschwamm das Bild vor Nolans Augen und der Grauton verdichtete sich zu einem tiefen Schwarz, gefolgt von einem Lichtblitz, der ihn erneut an einen anderen Ort trug, weg von dieser Erinnerung ... *** Sie hatte die Kontrolle verloren. Sie würde sterben. Ja, es war nicht mehr aufzuhalten. Sie würde definitiv sterben. Aus irgendeinem Grund hatte sich durch das Erscheinen dieses Mädchens, Oriana, ein Stück von der dichten Steinschicht gelöst, welche jene Kristallsäule verborgen hielt, in der man einst ihre Kraft gebannt und sie somit an diesen Ort gefesselt hatte. Weshalb hatte sich dieses Stück ausgerechnet in diesem Augenblick gelöst, als mit dem unerwarteten Besuch dieses Mädchens in ihrem Wald etwas in ihr aufgeflammt war, von dem sie nicht annährend geahnt hatte, dass es in ihr ruhte? Lag es daran, dass sie sich für einen Moment der Freude hingegeben hatte? Dass es sie gefreut hatte nach all der Zeit, die sie in Einsamkeit hatte verbringen müssen, jemand aufgetaucht war, der ihr Trost spenden wollte? Der sie gehört hatte? Könnte dies der Grund sein? „Nein, das ist lächerlich. Geradezu lächerlich.“ Und doch konnte sie nicht leugnen wie froh sie darüber gewesen war, selbst jetzt noch. Dennoch war es zu spät. Nachdem ein Stück der Kristallsäule frei lag, hatte sie nach langer Zeit endlich wieder Zugriff auf einen kleinen Teil ihrer ehemaligen Fähigkeiten, die aus der freigelegten Lücke herausströmten. Wer hätte diese Chance nicht genutzt? Erst als sie sich an dieser geringen Menge an Kraft bedient hatte, konnte sie den Geruch zum ersten Mal wahrnehmen. Den Geruch eines Naturgeistes, den dieses Mädchen mit sich trug. Wenn sie die Seele eines Naturgeistes verschlingen könnte, eines noch jungen Naturgeistes, der vielleicht dumm genug war ihrem Köder in Form des weißen Kätzchens zu folgen, könnte sie sich mit Sicherheit befreien. Ihr Plan war aufgegangen. Doch dann hatte sie einen Fehler begangen ... es war doch einer gewesen, oder? Sie spürte deutlich wie sich ihre Existenz ins Nichts auflöste. Ebenso wie ihre Gedanken. Sie wusste nicht einmal mehr, ob dies einer ihrer Träume oder die Wirklichkeit war. Sie hatte die Kontrolle verloren. Sie würde sterben. Sie hatte sich von den Worten dieser Sterblichen hinreißen lassen, kaum merklich. Man hatte ihr das Angebot einer Freundschaft gemacht, welches sie jedoch gewiss nicht annehmen konnte. Was bildeten diese Kinder sich denn auch ein? Freundschaft zwischen Sterblichen und einem Überwesen? Niemals. Das war gegen die Regeln. Genau wie der Gebrauch ihrer Kräfte aus Eigennutz. Und deshalb würde sie sterben. So war es doch, oder? Außerdem ... wie konnte sie auf die Aussage von einem Menschenkind vertrauen, wenn dieses selbst von Zweifeln erfüllt war? Wie gesagt, es war so lächerlich. Aber hatte sie selbst nicht auch Zweifel? Sie, als Überwesen? Trug nicht jeder irgendwelche Zweifel mit sich herum? „Es hilft nichts. Es ist zu spät.“ Nur weil sie von diesen Kindern provoziert worden war, hatte sie unüberlegt zu viel von ihrer eh schon lückenhaften Kraft eingesetzt, die ihr spürbar aus den Fingern geglitten war und mittlerweile tat, was sie wollte. Erschöpft richtete Xeldrite ihren Blick auf die beiden Jungen, das Mädchen sowie das Kätzchen, die allesamt friedlich schliefen. Doch so friedlich sie auch aussehen mochten, desto unwahrscheinlicher war es, dass sie jemals wieder Erwachen würden. Denn sie hatte die Kontrolle über den Traum, in den sie diese Kinder geschickt hatte, längst verloren. „So lange habe ich damals über die Zeit und die Sterblichen gewacht und nun sieht es so aus, als würde es durch mein Verschulden Verluste geben.“ Es war zu spät. Sie würde sterben. Sie würden alle hier unten sterben. Ihretwegen. Allein ihretwegen. Dabei wollte sie nur ... „Ich wollte sie nur alle beschützen. Aber niemand hat mich verstanden. Sie haben mich einfach hier zurückgelassen. Warum haben sie das getan?“ Ihr Blick schweifte ein weiteres Mal ziellos durch den Raum, bis er erneut bei den schlafenden Körpern der Kinder hängen blieb. Steinbrocken zerbarsten um sie herum am Boden, die von oben herunterfielen. Die Erde bebte. Bald schon würde hier alles einstürzen, weil das Siegel einen Riss aufwies und unkontrolliert Kraft hinausströmte. Und sie könnte nichts dagegen tun. Es war zu spät. Das war es doch, richtig? „Aber was ist, wenn er ...“ Selbst wenn es das war, wollte sie noch eine Sache wissen. Sie wollte wissen, ob er die Wette gewinnen würde. Ob er sich trotz aller Komplikationen aus dem Traum befreien konnte, die unvorhergesehen aufgetreten waren. Sie wollte wissen, ob sie hoffen konnte. In ihr fing an sich ein Gefühl zu bilden, das sich unglaublich warm anfühlte. So lächerlich die Worte des Jungen mit den schwarzen Haaren auch geklungen haben mochten, sie wollte hoffen, zum ersten Mal. Ihre allerletzten Kräfte sammelnd, hob sie beide Hände und zeichnete jeweils einen halben Kreis in die Luft, die sich zu einer Einheit zusammenfügten und die Kinder durch ein unsichtbares Energiefeld vor den Erschütterungen schützen sollte. Solange es ihr möglich war. Außer dieses Energiefeld so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und sich auf der neu gewonnenen Hoffnung zu stützen, die diese Sterblichen in ihr geweckt hatten, konnte sich nichts tun. Aber sie hoffte, nein, vertraute auf einen guten Ausgang dieses Traumes. Sie würden nicht sterben. Sie würden leben. Sie würden Freunde werden und sie würde sich nicht mehr einsam fühlen müssen, selbst wenn dies ihr Ende bedeutete. Darauf wollte sie hoffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)