Diesem Einen will ich #Follow von Virdra-sama (Was macht der Zwergenkönig in meinem Onlinegame?) ================================================================================ Kapitel 113: 113. Von kurzen Abschieden und bewegenden Momenten --------------------------------------------------------------- Endlich war es soweit. Nachdem wir uns vom Riesenrad abgewandt hatten, brach die Zeit des mehr oder weniger großen Aufbruchs für die Zwerge, die beiden jungen Frauen und natürlich auch mich an. Und obwohl Jana hier und da noch einmal sehnsüchtig auf die eine oder andere Attraktion starrte, drängt uns Marina mit strengem Blick auf ihre Armbanduhr dazu, dass wir uns doch langsam gen Heimat aufmachen sollten. Immerhin war die Sonne bereits im Westen versunken. Der Himmel über uns ging auch schon langsam von einem sehr blassen Gelb-Orange in ein mattes hellblau. Weit am östlichen Horizont konnte man bereits die Vorboten der hereinbrachenden Nacht ausmachen, welche sich wohl in nicht mal einer guten Stunde wie eine leichte Decke über meine Kleinstadt legen würde. Die Lichter der Marktstände gingen der Reihe nach an und tauchten den Jahrmarkt in ein riesiges Farbenmeer, durch welches wir gediegen aber dennoch zügig hindurch stapften. Das hieß bis auf jene Stände, die lediglich über Tag aufgestellt waren und nun von ihren Besitzern fein säuberlich aufgeräumt wurden. Die Auslagen wurden sicher und gut verpackt in ihre Lieferwagen und PKW verfrachteten, bevor es entweder auf den Heimweg oder in Richtung der Wohnwagen ging. Einige Stellplätze waren sogar schon komplett verschwunden und hinterließen nichts als gähnende Leere und vielleicht hier und da noch ein vergessenes Preisschildchen. Fahrende Händler blieben nicht immer für alle Markttage an einem Ort. Wenn sich ihr Geschäft gelohnt hatte, oder auch nicht, zogen sie schließlich von Dannen, um vielleicht im nächsten Jahr wiederzukommen. Im negativen Fall wohl eher weniger. Aber es würde immer wieder andere Kundschaft geben. Egal wann, wo und überhaupt. Ein paar vereinzelte Spätzünder der Gattung Kunde konnte man gerade um diese Zeit dabei erwischen, wie sie eben ganz schnell noch versuchten vielleicht ein paar Schnäppchen zu erhaschen. Ganz nach dem Motto: Beim Last-Minute-Shopping wird’s günstiger. Ich musste ein wenig verträumt grinsen als ich sah, wie ein paar Kinder sich um einen Süßwarenstand versammelten, der gerade selbstgemachte gratis Bonbons austeilte. Das erinnerte mich ein wenig an meine eigene Kindheit, wenn ich auf den Märkten in meiner Heimat noch während dem Abbau, die eine oder andere Knabberei abgestaubt hatte. Und natürlich sah ich auch immer noch vor meinem inneren Auge, wie meine Mutter mich deswegen ausschimpfte, weil ich in ihren Augen "Schnorren" gegangen war. "Sowas schickt sich nicht für ein Mädchen", waren stets ihre Worte gewesen. Ich hatte das meist mit einem Schulterzucken hingenommen und weiter genüsslich meinem Lutscher oder was auch immer ich seinerzeit von den Händlern bekommen hatte, bis auf Stumpf und Stiel verspeiste. Für sie war es immer peinlich gewesen, da sie dachte die Leute würden über uns reden, dass wir nicht mal genug Geld hätten, damit die Tochter Süßigkeiten bekommt. Nun gut, die reichste Familie waren wir nie gewesen. Doch meiner Ansicht nach gab es andere Sachen, worüber sich die Leute das Maul zerrissen haben, wenn sie von meiner Familie und insbesondere mir gesprochen hatten. Allein schon als ich meine Heimat einst meine Heimat verlassen wollte, um bei meinem verstorbenen Mann in einer Stadt zu leben, war für viele Grund genug die Nase zu rümpfen, sobald ich mal Zeit und Geld gehabt hatte, um meine Eltern für ein bis zwei Tage zu besuchen. Irgendwann war mir das Geschwätz dann endgültig zu viel geworden und auch gewisse Vorhaltungen meiner Eltern mir gegenüber, dass es ja an mir läge, wenn die Leute dummes Zeug von sich gäben, was weder Hand noch Fuß hatte. Es hatte schlussendlich zu einem so heftigen Streit geführt, der darin mündete, dass ich wutentbrannt mein Elternhaus verlassen und seitdem kein Wort mehr mit ihnen gesprochen hatte. Zumindest nicht bis zu dem Tag, an dem ich alles was mir lieb und teuer gewesen war, verloren hatte. Nämlich meinen Mann. Seither rief ich zumindest einmal alle paar Monate zuhause an, um mich wenigstens höflich zu erkundigen, wie denn die aktuelle Lage in der Heimat war. Wobei mir im selben Moment, als meine Gedanken so unverhofft an diesem Punkt angelangt waren, wieder siedend heiß einfiel, dass ich ihnen eigentlich noch für das kleine Care-Paket danken musste, welches sie für Thorin und mich zusammengestellt hatten. Ein bisschen flau wurde mir dabei schon im Magen. Denn ich wusste, dass sicherlich von ihnen die Frage aufkommen würde, wann ich ihnen denn ihren neuen Schwiegersohn persönlich vorzustellen gedachte. Oh weh, oh weh. Da musste ich mir wohl noch etwas zu ausdenken. Immerhin würde dieses Aufeinandertreffen, sofern es tatsächlich noch stattfand, eine Weile auf sich warten lassen. Dessen war ich mir in jedem Fall bewusst. Aber darüber konnte ich mir noch ein anderes Mal den Kopf zerbrechen. Ich war einfach zu müde um mich ausgerechnet in diesem Augenblick mit solchen Gedanken herumzuplagen. Es war wirklich Zeit. Das sagte mir nicht nur die frühabendliche Stimmung, sondern auch meine Füße, die ich endlich auf mein bequemes Sofa verfrachten wollte. Am besten wäre es dann noch sofort einzuschlafen und hoffentlich in dieser Nacht nicht wieder von meinen inneren Plagegeistern und Albträumen heimgesucht zu werden. "Cuna? Was ist los? Warum gehst du so langsam?", drang plötzlich von rechts eine vertraute Stimme an mein Ohr und riss mich endgültig aus meinen Gedanken heraus. Etwas erschrocken und ertappt wandte ich meinen Kopf in besagte Richtung und starrte zwei sehr besorgt wirkenden rehbrauen Augen entgegen. Kili war die ganze Zeit über neben mir hergegangen und musste wohl meinen inneren Konflikt, beziehungsweise meine Gedankengänge anhand meiner Gesichtsausdrücke verfolgt haben. Ich schnaufte kurz und schüttelte anschließend den Kopf, während ich meinen Schritt wieder beschleunigte und gleichzeitig dem Zwergenburschen antwortete: "Es ist nichts. Ich bin nur müde. Das ist alles." Ich sah ihn mir im Augenwinkel zunicken, hörte ihn murmeln: "Ja... Ich denke uns geht es allen so. Es war ein langer Tag." Daraufhin streckte er sich kurz und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, ehe er plötzlich mit genau der Frage fortfuhr, die ich in dem Moment eigentlich nicht hören wollte. "Du denkst wieder an Thorin, hab ich recht?", meinet er und wollte es wohl eher beiläufig klingen lassen, was ihm allerdings nicht ganz so gut gelang, da ich den bohrenden Unterton in seiner Stimme durchaus bemerkte. Ich seufzte kurz und schloss im Gehen einen Moment die Augen. "Nun ja... indirekt... Es hat schon in gewisser Weise mit ihm zu tun... aber...", stammelte ich leicht betreten vor mich hin. Doch bevor ich meinen Satz ausführen konnte, übernahm er schon den Rest für mich und sagte: "... aber du bist dir immer noch nicht im Klaren, wie du mit alledem umgehen sollst. Außerdem fragst du dich, ob er wirklich zu dir zurückkommen wird und wenn, wie er sich dann wohl verändert haben mag. Ist es nicht so?" Verblüfft, ja regelrecht Platt von seiner schnellen und sogar zutreffenden Aussage wäre ich beinahe in einen vorbeieilenden Jahrmarktbesucher gerannt, als ich mich erneut und ruckartig dem jungen Zwerg zuwandte. Zum Glück hatte Kili das noch rechtzeitig bemerkt, mich schnell am Arm gepackt und aus der Laufbahn des Mannes gezogen, der gerade mehr mit seinem Handy beschäftigt war, als auf seine Schritte zu achten. "Oh, Vorsicht. Nicht dass du dich wieder verletzt", meinte er daraufhin als ich kurz verdattert und verwirrt drein schaute, ehe ich mich aus dem leichten Klammergriff des jungen Zwergs löste und ihm dankend zu murmelte. Er nickte nur und sah mich dabei, trotz der kurzen unbeabsichtigten Unterbrechung erwartungsvoll an. Er wollte eine Antwort von mir, ob er mit seiner offenkundigen Vermutung richtig lag oder nicht. Ich blies hingegen die Backen auf und verschränkte verlegen die Hände vor meinem Körper, bevor ich ihm entgegnete: "Du kennst die Antwort doch schon. Warum fragst du mich dann noch?" Er grunzte nur kurz belustigt und erwiderte schmunzelnd: "Nein, die kannte ich nicht. Aber ich habe etwas an dir bemerkt, wenn du an Onkel denkst. Seit ein paar Tagen fangen deine Augen jedes Mal kurz an zu funkeln, bevor sie von einer fast bodenlosen Leere erfüllt werden. Ich habe schon eine ganze Weile das Gefühl, dass dich das alles innerlich sehr aufwühlt und schwer an dir nagt. Denkst du nicht, dass es bald einmal an der Zeit wäre mit uns offen darüber zu reden? Schließlich sind wir jetzt eine Familie. Da solltest du uns mehr Vertrauen entgegenbringen, Schwesterchen." Mit den letzten Worten gab er mir einen kurzen aufmunternden Klaps auf die Schulter und grinste dabei bis über beide Ohren. Ich hingegen stieß nur ein wehmütiges Seufzen hervor und murmelte nach einer Weile des Schweigens betreten: "Und das kommt ausgerechnet aus dem Mund eines Zwergs. Aber gut, wie du willst. Wir reden zuhause. Muss ja nicht alle Öffentlichkeit mitbekommen, was mich grade beschäftigt, oder?" "Was soll das nun wieder heißen? Habe ich dir je einen Grund gegeben mir nicht zu vertrauen, Cuna?", fragte er, wobei sein Grinsen zu einer schieren Empörung wechselte. "Das habe ich nicht gesagt. Aber ebenso wenig habe ich euch Zwergen Gründe dafür geliefert MIR nicht zu vertrauen. Und du weißt, dass der ein oder andere von euch mir gegenüber immer noch mit respektvollem Abstand gegenüber auftritt", meinte ich und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Kili atmete neben mir kurz tief durch, bevor er ein zustimmendes Brummen von sich gab. "Da magst du nicht ganz Unrecht haben. Aber das liegt eben in unserer Natur. Allerdings... wären wir wohl heute alle nicht hier, wenn wir all unser Vertrauen in dich gesetzt hätten. Und eines kann ich dir sagen, wärest du nicht gewesen, würden wir uns jetzt nicht unterhalten können. Schließlich hast du mir einst das Leben gerettet, als das riesige Monster auf der Straße mich verschlingen wollte. Du hast dein Leben für mich riskiert. Das bedeutet bei meinem Volk sehr, sehr viel. Du kannst also versichert sein, dass du mir voll und ganz vertrau... warum in Durins Namen lachst du jetzt?", fragte er im Anschluss an seine epische Rede, während ich tatsächlich angefangen hatte zu kichern. Dabei ging es nicht unbedingt darum, was er gerade hervorheben wollte, sondern viel mehr um die alte Geschichte mit der katastrophalen Pirschjagd während der Zeltstadt. Nachdem ich mich wieder halbwegs gefangen hatte schaute ich ihn mit einem Lächeln an, während er nur trotzig die Arme vor der Brust verschränkt hatte und beleidigt die Unterlippe leicht vorschob. "Ent..entschuldige, Kili. So war das nicht gemeint. Aber das angebliche Monster war ein LKW und hätte dich nicht verschlungen sondern überfahren. Wäre sicherlich beides sehr unangenehm gewesen. Aber... nun ja... du lebst ja noch. Das ist die Hauptsache. Und außerdem brauchst du mir nicht erzählen, was es bedeutet einem Zwerg das Leben zu retten. Darüber wurde ich bereits informiert. Aber... reden wir lieber über etwas anderes. Wie hat dir der Tag heute gefallen?", fragte ich in Anschluss mit einem hastigen Räuspern. Der junge Zwerg gab dahingehend ein mehr oder minder zufriedenes Schnauben von sich und erwiderte nach einigen Minuten: "Also... Ich empfand den Tag als sehr schön. Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Aber ich schätze, das siehst du ähnlich wie ich." Ich atmete tief durch und war insgeheim dankbar, dass er meinen plötzlichen Themenwechsel ebenso begrüßte wie ich und nickte ihm dahingehend sachte zu. "Was hat dir denn genau gefallen?", hakte ich bei ihm nach, woraufhin er erneut in einem grübelnden Schweigen versank. Schließlich zählte er eine ganze Reihe von Dingen auf, die ihm an dem Jahrmerkt sehr zugesagt hatten. Darunter auch das Spiegelkabinett, obwohl er sich dort ja fast im Labyrinth verloren hätte. Er konnte dahingehend auch über diese peinliche Situation herzlich lachen und ein paar Späßchen auf seine Kosten machen, welche mich ebenso in Gelächter ausbrechen ließen. Wir plauderten so noch eine ganze Zeit lang, ohne genau auf unseren Weg zu achten. Das brauchten wir aber auch nicht wirklich. Solange wir die anderen nicht aus den Augen verloren, welche vor uns hergingen, war alles in Ordnung. Inzwischen hatten wir auch den Jahrmarkt bereits seit einiger Zeit hinter uns gelassen und waren nun auf dem Weg zur Bushaltestelle. Denn Fili hatte Jana versprochen, sie noch bis dorthin zu begleiten und da für diesen Tag zu verabschieden. Ich wusste insgeheim, dass es für beide nicht leicht werden würde vorerst wieder voneinander getrennt sein zu müssen. Aber schließlich gab es ja immer noch mein Handy worüber sie sich meinetwegen Stundenlang unterhalten konnten. Ein Hoch auf den Erfinder des Flat-Rate-Vertrags. Stundenlang in mobilen und festen Netzen rumhängen und quatschen zu können für lediglich einen festen Betrag im Monat, war wirklich das Beste, was die moderne Gesellschaft hervorbringen konnte. Im Ernst. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, wie viel ich bezahlen müsste, wenn Fili und Jana ihre Turtelgespräche ohne diese Option durchführen würden. Dann wäre garantiert gar nichts mehr übrig für Miete, Essen und was der Mensch heutzutage noch so alles braucht. Oder eher glaubt zu brauchen. Nun gut, sei es wie es sei. Das Problem hatte ich nicht. Zumindest noch nicht. Wobei tatsächlich noch eigene Handys für die Zwerge auf meiner gedanklichen Checkliste standen. Natürlich Prepaid. Weitere Verträge konnte ich mir einfach nicht leisten. Und Familien-, sowie Partnerverträge gab es bei allen Netzanbietern seit Jahren nicht mehr. Folglich war das die beste Lösung, wenn ich wollte, dass die Herren für mich erreichbar waren, sollten sie oder ich mal nicht zuhause sein. Ich hatte zwar auf dem Markt hier und da Stände ausgemacht, wo kleinere Verkaufsstände alte Handys zu wirklich spottbilligen Preisen angeboten hatten. Die meisten davon funktionierten allerdings nicht mehr richtig. Hinzu kam, dass entweder das Ladekabel oder der passende Akku fehlte. Und selbst wenn beides vorhanden gewesen war, sah es so aus als hätten irgendwelche Dilettanten versucht die äußeren Schalen und das Display mit Sekundenkleber oder Panzer-Tape wieder flott zu machen. Sicher, für fünf Euro das Stück konnte man nichts anderes erwarten. Aber mir persönlich war das dann doch zu riskant. Gerade was die Akkus betraf. Ältere oder sogar billige Modelle aus China neigten doch gerne hin und wieder dazu zu überhitzen und anschließend in der Hand zu explodieren. Nein, das wollte ich den Zwergen nun wirklich nicht antun. Da würde ich mich doch lieber von einem Fachmann beraten lassen. Geschäfte gab es ja inzwischen wie Sand am Meer. Und die führten auch so simple Geräte, wie ich eines besaß. Ohne viel schnick-schnack. Einfach nur zum Telefonieren. Mehr brauchten die Männer meiner Ansicht nach nicht. Wobei ich mir inzwischen doch die Frage stellte ob sie diese tatsächlich noch brauchten. Fili würde ja sicherlich die meiste Zeit mit Jana verbringen, deren Nummer ich ja hatte. Und Bofur wäre höchst wahrscheinlich so gut wie jeden Tag bei Marina, sofern sich deren Beziehung weitestgehend vertieft hatte. Und es sah für den Mützenzwerg gar nicht mal so schlecht aus. Die junge Mutter war so begeistert von ihm, dass sie durch seinen schier endlosen Erzählungen und Geschichten gar nicht mehr aus dem Lachen herauskam. Ich ertappte mich sogar bei dem Gedanken, was der Zwergenkönig wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er Bofur mit Marina an der Seite und Benny auf dem Arm vor sich stehen sah. Oh der Blick wäre sicherlich das ganze Gold des Erebors wert gewesen. Aber bis dahin floss sicherlich noch viel Wasser den Rhein runter, wie man so schön sagte. Zunächst einmal mussten wir Jana an der Bushaltestelle abliefern. Was leichter gesagt war als getan. Ich beobachtete sie dabei, wie sie sich mit jedem Meter, den wir näher an die Haltebucht herantraten, fester an den Arm des blonden Zwergs klammerte. Dieser bemerkte es selbstverständlich auch und versuchte indessen sehr leise auf sie einzureden. Leider konnte ich von meiner Position aus nicht genau hören, was er ihr sagte. Aber die Gesichtshälfte, die ich im Dämmerlicht erkennen konnte, sprach deutlich Bände. Er war angespannt und hin und wieder huschte ein leicht gequälter Ausdruck darüber. Fili wollte sie ebenso wenig gehen lassen, wie sie ihn. Ich mochte es ihnen nicht verdenken. Fühlte ich mich dadurch doch sehr stark an meinen ersten Abschied von Thorin erinnert. Es versetzte mir einen kleinen aber heftigen Stich ins Herz und ein dicker Kloß schien sich in meiner Kehle zu bilden. Oh verdammt. Nicht schon wieder. Hör auf darüber nachzudenken, schimpfte meine innere Stimme laut. Der Tag war doch eigentlich ganz schön gewesen. Mach es dir doch nicht so kaputt. Dieselbe Idee hatte offensichtlich auch Kili, welcher mich kurz mit dem Ellenbogen in die Seite knuffte und murmelte: "Denk jetzt nicht daran. Bald sind wir zuhause." Ich keuchte kurz erschrocken, als mich der relativ sanfte Stoß in die Rippen traf, schüttelte einen Moment lang den Kopf und nickte ihm danach mit klarer werdenden Gedanken zu. Ich atmete tief durch und schaute einen Augenblick lang zum dunkler werdenden Himmel. Nach und nach schalteten sich nun auch die Straßenlaternen an und tauchten die Szenerie in ein schummriges unwirkliches Licht. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir auch endlich die kleine Haltebucht. Diese war nichts Besonderes. Es gab eine Stahl und Plexiglas Konstruktion, wo man sich bei Regen hinsetzen und unterstellen konnte. Natürlich mit den Obligatorischen Graffitis und einigen neuen sowie alten, bunten Plakaten beklebt, worauf man entweder kommende oder vergangene Events einsehen konnte. Direkt neben dem Unterstand befand sich die typische Infosäule mit Mülleimer und den aktuellen Abfahrts-, wie auch Ankunftszeiten der einzelnen Busunternehmen. Dort löste sich Jana schweren Herzens vom Arm ihres Liebsten und begutachtete die verschiedenen Uhrzeiten. Als sie wohl die passende Abfahrt gefunden hatte, wandte sie sich langsam zu uns allen um und sagte mit reichlich brüchiger: "Also.... Also... mein... mein Bus kommt in zirka fünf Minuten. Vielen... vielen Dank, dass.. dass ihr heute alle mitgekommen seid... ähm... Ich.. ich hoffe es hat euch gefallen." Reihum gab es zustimmendes Nicken und zufriedenes Gemurmel. "Es war wirklich schön, Jana. Vielleicht können wir das ja ein andermal wiederholen?", kam es etwas lauter von Marina, welche langsam auf sie zutrat und behutsam ihre Hände nahm. Ich konnte währenddessen ein zaghaftes Lächeln über Janas Gesicht huschen sehen. "Ja... Ja, sehr gerne. Ich... ich hätte da auch schon eine Idee. Bald ist ja auch Halloween und... meine Eltern haben einen großen Partykeller. Was... haltet ihr davon, wenn wir an dem Abend eine kleine Feier veranstalten? Mit Kostümen und so? Das wird bestimmt sehr lustig", rief sie begeistert aus und strahlte uns alle hoffnungsvoll an. Die allgemeine Reaktion, welche darauf folge hätte man sicherlich auch ohne Glaskugel erraten können. Marina war ganz begeistert von der Idee. Die Zwerge an sich eigentlich auch. Das Wort "Feier" verstanden sie definitiv. Aber die Frage, die sie wohl am meisten Beschäftigte, kam von einem sehr verwirrt dreinblickenden Bofur. "Zu einer Feier bin ich jederzeit gern da. Aber...was ist ein Hälowien?", meinte er und kratzte sich dabei am Kopf. Da ich so etwas bereits erwartet hatte, schlich ich ganz langsam und leise von hinten an ihn heran hauchte ihm mit verschwörerischer Stimme zu: "Es ist die Nacht in der die Geister und Dämonen auf Erden wandeln. Die Zeit der Vampire, Werwölfe und Untoten. Sie kommen aus ihren Verstecken und Gräbern, laufen durch die Straßen der Dörfer und Städte, wo sie Angst und Schrecken verbreiten." Beim letzten Satz musste ich etwas genugtuend lächeln, als ich bei einem flüchtigen Blick zu den Zwergen feststellte, wie sie alle aufgrund meiner knappen Erklärung anfingen, sichtlich nervös zu werden. Ich konnte Bofur sogar deutlich schwer atmen und schlucken hören, ehe er mit deutlich höherer Stimme zitternd fragte: "Wie... Ich meine... Hast... hast du nicht gesagt, dass... dass es hier sowas nicht gibt?" "Sicher hab ich das... Normalerweise tun sie das auch nicht... Diese Nacht ist aber eine Ausnahme. Sie kommen zu den Menschen. Klopfen an jede einzelne Haustür um Einlass zu erhalten. Wer dumm genug ist sie herein zu bitten, hat nur eine Möglichkeit sie wieder los zu werden", säuselte ich und bewegte mich geschmeidig hinter dem Rücken des Mützen Zwergs hin und her, welcher verzweifelt versuchte sich zu mir umzudrehen. Für Außenstehende hätte es sicherlich so ausgesehen, wie Ringelpietz mit ohne Anfassen. Im Hintergrund hörte ich Marina und Jana leise glucksen. Diese hielten sich aber in dem Moment geschlossen und warteten ab, wie die ganze Situation wohl ausgehen würde. Während ich noch versuchte dem Blickfeld des Zwergs auf diese eigentümliche Weise zu entgehen. Stotterte dieser verzweifelt: "W-w-w-wie... wie... wird man sie los, Cuna? Sag... sag es uns." Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Ich packte ihn wenig später bei den Oberarmen, wirbelte ihn zu mir herum, klatschte ihm beide Hände auf die Schultern und rief: "SÜSSIGKEITEN!" Der arme Mützenzwerg war so erschrocken von der Aktion, dass er nicht umhin konnte einen spitzen Schrei von sich zu geben, bevor er mich komplett verdattert anschaute. Auch die beiden Brüder waren so geschockt, dass sie gleichzeitig zusammen zuckten. Die Damen hingegen brachen in schallendes Gelächter aus. Auch ich konnte nicht umhin mich über die Gesichter der Zwerge zu amüsieren. Es dauerte ein bisschen, ehe sich die Anspannung etwas legte und die Herren ihre Sprache wiederfanden. Fili war der erste, welcher vorsichtig an mich herangetreten war und mir behutsam eine Hand auf den Rücken legte, bevor er meinte: "Das... das war... ein Scherz nicht wahr? Ich... Ich meine das hast du nicht ernst gemeint, oder doch, Schwesterchen?" Ich wischte mir unterdessen die Lachtränen aus den Augenwinkeln und nickte ihm anschließend zu. "Natürlich war das ein Scherz. Es gibt keine Werwölfe, Vampire und Untoten. Nicht mal in dieser Nacht. Vor vielen hundert Jahren haben das die Menschen aber geglaubt. Und davor war diese Nacht eine Art Neujahresfest. Ähnlich wie euer Durinstag. Heute ist dieser Tag meistens ein Spaß für Kinder. Sie verkleiden sich wie irgendwelche Monster, gehen von Haus zu Haus und wollen Süßigkeiten. Wenn sie aber keine bekommen, wird das Haus meistens mit Toilettenpapier und Eiern beworfen. Ist eine ziemliche Sauerei, wenn ihr mich fragt. Aber solltet ihr an dem Abend wirklich meinen, dass das Echte Ungeheuer sind, dann liegt ihr falsch. Daher würde ich es begrüßen, wenn ihr keine Waffen mit euch führt. Das gilt besonders für dich, Fili ", schloss ich meine Erklärung mit einem kurzen mahnenden Blick auf den blonden Zwerg ab, welcher peinlich berührt und betreten das Gesicht verzog. Offenbar kam er sich ein wenig ertappt vor. Aber ich hatte insgeheim schon geahnt, dass er auch heute aus irgendwelchen Gründen, seinen Lieblings-Kuscheldolch irgendwo am Körper mit sich führen musste. Anders konnte ich mir sein Verhalten in diesem Augenblick nicht erklären. Was seinen Bruder und den Mützenzwerg betraf, so konnte ich auf deren Gesichtern eher gemischte Gefühle ausmachen, bevor auch sie ihre Stimmen wiederfanden. "Dann... dann brauchen wir keine angst zu haben, angegriffen zu werden. Oh Mahal sei Dank...“, schnaufte Kili und lehnte sich dabei erleichtert an den Stahlrahmen des Unterstands. "Das war wirklich ein übler Scherz, Cuna. Mir ist vor Schreck fast das Herz stehen geblieben. Tu mir den Gefallen und treib nie wieder solche Späße... Bei Durins Bart...", keuchte Bofur, der seine Mütze abnahm und sich damit Luft zufächelte. Ich kicherte vergnügt vor mich hin, hob aber beschwichtigend eine Hand und erwiderte: "Tut... tut mir leid... Aber... Aber ich konnte gerade nicht anders. Seid mir bitte nicht böse. Ich mach es irgendwann wieder gut. Versprochen." "Gut, wenn das so ist. Dann wirst du uns demnächst wieder eine ordentliche Fuhre Bratkartoffeln zubereiten. Vielleicht können wir dir dann vergeben", kam es von dem Mützenzwerg, der sich selbige wieder aufsetzte und mich wieder matt anlächeln konnte. Ich nickte ihm mit einem aufrichtigen, breiten Grinsen zu und sagte mit einem neckischen Zwinkern: "Klar. Kein Problem. Wenn es Euer Begehr ist, Herr Bofur, dann will ich dem alsbald Genüge tun." Damit hatte sich die Aufregung nun endgültig wieder gelegt und die Stimmung um einiges gehoben. Das war auch gut so. Denn es dauerte nicht lange, bis wir in der Ferne das hydraulische Zischen und Quietschen, des einfahrenden Linienbusses hören konnten. Und nur einen Wimpernschlag später stand Besagter auch schon in der Haltebucht neben uns. Ein wie üblich recht übel gelaunter Fahrer öffnete die Vordertüre, welche langsam nach außen aufschwang und darauf wartete, welche von den anwesenden Personen er durch die Gegend fahren musste. Jana gab einen langgezogenen Seufzer von sich und das Lächeln auf ihrem Gesicht hatte sich erneut ein wenig versteift. Leider blieb nicht mehr viel Zeit für lange ausführliche Abschiedsreden. Sie ging einmal zügig durch die Gruppe, Umarmte jeden, außer Fili, flüchtig, gab diesem noch einen schnellen Kuss auf den Mund und stieg schließlich in die Gäste Kabine hinauf. Ihr Herzblatt ließ sich dabei an der Tür zurück. Ihm ging es dabei nicht wirklich gut. Ich konnte deutlich sehen, dass er den inneren Drang verspürte, ihr hinterher zu steigen und mit ihr zu fahren. Ich fasste ihn jedoch noch rechtzeitig am Handgelenk, als er drauf und dran war einen Schritt auf die Einstiegsplattform zu setzen und murmelte ihm mahnend ins Ohr: "Nicht Heute, Fili. Du wirst noch oft genug die Gelegenheit haben sie zu besuchen." Ich beobachtete, wie er kurz den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch mit Blick auf meine ernste Miene schloss er diesen wieder, nickte zustimmend und trat einen Schritt vom Eingang zurück. Seine Liebste hatte indessen ihr Ticket bezahlt und sich noch einmal zu uns umgedreht. "Wir... wir sehen uns dann an Halloween. Ich melde mich vorher bei euch, wegen der Uhrzeit. Und... Und, Fili?", fragte sie zum Schluss. "J-Ja?", stammelte dieser und trat wieder ein Stück näher an den Bus heran. Ich hielt ihn aber immer noch am Handgelenk fest, sodass er nicht doch in Versuchung geriet mitzufahren. Da wollte ich dann doch auf Nummer Sicher gehen. Jana schien es auch zu bemerken. Daher fielen ihre letzten Worte vor der Abfahrt so knapp wie nur möglich aus. "Ich ruf dich morgen früh an", sagte sie mit einem liebevollen Lächeln, welches den blonden Zwerg noch einmal kurz zum Strahlen brachte und er nickte ihr zustimmend entgegen. Dann ging alles ganz schnell. Die Türe schloss sich vor aller Augen und Jana suchte sich schnell einen Sitzplatz am Fenster, um uns noch einmal zuzuwinken. Doch noch während sie sich setzte, röhrte der Motor bereits laut auf. Es zischte mehrfach laut und der Bus kam ins Rollen. Wir winkten Jana ebenso zu, als der Bus langsam anfuhr, die Haltebucht verließ und schließlich in einigen hundert Metern Entfernung nach Links um eine Häuserecke bog, wo er gänzlich aus unserem Blickfeld verschwand. Wir blieben noch ein paar Minuten stehen. Auch Fili zuliebe, dem nur langsam bewusst wurde, dass seine Liebste nicht mehr da war. Er brauchte etwas um seine Gedanken zu sortieren. Kili, Bofur und Marina hielten sich dabei vornehm zurück. Nur ich stand noch direkt neben ihm und ließ nun auch seinen Arm los. Dies bemerkte er prompt und drehte sich zu mir um. Im Licht der Straßenlaternen sah ich seine Augen leicht glitzern. Er war bemüht seine Abschiedstränen im Zaum zu halten. Auch wenn es ihm offenkundig schwer fiel. Dennoch schaffte er es mir mit klarer Stimme zu sagen: "Danke, dass du mich zurückgehalten hast." Ich schenkte ihm daraufhin ein tröstendes Lächeln und murmelte: "Die Zeit wird kommen, wo du sie jederzeit besuchen kannst. Hab noch etwas Geduld. Außerdem denke ich, dass wir vorher noch ein bisschen was besprechen müssen." "Ähm... Und was wäre das, wenn du mir die Frage erlaubst?", erwiderte er und musterte mich verwirrt. Ich kicherte leicht amüsiert, legte ihm einen Arm um beide Schultern und flüsterte ihm ruhig ins Ohr: "Nun ja. Ich muss doch noch ein bisschen über die hiesigen Praktiken des Beischlafs aufklären, mein Lieber. Aber das machen wir unter uns, okay?" Nachdem ich ihm dies offenbart hatte, zuckte er völlig verschreckt zusammen und stammelte verlegen: "Wie... was... was... aber das weiß ich doch schon!" Nun war ich diejenige die verdutzt drein blickte und ihn reichlich verwirrt ansah. "Wie jetzt? Du weißt das schon? Woher... ach... oh nein, sag es mir lieber nicht. Ich kann es mir schon denken", besann ich mich im letzten Moment noch rechtszeitig ehe er mir offenbarte, woher er diese besagten Kenntnisse her hatte. Allerdings ließ sich der junge Zwerg doch nicht von dem Versuch abbringen, mir zu erklären, wem er das Wissen zu verdanken hatte. "Weißt du, Cuna. Onkel Thorin hat mich eines Tags beiseite genommen und mir erklärt, was du und er...", setzte er vollkommen Gedankenlos an, als ich ihn auch schon unter heftigen Protest unterbrach. "Babababah. Das behältst du mal schön für dich, Fili. Das will hier keiner hören, verstanden?!", fuhr ich ihn von der Seite her an und kniff indessen auch die Lippen leicht angesäuert und beschämt zusammen. "Aber... du hast doch gefr...“, versuchte er erneut anzusetzen sodass ich ihn wieder zur Ordnung rufen musste. „Ich habe aber direkt danach gesagt, dass ich es nicht wissen will. So. Genug jetzt. Abmarsch. Ich bin müde und will endlich zu meinem geliebten Sofa ", beendete ich die Diskussion, löste meinen Arm von seinen Schultern, gab ihm einen sanften Klaps auf den Rücken und schritt an einer kichernden Marina, einem amüsiert aussehenden Bofur und einen doch recht genervt dreinblickenden Kili vorbei, um meine Gruppe nach Hause zu führen. Meine Güte, das war ja unglaublich. Ich mochte gar nicht darüber nachdenken, was Thorin seinem Neffen da alles wohl unverblümt erzählt haben mochte. Gott, war das peinlich. Zumindest hatte ich die Hoffnung, dass er diverse Details vor Fili in seiner Beschreibung außer Acht gelassen hatte. Aber da würde ich ihn selbst fragen. Solche Geschichten von anderen zu hören, war mir dann doch zu unangenehm. Ich spürte ja bereits kurz nach diesem Gespräch, wie mein Gesicht knall rot anlief, als der junge Zwerg mir seinen Stand der Dinge darlegen wollte. Gut, im Endeffekt war ich selbst dran Schuld. Schließlich hatte ich das Thema vom Zaun gebrochen. Also musste ich auch mit den daraus resultierenden Konsequenzen leben. Und diese unterhielten sich gerade leise in ihrer eigenen Sprache hinter meinem Rücken, während wir zügig durch die abendlichen Straßen in Richtung der Plattenbauten stromerten. Viel passierte nicht mehr auf dem Rückweg. Hinter mir wurde munter geplaudert und fröhlich vor sich hin gekichert. Es nervte mich zwar ein bisschen, aber den Fettnapf hatte ich mir selbst eingebrockt. Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung, dachte ich so bei mir, als wir den Hügel endlich erklommen hatten. Nachdem wir um die nächste Ecke bogen, kam auch schon der hellerleuchtete Haupteingang das Plattenbaus in Sicht und infolge unserer Schritte immer näher. Ich seufzte erleichtert, als ich einige Minuten später die Türe öffnete und mit den anderen den Vorraum betrat. Einer alten Gewohnheit nach, wollte ich den aktuellen Bestand meines Briefkastens überprüfen und begann infolge dessen in meiner Tasche nach dem Schlüssel zu kramen. Wobei es nicht wirklich viel zu überprüfen gab. Die Sachlage war eindeutig. Sie sprang einem ja buchstäblich ins Auge. Der kleine Blechkasten, welcher zusammen mit einem Dutzend anderen zur rechten der Eingangstür aufgereiht war, war bis zum Bersten gefüllt mit allerlei Briefumschlägen in verschiedenen Größenkategorien. Die obligatorischen achtzig Prozent Werbung mit inbegriffen. Diese landeten auch prompt da, wo sie auch hingehörten. Nämlich in der Papiertonne, welche extra für solche Zwecke aufgestellt worden war. Die wichtigen Sachen, wie Bewerbungsabsagen, Amtsschreiben, Rechnungen und so weiter, stapelte ich halbwegs ordentlich, um sie mit nach oben zu nehmen. Auch Marina schien meine Idee nicht schlecht zu finden und machte sich ebenfalls über den Inhalt ihres Kastens her. Die Zwerge warteten unterdessen mit neugierigen Blicken, dass wir Frauen endlich fertig wurden. Die junge Mutter hatte nicht ganz so viel zu tun wie ich. Sie warf lediglich die Werbung weg, womit sie sogar vor mir fertig geworden war, obwohl sie erst nach mir angefangen hatte. Aber so war das eben. Mal bekam man viel und mal weniger Post. Die kleinen Männer schienen unser Verhalten allerdings noch nicht so ganz verstanden zu haben. Denn als wir im Treppenhaus nach oben gingen, musterten die Herren gerade meinen Stapel mit wachsendem Interesse und Bofur fragte: "Was ist das alles, Cuna?" "Briefe", erwiderte ich ihm knapp, da er mit dem Begriff "Post" wohl weniger hätte anfangen können. Er brummte daraufhin verstehend und hakte nicht weiter nach. Die beiden Brüder hingegen gaben sich mit meiner Antwort jedoch weniger zufrieden und fingen nun ihrerseits an mich mit Fragen zu durchlöchern. "Und was habt ihr beide da eben weggeworfen? Waren das nicht auch Briefe?", kam es mit leicht verwirrtem Ton von Fili, welcher direkt hinter mir lief. "Das war Werbung. Also uninteressant für mich", erklärte ich ihm über die Schulter hinweg. Kili schien das Wort Werbung jedoch ein wenig falsch zu interpretieren. Denn von ihm kam ein erleichtertes stöhnen, bevor er ganz unverblümt meinte: "Gut, dass du sie weggeworfen hast. Nicht auszudenken, was Onkel wohl gesagt hätte, wenn er erführe, dass noch andere Männer um dich werben, Schwesterchen." Es dauerte etwas, bis die Sätze ganz bei mir angekommen waren. Doch dann brach ich in schallendes Gelächter aus. Auch Marina konnte sich nicht zurückhalten und stimmte mit ein. Natürlich passte das dem Zwergenburschen mal wieder gar nicht und polterte entrüstet hinter uns drauf los: "Was habe ich denn nun schon wieder gesagt?! Erklärt mir wenigstens, was es genau damit auf sich hat." Oh weh, oh weh. Da war aber einer sehr schlecht gelaunt. Das merkte selbst die junge Mutter. Also versuchten wir uns soweit es ging zusammen zu reißen und es allen Männern noch einmal verständlich zu machen, dass unsere Art der Werbung nichts mit der Suche nach einem geeigneten Lebenspartner zu tun hatte, sondern viel mehr dazu dienen sollte, die Leute zum Kauf ihrer Waren zu bewegen. Aber eigentlich hätte er es wissen müssen. Immerhin hatte ich es ihm und seinem Bruder bereits vor ein paar Tagen erklärt. Aber gut. Man konnte sich ja auch nicht alles merken. Vor allem dann nicht, wenn es so viele neue Eindrücke gab, die auf einen niederprasselten. Und davon würde es noch einige geben, worauf ich die Herren Zwerge noch ausgiebig vorbereiten musste. Ein bestimmter Zwerg jedoch, bereitete sich aber schon darauf vor, seine Angebetete an ihrer Wohnungstür abzusetzen und sich gebührend bei ihr zu verabschieden. Als wir den vierten Stock erreichten öffnete Bofur Marina mit einer leichten Verbeugung die Tür zum Außenbalkon und bemerkte dabei: "Nach Euch, werte Marina." Sie kicherte dabei verlegen wie ein Schulmädchen und erwiderte: "Vielen Dank, Herr Bofur." "Stets zu Euren Diensten. Ich wünsche eine angenehme Nachtruhe.", meinte er abschließend mit einem breiten Lächeln, welches noch breiter wurde, als sie ihm doch tatsächlich einen frechen, flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte und flüsterte: "Die werde ich habe. Gute Nacht." Den darauf folgenden wehmütigen Seufzer hob sich der Mützenzwerg allerdings für den Moment auf, nachdem die beiden Brüder und ich ihr ebenfalls eine gute Nacht gewünscht hatten und sie in ihrer Wohnung verschwunden war. "Was für ein Weib. Oh Mahal. Was für ein unsagbar wundervolles Geschöpf sie doch ist", trällerte Bofur von seiner Wolke siebe, mit der er leichtfüßig die restlichen Etagen bis zu unserer Wohnung hinauf schwebte. Er strahlte selbst dann noch als wir endlich drinnen angekommen waren, unsere Sachen ablegten und uns nacheinander Bettfertig machten. Viel hatte ich an diesem Abend nämlich nicht mehr vor. Ich wollte nur noch schlafen. Das war aber mit einem extrem liebestollen Mützenzwerg alles andere als leicht. Irgendwann wurde es selbst Fili zu viel. Ich stand noch in der Tür zum Badezimmer, wo ich mit Kili den Platz tauschen wollte, als Fili plötzlich nach seinem Kissen griff und dieses dem Mützenzwerg mitten ins Gesicht feuerte. Mit einem dumpfen "Fopp" klatschte es diesem unvorbereitet mitten auf die Nase und er brauchte eine Weile um zu realisieren, was ihn da gerade getroffen hatte. Kili und ich mussten prusteten laut drauf los, als Bofur begann sich über die hinterhältige Attacke zu beschweren. "Bei Durins Bart! Was sollte das denn, Fili?", maulte er und warf dem breit grinsen Burschen nicht nur sein Kissen sondern auch einen sehr beleidigten Blick zu. Fili, der zuvor auch noch gelacht und mit dem Finger auf ihn gezeigt hatte, war auf den Gegenangriff nicht gefasst gewesen und bekam umgehend die Quittung für seinen vorangegangenen Wurf. Und zwar voll auf die Zwölf. Was einige Minuten später erfolgte, war eine ziemlich derbe Kissenschlacht nach Zwergenart. Und wie sollte es auch anders sein, stürzte sich Kili ebenfalls mit in das Getümmel aus fliegenden Kissen, Decken und sogar einigen Plüschtieren, die ich bereits aus den Kisten genommen hatte. Ich seufzte kurz resigniert, nachdem mir das Lachen etwas vergangen war und rief über das Gegröle und Getobe der Männer hinweg: "Macht bloß nichts kaputt! Habt ihr drei gehört?!" Das schien sie jedoch in keiner Weise zu interessieren. Warum auch? Sie hatten gerade einfach zu viel Spaß und konnten sich noch einmal richtig austoben. Mir hingegen war das Ganze zu anstrengend. Ich verzog mich langsam ins Bad und schloss leise die Tür hinter mir. Erleichtert nach den ganzen Stunden für ein paar Minuten allein zu sein, ging ich zunächst meiner gewohnten abendlichen Routine nach. Sprich Toilette, ein bisschen Katzenwäsche mit einem Waschlappen und im Anschluss selbstverständlich wieder anziehen und Zähneputzen. Doch während ich so da stand und meinem Spiegelbild bei der Mundhygiene zusah, überkam mich mit einem Mal eine extrem bescheuerte Idee. Eine, die mich kurz in meinem Tun innehalten ließ und mich dazu bewog meinen kompletten logischen Verstand über Bord zu werfen. Und mir war klar, dass es vermutlich komplett irre war. Dennoch kam es auf einen Versuch an. Ich musste es wagen. Koste es, was es wolle. Eine andere Möglichkeit sah ich in diesem Augenblick nicht. Dabei dachte ich an den mutmaßlichen Wunschspiegel, indem ich noch an diesem Morgen die Chance bekommen hatte Thorin zumindest sehen zu können. Eigentlich war dieser ja auch ein komplett normaler Spiegel gewesen, also warum sollte dann nicht auch der in meinem Bad so funktionieren? Es kam ganz allein auf einen Versuch an. Ich musste nur genauso intensiv an den Zwergenkönig denken, wie ein paar Stunden zuvor. Dann würde es sicherlich klappen. Nur einmal. Nur einmal noch, bevor ich schlafen ging, wollte ich ihn sehen. Dafür war mir jedes Mittel recht. Also beeilte ich mich meinen Mund von Schaum und Zahnbürste zu befreien, klammerte mich anschließend ans Waschbecken und schloss die Augen, während ich wie in einem Mantra gedanklich wieder und wieder meinen Wunsch formulierte. Ich wusste nicht wie lange ich so dagestanden hatte, aber irgendwann vernahm ich eine ruhige leise Stimme in meiner Gegenwart. "Cuna?", hörte ich sie sagen. Erschrocken und beinahe euphorisch riss ich die Augen auf. "THORIN?!", brüllte ich im selben Atemzug. Doch... …Nein... Das was ich sah, war nicht das erhoffte Antlitz des Zwergenkönigs, sondern lediglich mein eigenes, enttäuschtes Gesicht. Nur leicht schräg hinter mir stand ein besorgt dreinblickender Bofur, welcher mir beruhigend eine Hand auf die Schulter legte und sagte: "Ich denke... wir sollten uns einmal unterhalten." - 113. Von kurzen Abschieden und bewegenden Momente / ENDE - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)