Verhängnisvolle Nacht von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 4: Neubeginn -------------------- I. Der Kutscher warf seinem Passagier beim Aussteigen einen langen Blick zu. Er schien zu bemerken, dass irgendetwas mit seinem Fahrgast nicht stimmte. Da war etwas im Äußeren des Fremden, eine seltsame Sanftheit in den Zügen. Irgendwie fraulich, dachte er irritiert, ohne es an einer bestimmten Eigenschaft festmachen zu können. Aber es war etwas, was ihn dazu brachte, abzusteigen und die Tasche des Fremden bis zur Tür des Gasthauses zu tragen. So etwas tat er nur, wenn Frauen mitfuhren, die attraktiv waren. Er staunte über sich selbst und schüttelte den Kopf, als er seinen Pferden die Peitsche gab. Am nächsten Morgen stand an der Haltestelle für Postkutschen nach Rennes in einem einfachen schwarzen Reisekleid eine schlanke Frau. Auffällig war die ungewöhnliche Größe und der feste Blick der Reisenden. Sie zeigte keinerlei Anzeichen der Schüchternheit, die Frauen an den Tag zu legen pflegten. Stolz und aufrecht schritt sie zur heranfahrenden Kutsche. Die Postkutsche war riesig und alt. Schneematsch drang durch die Bodenbretter und durchfeuchtete das Stroh unter ihren Füßen. Das Holpern des ungefederten Fahrgestells schleuderte die Fahrgäste durch. Jeder Absturz in ein knöcheltiefes Schlagloch fuhr schmerzhaft ins Rückgrat. Die übergroße, eisig schwarze Rüttelkiste, in der sie umhergeschüttelt wurden wie Würfel näherte sich Brest, der letzten großen Stadt vor Trézien-Plouarzel. Als letzten Passagier entließ der Kutscher Aramis an ihrem neuen Wohnort. Ihr Reisegepäck schmiss er schwungvoll auf die Straße und ließ sie in der zunehmenden Dunkelheit allein. Kahle riesige Bäume umgaben sie von allen Seiten, die üblichen Waldgeräusche erklangen schaurig und gedämpft aus dem Dickicht. Aramis schritt beklommen die zugewachsene Zufahrt zum Anwesen hoch. Die Bäume gaben jetzt den Blick auf das Gasthaus frei. Angesichts des halb verfallenen Gebäudes vor sich erstarrte Aramis in ihren Bewegungen. Düster ragte kaum mehr als das Skelett eines Gebäudes vor ihr auf. Was einmal ein prächtiges und eindrucksvolles Gasthaus gewesen war, war durch einen Brand und Plünderung seiner Schönheit beraubt worden. "Madame, Madame." Bewaffnet mit einer Petroleumlampe und einer großen Portion Mütterlichkeit schritt Madame Bourel dem Neuankömmling entgegen. "Madame Brunet? Kindchen, Sie sind doch Madame Brunet?" Am Rande ihrer Bestürzung registrierte Aramis, dass sie gemeint war. Renée Brunet, eine junge Witwe, einsam und verlassen, mit einem ungeborenen Kind. Ein Feuer hatte Mann und Vermögen vernichtet. Ihre tragische Geschichte war längst ihrer Ankunft voraus nach Trézien-Plouarzel gereist. Kapitän D'Trevilles Agenten hatte Madame Bourel von ihrer Ankunft informiert. Aramis schaute in das lächelnde Gesicht von Jeannot Bourel und nickte. "Fein fein, ich bin Madame Bourel, aber alle sagen Mére Jeannot. Schauen Sie nicht so schockiert. Es sieht schlimmer aus als es ist. Ich führe Sie herum. Der Anbau steht noch und ich habe ihnen ein schönes gemütliches Zimmer zurecht gemacht. Morgen wenn die Sonne scheint ...." Jeannot Bourel war noch nie weiter als bis Brest gereist. Sie war die gute Seele der Umgebung. Schon in ihrer Jugend, welche seit drei Jahrzehnten hinter ihr lag, hatte sie im Gasthaus gearbeitet und war vom Hausmädchen zur Wirtschafterin aufgestiegen. Mére Jeannot war das Gasthaus. Sie trauerte noch immer all dem Schönen nach, das vor einem Jahr durch ein Feuer vernichtet worden war. Nur im richtigen Licht und von einem gutmütigen Lügner konnte Mére Jeannot als attraktiv bezeichnet werden. Sie war pummlig und krummbeinig, mit einem ständigen Ausdruck von unheilbarer Gutmütigkeit auf dem Gesicht. Wenn sie lachte, verwandelte sich ihr Gesicht in eine Masse aus horizontalen Falten. Das Glas der zerstörten Fensterscheiben knirschte unter Aramis Füßen, als sie den ehemaligen Schrankraum betrat. Am Boden lag das alte Gasthausschild. Die Aufschrift L'Hirondelle, die Schwalbe verschwamm im trüben Licht der Lampe. Aramis drehte sich in der Mitte des ehemaligen Schrankraums im Kreis. "Und? Was soll ich nun machen?", wandte sie sich hilflos an die verkohlten Dachbalken über ihr. Die Antwort hockte 3 Meter über ihr, im zerstörten Dachgerüst der L'Hirondelle. Als die verdreckte Gestalt unvermittelt zwischen die beiden Frauen sprang, erklommen Meré Jeannots Stimmbänder ungeahnte Höhen. Sie war der festen Überzeugung, dem Teufel persönlich gegenüber zu stehen. Aramis musterte den Höllenbewohner vor sich. Für den Teufel war er zu ärmlich gekleidet, entschied sie. Luzifer ergriff grinsend Aramis Hand und schüttelte diese schmerzhaft. Madame Bourel versuchte er in den Hintern zu kneifen, wofür er einen Hieb mit dem Unterarm erntete, der ihn hinten über kippen ließ. Meré Jeannot hatte den durchaus irdischen Bewohner erkannt und stellte ihn der neuen Mieterin als Pierrè vor. Sein verletzter Kamerad Nobby kletterte nun auch unbeholfen die Dachbalken hinunter. Pierrè und Nobby verfügten nicht über den Luxus eines Nachnamens. Pierrè schien der gescheitere von Beiden zu sein. Er war mittelgroß, im mittleren Alter und derart von unauffälliger Erscheinung, dass die meisten Leute ihn vergaßen, sobald sie ihn nicht mehr sahen. Um so mehr blieb Nobbys hässliche Erscheinung in Erinnerung. Seine kurze agile Gestalt, mit dem schorfigen Kopf und den abgebrochenen Zähnen verströmte ein unbeschreibliches Aroma. Doch Nobby besaß einen unglaublichen Sinn für Humor, der sämtliche Schicksalsschläge überlebt hatte. Wie viele Kleinganoven waren er und Pierrè tragische Gestalten. Die Frauen waren nun zwei Männern, welche Teufel oder nicht, ersichtlich kriminell waren und das L'Hirondelle als Versteck nutzten, ausgeliefert. Jedoch in beiden Augenpaar las Aramis keine Bedrohung. Trotzdem wanderte ihre Hand an die linke Seite, wo das vertraute Gefühl des Degens fehlte. Als die anderen schlafen gingen, passte es zu dieser fremdartigen Begegnung, dass sie wach blieb und zuhörte, wie Pierrè ihr die Kunst des Straßenraubes schilderte. *** II. In den folgenden Tagen versuchte sich Aramis mit ihrer neuen Situation anzufreunden. Im Sonnenlicht wirkten die Schäden am Haus nicht mehr ganz so gravierend. Meré Jeannot lebte mit ihr im intakten Gebäudeteil und die beiden Kleinganoven hielten sich weiterhin auf ihrem Anwesen vor der örtlichen Gerichtsbarkeit versteckt. Jeder ging davon aus, dass Aramis das Gasthaus wieder für seinen ursprünglichen Zweck nutzen würde. Das Anwesen lag an der wichtigsten Verkehrsstraße der Küste und genoss noch immer den guten Ruf aus vergangenen Zeiten. Dass eine Frau ein Gasthaus führen sollte, war ungewöhnlich, aber es waren harte Zeiten. Durch den andauernden Religionskrieg nahm die Armut erheblich zu. Die Bewohner Trézien-Plouarzels waren sich einig, dass man hier wieder ein Gasthaus brauchte. Einen Ort, um sich einen anständig hinter die Binde zu kippen und über das gegenwärtige Elend philosophieren zu können. Der erste Weg zu Genehmigungen und Lizenzen führte zum örtlichen Friedensrichter. Vincent d'Estouville, einziger Abkömmling eines alten und heruntergekommenen Adelsgeschlechts schien noch zu jung für sein Amt zu sein. Die letzten Felder und Wiesen der Familie d'Estouville waren für das Amt des Friedensrichters verkauft worden. Ende 20, stattlich, gutaussehend und furchtbar gelangweilt hockte Monsieur d'Estouville im alten Schloss und war Wächter über die umgebenden Gemeinden. Das Kinn auf die Hand gestützt betrachtete Vincent fasziniert die neue Mieterin des L'Hirondelle, welche monoton mit dem Löffel auf dem Tassengrund kratzte und zurückstarrte. Er war der einheimischen Schönheiten schon lange müde geworden. Seine neue Bekanntschaft versprach aufregend zu werden. Natürlich wusste er, dass seine Besucherin schwanger war, aber dieser Zustand währte schließlich nicht ewig und junge Witwen mussten getröstet werden. Die Beute war anvisiert. Aramis hatte nicht umsonst mehrere Jahre auf der Seite des anderen Geschlechts verbracht, ohne zu lernen dessen Körpersprache in Bezug auf Frauen zu verstehen; in diesem Falle benutzte Vincent d'Estouville Blockbuchstaben. Die Romantik auf dem Land war eher durch Quantität und nicht so sehr durch Qualität ausgezeichnet. Ihrerseits war Aramis großartig darin sein Gebärden zu ignorieren. "Am besten Sie suchen Monsieur Gillet auf. Leider der einzige Bankier dieser Gegend". Monsieur d'Estouville seufzte hingebungsvoll. "Sie werden ein anständiges Startkapital benötigen. Mit meiner Fürsprache wird er Ihnen einen günstigen Zinssatz anbieten." "Ich danke Ihnen Monsieur." "Leider werden sie nicht um eine Begegnung mit ihm herumkommen. Sein Anwesen liegt direkt hinter der Kirche. Folgen Sie einfach dem Geruch der Ziegen. Monsieur Gillet liebt seine Ziegen. Er ist gesegnet mit Ziegen. Ziegen so scheint es, nähren Monsieur Gillet, kleiden Monsieur Gillet und unterhalten Monsieur Gillet. Mich schaudert es bei dem Gedanken, wie das vonstatten geht." "Ist es nicht eher ungewöhnlich für einen Bankier, sich Ziegen zu halten?", fragte Aramis mit belustigtem Lächeln. Vincents Lächeln verstärkte sich. "Jedem seine Vorlieben, sag ich immer." Monsieur d'Estouvilles subtiles Zwinkern in ihre Richtung verriet seine Vorlieben. "Wenn Sie mich jetzt entschuldigen. Ich muss über das Thema Ziegen nachsinnen. Wenn Sie Hilfe ... oder Trost brauchen, wenden Sie sich immer an mich, meine Liebe!" Der Geruch von Ziegen wehte unverkennbar die Straße entlang. Bei ihrer Begegnung mit Nicolas Gillet erlitt Aramis Geschmack angesichts von flatternden Fingern und Augenwimpern, Gesichtspflästerchen und Spitzenjabot schmerzliche Krämpfe. Zudem hätte Nicolas Gillets Gestalt bei einem direkten Vergleich mit Nobby unvorteilhaft abgeschnitten. Monsieur Gillet zeigte sich mehr als interessiert an ihrem finanziellen Anliegen. Wie eine Spinne wieselte er hinter Aramis her. Der Mann war zu geraden Linien außerstande; in Serpentinen bewegte er sich auf sein Wild zu. "Ja, schwere Zeiten, für eine Frau so allein. Mein herzliches Beileid zu diesem tragischen Unfall und Ihrem schweren Verlust. Sie wollen nicht darüber sprechen? Ich verstehe, die Trauer ...." Seine Stimme tropfte vor schleimigem Mitgefühl. Onkelchen, ich hab Duelle mit Männern ausgefochten, die deine Knochen zum Frühstück fressen würden. Und gewonnen, dachte Aramis. "Wir werden Ihnen schon irgendwie helfen," meinte er und bot der vermeintlichen Witwe einen Kredit zu Wucherzinsen an. Aramis teilte ihm mit, was er mit den Krediten und Zinsen tun könne. Monsieur Gillet wirkte plötzlich wie ein General, der mit einem Frontalangriff gerechnet hatte und feststellen musste, dass der Feind von hinten kam. Er schob sie unvermittelt in Richtung Tür. "Ich möchte nicht ungastlich sein, meine Liebe", sagte er vor der Tür, "aber hauen Sie jetzt ab! Und zögern Sie bitte sehr, mich wieder zu besuchen." Die Tür knallte zu. Ein Hund kam daher getrottet, um an den gepflegten Blumenrabatten das Bein zu heben. "Mein Sohn," sagte Aramis, "du sprichst mir aus dem Herzen." Und ging nach Hause. Geld brauchte sie trotzdem und Monsieur d'Estouvilles Hilfe erschien ihr als keine gute Lösung. So schrieb Aramis an Kapitän d'Treville und bat um seine Hilfe. D'Treville reagierte sofort. Das Ansehen und die Position des Kapitäns im gesamten Land verhalfen ihr zu ihrem Startkapital, um das Gasthaus herzurichten. Pierrè und Nobby hatten sich nun als Dauergäste einquartiert. Beide waren sehr vorsichtige Kriminelle und wussten, ab wann es besser für ihre Gesundheit war achtbar zu bleiben. Nobby war nur durch ungünstige Zufälle in Konflikt mit dem Gesetz geraten und hatte ohnehin keine Begabung dafür. Er hatte nie gelernt, Dinge zu steuern. Es widersprach seinem Wesen. Er setzte sich in Bewegung und hoffte, dass der Rest der Welt beiseite rückte, damit er sein Ziel erreichen konnte. Nur tat sie ihm diesen Gefallen nicht und gerade bei einem Leben als Kleinganove war dieser Umstand mit vielen Unfällen verbunden. Der Verletzungen überdrüssig, war er glücklich im Gasthaus bleiben zu können und entdeckte den Garten für sich. Aramis hatte keine Ahnung von Gartenbau. Trotz der großen Parkanlage am Anwesen ihres Onkels gab es dort wenig Blumen. Ihr Onkel hatte Blumen nicht leiden können; er hatte den Verdacht gehabt, dass ihre Beziehung zu Bienen nicht so war, wie sie sein sollte. Und wenn man als Musketier erwischt wurde, wie man herumstand und an Petunien schnupperte, wurde man zu einem Arbeitseinsatz versetzt. Trotzdem wäre es wirtschaftlich eine Verschwendung gewesen, die verwilderten Beete nicht zu nutzen. Nobbys Leidenschaft für Gartenbau nahm sie dankbar zur Kenntnis. Er war einer der wenigen, die dem Hl. Vater in die Augen blicken und sagen können, sie hätten die Welt duftender hinterlassen, als sie sie vorgefunden hätten. Pierrè war sehr vielschichtig in seine Verstößen gegen das Gesetz. Gerissen und mit einem gesunden Maß an Vorsicht, war er an vielen illegalen Projekten beteiligt. Somit kannte er Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht und hatte viele Freunde. Wenn auch einige unfreiwillig, da sie ihm Gefallen schuldeten. Nun streckte er seinen langen Arm hinter dem Auge der Gesetzbarkeit aus und holte Hilfe für seine neue Freundin, in Form von Arbeitseinsätzen unfreiwilliger Verbündeter. Einer davon war Michel Pasquier. Er schuldete Pierrè noch Geld, aber da er sowieso unter chronischem Geldmangel litt, machte er sich über die Rückzahlung keine Gedanken. Es war weithin bekannt, dass Pierrè nicht zu Gewalttaten neigte. Seine Schuld durch Arbeitskraft abzuzahlen passte ihm überhaupt nicht, zudem bekamen ihm Schweiß und zuviel Sonneneinstrahlung überhaupt nicht. So stand er dekorativ auf den Spaten gelehnt herum und sah einfach nur gut aus. Dass sich die neue Besitzerin näherte, beunruhigte ihn nicht weiter. Von Frauen ließ er sich nichts sagen. Diese hier war jung und hübsch und hatte immerhin einen Anspruch darauf, von ihm beachtet zu werden. Michel lächelte ihr entgegen und ließ gönnerhaft seinen Blick über ihren Körper wandern. Er registrierte nicht was sie sagte, aber wie sie es sagte. Und irgendwo in seiner kleinen und plötzlich sehr eingeschüchterten Seele regte sich zitternd, die von profundem Unbehagen bestimmte Erkenntnis, dass er besser schleunigst arbeiten sollte. Im sanften Licht der untergehenden Sonne betrachtete Aramis, was an diesem Tag am Gasthaus geschaffen wurde. Die Instandsetzung des Wirtshauses kam ungewöhnlich schnell voran. Sie hatte einen langen Tag hinter sich und legte zufrieden die Hände auf die inzwischen beträchtliche Bauchwölbung. Glücklich fühlte sie das ungeduldige Strampeln ihres ungeborenen Kindes. Ihr neues Leben hatte begonnen und das Kind würde ein gutes Zuhause bekommen. Aramis hatte ihre Erinnerungen an Paris weggeräumt, wie eine Frau, die alte Liebesbriefe in Lavendel legt. Sie wollte sie nicht abnutzen, sonder für später aufbewahren. Für Momente wie diesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)