Schwingen der Vergangenheit von AbaddonCornix (Wenn sich das Schicksal wiederholt) ================================================================================ Kapitel 17: Realität - Eren Yeager ---------------------------------- Schreie. Überall Schreie. Blut. Diese Schreie. Überall Blut. Der Geruch des Todes. Diese Schreie. Dieses Blut. Überall der Geruch des Todes. Jean. Hilfe. Er schreit. Schmerzen. Er blutet. Kampf. Er hat verloren. Er ist tot. Jean! Schreiend wachte ich auf, schreckte hoch und schlug wild um mich. Jedoch wurde ich augenblicklich von zwei Krankenschwestern zurück auf das hohe Bett gedrückt. Je öfter ich blinzelte, desto klarer wurde das Bild vor meinen Augen. Nur langsam realisierte ich wo ich eigentlich war. Weiß, steril, kalt – ein Krankenhaus. Schwer atmend drehte ich meinen Kopf zur Seite und erkannte Mikasa und Armin. Sie sagten etwas, aber ich konnte sie nicht verstehen. Lediglich ihre Lippenbewegungen konnte ich wahrnehmen. Eine Schwester gab mir eine Spritze, wollte mir irgendetwas erklären, aber ich verstand sie nicht. Alles fühlte sich so weit weg an. Ich hörte nur Rauschen und Piepsen, als wäre ich unter Wasser. Mein Blick wanderte im Zimmer umher; erkannte eine äußerst geschmacklose Einrichtung. Rechts von mir ein Tisch als Ablagefläche, keine Bilder; fliederfarbene Vorhänge. Als ich mit etwas Mühe an mir runter schaute, bemerkte ich an wie vielen Geräten ich angeschlossen war – das erklärte das Piepsen. Nachdem sich meine Atmung etwas beruhigt hatte, griff ich mit einer Hand nach Armin. Er ergriff sie und fing an zu weinen. Aber warum weinte er? Hatte ich etwas falsch gemacht? War mein Anblick so schrecklich? Ich wurde wieder müde. Egal wie sehr ich dagegen ankämpfte, meine Lider fielen zu und hüllten mich in endlose Dunkelheit. Schritt für Schritt wanderte ich durch einen langen Gang. Dunkelheit umgab mich, nur ein paar Fackeln stellten eine Lichtquelle war. Ich hörte das Gummi meiner Schuhsohlen auf dem Boden schrammen, während ich immer tiefer in dieses Geflecht aus Finsternis eindrang. Plötzlich konnte ich nicht mehr weitergehen, da mir eine unsichtbare Scheibe den Weg versperrte. Kurz dagegen geprallt blieb ich stehen, tastete sie mit den Händen ab, konnte aber nicht erfühlen, was genau sich vor mir befand. Gerade als ich umdrehen wollte, da ich sowieso keine Möglichkeit sah weiterzukommen, hörte ich jemanden schwer atmen und spürte Schritte auf dem Boden. Sie waren schnell, wurden hörbar, kamen näher. Links hinter der Scheibe leuchtete eine Fackel eine Treppe hoch. Angespannt starrte ich in diese Richtung, da ich von dort aus die Geräusche wahrnehmen konnte. Ein Mann – es war definitiv ein Mann, dessen Atmung ich hörte. Gepäck – er musste eine Tasche oder so bei sich haben, denn man konnte deutlich Metall gegen Plastik oder Ähnlichem schlagen hören. Unerwartet eilte ein Mann fluchtartig die Treppen runter, versuchte die ihm gegenüberliegende Tür, die ich erst jetzt bemerkte, zu öffnen, scheiterte aber kläglich an dem Versuch. Panisch schaute er sich um, tangierte sogar mich mit seinem Blick, schien mich allerdings nicht wahrzunehmen. Weitere Schritte nahmen Gestalt an, als eine weitere Person am Ende der Treppe stand. Vermutlich auch ein Mann, größer als sein gegenüber. Meine Faust klopfte unaufhörlich gegen die durchsichtige Scheibe, versuchte meinen stummen Rufen Ausdruck zu verleihen, doch keiner der beiden schien auf mich aufmerksam zu werden. Die beinahe komplett von Kleidung bedeckte Person an der Treppe näherte sich dem Verängstigten mit langsamen Schritten, während dieser immer mehr zurück wich. Schließlich stand er mit dem Rücken zur verschlossenen Tür. Eine ausgestreckte Hand konnte ich von links erkennen – es schien als wollte der Angreifer irgendetwas von ihm haben wollen. Der Mann mit den bernsteinfarbenen Haaren kramte ein paar Papiere aus seiner Tasche. Anscheinend waren es Dokumente, teilweise wohl auch Kontoauszüge, da das Format dafür sprach. Er wedelte damit provokant in der Luft herum. Sein Gegner schien nicht amüsiert, machte Anstalten, als würde er ihn anschreien und ihm drohen. Immer näher kommend, zog er dabei zwei Messer aus seinen Taschen. Allerdings ließ sich sein Opfer nicht beeindrucken. Er bückte sich und schob den dünnen Stapel Papier, welchen er bis eben in seiner Linken hielt, ohne zu zögern unter dem Spalt der verschlossenen Tür durch. So tief, dass selbst die längsten Finger sie nicht mehr erreichen konnten. Wie erwartet wurde der Angreifer wütend. Entgegen meiner Vermutung, er würde mit aller Gewalt versuchen die Tür zu öffnen oder die Dokumente mit dem Messer wieder rauszufischen, rannte er auf den Mann, der gerade vor seinen Augen etwas Wichtiges verschwinden ließ, zu und stach ihm zweimal in die Schulter. Dies zwang sein Gegenüber dazu den Rucksack in seiner Rechten loszulassen, welcher anschließend zu Boden fiel. Dabei rutschte ein Laptop heraus. Sein linker Arm war getränkt in Rot und gerade als er versuchte in seine Hosentasche zu fassen, holte sein Peiniger aus und verpasste ihm einen äußerst starken Tritt. Er ging zu Boden, krümmte sich vor Schmerz. Der Angreifer lachte stumm. Immer und immer wieder schlug ich gegen die Scheibe, doch niemand hörte mich. Er brauchte Hilfe. Er hatte Schmerzen. Er kämpfte. Er würde verlieren. Jean! Meine Handgelenke wurden von warmen Händen umfasst, immer wieder hörte ich meinen Namen. Eren, riefen die Stimmen. Eren. Eren. Ich wachte auf und blickte in große, blaue, traurige Augen, die mich fixierten. Links neben mir saß Mikasa, die ihre Hände auf meine Schulter legte. Erneut brauchte ich einige Minuten, um meine Atmung zu koordinieren. Jean. Er war tot. Nachdem ich einige Male hin und her blinzelte, versuchte ich mich leicht aufzusetzen und starrte dabei permanent auf die Wand vor mir. Warum? Warum Jean? Was wusste er vor seinem Tod, was wir nicht wussten? „Wo ist Erwin?“, fragte ich plötzlich mit zittriger Stimme und wunderte mich selbst über meine Frage. Ich hatte gar nicht an ihn gedacht. Erwin – ja, wo war er? Ich erinnerte mich nicht genau, was passiert war, nachdem wir…naja…sobald ich meine Augen schloss sah ich nur dieses Bild – aber ich spürte etwas. Wärme. Jemand trug mich an einen kalten, nassen Ort, aber schenkte mir seine Wärme. Wer hatte mich überhaupt ins Krankenhaus gebracht? Und was war mit den anderen passiert? „Erwin ist auf der Wache, er wird gerade verhört.“ – Wache? Also kam die Polizei dazu. Dachten sie etwa…? Nein, das war unmöglich. „Eren, wie geht es dir?“ – Mikasas Frage riss mich aus meinen verwirrten Gedanken. Wie es mir ging? Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht einmal wie spät es war. „Wie spät ist es?“ – offensichtlich war sie nicht davon begeistert, dass ich ihre Frage nicht erwiderte. Jedoch musste ich wissen, wie lange ich schon hier war. „Es ist 22:20 Uhr.“, antwortete Armin und nahm Mikasa somit die Möglichkeit meine Ignoranz zu kommentieren. Mein Blick wanderte zu dem kleinen Spalt am Fenster, den die Vorhänge nicht bedeckten. Wenn man die Augen schloss, konnte man den Regen hören. Aber ich wollte die Augen nicht schließen. Ich wollte es nicht mehr sehen. „Die anderen sind auch nach Hause gegangen, Eren.“ Die anderen waren auch zu Hause. Und was war mit Erwin? Wir konnten ihn doch nicht auf der Wache lassen. Er hatte doch nichts getan. Mit aller Kraft versuchte ich meine Beine zu bewegen, schaffte es allerdings nicht. Was war nur los? Ich war doch nicht verletzt, oder? Mikasa nur teilnahmslos anstarrend suchte meine linke Hand blind nach meinem Handy in der Hosentasche, fand es allerdings nicht, da ich andere Kleidung trug als zuvor. „Wo ist mein Handy?“ Armin gab es mir ohne zu zögern und stellte keine Fragen. Ich liebte es, wenn sie mich einfach das tun ließen, was ich für richtig hielt. Sie waren wahre Freunde. Ich schaute auf mein Handy. Keine SMS. Aus einem unverständlichen Grund ließ ich enttäuscht für einen Augenblick die Lider fallen. Da war er wieder. Jean. Angsterfüllt riss ich sie wieder auf, sammelte mich und versuchte den Schock herunter zu schlucken. Das Bild, welches ich eigentlich durch diese seltsame Mail kannte, hatte sich noch viel tiefer in mein Gehirn gebrannt. Jeder einzelne Blutstropfen hätte von mir aufgemalt werden können. Jeder einzelne. „Eren, der Hauptkommissar möchte gern mit dir reden. Er wollte gegen 22:30 Uhr wiederkommen.“ Hauptkommissar? Konnte der nicht bis morgen warten? Ich wollte nicht mit ihm reden. Eigentlich wollte ich gerade mit niemanden reden. Ein Klopfen an der Tür. Nein, bitte geh wieder. „Herein!“, brachte Mikasa hervor und erntete damit einen ermahnenden Blick von mir. Ich wollte ihn nicht sehen. „Guten Abend, junger Mann. Mein Name ist Farlan Church, ich leite momentan die Ermittlungen im Fall Jean Kirstein.“ Meine Augen musterten den blonden Polizisten, meine Lippen bebten, brachten aber keinen Ton hervor. „Du bist Eren Yeager, richtig?“ – er nahm neben meinem Bett auf einem Stuhl Platz. Wer hatte ihm das „du“ angeboten? Ich fand diesen Kerl ziemlich unverschämt, nickte aber dennoch bestätigend. „Es tut mir Leid, was passiert ist. So etwas hat niemand verdient. Aber deswegen möchte ich auch so schnell wie möglich herausfinden, wer das getan hat – hilfst du mir dabei?“ Ich nickte erneut, diesmal aber eher abwimmelnd als bestätigend. Dieser Mann war seltsam. „Ich danke dir. Also. Erst einmal die Frage: Warum bist du mit Herrn Smith dorthin gegangen?“ Mein Atem stockte. Die SMS. Zu spät. Jean. Plötzlich schlugen alle Erinnerungen auf mich ein, erdrückten mich, verschlugen mir Luft und Sprache. Ich schnappte nach Luft und fühlte Tränen meine Wangen herunterfließen. Verdammt. So würde ich niemanden helfen können. Der junge Polizist stand auf, legte seine Hand auf meine Schulter und bückte sich ein wenig, um mir direkt in die Augen zu schauen. „Hey Kleiner, alles okay. Lass dir Zeit für die Antwort. Ich weiß, es ist schwer. Aber glaub mir, das alles hier hat einen Sinn. Am Ende sind das die Momente auf die wir zurückblicken und sagen: Zum Glück haben wir dort gehandelt!“ Dieser Mann strahlte soviel Entschlossenheit aus, dass man sich bei seinen Worten sofort sicher und gut aufgehoben fühlte. Ich war mir nicht sicher, ob er an das was er sagte selbst glaubte, aber ich glaubte ihm. Gerade als ich ausholen wollte, um ihm auf seine Frage zu antworten, öffnete sich unerwartet die Tür des Zimmers. „Eren. Ich brauche deinen Schlüssel. Schnell!“ – es war Levi, der mit schnellen Schritten auf mich zuging mir somit einen gigantischen Schrecken einjagte. Kommissar Church ließ sich das jedoch nicht gefallen. „Junger Mann, ich befrage den Herren gerade! Wer sind Sie bitte?!“ – er drehte sich zu Levi und baute sich vor ihm auf. „Vielleicht der Retter der Menschheit, wenn Sie mich mal durchlassen würden, Officer!“ – Levi sprach diesen Satz in einer ironisch-abwertenden Tonlage, sodass die Provokation für den Polizisten kaum zu überhören war. „Ich denke – so wie Sie riechen - sollten Sie erst einmal sich selbst vor dem Alkohol retten, bevor Sie die Menschheit retten.“ „Möchten Sie sich vielleicht um das Monster dort draußen kümmern, Officer?“ – der Kommissar schwieg, legte den Kopf etwas schräg und schaute Levi nur verwirrt an. Was meinte er mit Monster? Sich nicht von Herrn Church beirren lassend, packte er meinen Schlüssel, den ich immer noch um meinen Hals trug und riss ihn mir vom Hals. Eigentlich schmerzte es nicht so stark, doch als der Schlüssel von mir getrennt wurde, hatte ich das Gefühl, er würde einen Teil meiner Seele aus meinem Körper reißen. Noch bevor einer der Anwesenden etwas gegen ihn unternehmen konnte, verschwand der kleine Dieb auch schon aus dem Raum und wahrscheinlich wenige Momente später aus dem Krankenhaus. Immer noch etwas verstört, wuchs mehr und mehr die Wut in mir. Wer dachten diese Leute eigentlich wer sie waren? Mord, Diebstahl, Beleidigung, Drohung – wo lebten wir denn? Ich wollte meinen Schlüssel zurück – schließlich brauchten wir ihn noch. Die Ermittlungen unserer geheimen Truppe – Aufklärungstrupp wie Hanji sie genannt hatte – waren noch nicht abgeschlossen. Gerade jetzt, wo einer von uns Opfer wurde, mussten wir doch erst recht zusammenhalten und handeln. Einer von uns. Jean. Ich konnte Jean noch nie wirklich leiden. Er hat ununterbrochen Mikasa angemacht, obwohl sie ihm deutlich erklärt hatte, dass sie nichts von ihm will. Seine Arroganz war beinahe ein eigenständiges Wesen und er zog es vor bequem zu leben. Dennoch. Das – das hatte er verdammt nochmal nicht verdient! Egal wie sehr ich es versuchte, ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und auch Armin, der sowieso viel näher am Wasser gebaut war als ich, konnte sich nicht länger zusammenreißen. Mikasa wollte stark sein für uns, aber auch ihr stand die Trauer ins Gesicht geschrieben. Kommissar Church trat nach Levis plötzlichen Abgang näher an uns heran und legte seine Hand erneut auf meine Schulter. „Es tut mir Leid, der Kerl hat mich überrascht. Du scheinst ihn zu kennen – ich hol dir deinen Schlü-“ – seine Beschwichtigungsrede wurde auf einmal von dem Klingeln seines Diensthandys unterbrochen. „Church.“ „Was?!“ „Ja, ich komme sofort hin. Schickt das Sondereinsatzkommando nach!“ Er richtete seine Augen wieder auf uns drei. „Tut mir Leid, ihr drei. Dort draußen geschieht anscheinend etwas Unglaubliches und ich muss los, um das Schlimmste zu verhindern. Am besten bleibt ihr hier und ruht euch aus.“ – mit diesen Worten verschwand er. Wehmütig hielt ich meine Hand an meinen Kopf. Es war alles zu viel. Das Bild, das Treffen, Jean, Erwin, der Kommissar, Levi und nun das, was dort draußen war. Aber was meinte Levi mit Monster? Und warum kam er plötzlich hierher? Wo war Mike eigentlich? Und diese verrückte Hanji? Ich hatte den kompletten Überblick über die Ereignisse verloren. Daten, Fakten, Zeiten – alles vermischte sich miteinander. Außerdem fragte ich mich immer wieder, ob wir es hätten verhindern können. Hatten wir etwas falsch gemacht? Hatten wir etwas vergessen zu berücksichtigen? Oder war Jean selbst Schuld? Doch warum Jean? Ich wünschte mir in diesem Moment, ich würde aufwachen, wie an dem Tag, an dem mein Horror begann. Dass dies alles ein Alptraum war und ich einfach kurz vor den Ereignissen aufwachen würde. Sofort würde ich losstürmen, die Geschehnisse verhindern oder zumindest verändern…doch das hier…war kein Traum. Überraschend hörten wir etwas sehr Schweres auf den Boden fallen. Es kam von draußen und es klang als wären es Steine oder so gewesen. Ebenfalls konnten wir ein Beben der Erde spüren. Neugierig öffnete Armin den Vorhang, sodass wir hinaus sehen konnten. Das, was wir sahen, war nicht zu glauben. Wahnsinn und Realität waren noch nie undeutlicher zu trennen. Ich wollte aufwachen. Doch das hier…war kein Traum… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)