Schmerzliche Wahrheit von Lilithen ================================================================================ Kapitel 2: Einsturz ------------------- Das deckende Rot der Abenddämmerung wirkte absurd, in dem von schweren Dunstschwaden durchzogenen Bad, aber das interessierte ihn nicht. Starr fixierte er das unangetastete Bündel mit seiner Kleidung, welches auf der niedrigen Kommode unter dem Fenster lag. Nicht eine Sekunde nahm der Schwarzhaarige seinen Blick davon, während er mit dem Rücken an der gefliesten Wand hinunter glitt. Im selben Atemzug schlang er den weichen Bademantel enger um seinen Körper. Mindestens eine Stunde hatte er unter der heißen Dusche gestanden, ehe er schlussendlich doch einsah, dass es sinnlos war. Es hatte nichts gebracht. Weder die Wärme, noch das Wasser hatten ihm geholfen. Langsam zog der Schüler seine zitternden Knie näher, winkelte diese an und bettete seine Stirn darauf. Angestrengt lauschte er den polternden Schritten im Flur. Sie waren hektisch, als sie zwischen seinem und dem angrenzenden Gästezimmer hin und her pendelten. Einmal, zweimal, dreimal. Solange bis etwas unsanft auf den Boden aufschlug und in Begleitung eines lauten Fluches zersprang. Es war immer der selbe Ablauf. Sasuke wusste, dass es sich bei dem zerbrochenen Gegenstand, um den Bilderrahmen handelte. Es war immer der Bilderrahmen. Er wusste, dass sein Vater ihn liegen lassen würde. Ebenso wie er wusste, dass er gleich allein war. Es war immer das selbe Muster. Es gab keinen Abschiedsgruß, als der Ältere die Treppe nach unten stieg und die Haustür mit einem lauten Ton ins Schloss zog. Warum auch? Er würde selbst niemanden wie sich 'Auf Wiedersehen' sagen. Unbeholfen rappelte der Uchiha sich auf, stütze sich kurz an der feuchten Wand ab und befühlte seinen Hals. Es tat weh, als die kühlen Fingerkuppen auf seine Haut trafen, aber das war in Ordnung. Er würde einfach einen Schal tragen, immerhin war es schon bald Winter. Sasuke könnte alles auf die niedrigen Temperaturen schieben. Es wäre plausibel. Plausibel war immer gut. Wenn er Glück hatte, konnte er mit dem Stück Stoff auch seinen pochenden Kiefer verstecken, dann müsste er nur noch erklären, warum seine Lippe aufgesprungen war. Tief atmete er ein, wünschte sich im selben Moment, dass er es seiner Rippe zuliebe gelassen hätte und entriegelte die Tür. Ein kurzes Frösteln stieg in ihm auf, als sein Fuß das kalte Holz im Flur berührte. Angespannt horchte der Schwarzhaarige, ob er auch wirklich allein war. Es war schwachsinnig, dass wusste der Schüler selbst, aber ein Teil von ihm schürte die Befürchtung, dass sein Vater noch immer hier war. In diesem Haus. Versteckt in irgendeinen Winkel und darauf wartend, dass er endlich aus dem Bad kam. Paranoid, wie man es wohl in Fachkreisen sagen würde. Aber es ließ sich nicht abstellen, ganz egal wie verbissen Sasuke es versuchte. Dabei war die Angst unbegründet, denn das Einzige, was die dunkle Stille durchbrach, war sein eigener hektischer Atem. Sanft strich der Saum des Bademantels ihm über die Waden, als er den Griff von der Klinke löste und in das nahe gelegene Gästezimmer tapste. Die Tür war angelehnt und obwohl dieser Spalt nur wenige Millimeter des Inneren offenlegte, konnte er die Glasscherben am Boden erkennen. Kurz stieß der Uchiha gegen das weiß lackierte Holz und trat ein, das vorherrschende Chaos dabei vollkommen ignorierend. Alles was zählte war das Stück Papier am Boden. Nur noch dürftig wurde es von dem schmalen Rahmen umfasst. Mit einem Seufzen hob er es auf. Fein säuberlich wurde die Fotografie auf den kleinen Nachtschrank gelegt, bevor der Schwarzhaarige sich daran machte die Scherben aufzuheben. Es dauerte einen Moment, bis er die gröbsten Stücke aufgelesen hatte und sich wieder aus der Hocke erhob. Ein letztes Mal glitt sein Blick zu den lächelnden Gesichtern hinter dem zersprungenen Glas. Sie wirkten verhöhnend. Die glücklichen Mienen brannten sich schmerzhaft in seine Netzhaut. Er vermisste es. Er vermisste alles. Aber ändern konnte er es nicht. Die anfängliche Kälte im Flur wirkte nun beinahe schon warm, als Sasuke zurück ins Bad ging, um die Splitter in dem kleinen Mülleimer unter dem Waschbecken zu entsorgen. Die Zeit ohne den Älteren war angenehm. Auch wenn er selbst nicht mehr wusste, wie es war entspannt zu sein, schmerzten seine Muskeln nicht vor Verkrampfung. Das war gut, denn Sasuke hatte heute noch etwas zu erledigen. Demonstrativ mied er den Spiegel, während er sich den weichen Stoff von den Schultern strich und nach dem Stapel seiner Kleidung griff. Ein unangenehmes Ziehen durchfuhr seinen Körper, als er sich mit hastigen Bewegungen die Hose überstreifte. Obwohl er es gewohnt war, traf es ihn jedes mal aufs Neue. Es war ein Mythos, dass der Mensch sich an etwas gewöhnte, wenn es nur lange genug sein Leben begleitete. Vor fünf Jahren hatte sein Vater zum ersten Mal ihm die Schuld an allem zu geben. Vor vier Jahren hatte der Polizist angefangen die Hand gegen ihn zu erheben, weil auch Itachi sie verlassen hatte. Und vor genau zwei Jahr war sein Vater zum ersten Mal nachts zu ihm gekommen. Lange genug also. Trotzdem tat jede Schuldzuweisung, jeder Schlag, jede Liebkosung noch immer genauso weh wie beim ersten Mal. Nichts wurde besser. Es war alles nur eine beschissene Lüge. Mit einem leisen Klicken rastete die Badezimmertür ein, als der Schwarzhaarige sich von außen mit dem Rücken dagegen lehnte. Starr sah er in sein gegenüberliegendes Zimmer. Die Tür war weit geöffnete und die kleine Lampe auf seinem Nachtisch erhellte den Raum mit schwachem Licht. Er wollte da nicht rein. Nicht zurück in sein Zimmer. Nicht noch einmal in die Nähe des Bettes, das noch immer vollkommen zerwühlt war. Es war dunkel und verdammt spät, niemand würde auf den Straßen sein und die die es waren, hatten genug eigenen Probleme. Sasuke brauchte also keinen Schal. Es würde niemand interessieren was mit ihm war. Keiner würde Fragen stellen. Er musste nicht zurück, nicht heute. ~ Erst als er das Brennen in seinen Lungen und die kalte Luft an seinen Wangen spürte, wurde Sasuke bewusst, dass er draußen war. Sein unregelmäßiger Atem war das einzige Geräusch auf dem sonst menschenleeren Platz. Niemand verirrte sich um diese Uhrzeit hier her. Das Licht der Laternen wirkte kalt, abstoßend und doch konnte sich Sasuke im Moment keinen Ort vorstellen, an dem er lieber wäre. Der grobe Kies knirschte leise unter seinen Turnschuhen, als er den breiten Pfad entlang ging. Seinen Blick war starr geradeaus gerichtet. Der Schwarzhaarige kannte den Weg. Selbst ohne Licht würde er sich nicht verlaufen. Dafür war er schon zu oft hier gewesen. Nebensächlich zog der Uchiha den Reißverschluss seiner dünner Jacken weiter auf. Noch immer ging sein Atem stoßweise, schickte unregelmäßig kleine Nebelwolken ins Freie. Es war eine schöne Nacht. Kalt, aber ungewöhnlich klar. Sasukes Schritte wurden langsamer, schleichend, bis sie schlussendlich vollkommen zum Stillstand kamen. Er war da, endlich. Gekonnt ignoriere er wie sich die kleinen Steine durch den Stoff seiner Jeans drückten, als er sich hinkniete. „Es tut mir leid, ich war schon viel zu lange nicht mehr hier.“ Ohne, dass er es wirklich bemerkte, schlich sich ein sanftes Lächeln auf sein Gesicht, während er mit seiner Stirn den kalten Marmor berührte. „Ich hoffe du hast dir keine Sorgen gemacht.“ Nur ein Flüstern, kaum verständlich, aber das war in Ordnung. „Das musst du nämlich nicht.“ Nur schwer bekam der Schwarzhaarige Luft. „Mir geht’s gut.“ Schwer schluckte er in dem Versuch den Kloß in seinem Hals zu vertreiben. „Papa-“, geräuschvoll sog er die kühle Luft ein, „Er-, es ist-“, kurz suchte der junge Mann nach den richtigen Worten. „Er meint es nicht so. Du darfst nicht schlecht von ihm denken, bitte.“ Unsanft brach die Stimme des Grauäugigen in der letzten Silbe. Es tat weh, die nagende Befürchtung, dass sie wusste was mit ihm passierte. Wer ihm das antat und das sie deshalb schlecht von seinem Vater dachte. Das war viel schlimmer als die Realität. „Es ist okay. Er meint es nicht so. Ganz bestimmt.“ Schmerzhaft biss er die Zähne aufeinander. „Ganz bestimmt.“ Immer enger zog sich seine Luftröhre zusammen. „Ganz bestimmt.“ Immer schmerzlicher wurde das Brennen in seinen Augen. „Es ist meine Schuld.“ Noch einmal holte er zitternd Luft. „Das weiß ich, wirklich. Ich weiß auch, dass du nicht wieder kommst, dass ist okay, wirklich.“ Ruckartig löste der Schwarzhaarige die Stirn von dem schweren Stein und fixierte die aufwändige Gravur. „Aber-, auch wenn ich es verdient habe-“, kurz hielt er inne, seine Stimme in einer so leisen Frequenz gesenkt, dass man die Worte kaum mehr verstand, „Nur einen Tag.“ Noch einmal spielten seine Gedanken den Streit mit Naruto ab. Zeigten ihm was für ein schrecklicher Freund er selbst war. „Ich möchte nur einen Tag, an dem nichts passiert.“ Mühsam wurde versucht das aufsteigende Brennen in den Augen zurück zu drängen. „Nur ein paar Stunden in denen wir nicht streiten.“ Resigniert rieb er mit seinen Handflächen über das Gesicht. „Das ist lächerlich, nicht wahr?“ „Nein.“ Heftig zuckten der Uchiha zusammen. Er hatte nicht aufgepasst, nicht auf seine Umgebung geachtet und nun bekam er die Quittung dafür. „Tut mir leid.“ Der Kies knirschte unangenehm, als der Blonde näher kam. „Was willst du?“ Ruppig stellte der Schwarzhaarige die Frage. „Das wir nicht streiten.“ Freudlos verzogen sich seine Lippen zu einem angedeutete Lächeln, dass war doch schwachsinnig. Naruto hatte ihn belauscht, war in seine Privatsphäre eingedrungen und verwendete sie nun gegen ihn. Trotzdem konnte er dem Chaoten nicht böse sein, im Gegenteil. Ein kleiner Teil von ihm sah das als Bestätigung dafür, dass es eine Person gab, der er nicht egal war. Er sollte das nicht, der Schwarzhaarige sollte lieber gehen, anstatt eine so banale Situation an sich heran zu lassen. Aber er konnte nicht einfach nicht. Sasuke schaffte es nicht aufzustehen und das Grab seiner Mutter zuverlassen. „Du solltest nicht hier sein, Jiraiya wird sich bestimmt sorgen machen.“ „Deswegen bin ich ja hier.“ Wieder knirschte das Gestein, als Naruto die Distanz zwischen ihnen noch weiter verkürzte. „Er hat deinen Dad in der Kneipe getroffen. Der hat sich fast mit den Barkeeper geprügelt, bevor er rausgeflogen ist.“ Es war deutlich zu spüren, dass der Blondschopf ihn berühren wollte. Der Uchiha musste nicht den Blick heben um das zu erkennen. Der Tonfall des Uzumaki und die vorherrschende Spannung reichten als Bestätigung. „So sollten Familienausflüge nicht aussehen, Sasuke.“ „Er wurde rausgeschmissen?“ Langsam fingen die blassen Hände an zu zittern. „Ja.“ „Ich muss nach Hause.“ Mit einer fließenden Bewegung erhob sich der Jüngere und schlug sich kurz den Staub von den Knien. „Nein“, widersprach Naruto ihm fest und entlockte Sasuke damit nur ein verachtendes Auflachen. „Ich meine das ernst“, fest umfasste der Blondschopf sein Handgelenk, betonte jedes einzelne Wort mit ungeahnt viel Nachdruck, „Du gehst nicht nach Hause.“ „Lass' mich los.“ „Nein.“ „Naruto!“ „Nein!“ „Ich meine das ernst!“ Mit einem festen Zug versuchte er sich aus dem Griff zu befreien, aber es nützte nichts, die Finger schlossen sich nur fester um ihn. „Frag mich mal!“ „Du hast keine Ahnung und jetzt lass mich los!“ Das anfängliche Ziehen wurde nun durch ein Reißen abgelöst, aber es änderte nichts an der Situation. Noch immer umklammerte der Uzumaki ihn, ließ ihn nicht los, sondern zerrte nun seinerseits. Unbewusst bewegten sich die Beiden immer weiter nach hinten. Zurück auf den breiten Weg, der schon unzählige Besucher zu den Gräbern ihrer Verstorbenen geführt hatte. „Lass mich los, du gottverdammter Idiot!“ Sasuke schrie, das erste Mal seit einer Ewigkeit gelang es ihm nicht in der Rolle des Uchiha zu bleiben. Dieser Umstand war jedoch sein geringstes Problem. Eine Nichtigkeit im Vergleich zu dem was ihn erwartete, wenn er nicht vor seinem Vater Zuhause war. „Heilige Scheiße.“ Für einen kurzen Moment war Sasuke verwirrt, verstand nicht warum die blauen Augen ihn weit aufgerissen anstarrten. Und dann realisierte er es. Sie hatten sich gegenseitig zum Hauptpfad gezogen, direkt in das grelle Licht der Laternen. „Das ist-“ „Halt die Klappe.“ Die Stimme seines Gegenüber war gepresst. „Ich bin nur-“ „Halt die Klappe!“, jedes einzelne Wort wurde fein säuberlich betont. „Naruto-“, versuchte er es erneut. „Was? Gegen einen Bus gelaufen?“ Schwerfällig senkte der Uchiha seinen Kopf, als er den deutlichen Vorwurf in der Stimme des Anderen hörte. Er selbst blieb Still. „Sasuke?“ Kein Wort. „Warum willst du nach Hause?“ Nicht eine einzige Silbe, nur der stille Versuch sich selbst zu beruhigen. Es tat weh, alles in ihm war zum zerreißen gespannt. Er wollte nur weg, sich nicht länger in dieser Situation befinden, nicht länger das Gefühl haben es nicht wert zu sein den Namen Uchiha zu tragen. Denn dann würde auch die letzte Person seiner Familie verschwinden. „Erkläre es mir.“ Fest biss der Schwarzhaarige auf seine Unterlippe und zuckte nicht einmal, als die weiche Kruste riss und sich ein metallischer Geschmack verbreitete. Er wollt antworten, aber sein System versagte. Jede sichtbare Blessur erzählte ihre eigenen Geschichte und legte offen, was der Schwarzhaarige seit Jahren versteckt hatte. „Er tut dir weh.“ Nichts hielt mehr. Die Logik die vorher für ihn gearbeitet hatte schlug ihm nun ein Schnippchen, fiel über ihn her und zerriss den Rest von ihn in kleine Stücke. Es brach zusammen, durch nur eine einzige Komponente. Alles an das Sasuke sich bis jetzt geklammert hatte. „Es war meine Schuld.“ Konsequent mied er den Blick in das regungslose Gesicht seines Freundes. „Ich bin zu schnell über den Flur gelaufen, er kam aus der Küche. Ich bin vor die Tür gelaufen“, versuchte er das zu retten, was zu retten war. Fassungslos lachte der Uzumaki auf. „Du hast Würgemale am Hals, Sasuke.“ Es reicht ein einziger Faktor, der sich nicht nahtlos einfügt. „Dein Vater schlägt dich.“ Und die Lügen brechen Zusammen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)