Von unserer Scherbenwelt von Phoenix_Michie (Fortsetzung zu 'Von Dir und Mir') ================================================================================ Prolog: Ein Jahr später: Von einem traurigen Abend mit Giftzwergen und dem Küchenmesser in meinem Kopf... --------------------------------------------------------------------------------------------------------- "William Golding, Graham Swift...", murmelte ich und notierte mir die Namen der Autoren. Ich saß zu Hause in meinem Wohnzimmer und brütete über einer Liste für neue englische Buchtitel, die man in den Verlag aufnehmen sollte. Für neue Titel hatte ich ein gutes Händchen, hatte es geheißen, und so hatte ich die Aufgabe bekommen, eine Liste für 10 Bücher zu erstellen, die ich und meine Kollegen aufnehmen und übersetzen sollten. Ohne zu murren, sogar mit Begeisterung, hatte ich die Sonderaufgabe übernommen, da ich dadurch einen wesentlichen Einfluss auf das Spektrum des Verlags hatte. Sowieso liebte ich es, mir Neues anzuschauen. Zwar wurden einige der Bücher bereits in den 80ern oder 90ern geschrieben, der Verlag kümmerte sich nicht nur um Neuerscheinungen, aber sie waren nicht weniger interessant. Gerade hatte ich die Liste auf 20 Titel reduziert und musste nun genau abwägen, welche 10 davon ich dem Chef vorlegte. Eine Fehleinschätzung wäre äußerst peinlich. Nun kam ich aber nicht weiter. Ich stand nicht unter Zeitdruck, zumindest hatte ich noch etwas Zeit, daher war es wohl besser, das Ganze für einen Tag liegen zu lassen. Seufzend ließ ich den Kopf auf die Tischplatte sinken und schloss für einen Moment die Augen. Ich würde mir einen Moment gönnen, dann sollte ich wohl anfangen zu kochen. Karyu dürfte in einer halben Stunde, spätestens in einer, bei mir klingeln. Ab und an, wenn Karyus Schichtplan es erlaubte, aßen wir gemeinsam zu Abend. Jäh begann mein Handy zu klingeln, weswegen ich aufschreckte und danach tastete. Es lag unter einem Stück Papier versteckt. Mit einem kurzen Blick stellte ich fest, dass es Karyu war. Freudig nahm ich ab. Er war wahrscheinlich schon unterwegs. "Ja? Karyu?" "Guten Tag, Shimizu-san. Hier ist Dr. Miyoshi. Ich soll Ihnen von Dr. Matsumura ausrichten, dass er gerade noch einen Notfall reinbekommen hat. Ein Aneurysma, die OP dauert etwa 4 Stunden. Es tut ihm leid, aber Sie sollen nicht auf ihn warten. Er meldet sich morgen bei Ihnen.", flötete mir eine weibliche Stimme mit leichtem Bedauern entgegen. Ich ließ die Schultern hängen. Das war doch nicht Karyus Ernst? "Hm...in Ordnung, danke für die Information. Auf Wiederhören", murmelte ich knapp und legte auf. Jetzt schickte Karyu schon seine Assistenzärzte vor, anstatt selbst anzurufen? Und überhaupt, schon wieder hatte er keine Zeit. Ständig diese Notfälle! So hatte ich mir das Leben mit Karyu nicht vorgestellt... Enttäuscht behielt ich das Handy in der Hand und wählte die Nummer eines Arbeitskollegen. Es dauerte eine Weile, bis er abnahm, aber es war überhaupt ein Wunder, ihn noch erreichen zu können. "Zero? Was gibt's denn?", erklang die überraschte Stimme des Anderen. Ich rief ihn nicht sonderlich oft an. "Hey, seid ihr noch unterwegs?" "Ja, sitzen noch in der Bar unseres Vertrauens. Kommst du vorbei?" "Das würde ich gern...", murmelte ich zögerlich. "Ok, wir sind bestimmt noch eine Weile hier. Komm ruhig. Ich freue mich." Ich lächelte leicht. "Bis gleich." Dann konnte ich mir jetzt ja etwas anderes vornehmen, wo Karyu mich versetzt hatte, und das nicht zum ersten Mal... Ich stand auf und steckte das Handy in die Hosentasche. Was die abendlichen Bar-Besuche angingen, so war ich etwas aus mir heraus gekommen: ich folgte Hiro und einigen anderen Kollegen oft dorthin, sofern ich kein Date mit Karyu erwarten konnte, weil er im Krankenhaus war. Allerdings waren Karyus Arbeitszeiten abgesprochen, und daher geschah der jetzige Bar-Besuch eher aus Frust. Ich füllte das Trockenfutter der Katze und wechselte das Trinkwasser aus, dann machte ich mich auf den Weg. Es sollte sich ja ein bisschen lohnen, daher wollte ich nicht trödeln. Die Bar lag in der Nähe des Verlags, ich wohnte aber einige U-Bahn-Stationen von dem Stadtteil entfernt. Eine Stunde war ich erst zu Hause, solange saßen die Anderen wohl schon an der Theke. Erfahrungsgemäß zog sich das Trinkgelage mindestens 2 1/2 Stunden hin. Das Wetter war bescheiden. Seit einigen Tagen schon war es ständig wolkig und nicht selten regnete es. Das senkte nicht nur meine Laune, sondern auch meine Motivation. Ich mochte meinen Job, aber an manchen Morgen war es schwierig, überhaupt das Bett zu verlassen. Neben Karyu war ich auch schon lange nicht mehr aufgewacht, da sein Dienstplan momentan vorsah, dass er immer um 5 Uhr beginnen musste. Was nicht logischerweise zur Folge hatte, dass er früher zu Hause war. Ab und an kam es, so wie heute, vor, dass er um die 16 Stunden bis spätabends im Krankenhaus war. Das wiederum bedeutete, dass ich ihn manchmal tagelang nicht zu Gesicht bekam. Da hätte ich eigentlich auch gleich in Tokyo bleiben und eine Fernbeziehung führen können. Die war vermutlich genauso ereignislos. Als ich 15 Minuten später die Bar betrat, sah ich mich vorsichtig um. Ich befürchtete, wie so oft, die Anderen nicht zu entdecken, aber glücklicherweise hatten sie es sich direkt an der Theke bequem gemacht. Nebeneinander, brav wie die Hühner im Stall, saßen sie aufgereiht auf den abgenutzten Barhockern. Ich ging auf meine Kollegen zu und ließ mich auf den freien Hocker neben Hiro fallen - er schien mir diesen extra frei gehalten, oder frei gemacht, zu haben. "Hallo, Leute...", murmelte ich in die Runde und hätte am liebsten den Kopf hängen gelassen. Ich hatte mir meinen Abend anders vorgestellt. Schöner. "Hey Zero", ertönte es im Chor und bevor ich mich darauf konzentrieren konnte, worüber sie sich unterhielten, tauchte der Barkeeper direkt vor meiner Nase auf und beugte sich zu mir über die Theke. "Na du armes Würstchen. Warum siehst du so geknickt aus?" Hizumi war freundlich und taktvoll wie eh und je. Dieser Giftzwerg. Ich murrte. "Ich hatte nicht vor, hier in dieser verqualmten Spelunke meinen Abend zu fristen", antwortete ich ihm ehrlich und sah ihn dabei finster an. Er grinste nur. "Qualm doch einfach mit, dann fällt es dir nicht auf. Was ist passiert, hat dich dein Lover versetzt?" Direkt ins Schwarze. Böse erwiderte ich seinen Blick. Ich hätte ihm am liebsten das Glas aus der Hand geschlagen, dass er gerade abtrocknete. "Hat er nicht", log ich, um das Gesicht zu wahren. "Wer hat Sie sitzen lassen?" Ich erstarrte für einen Moment und wurde rot dabei. Mein Chef...! Der hatte sich soeben neben mich gesetzt. Panisch sah ich Hiro an, der links von mir saß und formte lautlos das Wort "Warum?". Er grinste nur und hob eine Schulter. "Ablenkung", erwiderte er ebenso lautlos und gluckste, während er sich schon wieder den Anderen zuwandte. Ich schluckte. Mein Chef war...merkwürdig. Er war vielleicht höchstens 10 Jahre älter als ich, auf jeden Fall wirkte er recht jung. Im Grunde war er umgänglich, konnte aber streng sein, wenn Fehler passierten. Absolut nachvollziehbar. Mir gegenüber verhielt er sich aber etwas anders. Ich konnte es nicht erklären, nicht beschreiben, aber da war etwas, wenn er mit mir sprach und mich ansah... Ich fühlte mich nicht besonders wohl in seiner Nähe. Auf Arbeit ging das noch, aber jetzt, privat? Da wollte ich ihn nicht sehen. Ich räusperte mich. "Niemand hat mich sitzen lassen... Mein Freund arbeitet nur länger im Krankenhaus." Er lächelte leicht. "Ah, der Arzt?" Ich nickte nur und sah zu Hizumi, der umher wuselte. "Hey, Frechdachs, darf ich dann auch mal was bestellen?" Tatsächlich wandte er sich mir zu, hatte aber schon ein verdächtig zuckersüßes Lächeln auf den Lippen. "Ja, gleich. Unterhalte dich so lange doch mit deinem Traumprinzen", erwiderte er und deutete mit einem Kopfnicken auf meinen Chef. Ich wurde puterrot und starrte den Barkeeper an. "Das ist der Grund, warum dich keiner leiden kann!", murrte ich, doch er schüttelte amüsiert den Kopf. "Nein, das ist der Grund, warum mich alle lieben", widersprach er und ging zur anderen Ecke der Theke, um jemanden zu bedienen, der sogar nach mir gekommen war. Das war doch die Höhe, warum ließ ich mir das jedes Mal bieten?! Ich hörte Tsukasa neben mir lachen. Gegen den würde ich auch gerne mal was sagen, aber er hatte ja leider die Macht, mich rauszuschmeißen. Dabei mochte ich meinen Job. Nur er, mein Vorgesetzter, war mir suspekt. "Ihr seid mir zwei. Läuft da was? Denn was sich neckt, das liebt sich.", meinte er neunmalklug, weswegen ich innerlich die Augen verdrehte. Hizumi ging auch noch darauf ein, der das mit halbem Ohr offenbar mitbekam. Er warf uns ein Grinsen zu. "Na ja, wenn sein toller Arzt ihn vernachlässigt, sucht er sich eben eine sensible Schulter zum Ausweinen. Ein Mann wie er hat eben auch Bedürfnisse." Das Rot meines Gesichtes stieg auf der Skala zu tomatenrot. "Ich bin anwesend! Bitte keine Spinnereien, während ich daneben sitze", wies ich den frechen Barkeeper und meinen Chef zurecht. Total schweigen konnte ich zu dem Ganzen nicht. Die beiden lächelte nur amüsiert. Dass Tsukasa dem Frechdachs mit einer leichten Handbewegung andeutete, uns allein zu lassen, entging mir nicht. Meine Augen wurden schmal, aber ich sagte nichts. In der Gegenwart meines Chefs musste ich mich zusammen reißen. Das würde dann wohl doch kein langer Abend hier werden. Zumindest nicht, wenn Tsukasa die nächsten Stunden noch in der Bar direkt neben mir sitzen wollte. "Tut mir leid", meldete Tsukasa sich unvermittelt zu Wort. Das komische Grinsen war von seinen Lippen gewichen. "Eigentlich mache ich nicht solche Scherze. Aber bei Hizumi..." Er unterbrach sich und wedelte mit der Hand umher. "Bei Hizumi kann man einfach nicht anders", half ich ihm, woraufhin er mich überrascht ansah und nickte. "Ja, er treibt einen in die Ecke. Da kann man nur sarkastisch drauf reagieren", stimmte er mir zu. Kurz betrachtete er mich. "Hey, ziehen sich da Ihre Mundwinkel nach oben?" Ich hob eine Augenbraue. Tatsächlich war ich kurz davor gewesen, zu schmunzeln. "Sie lächeln so selten. Ich glaube, ich habe Sie noch nie wirklich lächeln sehen." Er schaute mich weiterhin an. "Da ist immer diese hochkonzentrierte Blick, die Augenbrauen zusammen gezogen. Ich habe immer den Eindruck, Ihnen gefällt der Job nicht." Nun wurden meine Augen groß. Versuchte der Kerl gerade wirklich, mich hier während meiner Freizeit wegen des Jobs anzumachen? War er so unzufrieden mit meiner Arbeit? "Nein, ich mag meinen Job!", erwiderte ich, aber Tsukasa hob schon eine Hand. "Nein, so habe ich das auch nicht gemeint. Es ist alles in Ordnung, ich hatte einfach nur durch Ihre finsteren Blicke das Gefühl, dass es ihnen keinen Spaß macht. Aber die Ergebnisse, die Sie liefern, zeugen sogar von Leidenschaft. Sie könnten durchaus mal lächeln." Er sah mich aufmunternd an, doch ich seufzte nur leise. "Ja, aber danach ist mir nicht zumute", erwiderte ich wahrheitsgemäß. Oh man, versuchte er gerade tatsächlich mit mir ein ernsthaftes Gespräch zu führen? Darüber, warum ich nicht lächelte? Und ich ließ mich darauf auch noch ein?! Karyu und sein Krankenhaus zogen mich definitiv runter. "Mh... Ich gebe Ihnen ein Drink aus", beschloss Tsukasa und winkte Hizumi zu sich, der die Bestellung auch noch sofort aufnahm. Hatten die beiden sich gegen mich verschworen? Schweigend saß ich neben ihm und nahm den Drink an. Auf die Fragen meines Chefs antwortete ich nur einsilbig, damit er mich endlich in Ruhe ließ. Er hatte mich nicht über meinen Freund oder meine Gefühle und Lächel-Gewohnheiten auszufragen. Er ging mir auf die Nerven. Allerdings ließ er sich überhaupt nicht davon abschrecken, dass ich mit ihm nicht wirklich redete und stattdessen lieber in mein Glas starrte oder Hiro und den Anderen zuhörte. Er blieb neben mir sitzen und mischte sich in das Gespräch meiner Kollegen ein. Ab und an fragte er mich irgendwas Belangloses, was mit der Unterhaltung zu tun hatte. Nach einer geschlagenen Stunde gab ich es auf. Die 5 Drinks, die ich in der Zeit gekippt hatte, hatten nicht dazu beigetragen, dass ich das ganze Gequatsche irgendwie ertrug. Seufzend kletterte ich vom Hocker und musste mich erstmal an der Theke festhalten. Das war wohl ein Glas zu viel gewesen. Tsukasa hatte mich am Arm gepackt, um mich zu stützen und lächelte mich schief an. "Soll ich Sie nach Hause bringen?" Ich schüttelte langsam den Kopf. "Bin nich' mit dem Auto hier", murmelte ich nur und fischte nach dem Portemonnaie in meiner Hosentasche. Seufzend legte er die Hand auf meine. "Ich bezahle. Kommen Sie gut nach Hause." Ich hielt inne und betrachtete ihn für meinen Moment. Ich wollte verneinen, aber dann spürte ich einen sanften Stupser in die Seite - Hiro. "Ehm, ja gut. Danke", murmelte ich und verabschiedete mich von allen, bevor ich schnellstmöglich verschwand. Tsukasa überlegte es sich sonst vielleicht noch anders und bezahlte doch nicht. Oder er wollte mich unbedingt nach Hause bringen, darauf hatte ich keine Lust. Unterwegs schaute ich auf mein Handy und stellte fest, dass ich immer noch keine Nachricht von Karyu erhalten hatte. Wahrscheinlich stand er noch im OP... Zu Hause griff ich tief seufzend im Kühlschrank nach einem Bier, aber als ich auf die Uhr sah, stellte ich die Flasche wieder zurück. Sich jetzt sinnlos zu besaufen und morgen zu spät zum Verlag zu kommen, nur weil ich wegen Karyu traurig war, brachte nichts als Ärger. Deprimiert ließ ich mich wenig später ins Bett fallen. Es war Zeit, mal mit Karyu zu reden. So konnte das nicht weiter gehen. Ich war ja fast so unglücklich wie vor einem Jahr. Und wie ich meinen verdrehten Kopf kannte, würde ich demnächst wieder mit einem Küchenmesser in der Hand im Flur sitzen... Kapitel 1: Von einem nervtötenden Chef und einem Abend im Nieselregen --------------------------------------------------------------------- ========================================= 1. Kapitel ========================================= Karyus Nachricht kam spätnachts. Ich sah sie erst am Morgen. Sie las sich wie schon bereits die 20 davor, die er mir immer dann geschickt hatte, wenn er länger im Krankenhaus blieb. Ich antwortete gar nicht erst darauf. Nachdem ich auf der Arbeit mit Tsukasa die bisherige Liste abgesprochen hatte, was die Bücherauswahl anging, erhielt ich eine weitere Nachricht. Er wollte sich heute Abend mit mir treffen, bei mir vorbei kommen. Ich glaubte ja nicht wirklich daran, dass es klappte, aber ich sagte ihm dennoch zu. "Hey, was macht Ihr Freund, der Arzt?" Ich seufzte innerlich. Da wollte man sich nur einen Kaffee auf dem Gang holen gehen und schon lauerte einem Tsukasa auf. "Was soll er schon machen? Operieren.", antwortete ich trocken und drückte die Taste der Kaffeemaschine. "Sind Sie nicht stolz auf ihn?" Ich zog die Augenbrauen leicht zusammen und schaute auf. "Wie bitte?" Worauf wollte er hinaus? "Na ja", fing er an und lehnte sich gegen die Wand, "er rettet Menschenleben. Das ist beeindruckend. Was er leistet, könnte ich nicht. Man muss mit der Freude, aber auch mit der tiefsten Trauer der Menschen klar kommen und das jeden Tag. Er ist bestimmt ein Held. So jemanden an seiner Seite zu haben, macht einen doch sicher stolz, oder nicht?" Er sah mich an. "Aber Sie sehen nicht so aus, als wären Sie stolz." Ich öffnete den Mund und setzte doch tatsächlich dazu an, ihm das zu erklären, wie das war, wenn man einen Arzt als Freund hatte, wenn man ihn kaum noch sah und jede zweite Verabredung ins Wasser fiel. Was war das für eine Beziehung? Aber im letzten Moment entschied ich mich dagegen und schloss den Mund, schnaubte nur und drehte mich mit dem Kaffeebecher in der Hand um. "Das ist privat", sagte ich nur und ging zurück ins Büro. Was nahm der sich raus? Gereizt bearbeitete ich eine Übersetzung. Tsukasa war typisch Chef und ich musste mir das gefallen lassen. Es war doch nicht zu fassen. Pünktlich um 18 Uhr machte ich Schluss. Ich würde keine weitere Minute hier verbringen. Wirklich beruhigt hatte ich mich noch nicht. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, lief er mir unten auch noch über den Weg, als ich den Fahrstuhl verließ. Er hielt mich auf. "Hey, warum wollten Sie mir vorhin nicht antworten?" Ich atmete tief durch und wandte mich zu ihm um. Ich durfte nicht unfreundlich werden. "Mein Liebesleben ist meine Sache. Darüber muss ich mit Ihnen nicht reden." "Nein, müssen Sie nicht, das stimmt. Aber ich dachte, Sie könnten jemanden zum Reden gebrauchen", sagte er leise. Ich schluckte leicht und runzelte die Stirn. "Nein...nein, brauche ich nicht", erwiderte ich ebenso leise und drehte mich um. Es war wirklich Zeit zum Gehen. Jetzt war ich richtig sauer auf Tsukasa. Wenn er mich noch mal so komisch anquatschte, konnte er was erleben. Chef hin oder her. Brummend starrte ich auf die Uhr. Es war 10 nach 20 Uhr. Karyu hätte schon vor über einer halben Stunde hier sein müssen! Ich griff zum Handy. Zeit, ihn anzurufen. Er hatte mir bisher nicht Bescheid gegeben, was los war. Er ging nicht ran. Schön. Ich hatte ja die Nummer des Krankenhauses. "Hallo, ich muss mit Dr. Matsumura sprechen. Ist er noch im Haus?" "Das wissen wir nicht, wir suchen ihn." "Was, wie bitte? Sie suchen ihn? Wie darf ich das verstehen?", erkundigte ich mich verwirrt. "Wir wissen nicht, wo Dr. Matsumura ist. Das letzte Mal wurde er vor einer halben Stunde gesehen. Das Krankenhaus dürfte er nicht verlassen haben, da er sich noch nicht vom Dienst abgemeldet hat.", wurde mir geantwortet. Verblüfft schwieg ich für einen Moment, dann seufzte ich. "Ok, ich komme vorbei." Ich konnte ja beim Suchen helfen und dann würde ich ihm den Kopf waschen. 35 Minuten später betrat ich das Krankenhaus. Es war nicht das unsympathischste Gebäude. Es wirkte sogar hell und freundlich. Besonders die Pflanzen in den Ecken gefielen mir. Ich machte mich auf zum Empfang und erkundigte mich nach Karyu, aber den schien immer noch keiner gefunden zu haben. Natürlich konnte ich mich nicht im ganzen Krankenhaus umsehen. Viele Bereiche waren für Besucher gesperrt. Da hatte ich nichts zu suchen, auch wenn ich Karyus Freund war. Aber ein paar Orte konnte ich mir ansehen. Natürlich fand ich ihn nicht im Gebäude. Also musste ich das Gelände absuchen. Wahrscheinlich lag er in irgendeinem Bereitschaftsraum und schlief... Oder er stand in einem OP. Aber dann sollte das Personal wohl wissen, wo er war. Ich seufzte, als ich draußen stand. Es nieselte. Es brachte bestimmt nichts, ihn hier draußen im Nassen zu suchen. Ich drehte mich resigniert um und verfluchte mich für die sinnlose Idee, hierher gekommen zu sein, als ich eine Gruppe von 3 Ärzten sah. Einer saß auf dem Boden an die Mauer gelehnt und die anderen zwei standen um ihn herum. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Direkt neben ihnen stand doch eine Bank, auf die sie sich hätten setzen können. Ob da vielleicht Karyu dabei war? Langsam ging ich auf das Grüppchen zu. Hätte Karyu noch blonde Haare wie vor 5 Jahren gehabt, hätte ich ihn ja sofort erkannt, aber so musste ich wie ein Idiot auf die Drei zuschleichen um erkennen zu können, wer das war. Als man meine Schritte hörte, richteten sich die Blicke auf mich. Karyu war derjenige, der auf dem Boden saß. Die beiden anderen Ärzte hatte ich schon einmal gesehen, aber ihre Namen kannte ich nicht. Sie wussten jedenfalls, dass ich zu ihm gehörte, denn sie nickten ihm noch mal zu, bevor sie an mir vorbei gingen und mich leise grüßten. Ich sah nur verwirrt zu Karyu und blieb direkt vor ihm stehen. Es war kalt, nicht zuletzt aufgrund des Nieselregens. "Was ist denn los? Warum sitzt du hier draußen?", fragte ich ihn. "Du siehst nicht gut aus." Karyu schien deprimiert zu sein. Er sah traurig aus. Er senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, schwieg eine Weile, bevor er zu einer Antwort ansetzte. "Heute war kein guter Tag." Er seufzte leise. "Ich weiß, dass wir verabredet waren. Es tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gesagt habe." 'Nein, dir sollte leid tun, dass du nicht bereit bist, mich überhaupt zu treffen. Das sollte dir leid tun, denn wir haben uns schon eine Weile nicht mehr gesehen.' So eine Erwiderung spukte mir im Kopf herum, aber ich sprach es nicht aus. Jetzt, in diesem Moment, durfte ich nicht egoistisch sein. h hob nur die Schultern und setzte mich zu ihm auf den kalten Boden. "Wie lange sitzt du hier schon?" "Ich weiß nicht..eine Weile." Ich sah hinauf in den dunklen Himmel. Jeden Moment könnte es wirklich richtig anfangen zu regnen... "Möchtest du mir sagen, was passiert ist? Warum du dich hier draußen versteckst und mich nicht einmal anrufst?", sagte ich schließlich leise und ohne vorwurfsvoll zu klingen. Karyu seufzte tief und senkte den Blick. Sein Kittel war schon ganz durchnässt. "Ich hatte heute die Oberaufsicht und es waren wenige Oberärzte da, die ich um Rat hätte fragen können. Ich hab versucht, den Überblick zu behalten und ich bin die ganze Zeit von A nach B gerannt. Da war ein kleines Mädchen, 5 Jahre alt. Sie hatte sich das Bein gebrochen, und weil sie so klein ist, mussten wir für den Gips auf einen OP warten. es wurde einfach keiner frei. Als ich endlich einen hatte, trat ein Notfall ein. Einer meiner Patienten hatte eine Arteriendissektion. Es ging ihm gut, es kam so plötzlich. Er wollte nach Hause, er hat nicht aufgehört, von seinem Sohn zu sprechen. Sie wollten sich ein Baseballspiel anschauen. Er wollte bei seinem Sohn sein. Und dann...hat sein Herz aufgegeben. Ich habe mit dem Kardiologen eine Not-OP durchgeführt, aber wir kamen zu spät..." Er machte eine lange Pause. "Ich musste mit der Familie sprechen, ich musste sie anrufen. Ich hatte zuerst das Kind dran..." er schüttelte den Kopf. "Es war furchtbar. Ich musste der Mutter sagen, dass ihr Ehemann mir unter den Händen wegstarb." Ich ergriff Karyus Hand. "Das tut mir leid. Was..was ist aus dem Mädchen mit dem gebrochenen Bein geworden?", erkundigte ich mich leise. Vielleicht war wenigstens das gut gelaufen. "Ein Kinderchirurg hatte sich während meiner Not-OP darum gekümmert. Ihr geht es gut, auch wenn sie für lange Zeit nicht wird laufen können, aber der Bruch..um den wurde sich gekümmert... Die Eltern waren besänftigt und nicht mehr so aufgebracht und besorgt..." "Das ist doch was." "Ja... Ja, das ist was.", murmelte er und schloss die Augen. "Es gibt hier Momente, wo ich aufhören will. Wo ich denke, ich kann das nicht weiter ertragen." "Aber das hier...das Krankenhaus, das ist das, was du immer wolltest." Er nickte leicht. "Du hast Recht. Ich wollte es. Und ich wusste, dass nicht immer alles so läuft, wie man es möchte. es läuft sogar selten so, wie man es möchte", sagte er leise und blickte mich an. "Lass uns bitte einfach gehen, ok?" Ich nickte und stand auf, bevor ich ihm auch auf die Beine half. Er nahm mich mit in den Umkleideraum der Assistenzärzte. Dort war es sogar irgendwie schön. Keine grauen Spinde mehr wie bei den Anfängern, kein vollgestellter kleiner Raum, der nur nach Schweiß und Angst roch. Karyu zog sich um und nahm sich seine Tasche, dann verließen wir gemeinsam das Krankenhaus. Ich hoffte, er konnte seine Patienten, seine Verluste, aber auch Gewinne, hier ebenfalls zurück lassen und würde sie nicht mit nach Hause nehmen. Aber das war vermutlich zu viel verlangt... Ich begleitete ihn zu sich nach Hause und schlief bei ihm. Viel redete er an diesem Abend nicht mehr. Er schlief in meinen Armen ein, doch ich blieb wach. Was uns verbunden hatte, waren unsere Einsamkeit und unser Verständnis füreinander gewesen. Er hatte mir gesagt, dass er mich verstehen würde, aber ich auch ihn. Deswegen würde ich auch irgendwie mit seinem Beruf klar kommen. Und er hatte jemanden gewollt, der nichts mit Medizin zu tun hatte. Aber jetzt...ich kam nicht mit seinem Beruf klar. Nicht mehr. Es hatte geheißen, dass er feste Schichten, feste Dienstzeiten haben würde. Dass wir abends unsere Dates haben würden. Doch so lief es nicht. Der Job war wichtiger, nahm ihn vollkommen in Beschlag. Karyu vernachlässigte mich. hatte ich das zu akzeptieren? Denn so war es nicht abgesprochen gewesen. Nahm er überhaupt war, was er mir antat? Ob er wusste, wie ich mich fühlte? Wenn ich ihm all das sagte: was ich dachte und wie ich mich fühlte, wäre ich dann das Arschloch? Bestimmt wäre ich das. In dieser Geschichte konnte ich nur verlieren: entweder ich biss die Zähne zusammen und wurde immer unglücklicher, behielt aber Karyu irgendwie an meiner Seite, oder ich sagte ihm die Wahrheit und dann...dann wäre unsere Beziehung womöglich im Eimer. Vielleicht würde er mir raten, dann besser jemand Anderes zu suchen, den ich lieben konnte. Wer wusste das schon. Arzt zu sein hatte ihn verändert. Und nicht zum Guten, so glaubte ich. ================================== "Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich bin Ihnen gestern zu nahe getreten, oder?" Tsukasa stellte einen Becher Kaffee auf meinen Schreibtisch. "Ich habe etwas Milch reingetan. Ich weiß nicht, wie Sie Ihren Kaffee eigentlich mögen...Mit etwas Milch macht man aber selten etwas falsch", fügte er leise hinzu. Ich musterte ihn einen Moment, dann betrachtete ich den Becher. "Danke." Ich senkte den Blick wieder auf die Liste, die ich überarbeitete. "Sind Sie mir noch böse?" Ich seufzte lautlos und schaute erneut auf. "Ich bin nicht böse. Es gibt nur Dinge, über die ich nicht rede. Über Persönliches rede ich nicht mit meinem Vorgesetzten. Bitte verstehen Sie das nicht falsch, aber..." Tsukasa winkte schon ab und setzte sich mir gegenüber. "Schon gut, Sie müssen das nicht erklären. Ich weiß wie das ist. Ich hatte auch mal einen Chef." Er lächelte mich verständnisvoll an. "Ich entschuldige mich für mein unangemessenes Verhalten. Ich wollte Sie nicht bedrängen." Er hob eine Schulter. "Ich möchte gern...Ihr Freund sein. Nicht nur Ihr Vorgesetzter. Chef sein macht einsam. Und das mag ich gar nicht", eröffnete er mir mit einem milden Lächeln auf den Lippen. Ich legte meinen Stift beiseite. Oh je. Meinte er das jetzt ernst? Wollte er Mitleid? "Haben Sie die Anderen auch gefragt? Nach Freundschaften?" Er schüttelte den Kopf. "Nein. Ich frage Sie. Nur Sie. Sie sind mir sympathisch." "Warum? Ich...ich lächel ja nicht besonders viel. Ich rede auch nicht viel. Ich bin doch überhaupt nicht interessant.", meinte ich etwas misstrauisch. Mein Chef lächelte weiterhin. Ein unerschüttliches Lächeln. "Vielleicht ist ja gerade das interessant. Dass Sie nicht viel reden und lächeln." Er machte eine Pause, seufzte und sah mich dann ernster an. "Nein, hören Sie, es geht nicht darum, interessant zu sein. Ich denke, sie könnten einen Freund gebrauchen, der Ihnen zuhört. Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben. Und wie der Zufall es will, bin ich ein guter Zuhörer. Ich hätte sogar ein paar gute Ratschläge. Denn ich habe immer einen Rat." Er zuckte mit den Schultern und stand auf. "Na ja, überlegen Sie es sich. Und trinken Sie den Kaffee. Der tut Ihnen gut. Der besteht aus lauter positiver Energie." "Aha...." "Und denken Sie an die Liste. Ich brauche sie in spätestens zwei Stunden auf dem Tisch!" Da war er wieder, der Chef-Ton. "Ist gut", nickte ich ergeben und senkte den Blick wieder auf das Blatt Papier. Anstatt aber über die finalen Buchtitel nachzudenken, die wir ins Repertoire aufnehmen sollten, konnte ich mir nun überlegen, wie ich Tsukasas Angebot möglichst freundlich abschmettern konnte. So ein Mist! Wahrscheinlich war es das beste, das Ganze erstmal zu ignorieren. Vielleicht vergaß mein Chef die Nummer ja wieder und ich hatte endlich meine Ruhe. Als ich ihn kennen gelernt hatte, war er reserviert, kühl und sparsam mit seinen Worten gewesen. Er hatte streng gewirkt. Ich hatte gleich Respekt vor ihm gehabt, aber war der Meinung gewesen, mit ihm arbeiten zu können. Oft musste ich ihn ja im Grunde auch nicht sprechen. Die ersten Monate waren unsere Unterhaltungen auch kurz gewesen, außerhalb des Büros waren wir nie aufeinander getroffen. Doch seit wenigen Monaten änderte sich etwas. Tsukasa änderte sich. Er war offener und gesprächiger. Er wirkte freundlicher und ich hatte weniger Angst, ihn mal wegen eines Problems zu befragen. Doch es brachte auch mit sich, dass er mich bedrängte, auch wenn er das vielleicht nicht bemerkte. Nachdenklich blickte ich zu meinem Handy. Ich wollte mit Karyu reden. Über irgendwas. Solange er nicht das Krankenhaus thematisierte... Aber das würde warten müssen. Bis ich mit der Arbeit fertig war. Seufzend blätterte ich wieder in den Unterlagen und versuchte, mich auf die Buchtitel zu konzentrieren. Wie gewünscht legte ich Tsukasa zwei Stunden später die Mappe mit der endgültigen Liste der Bücher sowie Kommentaren zu den Entscheidungen auf den Schreibtisch. Lächelnd sah er zu mir auf. "Vielen Dank. Ich schau mir das gleich an." Er lehnte sich zurück. "Und, haben Sie darüber nachgedacht? Über mein Angebot?" Unwohl strich ich mir über den Arm. "Ja, das habe ich. Also, danke... Aber ich habe schon jemanden zum Reden - nämlich meinen Freund. Ärzte können wirklich gut zuhören", versicherte ich ihm schief lächelnd. "Hmm", machte er nur und betrachtete mich für einen Moment. "Wahrscheinlich schläft er dann, wenn Sie mit ihm sprechen. Sie wirken nicht sonderlich entspannt, oder so, als hätten Sie sich Ihre Sorgen von der Seele geredet." Ich runzelte leicht die Stirn. Er ging wieder zu weit. Ich drehte mich um. "Ich erzähle ihm durchaus alles, was mir auf dem Herzen liegt. Ich bin glücklich so, wie alles ist", machte ich ihm deutlich, bevor ich das Büro verließ. Warum ging er mir so auf die Nerven? Sah er nicht, dass mich seine Vermutungen störten? Schnaubend ging ich zurück an meinen Arbeitsplatz, wo mir wieder das Handy in die Augen stach. Ich seufzte und griff schließlich danach. Wahrscheinlich würde Karyu eh nicht rangehen, aber einen Versuch war es wert. Es gab ja noch eine Mailbox, vielleicht würde ich ihm einfach sagen, dass ich reden wollte. Ich wählte die Nummer und lauschte dem nervtötenden Ton, wartete nur auf das noch nervigere Piepen, dass ertönen würde wenn seine Mailbox ranging. "Hallo? Was gibt's?" Verwirrt hielt ich inne. Karyu ging ja ran! "Ehm...hi.", brachte ich nur heraus. "Es ist schön, deine Stimme zu hören", sagte er leise, woraufhin ich nickte. "Ja..." "Ich hab eben...8 Stunden lang einen Patienten am Gehirn operiert. 8 Stunden und er stirbt. Er stirbt in dem Moment, als wir ihn gerade wieder zumachten. Wir konnten nichts mehr tun. Das ist frustrierend.", sagte er leise und seufzte. Genau wie ich. Nur innerlich. "Warum hast du denn angerufen? Ist alles in Ordnung?" Eigentlich wollte ich nun sagen, dass ich mich ihm reden musste, dringend. Aber ich konnte nicht. Ich wollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Seine Gedanken kreisten um diesen Patienten, nicht um mich. "Alles gut. Ich wollte nur...ich wollte nur deine Stimme hören", erwiderte ich. Irgendwie war das ja auch so. Gestern hatten wir nicht besonders viel gesprochen. "Ja...geht mir auch so. Ich hoffe, wir sehen uns nachher. Ich werde zusehen, dass ich um 18 Uhr Schluss habe. Dann komme ich bei dir vorbei." "Denk an deine Katzen. Geh lieber zuerst zu ihnen." Er schwieg kurz. "Ja, du hast Recht. Aber dann komm ich gleich zu dir", versprach er mir und seufzte tief. "Die Katzen bekommen mich ebenso selten zu sehen wie du. Ihnen geht es nicht gut...." Bevor ich etwas erwidern konnte, hörte ich Stimmen bei ihm. "Ich muss aufhören. Bis später." Und schon hatte er aufgelegt. Kein 'Ich liebe dich'. das bekam ich nämlich kaum noch zu hören. Ich selbst konnte es ihm auch selten sagen. Würde ich ihn mal öfter zu Gesicht bekommen, dann... Ich schüttelte den Kopf und sah auf das Handy. Es brachte ja nun auch nichts. Eine Weile starrte ich ins Leere, dann feuerte ich das Gerät gegen die Bürotür. Mit einem ungesunden Knall prallte es dagegen und fiel zu Boden. Erst da bemerkte ich, dass Tsukasa im Gang stand und mir durch die Fenster einen langen Blick zuwarf. Ich senkte den Blick und schloss für einen Moment die Augen, um mich zu sammeln. Ich hatte nicht so ausrasten wollen. Offenbar war ich frustrierter, als ich gedacht hatte. Tsukasa war endlich mal so taktvoll und hielt sich zurück, mir zu nahe zu kommen. Er betrat nicht mein Büro. Ich stand langsam auf und trabte zu dem Handy. Es war nicht in alle Einzelteile zerlegt. Ich hob es vorsichtig auf. Einzig der Display war ein wenig zersplittert, doch ich konnte darauf noch etwas erkennen. Das Handy funktionierte. Erleichtert atmete ich durch. Ein neues wäre zu teuer, das konnte ich mir momentan nicht leisten. Ich musste sparen. Ich sparte an allem, was ging. In meiner Mittagspause ging ich nicht einmal runter in die Cafeteria. Stattdessen arbeitete ich weiter, um auf Überstunden zu kommen. Essen tat ich zwischendrin mal etwas Obst oder Gemüse. Wobei das Obst teurer war und deswegen leistete ich mir das seltener. Als luxuriöse Abwechslung. Ich setzte mich wieder auf meinen Bürostuhl und verdrängte Karyu und meinen Frust fürs Erste. Ich würde nachher mit ihm reden. Vielleicht hatte er sich bis dahin wieder gefangen. Kapitel 2: Von einem (un)perfekten Po und einem gescheiterten Valentinstag mit dem Chef --------------------------------------------------------------------------------------- ================================= 2. Kapitel ================================= An dem Abend hatte ich nicht mehr mit Karyu über uns gesprochen. Er hatte wieder von einem Patienten geredet, bei dem irgendetwas schief gegangen war. Dementsprechend war er traurig gewesen und ich wollte nicht das Arschloch sein, dass ihn noch mehr deprimierte, indem ich zu einem unpassenden Zeitpunkt mit meiner Unzufriedenheit anfing. Ich begann, passiv-aggressiv zu werden und ließ das vor allem an meinen Kollegen und den Praktikanten aus. Erstaunlicherweise sagte mein Chef nichts. Er warf mir nur fragende Blicke zu, aber ich redete mit ihm nicht darüber. Nur wenn es den Verlag betraf, ging ich zu ihm, und darüber hatten wir uns ausreichend zu unterhalten. Und dann stand auch noch der Valentinstag an. Ich war mir fast schon sicher, dass Karyu das vergessen hatte. Im Gegensatz zu ihm hatte ich mir durchaus bereits Gedanken gemacht. Sollte ich etwas tun, ihm etwas schenken? Oder sollte ich es lassen? Auch am Tag zuvor war ich noch zu keinem Ergebnis gekommen. Wir lagen im Bett, waren bei Karyu zu Hause. Ein seltener Moment. Ich lag mit dem Kopf auf seiner Brust und strich mit den Fingerspitzen über die glatte Haut. "Mh...morgen ist Valentinstag, aber wir..wir machen doch nichts, oder?", erkundigte ich mich etwas verlegen. Ich wollte Gewissheit und das Thema vom Tisch haben, damit am Ende keiner überrascht oder enttäuscht war. "Oh, doch. Ich hab einen Tisch reserviert." Er streichelte meine Schulter. "Habe ich dir das nicht erzählt?" "...nein, das musst du vergessen haben", antwortete ich und blickte überrascht zu ihm auf. "Wir gehen also essen? Echt?" Er nickte. "Ja, wir gehen essen. Es sei denn, du willst das nicht?" "Doch, doch, will ich. Das ist süß. Danke. Wie kommst du darauf?", erkundigte ich mich neugierig, woraufhin er unvermittelt versuchte, mir in die Taille zu kneifen. Taille. "Weil du so dünn bist." Ich machte den Mund auf. "Da kannst du sagen was du willst, du bist dünn geworden." "Karyu, du kneifst mir in die Taille. Was willst du da finden, Fett?", erwiderte ich trocken. Seufzend kniff er mir in den Po. "Dann halt da." Pikiert hob ich eine Augenbraue und richtete mich auf. "Willst du mir sagen, mein Hintern ist knöchern?" Er seufzte und sah mich ernst an. "Dein Hintern ist perfekt. Aber...er wäre noch perfekter, wenn du etwas mehr Speck auf den Rippen hättest. Ich hab ja gar nichts mehr zum Anfassen.", kritisierte er mich, weswegen ich die Stirn runzelte und ihn anstarrte. "Du willst was zum Anfassen? Dann frag doch deine heiße Assistenzärztin aus dem 2. Jahr", fauchte ich angefressen und drehte ihm den Rücken zu. Seine Worte waren ganz schön verletzend. "Zero, sei mir nicht böse, so hab ich das doch gar nicht gemeint." Ich hob eine Hand und winkte ab. "Lass gut sein. Ich bin dir nicht attraktiv genug, das versteh ich schon. Aber ich bin schon immer dünn gewesen." "Doch nicht SO dünn. Du hast abgenommen, seitdem du hier bist. Du musst auf deine Gesundheit achten, bitte. Ich mach mir nur Sorgen. Und ich hab nie gesagt, dass du nicht attraktiv wärst. Du bist immer noch heiß, so wie du bist. Ich habe nur Angst, dass du nicht genug auf dich achtest.", versuchte er zu erklären. Ich schnaubte. "Stimmt, du hast nie gesagt, ich wäre dir nicht mehr heiß genug, aber wann hatten wir das letzte Mal Sex, hm? Das ist Wochen her, Wochen. Das hast du vielleicht gar nicht bemerkt, weil du mit Wichtigerem beschäftigt bist." Ich seufzte resigniert, als ich hörte, dass er etwas erwidern wollte. "Bitte, sag nichts. Ich will schlafen." Er gab einen unwilligen Laut von sich, schwieg aber und drehte sich auf den Rücken. Gereizt schloss ich die Augen. Karyu überspannte den Bogen immer weiter... Der nächste Tag war der Horror im Verlag. Die meisten Angestellten liefen sogar mit Herzchen in den Augen umher. Die, die gefragt hatten, bekamen sogar eine Stunde früher frei. Ich hatte nicht gefragt. Karyu hatte den Tisch auf 19 Uhr reserviert. Es würde wahrscheinlich eh 20 Uhr werden. Ich hatte regulär um 18 Uhr Schluss, also würde das schon klappen und ich brauchte nicht früher zu gehen. Mittlerweile jedoch bereute ich es, nicht darum gebeten zu haben. Die Leute hier liefen mitunter bereits mit Blumensträußen umher und der ein oder andere Kollege naschte mit leuchtenden Augen aus der geschenkten Pralinenschachtel. Einer derjenigen, der nicht verliebt wirkte, war mein Chef. Dem schien der Wirbel auch einiges an Nerven zu kosten. Ich verschanzte mich weitestgehend in meinem Büro um dem Trubel aus dem Weg zu gehen. Kaffee holen musste und wollte ich aber eben mehr als nur ein Mal. In der Mittagspause, in der ich an einer Karotte nagte, betrat Tsukasa überraschend mein Büro. "Hey, kann ich mich zu Ihnen setzen? Die Cafeteria ist momentan unzumutbar", sagte er resigniert, was mir beinahe ein leichtes Schmunzeln auf die Lippen zauberte. "Ja, bitte. Machen Sie es sich bequem", antwortete ich und wies auf den freien Stuhl mir gegenüber hin. Dankend nahm er Platz und packte sein Sandwich aus. "Sie schauen auch nicht begeistert aus", sagte er. "Kein Valentinstag-Fan?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ich habe damit einfach nichts zu tun. Es gab selten jemanden, den ich hätte beschenken können", murmelte ich. "Aber jetzt ist das ja anders. Sie sind doch verliebt." Er klang so furchtbar neugierig. Ich musste mich anstrengen, nicht die Augen zu verdrehen. Freundlich sah ich auf. "Ja, ich bin verliebt. Deswegen fange ich aber nicht an, den Valentinstag zu verehren. Seine Liebe nur an einem einzigen Tag zu zeigen, ist doch sinnlos. Dafür brauche ich nicht den Valentinstag. Wenn ich jemanden liebe, zeige ich ihm das jeden Tag", brabbelte ich vor mich her. "Hmm...", machte Tsukasa nur und biss von seinem Sandwich ab, während ich an meiner Karotte nagte. "Also haben Sie heute nichts vor?" Ich seufzte lautlos. "Doch, ich habe etwas vor. Ich gehe mit meinem Freund essen. Er hat es sich nicht nehmen lassen, einen Tisch zu reservieren." "Sie klingen begeistert", sagte er ironisch. Ich brummte. "Ich BIN begeistert. Das ist eine gute Idee. Es ist lange her, dass wir in einem Restaurant waren. Ist ja auch nicht verwunderlich, wenn man an seinen Job denkt. Ein Tisch zu reservieren, ist ok. Einen Blumenstrauß hingegen hätte ich ihm um die Ohren gehauen." Tsukasa grinste mich nur an und schüttelte leicht den Kopf, bevor er den Rest seines Mittags aufaß. "Wie lange wollen Sie eigentlich noch an ihrer Karotte knabbern?", erkundigte er sich unvermittelt. Mit hängenden Schultern besah ich mir das Stück Gemüse. "Keine Ahnung...ich hab keinen Hunger", murmelte ich und legte die Karotte zurück in die Bentobox. Tsukasa lächelte und stand auf. "Viel Spaß bei Ihrem Date nachher." Ich nickte und lehnte mich zurück. "Danke. Machen Sie etwas?" Er zuckte mit den Schultern. "Ich werde in die Bar gehen." "Hmm.." Da hatte er ja viel vor. "Vielleicht lernen Sie ja jemanden kennen." "Ja, vielleicht", erwiderte er nur und verließ mein Büro. Seufzend drehte ich mich in meinem Stuhl zum Fenster. Wirklich Lust hatte ich nicht, nachher mit Karyu essen zu gehen. Nicht, nach dieser zweifelhaften Unterhaltung, die wir gestern geführt hatten. Aber vielleicht vertrugen wir uns ja wieder. Dafür war der Valentinstag ja da. Um einander zu verzeihen. Mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen machte ich mich wieder an die Übersetzung eines Kapitels ran. Gerade hatte ich den Verlag verlassen und überlegte, wie ich am besten zu dem Restaurant kam, das Karyu ausgesucht hatte, als mein Handy klingelte. Ich seufzte und betrachtete das Display. Karyu. "Ich hoffe, du willst mir sagen, dass du bereits unterwegs bist", begrüßte ich ihn, woraufhin er für einen Moment zögerte. "Nein, ich...ich bin noch nicht unterwegs", erwiderte er langsam. Seine Stimme triefte vor Reue. Oh-oh... "Ich bin noch im Krankenhaus. Es ist so...also...ein Patient, den ich vor 2 Monaten behandelt habe, kam wieder. Es geht ihm sehr schlecht. Ich muss rausfinden, was er hat. Das kann nicht warten. Es ist dringend. Ich glaube nicht, dass ich es rechtzeitig zu unserer Verabredung schaffe...", sagte er leise. Ich schwieg für einen langen Moment. "Zero? Es tut mir furchtbar-..." Kurzerhand legte ich auf. Wieder war ich kurz davor, das verdammte Handy gegen irgendeine Wand zu werfen. Aber ich unterließ es. Karyu rief noch mal an, weswegen ich das Handy ausschaltete. Ich wollte nichts mehr hören. Nicht heute. Wir hätten endlich reden können. Aber wieder sagte er ab. Ich wollte über das alles nicht nachdenken. Das tat zu weh. Meine Beine setzten sich in Bewegung, ohne dass ich darüber nachdachte, wo ich eigentlich hingehen sollte. Aber sehr schnell wurde es mir klar: ich suchte den einzigen Ort auf, an dem ich nicht ganz alleine wäre. Die Bar. Seufzend betrat ich sie. Heute waren hier all jene traurigen Gestalten versammelt, die allein waren. Die niemanden hatten, der mit ihnen ausging. Der sie liebte. Wie deprimierend. Natürlich musste auch noch Hizumi Dienst haben. Damit ich seine Sprüche nicht ertragen musste, setzte ich mich nicht an die Theke, sondern an einen Tisch abseits. Ich hatte nicht nachgeschaut, ob jemand hier war, den ich kannte. Erst als ich saß, blickte ich umher. Ich meinte mich zu erinnern, dass Tsukasa doch her kommen wollte. Vielleicht wäre es doch besser, zu gehen. War nicht Hiro hier? Ich runzelte die Stirn. Nein, der hatte irgendwas von einem Date geplappert, und das würde er sicher nicht hier haben. Hier gab's nicht viele Frauen. Und das nicht ohne Grund. Das war eine Männer-Spelunke. Eine Kellnerin kam vorbei und erkundigte sich nach meinen Wünschen. Die Ärmste musste heute sicher einige Sprüche ertragen. Und würde viele Nummern zugesteckt bekommen. Ob sie darauf reagieren würde? Nicht, dass ich sie anmachen wollte, aber ich war neugierig. Fragen tat ich sie aber nicht. Gerade hatte ich mich zurück gelehnt, als eine bekannte Stimme an mein Ohr drang. "Was machst du denn hier? Solltest du nicht in den Armen deines Schatzes liegen?" Ich rollte mit den Augen und sah Hizumi an, der ein Bier (das ich nicht bestellt hatte), vor mich auf den Tisch stellte. "Musst du nicht hinter der Theke arbeiten?", brummte ich, während er die Hände in die Hüften stemmte und grinste. "Tu ich auch. Also, was ist los?" "Geht dich nichts an. Was ist mit dem Bier, das hab ich nicht bestellt." "Tja, die Bar gibt jeder armen, einsamen Seele etwas aus. Das ist doch dein Lieblingsbier.", erwiderte er. "Hat er dich wieder versetzt?" Ich schwieg beharrlich. "Wie lange willst du dir das noch gefallen lassen?" "Er ist noch arbeiten. Ich vertreibe mir nur die Zeit", sagte ich, und es war ja nicht einmal wirklich gelogen. "Aha. Dafür, dass er dich angeblich nicht versetzt hat, siehst du aber sehr unglücklich aus." "Halt die Klappe, Hizumi, bitte. Geh jemand anderen nerven", sagte ich leise, woraufhin er seufzte und an die Theke verschwand. Warum musste mir jeder wegen Karyu dazwischen quatschen? "Zero!" Ich sackte zusammen. Wieso in Gottes Namen bekam ich einfach keine Ruhe!? "Hey, ist hier noch frei?", fragte Tsukasa, woraufhin ich Idiot auch noch nickte. Aber es war ja nun mal mein Chef...wenn ich nein sagte, wie wirkte das? "Was machen Sie hier? Sie haben doch ein Date." Ich schüttelte leicht den Kopf. "Nein...nein, habe ich nicht. Nicht mehr." Die Kellnerin kam und gab mir meinen gewünschten Cocktail. Tsukasa sah mich fragend an, während er seine Jacke ablegte. "Nicht mehr? Was ist passiert?" Ich schwieg für einen Moment. Es ging ihn doch eigentlich nichts an... "Ach, er..er muss nur länger arbeiten. Das ist alles." Nur länger arbeiten... Ich senkte den Blick auf den Tisch und griff nach meinem Gratis-Bier. "Er ist also noch im Krankenhaus und damit ist Ihre Verabredung geplatzt? Ausgerechnet heute?", hakte er leise nach, woraufhin ich nickte. "Ganz genau. Ausgerechnet heute lässt er unsere Verabredung platzen. Wir hatten schon lange keine mehr...aber da kommt ein Patient daher, den er vor kurzem entlassen hatte, dem es jetzt aber wieder schlechter geht, und er muss sofort rausfinden, was dieser Patient hat... Und natürlich habe ich dafür Verständnis", sagte ich tonlos. "Das setzt er zumindest voraus. Oder?" Ich blinzelte ihn kurz an. "Ja, das setzt er voraus. Denn ich bin ja der einzige, der ihn versteht. Und ich habe ja gewusst, worauf ich mich einlasse." Ich schnaubte. Die Absprache hatte sich nur anders angehört, als es jetzt war. Tsukasa schwieg netterweise und sagte erst wieder etwas, als sein Drink kam. "Er kommt oft nicht, oder?" Ich nickte nur. "Na gut, so wie ich das sehe, wurden Sie versetzt und ich bin so unmöglich, dass ich mir nicht mal ein vernünftiges Date organisieren konnte. Also sind wir heute Abend beide allein und traurig. Aber wir haben einander, sitzen in dieser Bar und es gibt genug zu trinken. Das sollten wir nutzen. Feiern wir unsere Einsamkeit gemeinsam." "Gemeinsam einsam?", hakte ich amüsiert nach, woraufhin er grinste. "Gemeinsam einsam. Geteiltes Leid ist halbes Leid.", nickte er. Ich dachte kurz darüber nach, dann zuckte ich mit den Schultern und stimmte zu. Wir erhoben unsere Gratis-Getränke und stießen an. Ab da legten wir fest, dass wir uns für den restlichen Abend duzen wollten. Das war mir auch ganz recht, denn ich wollte nicht daran denken, dass er immer noch mein Chef war. Heute Abend war er ein Bekannter. Vielleicht sogar ein Freund. Aber nicht mein Vorgesetzter. Und er dachte nicht daran, dass ich sein Angestellter war. Um den Valentinstag nicht allzu deprimiert zu überstehen, lösten wir die bisher vorhandenen Regeln auf. Der Alkohol half uns dabei. Zuerst war es mir ein wenig unangenehm, mit Tsukasa zusammen zu sitzen, da ich nicht wusste, worüber ich mit ihm reden sollte. Aber mit zunehmendem Alkohol waren mir die Themen egal und ihm auch. Und dann wurde es tiefgründig. Wir begann über unser Leben zu jammern. Ich verschwendete keinen Gedanken mehr daran, ob es ihn eigentlich etwas anging oder nicht. Es ging nur darum, mit jemandem zu reden. "Wie lange bist du schon mit Karyu zusammen?", erkundigte sich Tsukasa gerade. "Etwa ein Jahr", antwortete ich leise. "Kennen tun wir uns aber schon sechs Jahre." "Oh, das ist eine lange Zeit." "Wie man's nimmt. Wir haben ein Jahr lang viel zusammen gemacht, aber dann ist er nach Sapporo gegangen. Ich komme eigentlich aus Tokyo", erzählte ich. "Wir haben uns für vier Jahre aus den Augen verloren. Aus Krankheitsgründen bin ich vor zwei Jahren hierher gekommen und habe ihn wieder getroffen. Wenig später waren wir zusammen. Das ist ein Jahr her." Tsukasa nickte leicht. "Aus Krankheitsgründen? Hat er dich behandelt?" Ich nickte. "Ich hatte einen Glassplitter im Auge und den konnte man in Tokyo nicht entfernen. Hier gibt es aber einen Augenspezialisten. Karyu war sein Assistenzarzt zu der Zeit." "Klingt nach einem Zufall." Ich nickte erneut. "Das war es auch. Eigentlich. Ich finde fast, es war Schicksal..." "Ja, dafür war es ein zu großer Zufall." Er schwieg für einen Moment und schwang den Whisky in seinem Glas umher. "Du wusstest, dass er Arzt war. Die haben doch bestimmt nie Zeit. Warum hast du dich auf ihn eingelassen, wenn du wusstest, wie die Beziehung aussehen wird?" Ich seufzte. "Ich wollte zuerst gar nicht mit ihm zusammen sein. Weil ich davon ausging, ihn nicht wirklich zu Gesicht zu bekommen. Aber dann sagte er mir, dass er Zeit haben würde. Es wäre ja nur ein kleines Krankenhaus, er hätte feste Schichten und so weiter. Er hat mir das Blaue vom Himmel gelogen. Na ja, vielleicht dachte er eine zeitlang ja doch daran... Aber es ist eben ganz anders gekommen. Und er scheint nicht mal zu bemerken, dass ich unglücklich bin, weil es anders läuft, als er es mir versprochen hat. Dabei weiß er, wie sehr mich die Einsamkeit kaputt machen kann." Ich hob eine Schulter und leerte das Gläschen Likör, das ich mir bestellt hatte. "Warum redest du nicht mit ihm darüber?" "Ja wann denn? Wenn ich ihn mal sehe, müsste ich das zwischen Tür und Angel besprechen. Und oft ist es auch so, dass ihn irgendeine Patientengeschichte verfolgt und bedrückt. Ich will nicht der Arsch sein, der ihn noch mehr deprimiert..." Tsukasa beugte sich vor und hob die Augenbrauen. "ER ist ein Arsch. Nicht du. Rede endlich mit ihm. Tu euch beiden einen Gefallen und sag ihm was los ist. Wahrscheinlich wird er dir sogar dankbar sein. Wenn er nicht bemerkt, dass sich etwas verändert hat, dann musst du ihn darauf aufmerksam machen. Am Ende tut's ihm leid und er ist froh, dass du es ihm gesagt hast." Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung...ich muss den passenden Zeitpunkt finden. Jetzt geht es nicht." "Wie oft willst du dein Handy noch gegen Wände schmettern? Wie oft willst du noch in diese traurige Bar kommen und wie viele deiner Kollegen anpatzen?" Tsukasa lächelte mich milde an. "Nicht, dass mich das stört, aber ich denke einfach, dass das auf Dauer keine Lösung ist. Es hilft dir nicht. Ihm auch nicht. Frag ihn mal, wie es ihm geht. Vielleicht ist er auch unglücklich." Ich seufzte tief. "Kann sein...tut mir leid, das mit den Kollegen.." "Hey, noch hat sich keiner bei mir beschwert", erwiderte Tsukasa schmunzelnd und lehnte sich zurück. Nachdenklich betrachtete ich ihn. "Was ist mit dir?" "Hmm..." Er richtete den Blick ins Leere. "Was mich angeht, ich wünschte, ich hätte überhaupt jemanden, mit dem ich streiten könnte." Er lächelte traurig. "Ich weiß nicht, woran es liegt, aber entweder ich bin einfach nur der Kumpeltyp, für den sich sonst keiner weiter interessiert oder ich bin ein Arschloch... Keine Ahnung, aber Dates sind äußerst selten." "Tut mir leid...", murmelte ich. "Vielleicht ist es beides", fügte ich grinsend hinzu, woraufhin er mich mit gehobener Augenbraue ansah. "Vorsicht, Vorsicht. Ich bin betrunken, aber kann mir unsere Unterhaltung bis in alle Ewigkeiten merken!", stellte er klar, schmunzelte dann aber. "Ich bin ziemlich allein. Ich komme nicht aus dieser Stadt, sondern bin hierher gezogen, so wie du. Wirklich kennen gelernt hab ich hier niemanden, außer eben die Kollegen. Aber sie sehen den Vorgesetzten in mir, was ja auch verständlich ist, aber näher kennen lernen wollen sie mich daher nicht. Frustrierend." "Hm, das verstehe ich.... Ich bin auch nicht gerade der Profi im Kontakte knüpfen und Freundschaften schließen. Aber mir reicht es auch, wenn ich einen guten habe. Und das habe ich ja. Oder hatte...keine Ahnung, wie man's nimmt." Tsukasa seufzte tief und schüttelte leicht den Kopf. "Wir haben schon Probleme." "Na ja", ich zuckte mit den Schultern, "immerhin ist es nichts Schlimmes. Wir werden einfach bloß nicht wahr genommen, wir werden vergessen, ignoriert. Wir sind einfach nur unwichtig. Uns kann man nach Belieben versetzen." Da redete ich natürlich gerade speziell von mir, aber das störte mich nicht weiter. Tsukasa betrachtete mich nur schweigend, während ich die Hände zu Fäusten ballte. Karyu machte mich echt wütend. "Da reicht es, sich einmal zu entschuldigen und wir schlucken das, und er kann einfach weiter machen. Immer wieder das Gleiche. Nachdenken wäre auch mal angebracht.", murrte ich und starrte in mein leeres Bierglas. Hizumi schien schon Mitleid zu haben, der hatte uns zwischenzeitlich sogar ein zweites Gratis-Bier überreicht - und das ohne Kommentar. Tsukasa sah mich lange an, dann beugte er sich vor. "Komm, lass uns zahlen und nach Hause gehen. Morgen ist ein neuer Tag. Vielleicht sieht es da schon besser aus." Ich lächelte schwach. Was ein putziger Versuch, mich aufzumuntern. "Ja, gehen wir." Ich winkte die Kellnerin heran. Die verlangte eine Unsumme. "So viel können wir gar nicht getrunken haben", murmelte ich, während ich mein Geld rauskramte. Ich zahlte meinen Teil, Tsukasa seinen. Als wir aufstanden, fiel mein Blick auf Hizumi. Er stand abseits der Theke und gerade warf sich ihm eine junge Frau an den Hals. Ich staunte nicht schlecht. "Wie bitte, hat dieser Giftzwerg heute etwa noch ein Date?" Tsukasa hatte die Augenbrauen in die Höhe gezogen. "Sieht so aus. Vielleicht ist er ihr gegenüber ja freundlich?" "Traue ich ihm kaum zu." Seufzend setzte ich mich in Bewegung. Ich brauchte frische Luft. Tsukasa folgte mir. Draußen vor der Bar sog ich die milde Abendluft ein. Das tat gut. Ich warf einen Blick auf die Uhr. "Oh...schon so spät", murmelte ich. "Mitternacht", fügte ich hinzu, als mir Tsukasas fragender Blick auffiel. "Dann ab nach Hause. Morgen ist ein Arbeitstag." "Ganz der Chef", brummte ich und ging los. "Wie kommst du nach Hause?" "Ich bring dich erstmal zu dir nach Hause", antwortete er, weswegen ich ihn überrascht ansah. "Und dann fahre ich mit der Bahn zu mir. Ich weiß ja, wo du wohnst, ich bin dein Chef." "Merkst du dir alle Details aus den Personalakten? Oder hast du meine ganz besonders aufmerksam gesichtet?", wollte ich ein wenig argwöhnisch wissen. Tsukasa grinste und zuckte mit den Schultern. "Ich schaue mir jede Akte gut an", behauptete er amüsiert. "Mh...und was hast du so für schmutzige Geheimnisse über mich rausgefunden?" "Erstaunlich wenig. Das hat mich so stutzig gemacht", sagte er zwinkernd. "Aber es gibt so ein paar Kollegen...die haben sich nicht lumpen lassen." "Aha?" Jetzt war ich neugierig. "Ja...aber darüber darf ich nicht reden. Ist vertraulich." Er grinste mich frech an, weswegen ich frustriert seufzte und an ihm vorbei zur U-Bahnstation ging. Er folgte mir schweigend, aber grinste weiter vor sich her. Der war wohl zu oft in Hizumis Nähe gewesen... Mittlerweile fühlte ich mich gar nicht mehr so unwohl in Tsukasas Nähe. Ich konnte mich sogar ganz gut entspannen. Das hätte ich gestern noch nicht gedacht. Tsukasa seufzte tief. "Endlich haben wir den Valentinstag hinter uns." Er sah mich an. "Ganz ehrlich?" Ich hob eine Schulter. "Man sagt sich immer, man braucht den Valentinstag nicht und er ist eh doof. Alle Verliebten gehen einem auf die Nerven. Aber insgeheim macht man sich eben doch etwas draus. Ob man nun allein ist und sich eine Beziehung wünscht, oder ob man einen Freund hat wie du, der einen dann versetzt... Das ärgert mich." Ich nickte zustimmend, während ich in meiner Tasche nach dem Hausschlüssel suchte. "Geht mir auch so. Es sollte mir nichts bedeuten, zumindest hat es das nie, aber jetzt ist es was anderes. Ich hätte schön mit ihm essen gehen können. Da macht er selbst den Vorschlag, nur um kurz vorher doch wieder abzusagen. Ich hätte den Valentinstag beinahe gut gefunden. Aber er ist immer noch so sinnlos wie vorher...", murrte ich und schloss die Tür auf. Tsukasa folgte mir hinein. Meine Wohnung befand sich direkt im Erdgeschoss. "Vielleicht klappt es ja nächstes Jahr bei euch." Ich schnaubte leise. "Falls er sich dann noch daran erinnert, dass er einen Freund hat." Ich ließ den Kopf hängen. "Ach was soll's, ich sollte mich nicht so anstellen." Ich setzte ein Lächeln auf und öffnete die Wohnungstür. Meine Katze saß bereits auf dem Schrank im Flur und sah uns an. "Was meinst du?", wollte Tsukasa verwundert wissen und kam mit hinein, schloss dann die Tür. So konnte die Katze auch nicht abhauen. Seufzend legte ich die Schlüssel beiseite. "Ich sollte mehr Verständnis haben. Job ist eben Job. Er hat einen umfangreicheren." "Sein Leben ist sein Job", erwiderte Tsukasa leise. "Solche Menschen haben meist keine Beziehungen." Ich wandte mich zu ihm und sah ihn eine Weile an. Das hätte er jetzt so nicht sagen sollen. "Tja, dann kann ich ja die Tage zählen, bis er Schluss macht." Tsukasa blinzelte und bekam schließlich große Augen, als er verstand, was er da gesagt hatte. "Tut mir leid, nein nein, so hab ich das nicht gemeint! Ich will nicht sagen, dass er eure Beziehung beendet, sondern..na ja, dass es ungewöhnlich ist, dass er überhaupt eine hat. Wo er doch so wenig Zeit hat." "Hör auf", redete ich ihm dazwischen und strich mir über das Gesicht. Er verunsicherte mich grade zunehmend. "Du machst es nur schlimmer." Ich starrte auf den Boden. "Tut mir leid....", murmelte er leise und strich sich durch das kurze Haar. "Es ist einfach anders gelaufen, als er und ich uns das gedacht haben. Das ist mir schmerzlich bewusst geworden, und in einer ruhigen Minute wird er das auch merken. Und dann heißt es 'Tschüss Zero, hier muss alles ein Ende haben. Es hat ja so keinen Sinn'. Das wird er nur netter verpacken...dieser Idiot.", fluchte ich leise und hatte Mühe, meine Tränen zurück zu halten. Ich hatte Angst vor dem Tag. "Wie hab ich auch wirklich erwarten können, dass sich jemand dauerhaft mich interessiert? Jetzt ist ihm sein Job wichtiger, nicht mehr ich..." Noch während ich den Boden bekümmert anstarrte, legten sich zwei Arme um mich. Tsukasa umarmte mich gerade. Augenblicklich spannte ich mich an, eher vor Überraschung. "Aber du bist wichtig. Und du bist interessant. Und wenn er das nicht erkennt, es vergisst und deine Anwesenheit nicht mehr zu schätzen weiß, dann ist er es nicht wert, dass du seinetwegen traurig bist." Wenn das mal so einfach wäre. Ich liebte Karyu und er war der Einzige, den ich hatte. "Ohne ihn bin ich ganz allein..", murmelte ich gegen Tsukasas Schulter. "Nein, bist du nicht. Ich bin auch noch da. Wenn was ist, kannst du immer zu mir kommen..." Ich gab nur einen traurigen Laut von mir und blieb kurz in der Umarmung, war schon kurz davor, mich an ihn zu lehnen, da wurde mir aber bewusst, wie das hier aussah. Vorsichtig machte ich mich von ihm los und lächelte schief. "Was machst du überhaupt in meiner Wohnung?" Tsukasa lachte. "Ich rede mit dir. Du hast mich reingelassen und dich nicht beschwert. Aber ich will ja auch schon wieder gehen", beruhigte er mich mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Ich nickte nur leicht. Wieder allein... "Sag mal", fiel mir dann ein, "findest du, dass ich zu dünn bin?" Er hob die Augenbrauen und musterte mich nur äußerst kurz. "Nein, wieso? Du bist schlank, das bin ich aber auch. Und? Du bist nicht zu dünn, wie kommst du darauf?" "Mh..." Ich winkte ab. "Karyu hat da was angedeutet.. Nicht so wichtig." "Was angedeutet? Was hat er denn gesagt?", wollte er wissen. Ich kratzte mich am Kopf. "Gestern Abend hat er mir in den Po gekniffen und gesagt, ich könnte mehr Speck auf den Rippen vertragen. Ich wäre ihm zu dünn." "Was?!" Tsukasa starrte mich an, dann spürte ich plötzlich, wie er mir doch tatsächlich in den Hintern zwickte. Ich zuckte zusammen und sah zu ihm auf. "Sag mal!" "Ach, ich finde, er übertreibt. Du hast einen schönen Hintern. Man kann reinkneifen, ist doch alles ok.", meinte er und grinste mich leicht an, woraufhin ich rot wurde. "Ja, eh..danke", murmelte ich und er klopfte mir sanft auf die Schulter. "Lass dich von ihm nicht so verunsichern." Ich seufzte. "Was soll mich denn davon abhalten. Seine Meinung zählt eben." "Vielleicht sollte sie das aber nicht. Oder hol dir eben eine zweite ein. Du bist perfekt so, wie du bist." Verlegen sah ich ihn für einen Moment an, senkte dann den Blick. "Hm...deswegen haben wir ja schon so lange keinen Sex mehr gehabt..", murrte ich. Normalerweise hätte ich so eine Aussage nicht vor jemand Anderem gemacht, der nicht Karyu war. Aber dank des Frustes und vielleicht auch ein stückweit wegen des Alkohols war es mir egal, dass ich Tsukasa dies offenbarte. "Irgendwas muss mit mir also nicht mehr ganz stimmen.." "Nun hör aber auf!" Tsukasa sah mich eindringlich an und hatte mich an den Schultern gepackt. "Hör auf, dir das einzureden. Nicht du bist es, sondern er, der sich verändert hat. Hast du darüber schon mal nachgedacht?" Ich hob nur unwillig die Schultern und blickte beiseite. "Du fühlst dich vernachlässigt und das zu Recht. Da kommt man schon mal ins Grübeln, aber damit du dir nichts einredest, musst du mit jemandem reden. Wenn nicht mit Karyu, dann eben mit mir. Ich hör dir zu, ok?" Er nahm mich wieder in den Arm. Erneut war ich von der vertrauten Geste überrascht. "Du bist nicht allein." Nun traten mir wirklich endgültig die Tränen in die Augen. Das war der Satz, der mich immer wehrlos machte und zum Schmelzen brachte. Das war der Satz, den ich hören wollte. Eigentlich von Karyu, aber der hatte nun andere Sorgen und befand sich sonstwo, nur nicht hier bei mir. Aber Tsukasa war hier, er war für mich da... "...weinst du jetzt?", wollte er wenig später mit überraschter Stimme wissen. Lautlose Schluchzer schüttelten mich ein wenig durch. "Nein...", log ich trotzig und versuchte, mich los zu machen. Es war doch unpassend...so schlecht ich mich auch fühlte, ich durfte mich nicht in fremde Arme werfen. Ich hörte Tsukasa leise seufzen, dann ließ er mich los, aber nur, um mit den Händen mein Gesicht zu umfassen und mich einfach so zu küssen, direkt auf den Mund. Ich brauchte einen kurzen Moment um zu verstehen, was gerade passierte. Was Tsukasa tat, brachte mich eher noch mehr zum Heulen, denn mir wurde bewusst, dass es irgendwie fast schon schön war, so sehr sehnte ich mich nach einem sanften, wärmenden Kuss, nach der Nähe eines Menschen. Nichts flüchtiges, sondern etwas wahrhaftiges. Das vermisste ich so. Und jetzt war es Tsukasa, der mir das gab... Ich legte die Hand auf seinen Unterarm und wollte eigentlich, dass er mich los ließ, mich nicht mehr berührte. Doch ich konnte nicht. Ich konnte ihn nicht von mir stoßen, und erwischte mich dabei, wie ich den Kuss nach kurzem Zögern auch noch erwiderte. Tsukasa drückte mich gegen die Wand und verlangte nach mehr. Und ich gab nach. Es war mir nicht egal, ich wollte es sogar. Ich wünschte mir, dass er nicht aufhörte, sondern mich weiter küsste und mich berührte. Es war so einfach, das zuzulassen. Keiner von uns verlor ein weiteres Wort. Wir küssten einander hungrig wie frisch Verliebte und ich klammerte mich an ihn, als würde ich ihn schon Jahre kennen und lieben... Es war verwerflich, und dennoch zog ich ihn mit ins Schlafzimmer. Es war mir egal, dass es falsch war. Tsukasa tröstete mich, er war für mich da, er hörte mir zu, er tat all das, was ich so dringend brauchte. Ich war am Ende und dachte nicht mehr über die Moral nach. Ich fühlte mich wohl in Tsukasas Armen. Seine Zunge in meinem Mund, seine Finger auf meiner Haut, ließen mich wieder Wärme im Herzen fühlen. Ich fühlte mich geborgen. Tsukasa hatte mir gerade das Oberteil ausgezogen, als er inne hielt und mich aus großen Augen ansah. "Wir sollten das nicht tun." "Was?" Es war, als würde ich aus einem schönen Traum erwachen. "Zero, es ist nicht richtig. Du hast einen Freund, du bist traurig, und das sollte ich nicht ausnutzen..", sagte er leise und setzte sich auf. Schlagartig wurde mir kalt. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie sehr ich Karyu vermisste. So sehr, dass ich mich sogar in die Arme eines Anderen flüchtete... Tsukasa rutschte an den Bettrand und schwieg. Gehen tat er aber nicht sofort. Ich betrachtete ihn kurz, dann drehte ich mich auf die Seite. Die Nacht war gelaufen. "Wo ist Karyu denn jetzt? Ich meine, wird er nicht bald hier auftauchen?" "Wir wohnen nicht zusammen...", murmelte ich nur und schloss die Augen. Ja, ich war traurig. Und ich war müde, so müde. Es wurde still. "Zero, es tut mir leid, dass ich..." Er unterbrach sich und überlegte, doch wie er fortfuhr, das bemerkte ich schon gar nicht mehr. Ich zog es vor, zu schlafen. Kapitel 3: Von Anrufen im OP und Schäferstündchen im Bereitschaftszimmer ------------------------------------------------------------------------ ================================ 3. Kapitel ================================ "Dr. Matsumura?" Er seufzte und sah kurz von den Gefäßen auf, die er gerade abklemmte. "Ja, schon gut. Gehen Sie bitte ran. Stellen Sie auf Lautsprecher." Wenn Zero um die Zeit anrief, musste es wichtig sein. Zudem sein Freund ja auch wusste, dass er sich noch in einer OP befand. Der Lautsprecher des Handys knackte, während Karyu wieder den Blick auf das Operationsfeld senkte. "Sie kennen mich zwar nicht, aber hören Sie mir gut zu." Karyu runzelte die Stirn. Das war nicht Zero. "Ich hätte heute beinahe mit ihrem Freund geschlafen. Das haben Sie schon richtig verstanden. Er ist furchtbar traurig und er ist unglücklich. Er hat mir erzählt, wie sehr Sie ihn vernachlässigen. Er ist so traurig, dass er sich von mir hat küssen lassen, und das, obwohl er mit Ihnen zusammen ist. Und fast hätten wir Sex gehabt. FAST." Kurz trat Schweigen ein. "Zero ist ein guter Mensch, und er verdient es, dass man ihn genauso gut behandelt. Und das machen Sie zur Zeit nicht. Sie sollten sich um ihn kümmern und ihm einmal zuhören. Seien Sie für ihn da. Denn wenn es ein nächstes Mal gibt, dass ich ihn trösten muss, dann schlafe ich wirklich mit ihm. Noch mal höre ich nicht auf, um Ihnen beiden eine Chance zur Rettung Ihrer Beziehung zu geben. Ich hoffe, das haben Sie verstanden." Und schon tutete es, der Mann hatte aufgelegt, ohne dass Karyu etwas hätte erwidern können. Es war sehr still im Operationssaal geworden. Karyu senkte den Kopf. "Hmm...danke..", murmelte er nur zur Schwester, die das Handy bediente, und klemmte die Gefäße ab, um mit der OP fortzufahren. "Kauter bitte." Die Schwester räusperte sich und überreichte ihm das Instrument. Das war ein unerwarteter Anruf gewesen. =================================== ZERO =================================== Als ich frühmorgens durch meinen Wecker aufwachte, fühlte ich mich wie erschlagen. Doch in dem Wissen, für die Arbeit rechtzeitig aufstehen zu müssen, richtete ich mich blinzelnd auf. Warum fühlte ich mich so schlecht? Ich brauchte nicht lange zu überlegen, glaubte aber zuerst, dass es ein Traum gewesen war - ich hatte mich von Tsukasa küssen lassen? Er war bei mir gewesen...wir hatten rumgemacht, aber dann hatte er aufgehört. War das wirklich passiert? Es sah mir überhaupt nicht ähnlich, so etwas zu tun... Ich schämte mich und beschloss, dass es bestimmt nur ein Alptraum gewesen war. Ich war betrunken gewesen, dann konnten einen schon mal Halluzinationen einholen. Das war total logisch. Kaum dass ich den Verlag und meine Abteilung betreten hatte, wurde mir bewusst, dass ich mir gar nichts eingebildet hatte. Tsukasa warf mir durch die Fenster seines Büros lange Blicke zu und stand schließlich auf, als wolle er zu mir kommen und mit mir reden. Lautlos seufzend ging ich zu meinem Arbeitsplatz und schloss die Tür, in der Hoffnung, dass er die Geste verstehen würde. Offenbar tat er das auch, denn er betrat mein Büro nicht. Erst, als ich mich hinaus auf den Gang wagte, um mir einen Kaffee zu holen, lief ich ihm über den Weg. Ob absichtlich oder unabsichtlich, wusste ich nicht. "Hi. Wie geht es dir?", wollte er leise wissen, während er sich nebenbei ebenfalls mit dem Kaffeeautomaten beschäftigte. Ich zögerte einen Moment und senkte den Blick. Ich schämte mich. "Gut. Alles gut." "Bist du dir sicher?" Er seufzte und sah sich unauffällig um. "Es tut mir leid. Das was gestern passiert ist. Das war.... Das hätte nicht passieren dürfen. Ich hätte dich schon in der Bar in Ruhe lassen sollen, dann wäre das nicht passiert. Ich hab mich nur...so allein gefühlt." Er sah mich an. "Wollen wir den Abend lieber vergessen?" Ich zuckte mit den Schultern. "Mir tut es auch leid... Und...wahrscheinlich ist es wirklich besser, das Ganze zu vergessen", erwiderte ich leise. Er war mein Vorgesetzter, ich war vergeben, und wir hatten rumgemacht! Schlimmer, peinlicher und unpassender hätte der Abend nicht laufen können. "Okay." Tsukasa nickte und nahm seinen Becher Kaffee. "Wir sehen uns in 3 Stunden zur Besprechung." "Mh-hmm", machte ich nur und sah ihm hinterher. Ich hatte keine Ahnung, ob er sauer war. Oder enttäuscht. Oder ob er wirklich ohne weitere Gedanken einverstanden mit der Entscheidung war, dass wir besser taten, als wäre nichts passiert. Als ich ins Büro zurück kehrte und einen Blick auf das Handy warf, staunte ich nicht schlecht. Eine Nachricht von Karyu. »Hi, ich hoffe du bist mir nicht mehr allzu böse wegen gestern. Es tut mir wirklich furchtbar leid, dass es anders gelaufen ist als geplant. Wir sollten reden.« Nachdenklich betrachtete ich das Geschriebene. »Ja, das sollten wir. Ich komme besser ins Krankenhaus, sonst klappt die Verabredung wohl wieder nicht.« Ich klang so frustriert, wie ich mich fühlte. Auch wenn ich mich für das schämte, was ich getan hatte, so hatte sich nichts an meinen Gefühlen geändert. Eine Antwort bekam ich nicht, aber die war sowieso nicht wirklich nötig. Eine Zeit auszumachen, war unsinnig. Er konnte jederzeit in den OP gerufen werden... Die Besprechung verlief glücklicherweise ganz normal wie alle anderen davor auch. Tsukasa hatte sich mir gegenüber nicht verändert, zum Glück. Er war nicht netter, er war nicht strenger. Wir konnten uns ganz normal ansehen, ohne rot zu werden oder peinlich berührt weg zu schauen. Ich war erleichtert. Wenigstens das klappte. Am frühen Abend hatte ich Schluss und machte mich gleich auf den Weg ins Krankenhaus. Ich informierte Karyu per SMS. Vielleicht versuchte er wenigstens, sich die nächste Stunde irgendwie freizuschaufeln und Aufgaben oder Patienten abzugeben. Ich hatte wenig Lust, stundenlang darauf zu warten, dass er mal Zeit für mich hatte. Im Krankenhaus langweilte ich mich zu Tode. Mit einem mulmigen Gefühl betrat ich das Gebäude. Als ich nach Karyu fragte, wurde ich gleich zum Wartebereich weiter geleitet - er war bereits da und stand auf, als er mich sah. "Hey..." Ich umarmte ihn. "Hi... Du bist ja schon verfügbar." Er lächelte leicht. "Ja, ich wollte dich gleich sehen und nicht wieder warten lassen." Er sah sich kurz um. "Komm mit, wir suchen uns besser ein ruhiges Plätzchen, wo wir allein sind, ja?" Ich nickte und folgte ihm ein paar Gänge und ein Stockwerk hoch. Er brachte mich in ein Bereitschaftszimmer, schloss die Tür hinter uns ab. Wir schwiegen. Ich setzte mich auf ein Bett und starrte ins Leere. Er seufzte leise, während er seinen weißen Kittel ablegte. Das blaue Shirt darunter gefiel mir sowieso besser. "Es läuft nicht besonders gut, oder?", sagte er schließlich leise. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, nicht besonders gut." Ich starrte auf meine Schuhe. Sollte ich ihm von Tsukasa erzählen? "Ich vermisse dich. Ich sehe dich kaum... Und wenn, dann meckerst du..." "Ich mecker nicht", widersprach er und sah mich verständnislos an. "Ich bin dir doch zu dünn und wer weiß was noch alles." "Ach Zero, nimm dir das nicht so zu Herzen. Das war keine Kritik und ich hab es nicht böse gemeint." Er machte eine kurze Pause und setzte sich dann neben mich. "Um ehrlich zu sein....mir ist bewusst, dass wir uns selten sehen und ich weiß, dass dir das nicht gut tut. Du bist meinetwegen hergezogen... Ich weiß, dass du nicht gern allein bist. Das bin ich auch nicht. Und trotzdem ist es, wie es ist. Daher mache ich mir Sorgen um dich. Mehr hatte das letztens nicht zu bedeuten." Er schaute mich an. "Glaubst du mir das?" Ich nickte langsam. "Ja, ok...tut mir leid, ich hab überreagiert." "Ich hätte es gar nicht erst sagen sollen. Ich vertraue dir und weiß, dass du auf dich aufpasst." Ich nagte an meiner Unterlippe. Er vertraute mir? Und was hatte ich getan? Langsam hob ich den Blick in seine warmen Augen und schluckte. "Ich muss dir was erzählen. Gestern..." Er atmete hörbar aus und schüttelte den Kopf. "Sag nichts. Ich weiß, was passiert ist. Derjenige hat es mir erzählt." Ich erstarrte und spürte mein Herz heftiger klopfen. "Wie bitte?" Wie ging denn das? Er seufzte. "Ich hab gestern Nacht einen Anruf bekommen. Er sagte nicht, wer er war, aber er hat mir gesagt, was passiert ist. Das hab ich als Anlass genommen, mit dir zu reden. Dir geht's nicht gut, das hab ich jetzt verstanden." Er schien nicht böse zu sein. Oder riss er sich nur zusammen? "Er hat dich also angerufen?" Hatte Tsukasa also in meinem Handy gewühlt?! "Keine Ahnung, warum er das gemacht hat..." "Wer war das denn?", wollte Karyu wissen. Ich strich mir über den Arm. "Mein Chef..." Ich sah Karyu vorsichtig an. "Aber das...wir haben das geklärt, es war falsch und es ist auch nichts passiert. Wir halten uns wieder voneinander fern. Das glaubst du mir doch?" Karyu betrachtete mich lange, dann nickte er langsam. "Ja. ...hör zu, wir können das ad acta legen, aber wir sollten das zum Anlass nehmen, um etwas zu verändern. Ich will, dass es dir besser geht. Ich will, dass wir beide wieder glücklich sind, ok?" Ich nickte, während mir warm ums Herz wurde. Karyu sagte nichts weiter, sondern nahm mich nur in die Arme. Ich fühlte mich schon um einiges leichter. Ein Stein fiel mir vom Herzen - er war mir nicht böse, auch wenn er Bescheid wusste, und er wollte etwas ändern. Das war gut, sehr gut. Ich hätte am liebsten geweint, weil mir einige Sorgen genommen wurden. Fest umarmte Karyu mich und ich hob die Arme, um auch ihn an mich zu drücken. Es tat so gut. "Ich liebe dich", wisperte ich, woraufhin er sich etwas zurück lehnte und mir lächelnd einen Kuss auf die Lippen drückte. "Ich liebe dich auch", versicherte er mir und küsste mich erneut. Ich umfasste sein Gesicht mit den Händen und erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Es tat gut, wieder an seinen weichen, vollen Lippen zu hängen. Nach kurzem drückte Karyu mich sanft nieder auf das Bett und sah mir in die Augen, schmunzelte leicht. "Also...wäre es sehr unromantisch, wenn ich dich jetzt um einen Quickie bitten würde? Ich hab dich so vermisst...", murmelte er gegen meine Lippen. Ich brauchte nicht lange nachdenken und nickte. Ich hatte ihn ja auch sehr vermisst. Dankbar erwiderte er meinen Blick und griff mit den Händen nach meiner Hose, während er mir den nächsten gierigen Kuss auf die Lippen drückte. Er zog mir den Stoff von den Beinen und ich machte mich daran, ihn aus seinen Arztklamotten zu zerren. Wenn ich die Wahl hatte, war er mir nackt lieber als in dieser blau-weißen Kleidung. Hier im Krankenhaus hatten wir bisher nur ein Mal miteinander geschlafen - ich fand das nicht besonders romantisch oder ansprechend. Aber wie hieß es so schön? Ausnahmen bestätigten die Regel. Ich konnte mich in dem ein oder anderen Fall durchaus dazu bereit erklären, es auch in dem Bereitschaftszimmer zu tun. Leise stöhnend presste ich Karyu an mich und schloss die Augen. Die warme Haut unter meinen Fingern war angenehm glatt und weich. Ich genoss das Gefühl, dass sein Körper auf meinem auslöste und grub die Fingernägel in Karyus Schultern, als er meinen Hals mit seinem Mund liebkoste. Die Lippen, die sanften Bisse seiner Zähne lösten ein wohliges Flattern in meinem Inneren aus. Karyu setzte einen Kuss auf mein Schlüsselbein und brummte leise. "Ich würde mir jetzt so gerne Zeit für jeden sündigen Zentimeter deiner Körpers nehmen..", murmelte er gegen meine Haut, der heiße Atem löste darauf eine angenehme Gänsehaut aus. Ich seufzte leise. "Das musst du dir dann wohl für das nächste Mal aufheben", erwiderte ich nur, woraufhin er nickte und den Kopf hob, um mich entschuldigend anzusehen. Aber ich lächelte beruhigend und gab ihm einen langen Kuss. "Sonst wird das hier kein Quickie." "Richtig", meinte er schmunzelnd und machte sich daran, mich für unser kurzes Intermezzo vorzubereiten. Während ich die Augen schloss und tief durchtatmete, betete ich inständig dafür, dass weder Karyus Pieper sich melden noch jemand versuchen würde, das Bereitschaftszimmer zu betreten. Dann wäre das bisschen Romantik, das ich mir einbilden konnte, auch noch dahin. Aber nichts geschah. Es blieb ruhig, und außer mein Keuchen, als Karyu sich langsam in mich drängte, war nichts hören. Ich schlang die Beine um seine Hüfte und krallte stöhnend die Finger in seine Schultern, da er sich bereits in mir bewegte, ohne mir einen Moment zu geben. Aber damit konnte ich leben. Sobald Karyus weiche Lippen auf meine trafen, war der Schmerz so gut wie vergessen. Gierig erwiderte ich den Kuss, während ich mich Karyu entgegen bewegte. Seine Haare kitzelten über meine Wange, doch viel präsenter war seine glatte, warme Haut unter meinen Fingern. Ich genoss das Gefühl, den kräftigen Körper endlich wieder zwischen meinen Schenkeln zu haben. Ich schlang die Beine fester um seine Hüfte, versuchte Karyu bei jedem weiteren Stoß tiefer in mich zu schieben. Irgendwann atmeten wir beide viel zu schwer, als dass wir den Kuss noch länger aufrecht halten konnten. Karyu löste sich von meinen Lippen und richtete sich etwas auf, seine Bewegungen wurden fahriger. Stöhnend drückte ich den Rücken durch und krallte die Hände ins Kissen. Ich schloss genießend die Augen und wand mich unruhig auf dem Laken. Die bittersüße Hitze in meinem Inneren wurde sehr schnell unerträglich gut, und sobald er sich nur noch ruckartig in mir versenkte, war es so gut wie um mich geschehen. Ich hob die Hand zwischen uns, aber unvermittelt schob Karyu sie beiseite und griff selbst nach meinem Glied, um es zu massieren. Ich biss mir auf die Unterlippe, konnte aber ein lustvolles Stöhnen nicht zurück halten. Das hatte man dann mit Sicherheit auch außerhalb dieses Zimmers gehört. Es dauerte nur noch wenige Sekunden, nur noch ein paar Stöße, bis ich meinen Höhepunkt erreichte und mit einem erneuten Stöhnen in Karyus Hand kam. Schwer keuchend sank ich zurück in die Kissen und genoss die abklingenden Wellen des Orgasmus. Schnell konzentrierte ich mich aber wieder auf Karyu, fing seine vom Küssen leicht geschwollene Lippen ein und küsste ihn verlangend. Mehr schlecht als recht konnte er sich darauf konzentrieren, keuchte heiß in den Kuss hinein. Mit einem erregten Stöhnen unterbrach er diesen schließlich, als meine Hände in Richtung seines Pos wanderten und ich ihn erneut etwas tiefer in mich sinken ließ bei jedem kraftvollen Stoß, den er tat. Und schon kam auch Karyu und ergoss sich mit ein paar letzten Bewegungen in mir, bevor er über mir zusammen sackte. Ich drückte ihn an mich, während ich die Beine um seine Hüfte löste und die Augen wieder schloss, um zu entspannen. Es war ein Wunder, dass sein Pieper nicht losging und unsere unregelmäßige Atmung übertönte. Langsam hob er den Kopf und fing meine Lippen ein, küsste mich sanft. Ich erwiderte den Kuss leise schnurrend, während ich ihm durch die schwarzen Haare strich. "Ich liebe dich", hauchte ich gegen seine Lippen, weswegen er mich anlächelte. "Und ich dich erst", meinte er glücklich, doch der romantische Moment wurde von einem nervtötenden Piepen gestört. Ich seufzte. Immerhin ging er erst jetzt los. "Tut mir sehr leid...", sagte Karyu leise, drückte mir noch einen Kuss auf die Lippen, bevor er sich aufrichtete. Hastig begann er sich anzuziehen. Ich winkte leicht ab und setzte mich auf. "Meine Schicht geht noch ein paar Stunden. Du willst bestimmt nicht warten?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich wüsste nicht, was ich hier so lange machen soll...", erwiderte ich leise und begann, meine Kleidung aufzusammeln. Karyu nickte und glättete seine Kleidung. "Ok, in Ordnung." Er hielt mir eine Hand hin, doch ich schüttelte den Kopf. "Geh ruhig vor, ich ziehe mich erstmal in Ruhe an." "Na schön...ich ruf dich an, ja?" Ich nickte und ließ mir einen weiteren Kuss geben, dann drückte er mir noch einen auf die Stirn und verließ das Bereitschaftszimmer. Nachdenklich blieb ich zurück. Nach dem Gespräch hatte ich mich eigentlich besser gefühlt, aber jetzt, wo Karyu weg und ich wieder alleine war, schwand meine Zuversicht langsam. Mit einem weiteren Seufzen zog ich mich an und verschwand rasch aus dem Krankenhaus. Ich mochte diesen Ort nicht sonderlich. Auch wenn es freundlich eingerichtet war, so war es für mich nur Karyus Arbeitsplatz - einer, welcher ihn Tag und Nacht in Beschlag hielt. Kapitel 4: Von einem nervigen Barkeeper, einer Katze, die überall hinmacht und einem Chef, der einen zur Weißglut treibt ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ ======================================= 4. Kapitel ======================================= Mit leerem Blick starrte ich in mein halbleeres Glas Pflaumenwein. Ich hatte bereits meine zweite Attacke Schluckauf hinter mir. Nach der ersten hatte ich mich von der Theke der Bar nach hinten in eine Ecke verzogen. So viel Verstand hatte ich noch gehabt, damit mich keiner bei meinem Absturz sehen konnte. Ich war immer ein ruhiger Betrunkener. Nur wenn ich Schluckauf bekam, konnte man mich unter Umständen hören. Über ein Monat war vergangen, aber nichts hatte sich geändert. Karyu und ich, wir waren uns zwar einig gewesen, dass sich etwas ändern musste, aber wir hatten nie darüber gesprochen, wie das konkret aussehen sollte. Und es war nichts passiert. Karyu hatte viel um die Ohren, wahrscheinlich hatte er vergessen, worüber wir geredet hatten. Oder er fand einfach nicht die Zeit, um sich Gedanken zu machen. Und ich sah ihn ja kaum, da er ständig im Krankenhaus war. Die Möglichkeiten, mit ihm darüber zu reden, waren begrenzt. Wenn ich mal bei ihm war, jammerte er nur über seinen Job und seine Patienten, darüber, wie müde er war. Und wenn ich anfing, über Veränderungen zu sprechen, nickte er immer nur und murmelte Zustimmendes, aber er hatte nicht wirklich ein Ohr für meine Belange. Ich hatte wieder mit dem Trinken angefangen. Seit ich umgezogen war, hatte ich Alkohol nur in Maßen angefasst, aber jetzt war mir wieder danach. Es war deprimierend. Was machte ich hier eigentlich? Ich leerte den Drink und bestellte an der Theke einen weiteren. Als ich wieder an meinem Platz saß, warf ich einen Blick auf die Uhr. Es war schon Mitternacht. In einer Stunde musste ich spätestens gehen. Hoffentlich würde ich das nicht vergessen. Ich sah auf, da sich plötzlich Hizumi zu mir setzte. Er trocknete sich die Hände flüchtig an seiner Schürze ab und sah mich schon so frech an. "Na du Trinker." "Klappe", murrte ich und drehte das Glas in meinen Händen hin und her. "Hey, schlechte Laune? Trinkst du deswegen so viel?" Ich schwieg nur. "Meistens gehst du zusammen mit deinen Kollegen, aber in den letzten Tagen bleibst du immer viel länger als sie, um dich dann volllaufen zu lassen." "Willst du auf irgendwas Bestimmtes hinaus?", wollte ich mürrisch wissen, woraufhin er mich angrinste. "Ja, schon. Was ist denn passiert bei dir? Hat dich dein Arzt verlassen?" Ich rollte mit den Augen und schwieg. Lieber nahm ich das Glas um daraus zu trinken. Mit einem leisen Klirren stellte ich es ab und senkte den Blick. "Der kann mich gar nicht verlassen, das hat er schon vor einem Jahr gemacht", brubbelte ich bissig. Fragend sah Hizumi mich und lehnte sich zurück. "Wie, du bist schon ein Jahr allein? Das hast du uns gar nicht erzählt." "Geht euch auch nichts an", erwiderte ich genervt. "Ich bin allein, seit ich hierher gezogen bin. Es war eine Illusion, als ich dachte, ich hätte einen Freund. 'Gemeinsam einsam' nenne ich meinen derzeitigen Beziehungsstatus." Verwirrt hob Hizumi die Augenbrauen. "Man, was geht denn nun bei dir ab? Ist dein Arzt nun weg oder nicht?" Stöhnend leerte ich meinen Drink. "Kann dir doch total egal sein. Geh nach Hause zu deiner Schnecke anstatt mich zu belästigen." "Welche Schnecke?" "Na diese heiße Sahneschnitte, die sich dir am Valentinstag um den Hals geworfen hat", erinnerte ich ihn. Er grinste. "Ach ja, die. Das war mein Date. Echt scharf." Das Grinsen fiel von seinen Lippen. "Aber es ist nicht viel gelaufen. Sie war hübsch, doch das war's auch." Er zuckte mit den Schultern, während ich die Augenbrauen hoch zog. "Willst du mir sagen, dass dir Schönheit nicht ausreicht?" Er erwiderte meinen Blick. "Du glaubst, ich geb mich mit dummen Hühnern zufrieden, solange sie nur gut aussehen?" Er schüttelte leicht grinsend den Kopf. "Wow, du musst echt ein schlechtes Bild von mir haben." Ich schnaubte. "Klar, du hast ja auch nur fiese Sprüche für mich übrig." Zu meiner Überraschung schwieg er für einen Moment und ich dachte fast, er würde sich mal Gedanken machen, aber dann grinste er schon. "Was soll ich sagen? Du hast doch ein schönes Leben. Jammer nicht so viel." Ich runzelte die Stirn. Was redete er da? Böse sah ich ihn an. "Du hast doch überhaupt keine Ahnung, also halt endlich die Klappe. Wenn ich ein schönes Leben hätte, würde ich bestimmt nicht hier sitzen und mich mit dir unterhalten." Ich leerte mein Glas und stand auf, während er gesenkten Blickes sitzen blieb. Ohne ein weiteres Wort ging ich zur Theke und schmiss dem Barkeeper das Geld hin, bevor ich die Bar gereizt verließ. Dieser Giftzwerg! Der nahm sich echt viel raus. Die Nachtluft war erfrischend, wenn auch kühl. Ich nahm einen tiefen Zug, spürte, wie mein Kopf trotz Alkohol ein wenig klarer wurde. Ich musste wirklich nach Hause und mich schlafen legen. Morgen war ein Arbeitstag. Das lenkte mich immerhin ab und ich hatte ein bisschen Kontakt zu netten Menschen. Was mein Leben anging, so befand ich mich in einer Sackgasse. Mein Job war ganz gut, aber ich wollte dennoch nicht die nächsten 40 Jahre in dem Verlag arbeiten. Irgendwann würde ich eine Veränderung brauchen. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Dann war da mein magerer Freundeskreis - der war so mager, dass ich nicht mal jemanden hatte, mit dem ich über Karyu sprechen konnte. Und Karyu selbst, der war ja mein größtes Problem. Die Beziehung, die wir führten, war hinfällig. Wir sahen uns kaum. Das war nicht das, was ich wollte und ich hatte gedacht, ihm ginge das auch so. Aber wie man sah, war ihm das total egal. Er hatte seine Patienten im Kopf, nicht mich. Nach wie vor war ich also allein. Ob ich nun hier war oder in Tokyo oder in Miyagi - es machte überhaupt keinen Unterschied, ich war überall allein und führte ein unerfülltes Leben. Mit diesen Gedanken im Kopf war mir sofort wieder nach Trinken zumute. Aber zu Hause angekommen, griff ich nicht nach der nächsten Flasche. Stattdessen blieb ich im Flur stehen und lehnte mich gegen die Wohnungstür, während die Katze mich von unten her erwartungsvoll ansah. Sie wollte gestreichelt werden, aber ich dachte noch immer nach. Übertrieb ich? War ich zu empfindlich? Sah ich alles viel zu negativ? Eigentlich führte ich doch ein gutes Leben. Ich hatte einen schönen Job, hatte einen freundlichen Kollegenkreis, ich konnte eine liebenswerte Katze halten und ich hatte einen Freund - zumindest irgendwie. Ab und an sah ich ihn mal. Wir redeten ein bisschen. Aber mehr über ihn und sein Leben als über mich. Also hatte ich nur irgendwie einen Freund. Aber besser als gar keinen, oder nicht? Vielleicht sollte ich aufhören zu jammern. Ich sollte mich zusammen reißen und einfach glücklich sein. Es könnte ja alles viel schlechter laufen! ========================================================= Als ich am nächsten Morgen zu mir kam, war es nicht mein Wecker, der klingelte. Ich roch etwas. Und es war kein angenehmer Duft. Ich verzog das Gesicht und setzte mich auf. Was war denn hier los? Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr morgens. Ich seufzte gequält und stand langsam auf. Ich musste rausfinden, was hier so müffelte, sonst könnte ich nicht weiterschlafen. Kurz sah ich mich im Schlafzimmer um, aber ich entdeckte nichts Außergewöhnliches, weswegen ich in den Flur ging - und da schon die Bescherung sah. "Oh nein..." Ich starrte auf etwas am Boden, von dem ich nicht ganz wusste, ob es ein Häufchen oder eher ein Pfützchen war. Auf jeden Fall sah es nicht gesund aus. Hatte die Katze sich übergeben, oder war es Durchfall? Ich blinzelte und rief nach Amaya. Langsam umging ich das Häufchen und sah mich nach der Kleinen um. Sie schaute im Wohnzimmer hinter der Couch hervor, ganz so, als wüsste sie, dass sie etwas Falsches getan hatte. "Kleines, komm her. Es ist alles gut. Ich bin nicht böse", sprach ich mit sanfter Stimme, während ich vorsichtig auf sie zuging, doch sie wich zurück. Ok, die Katze konnte ich erst später begutachten. Seufzend ging ich in die Küche, befeuchtete einen Lappen und nahm mir Küchenpapier, um die Sauerei zu entfernen. Beim Aufwischen war ich mir schließlich sicher, dass sie Durchfall hatte. Vielleicht hatte sie es nicht mehr halten können? Ich schüttelte den Kopf, machte alles sauber und wusch mir abschließend die Hände. Ich hoffte inständig, dass das eine einmalige Sache war. Bevor ich zur Arbeit ging, schaute ich mir die Katze genauer an, aber ich entdeckte nichts und mir erschien sie putzmunter wie sonst auch zu sein. Das beruhigte mich ein wenig und ich konnte das Haus verlassen, ohne mir zu viele Sorgen zu machen. Das würde schon wieder werden. Aber der Morgen hätte wirklich schöner anfangen können. Im Verlag ertrank ich in Aufgaben. An diesem Tag kam zu viel zusammen. In meinem Büro stand ein Karton voller englischer Bücher, von denen ich eine Kurzzusammenfassung auf Japanisch anfertigen sollte - natürlich musste das noch heute erledigt werden. Am Mittag sollte ein Schriftsteller unseren Verlag besuchen kommen, der mit Tsukasa über mögliche Erstveröffentlichungen seiner nächsten Romane sprechen wollte. Es sah sehr gut für den Autor aus. Es war ein Amerikaner, der seit vier Jahren hier in Japan lebte. Er veröffentlichte auf Englisch, und meine Aufgabe würde es heute sein, dem Gespräch beizuwohnen und bei Problemen zu dolmetschen. Sollte er hier unter Vertrag kommen, würde ich seine Erscheinungen übersetzen. Zusätzlich überhäuften mich meine Kollegen mit Kleinigkeiten, die sie selbst nicht hinbekamen oder wozu sie keine Lust hatten. Natürlich war ich hier der Depp, der alles erledigen musste, schließlich arbeitete ich hier noch nicht mal ein Jahr und war immer noch der Fußabtreter für alle. Bisher hatte es mich kaum gestört, weil ich die Zeit für sowas hatte, aber nun saßen mir eben auch mal wichtige Dinge im Nacken. Nur interessierte das keinen und das erstaunte mich dann doch. Ich hatte gehofft, dass sie mir wenigstens heute den Rücken freihalten würden, wenn ich ihnen erklärte, was ich alles zu tun hatte. Gestresst lief ich durch die Gänge und kam nur ab und an zu meinen Zusammenfassungen. Heute würde ich bestimmt nicht alle schaffen - außer ich würde eine Nachtschicht einlegen, aber das ging nun wirklich nicht, schließlich hatte ich eine Katze zu Hause. Im Handumdrehen hatten wir auch schon den 13-Uhr-Termin. Ich war bereits seit Sieben Uhr Dreißig im Verlag, und dennoch hatte ich das Gefühl, bisher nichts geschafft zu haben. "Kommst du? Er wartet bereits in meinem Büro. Bring doch etwas zu trinken mit, ja?", rief Tsukasa mir zu, als er an meinem Büro vorbei kam. Ich nickte nur und unterbrach meine Arbeit an den Zusammenfassungen. Nachdem ich aus der Küche ein Tablett mit Gläsern und eine große Flasche Mineralwasser geholt hatte, brachte ich das in Tsukasas Büro, wo wie angekündigt auch schon der Schriftsteller Platz genommen hatte. Ich stellte das Tablett auf dem großen Tisch ab und begrüßte den Mann - sein Name war David Gordon. Er war mir nicht sonderlich bekannt, aber wenn Tsukasa eine Mitarbeit in Betracht zog, würde er schon talentiert sein. Ich setzte mich dazu und ließ die beiden reden. Gordon konnte Japanisch sprechen, allerdings klang es nicht besonders schön. Zuweilen war es schwierig, ihn zu verstehen, aber aus Höflichkeit kämpfte Tsukasa sich so weit wie möglich durch. Bis der Autor selbst es für besser hielt, auf Englisch umzuschwenken. Ich wachte aus meinen Tagträumen auf und war froh, ein wenig behilflich sein zu können. Es lief ganz gut, soweit ich das beurteilen könnte. "Ach Zero", wandte sich Tsukasa dann leise und wieder auf Japanisch an mich. "Könntest du noch rasch die Zusammenfassungen holen, die du vorhin übersetzt hast? Ich möchte, dass er einen Eindruck von den neueren Büchern bekommt, die wir anbieten werden. Er soll ja wissen, wie er in den Verlag passt. Ich würde gern einige Titel besprechen." Ich runzelte etwas die Stirn. "Die Zusammenfassungen? Du meinst die der Bücher in dem Karton?" Er nickte nur. "Das...das hab ich nicht alles geschafft. Die Zeit war zu knapp." Er bekam für einen Moment große Augen, riss sich aber wegen Gordon zusammen. "Die Zeit war zu knapp?!", zischte er leise. "Du bist doch seit heute früh hier und hattest fünf Stunden Zeit! Das kann doch nicht so schwer sein, diese paar Bücher jeweils auf ein, zwei Seiten zusammen zu fassen. Wie steh ich denn jetzt da?" Er schüttelte den Kopf und ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern. "Ich wusste nicht, dass ich sie für diese Besprechung übersetzen soll! Diese Information hat mir gefehlt, dann hätte ich natürlich rechtzeitig angefangen", stellte ich klar. "Gibt es keinen Ausweg? Er kann das doch lesen." "Ja, toll, aber ich nicht. Ich habe die Liste der zu bestellenden Bücher vor vielen Wochen einmal durchgelesen. Mittlerweile habe ich die ganzen Inhalte total vergessen. Ich brauche eine Gedächtnisstütze, sonst brauche ich mit ihm die Bücher nicht durchzugehen. Und du hast es versäumt, das rechtzeitig zu übersetzen." Er seufzte leise und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Gordon. In ruhigem Tonfall erklärte er ihm, dass wir ihm eine Liste mit Kurzzusammenfassungen der neuesten Werke zukommen lassen würden. Noch seien sie nicht verfügbar und bei Rückfragen stünden wir natürlich zur Verfügung. Auch ich entschuldigte mich, dass wir die Liste nicht rechtzeitig vorlegen konnten. Gordon erschien mir allerdings nicht sonderlich bekümmert oder verärgert zu sein, weswegen ich geneigt war, ein Gefühl der Erleichterung zu verspüren. Aber Tsukasa saß mir ja auch noch im Nacken - er war sauer. Auch wenn ich es für überzogen hielt, zumal mir keiner gesagt hatte, wie dringend das übersetzt werden sollte - nämlich noch am gleichen Tag. Hätte ich gewusst, wie hoch der Druck war, hätte ich mich nicht von meinen Kollegen für Kinkerlitzchen abkommandieren lassen. Genau wie Tsukasa war ich auch sauer. Aber ich durfte ja nicht meckern, im Gegensatz zu ihm. Der Chef war eben er. Nach dem Gespräch, während wir Gordon winkten, sprach er mich an. "Du machst dich sofort daran, die Zusammenfassungen zu machen - auf englisch, damit er was damit anfangen kann. Füge Kommentare bei, warum seine Romane und Kurzgeschichten in das Konzept des Verlags passen." Mir wich das Blut aus dem Gesicht und ich ließ die Hand sinken. Ich hätte mir gern beschwert, aber nachzufragen, ob das wirklich nötig war, würde nichts bringen. Ich fand es überflüssig, diese Zusammenfassungen samt Kommentaren zu schreiben, aber das interessierte ihn nicht. "Bis wann?" "Heute noch. Leg mir das bis 18 Uhr vor." "Und wenn es länger dauert?" Er blickte mich an. "Du hast noch vier Stunden. Nutze sie. Das schaffst du schon. Bei Rückfragen kommst du zu mir. Aber dann ist es wichtig, verstanden?" Ich nickte nur und schaute zerknirscht, während er wieder zurück in sein Büro ging. Man, was war denn heute mit dem los?! Er behandelte mich genauso herablassend wie die Anderen es heute getan hatten... Gereizt holte ich mir einen frischen, heißen Kaffee am Automaten, bevor ich mich in mein Büro verzog und von allen acht Büchern Zusammenfassungen auf Englisch samt Kommentaren anfertigte. Teilweise war mir nicht ersichtlich, wie die ein oder andere Geschichte zu jenen von Gordon passen sollten. Ich sog mir etwas aus den Fingern, beschrieb alles knapp und vage, damit Interpretationsspielraum entstand. So waren Tsukasa und Gordon hoffentlich halbwegs zufrieden und ich hatte meine Ruhe... Gegen Ende musste ich mich immer mehr beeilen und mir schnell etwas ausdenken, damit ich die Frist würde einhalten können. Ich war sehr gespannt, ob Tsukasa sich beschweren würde - bei seiner Laune ja schon. Aber so weit ich wusste, machte er zumeist um 18 Uhr Feierabend. Ob er das noch lesen würde? Aber wenn nicht, wäre es ja umsonst gewesen, dass ich mich beeilte... Ich beschloss, es nicht wissen zu wollen. Kurz vor Sechs stand ich in seinem Büro und legte ihm alles vor. Ich hätte schon seit einer halben Stunde auf dem Nachhauseweg sein sollen. "Gut, danke. Dann erledige bitte noch deine restlichen Aufgaben, die liegen geblieben sind." Er sah kurz zu mir auf, als ich stehen blieb und nichts tat, statt das Büro zu verlassen. "Ist noch was?" Ich atmete durch. War das sein Ernst? Kurz nagte ich an meiner Unterlippe, während ich überlegte, ob ich mich beschweren sollte. Eigentlich wollte ich es nicht tun, aber dann dachte ich daran, wie mich heute einfach jeder herum schubste. "Ich hab schon seit einer halben Stunde Feierabend", erinnerte ich ihn schließlich leise, woraufhin er eine Augenbraue hob. "Das mag ja sein, aber hast du heute überhaupt irgendwas geschafft?" "Ich hab das Gespräch übersetzt und dir diese Zusammenfassungen gemacht." "Die du zu spät fertig gestellt hast", wandte er ein. "Ja, und ansonsten? Deine täglichen Aufgaben sollten sich nicht zu einem Berg anhäufen, also mach das jetzt noch. Die Post ist auch liegen geblieben, weil Nakamura krank ist. Du bist seine Vertretung in dem Fall." Ich unterdrückte ein Murren. "Jeder hat heute seine Aufgaben auf mir abgeladen. Natürlich komme ich da nicht zu meinen eigenen. Ich war heute nicht untätig, ganz im Gegenteil." Er seufzte leise. "Die Post muss verteilt werden. Heute noch. Also ab. Und das Email-Postfach ist voll. Wenigstens diese beiden Dinge solltest du erledigen. Dann bleibst du heute eben ein wenig länger. Beeil dich halt, wenn du es so eilig hast, nach Hause zu gehen." Er stand auf und griff nach seinem Mantel. "Ich muss los. Du schaffst das ja sicher ohne mich." Er warf mir einen kurzen Blick zu, der signalisierte, dass ich verschwinden sollte. Ich sah ihn finster an, damit er merkte, was ich von all dem hielt, dann verließ ich das Büro ohne mich zu verabschieden. Das hatte er eh nicht verdient. Dieses engstirnige Arschloch. Warum behandelte er mich in den letzten Tagen und Wochen wie Dreck? Das war ja nicht zum Aushalten. So lange war alles gut zwischen uns gewesen, auch nach diesem peinlichen Zwischenfall am Valentinstag.... Ich verstand nicht, wieso er nun anders war. Ich hatte mich nicht anders als sonst verhalten. Zähneknirschend setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch und begann mit der Beantwortung der wichtigsten Emails. Alle würde ich mir heute sicher nicht mehr vornehmen. Ein bisschen Stolz hatte ich und ich würde Tsukasa spüren lassen, dass ich nicht alles mit mir machen ließ. Danach ging ich hinunter in die Postabteilung und holte einen kleinen Packen ab. Zum Glück dauerte das nicht allzu lange, alle Büros mit den Briefen und Päckchen zu versorgen. Dann war es schon 20 Uhr und ich machte mich mit Freuden auf nach Hause. Eigentlich hatte ich noch einkaufen gehen wollen, aber jetzt hatte der Supermarkt schon zugemacht. Glücklicherweise hatte ich noch etwas zu essen, aber das wurde nun wirklich knapp. Es war eigentlich das, was für den nächsten Arbeitstag vorhergesehen gewesen war. Morgen früh musste ich also im Konbini vorbei gehen. Unterwegs warf ich einen Blick auf das Handy. Karyu hatte sich heute noch nicht gemeldet. Ich mich bei ihm zwar auch nicht, aber das sah ich auch gar nicht mehr ein. In den letzten Tagen war ich immer derjenige gewesen, der ihn angerufen oder ihm eine Nachricht geschickt hatte. Von ihm aus kam gar nichts. Das einzige, was er tat, war mich aus dem Bett zu klingeln, wenn er mal um Mitternacht Feierabend hatte machen können. Dann kam er hoch zu mir, nur um fünf Minuten später auf meiner Couch oder in meinem Bett einzuschlafen. Wahnsinn. Einzig er schien unsere Beziehung nicht zu hinterfragen. Aber dazu hatte er sicher auch keine Zeit. Irgendwas war ja immer im Krankenhaus los, was ihn dann beschäftigte. Sobald ich die Tür meiner Wohnung öffnete, kam ich aber auf andere Gedanken. Es stank. Und zwar nach Katze. Nach Ausscheidungen einer Katze. Ich verzog das Gesicht. Es stimmte was nicht. Wäre das nämlich im Katzenklo gelandet, würde es nicht so stinken. Nachdenklich sah ich mich um Flur um, nachdem ich meine Sachen abgestellt hatte. Ich sah nichts, weswegen ich ins Bad ging - VOR dem Katzenklo lag wieder etwas, das eine Mischung aus Häufchen und Pfützchen war. Oh man. Als nächstes ging ich ins Wohnzimmer und suchte es ab: ich entdeckte an zwei Stellen Erbrochenes. Super. In der Küche fand ich es auch. Das war nicht zu fassen. Die Katze entdecke ich auf dem Boden liegend. Sie blinzelte mich verschlafen von ihrem Liegekissen aus an. Ich kraulte sie kurz und machte mich dann daran, alles sauber zu machen. Danach öffnete ich ein paar Fenster, damit frische Luft reinkam. Ich machte mir ernsthaft Sorgen um die Katze. Das war wirklich nicht normal, dass sie überall hin machte. Ob sie krank war? Natürlich hatte die Tierarztpraxis schon geschlossen. Ich musste bis morgen warten, bevor anrufen konnte. Die Katze im Auge behaltend schaute ich später im Internet nach, was das sein konnte. Sie hatte ja offensichtlich Magen-Darm-Probleme. Hoffentlich nichts Ernstes und Langwieriges. Noch während ich nachschaute, hörte ich komische Geräusche. Als ich den Kopf hob, hatte Amaya auch schon vor das Liegekissen gekotzt. Ob das die restliche Nacht noch so gehen würde? Ich gab ihr lieber kein Extra-Futter heute. Nachdem die Sauerei weg gewischt war, frischte ich ihr Wasser auf und streichelte sie ausgiebig, dann legte ich mich ins Bett. Kurz entschlossen schrieb ich Karyu eine Nachricht und erzählte ihm von den Katzen-Problemen. Vielleicht wusste er einen Rat. Dieser Tag war einfach furchtbar gewesen. ================================== Am nächsten Morgen hatte ich natürlich keine Antwort von Karyu erhalten. Nicht einmal das bekam er noch hin. Ich schüttelte bloß den Kopf darüber und stand auf. Heute durfte ich mich ja weiter anpatzen lassen von Tsukasa. Wobei ich mir vornahm, diesmal alles besser zu machen. Nicht, dass wieder so etwas wie gestern passierte...aber das konnte ich wohl nicht komplett verhindern, schließlich waren mir Informationen vorenthalten worden, und das war bestimmt nicht das letzte Mal gewesen. Heute würde ich mir auch nicht alle möglichen Aufgaben von den Anderen aufhalsen lassen. Es war Zeit, sich zu wehren. Im schlimmsten Fall würden die sich bei Tsukasa beschweren und der...würde der mich rausschmeißen? Eigentlich waren wir ja sowas wie Freunde. Gewesen. Ich seufzte. Da hatte ich zwei Männer in meinem Umfeld, die irgendwie ein Problem mit mir hatten. Oder ich mit ihnen. Nachdem ich mir einen Kaffee in meiner - erneut stinkenden - Küche aufgebrüht hatte, machte ich mich daran, die neuerliche Sauerei in der Wohnung zu entfernen. Die Katze schlief geschafft auf ihrem Kratzbaum. Es ging ihr nicht besser. Beim Tierarzt konnte ich aber erst auf Arbeit anrufen, da er noch geschlossen hatte und erst vormittags öffnete. Es gefiel mir gar nicht, Amaya jetzt alleine zu lassen. Aber ich konnte es vergessen, früher Schluss machen zu können. Ich konnte Tsukasa zwar fragen, aber ich machte mir keine Hoffnungen, dass er mir zwei, drei Stunden erließ. Außer, er war heute besser gelaunt als die letzten Tage. Trotz aller Zweifel, die ich hatte, klopfte ich an Tsukasas Tür an und trat ein. "Guten Morgen", begrüßte ich ihn, während er mich vom Schreibtisch aus ansah. "Morgen. Was gibt's?" Ich seufzte lautlos. "Um ehrlich zu sein, geht es um meine Katze. Sie ist krank. Ich muss mit ihr zum Tierarzt, so schnell es geht. Wenn es nicht allzu viele Umstände macht, würde ich heute gerne ein wenig früher gehen." Tsukasa blinzelte mich an. "Nein, das geht nicht. Das kannst du vergessen, tut mir leid." Mein Herz rutschte mir in die Hose. "Wenn sie vier Stunden alleine durchhält, dann schafft sie auch acht Stunden oder mehr. Gehst du eben morgen mit ihr zum Tierarzt." Mein Auge zuckte, aber ich riss mich zusammen, nicht missbilligend die Stirn zu runzeln. "Es geht ihr wirklich schlecht! Sie kotzt und kackt mir die ganze Wohnung voll, immer wieder!" Tsukasa schien zusammen zu zucken. Ich sah irgendeine Regung in seinem Gesicht, aber deuten konnte ich es nicht, dazu war alles zu schnell wieder vorbei. "Es geht nicht, Zero. Ich kann dich nicht früher gehen lassen." Meine Hände ballten sich zu Fäusten, ohne dass ich es verhindern konnte. Ich war kurz davor, ihn anzuknurren. Er schwieg für einen Moment und starrte auf den Schreibtisch, dann seufzte er tief. "Vielleicht eine Stunde früher. Mehr geht einfach nicht." Er sah mich mit einem Blick an, der keine weitere Diskussionen duldete. "Mh. Ja, das ist besser als nichts. Danke", brachte ich gereizt hervor und verließ das Büro, allerdings nicht ohne mit der Tür zu knallen. So sehr ich mich auch zu benehmen versuchte, es war einfach zu schwer. Ich verstand seine plötzliche Strenge nicht. Die Welt würde hier nicht untergehen, wenn ich mal früher ging. Zurück in meinem Büro rief ich sofort beim Tierarzt an. Wenigstens im Unglück hatte ich Glück: ich bekam den allerletzten freien Termin, den die Praxis noch hatte, und der war eben am Abend, kurz bevor sie zumachten. Sie baten mich, eine Stuhlprobe mitzubringen, und das würde kein Problem sein. Amaya verteilte ihren Kot ja überall... Mit einem Blick aufs Handy stellte ich fest, dass Karyu immer noch nicht auf meine Nachricht reagiert hatte. Da würde bestimmt auch nichts mehr kommen. Mir war nach trinken zumute. Aber ich lenkte mich lieber mit Arbeit ab. Nach einiger Zeit erst fiel mir auf, dass bisher noch keiner meiner Kollegen angeklopft oder mich auf den Gängen abgefangen hatte, um mir irgendwas überzuhelfen. Vielleicht warteten sie nur bis zur Mittagspause, um sich dann auf mich zu stürzen... Zutrauen war es ihnen und meinem 'Glück' leider auch. Kapitel 5: Von tiefgründigen Gesprächen mit einem Barmann und einer lebensverändernden Entscheidung --------------------------------------------------------------------------------------------------- ========================================= 5. Kapitel ========================================= Ich ließ den Kopf hängen. Mein dritter Drink und der half immer noch nicht. Ich versuchte ja, einfach zufrieden zu sein mit meinem Leben, aber das war nicht einfach. Wenn ich mich weiter dazu zwang, würde ich noch Alkoholiker werden... Seit zwei Stunden saß ich wieder in der Bar meines Vertrauens und trank Bier und Wein, während ich Hizumi dabei zusah, wie er hin und her rannte. Es war viel los. Freitag Abend eben. Lange konnte ich heute nicht bleiben. Ich musste eigentlich nach Hause, nach der Katze sehen. Nachdem ich vom Tierarzt heimgekommen war, hatte ich mich wenig später auf zur Bar gemacht. Die Kleine schlief sowieso nur, verständlicherweise. Der Tierarzt hatte zwei Vermutungen aufgestellt: entweder hatte sie eine Infektion, oder sie hatte einfach nur was gefressen, was sie nicht vertrug - bei letzterem müsste sich ihr Zustand über Nacht verbessern. Er hatte mich gefragt, ob ich etwas anderes als sonst gefüttert hätte, aber daran konnte ich mich nicht erinnern. Ich wechselte zwischen Futtermarken und kaufte auch mal was neues... In letzter Zeit achtete ich nicht mehr bewusst auf das, was ich ihr vorsetzte. Sollte sie etwas also nicht vertragen haben, könnte es bald wieder passieren, außer ich fütterte nur noch die Dinge, bei denen ich mir sicher war, dass sie damit klar kam. Ich seufzte. Alles nicht so einfach. Am nächsten Tag erwartete ich einen Anruf von der Praxis, die dann die Ergebnisse der Kotuntersuchung haben würde. Ich war gespannt und hoffte, dass sie keine Infektion hatte. "Willst du noch einen?", erkundigte sich Hizumi und lehnte sich über die Theke näher zu mir. "Aber danach ist Schluss. Du trinkst wirklich viel in letzter Zeit." "Du bist ein Spaßverderber", seufzte ich. "Sei doch froh, die Bar macht durch mich Umsatz." Er blickte mich nur milde lächelnd an. "Ich bin auch froh. Aber wenn du dich hier so sehr betrinkst, dass du nicht mehr nach Hause kommst, ist das ein Problem." "Aha", machte ich nur. "Gib mir mal einen Wodka Tonic." Hizumi nickte und drehte sich um. Ich sah ihm bei der Zubereitung zu. Mein Handy regte sich sowieso schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Dennoch warf ich ab und an einen Blick darauf, nur um enttäuscht wieder den Kopf zu heben, weil immer noch nichts passiert war. Wenn ich anrief, ging Karyu ja doch nicht ran, das hatte ich schon länger aufgegeben. "Was ist so spannend an deinem Handy? Liebesgeflüster?" "Schön wär's", erwiderte ich und nahm meinen Drink entgegen. Hizumi sah sich kurz um, stellte fest, dass gerade alles ruhig war und stützte sich dann auf die Theke, um leise mit mir sprechen zu können. "Hängt der Haussegen immer noch schief?" Ich seufzte und starrte in meinen Wodka. "Ich glaube, man kann es nicht mal Haussegen nennen", murmelte ich nur, woraufhin Hizumi die Stirn runzelte. "Was ist der Typ eigentlich für ein Arschloch?" Fragend sah ich auf. "Ich hab den hier noch nie gesehen, mit dir zusammen. Und ich höre dich immer nur jammern und meckern über ihn. Warum bist du mit ihm zusammen?" Ich blinzelte und öffnete den Mund, fand aber nicht gleich eine Antwort. Kurz überlegte ich, zuckte dann mit den Schultern. "Irgendwie mag ich ihn ja", sagte ich dann lediglich, weswegen er eine Augenbraue hob. "Es gibt bestimmt noch andere Männer, die du magst. Mich zum Beispiel", meinte er beiläufig und grinste. "Und die behandeln dich nicht wie Dreck, sondern wissen deine Anwesenheit zu schätzen." Ich starrte ihn an. "Soll das ein Angebot sein? Willst du was von mir?" Er brauchte einen Moment, um zu antworten. "Um Gottes Willen, nein", meinte er dann. "Ich steh auf Hübschere." Nun musste ich aber aufpassen, keine großen Augen zu bekommen. Ich wusste ja, dass ich nicht der allerschönste und der Typ für jedermann war, aber ein bisschen verletzend waren Hizumis Worte dann doch. Ich zuckte mit den Schultern. "Na dann." Ich nippte an meinem Drink. "Aber mal im Ernst", fing Hizumi wieder an. "Schieß ihn ab. Oder rede mit ihm." "Hab schon mit ihm geredet. Ich sehe ihn ja kaum, also hab ich mich beschwert. Er hat mich gevögelt und mir dann versprochen, in aller Romantik, dass wir was ändern werden. Darauf warte dich nun schon einen Monat." Hizumi schnaubte. "Hört sich für mich an, als seist du sein Fickhäschen." Ich lachte trocken. "Oh, nicht mal das bin ich mehr. Der letzte Sex ist nämlich auch schon einen Monat her. Ich bedeute ihm gar nichts mehr, glaube ich... Auf meine SMS reagiert er auch nicht." Hizumi schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht, warum du bei dem bleibst." "Ich auch nicht. ich weiß es auch nicht. Vielleicht Gewohnheit. So oder so bin ich alleine.", murmelte ich. "Ist völlig egal. Ich könnte mit ihm Schluss machen und das zieht an ihm vorbei. Und an mir auch", meinte ich bitter lächelnd. "Für mich würde sich ja auch nicht wirklich was ändern." Ich schielte in mein leeres Glas. "Ich glaub, ich brauch noch einen Wodka Tonic. Wärst du so lieb?" Doch Hizumi stemmte die Hände in die Hüfte. "Nichts da. Das war der letzte." "Das sag ich deinem Chef." Ich bemerkte, wie er blass wurde und dann eine Schmollschnute zog. Ohne ein weiteres Wort machte er sich daran, mir noch einen Drink zu bereiten. "Also, ich bin ja schon viel rumgekommen. ich hatte mal eine Braut, die wollte am Ende nur alles von mir bezahlt haben, ansonsten war ich uninteressant. Und letztens erst war ich mit einem Mann zusammen, der nicht mal mitbekommen hatte, dass wir eine Beziehung führten. Ich fand die Regeln eigentlich ziemlich deutlich, aber er vergnügte sich mit anderen - und das hatte ich nur zufällig mitbekommen." Er überreichte mir den Wodka und sah mich an. "Was ich sagen will, ist, ich hab die auch abgeschossen. Hochkant aus meinem Leben geworfen und nicht mehr zurück geblickt. Ich bin kein Fußabtreter, mit dem man machen kann, was man will. Das bist du auch nicht. Also tu was. Zwing deinen Arzt, dir zuzuhören. Oder schmeiß ihn gleich aus deinem Leben raus. Wenn du das richtig machst, dann wird die Botschaft schon bei ihm ankommen, egal wie sehr er sich vor der Beziehung verschließt und egal wie sehr er offenbar versucht, dich zu ignorieren." Er wippte auffordernd mit den Augenbrauen und machte Anstalten zu gehen. "Sag mal, ich dachte du stehst nur auf Weiber." "Ach was. Ich komm gern rum. Ich bin eine männliche Hure", sagte er breit grinsend und machte dann ein gespielt schockiertes Gesicht, bevor er sich um neue Gäste kümmerte. Nachdenklich sah ich ihm dabei zu. Ich hatte eh nichts besseres zu tun. Ich war sowieso angetrunken und hatte daher überhaupt keine Lust mehr, um über mich und Karyu nachzudenken. Das war wohl vergebene Liebesmüh. Er schien zu bemerken, dass ich ihn beobachtete. Als er wieder etwas Zeit hatte, wandte er sich grinsend zu mir. "Stehst du auf Huren? Hab ich mich jetzt interessant für dich gemacht?" "Ja, total", erwiderte ich nur gelangweilt und gähnte zufällig. Ich sollte langsam wirklich nach Hause gehen. "Hey, ich hab in einer halben Stunde Schluss. Wir können zusammen zu deinem sogenannten Freund gehen und vor ihm rumknutschen." Ich musste lachen. Auch wenn die Situation traurig war, fand ich seinen Vorschlag tatsächlich witzig. "Das wäre eine Option. Aber die Frage ist, ob wir ihn überhaupt finden werden", winkte ich ab. "Na schön", meinte er nur und lächelte, bevor er weiter arbeitete. Vermutlich wäre ich noch länger in der Bar geblieben, wenn Hizumi mich nicht mit hinaus genommen hätte, sobald er Schluss machte. Ich verstand gar nicht, warum ich mich überhaupt mit dem Giftzwerg abgab. "Du hast mich um zwei Drinks gebracht", murrte ich, woraufhin er nur mit den Schultern zuckte. "Das kann ich wieder gut machen." Ich sah ihn fragend an. "Ach ja?" "Ich kann dir ja bei dir zu Hause was mixen. Ich bin Barkeeper, und das nicht nur in der Bar, in der ich angestellt bin", meinte er großspurig, woraufhin ich die Augen verdrehte. "Wie nett von dir. Ich soll dich also in meine Wohnung lassen? Woher die Hilfsbereitschaft?" "Mir ist langweilig und ich hab nichts Besseres vor", antwortete er. "Wie wär's mit schlafen gehen?" Er schüttelte den Kopf. "Ich hab immer so späte Schichten, dass ich mit der Zeit dazu übergegangen bin, eher tagsüber zu schlafen statt nachts..." Er zuckte mit den Schultern. Ich brummte nur und ging auf die am nächsten gelegene U-Bahn-Station zu. "Ich muss zu meiner kranken Katze." "Sie ist krank? Warum sitzt du dann den ganzen Abend in der Bar statt bei ihr zu sein?" "Weil sie kotzt und kackt - und zwar überall hin, weil sie es einfach überkommt." "Ewww..", machte er und verzog das Gesicht, während er neben mir her ging. "Hat sie Magen-Darm-Grippe oder wie?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, eher nicht. Du steckst dich nicht bei ihr an, falls du das denkst. Noch haben der Tierarzt und ich die Hoffnung, dass sie nur was Falsches gefressen hat..." Er nickte nur. "Na dann hoffe ich das mal auch. Sonst kack und kotz ich dir demnächst auch in die Wohnung, wenn es doch ansteckend ist." Ich hob die Augenbrauen, musste dann aber doch lachen. "Es sollte dich beunruhigen, dass ich dir durchaus zutraue, dass du mir in die Ecke kackst." Er stimmte in mein Lachen ein. "Waaaas? So schlimm bin ich nun auch wieder nicht." Amüsiert schüttelte ich den Kopf. "Also solltest du demnächst vor meiner Wohnungstür stehen, mache ich dir bestimmt nicht auf. Nimm es mir nicht übel." "Das werden wir ja sehen. Ich komm mit deinem Freund zusammen", meinte er und streckte ihm die Zunge raus. Ich schnaubte. "Was, willst du ihn abschleppen? Ich glaube, er ist mittlerweile ein asexuelles Wesen." Die U-Bahn kam und wir stiegen ein. Hizumi sah mich aus großen Augen an. "Ein was? Warum?" "Also mit mir hat er schon seit Wochen keinen Sex mehr gehabt. Aber wer weiß, wer sich halt dann zur Verfügung gestellt hat", murmelte ich und zuckte mit den Schultern. Er hob die Augenbrauen. "Du glaubst, er geht fremd?" "Ich glaube gar nichts. Ich hab nur überhaupt keine Ahnung, was er treibt. Wahrscheinlich weiß er wirklich nicht mehr, was Sex überhaupt ist, weil er nur seine Krankheiten und Patienten im Kopf hat", vermutete ich. Hizumi klopfte mir auf die Schultern. "Ich weiß, es ist hart, aber so wie du über ihn redest, solltest du ihn wirklich loswerden und dir das nicht mehr bieten lassen." Ich seufzte. "Ich rede nur so, weil ich frustriert und enttäuscht bin. Ich liebe ihn." "Liebe allein reicht da offenbar nicht mehr." Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung... Ich würde mich ja gern zur Ablenkung in meine Arbeit stürzen und einfach sie heiraten." Seufzend winkte ich ab, anstatt weiter zu reden. "Aber?", hakte Hizumi in diesem Moment nach, weswegen ich beiseite sah. "Aber da ist auch alles doof. Da bin ich der Fußabtreter für jeden." Überrascht blickte Hizumi mich an. "Echt? Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass ihr euch alle gut versteht." Ich hob deprimiert die Schultern. "Ja, das war früher mal so." Fragend legte er den Kopf schief. "Was ist passiert? Bist du ihnen auf die Füße getreten? Kann ich mir ja gut vorstellen, du bist immer so unhöflich." Ich bekam große Augen. "Wie bitte? Ich bin nicht unhöflich." "Doch bist du. Du brummst und murrst immer vor dich her, meckerst und jammerst und wenn du das mal nicht tust, dann umgibt dich eine Aura eisigen Schweigens. Du guckst dann immer so finster." "Ja, weil du mich ständig zuquatschst und ich nur meine Ruhe will", erwiderte ich seufzend. "Ich hätte schon längst eine andere Bar suchen sollen." Hizumi grinste. "Dir gefällt es eben bei mir am besten." Ich verdrehte nur die Augen. "Na ja jedenfalls...meine Kollegen sind ja ganz nett, aber ich bin irgendwie ihr Praktikant oder so was, weil irgendeiner immer irgendwelche Zuarbeiten hat, die er auf mir ablädt... Ich erledige das, weil ich keine Lust habe, dass sie sich bei Tsukasa beschweren und der schmeißt mich dann raus. Der hat in letzter Zeit eh unglaublich schlechte Laune und lässt die an mir aus. Oder, keine Ahnung, er hasst mich auf einmal. Ich hätte einfach nicht mit ihm rummachen sollen", murmelte ich kopfschüttelnd und vergrub das Gesicht in den Händen. Zu meinem Erstaunen hörte ich Hizumi nicht sofort etwas erwidern, weswegen ich zu ihm hoch blinzelte - und sah, wie er mich überrascht musterte. "Was ist?" Er zuckte mit den Schultern und grinste mich leicht an. "Du hast mit ihm rumgemacht?" Ich runzelte verwirrt die Stirn. "Hab ich das nicht erzählt?" Er schüttelte nur den Kopf. "Oh...muss ich vergessen haben. Obwohl du mein bester Freund bist, und ich hab dich behandelt, als seist du lediglich...ein Barkeeper, den ich kaum kenne. Oh...warte...so ist es. Du bist nur ein Barkeeper, den ich kaum kenne - und dem ich sowas nicht erzähle." Finster starrte ich ihn an. Er grinste weiterhin. "Siehst du, genau wegen dieses Blicks kriegt dein Freund wahrscheinlich Angst vor dir und versteckt sich lieber im Krankenhaus." Meine Augen wurden schmal. "Nun komm schon, erzähl mir, was da gelaufen ist zwischen dir und deinem Chef." Ich zuckte mit den Schultern. "Nicht allzu viel...es war am Valentinstag. Wir haben zusammen was getrunken, mein Freund hatte mich versetzt..er war allein...dann hat er mich nach Hause gebracht. Wir hatten uns gut verstanden. Na ja, dann haben wir halt geknutscht und so..aber bevor mehr laufen konnte, hat er aufgehört." "ER hat aufgehört?", fragte Hizumi überrascht nach. Als ich ihn verwirrt ansah, hob er eine Augenbraue. "Na DU hast den Freund, nicht er." "Du meinst, ich hätte abbrechen müssen, nicht er?" Hizumi nickte. "Das hätte ich bestimmt noch. Er war halt schneller", behauptete ich gleichgültig. "Jedenfalls ist er dann gegangen. Die nächsten Tage war er normal zu mir...alles war, als wäre nichts geschehen und seit zwei oder drei Wochen ist er echt gemein und streng und alles...total das Arschloch. Er hat sonst nie großartig den Chef raushängen lassen, aber in letzter Zeit ist es schlimm geworden", murmelte ich deprimiert. "Es macht echt keinen Spaß mehr da." Hizumi klopfte mir auf die Schulter - etwas, womit ich nicht gerechnet hätte. "Sprich ihn am besten einmal darauf an. Lass dir nicht alles gefallen, nur weil er dein Chef ist." Bekümmert hob ich die Schultern. In der Zwischenzeit hatten wir meine Wohnung erreicht. "Mal sehen, ob sich eine Gelegenheit bietet." "Papperlapapp, scheiß auf Gelegenheiten!" Verwirrt sah ich ihn an, doch er schlüpfte in meine Wohnung und winkte mich hinter sich her. "Oh...hier riecht's ein bisschen..." Mir rutschte das Herz in die Hose. War sie also immer noch so krank. Doch eine Infektion? Ich trat ein und schloss die Wohnungstür. Nachdenklich schnupperte ich und runzelte die Stirn. "Ja, es riecht, aber...es stinkt nicht bestialisch." Ich stellte meine Tasche ab und durchsuchte jedes Zimmer, dessen Tür offen stand - nirgendwo ein Häufchen oder ein Kotzefleck. "Ich glaube, ihr geht's besser. Sie hat es offenbar immer bis auf die Katzentoilette geschafft", murmelte ich mehr zu mir selbst als zu Hizumi. Amaya stand neugierig im Wohnzimmer und sah uns an. Ich streichelte sie kurz und kippte dann ein Fenster an. Etwas frische Luft konnte meine Wohnung ja trotz allem gebrauchen. Ich wandte mich zu Hizumi um, der im Türrahmen stehen geblieben war. "Also, worauf wolltest du hinaus? Von wegen 'Scheiß auf Gelegenheiten'?", erinnerte ich ihn, woraufhin er in meine Küche ging. "Ich meinte, du sprichst ihn einfach darauf an. Ruf ihn doch gleich an." "Nein, bestimmt nicht um die Uhrzeit. Vielleicht schläft er schon." "So ein Spießer ist er nicht", erwiderte Hizumi, während ich ihm in die Küche folgte, da es klapperte. Als ich nachsah, bediente der Kerl sich einfach an meinem Alkohol, der im Kühlschrank stand! Gerade wollte ich mich beschweren, da plapperte er schon weiter. "Willst du auch was trinken? Was hast du hier...was ist das...?" Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, steht ja nicht wirklich drauf, aber ich fand die Farbe schön. Stand beim Alkohol, wird also welcher sein. Ich will auch was. Ich habs ja schließlich gekauft...", murrte ich und nahm zwei Gläser aus dem Schrank, bevor ich mich ins Wohnzimmer setzte. "Also, rufst du ihn jetzt an?", wollte er wissen und nahm neben mir Platz, griff sich ein Glas und schenkte sich ein. Ich seufzte genervt. "Nein, tu ich nicht. Ich sehe ihn auf Arbeit, da kann ich mit ihm sprechen." "Tu das mal. Er kann dir bestimmt erklären, warum er so unausstehlich ist." Nachdenklich runzelte ich die Stirn und sah ihn an. "Weißt du irgendwas? Hat er dir was erzählt?" Er schüttelte langsam den Kopf. "Ach was, der hat mir gar nichts erzählt", antwortete er und stieß mit seinem Glas gegen mein leeres. "Prost." Er kippte sich den Alkohol hinter die Binde. "Hmm....ist das nicht eher was für Mädchen?" Ich verdrehte die Augen und goss mir auch etwas ein, um mal zu probieren. "Schmeckt doch gut." "Aber irgendwie..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich dachte, das wäre was Härteres." "Dann geh doch, wenn es dir nicht passt." "Ha, siehst du, das ist der Grund, warum ich oft den Drang hab, dich zu ärgern. Du bist immer so mürrisch!" Ich brummte. "Ich bin DIR gegenüber immer mürrisch, weil du nur Gemeinheiten für mich übrig hast und mich nervst", erwiderte ich und trank einen Schluck. "Also irgendeiner von uns muss ja angefangen haben", meinte er und war bereits dabei, sich nachzugießen. Ich hob nur die Schultern. Mir war absolut nicht mehr nach reden. Er schwieg einen Moment, dann drehte er sich ganz zu mir und sah mich an. "Ehrlich, mach Schluss mit deinem Arzt. Und rede mit deinem Chef. Das wird sicher erleuchtend sein. Und dann kommst du zu mir und berichtest von deinem Neuanfang." Ich seufzte tief. "Aus deinem Mund klingt das so einfach." "Es ist auch einfach. Dein Freund ignoriert dich, also schieß ihn ab. Dein Chef ist ein Arsch, dann frag ihn, warum verdammt noch mal er dich so behandelt. Und zu mir kommst du, weil ich dich in der Sache unterstützt hab." Ich runzelte die Stirn und erwiderte seinen Blick. "Du unterstützt mich nicht. Du bringst alles durcheinander und hörst dir Probleme an, die dich eigentlich gar nichts angehen." "ICH bring alles durcheinander? So wie ich das sehe, war dein Leben vorher schon ein Chaos." Ich schwieg verbissen und hielt lieber die Klappe, anstatt Hizumi weiter anzumeckern. Plötzlich schossen mir die Tränen in die Augen und ich musste mich zusammen reißen, nicht loszuschluchzen, weswegen ich das Gesicht verzog. So richtig schön weinerlich. "Heulst du jetzt?", wollte Hizumi mit hochgezogener Augenbraue wissen, woraufhin ich nur den Kopf schüttelte statt zu antworten. Meine Stimme hätte eh versagt. "Hab ich was Falsches gesagt? Bin ich dir irgendwie....zu nahe getreten?", wollte er mit einer Stimme wissen, die klang, als hätte er ein Mädchen vor sich, dass er jetzt zum Weinen gebracht hatte. Ich wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln und zog die Nase hoch. "Schon gut, lass mich einfach", wimmerte ich und verschränkte trotzig die Arme. Auf einmal lachte Hizumi. "Du bist echt ein Mädchen. Ich hab mich schon von Anfang an gewundert, warum du in dieser Bar hockst. Da hast du echt nichts zu suchen." Aus großen Augen starrte ich ihn an. "Was, wie bitte? Ist das dein Ernst?" Er lachte wieder. "Jetzt klingt deine Stimme wieder ganz normal. Gehts dir besser?" "Nicht wirklich...du hast mich beleidigt." "Aber du heulst nicht mehr", erwiderte er grinsend und leerte seinen Drink. Ich hob die Augenbrauen. Was für ein Spinner. "Du gehst jetzt besser." "Ach komm, es fahren keine Bahnen mehr. Ich komm gar nicht nach Hause. Ich wohne zwei Stunden zu Fuß weg, glaube ich. Ich schlaf auf der Couch, ok?" Er nahm sich die Decke, die über der Sofalehne hing. Ich starrte ihn an. Ich wollte keine Fremden in meiner Wohnung. Aber er hatte Recht, er würde laufen müssen. Und wenn er wirklich so weit weg wohnte, hatte ich kein gutes Gefühl dabei, ihn vor die Tür zu setzen. "Aber morgen um 6 bist du hier weg!" Entsetzt erwiderte er meinen Blick. "Was, wieso denn schon so früh?" "Weil ich dann aufstehe um zur Arbeit zu gehen und ich habe keine Lust auf dein giftiges Gesicht am Morgen." Hizumi schnaubte. "Das geht mir mit dir ähnlich. Du schaust den ganzen Tag nur mürrisch, das muss ich mir nicht geben." "Schön, dann sind wir uns ja einig", erwiderte ich nur und trank mein Glas aus, bevor ich aufstand. "Ich bring dir noch ein Kissen. ...und du wirst sicher Gesellschaft von der Katze bekommen." "Solange sie mich nicht vollkotzt...", murmelte er und machte es sich auf der Couch bequem. Ok...offenbar hatte er nicht vor, ins Bad zu gehen. Ich brachte die Gläser in die Küche, holte Hizumi das Kissen, wünschte ihm eine gute Nacht und verzog mich ins Bad. Sobald ich im Bett lag, fing ich wirklich an zu heulen. Ich wickelte die Decke fest um mich und schluchzte ins Kissen. Hizumi musste mich nun wirklich nicht hören. Ja, mein Leben war ein Chaos, da hatte er Recht. Und ich hatte niemanden, der mir half es zu ordnen. Ich wollte nur mit jemandem vernünftig reden. Aber es gab niemanden. Alles flüchtige Bekanntschaften. Unter Umständen hätte ich noch mit Tsukasa reden können, aber seit der den Chef raushängen ließ, war er unerträglich. Außerdem wollte er was von mir. Oder er hatte es gewollt. Und dann mit meinen Beziehungsproblemen anzukommen, war sicher nicht sehr passend. Ich krallte die Finger ins Kissen und schniefte leise. Ich war immer allein zurecht gekommen, aber jetzt, jetzt hätte ich jemanden an meiner Seite gebraucht. Eine zeitlang war das mal Karyu gewesen. Vor allem bevor wir zusammen gekommen waren. Und nun war alles anders. Veränderungen waren scheiße. Aber es war Zeit, etwas zu tun. Auch wenn es mir nicht gefiel. Auch wenn mir die Alternative nicht zusagte. Vielleicht musste man allerdings erst wirklich an den Tiefpunkt gelangen, um wieder aufstehen zu können und zu neuen Höhen aufzustreben. Das hatte ich schon einmal durch. Besonders hoch war ich zwar nicht gekommen, aber es hätte schlimmer kommen können. Jetzt bekam ich eine neue Chance, aus meinem Leben etwas zu machen und das zu erreichen, was meine Mutter immer für mich gewollt hatte: glücklich und zufrieden zu werden. Kapitel 6: Von Karyus Arbeitsalltag im Krankenhaus, sterbenden Patienten und einem alles beendenden Brief --------------------------------------------------------------------------------------------------------- ================================= 6. Kapitel ================================= KARYU Hastig ging er auf das Krankenhaus zu. Er freute sich darauf, in die Wärme des Gebäudes einzutauchen, denn heute war es draußen besonders kalt. Die Hände in die Taschen seines schwarzen Mantels vergraben, betrat er die Klinik über die Notaufnahme. Keine gute Idee, da es voll und laut war, aber er hatte es eilig. Des Nachts hatte er nur fünf Stunden geschlafen, weil er am Tag zuvor Überstunden gemacht hatte. Nach Hause war er nur der Katzen zuliebe gegangen. Ansonsten hätte sich das nicht gelohnt. Warme Luft schlug ihm entgegen, sobald sich die Schiebetüren geöffnet hatten, und die Hektik der Notaufnahme umfing ihn. Aus dem ganzen Stimmengewirr konnte er nur wenig heraushören. Alle schienen durcheinander zu reden, es waren zu viele Patienten und zu viele Ärzte in einem Raum. Er lief an Betten vorbei, wo Patienten noch nicht behandelt wurden und vor Schmerzen leise stöhnten. Mitfühlend glitt sein Blick über diese Menschen, aber er konnte jetzt noch nicht helfen. Erstmal musste er sich umziehen. "Dr. Matsumura, gut, dass Sie da sind!", rief ihm schon eine der jüngeren Assistenzärztinnen zu. "Volles Haus, es gab eine Massenkarambolage auf der Autobahn! Die Traumaräume sind schon voll, wir könnten Ihre Hilfe hier gebrauchen!" "Ich komme gleich!", antwortete er ihr über den Lärm hinweg und entfloh dem Chaos für einige Minuten, indem er hoch in den ersten Stock hastete, wo sich der Aufenthaltsraum für die älteren Assistenzärzte befand. Dort konnte er sich, manchmal in aller Ruhe, heute in aller Eile, umziehen. Dennoch genoß er die Stille, die ihn hier umgab. Für einen Moment konnte er sich sammeln, bevor er sich wirklich gut würde konzentrieren müssen. Es war nicht einfach, in einer voll besetzten Notaufnahme den Überblick zu behalten. Vermutlich würde sie jeden Augenblick geschlossen werden und neue Patienten müssten an andere Krankenhäuser vermittelt werden. Sobald Karyu in seine Dienstkleidung geschlüpft war, Stethoskop, Kuli, Ausweis und alles weitere wichtige eingesteckt, umgehängt und angeclippt hatte, machte er sich sofort auf den Weg hinunter, wo er sich die Schutzkleidung überzog. In der Notaufnahme ging es häufig dreckig zu - meistens spritzte Blut, aber man wusste nie mit Sicherheit, was einen treffen konnte. Hier wurde sich nur ein erster Überblick verschafft, der Patient stabilisiert, damit man ihn weiterleiten konnte. Hier konnten noch alle Körperflüssigkeiten wild umher spritzen und fließen… Gerade als er den überfüllten Raum betrat, wurde ein neuer Patient eingeliefert, auf den er sogleich zulief. Es war ein kleiner Junge… "Kawamura Makoto, sieben Jahre alt. Saß mit seinen Eltern in einem der verunglückten Wagen. Vitalzeichen stabil, einseitiger Schlüsselbeinbruch links..." Während die Sanitäterin ihn rasch aufklärte, notierte er sich das und sah sich nach einem Traumraum um - aber es waren immer noch alle voll. Er fluchte und winkte sich einen Assistenzarzt heran. "Machen Sie eine Röntgenaufnahme und buchen Sie schon mal einen OP. Der Junge hat eine Klavikula-Fraktur." Der Mann nickte eifrig und nahm sich des Jungen an, doch unvermittelt griff der Kleine nach Karyus Hand. "Meine Eltern...", krächzte der Junge verängstigt, woraufhin er leise seufzte. "Schon gut, ich werde nach ihnen sehen, ok? Ich erkundige mich, wie es ihnen geht und komme sofort zu dir, sobald ich etwas weiß. Lass dich in der Zwischenzeit untersuchen." Der Junge nickte leicht und ließ ihn los, woraufhin der Assistenzarzt sich mit der Trage in Bewegung setzte. Auch wenn Karyu eigentlich gleich einen anderen Patienten hätte übernehmen müssen, begann er, die Traumaräume nach den Eltern abzuklappern. Er hielt nichts davon, kleine Kinder zu enttäuschen, vor allem nicht, wenn sie krank waren. Der Junge hatte Angst, und er konnte und wollte es nicht verantworten, ihn im Ungewissen zu lassen. Im besten Fall ging es den Eltern oder zumindest einem Elternteil gut genug, dass er oder sie sich um den Sohn kümmern konnte. "Hat jemand was von den Kawamuras gehört?", fragte er sich durch, aber erst im letzten Traumraum hatte er Erfolg: dort lag die Mutter. "Wie geht es ihr?", erkundigte er sich beim Unfallchirurgen, der sie gerade behandelte. Dieser sah auf. "Hirnblutung. Fukuyama kommt gleich und wird ihn operieren." Fukuyama war der Neurochirurg ihres Krankenhauses. "Ok, wir bringen sie hoch, alles bereit machen." Karyu legte dem Unfallchirurgen eine Hand auf die Schulter. "Halt mich bitte auf dem Laufenden, Ken, ok?" Dieser nickte und verließ mit ihm zusammen den Schockraum. "Hast du was von ihrem Mann gehört?" Der Andere schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir leid. ich weiß nichts, aber ich halt die Augen offen." Karyu nickte und begann weiter zu suchen. In der Notaufnahme befand sich der Vater nicht, stellte sich schnell heraus. Möglicherweise war er schon in einem OP - oder tot. Bereits an der Unfallstelle oder im Krankenwagen verstorben... Daran wollte er aber lieber nicht denken. Jetzt konnte er den Mann jedenfalls nicht weitersuchen, er wurde in der Notaufnahme gebraucht. Das erledigte er jetzt besser schnell, damit er weitersuchen konnte. "Matsumura, können Sie diese Patientin übernehmen? Ich wurde zu einem dringenden Konsil gerufen!", rief ihm die Orthopädin aus der Mitte der Notaufnahme zu. Er nickte nur und ging zu dem Bett, auf welchem die Patientin lag. Sie war schwanger. "Hallo, ich bin Dr. Matsumura", stellte er sich vor und lächelte ihr beruhigend zu, bevor er sie sich ansah. Sie hatte eine unschöne offene Fraktur am rechten Bein. "Ich werde mich um Sie kümmern. Wir machen ein Röntgenbild." "Mein Baby..." "Für das Baby besteht kein Risiko, machen Sie sich keine Sorgen. Es geht nur um Ihr Bein. Ein Gynäkologe kommt auch gleich und schaut nach Ihrem Baby", versprach er und besah sich kurz die Aufnahmeakte - in der so gut wie nichts stand. Die Orthopädin war wohl nicht weit gekommen. Er seufzte innerlich und machte ein paar Untersuchungen. Sie brauchte auch ein Schädel-CT. Er sah sich kurz in der Notaufnahme um und beschloss, das selbst zu machen. Alle waren beschäftigt, und er konnte froh sein, überhaupt einen Assistenzarzt zu finden, der ihm behilflich sein würde bei den Untersuchungen. Mit ihm und der Patientin zusammen ging er hinauf, um die Aufnahmen zu machen. Er war froh, der Hektik für eine Weile zu entkommen, und so konnte er sich auch besser auf die Patientin konzentrieren. Mütter und solche, die es bald wurden, waren ähnlich verunsichert wie Kinder und brauchten häufig besondere Aufmerksamkeit. Er versuchte, sie in ein ruhiges Gespräch zu verwickeln, was sie hoffentlich auch von ihrer Angst ablenken würde. „In der wievielten Woche sind Sie denn?“, erkundigte er sich lächelnd, während er ihr auf die Bahre half. „29. Woche“, antwortete sie sofort und strich sich über den deutlich sichtbaren Bauch. „Oh, dann ist es bald soweit“, erwiderte er, woraufhin sie nickte. „Wissen Sie schon, was es wird?“ Sie schüttelte den Kopf und sah ihn linkisch an. „Wir wollen uns überraschen lassen. Aber ich habe da so eine Ahnung…“ Er lächelte nur und konzentrierte sich dann auf die Aufnahme. Das Röntgenbild machte deutlich, dass die Fraktur komplizierter war, als sie ausgesehen hatte. "Ok, piepen Sie Chiba an, sie muss das operieren." Den Fall würde die Orthopädin so schnell nicht loswerden. Er beruhigte die schwangere Frau, sagte ihr, dass der Eingriff häufig gemacht wurde und der Bruch wieder in Ordnung käme. „Und jetzt müssen wir noch ein Schädel-CT machen. Sie brauchen sich keine Sorgen machen, es ist nichts Schlimmes.“ Kurz erklärte er ihr, wie das ablaufen würde. Man hatte weniger Angst, wenn man wusste, was auf einen zukam. Gerade wollte er sie in die Röhre schieben, als sie ihn ansah. "Mein Mann… Bitte rufen Sie meinen Mann an, ja?", bat sie ihn leise, woraufhin er nickte. "Aber natürlich", versicherte er ihr und drückte auf den Knopf. Langsam fuhr die Bahre in die Röhre, doch unvermittelt begann die Frau unkontrolliert zu zucken. "Was ist los?", meldete sich der Radiologe über die Sprechanlage, während Karyu den Knopf losließ und die Patientin packte. "Sie hat einen Krampfanfall!", rief er und hatte Mühe, seine Stimme nicht panisch klingen zu lassen. Fest hielt er sie in den Armen, nachdem er sie auf die Seite gedreht hatte. Dann sah er das Blut. "Sie hat vaginale Blutungen. Holen Sie mir jemanden von der Pädiatrie und der Gyn, ich fürchte, wir müssen das Baby holen!" Er fluchte innerlich und machte sich mit dem heran eilenden Assistenzarzt daran, die Frau in einen bereitstehenden OP zu bringen. Das würde ein langer Tag werden, das hatte er schon erkannt, als er die Notaufnahme betreten hatte. Bei der Not-OP half er, das Baby zu entbinden, dann kümmerte sich die Pädiatrie darum. Dem Gynäkologen konnte er mit der Patientin nicht mehr helfen, da deren Ehemann im Krankenhaus angekommen war. Es war Zeit, ihn zu informieren. Besorgte Ehemänner neigten schnell dazu, aggressiv zu werden, wenn sie nicht wussten, wie es um Frau und Kind stand. Hasebe, so der Name des Mannes, schien gefasst mit der Situation umzugehen. Er stand ruhig auf, als er Karyu sah. "Guten Tag, ich bin Dr. Matsumura. Wir mussten bei Ihrer Frau einen Not-Kaiserschnitt durchführen. Dem Baby geht es gut, Ihre Frau wird derzeit noch operiert. Mehr wissen wir in einer Stunde." Hasebe nickte langsam. "Okay, also... Sie ist außer Lebensgefahr?" Karyu zögerte. "So sieht es aus. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen. Momentan ist sie stabil, und das ist ein gutes Zeichen", antwortete er vage. Hasebe setzte sich und sah zu ihm hoch. "Geben Sie mir Bescheid, wenn..wenn Sie etwas neues wissen?" Er nickte. "Natürlich. Sie werden es sofort erfahren." Er ging zurück zum OP und gab Bescheid, dass der Ehemann nach der OP informiert werden musste. Die Frau war jetzt nicht mehr seine Patientin. Er war Allgemein-Chirurg und bisher hatte es nur Spezialfälle gegeben. Es war bereits Mittagszeit, und da er nun ein wenig Luft hatte, suchte er weiter nach dem Vater von Makoto. Der Junge war sicher schon mit dem Röntgen fertig und lag vielleicht schon im OP. Wenn er aufwachte, wollte Karyu gute Nachrichten für ihn haben. Er musste unbedingt den Vater finden und dann schauen, wie es um die Mutter stand. Eigentlich fiel das nicht unbedingt in seinen Aufgabenbereich. In diesem Moment wurde ihm heiß und kalt. Er hatte vergessen, den Sozialdienst zu benachrichtigen. Jemand musste sich um Makoto kümmern, während die Eltern operiert wurden und nicht in der Lage waren, sich mit dem Kind zu beschäftigen. "Hey, Misato, können Sie für mich den Sozialdienst verständigen?" Er hatte sich seine Assistenzärztin heran gewunken. Sie nickte. "Kawamura Makoto, siebenjähriger Junge. Er muss behandelt werden, ebenso wie seine Eltern. Ich brauche jemanden, der auf ihn aufpasst, bis die Eltern wieder gesund sind oder ein Verwandter informiert ist, der das übernehmen kann." Sie lief gleich los, ohne weitere Fragen zu stellen. Dann war das schon mal erledigt. Er ging auf die Intensivstation, um nach der Krankenakte des Vaters zu suchen. Er hatte Glück, dass der Mann tatsächlich dort lag. Er hatte eine gebrochene Rippe, und der Knochen hatte sein Herz tamponiert. Sein Zustand war äußerst kritisch, auch nach der OP. Nun konnte man nur noch abwarten, wie sich sein Zustand entwickelte. Seufzend erkundigte er sich nach der Mutter, aber diese wurde noch am Hirn operiert. Auf den ersten Blick sah das alles nicht besonders gut aus. Noch hatte er keine guten Nachrichten für den Jungen, also schob er einen Besuch hinaus. Karyu atmete durch und ging auf die Station. Es musste ja noch Visite machen. Und er hatte einen traurigen Fall dabei, um den er sich lieber Tage oder Wochen später gekümmert hätte. Er hatte versucht, sich innerlich darauf einzustellen, aber es blieb schwierig. Er nahm sich die Akte und suchte Chiyo Miura auf. Sie war erst zweiunddreißig Jahre alt, aber sie hatte nicht mehr viel Lebenszeit. Bei ihr war ein Lungenkarzinom diagnostiziert worden. Karyu hatte eine Chemotherapie eingeleitet und eine explorative OP durchgeführt, bei der klar geworden war, dass er den Tumor nicht restlos entfernen konnte. Er hatte der jungen Frau nur Zeit verschaffen können. Das lag schon fünf Monate zurück. Der Tumor war wieder gewachsen und zog ihre Lunge so in Mitleidenschaft, dass ihr das Atmen und Reden schwer fiel. Man konnte nicht mehr viel für sie tun und sie hatte nur noch etwa zwei Monate zu leben - eine Zeit, die sie mit Schmerzen und vielen Medikamenten im Bett verbringen würde. Das wollte sie so nicht. "Dr. Matsumura...", begrüßte sie ihn und rang sich ein Lächeln ab. "Schön, Sie zu sehen... „Hallo Chiyo.“ Er setzte sich auf den Bettrand und betrachtete bekümmert ihr blasses Gesicht. „Wo ist Ihr Freund?“ „Er ist…kurz raus, runter in den Kiosk. Er soll uns…etwas zu trinken holen. Ich denke…das braucht er…“, antwortete sie langsam. Er nickte verständnisvoll. „Heute ist ein schwieriger Tag.“ „Ja….das ist es.“ „Wie fühlen Sie sich?“ Sie dachte kurz nach. „Bereit…ich fühle mich…bereit“, antwortete sie und legte sich die Sauerstoffmaske für ein paar Sekunden auf Mund und Nase zurück, um tief durchzuatmen. In diesem Moment betrat der behandelnde Oberarzt, Dr. Nishimura, das Zimmer. „Guten Tag, Miura-san. Sie sind sich also sicher?“ Chiyo nickte und sah dem Oberarzt fest in die Augen. „Ja, ich bin soweit. Ich möchte…mein Leben beenden. Durch ärztlich assistierten…Suizid“, bat sie Dr. Nishimura erneut. Sie hatte nicht gelogen. Sie wusste genau, was sie wollte, was sie von den Ärzten verlangte. Sie wollte sterben. Karyu schluckte und senkte den Blick, während er dem Gespräch lauschte. „In Ordnung, Miura-san. Ich habe die Einschätzung und Einwilligung eines weiteren Arztes eingeholt. Der Chefarzt ist ebenfalls informiert. Ihrer...Entscheidung steht nichts mehr im Wege.“ Dr. Nishimura trat näher ans Bett. Karyu war schon längst wieder aufgestanden und in den Hintergrund gerückt. Er assistierte dem Oberarzt nur und sollte sich jetzt zurück halten. Er musste lernen, mit solchen Situationen umzugehen. Sie waren selten, aber sie kamen ein paar Mal im Jahr vor. Chiyos Freund betrat das Zimmer und sah ihn und den anderen Arzt nervös an. Er war fast genauso blass wie die Patientin. Karyu fühlte mit ihm mit. Es musste auch für ihn furchtbar sein. „Ist alles in Ordnung?“, fragte der junge Mann und stellte sich zu seiner Freundin ans Bett, jedoch sah er Dr. Nishimura an, welcher leicht nickte. „Ja, wir sind hier um mit Ihnen über den großen Schritt zu sprechen. Dem steht nichts mehr im Wege. Wir können…es heute tun.“ Karyu warf seinem Oberarzt einen kurzen Blick zu. Ihm schien das hier auch nicht leicht zu fallen. Sie beide mochten Chiyo. Sie war jung, sie war fröhlich, sie hatte noch nicht viel von ihrem Leben gehabt. Sie hatte einen Freund und eigentlich hatten die beiden noch geplant, zu heiraten, Kinder zu bekommen und in ein großes Haus zu ziehen. Aber diese Pläne waren zerschlagen worden. Karyu bewunderte Chiyos Stärke. Sie hatte es nicht leicht, seit sie von ihrer Erkrankung wusste, aber sie hatte nicht ihre Freude am Leben verloren. Sie war in kein Loch gefallen, sondern hatte sich ihre Hoffnung bewahrt. Und als auch diese gestorben war, hatte sie dennoch das Leben weiter genossen. „Doktor, wie lange…wie lange wird es dauern? Ich meine..bis die Pillen wirken…“, wollte sie leise wissen und atmete wieder durch die Sauerstoffmaske. „Das kann zwischen dreißig und sechzig Minuten dauern, bis der Tod eintritt“, antwortete der Oberarzt und räusperte sich. „Ich werde Ihnen jetzt ein Rezept dafür ausstellen. Sie müssen die Pillen selbst holen. Ihr Freund kann sie für Sie in der Apotheke im Erdgeschoss besorgen. Wenn Sie bereit sind, nehmen Sie sie ein.“ Dr. Nishimura füllte das Rezept aus und reichte es Chiyos Freund. „Bei Fragen können Sie sich jederzeit an Dr. Matsumura wenden.“ Die beiden nickten und sahen sich dann an. Die Stille im Raum erdrückte Karyu fast. Der Oberarzt verließ das Zimmer, doch Karyu blieb noch. „Was hast du uns…mitgebracht?“, erkundigte Chiyo sich bei ihrem Freund, welcher eine Flasche hochhielt. „Rotwein.“ Sie nickte. „Gut…“ Er stellte ihn ab und betrachtete das Rezept, welches er in der Hand hielt. „Dann werde ich mal…die Pillen holen“, murmelte er und sah ihr kurz in die Augen. „Das wäre nett, danke.“ Er nickte nur und verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort, woraufhin Karyu wieder an Chiyos Bett trat. „Er ist so ruhig.“ „Er hat Angst. Denke ich. Wenn ich ihn frage…bekomme ich nur ausweichende Worte von ihm…zu hören. Er will nicht…darüber reden.“ Karyu setzte sich zu ihr. „Es muss schwer für ihn sein.“ Sie nickte. „Bestimmt. Aber für mich…ist es auch schwer.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug über die Sauerstoffmaske und starrte an die Decke. „Ich habe mir mein Leben…auch anders vorgestellt. Aber nun liege ich hier…mit einer unheilbaren Krankheit.“ Sie seufzte leise. „Ich liebe das Leben. Ich will es…in guter Erinnerung behalten. Drüben..auf der anderen Seite. Ich möchte mich nicht…an die Schmerzen und…das Dahinvegetieren erinnern. Denn das wird mich in meinen letzten…Wochen und Monaten hier erwarten. Das will ich nicht…“ Sie schloss die Augen. „Ich kann das Leben…nicht mehr genießen. Und es gibt…keine Hoffnung mehr für mich, also…gebe ich auf. Ich gehe. Und…es fällt mir so schwer. Ich liebe Ryo, und ich…ich muss ihn zurück lassen. Ich wollte ihn heiraten…viele Babys mit ihm haben…für immer mit ihm zusammen sein…“ Ihr traten Tränen in die Augen, die sie sich rasch wegwischte. „Es ist für uns beide schwer. Und es ist…traurig, dass er es mir noch schwerer macht. Er schmollt…und ich…ich sterbe heute.“ Sie lachte leise und ungläubig. „Ich sterbe und er schmollt.“ Erneut wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Karyu nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Er hat Angst. Wenn er sie ansieht, kann er nicht glauben, dass das nun die letzten gemeinsamen Stunden sind. Vor Ihnen möchte er stark sein. Ich glaube nicht, dass er es Ihnen schwerer machen will. Nein, im Gegenteil: er versucht sogar, es ihnen leichter zu machen. Er will sich zusammen reißen, aber er hat Angst, sich vor ihnen schwach und traurig zu zeigen. Er möchte Ihnen nicht das Gefühl geben, ohne Sie völlig verloren zu sein. Er möchte Ihnen keine weiteren Sorgen bereiten. Das ist meine Meinung.“ Sie nickte und weinte leise. Er blieb noch eine Weile bei ihr. Am Nachmittag sah er nach Makoto, dem kleinen Jungen. Er lag im Aufwachraum und es ging ihm soweit gut. Die OP war ohne Komplikation verlaufen. Eine Sozialarbeiterin stand schon bereit. Karyu betrat das Zimmer des Jungen. „Hallo Makoto. Du warst heute sehr tapfer. Wie fühlst du dich?“ „Mir tut alles weh“, jammerte der Kleine und sah ihn an. „Ich kenne Sie…“ „Ja, wir haben uns vorhin gesehen, als du ins Krankenhaus kamst. Ich hatte versprochen, nach deinen Eltern zu sehen“, erwiderte er mit einem ruhigen Lächeln. „Wie geht es meinen Eltern?“, wollte Makoto sofort wissen. Karyu versuchte sein Lächeln aufrecht zu halten. „Deine Mutter wurde operiert und liegt nun auf der Intensivstation. Es geht ihr gut, aber sie ist noch nicht aufgewacht. Wir warten jetzt, dass sie zu sich kommt und dann sehen wir weiter.“ Es war für ihn oft schwierig, mit den Kindern der Eltern zu sprechen. Er wusste nicht, was er wie sagen durfte. Er musste alles verständlich erklären, durfte ihnen aber keine Angst machen, musste aber dennoch bei der Wahrheit bleiben. Die Wahrheit über seine Mutter war, dass sie eventuell neurologische Schäden davon getragen hatte. Das wusste man aber erst, wenn sie aufwachte. „Dein Vater wurde am Herzen verletzt. Auch er musste operiert werden. Die OP ist vorbei, aber auch bei ihm warten wir darauf, dass er aufwacht.“ Traurig wurde Karyu angesehen. „Also…kann ich sie nicht besuchen?“ „Heute nicht. Du musst dich ausruhen. Aber morgen früh gehen wir gemeinsam zu ihnen. Und vielleicht sind sie dann ja schon wach“, meinte er aufmunternd. Makoto drehte den Kopf traurig und trotzig wirkend beiseite. Das Gespräch war wohl beendet. Er strich ihm tröstend über den Kopf. „Wenn du etwas brauchst, dann drück den Kopf hier neben dem Bett. Eine Schwester wird kommen und sich um dich kümmern. Ich komme später noch mal bei dir vorbei und erzähle dir, wie es deinen Eltern geht. Solange bleibt die nette Frau da draußen bei dir. Sie spielt ein bisschen mit dir, wenn du möchtest“, sagte er leise und verließ das Zimmer. Er wünschte, er könnte den Jungen aufmuntern. Auf dem Rückweg in die Notaufnahme wurde er plötzlich angepiept – die Frau mit dem offenen Beinbruch, deren Baby sie heute entbunden hatten. Sein Assistenzarzt forderte ihn an. Es gab einen Notfall. Fluchend rannte er los. Was war denn nun passiert? Sie hatte das Baby bekommen, dem Baby ging es gut, und der Bruch war von der Orthopädin gerichtet worden. Was hatte es nur für Komplikationen gegeben? Als er im Krankenzimmer ankam, herrschte Chaos. „Sie krampft!“, hörte er seinen Assistenzarzt rufen. Er konnte sich gar nicht mehr fragen, warum eigentlich er gerufen worden war und nicht Chiba, die Orthopädin. „Ok, beiseite!“ Karyu nahm das Stethoskop und hörte sie kurz ab, untersuchte ihre Augen und wurde dann vom Überwachungsmonitor abgelenkt. „Kammerflimmern! Ich brauch den Defi! Geben Sie ihr eine Einheit Epi, los los los!“ Während er die Paddles entgegen nahm, sah er kurz seinen Assistenzarzt an. „Sie hat wahrscheinlich eine Hirnblutung! Rufen Sie Fukuyama!“ Er wandte sich der Patientin zu und versuchte ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Es dauerte eine Minute, dann war sie zurück. In diesem Moment kam auch Dr. Fukuyama, der Neurochirurg herbei geeilt, den er rasch aufklärte. Auch dieser kam nach kurzer Untersuchung zu der Feststellung, dass ihr Gehirn aufgrund einer Blutung angeschwollen war. „Wir brauchen sofort einen OP. Bringen wir sie hoch.“ Er sah Karyu an. „Sie assistieren mir.“ Karyu nickte und rollte das Bett zusammen mit zwei Schwestern aus dem Raum. Es sah nicht gut für die Patientin aus. Für Karyu schien dieser Tag immer länger und unschöner zu werden. Er musste an Chiyo denken. Sie würde die Pillen sicher schon haben... Doch er musste jetzt den Kopf für die frisch gebackene Mutter frei haben. Sie hatte gerade ein Baby entbunden, ihre Familie brauchte sie. Sie hatte ihr Kind noch nicht einmal zu Gesicht bekommen, weil sie bisher nicht aufgewacht war. Und ihr Ehemann, der wusste noch nicht einmal davon, dass sie nun wieder im OP-Saal lag. Es waren traurige Umstände… „Wieso haben Sie diese Blutung übersehen?“, wollte Dr. Fukuyama von ihm wissen, während sie sich wuschen. Entsetzt sah er ihn an. „Weil…“ Er stockte und blinzelte. „Sie müssen das doch auf dem CT gesehen haben. …Sie haben doch ein CT gemacht?“ Karyu hielt inne. „Ich hatte…ja, ein Schädel-CT hatte ich veranlasst, aber dann…dann hat sie in der Röhre einen Krampfanfall bekommen. Wir mussten ihr Kind entbinden…“ Dr. Fukuyama starrte ihn an. „Sie haben also kein CT gemacht?“ Seufzend schüttelte er den Kopf und trat zurück. „Sehen wir zu, dass wir sie retten.“ Er ging in den OP. Karyu brauchte einen Moment, um das zu verdauen, dann folgte er dem Neurochirurg in den Saal hinein. Wegen solcher Fehler wurden Ärzte gefeuert. Und er würde vielleicht zu ihnen gehören, sollte diese Frau sterben. Das hatte der Oberarzt ihm wohl andeuten wollen. Zwar hatte Karyu eine vage Angst um seinen Job, aber schlimmer würde das Wissen an ihm nagen, für den Tod einer jungen Mutter verantwortlich zu sein. Als er den OP betrat, wurde ihm ganz flau im Magen. Eine Stunde später war schon alles vorbei. Er hatte bei der Kraniotomie geholfen, um den Hirndruck zu verringern, aber die Blutung war schon zu weit voran geschritten – sie hätten sie zwar stillen können, doch die Schäden, die sie bereits angerichtet hatte, waren zu stark gewesen: sie war hirntot. Bestürzt stand Karyu im Waschraum und starrte durch das Glasfenster in den OP, wo die Patientin noch auf dem Tisch lag. Die Geräte atmeten nun für sie. „Wir müssen in Erfahrung bringen, ob sie Organspenderin ist“, sagte Dr. Fukuyama, der neben ihm stand und die Frau traurig betrachtete. „Sie hinterlässt einen Ehemann und ein neugeborenes Baby…“, murmelte Karyu und senkte erschöpft den Blick. „Wie soll ich dem Vater das nur erklären…“ Der Oberarzt klopfte ihm auf die Schulter. „Wir haben alles getan. Es war zu spät. Das CT konnte nicht durchgeführt werden. Sie hat sofort operiert werden müssen, und als die erste OP geschafft war, konnte man sie nicht sofort in die Röhre schieben. Sie können nichts dafür, hören Sie? Ihr erster Krampfanfall hatte einfach ein schlechtes Timing. Wäre dieser nicht gewesen, oder wäre er später gekommen, hätten wir das hier verhindern können. Aber so…“ Dr. Fukuyama seufzte. „Es hat nicht sollen sein. Ihr Mann muss nun mit dem Baby allein zurecht kommen.“ Er sah Karyu an. „Schaffen Sie das, ihm Bescheid zu geben?“ Karyu nickte nur und verließ den Waschraum langsam. Er hasste es, den Angehörigen schlechte Nachrichten überbringen zu müssen. Das war niemals angenehm. Und man wusste nie, wie die Betroffenen reagierten. Viele der Ärzte waren sogar schon einmal angegriffen worden. Aber man konnte es den wenigsten Angehörigen übel nehmen. Es war eine schwierige Situation. Karyu nahm sich ein paar Minuten, um seine Gedanken zu sortieren, dann suchte er Hasebe auf, um ihm die schlechte Nachricht zu überbringen. Dr. Fukuyama begleitete ihn, sagte aber nicht viel. Sie sprachen mit Hasebe auf der Kinderstation, wo auch die Neugeborenen untergebracht worden. Direkt neben dem Babybettchen stehend brachten sie dem Mann den Tod seiner Frau bei. Er war am Boden zerstört und konnte es kaum fassen. In dieser Situation nach dem Organspendeausweis zu fragen, fand Karyu taktlos, aber es musste sein. Die Organe konnten vielen anderen Menschen das Leben retten. Dr. Fukuyama übernahm diese schwierige Aufgabe ausnahmsweise. Hasebe reagierte entsetzt und verlangte, seine Frau zu sehen. Sie besaß einen Ausweis, aber er wollte sich angemessen von ihr verabschieden. Und das konnte Karyu nur zu gut verstehen. Er brachte den Mann zu seiner Frau, die nun auf der Intensivstation lag. Schweigend ließ er die beiden allein. Für Hasebe war die Welt zusammengebrochen. Er brauchte nicht den Arzt an seiner Seite, der dafür verantwortlich war… Als Karyu die Intensivstation entlang ging, kam er an dem Zimmer vorbei, in dem die Mutter von Makoto lag. Sie war wach, und ihr Sohn war bei ihr. Es schien also immerhin bei dieser Familie alles gut zu werden. Für einen Moment beobachtete er die zwei durchs Fenster und versuchte, sich zu beruhigen, atmete tief durch. Er wusste doch schon lange genug, dass sein Job gute und schlechte Seiten hatte. Mit letzter Kraft sah er anschließend bei Chiyo vorbei. Er rechnete damit, dass sie schon tot war, aber auch das hatte er noch vor sich. Sie saß im Bett, ihr Freund an ihrer Seite, und gemeinsam tranken sie den Rotwein. Die Pillenschachtel lag neben ihr auf dem Nachttisch. Karyu straffte sich und trat ein. „Hallo Chiyo.“ Sie ließ das Glas sinken und lächelte ihn schwach an. „Dr. Matsumura… Sie scheinen überrascht zu sein…mich noch lebend zu sehen… Es ist…nicht einfach.“ Er nickte nur, während sie zur Rotweinflasche sah. „Wir beide wollen ihn komplett leeren. Und jetzt…reicht der Wein nur noch für ein einziges Glas…“ Traurig schaute sie den Rotwein an. Es war soweit. Sie seufzte und sah ihren Freund kurz an, dann nahm sie die Pillen aus der Schachtel. Karyu räuspere sich leise und senkte den Blick, während sie das tödliche Medikament einnahm und mit dem letzten Schluck Rotwein, den ihr Freund ihr eingegossen hatte, nachspülte. Sie stellte das Glas ab und legte sich hin, machte es sich bequem. Als Karyu aufsah, hatten sich ihre Augen auf das Gesicht ihres Freundes gelegt. Sie griff nach seiner Hand. „Ich weiß, dass du Angst hast. Das ist okay. Zeig mir das ruhig. Ich mache mir keine Sorgen um dich. Du wirst das schaffen, auch ohne mich.“ Doch er schüttelte den Kopf. Karyu verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Das Paar sollte unter sich sein. Sie hatten nicht mehr viele Minuten. Er blieb in der Nähe, stellte sich an die Schwesternstation und hatte die beiden so im Blick, falls sie ihn brauchen würden. Vierzig Minuten sah er der Frau zu, wie sie starb. Immerhin hatte sie keine Schmerzen dabei. Tieftraurig und deprimierend war es dennoch. Sie hielt die Augen geschlossen und ihr Freund begann zu weinen. Karyu schluckte und winkte eine Schwester heran. „Bitte haben Sie ein Auge auf ihn und geben sie der Pathologie Bescheid.“ Der Totenschein musste ausgefüllt und vieles andere geregelt werden. Etwas, woran der Freund jetzt sicher nicht dachte. Nicht denken wollte. Karyu erhob sich und wollte sich in den Umkleideraum zurück ziehen. Er fühlte sich wie betäubt. Er musste sich jetzt etwas ausruhen. Zwei Menschen waren in seiner Schicht schon gestorben. Zwei seiner Patienten, die es nicht verdient hatten, zu sterben. Er setzte sich vor seine Ablage und runzelte die Stirn. Da lag ein Brief drin. Er hatte Post bekommen. Meistens bekam er hierher nur die Gehaltchecks oder Fachzeitschriften, aber einen Brief…? Wann hatte er mal einen Brief bekommen? Langsam nahm er ihn aus der Ablage und öffnete ihn, staunte dann nicht schlecht. Er war handgeschrieben. Für einen Moment vergaß er seine Sorgen. »Karyu, Du weißt, wie gern ich Zettelchen schreibe, um Dinge abzusagen oder zu beenden. Genau darauf wird es auch jetzt hinaus laufen. In diesem Fall hätte ich gern persönlich mit dir gesprochen, aber ich sehe dich so selten. Was ich dir zu sagen habe, konnte nicht länger warten. Also entschied ich mich, dir zu schreiben. Ich liebe dich. Aber ich glaube, du liebst mich nicht mehr. Du liebst das Krankenhaus. Du liebst deine Arbeit. Darüber hast du mich vergessen. Du nimmst mich nicht mehr wahr, und dann hat es keinen Sinn mehr, dass wir uns eine Beziehung vorgaukeln. Das funktioniert nicht mehr. Du hast mir versprochen, dass wir etwas ändern. Aber es ist nie etwas passiert. Du hast immer noch genauso wenig Zeit für mich wie vor einigen Monaten. Ich halte das nicht mehr aus. Ich war lange genug allein und nun fängt es wieder von vorne an. Obwohl du eigentlich mein Freund bist. Ich denke, du kannst meine Entscheidung verstehen. Es ist aus. Ich wünsche dir viel Erfolg in deinem Job. Darin gehst du auf. In Liebe, Zero« Verständnislos und verwirrt starrte er das Papier an. Er las es sich nochmals durch. Dann starrte er wieder darauf, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwommen. Er wusste genau, was passiert war. Zero machte Schluss, weil er nicht mehr für ihn da war. Oh Gott, ja, er war sich bewusst darüber, was er dem Anderen antat. Und er wollte das gar nicht, er wollte ihm nicht weh tun. Er sah immer noch eine Chance, alles zu retten, alles zu begradigen und für ihn da zu sein. Nie hatte er für Zero Zeit gefunden und jeden Tag hatte er sich gesagt: dann morgen. Morgen rede ich mit ihm. Morgen mache ich es besser. Aber er hatte es nie geschafft. Und nun war die Zeit um. Zero hatte die Nase voll. Er verstand es. Er war ihm nicht einmal böse, dass er nur diesen Brief schrieb. Karyu erinnerte sich nicht, wann er Zero das letzte Mal gesehen hatte. Mit zitternden Händen faltete er das Papier zusammen und steckte es in den Kittel. Dieser Tag war furchtbar. Langsam stand er auf und verließ das Zimmer. Er musste arbeiten, sich ablenken. Würde er sich ins Bett legen, würde er wohl doch zu viel nachdenken müssen. Auf dem Weg zur Notaufnahme begegnete ihm seine Lieblings-Assistenzärztin, Misato. Sie wirkte nervös und hielt ihn kurz auf. „Entschuldigen Sie, Dr. Matsumura, aber haben Sie….haben Sie mittlerweile den Brief gelesen? Haben Sie ihn bekommen?“ Er starrte sie an. Sie meinte jetzt hoffentlich nicht das, was er dachte. „Haben Sie den Brief Ihres Freundes gelesen?“ Seine Mund wurde trocken. „Woher wissen Sie davon?“ Sie senkte den Blick und rieb sich nervös über den Arm. „Ja, also…vor einer Stunde ging bei den Schwestern ein Anruf ein…ein Assistenzarzt von Ihnen wurde angefordert, kein spezieller, und ich stand gerade in der Nähe… Es war Ihr Freund. Er sagte nur, dass…falls Sie seinen Brief nicht erhalten sollten, dann solle ich Ihnen mitteilen, dass…“ Sie räusperte sich und schluckte. „Dass er die Beziehung beendet und Schluss macht. …er hat wohl noch nie etwas zum Krankenhaus geschickt und war sich nicht sicher, ob der Brief bis zu ihnen kommt… Und er meinte, sie beide würden sich kaum sehen, aber er könne nicht mehr warten..“ Für einen langen Moment starrte er die peinlich berührte Frau an, dann rauschte er ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei. Er war geschockt, einfach nur geschockt. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er war sich nicht mal sicher, ob er das überhaupt wollte. Zero hatte hier auch noch angerufen? War es wirklich so schlimm? Hatte er wirklich geglaubt, der Brief würde bei ihm nicht ankommen? Vielleicht nicht rechtzeitig ankommen? Zero musste es ja wirklich eilig haben mit der Trennung. Ob er jemanden kennen gelernt hatte…? Unten in der Notaufnahme klemmte eine Akte, derer sich noch niemand angenommen hatte. Gerade als er sich diese ansehen wollte, kam Dr. Nishimura, sein Oberarzt, um die Ecke und griff danach. „Das ist meine Patientin. Yamamoto Eiki, krebskrank, ist bewusstlos aufgefunden worden. Sie können mir gern assistieren.“ Karyu nickte nur und folgte ihm in das Behandlungszimmer, wo die Frau lag. „Ich habe bei ihr einen Tumor im Darm entfernt, dann begann Chemo- und Strahlentherapie. Ich dachte, es würde ihr helfen und sie schafft es… Vielleicht Komplikationen von der Strahlenbehandlung. Machen Sie ein Blutbild, Blutchemo…das übliche eben. Geben Sie mir dann Bescheid, wenn Sie die Ergebnisse haben.“ Karyu nickte und nahm sich die Akte, dann machte er sich an die Arbeit. Dieser Fall hatte das Potential, gut auszugehen. Er hoffte inständig, heute nicht der Todesengel zu sein – der Arzt, dem für einen Tag lang alle Patienten unter den Händen wegstarben. Vielleicht sollte er sich freinehmen. Das war wohl die bessere Idee. Aber zuerst würde er die Untersuchungen abschließen, um seinen Oberarzt zufrieden zu stellen. Er nahm die Patientin auf und ließ sie auf die Station verlegen. Sie würde erstmal hier bleiben. In Ruhe nahm er ihr Blut ab. Allerdings zitterten ihm dabei die Hände. Das war ihm schon seit Jahren nicht mehr passiert! Unter großer Mühe konnte er die Untersuchung abschließen und die Wunde mit einem Pflaster abkleben, dann nahm er sich die Probe und brachte sie wankend nach unten. Irgendwas stimmte mit ihm nicht. Bekam er gerade einen Panikanfall? Da zitterte man auch. Aber er fühlte sich nicht ängstlich. Eher…allein. Total allein und verlassen. Zero hatte Schluss gemacht. Er schluckte. Vermutlich nahm ihn das so mit, dass sein Körper jetzt verrückt spielte. Nachdem er die Probe dem Labor überreicht hatte, suchte er sich einen Platz zum hinsetzen. Er schwitzte, zitterte immer noch. Er fühlte sich krank. Ja, vielleicht wurde er einfach nur krank. Er war Arzt, er sollte es wissen, aber im Moment fühlte er sich vollkommen unwissend. Nach einer Stunde fühlte er sich besser, und als Dr. Nishimura ihn rufen ließ, konnte er ohne Probleme zu ihm gehen. „Wir werden operieren. Wir müssen nachsehen, was da los ist.“ Er folgte dem Oberarzt und sie machten sich steril, auch wenn das Ergebnis der Blutuntersuchung noch nicht da war. Sie öffneten den Abdomen und sahen sich den Bereich des Darms an. „Unter Umständen ist der Krebs zurück… Oder die Chemotherapie hat Organe angegriffen“, murmelte Dr. Nishimura und besah sich die Umgebung des Darmtraktes. „Sieht soweit gut aus…“ Karyu blinzelte, dann fiel ihm die Klemme aus der Hand. „Entschuldigung, Entschuldigung!“ „Dr. Matsumura, brauchen Sie eine Pause?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Alles gut…Entschuldigung“, wiederholte er und atmete tief durch. Schon wieder zitterte er. Dann fiel ihm auf, dass auch Dr. Nishimuras Hände zitterten. Hier stimmte etwas nicht. Er fühlte sich furchtbar. Er legte die Klemme, die er wiederaufgenommen hatte, ab und trat einen Schritt zurück. „Dr. Nishimura….Sie sollten aufhören“, brachte er hervor und erwiderte den Blick des Oberarztes. Der Mann hatte Schweißperlen auf der Stirn. Das war ungewöhnlich. „Das Blut der Patientin…dürfte toxisch sein. Wir müssen aufhören. Sie muss zugemacht werden….“ Karyu wurde schwarz vor Augen. Er hörte, wie Dr. Nishimura mit ihm sprach, aber er konnte sich schon nicht mehr auf den Beinen halten. Er sah nicht mehr, wie nach und nach auch die restliche Belegschaft zusammenbrach. Kapitel 7: Von einer Holzplatte, die auf Köpfe fällt, einem Strand in Okinawa und dem Ende einer Beziehung ---------------------------------------------------------------------------------------------------------- ================================= 7. Kapitel ================================= Im Sapporo Krankenhaus… „Was liegt an?“ „Shimizu Michiya, Unfall bei einer Baustelle. Er lief die Straße entlang und eine Holzplatte fiel auf ihn.“ „Hat er das nicht kommen sehen oder ist er lebensmüde und nicht ausgewichen?“, erkundigte sich der Oberarzt mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Assistenzärztin antwortete nicht darauf. „Hören Sie…das ist Dr. Matsumuras Freund. Wir sollten ihn informieren.“ „Oh… Den Teufel werden wir tun. Der Mann ist gerade in einer OP. Wir informieren ihn danach. Wenn wir wissen, wie es um den Patienten steht. Also, was sagen die Tests?“ „Offenbar hat er eine Schädelfraktur und ein Subduralhämatom.“ „Okay, piepen Sie den diensthabenden Neurologen an! Was noch?“ „Gebrochene Rippe und geprellter Fuß. Vitalzeichen sind noch stabil.“ „Gut, ab in den OP mit ihm. Ich brauche den Neurologen sofort da, sagen Sie ihm, es ist ein Notfall. Ich möchte nicht derjenige sein, der Dr. Matsumura den Tod seines Freundes beibringt. Na dann, hoch mit dem Patienten.“ =================================== Blinzelnd sah Karyu sich um. Eben stand er noch im OP, stellte mit Schrecken fest, dass das Blut der Patientin offenbar mit einem Neurotoxin verseucht war, und nun…stand er plötzlich an einem Strand. Vor ihm das Meer. Hinter ihm Palmen. Er meinte, in der Ferne einen Liegestuhl im Sand stehen sehen zu können. Automatisch ging er darauf zu. Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging. Auf jeden Fall war es nicht normal. Er musste zurück ins Krankenhaus, zurück in den OP. Da war etwas schief gelaufen. Er hätte es schon beim Blutabnehmen der Patientin bemerken müssen: ihm war schwindelig geworden, er hatte gezittert und geschwitzt. Das war kein Panikanfall gewesen. Etwas hatte begonnen, sein Nervensystem lahm zu legen. Und er hatte nichts Anderes gemacht, als Blut abzunehmen. Als sie die Patientin offen auf dem Tisch gehabt hatten und Blut sehen konnten, hatte er sich wieder so schwach und krank gefühlt – und bei seinem Oberarzt hatte er auch Symptome erkannt. Was das wohl ausgelöst hatte? Und wo war er hier nun? Träumte er? Doch es fühlte sich so real an. Er konnte das Salz des Meerwassers riechen, spürte eine sanfte Brise im Haar. Er fühlte die Wärme der Sonne auf seiner Haut. Kurz sah er an sich herab. Er trug nicht mehr seine Dienstkleidung, sondern eine kurze Hose und ein weißes Hemd. Mehr nicht, keine Turnschuhe, nicht mal Sandalen. Er kniff die Augen zusammen und blickte nach vorn. Der Liegestuhl kam näher – jemand saß darauf. Er lief schneller darauf zu und begann zu rufen. „Hallo?!“ Ihm wurde nicht geantwortet, aber keine Minute später hatte er denjenigen schon erreicht. Langsam näherte er sich der Person und staunte nicht schlecht. „Zero?“ Er trat vor ihn. Zero wandte den Blick vom Meer ab und sah zu ihm hoch, nahm die Sonnenbrille ab. „Karyu. Irgendwie bin ich nicht überrascht, dich hier zu sehen…“ Aus großen Augen betrachtete er Zero. Dieser trug ein cremefarbenes, weites Hemd, das nur mit zwei Knöpfen geschlossen war, und eine Badehose. Er wirkte entspannt. Und er sah wunderschön aus. „Tja, also…ich bin schon überrascht, dich hier zu sehen. Wo sind wir überhaupt?“ Zero lächelte leicht und schloss die Augen, während er sich wieder zurücklehnte. „Wir sind an einem der traumhaftesten Strände Okinawas.“ Kurz blickte Karyu sich um. Okinawa… „Ja, aber…was soll denn das hier? Ich versteh das alles nicht. Ich stand eben noch im OP…“ „Ja, wo auch sonst“, erwiderte Zero nur, hielt die Augen aber geschlossen. Er warf ihm einen Blick zu. In Zeros Worten hatte etwas Negatives mitgeschwungen… Er holte Luft. „Du hast…du hast mit mir Schluss gemacht.“ Seine Stimme klang überrascht, als hätte er es eben erst erfahren. „Ja, das habe ich. Hast du den Brief gelesen oder hat es dir deine übereifrige Assistenzärztin gesagt?“ „….du magst sie nicht, oder?“ Nun öffnete Zero die Augen und sah ihn an. Er wirkte nicht mehr ganz so entspannt. „Darum geht es dir? Ob ich sie mag?“ Karyu hielt kurz inne, dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Nein, das ist mir eigentlich egal. Ich habe den Brief gelesen. Den hab ich gelesen und fünf Minuten später kam sie an und hat es mir noch mal gesagt. Sie hat ja deinen Anruf bekommen. Das war…hart.“ Zero machte die Augen wieder zu und sonnte sich weiter. „Das war hart? Ich bin davon ausgegangen, dass deine Arbeit dich von jeglichen Gefühlen ablenkt. Deswegen hab ich mich getrennt. Weil du mich gar nicht mehr wahrnimmst.“ Verzweifelt sah er Zero an. „Bitte, lass uns doch darüber reden. Wir schaffen das. Du kannst mich nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Wenn du mit mir gesprochen hättest, dann-…“ „Ich habe mit dir gesprochen“, erwiderte Zero ruhig. „Vor über einem Monat haben wir darüber geredet, dass es so nicht weiter gehen kann. Es lag zum großen Teil an dir, etwas zu ändern. Aber du hast nie etwas getan. Ich war es leid zu warten. Jetzt bin ich zwar auch offiziell wieder allein, aber mit dem Vorteil, mich nicht wie Luft behandeln lassen zu müssen.“ Karyu stockte. „Zero, es tut mir leid. Ehrlich! Ich wollte nicht, dass es so weit kommt.“ Der Schwarzhaarige blinzelte ihn an. „Nun hol mal tief Luft und beruhige dich. Es ist vorbei. Aus und vorbei. Du kannst nichts mehr tun.“ Karyu hielt inne. Zero hatte sich also entschieden. Aber irgendetwas schwang in dessen Worten noch mit. „Was ist los? Was ist passiert?“ Er machte eine kurze Pause. „Warum sind wir hier?“ Zero zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung, was du hier machst. Das ist mein Traum. Ich hatte einen Unfall, und jetzt träume ich wohl.“ Stirnrunzelnd betrachtete er ihn. „Du hattest einen Unfall?“ „Ja, auf dem Heimweg. Ich hatte gearbeitet und wollte dann nach Hause. Ich stieg aus der U-Bahn aus und lief die Straßen lang zu meiner Wohnung. Da wird ein Reihenhaus saniert…“ Zero starrte in die Ferne. „Genau da bin ich wie immer entlang gelaufen. Und plötzlich hörte ich ein merkwürdiges Geräusch. Als ich nach oben sah, war es schon zu spät – irgendwas ist auf mich drauf gefallen und ich wurde bewusstlos.“ Er machte eine kurze Pause. „Hier bin ich dann aufgewacht. Mehr weiß ich nicht.“ Kraftlos ließ Karyu sich in den Sand fallen. „Oh Gott…“ Zero zuckte mit den Schultern. „So schlimm ist es nicht.“ „Ja? Woher weißt du das? Wirst du wieder gesund?“ Erneut hob Zero die Schultern. „Du bist der Arzt. Sag du es mir“, erwiderte er leicht lächelnd. Karyu senkte den Blick. „Sind wir tot…?“ Nun setzte Zero sich auf. „Wir? Warum bist du hier?“ „Ich…hab operiert. Und da ist mir ganz komisch geworden. Zum zweiten Mal an diesem Tag. Und dem Oberarzt ging es auch so. Ich denke, das Blut der Patientin war mit einem Neurotoxin oder ähnlichem versetzt. Wir sind alle bewusstlos geworden. Und wenn uns keiner rechtzeitig findet, dann…könnten wir daran sterben, denke ich.“ Zero starrte ihn schweigend an. „Dann sind wir vielleicht tot, ja… Das Teil, das ich auf den Kopf bekommen hat, hat ihn wahrscheinlich gespalten und du…du bist in deinem OP gestorben, das ist…das ist…“ Zero begann zu kichern, dann lachte er. „Das ist so verrückt, ehrlich. Wir sterben einfach so und dann…treffen wir uns hier und ich verstehe gar nichts. Ich verstehe überhaupt nichts. Wir unterhalten uns über unsere kaputte Beziehung, dabei sind wir tot. TOT!“ Lachend lehnte Zero sich zurück und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. “Und ich werde verrückt…” Er seufzte. “Vielleicht befinden wir uns gerade in unserem Leben nach dem Tod. Vielleicht ist das hier unser Paradies.“ Er grinste. „Hey, dann hast du endlich etwas Zeit für mich. Sogar sehr viel Zeit. Das habe ich mir immer gewünscht.“ Karyu schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Es war Wahnsinn. Verrückt. Er sah auf. „Zero, ich denke nicht, dass wir tot sind. Wir kämpfen um unser Leben. Ich bin bereit, zu kämpfen. Ich gebe nicht auf. Und du? Was ist mit dir?“ Zero seufzte leise. „Keine Ahnung. Ist mir egal. Es passiert, was passiert.“ Karyu blinzelte den Anderen nachdenklich an, dann stand er auf. „Hast du aufgegeben? Willst du nicht mehr? Bist du vielleicht froh, dass dir was auf den Kopf gefallen ist?“ Zero antwortete ihm nicht. Er erwiderte seinen Blick nur kurz, dann schloss er die Augen und lehnte sich entspannt zurück. Das war Karyu Antwort genug. Traurig sah er seinen Freund an. Ihm fiel beileibe nichts ein, um ihn aufzumuntern. „Zero…“ Er schlang die Arme um ihn und drückte ihn sanft an sich. Wo Worte nicht reichten, mussten Gesten her. Doch da war kein warmer Körper, den er umfasste. Da war nichts. Er hatte Luft im Arm. Blinzelnd sah er sich um. Zero war weg. Der Liegestuhl stand nicht mehr da. Verwirrt trat er einen Schritt zurück. Was passierte da? Als er an sich herab sah, bemerkte er, dass er wieder seine Dienstkleidung trug. Er trug die OP-Sachen. Plötzlich hörte er ein Donnern, weswegen er zusammen zuckte und sich umdrehte. Die Landschaft veränderte sich. Das Meer verschwand Stück für Stück, zog sich zurück, der blaue Himmel wich einer grauen Masse. Der Sand löste sich auf, ebenso die Palmen. Karyu schluckte. Jetzt bekam er es wirklich mit der Angst zu tun. Ihm war nach rennen zumute, nach ganz schnellem rennen. Doch gerade als er sich in Bewegung setzen wollte, riss es ihn von den Füßen. Er kam hart auf dem Boden auf und hörte ein Tösen um sich herum. Laute Geräusche, Stimmengewirr, all dies schwoll zu einem unerträglichen Maß an, weswegen er die Hände auf die Ohren presste. Doch es half nichts. Er war sich sicher, dass es jetzt über ihn kam, was auch immer „es“ war. Voller Angst öffnete er die Augen. „Dr. Matsumura, ganz ruhig! Bitte beruhigen Sie sich. Es ist alles in Ordnung. Atmen Sie tief durch.“ Eigentlich war er kurz davor, sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht zu reißen, aber er bekam so schwer Luft, dass er sich eines besseren besann und einen tiefen Atemzug nahm. Er schaute in das Gesicht seiner Assistenzärztin. „Was ist denn los…?“ Beruhigend legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. „In Ihrem OP ist es zu einem Zwischenfall gekommen. Sie und Ihre Kollegen sind mit einem Neurotoxin vergiftet worden.“ „Die Patientin..ihr Blut ist es…“, murmelte er, woraufhin sie nickte. „Ja, das wissen wir. Sie hat ein pflanzliches Mittel eingenommen, das offenbar mit den Medikamenten der Krebstherapie reagiert hat. Der Patientin geht es aber gut. Ihren Kollegen auch. Zwei Chirurgen konnten sich Schutzanzüge nehmen und die Patientin zu Ende operieren. Allen geht es gut. Es ist nichts passiert.“ Langsam setzte er sich auf. Er fühlte sich ganz benommen. Langsam regulierte sich sein Herzschlag. „Okay…okay…“, murmelte er und sah sich um. Er befand sich in einem Behandlungszimmer. Man hatte ihn offenbar kurz vor knapp gefunden. „Dr. Matsumura…da gibt es noch etwas, das Sie wissen sollten“, fuhr die Ärztin zögerlich fort. „Es geht um Ihren Freund. Er wurde mit einer schweren Kopfverletzung eingeliefert.“ Karyu schluckte. „Er musste operiert werden, aber es geht ihm gut. Wir warten darauf, dass er aufwacht. Bei der OP gab es keine Komplikationen, es gibt keinen Grund zur Sorge“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Ich will ihn sehen…“, murmelte er. „Sie sollten sich noch etwas ausruhen“, wandte sie ein, doch er schüttelte den Kopf und legte die Sauerstoffmaske beiseite, bevor er langsam aufstand. „Nein, es geht mir gut. Ich muss ihn sehen…“ Da war er jetzt stur. Unglücklich sah die Ärztin ihn an. „Ich begleite Sie…“, gab sie nach und organisierte in weiser Voraussicht einen Rollstuhl – denn mit Laufen kam Karyu nicht weit. Er war noch schwach auf den Beinen, da das Neurotoxin in seinem Kreislauf noch nicht ganz neutralisiert war. Zero lag auf der normalen Station, nicht auf der Intensiv. Das war ein gutes Zeichen. Karyu nahm sich seine Krankenakte und schaute sie sich durch. Vitalzeichen waren stabil, alle Werte normal. Es gab wirklich keinen Grund zur Besorgnis. Er seufzte tief und sah zu der Assistenzärztin. „Was machen Sie noch hier? Los, an die Arbeit. Ich bin nicht Ihr Patient.“ „Also um ehrlich zu sein-…“, setzte sie an, doch er sah sie streng und eindringlich an. Er konnte sie hier nicht gebrauchen. „Ich werde hier bei meinem Freund bleiben, bis er aufwacht. Ich werde mit ihm reden, über Privates und ich werde ihn küssen. Sie haben hier nichts zu suchen, finden Sie nicht auch? Oder wollen Sie das unbedingt sehen?“ Das Lächeln gefror auf ihren Lippen und sie räusperte sich. „Entschuldigung“, murmelte sie und verschwand, während er die Augen verdrehte. Dann betrachtete er Zero, der blass und ungesund aussah. Sein Kopf war oberhalb der Augen einbandagiert. Jetzt bot er ein ganz anderes Bild als noch am Strand. Er war verletzt, wirkte zerbrechlich – und dennoch, oder genau deswegen, war er in Karyus Augen wunderschön. Zero sah so friedlich aus. Karyu nahm die warme Hand des Anderen und dachte darüber nach, was er eben erlebt hatte – im Kopf. Er hatte sich mit Zero unterhalten. Das Gespräch, das sie geführt hatten, würden sie wohl in der Realität auch führen müssen. An einem gab es nichts zu rütteln: Zero hatte Schluss gemacht. Aber jetzt träumte hier keiner, vielleicht konnte er ihn umstimmen. Er wollte ihn nicht verlieren. ZERO Blinzelnd öffnete ich die Augen. Mir brummte der Schädel. Ich ächzte leise. Das Gefühl war ja unerträglich. Leicht verwirrt ließ ich meinen Blick umher wandern. Ich lag in einem Bett und das Zimmer wirkte vertraut – ein Krankenzimmer, den Monitoren und der langweilig gepunkteten Bettwäche zufolge. Davon bekam man ja Augenkrebs. Ich schloss kurz meine Augen, es wirkte wohltuend, dann machte ich sie wieder auf und starrte Karyu verwundert an. Der saß nämlich bei mir am Bett und schlief offenbar im Sitzen. Ich versuchte, mich zu räuspern. "Was machst du denn hier...?", fragte ich mit kratziger Stimme, woraufhin Karyu zusammen zuckte und die Augen aufmachte. "Zero! Wie geht es dir?" Ich überging die Frage und befeuchtete meine Lippen. Ich hatte einen unsäglichen Durst. "Müsstest du nicht im OP stehen..?", erkundigte ich mich leise. Von allen möglichen Personen in diesem Krankenhaus musste er in meinem Zimmer sein? Das war mir etwas unangenehm, nachdem ich frisch Schluss gemacht hatte. Vermutlich hatte ihm einer seiner Kollegen erzählt, dass ich eingeliefert worden war. Ganz kaltherzig war Karyu offenbar noch nicht, denn er war ja nun hier an meiner Seite. Karyu bekam große Augen. "Was...? Im OP? Wieso?" "Das hast du doch gesagt", krächzte ich. "Dass du weiter operieren musst. Deine Patientin... Irgendwas war mit ihrem Blut." Fragend sah ich ihn an. Er erwiderte meinen Blick nur verständnislos. Ich meinte, dass wir uns doch über so etwas unterhalten hatten... "Nun...also...ihr geht es gut...alles erledigt", murmelte Karyu schließlich tonlos und sah mich an. "Wir haben dieses Gespräch echt geführt? Am Strand?" Ich zuckte leicht mit den Schultern - eine unangenehme Bewegung. "Ich denke schon. Ich erinnere mich an einen Strand....und an dich...wir haben uns unterhalten...über uns und..." Ich räusperte mich. "Wir haben überlegt, ob wir tot sind..." "Tja, offenbar sind wir nicht tot", meinte Karyu trocken, wurde dann aber wieder still. Es war ja auch merkwürdig. Hatten wir geträumt? Wie hatten wir das gleiche träumen können? Oder war es etwas anderes gewesen? Dann hatte ich dafür aber keine Worte. Darüber nachzudenken, brachte mir nur stärkere Kopfschmerzen ein. Ich verzog das Gesicht und verschob das Denken. "Es ist jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt", setzte Karyu wieder an und griff nach meiner Hand, "aber wegen deines Briefs...also, du überlegst es dir doch noch mal, oder?" Müde sah ich ihn an. Er sah so traurig aus, aber er hatte noch Hoffnung. Die ich ihm nehmen musste. "Du meinst, weil wir beide fast gestorben wären, mache ich jetzt doch nicht Schluss?" Ich seufzte leise. "Nein...das ändert nichts." "Ich kann es besser machen, das weißt du." "Ja, ja natürlich...da ist Luft nach oben", erwiderte ich schwach lächelnd. "Aber das hast du mir schon mal erzählt. Ich will nicht, dass du uns beide nochmal enttäuschst. Wir trennen uns...du machst deine Facharztausbildung fertig...und dann sehen wir weiter. Ich streiche dich ja nicht aus meinem Leben. Aber vielleicht sollen wir einfach noch nicht jetzt zusammen sein. Vielleicht klappt es später einmal." Das hoffte ich sehr. Karyu war der Einzige, den ich hatte… "Wenn ich weniger arbeite...?" "Ja...ich schätze schon. Ich will dich jeden Tag sehen. Nicht ein Mal im Monat. Geht es...dir denn nicht genauso?", wollte ich wissen und hätte die Stirn gerunzelt, wenn das nicht so weh getan hätte. Daher beließ ich es bei einem kritischen Blick in seine Richtung und sah, wie er den Kopf hängen ließ. "Doch, natürlich, aber...ich kann mich sofort von diesem Gefühl ablenken. Hier ist einfach genug zu tun... Es tut mir leid." Ich entzog ihm meine Hand und schüttelte gedanklich den Kopf. Es tat weh, sowas von ihm zu hören. Er verdrängte mich also. Schön. "Dann ist meine Entscheidung wohl die richtige", sagte ich nur leise. "Du gehst jetzt besser. Du hast ja Patienten..." Bekümmert sah Karyu mich an und wartete wohl darauf, dass ich ihn nochmals ansah, aber ich schloss lieber die Augen. Für mich war das hier alles auch kein Spaß. Ich fühlte mich elend, und das nicht nur wegen des Unfalls. Ich brach Karyu das Herz…aber er hatte mir das gleiche schon vor längerer Zeit angetan. Nun versuchte ich, das zu retten, was von mir übrig war. Ich hörte, wie er aufstand. "Ich liebe dich...", sagte er leise. "Pass auf dich auf..." Dann ging er. Ich öffnete die Augen wieder und starrte an die Decke. Mein Leben wurde immer deprimierender. ===================================== Es mag das Ende einer Beziehung sein, nicht aber einer Liebe! Es folgt eine weitere FF, aber es wird einen Zeitsprung geben - und einen Ortswechsel! Auf Karyus direkte Auftritte werden wir nun etwas warten müssen und verfolgen erst einmal Zeros weitere Erlebnisse - mit einem anderen Charakter. Auch Hizumi und Tsukasa treffen wir zu späteren Zeitpunkten wieder :) Bis hoffentlich bald! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)