The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 27: Ich wollte dich nicht aufhalten ------------------------------------------- Ein leises, sachtes Klopfen ertönte. Obwohl es kaum zu hören war, genügte es vollkommen, um Luan aufzuwecken, aber als er die Augen öffnete, stellte er sofort fest, dass er doch noch schlief. Nicht nur sein Gespür sagte ihm das, auch die Umgebung ließ darauf schließen. Langsam richtete er sich auf und blickte sich um. Er saß, ganz allein, mitten auf einem Fußgängerweg, der in beide Richtungen nur in eine weiße Endlosigkeit führte. Weit und breit keine Menschenseele, nur eine unheimlich künstliche Stille, als dürfte nichts und niemand diese Szene stören, die wie aufgemalt wirkte. Hier war er vor kurzem schon einmal gewesen, in einem Traum. Vorsichtig stand er auf und drehte sich zu dem Schaufenster des Süßigkeitenladens herum, an dem sich nichts verändert hatte. Genau wie beim letzten Mal tummelten sich all die lebhaften, bunten Farben hinter dem Glas, das keinerlei Risse mehr besaß und wie neu aussah. Eine unüberwindbare Mauer, von der Luan ausgesperrt wurde. Diesmal konnte er sich nicht so recht an dem Anblick erfreuen, es weckte vielmehr ein trauriges Gefühl in ihm. Natürlich erinnerte er sich noch zu gut daran, was zuletzt hier geschehen war, und das raubte ihm sämtliches Glück, das ihm die farbenfrohen Süßigkeiten sonst zu schenken vermochten. Erst recht weil er auf der anderen Seite stand. Estera, dachte er sehnsuchtsvoll und trat näher an das Schaufenster heran. Bist du noch da? Bestimmt war dieses Klopfen vorhin von drinnen gekommen. Handelte es sich nur wieder um einen Traum? Als er die Hände auf das Glas legte, erschien gleichzeitig im Laden die geisterhafte Gestalt von Estera, die genau die gleiche Pose einnahm wie er. Für einen kurzen Augenblick fürchtete Luan, er bildete sich das nur ein, aber sie verschwand nicht mehr, sondern blieb bei ihm. Sie war so nah und doch unerreichbar, dabei wurden sie nur von einer einfachen Glasscheibe getrennt. Da er nicht riskieren wollte, mit ihrer Zerstörung erneut den Zusammenbruch dieses Traumes zu beschwören, verwarf er diese Option. „Du bist noch da“, stellte er beruhigt fest. Lächelnd nickte Estera ihm zu, dennoch machte auch sie einen traurigen Eindruck. Trotz der durchsichtigen Trennwand zwischen ihnen, glaubte er zu spüren, wie ihre fürsorgliche Wärme zu ihm strömte. Dieses Gefühl war ebenso vertraut wie der Herzschlag in Athamos, angenehm und geborgen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er es auch einst bei Bernadette schon gespürt. „Ich vermisse dich“, sagte Luan flüsternd. „Bist du noch am Leben?“ Irgendwie musste es möglich sein, wenn es Estera gelungen war Mara zu erschaffen. Womöglich war das hier nur ein Trugbild, produziert durch seine Sehnsucht, die der Traum auf diese Weise zu verarbeiten versuchte, aber gerade in so einer Welt war alles möglich. Sollte auch nur die winzigste Chance bestehen, dass er hier wirklich mit Estera Kontakt aufnehmen konnte, wollte er daran nicht zweifeln, sondern offen dafür sein. „Kannst du mich hören?“, fragte er, als sie diesmal erst keine Reaktion zeigte. Abermals nickte sie und hauchte gegen die Glasscheibe, wodurch ein weißer Film darauf entstand, der ihm ein wenig die Sicht versperrte. Rasch löste sie eine Hand von dem Hindernis und schrieb etwas auf. Gespannt beobachtete Luan sie dabei und versuchte zu erkennen, wie die einzelnen Worte genau lauteten. Spiegelverkehrte Buchstaben zu lesen war gar nicht so einfach, doch es gelang ihm schneller als erwartet. „Du musst fliehen“, las er laut vor und sah sie ratlos an. „Was soll das heißen? Wovor?“ Anscheinend wollte sie erst dazu ansetzen, einen Namen zu schreiben, wich jedoch auf einmal verängstigt zurück und verschwand in den Schatten des Ladens, in denen er sie nicht mehr sehen konnte. Leicht panisch drückte Luan sich noch dichter an das Glas und versuchte sie mit den Augen in der Dunkelheit doch ausfindig zu machen, leider vergeblich. Warum war sie jetzt so schnell wieder verschwunden? „Estera?! Komm zurück!“ „Du kannst einem ja fast leidtun“, hörte er jemanden hinter sich spöttisch sagen, „Luan.“ Sofort fuhr er herum und erstarrte auf der Stelle, als er sich selbst sah, nur wenige Meter entfernt. Was hatte das zu bedeuten? Auf den zweiten Blick erkannte man allerdings schnell die deutlichen Unterschiede. Nur vom Aussehen her waren sie sich ähnlich, abgesehen von den roten Augen des anderen. Ansonsten wirkte dessen Ausstrahlung nämlich reichlich hasserfüllt und boshaft, genau wie bei Verrell. Bedeutete das etwa ... Angespannt behielt Luan seinen Doppelgänger im Auge. „Bist du Kian?“ „Uh, da hat sich jemand was gemerkt.“ Halbherzig klatschte sein Gegenüber in die Hände. „Hätte ich Kekse dabei, würde ich dir jetzt glatt einen geben.“ Unsicher wich er mit dem Rücken an das Schaufenster zurück. Gab es diesen Kian also tatsächlich? Auch in ihm hauste eine Geißel? Falls dem so sein sollte, könnten die sich dann einfach so in die Träume ihrer Wirte einschleichen? Womöglich irrte Luan sich auch und das hier war real oder, genau wie Estera, ein Teil seiner Gedanken und Gefühlswelt, der verarbeitet werden wollte. Er wusste es nicht. „Eins sag ich dir, du billiges Gefäß“, riss Kian ihn aus seinen Gedanken. „Ich gönne dir diesen Traum nicht!“ Das nächste Klatschen war um ein vielfaches lauter als die anderen zuvor und grollte unheilvoll über diese Szene weg, brachte das Glas des Schaufensters zum Vibrieren. Auf keinen Fall durfte es nochmal brechen. Bevor Luan Kian aber darauf hinweisen konnte, klatschte dieser noch ein weiteres Mal in die Hände und erzeugte dadurch einen pechschwarzen Blitz, der so flink auf ihn zuschoss, dass er nicht rechtzeitig darauf reagieren konnte. Wie ein Schwert bohrte er sich in seine Brust und schleuderte ihn nach hinten, zu kräftig für das Glas. Lautes Splittern verjagte die Stille und ließ das Bild in sich zusammenbrechen, während Luan haltlos durch das Schaufenster hindurch in die Schwärze fiel. *** Luan riss die Augen auf und schreckte hoch, eine Hand gegen die Brust gepresst. Nervös atmete er schnell ein und aus, mit dem Kopf noch halb in den dunklen Schatten verloren. Sein Blick huschte hin und her. Jetzt war er zurück in seinem Zimmer in Athamos, wo er auf dem Boden saß, also hatte er nur einen Traum durchlebt. Schon das zweite Mal so kurz hintereinander, trotz seiner eingefrorenen Zeit. Darüber konnte er sich gerade nur nicht freuen, weil etwas anderes all seine Aufmerksamkeit auf sich zog: Die schwarze Schicht auf seiner Haut kribbelte unruhig und fühlte sich heiß an. Nein ... nein! Sofort kroch Panik in ihm hoch, schlüpfte geschickt durch die instabile Atemhypnose und nahm ihn in Beschlag. Noch bevor er richtig wach war und anständig denken konnte, hatte er Angst davor, dass diese Ablagerung schon wieder zu wachsen anfing. Deshalb sprang er förmlich vom Boden hoch und hechtete Richtung Tür, um instinktiv die Krankenstation aufzusuchen. Grob riss er dabei den Mantel im Sprint vom Haken, warf ihn sich über und kontrollierte mit einem knappen Blick über die Schulter, ob Mara noch da war – anscheinend schlief sie. Anschließend verließ er sein Zimmer und rannte los, ohne auf seine Umgebung zu achten. Seine Sinne waren vollkommen auf die Hitze und das Kribbeln konzentriert und er achtete ganz genau darauf, ob sie sich ausbreitete oder nicht, begleitet von einem Stoßgebet dafür, dass es nicht passierte. Ironischerweise stieß er nach einigen Metern plötzlich mit jemandem zusammen, der sich keinen Zentimeter dadurch aus dem Gleichgewicht bringen ließ, während Luan dagegen durch die Wucht des Zusammenpralls zurückgeworfen wurde und nach hinten stolperte. Als er dann sogar zu stürzen drohte, packte ihn die Person vorher rechtzeitig am Arm und hielt ihn fest, damit er auf den Füßen stehenblieb. „Und da sagt man zu mir immer, ich wäre unaufmerksam“, brummte derjenige verständnislos. „Was ist denn los? Gibt’s ein Problem?“ Vor seinen Augen tanzten zwar noch ein paar Sterne, aber Luan erkannte Rowan auch schon bereits an seiner Stimme. Statt zu antworten, riss er sich von seiner Hand los, aus Sorge, die Regungen seiner Schicht könnten bemerkt werden. Ausgerechnet vor Rowan wollte er nicht derart Schwäche zeigen und atmete tief durch, um etwas ruhiger zu werden. „Nein“, log er gefasst. „Nein?“ Zweifelnd hob Rowan eine Augenbraue. „Und wo soll’s dann so schnell hingehen? Gibt es irgendwo was umsonst?“ Sicher wollte er nichts von Vane hören, was Luan gut verstehen konnte, doch genau da wollte er hin, um das Wachstum behandeln zu lassen. Nur: Es wuchs gar nichts. Jetzt, als er zwangsweise ein wenig zur Ruhe kam, bemerkte er, dass die schwarze Schicht nicht mehr kribbelte und sich auch abgekühlt hatte. Auf einmal musste er sich fragen, ob diese Symptome überhaupt real gewesen waren. Offenbar hatte er zu vorschnell gehandelt und sich gleich in Panik verloren. Das war ihm sehr unangenehm. Mit mir geht es echt nur noch bergab. Da Rowan ihn immer noch fordernd anstarrte, hob er entschuldigend die Hand. „Tut mir leid, ich bin wohl nur etwas überarbeitet.“ „Überarbeitet?“, wiederholte der andere ungläubig. „Wovon denn? Die Alpträume in letzter Zeit sind die reinste Lachnummer.“ „Schön, bei dir vielleicht!“ Ungewollt wurde seine Stimme lauter. „Du kannst ja auch all deine Kräfte einsetzen, anständig ausschlafen und leidest nicht ständig an Energiemangel, weil das die einzige Waffe ist, die dir noch bleibt.“ Rowans sonst so ernstes Gesicht wandelte sich in Erstaunen, vermutlich weil er Luan noch nie so erlebt hatte. Erst als Luan das dank dieser Mimik selbst auffiel, bereute er es gleich, diese Worte gesagt zu haben. Jeder wusste, wie schnell Rowan alles persönlich nahm und über die harmlosesten Aussagen wütend werden konnte. Außerdem wollte er nicht noch schwächer wirken, als er schon war. „Vergiss es bitte“, schob Luan daher hinterher und schüttelte den Kopf. „Ich wollte dich nicht aufhalten.“ Damit wollte er das Gespräch beenden und an ihm vorbeigehen, doch Rowan hob den Arm, um ihm den Weg zu versperren – und an diesen Muskeln kam niemand so leicht vorbei, wie er auch direkt selbst nochmal sagte. „Mich hält nichts auf.“ Mit einem Schnauben unterstrich er diese Tatsache. „Ich bin zwar dumm, aber verarschen lasse ich mich trotzdem nicht. Was ist los mit dir?“ Selbst wenn Luan darüber reden wollen würde, wüsste er gar nicht, wie er das erklären sollte, denn er hatte selbst kaum eine Ahnung. Also antwortete er nur mit einem schweren Seufzen und der stummen Bitte, in Ruhe gelassen zu werden, was bei Rowan leider nicht anzukommen schien. Der senkte den Arm wieder und drehte sich in die gleiche Richtung wie Luan. „Komm, ich gehe ein Stück mit dir.“ Fragend hob Luan den Blick. „Was? Wohin?“ „Was weiß ich, wohin auch immer du willst.“ Schulterzuckend erwiderte Rowan den Blick. „Wenn einem zu viele Gedanken im Kopf herumschwirren, kann etwas Bewegung Wunder bewirken. Und jetzt komm.“ Stramm setzte Rowan sich in Bewegung und gab das Tempo vor, aber Luan folgte ihm nicht sofort, sondern blieb irritiert zurück. Seit wann bemühte sich dieses Muskelpaket in dieser Form um jemanden? Könnte auch nur Neugier sein, was jedoch nicht zu Rowan passen würde. Sie mochten sich gut verstehen und so etwas wie Freunde sein, dennoch war dieses Verhalten höchst unüblich für Rowan. Sonst hatte er auch meistens etwas Besseres zu tun und wenn er sich nur mit seinem Training beschäftigte. Vielleicht war er damit auch schon durch, denn seine Haare sahen nass aus, demnach hatte er geduscht. Brauchte dieser Kerl niemals Pause? Luans Lust auf Bewegung hielt sich eigentlich stark in Grenzen, aber er wollte Rowan nicht unnötig reizen, weshalb er ihm schließlich lieber doch noch folgte. Wenigstens blieb Rowan kein besonders williger Redner, darum liefen sie eine Weile nur schweigend nebeneinander und streiften dabei ziellos durch Athamos. Manchmal hätte Luan nur gern darum gebeten, etwas langsamer zu laufen, ließ es aber bleiben und passte sich so gut wie möglich Rowans Schritttempo an. Anfangs war die Bewegung noch hilfreich dabei gewesen, nicht zu grübeln, doch irgendwann fingen die Gedanken von ganz alleine zu arbeiten an. Wie lange hatte er wohl geschlafen? War schon der nächste Tag angebrochen? Steckte Kian gerade in diesem Moment in ihm und beobachtete alles? Trug auch Rowan eine Geißel in sich? Flüchtig schielte Luan zu diesem hinüber, der darauf gleich reagierte. „Gibt’s was?“ „Nein, nichts“, wich er aus. Sobald Rowan davon hörte, dass der Verdacht im Raum stand, jeder von ihnen diente als Wirt für eine Geißel, würde er komplett ausrasten. Egal, ob diese Aussage bestätigt war oder nicht, bei solchen Themen handelte er stets äußerst impulsiv. Deswegen kam auch für gewöhnlich niemand mit ihm aus. „Ich frage mich nur, ob du nie müde wirst.“ „Wieso?“, hakte Rowan nach. „Du hast doch sicher die ganze Zeit trainiert und warst gerade auf dem Weg ins Zimmer, als ich in dich hineingerannt bin, oder?“ „Ja, und?“ „Sich auszuruhen halte ich für besser, als seine Zeit damit zu verschwenden, mit mir spazieren zu gehen.“ „Wir gehen nicht spazieren“, korrigierte Rowan ihn. „Wir bewegen uns, um deinen Kopf freizubekommen.“ Ihm war danach, einfach stehenzubleiben und nicht mehr weiterzugehen. „Das könnte ich auch alleine tun. Was interessiert dich das?“ „Ganz ehrlich?“, begann der Befragte ungewohnt ruhig. „Anfangs fand ich deine kühle, ernste Seite ja noch sehr sympathisch, aber inzwischen frage selbst ich mich, was eigentlich mit dir los ist.“ „Ich verstehe nicht ...“ Was die Veränderung anging, die Rowan hier eindeutig ansprach, das verstand er durchaus. Woran das lag, wusste er mittlerweile auch, ohne dass es ihm selbst vorher bewusst gewesen war, sich anders verhalten zu haben. Nur blieb ihm schleierhaft, warum Rowan sich auf einmal fürsorglich zeigte und solche Gespräche mit ihm anfing. Genervt stemmte dieser beide Hände in die Hüfte und wandte sich ihm zu. „Ob du es glaubst oder nicht, mir bedeuten manche Leute etwas, mit denen ich mich gut verstehe.“ Jetzt konnte Luan gar nicht mehr anders, als stehenzubleiben und Rowan sprachlos anzusehen. Dessen grüne Augen schienen nach wie vor Gift zu versprühen, doch etwas an seiner Ausstrahlung zeigte sich besorgt. Ähnlich wie bei Vane. Schätzte Luan beide so falsch ein? Geschah das hier in dieser Sekunde wirklich oder steckte er immer noch in einem Traum fest? Er konnte nicht verstehen, warum man sich um ihn sorgen sollte, außer man betrachtete ihn als zu schwach. Nicht als würdig, hier sein zu dürfen. Überfordert legte Luan sich eine Hand an die Stirn. „Weißt du, ich ... es klingt irgendwie blöd, aber ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll. Ich habe das Gefühl, nicht mal mehr mich selbst zu kennen. Es fühlt sich so an, als würde sich mir ständig etwas in den Weg stellen.“ Sei es damals, im Waisenhaus, wo ihn niemand adoptieren wollte. Sei es in dem Moment, als er Estera verlor und er nichts dagegen tun konnte. Sei es in Athamos, wo seine Traumzeit einfror und ihn das fast unbrauchbar gemacht hätte. Sei es in der aktuellen Mission, in der bisher alles nur schiefgelaufen war. Die ganze Zeit über hatte er sich nur etwas vorgemacht, in Wahrheit kam er mit gar nichts klar. Für solche trüben Gedanken hatte er aber im Grunde keine Zeit, immerhin war Ferris es, der von einer Geißel gefangengehalten wurde und leiden musste. Allerdings musste Luan sich doch einfach fragen, ob etwas oder jemand ihn leidenschaftlich hasste oder er wirklich nur zu unfähig war. „Dagegen lässt sich doch leicht etwas tun“, warf Rowan überzeugt ein. „Wenn dir etwas im Weg steht, dann zerstöre es, so einfach ist das.“ Luan horchte auf. „Zerstören?“ An sich klang es nur wie eine dieser leicht dahergesagten Floskeln, mit denen man verzweifelten Menschen Mut zu machen versuchte. Zum einen war Rowan allerdings nicht der Typ für so etwas und meinte daher seine Worte auch garantiert so, zum anderen löste diese Aussage etwas in ihm aus, das tief in ihm verborgen lag. Wie auf Stichwort setzte auch das Kribbeln seiner Ablagerung wieder ein und der Herzschlag von Athamos griff nach ihm. Versuchte noch jemand, außer Estera, ihm etwas mitzuteilen? Oder war sie hier irgendwo? Dieses Gedankenspiel konnte er nicht weiter ausführen. Aus der Richtung, in der die privaten Quartiere lagen, war plötzlich Lärm zu hören. Schüsse, begleitet von einer Mischung aus menschlichen und bestialischen Schreien, die sowohl Luan als auch Rowan in Alarmbereitschaft versetzten. Nur kurz warfen sie sich gegenseitig einen Blick zu, ehe sie wortlos den Weg zurück stürmten, den sie gegangen waren. Unterwegs griff Rowan dabei bereits über seine Schulter hinweg in die Luft, woraufhin ein riesiger Hammer sichtbar wurde, den er stets auf dem Rücken mit sich trug. Allein die Größe des Kopfes ließ nur erahnen, wie schwer er sein musste. Jeder Koloss-Traumbrecher besaß eine solche, individuelle Waffe, mit der sie massiven physischen Schaden anrichten konnten. Oft zerstörerischer als so mancher Alptraum, wie Luan anmerken musste. Schon ohne Traumzeit konnte Rowan mit dem Hammer einiges ausrichten, seine wahre Stärke entfaltete die Waffe jedoch erst mit aktivierter Taschenuhr. So weit musste es hoffentlich nicht kommen, denn in Athamos war es bislang immer sicher gewesen. Alpträume konnten hier kaum eingefallen sein, möglicherweise hatte irgendjemand die Nerven verloren, was nicht das erste Mal wäre. Manche kamen mit dem Kampf gegen Monster psychisch nicht so gut zurecht. Nein, diese bestialischen Laute können nicht von Traumbrechern stammen ... Also doch Alpträume. War es etwa von Anfang an das gewesen, worauf seine Ablagerung reagiert hatte? Möglich wäre es. Je näher sie der Lärmquelle kamen, desto lauter wurden die Kampfgeräusche. Schon in der Halle, von der aus die Tunnel zu den Gängen mit den Zimmern führten, flogen zahlreiche Energiekugeln in verschiedenen Blautönen durch die Gegend, jede einzelne verbunden mit einem lauten Knall. Noch nie war dieser Ort derart hell erleuchtet gewesen wie in diesem Moment. Bald strömten auch die ersten Traumbrecher aus den Tunneln heraus in die Halle und feuerten dabei unermüdlich mit den Pistolen auf etwas, wobei sie versuchten Fragen und Hilferufe miteinander auszutauschen. Wogegen wurde gekämpft? Luan fiel nur die Möglichkeit ein, dass noch mehr Geißeln aufgetaucht sein könnten, aber dann wäre die Behauptung wahr, dass jeder hier eine in sich trug. Diese Vorstellung wäre furchtbar. „Was geht hier vor sich?!“, brüllte Rowan in das Chaos hinein, auf eine Antwort hoffend. Kampfbereit schwang er seinen Hammer nach vorne und zog die Taschenuhr, die er so gut wie niemals abnahm und immer um den Hals trug, unter seinem schwarzen Oberteil hervor. Mit ihrer Aktivierung glühte der Kopf seiner Waffe sofort blassblau auf und wurde von Energie durchtränkt. Luan nahm sich an ihm ein Beispiel und legte sich ebenfalls seine Uhr um, damit er helfen konnte, auch wenn sie noch keine Ahnung hatten, was hier los war. Leider schienen ihre Kollegen, die längst mit kämpfen beschäftigt waren, auch nicht viel schlauer zu sein. „Durante?!“, reagierte einer von ihnen auf Rowans Frage. „Hilf uns! Da sind plötzlich haufenweise merkwürdige Alpträume aufgetaucht!“ „Was heißt hier merkwürdig?!“, wollte Rowan wissen und eilte zu den anderen vor die Tunnel. Luan konnte kaum mit ihm mithalten, nahm aber wenig später ebenso eine Position an der vordersten Front ein. Durch den Chor aus Schüssen wurden sämtliche Stimmen fast verschluckt, so dass man einander nicht richtig verstehen konnte und sich einige Sätze selbst zusammenreimen musste. So ging es Luan auch mit der nächsten Antwort, die Rowan erhielt. „Die sehen anders aus als alle anderen! Und unsere Schüsse machen denen gar nichts aus, wir Schöpfer können nichts gegen sie ausrichten!“ Dummerweise kamen Schöpfer-Prägungen am häufigsten vor, womit sie ein Problem hätten. Gerade wollte sich in Luan eine böse Vorahnung anbahnen, als aus dem Tunnel direkt vor ihnen drei von den besagten Alpträumen hervorgeschossen kamen und geschwind durch die Luft flogen. Ihre Form sah Luan nicht zum ersten Mal: Gesichtslose, menschliche Körper aus weißem Traumsand. Es handelte sich um diese unbekannte Gattung, die bei ihrer Vernichtung rote Samen zurückließen. Unmöglich, wie konnten die hier unbemerkt hereinkommen?! Zielsicher schossen die Traumbrecher auf die Alpträume, erzielten jedoch in der Tat keinerlei Effekt mit ihren Energiekugeln. Stattdessen schlugen die Feinde zurück und griffen an, einer mit Schall-Fähigkeiten, der im Flug psychische Male in die Körper seiner Angreifer jagte und die zwei anderen indem sie Stacheln aus ihrem Körper feuerten. Sie waren so flink, dass die ersten bloß ein paar Sekunden später vor Schmerzen aufschrien, als sich die spitzen Projektile in ihr Fleisch bohrten. Wütend sprang Rowan den drei Eindringlingen knurrend entgegen und fing einen von ihnen mitten im Flug mit einem kräftigen Schlag seines Hammers ab. Mit Wucht flog dieser gegen die nächste Wand und zerbröselte dort erst zum Teil zu Sand, festigte seine Gestalt jedoch erschreckend schnell wieder, als sei nichts gewesen. Natürlich fachten sie damit nur Rowans Kampfgeist an. „Glaubt ja nicht, dass ihr mir entkommen könnt!“ „Da sind noch mehr!“, schrie einer der anderen Traumbrecher. Beinahe synchron rasten daraufhin weitere dieser Alpträume aus einem anderen Tunnel in die Halle, einige davon mit Koloss-Eigenschaften. Sie schlugen wie Kanonenkugeln in die Wände und die Haupttreppe ein, woraufhin sich Risse bildeten und mit den herunterfallenden Gebäudeteilen spürte Luan auch einen Stich in der Brust. Für ihn fühlte es sich wie ein Angriff gegen seinen eigenen Körper an. Mein Zuhause ... Nicht nur das, auch die Hilflosigkeit der Traumbrecher zu sehen, war verletzend. Die meisten feuerten tapfer weiter Schüsse ab, obwohl es sinnlos war, aber andere kauerten sich zusammen und vergaßen, dass sie noch mehr Fähigkeiten als ihre Pistolen hatten. Nur Rowan attackierte die Alpträume mit seinem Hammer, bewirkte damit jedoch auch nicht viel. Zwar gelang es ihm problemlos, die feindlichen Körper zu zerlegen, aber was nützte es, wenn sie sich stets wieder zusammensetzten? Auch Koloss-Waffen arbeiteten mit der Energie des Traumbrechers und da diese hier nichts auszurichten schien, war selbst seine Mühe vergeblich. Und doch riefen andauernd die anderen nach seiner Hilfe, weil sie wussten, dass er unter ihnen mit einer der stärksten war – in solch einer Situationen stand es eben nicht mehr an erster Stelle, ob man jemanden leiden konnte oder nicht. Die anderen Koloss-Traumbrecher mussten sich noch in den Tunneln aufhalten und dort kämpfen, da sie sich nicht so leicht zurückschlagen ließen. „Luaaaaaan~!“, stieß einer der Alpträume jäh hervor und hielt auf ihn zu. Auch dieser Feind kannte seinen Namen? Schon der Alptraum in Limbten vor dem Hotel hatte ihn so angesprochen, dabei dürften sie doch gar nichts über ihn wissen. Darüber konnte er aber jetzt nicht nachdenken, er musste sich verteidigen. Sich, die anderen und Athamos. So gut es ihm möglich war. Den Alptraum im Wald, gegen den Ferris gekämpft hatte, konnte er immerhin vernichten, wenn auch nur mit einer Menge Energie. Er ließ den Deckel seiner Uhr aufspringen und aus dem gleißenden Licht erschien seine Pistole, die er sich aus der Luft schnappte. „Komm nur! Ich sehe nicht tatenlos zu, wie ihr hier alles zerstört!“, entgegnete er entschlossen und zielte mit der Mündung auf den Alptraum, der sich auf ihn stürzen wollte. „Ich habe schon mal einen von euch erledigt. Das schaffe ich nochmal!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)