The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 20: Du bist nicht kaputt -------------------------------- Luan versuchte nicht daran zu denken, dass Vane ihn schon wieder mit Schall-Prägung an einen Ort gebunden hatte, weil er sich auf das folgende Gespräch konzentrieren wollte. Es war doch zu wichtig, als dass er sich jetzt von seinem Groll gegenüber dem Arzt ablenken lassen durfte. Dafür hatte er Ferris darum gebeten, darauf zu achten, ob Vane und Bernadette irgendetwas Verdächtiges taten. Allmählich sprachen nämlich alle Zeichen dafür, dass Vane mit Bernadette unter einer Decke steckte und das überraschte Luan nicht mal. Jemand wie dieser fanatische Forscher passte ausgesprochen gut zu einer Verräterin. Besser, sie spielten eine Weile mit, bevor sie die beiden in Haft nahmen. Falls sie etwas planten, mussten sie das irgendwie in Erfahrung bringen. Im besten Fall vor der Umsetzung, sollte die nicht schon längst eingeläutet worden sein. Nein, konzentriere dich jetzt auf das Gespräch mit Mara, wies er sich selbst zurecht. Du schaffst auch nur eins nach dem anderen. Was ihn ein wenig störte. Viel lieber wollte er gleich alles auf einmal regeln können, damit wieder Ruhe einkehrte und er hoffentlich zu seiner gewohnten Routine zurückfand. Zu den Zeiten, in denen sein einst so verlässliches Wissen bezüglich Alpträume noch ausgereicht hatte und dank der die Jagd für ihn vorher stets einfach gewesen war. Jetzt öffnete er aber zuerst die Tür zu Maras Zimmer, ohne zu klopfen. Da er sich mit ihr zusammen schon einmal hier oben umgeschaut hatte, wusste er noch genau, welche Räume hinter den einzelnen Türen lagen. Maras Zimmer entpuppte sich als der einzige Ort im Haus, in dem Luan von Licht geblendet wurde. An sich war es normal, wenn jemand früh morgens nicht gern im Dunkeln saß und deswegen die Lampe eingeschaltet hatte, nur gab sie ein so grelles Leuchten von sich, dass es doch ungewöhnlich wirkte. Oder es kam Luan nur so hell vor, weil sonst überall das Licht noch ausgeschaltet und es angenehm dunkel gewesen war. Als nachtaktiver Traumbrecher reagierte man mit der Zeit schnell allergisch auf Helligkeit, sollte man Pech haben. Der Großteil von ihnen hatte mit dem Wechsel von Dunkelheit zu Licht gar keine Probleme, Luan gehörte zu dem geringen Prozentsatz auf der anderen Seite. Nachdem er einige Male heftig blinzeln musste und sich rasch über die leicht tränenden Augen rieb, gewöhnte er sich langsam an dieses strahlend weiße Licht, das den Raum durchflutete. Hinter ihm fiel die Tür zurück ins Schloss, was nur kurz für ein störendes Geräusch sorgte und durch das die hier herrschende Stille gebrochen wurde. Diese Ruhe und dazu die Lichtverhältnisse ließen den Raum seltsam heilig erscheinen. Genau gegenüber der Tür stand ein Bett seitlich vor einem Fenster mit blau-weißen Vorhängen, die zugezogen worden waren und die Sicht nach draußen versperrten. So konnte man nicht sehen, wie weit die Sonne schon aufgegangen war. Auf dem Bett saß Mara, hatte beide Beine angewinkelt und umklammerte sie mit den Armen, während sie ihren Kopf in den Schoß vergrub. Sie gab ein ziemlich bedrücktes Bild ab, schon am Telefon hatte sie sich nicht gut angehört. Lag es wirklich nur daran, dass Luan ohne Abschiedsworte gegangen war? Konnte er sich gar nicht vorstellen. Rechts im Raum stand ein Schreibtisch, der nur deswegen Luans Aufmerksamkeit erregte, weil dort ein aufgeschlagenes Buch lag, das geradezu eine magische Ausstrahlung besaß. Dabei konnte es sich nur um Diarium Fortunae handeln, eine Kopie, wie er von Bernadette wusste. Ansonsten ließen sich hier Regale mit weiteren Büchern finden und ein großer Kleiderschrank, nur besaß dieser Raum im Vergleich zum restlichen Gebäude eine modernere Note als die anderen. Statt etwas zu sagen, zog es Luan erst Richtung Buch und der Teppich dämpfte das Geräusch seiner Schritte, als er zum Schreibtisch hinüberüberging. Eigentlich wollte er gar nicht reinschauen, sondern es nur zuklappen und an sich nehmen, denn er durfte gar nicht darin lesen. Dieser Regel wollte er als Traumbrecher auch folgen, selbst wenn es ihn ärgerte, dass gerade Mara sich schon so viel Wissen durch das Buch aneignen konnte und Bernadette hatte es einfach zugelassen. Ich ja auch, aber damit ist jetzt Schluss, dachte er entschlossen. Dummerweise streiften seine Augen den Titel des aktuell aufgeschlagenen Kapitels. Nur ganz kurz, aber es reichte aus, um sein Interesse zu wecken: Sakromahr. Sein Herz schlug ein wenig schneller, weil allein der Name dieser Alptraumgattung etwas in ihm aufwühlte und er gleichzeitig wusste, dass er auf keinen Fall weiterlesen durfte, egal wie gern er gerade wollte. Sofort musste er an Theeder zurückdenken und an sein Versprechen, Ferris dazu zu bringen, ihn wieder freizulassen. Wie sollte er das anstellen, wenn Ferris Theeder komplett aus seiner Vergangenheit gestrichen hatte? Bei dem Thema Sakromahr musste Luan aber auch noch an jemand anderen denken. Estera. Sie war damals der Grund dafür gewesen, warum er zum Traumbrecher geworden war. Wegen Estera und allen anderen Sakromahren, die es auf der Welt gab. In diese alten Erinnerungen durfte er sich nicht verlieren, nicht jetzt. Außerdem schienen sie sowieso auf merkwürdige Weise weit entfernt zu sein, also verdrängte er sie einfach komplett, so wie er es immer mit Bildern aus der Vergangenheit tat, und klappte hastig das Buch zu, ehe er doch noch in Versuchung kommen könnte. Hierbei hatte er die Rechnung aber ohne Mara gemacht, sie fing plötzlich an zu sprechen. „Sakromahr setzt sich zusammen aus den Worten sakrosankt und Mahr. Sie werden in den meisten Fällen aus Tagträumen geboren.“ Ein wenig angespannt drückte Luan seine Hand auf den vorderen Einband des Buches nieder und blickte über die Schulter hinweg zu Mara. Ihre Stimme klang brüchig. Ob sie geweint hatte? War ihr seine Anwesenheit doch aufgefallen oder redete sie nur vor sich hin? An ihrer Körperhaltung hatte sich nichts verändert, noch immer saß sie reglos auf dem Bett und er konnte ihr Gesicht nicht sehen. „Ein Sakromahr gilt als etwas Besonderes, weil sie so selten sind“, fuhr Mara gedämpft fort, ohne den Kopf zu heben. „Auch sagt man ihnen nach, sie wären heilig, aber da ihr Ursprung in negativen Gefühlen liegt, die sich nur zu einem starken Wunsch nach einer positiven Veränderung wandeln, werden sie zur Gattung der Alpträume gezählt.“ „Hör auf“, warf Luan ein. Dadurch wollte er auf sich aufmerksam machen, falls sie ihn doch noch nicht bemerkt hatte und nur mit sich selbst sprach. „Das weiß ich alles und will es nicht hören.“ Sollte sie damit anfangen Dinge aus dem Buch zu zitieren, von denen er noch nichts wusste, wäre es zu riskant, Mara einfach weitersprechen zu lassen. Seine Worte zeigten nur offenbar keine Wirkung, da sie dennoch mehr von ihrem Wissen preisgab, das sie durch das Lesen gewonnen hatte: „Sie sind eine unnatürliche Erscheinung, obwohl ihre Existenz sehr real ist, sobald sie erst mal durch einen Tagtraum geboren werden. Nur ihre Erzeuger oder Traumbrecher sind dazu in der Lage, einen Sakromahr zu sehen. Andere Alpträume natürlich auch.“ „Es reicht jetzt“, versuchte Luan erneut sie zu stoppen und nahm das Buch an sich, bevor er zu ihr ans Bett trat. „Ich habe gesagt, du sollst aufhören.“ Mara machte weiter, als hätte sie ihn gar nicht gehört: „Ein Sakromahr nimmt stets die Gestalt des Wunsches an, den der Erzeuger sich im Tagtraum herbeisehnt und wirkt daher oft perfekt. Je nach Inhalt des Wunsches nehmen sie auch einen bestimmten Charakter an und von ihnen geht nur selten Gefahr aus. Man kann sie nicht als menschlich bezeichnen, auch wenn sie oftmals wie ein Individuum erscheinen mögen, denn sie folgen nur den Richtlinien des Wunsches, aus dem sie entstanden sind.“ In Luan sträubte sich alles gegen die Aussage, dass Sakromahre keine Menschen sein sollten. Auch Theeder hatte schon von sich selbst behauptet, kein eigenes Leben zu besitzen und das konnte er nicht akzeptieren. Es war falsch. Auch ein Sakromahr hatte ein Leben, sie dachten und fühlten schließlich, genau wie jeder Mensch. Diesen Glauben wollte er sich niemals zerstören lassen, selbst wenn es sogar in dem Buch stand. Diarium Fortunae beinhaltete angeblich nur Wissen, das auf Tatsachen beruhte und doch glaubte Luan etwas anderes. „Aus solchen Träumen, einem Sakromahr, bilden sich meist Energiequellen, die in der-“ „Schluss jetzt!“, unterbrach Luan sie nun lauter und gereizt. So weit hätte er sich ihre Wiedergabe des Kapitels nicht anhören dürfen. „Nicht alles, was in Büchern steht, ist auch automatisch wahr! Also verschone mich bitte damit, mir noch mehr davon zu erzählen.“ Minimal hob sie den Kopf träge an und war verwundert über seine Reaktion. „Ich dachte nur ... dass du das gerne hören wolltest, weil du den Eindruck gemacht hast, als würden dich Sakromahre interessieren.“ Woher wusste sie das? Vermutlich musste sie zwischendurch unbemerkt zu ihm geschaut haben, sonst könnte er sich nicht erklären, woran sie das sonst gemerkt haben sollte. Jedenfalls fing das Wiedersehen mit Mara mal wieder besonders schräg an, wie gewohnt benahm sie sich seltsam und geheimnisvoll. Das hatte Luan wirklich satt. „Wie gesagt, ich weiß auch so über sie Bescheid“, zeigte er sich abweisend. „Ich bin nicht gekommen, um mir Märchen aus dem Buch anzuhören, sondern um es abzuholen und um zu reden.“ „Ich wollte nur ...“, begann sie verunsichert. „Ich wollte es einfach hinter mich bringen.“ Wovon redete sie jetzt schon wieder? Eigentlich könnte Mara sich ruhig mal etwas dankbar zeigen, dass er pünktlich morgens zu ihr gekommen war, genau wie vereinbart. Diese Aussage schluckte er aber ausnahmsweise mal herunter und fing lieber damit an, das richtige Gespräch mit ihr in Gang zu setzen: „Da gibt es so einige Dinge, die ich dich fragen muss.“ Diesmal würde er sich davon nicht mehr abbringen oder ablenken lassen, auch nicht von sich selbst. Ihn verlangte es nach der Wahrheit, sonst würde er es bald nicht mehr länger aushalten. Als sie endlich den Kopf noch mehr anhob, war das schon mal ein gutes Zeichen dafür, dass Mara sich kooperativ zeigte, doch der Anblick ihres Gesichts versetzte ihn auf der Stelle in eine kalte Starre. An ihren verweinten, geschwollenen Augen lag es nicht. Etwas anderes ließ auf einmal seinen Atemreflex aussetzen und er fragte sich, wieso er das nicht schon viel früher bemerkte hatte. Es war so offensichtlich und er erkannte es erst jetzt. Diese Frau, Mara, sah aus wie Estera, nur mit einer anderen Haar- und Augenfarbe. Blond war zu schwarz und grün zu blau geworden. Ihre Gesichtszüge und die Frisur waren dafür das exakte Ebenbild von Estera. Wie war das möglich? Wieso war ihm das vorher nicht aufgefallen? Estera hatte er in dieser Erscheinung vor wenigen Tagen sofort wiedererkannt, deshalb verstand er es erst recht nicht. Irgendetwas musste sich verändert haben, seit er Mara zuletzt gesehen hatte und die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: Etwa auch wegen der Atemhypnose? Was war ihm wohl bisher noch alles entgangen? Hatte so eine Gefühlssperre denn wirklich einen derart hohen Einfluss auf den Betroffenen? Fragen über Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, schon wieder. Vor diesem Einsatz war alles in Ordnung gewesen, danach sehnte er sich zurück. Alles war gut gewesen und jetzt herrschte nur noch Chaos, wie er abermals feststellen musste. Immer noch blieb Mara der Auslöser dafür, vorher hatte ihm die Atemhypnose nie irgendwelche Probleme bereitet. Er hatte sie nicht einmal realisiert. „Mara“, brachte er nur schwer hervor und sah sie ungläubig an, „was bist du eigentlich?“ In ihren blauen Augen stand geschrieben, dass sie sich ebenso verloren vorkam wie er und durcheinander war, doch sie gab ihm eine klare Antwort auf seine Frage. „Ein Sakromahr.“ Endlich ergab vieles einen Sinn. Zum Beispiel wieso sie keine Angst vor Dunkelheit hatte und sich Maras Stimme so perfekt in den Klang des Trugmahrs einfügt hatte. Sie waren beide Alpträume. Auch warum das Klingeln im Hotel so penetrant laut gewesen war und das Telefon sich kalt angefühlt hatte, solch seltsame Gegebenheiten konnten Sakromahre durchaus bewirken. Andere Dinge dagegen warfen neue Fragen auf, das nahm einfach kein Ende. Im Moment war er von dieser Offenbarung zu überrascht und schien seine Sprache verloren zu haben, doch das Reden übernahm auch Mara schon an seiner Stelle. „Ich bin nichts weiter als ein Traum“, fügte sie bedrückt hinzu. „Und Träume können selbst nicht träumen.“ Ein Traum. Während er sich diese Worte durch den Kopf gingen ließ, wurde ihm nun auch bewusst, wieso Mara Ferris auf Anhieb durchschaut und deswegen gefragt hatte, ob er sich immer verstellen würde. Träume bestanden aus Gefühlen und besaßen dafür demnach ein wesentlich feineres Gespür, als Menschen oder Traumbrecher jemals haben könnten. Hätte sie dann nicht auch von Anfang an bemerken müssen, dass Luan kein gefährlicher Entführer war? Nein, das war ihr wegen der Atemhypnose vermutlich nicht möglich gewesen. Seine Gedanken wurden von den folgenden Worten durchbrochen: „Ich will aber auch träumen können.“ „Was?“, reagierte Luan irritiert. „Ich will auch träumen können“, wiederholte Mara und sah ihn verzweifelt an. „Deshalb habe ich versucht zu vergessen, dass ich selbst ein Traum bin, aber das hat mich nicht weitergebracht. Das war keine Lösung. Hier habe ich dann vor kurzem beim Aufräumen das Buch gefunden.“ Betroffen sackte sein Blick zu Diarium Fortunae hinunter, das sich endlich, nach einem viel zu langem hin und her, in seinen Händen befand. Also war es nicht nur reine Neugier gewesen, sondern die Hoffnung, darin eine Lösung zu finden. Ob Bernadette über Maras wahre Herkunft wirklich von Anfang an Bescheid gewusst hatte? Ihm selbst war es die ganze Zeit über nicht aufgefallen und er war ein Traumbrecher. Er hätte es eigentlich auch erkennen müssen. Wie war es Bernadette möglich gewesen? Also, wenn sogar andere Traumbrecher es nicht erkennen, dann ist sie wirklich was Besonderes, das waren Bernadettes Worte gewesen. Etwas an Mara war anders, daran könnte es durchaus liegen. Andernfalls hätte auch Ferris bemerken müssen, was sie in Wahrheit war. Statt weiter nachzudenken, sollte er besser etwas sagen und nicht länger schweigen. „Und? Hast du etwas gefunden?“ „Nein, auch das war keine Hilfe. Es ist sinnlos.“ Ihre Augen füllten sich mit neuen Tränen. „Ich dachte, es wäre gut, sich gegen meine Bestimmung zu wehren und zu versuchen, eigene Wege zu gehen, aber das ist schlecht. Unausgeglichen zu sein ist kein gutes Zeichen. Das zeigt nur, dass ich total kaputt bin und nicht mehr richtig funktioniere. Ich darf einfach nicht träumen.“ Luan fühlte sich mit dieser Situation überfordert. Alleine die Tatsache, einen Sakromahr vor sich zu haben, den er nicht als solchen erkannt hatte, war für ihn ein schwerer Schlag und dann sah Mara auch noch aus wie Estera. Hörte die Serie aus Verwirrung auch irgendwann mal wieder auf? Wenigstens ließen sich nun ihre Stimmungsschwankungen erklären, die manchmal so seltsam waren. Sie besaß einen festgelegten Charakter, entsprechend ihrer Bestimmung, mit der sie erschaffen worden war und brachte sozusagen ihr gesamtes System durcheinander, sobald sie gegen die Richtlinien ihrer Existenz handelte. Unwillkürlich verkrampfte sich Luans Griff um das Buch. „Du bist nicht kaputt“, entglitten ihm die Worte von alleine. „Du bist doch schon längst dazu fähig, zu träumen.“ Diese Aussage ließ Mara überrascht blinzeln, wodurch die Tränen befreit wurden und ihr über die Wangen liefen. „Wie meinst du das?“ „Du träumst davon zu träumen. In meinen Augen ist das schon sehr menschlich.“ An ihrer Mimik konnte Luan erkennen, dass sie dem widersprechen wollte, es aber nicht tat. Obwohl er diese Worte so meinte, wie er sie gesagt hatte, glaubte sie ihm nicht und das gab ihm ein Gefühl von Enttäuschung. Auf einmal hätte er gern einen viel besseren Draht zu ihr und das merkte Mara bestimmt, immerhin verhielt er sich ihr gegenüber gerade wesentlich offener als sonst. Leider machte sein Verhalten sie nur noch trauriger. „Es geht dir nicht um mich“, stellte sie monoton fest und senkte den Kopf. „Es geht dir um das Buch und darum, Antworten von mir zu bekommen, aber nicht um mich. Ich bin eben doch nur ein Sakromahr.“ Dagegen konnte Luan nichts sagen, um ihre Worte zu entkräften. Das Gegenteil zu behaupten, wäre eine Lüge, also tat er es nicht. Ja, er war wegen des Buchs und Antworten hier, nicht weil ihm etwas an Mara lag. Für ihn war sie sogar eine Verdächtige, was all diese Vorkommnisse anging, seit er sie getroffen hatte. Eigentlich war das doch auch recht verständlich und nachvollziehbar, oder? Je weiter er aber zurückdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass ihm auch viele andere Personen vor Mara schon egal gewesen waren. Wann war aus ihm nur so ein Einzelgänger geworden, der lieber alleine war? Seit wann genau lief er schon mit dieser Atemhypnose herum? „Tut mir leid“, gab er nach einer Weile leise von sich und machte sich nicht die Mühe, gegen ihre vorherigen Worte anzugehen. „Mara, wer hat dich erträumt? Was ist deine Bestimmung?“ Schlagartig wechselte ihre Stimmung und sie wurde erschreckend ernst, nur die Tränenspuren mitsamt den glasigen Augen erinnerten noch an ihre Traurigkeit von zuvor. Die Art, wie sie ihn mit ihrem Blick fixierte, behagte ihm nicht. Ihr war anzumerken, dass es etwas gab, weswegen Mara ihn nicht ausstehen konnte und doch hing ein anderer Teil von ihr an Luan. „Kannst du dir das nicht selbst denken?“, konterte sie mit einer Gegenfrage. Doch, das konnte er. Oft genug hatte Mara gesagt, sie könnte ihn nicht aus den Augen lassen und das bedeutete, ihre Bestimmung musste mit ihm zusammenhängen. Jemand hatte sie wegen Luan erträumt, die Frage hierbei war nur: Warum? Auch das Wer blieb bestehen. Normalerweise ähnelte kein Sakromahr dem anderen und er konnte sich nicht vorstellen, dass Estera ein Ebenbild von sich geschaffen hatte. Wie sollte das möglich sein? Estera war tot. Das wusste er, wollte sich aber nicht daran erinnern. Sie war für immer verschwunden, schon vor vielen Jahren. Nicht nur das, sie war außerdem selbst auch ein Sakromahr und Luan derjenige, der sie sich damals in seiner Kindheit erträumt hatte. Konnten Träume andere Träume erschaffen? „Ich brauche Antworten“, bat er sie eindringlich. Anders kam er nicht weiter. „Bitte, sag es mir. Ich bin-“ Luan stockte kurz und seufzte schwer. „Wie ich dir schon am Telefon sagte, bin ich gerade sehr durcheinander und es wird nicht besser.“ Für einen kurzen Augenblick schien sie aufrichtiges Mitgefühl für ihn zu empfinden und öffnete bereits den Mund, kam aber nicht mehr dazu, etwas zu sagen. Noch während des nächsten Atemzugs veränderte sich ihre Stimmung wieder und ließ sich diesmal nur schwer deuten. Da war eine Menge Anspannung und vielleicht sogar Angst, vermischt mit einer Art Unterwürfigkeit, wie sie Luan bisher noch nie gesehen hatte. Ihr Blick fixierte etwas oder jemanden, der hinter ihm stehen musste. Sofort fuhr er herum und runzelte die Stirn, als er sah, dass er Ferris vor sich stehen hatte. Seit wann reagierte Mara so eigenartig auf ihn? Merkwürdiger war allerdings, wie leise Ferris beim Betreten des Zimmers gewesen sein musste. Für gewöhnlich machte er sonst nur zu gern auf sich aufmerksam und diesmal hatte Luan ihn überhaupt nicht bemerkt. Ein unangenehm kalter Schauer fuhr ihm über den Rücken. Eine böse Vorahnung? „Was machst du hier? Du solltest doch draußen warten“, verhielt Luan sich nicht gerade begeistert. Dem begegnete Ferris mit einem charmanten Lächeln, wie immer. „Habe ich doch~. Bis gerade eben.“ „Für solche Späße bin ich jetzt echt nicht zu haben, Ferris.“ „Das bist du doch nie“, korrigierte er ihn schmunzelnd und hob einen Zeigefinger vor seinen Mund. „Würde es dich trösten, wenn ich nicht Ferris bin? Darf ich dann bleiben?“ Irritiert zog Luan die Augenbrauen zusammen. „Was redest du da?“ Ein leises Rascheln ertönte vom Bett aus und er warf einen flüchtigen Blick zu Mara, die so weit wie möglich zurückgewichen war. Ferris machte sie eindeutig nervös. Bloß eine Sekunde später begriff Luan dann auch schon von selbst, wieso es so sein könnte. Ein Sakromahr lag in der Rangfolge der Alpträume zwar weit oben, über ihnen standen aber noch die Geißeln, also hatten sie sich ihnen unterzuordnen. Bedeutete das etwa ... „Du bist die Geißel?“, sprach er seinen Gedanken laut aus. Es folgte ein erstauntes Pfeifen von Ferris. „Oho, begreift der werte Herr es also doch noch? Kommt reichlich spät. Vorhin ist dir gar nichts aufgefallen.“ Das konnte doch nicht sein. Was hatte der Feind hier zu suchen? Sein letztes Treffen mit der Geißel von Ferris lag ihm noch klar und deutlich vor Augen, weshalb es ihn gleich nochmal fröstelte. Auf der Stelle wurde auch Luan von Anspannung übernommen und er beobachtete die Geißel misstrauisch, um notfalls auf jede ihrer Bewegungen reagieren zu können. Genau wie letztes Mal wusste sie ihre Bosheit erschreckend gut zu verstecken und das verunsicherte ihn. War sie es wirklich? „Owww, du bist niedlich, wenn du dir unsicher bist“, bemerkte die Geißel amüsiert und behielt Luan ebenfalls genau im Auge. „Letztes Mal hattest du einen Emotionsschub, da war es verständlich, dass du so durcheinander warst. Laut deinen eigenen Worten bist du das also jetzt immer noch? Du armer Kerl.“ Unruhig biss Luan die Zähne zusammen. Jeglicher Funken Mitleid war bei dieser Person nur gespielt und darauf konnte er auch allgemein getrost verzichten. Ärgerlich war nur, dass er zu spät die hellere Augenfarbe von Ferris bemerkte, die bereits schwach Richtung Rot tendierte. Schon bei seiner ersten Begegnung mit der Geißel war dieser Hinweis existent gewesen, darum hätte Luan ihn sofort wiedererkennen müssen. Er war nicht mal mehr dazu in der Lage, auf solche Details zu achten, zumal das letzte Treffen noch nicht lange her war. Sah er Ferris beim Sprechen überhaupt jemals bewusst in die Augen? Bevor er sich auf ein Gespräch mit diesem Alptraum einließ, stellte er sich dichter vor das Bett und somit auch schützend vor Mara. „Wo ist Ferris?“ „Wie präzise“, urteilte der Feind milde lächelnd – bei ihm wirkte dieser Gesichtsausdruck einfach falsch. „Trifft sich aber gut mit meinen Absichten. So können wir schneller zum Punkt kommen: Er ist gerade meine Geisel.“ Über diesen schlechten Wortwitz konnte Luan gerade nicht lachen, selbst wenn er gewollt hätte. In der Nacht hatte er Ferris erst von einem Alptraum befreit und nun war er scheinbar wieder in Gefahr, wegen dieser Geißel. Seine freie Hand ballte sich zur Faust und er drückte mit der anderen das Buch fest an sich, während er versuchte seine Gedanken halbwegs zu ordnen. Wirklich leicht, sie unter Kontrolle zu halten, war es nicht. Wenigstens blieben seine Gefühle ruhig, so wie es auch vor diesem ganzen Ärger immer gewesen war. „Der gute Doktor und seine Freundin übrigens auch“, fuhr die Geißel fort. „Um die brauchst du dir also auch keine Gedanken zu machen.“ Die machte Luan sich trotzdem. „Was hast du mit ihnen vor?“ „Nichts allzu schlimmes, das sind nur Vorsichtsmaßnahmen. Ich war bei unserem letzten Gespräch nämlich noch nicht fertig, jetzt wirst du dir aber Zeit für mich nehmen müssen. Solange ich Ferris und die anderen habe, machst du besser nicht nochmal irgendwelche Dummheiten.“ „Was willst du?“ „Du bist so schrecklich fixiert“, bedauerte sein Gegenüber. „Das warst du auch schon mit gebrochener Atemhypnose, du stellst viel zu viele Fragen.“ „Ich habe auch keine Lust, mit dir einen Kaffeeklatsch zu führen. Ich bin Traumbrecher und du ein Alptraum“, stellte Luan ungeduldig die Verhältnisse klar. „Also, was willst du?“ Beschwichtigend hob die Geißel eine Hand und tat dabei so, als gäbe es keinen Grund zur Eile. „Na, na. Immer langsam. Ein wenig mehr Ruhe ist besser für die Gesundheit.“ „Du verschwendest deine Zeit mit solchen Spielchen“, sagte Luan darauf ernst. Er mochte durcheinander sein, ja, dennoch waren seine Emotionen stabiler als letztes Mal und dass er diesen Umstand Vane zu verdanken hatte, besserte seine Laune nicht gerade. „Sag mir einfach, was du willst.“ „Spielen“, griff der Doppelgänger von Ferris das Wort auf und breitete einladend die Arme aus. „Dieser Ort erscheint mir nicht würdig genug, um solch wichtige Einzelheiten zu besprechen. Deshalb lade ich dich hiermit in mein Refugium ein, wo wir uns unter vier Augen unterhalten können. Das letzte hast du ja bedauerlicherweise vernichtet.“ „Was ich jederzeit wieder tun könnte“, drohte Luan. Vor diesem Gegner wollte er ganz sicher keine Schwäche zeigen. Selbstsicher war die Geißel schon mehr als genug und da Luan sich nicht mit dieser Alptraumgattung auskannte, konnte er nicht mal einschätzen, ob das auch berechtigt war. Sein Kontakt zur Atem-Prägung war zwar wieder gestört und nur schwer zu nutzen, doch das musste ja niemand außer Vane und Luan wissen. Ein wenig Druck in der Hinterhand zu haben war besser, als gar nichts gegen den anderen nutzen zu können. Unbeeindruckt hob der Feind nur die Schultern. „Vielleicht gefällt dir die Optik diesmal besser.“ Das bezweifelte Luan doch stark, besonders falls das Refugium hier im Keller des Hauses gemeint war. Dort hatte es nichts außer Schwärze gegeben und er glaubte kaum, jetzt etwas anderes vorzufinden. Wann sollte die Geißel Zeit gehabt haben, ihr Versteck auszubauen? An der Optik war er aber ohnehin kein Stück interessiert. „Woher weiß ich, dass du mich nicht in eine Falle locken willst?“, gab Luan zu bedenken. „Was denn, vertraust du mir etwa nicht?“ „Das liegt ja wohl auf der Hand.“ „Wie gemein.“ Offensichtlich hatte die Geißel ihren Spaß an Luans Verhalten, da sie über diese Offenheit nur lachen konnte. „Reicht dir Ferris’ Sicherheit als Grund etwa noch nicht aus? Schön, wie wäre es damit: Ich werde dir außerdem ein paar wirklich gute Antworten geben, die dir helfen werden, nicht mehr so durcheinander zu sein. Klingt das gut?“ Ein paar gute Antworten klangen in der Tat nicht schlecht, aber Luan hatte allen Grund, weiterhin misstrauisch zu bleiben. Vane hatte gesagt, Geißeln waren keine Legende und langsam wäre es kindisch von Luan, weiterhin daran zu zweifeln, gerade eine vor sich zu haben. Er musste also äußerst vorsichtig sein, besonders weil er nicht viel über diese Gattung wusste. Umsonst standen sie in der Hierarchie allerdings bestimmt nicht ganz oben. „Mir bleibt kaum eine andere Wahl“, stimmte Luan zu. „Sehr schön, dann treffen wir uns unten. Ich bin es auch schon echt leid, hier den Ferris zu mimen“, gab die Geißel sich erfreut und blickte an Luan vorbei zu Mara, sprach aber weiter mit ihm. „Denk daran, unter vier Augen. Das wird nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein persönliches Gespräch.“ Eine Weile hielt der Alptraum den Blickkontakt zu Mara, was Luan nicht gefiel. Etwas gab ihm das Gefühl, dass er versuchte in ihren Geist einzudringen, weshalb er einen Schritt zur Seite machte, um dem Feind endgültig die Sicht auf sie zu versperren. Das wurde von diesem aber nur mit einem Lächeln hingenommen, ehe sein Körper plötzlich absackte und im Boden zu versinken begann. Dunkle Schatten hatten sich auf diesem ausgebreitet, wie ein neuer Teppich und ihr unnatürlicher Verlauf verriet Luan, dass dieses Haus nicht mehr sicher war. „Lass mich nicht zu lange warten, Luan. Bei Verabredungen bin ich kein Freund mehr von Ruhe.“ Als die Geißel vollständig von den Schatten auf dem Boden verschluckt worden war, wechselte Luan das Buch in die linke Hand und griff mit der anderen in seine Manteltasche, aus der er die Taschenuhr hervorholte. Zügig legte er sie sich um den Hals und seine Sicht erweiterte sich auf Aureuph, was er schnell bereute. Momentan flimmerte die hellblaue Ebene so stark, dass er heftig blinzeln musste und sich die Augen rieb. Etwas war mit diesem Haus geschehen und es sah nicht gut aus. Sämtliche Flächen, die von dem Hellblau ausgekleidet wurden, zitterten, wodurch viele kleinere Wellenbewegungen stattfanden. So unruhig hatte Luan diese Sichtebene noch nie erlebt und da dieses Flimmern zu sehr in den Augen schmerzte, musste er die Taschenuhr wieder abnehmen. Sah fast danach aus, als hätte die Geißel es geschafft, etwas an Aureuph selbst zu verändern. Genau konnte er es nicht sagen. „Ich muss zu ihm runter“, brach er die Stille, bevor sie sich richtig entfalten konnte, und drehte sich zu Mara. Ihre Anspannung hatte sich noch nicht gelöst. „Alles in Ordnung?“ Nervös schüttelte sie den Kopf. „Ich habe Angst. Diese Aura ... sie kam mir bekannt vor.“ Eigentlich sollte er besser sofort in den Keller runtergehen, zu dem Refugium, statt vorher noch eine Unterhaltung zu führen. So konnte er Mara aber doch nicht zurücklassen, schon alleine weil er nicht wusste, was in diesem Haus alles passieren konnte, wenn Aureuph so unruhig war. Drei Leute waren bereits verschwunden und zu Geiseln geworden, sofern an dieser Aussage etwas dran war. Am besten sollte er das Gebäude untersuchen, bevor er in den Keller ging. „An diesem Tag“, murmelte Mara weiter vor sich hin. „Er war hier.“ „Wie meinst du das?“ „Ich erinnere mich nicht genau.“ Sie legte sich eine Hand an die Stirn und schloss die Augen. „Aber es ist irgendetwas passiert und danach ... bin ich bei dir wieder aufgewacht.“ Demnach könnte die Geißel für den Alptraum verantwortlich gewesen sein, wegen dem Mara so eine weite Strecke schlafgewandelt war. Wozu hatte sie das getan? Zumindest wäre damit auch erklärt, wieso Mara ihm bei ihrem ersten, gemeinsamen Besuch im Buchladen so vorgekommen war, als würde sie etwas Schlimmes hier erwarten. Also besaß sie tatsächlich eine Verbindung zu dem Chaos, wie er vermutet hatte. Nur ihre genaue Rolle war ihm noch unklar, vermutlich war sie doch nichts weiter als ein Opfer. „Warte mal“, unterbrach er seine eigenen Gedanken. „Du warst als Sakromahr von einem Alptraum besessen?“ Bernadette hatte wahrlich nicht übertrieben, Mara war in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Darauf konnten sie jetzt aber nicht genauer eingehen und Mara machte auch nicht den Eindruck, sich dafür ausreichend konzentrieren zu können. „Wie auch immer, du solltest besser nicht länger hier im Haus bleiben. Ich könnte jemanden anrufen, der dich abholt und ins Hotel bringt. Dort wäre es sicherer“, schlug er vor. „Sobald hier alles erledigt ist, komme ich nach und dann kommen wir hoffentlich mal dazu in Ruhe weiterzureden.“ „Nein!“, widersprach sie und rutschte auf dem Bett zurück zur Mitte, näher zur Kante hin. „Ich warte hier auf dich!“ Er hielt inne, bis er schließlich nickte. „Wie du willst.“ Wahrscheinlich lag es an ihrer Bestimmung, dass sie den Drang dazu hatte, möglichst in seiner Nähe zu bleiben. Gut wäre es nicht, einfach nachzugeben und sie hier warten zu lassen, doch Luan wollte es ihr nicht unnötig schwerer machen. Da alles so oder so schon kompliziert war, konnte es kaum noch schlimmer werden und deshalb löste er sich noch ein wenig mehr von den Vorschriften, indem er ihr das Buch reichte, das er noch nicht lange sichergestellt hatte. „Hier, wenn du das bei dir hast, komme ich auf jeden Fall zurück.“ Mara betrachtete das Buch ungläubig und nahm es zögerlich entgegen. Vermutlich gab es nichts mehr, was es ihr bieten könnte, da sie das Kapitel über Sakromahre enttäuscht haben musste, und doch drückte sie es an sich, als wäre es immer noch einer ihrer größten Schätze. Etwas anderes gab es vielleicht nicht, an das sie sich sonst klammern könnte. „Danke“, gab sie leise von sich. Mehr gab es an der Stelle nicht zu sagen, zumal ihm nichts eingefallen wäre, außer nochmal danach zu fragen, wer sie erträumt hatte und das kam ihm nicht wie ein guter Zeitpunkt dafür vor. Außerdem musste er auch zu der Geißel, also wandte er sich vom Bett ab und ging Richtung Tür. Kurz bevor er sie hinter sich wieder schließen konnte, ertönte noch einmal Maras Stimme aus dem Zimmer. „Luan?“ „Ja?“, erwiderte er knapp und blickte vom Flur aus in den Raum hinein. In ihren Augen schimmerte Unsicherheit und sie senkte den Kopf, als sie weitersprach. „Ich bin der Sakromahr von Estera.“ In der ersten Sekunde begriff Luan gar nicht, was sie da gerade gesagt hatte. Diese Aussage kam für ihn so unerwartet, dass er einige Zeit benötigte, bis er eine erste Reaktion zeigte und die bestand daraus, Mara mit großen Augen anzustarren. Gedanklich hatte er sich schon auf das Treffen im Refugium vorbereitet und jetzt richtete sich all seine Aufmerksamkeit nur auf diese Worte. Der Sakromahr von Estera. „Aber wie-“, begann er, wurde aber von Mara unterbrochen. „Wie das gehen konnte, weiß ich nicht“, antwortete sie von selbst. „Ich weiß nur, dass ich dir etwas in ihrem Namen sagen muss. Komm also auf jeden Fall wieder.“ Es war nicht leicht, ausgerechnet jetzt auf weitere Erklärungen warten zu müssen, doch ihm war selbst klar, dass er keine Zeit hatte. „Das werde ich.“ Estera hatte einen Sakromahr erschaffen. Wie ein Mantra schwirrte ihm diese Information nun im Kopf herum und brachte zum ersten Mal seit langem angenehme Gefühle mit sich. Zum Glück war die Atemhypnose brüchig, sonst wäre er sicher nicht dazu fähig gewesen, überhaupt etwas dabei zu empfinden. Maras Existenz bedeutete doch, dass Estera noch leben musste. Irgendwo. Estera lebt noch. Eine Erkenntnis, die ihn erst recht motivierte, sich von dieser Geißel nicht einschüchtern oder gar kleinkriegen zu lassen. Könnte es sein, dass Mara es ihm deshalb gerade jetzt so unvermittelt gesagt hatte? Die Art, wie sie das Buch an sich drückte, bestätigte seine Vermutung. „Danke“, sagte er nun selbst ruhig. „Ich komme bald zurück.“ Nach diesen Worten schloss er die Tür, ohne eine weitere Reaktion von ihr abzuwarten und fing damit an, das Haus grob zu durchsuchen. Von Ferris, Vane und Bernadette fehlte tatsächlich jede Spur, also blieb ihm letztendlich nur der Gang in den Keller, wo das Regal noch genau so stand, wie er es zuletzt verschoben hatte. Direkt vor ihm lag der Eingang zum Refugium, aus dem Stille und Kälte nach außen drang, genau wie letztes Mal. Hier legte Luan die Taschenuhr noch einmal um seinen Hals, weil er sie brauchte. Nicht, um ein Siegel lösen, denn das Refugium war noch frei zugänglich. Diesen Zugang noch einmal zu verschließen, hatte die Geißel wohl nicht als nötig erachtet. Umso besser, dann konnte Luan sofort das Versteck betreten und sich seinem Feind stellen. Das unangenehme Flimmern der hellblauen Ebene musste er dafür in Kauf nehmen. Ohne zu zögern beschwor Luan seine Pistole und schnappte sie sich aus der Luft. Hierbei handelte es sich um eine Art von Alptraum, die er nicht kannte und somit wäre ein Kampf eigentlich nicht empfehlenswert. Sich deswegen einfach auf das Spiel dieser Geißel einzulassen, erschien ihm aber ebenso unklug und daher war es im Grunde egal, auf welche Weise er diese Begegnung handhaben würde. Jemand, der sich die Mühe machte, Geiseln zu nehmen, wollte unbedingt etwas damit erreichen. Selbst wenn Luan bei dem folgenden Kampf hoffnungslos unterlegen sein würde, bräuchte er sich also keine Sorgen zu machen. Hierbei könnte er die ersten, hilfreichen Details bezüglich Geißeln sammeln, und er war entschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen. Möglicherweise beflügelte ihn auch nur der Gedanke, dass Estera noch leben könnte. „Du willst also spielen“, hielt Luan für sich fest und verstärkte den Griff um seine Pistole. „Also spielen wir.“ Mit erhobener Waffe sprang er in den schwarzen Wirbel hinein und eröffnete drinnen sofort das Feuer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)