The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 17: Das reicht mir nicht -------------------------------- Luan hörte bereits das laute Klingeln eines Telefons, noch bevor er mit seinem Geist richtig in die Realität zurückgekehrt war. Es wirkte so aufdringlich und störend, dass er sich schon nach den ersten Tönen zutiefst genervt davon fühlte und doch war es nicht das, was gerade die Harmonie der Verbindung ins Wanken brachte. Etwas anderes hatte mittendrin für eine unerwartete Trennung der beiden Taschenuhren gesorgt, wodurch auch das unsichtbare Band zwangsweise reißen musste, dank dem sein Geist mit dem von Ferris verbunden gewesen war. Als Luan die Augen öffnete, um endgültig die Schwärze zu verlassen und herauszufinden, wer oder was die Verbindung gestört hatte, blickte er als erstes in das Gesicht von Ferris. Auch ihm war anzusehen, dass er dieses Telefonklingeln als äußerst penetrant empfand. Außerdem atmete er etwas schwerer als gewöhnlich, genau wie Luan, aber das war normal, wenn man seinen Geist mit dem eines anderen verband. Es war immer eine sehr intensive Erfahrung, die man wirklich als eine Art anstrengende Reise bezeichnen konnte. „Endlich zurück?“, fragte eine vertraute Frauenstimme die beiden und stieß erst einen erleichterten Seufzer aus, bevor direkt im Anschluss schon eine Entschuldigung folgte. „Tut mir wirklich leid, dass ich eure Verbindung gestört habe, Jungs. Hier gibt es aber ein kleines Problem, für das ich keine andere Lösung gesehen habe.“ Synchron lenkten Luan und Ferris den Blick zu der Frau, die mit ihnen sprach und letzterer brachte sofort ein munteres Lächeln zustande, das sein gesamtes Gesicht vor Freude strahlen ließ. „Hey, Naola~!“ Was sollte Luan nun mehr verwundern? Dass Naola wegen eines kleinen Problems einfach zwei Traumbrecher bei einer Verbindung gestört hatte oder dass Ferris bei ihr wie auf Knopfdruck mühelos Fröhlichkeit vorspielen konnte, obwohl sich zuvor noch ein depressiver Schlund in seinen Augen gezeigt hatte? Nicht nur in seinen Augen, insgesamt war Ferris wie ausgewechselt und emotionslos gewesen. Wie konnte er auf einmal wieder so unbeschwert lächeln? Im Hintergrund war das höchst nervtötende Klingeln derweil schon verstummt, zum Glück, also blieben Luan und Ferris einfach auf dem Bett sitzen, statt sich vom Fleck zu bewegen. „Hey, Precious~“, erwiderte Naola seinen Gruß ebenfalls lächelnd. „Du hast deinen Haaren ihre Freiheit geraubt?“, stellte Ferris bedauernd fest. Schmollte er etwa sogar ein bisschen? „Jetzt kommt die schöne Farbe doch gar nicht mehr zur Geltung.“ Ihre Haare hatte Naola sich zu einem geflochtenen Zopf zusammengebunden, was Luan gar nicht aufgefallen wäre, wenn Ferris das nicht angesprochen hätte. Schon von Anfang an war er mehr als begeistert von ihren lilafarbenen Haaren gewesen und Luan fiel nun auch wieder ein, wie groß die Vorliebe für außergewöhnliche Farben bei Ferris war. Bislang hatte Luan das nie verstanden, jetzt ließ sich das leicht auf die blauen Haare von ihm zurückführen, die Ferris mit Sicherheit nur färbte, um normaler zu wirken. Müsste er solche Haarfarben demnach nicht eigentlich als störend empfinden? Als Naola auf die Frage antwortete, klang ihre Stimme entschuldigend. „Zum Schlafen ist das viel praktischer und so trage ich sie halt am liebsten.“ Zum Schlafen? Dass Naola ein Nachthemd trug und gerade frisch aus dem Bett gestiegen sein musste, bemerkte Luan ebenfalls erst jetzt, nachdem sie es angesprochen hatte. Offenbar war er noch mit seiner Wahrnehmung ganz woanders und seine Auffassungsgabe ließ daher zu wünschen übrig. Es musste mitten in der Nacht sein. Wann hatte sie Zeit gefunden, Kleidung zum Wechseln zu holen? War ihr das vom Hotel zur Verfügung gestellt worden? Da Naola wusste, dass Ferris diese Erklärung nicht zufriedenstellen dürfte, schenkte sie ihm ein Zwinkern, ehe sie noch etwas hinzufügte. „Bei unserem Date trage ich sie aber gerne nochmal offen, nur für dich.“ Auch Ferris zwinkerte ihr zu. „Na gut, ausnahmsweise lasse ich mich mal vertrösten~.“ Es stimmte also, die beiden hatten wirklich ein Date vereinbart. Wozu? Hatten sie etwa Interesse aneinander? Wenn ja, zeigte sich das reichlich spät, wie Luan fand. Für Dates hätten sie schon viel früher weitaus bessere Gelegenheiten gehabt, darüber sollte er aber nicht gerade jetzt nachdenken. Musste jedenfalls ein recht interessantes Gespräch gewesen sein, das Naola mit Ferris geführt hatte. Erwartungsvoll lenkte sie nun den Blick auf Luan und wartete schweigend ab, was ihn nur eine Augenbraue heben ließ. Musste er verstehen, wieso sie ihn nun so anstarrte? Für eine Begrüßung war Luan noch viel zu gefangen von den Eindrücken der Verbindung, erst recht für solch eine gute Laune, wie die beiden sie zeigten, konnte er sich nicht begeistern. Aus guten Gründen. Vor seinem inneren Auge spielten sich noch die Bilder der Szenen ab, die Ferris ihm gezeigt hatte und er war erschüttert darüber, was passiert war. Geistesabwesend warf er den Blick zu seiner Taschenuhr, die er noch festhielt und stellte fest, dass Naola sie beide jeweils am Arm gegriffen hatte und ihre Hände auseinandergezogen haben musste. Luan neigte dazu, sich von ihr loszureißen und die Verbindung sofort wiederherzustellen, weil er auch den Rest erfahren wollte, aber er nahm sich zusammen. Ein leichter Schmerz in Luans rechter Hand verriet ihm, dass Ferris zwischendurch fest zugedrückt haben musste. Kein Wunder, diese Ereignisse hatten bestimmt tiefe Wunden in ihm aufgerissen. Und er war noch nicht fertig gewesen. Verärgert über diese ungebetene Unterbrechung erwiderte Luan den Blick von Naola und tat ihr den Gefallen, etwas zu sagen, verzichtete dabei aber auf einen Gruß seinerseits. Den Zeitpunkt dafür hatte er sowieso verpasst. „Was für ein Problem kann so wichtig sein, dass du dafür die Verbindung zwischen zwei Traumbrechern störst?“ „Machst du Witze?“, konterte Naola mit einer Gegenfrage und löste ihre Hände von den beiden, um eine davon in die Hüfte zu stemmen und mit der anderen zur Quelle des Lärms von eben deuten zu können, von der das andauernde Klingeln ausgegangen war. „Sag bloß, du hast das nicht gehört?“ Quasi wie auf Bestellung setzte das Klingen erneut ein und entlockte Naola damit ein Stöhnen. „Nicht schon wieder.“ Auf dem Nachttisch am anderen Bett, zu dem sie deutete, stand tatsächlich ein Telefon neben den Blumen sowie der Willkommenskarte und es klingelte ununterbrochen. Vorher war es Luan gar nicht aufgefallen, dass sie hier ein Telefon hatten, jetzt ließ es sich nur noch schwer ignorieren. Die Töne waren so schrill und schief, dass man schon taub sein musste, um sie überhören zu können. Daran sollte dringend einmal etwas geändert werden. Seufzend stand Luan von Ferris‘ Bett auf und ging zu dem Telefon hinüber, wobei er die Taschenuhr vorerst in der Hand behielt. Wer wohl hier anrief? Darauf fand er spontan keine Antwort, gleich würde er es aber ohnehin erfahren, wenn er erst mal den Anruf entgegen nahm. „Natürlich höre ich es“, antwortete Luan unterwegs und streckte seine freie Hand nach dem Telefon aus. „Konntest du vorher etwa nicht selbst rangehen?“ Den Gefallen hätte Naola ihnen ruhig tun können. Für irgendeinen Anruf musste Luan nun die Verbindung zu Ferris unterbrechen, was ihn sehr ärgerte. „Glaubst du etwa wirklich, das ich nicht so weit mitdenken würde?“, erwiderte Naola leicht empört und ließ sich nun anstelle von Luan auf dem Bett nieder, wo auch Ferris noch saß. „Das habe ich schon versucht und jedes Mal war eine junge Frau dran, die unbedingt mit dir sprechen wollte. Egal, was ich gesagt habe, sie wollte nichts von mir hören und hat immer aufgelegt, um nochmal anrufen zu können.“ Kurz bevor seine Fingerspitzen das Telefon zu berühren drohten, hielt Luan inne. „Eine junge Frau?“ Das konnte nur Mara sein. Wer sollte sonst so dringend mit ihm sprechen wollen? Jemand anderes konnte es nicht sein, nur sie wusste noch über den Aufenthaltsort von Luan Bescheid. Warum rief sie hier an? Hing es damit zusammen, dass sie gesagt hatte, sie könnte ihn nicht mehr aus den Augen lassen oder vielleicht sogar mit Bernadette? „Ja, sie klang ziemlich verzweifelt“, antwortete Naola besorgt auf seine Frage. „Ich habe ihr gesagt, dass du gerade verhindert bist und ihr meine Hilfe angeboten, aber sie betonte sehr verständlich, nur mit dir reden zu wollen. Meine Erklärungen, dass du gerade beschäftigt wärst, hatten sie nicht mal erreicht.“ Sehr verständlich? Sofort musste Luan an die verschiedenen Gesichter denken, die Mara ihm bisher gezeigt hatte. Welchem davon Naola wohl begegnet war? Normalerweise wirkte sie stets sehr vertrauenswürdig und war hilfsbereit genug, so dass sich ihr andere schnell öffneten, Mara schien laut ihren Worten aber eine Ausnahme zu bilden. Unsicher starrte Luan das Telefon an, das keine Ruhe geben wollte. „Das wird Mara sein, oder?“, vermutete auch Ferris richtig. „Mara?“, griff Naola direkt den Namen auf und wandte sich fragend an Luan. „Etwa die Frau, mit der ich dich zum Buchladen gefahren habe?“ Luan bejahte diese Frage und Naola schien von sich selbst enttäuscht zu sein, weil ihr dieser Gedanke bisher noch nicht gekommen war. Sie dürfte aufgrund des Kampfes mit dem Alptraum einfach noch zu angeschlagen sein, also war das nicht weiter verwunderlich. Vorgestellt hatte er Mara ihr noch dazu auch gar nicht, wie ihm gerade bewusst wurde. Das war in seinen Augen nicht nötig gewesen. Ferris konnte nicht mit Ernst bei der Sache bleiben und natürlich musste er mit seinen Späßen anfangen. „Die Kleine scheint dich mehr zu mögen als mich. Fängst du etwa an, mir Konkurrenz bei den Frauen zu machen?“ „Was auch immer sie von Luan will, er sollte endlich rangehen“, drängte Naola ihn. „Entweder sind die Wände hier sehr dünn oder das Klingeln zu laut, aber man hört es bis in den Flur und noch weiter. Ich habe es sogar noch ganz deutlich in meinem eigenen Zimmer hören können und dachte erst, dass mein Telefon dort klingeln würde. Ihr habt nicht abgeschlossen, also kam ich her, um mich darum zu kümmern. Ohne Erfolg.“ So wie Luan Naola einschätzte, wollte sie auch nicht einfach das Telefon vom Strom trennen und Mara dadurch womöglich noch aufregen, dafür besaß sie ein zu fürsorgliches Wesen. Außerdem musste Mara erst am Empfang angerufen haben, sonst wäre sie wohl kaum an die Zimmernummer gekommen. Ob sie dort Terror machen würde, könnte sie hier nicht mehr durchkommen? Gäbe es noch mehr Gäste, wären garantiert längst einige Beschwerden zur Hotelführung gegangen. Naola hatte also doch richtig gehandelt. Woher hat sie überhaupt die Nummer vom Hotel? „Geh schon ran“, bat Naola ihn noch einmal nachdrücklich, als bräuchte sie Erlösung. Nickend ging Luan dieser Bitte nach und nahm das Telefon in die Hand, das sich seltsam kalt anfühlte. Abrupt erstickte das klingelnde Geschrei, als er den Anruf annahm. „Ja?“ Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille, die nur von einigen nervösen Atemgeräuschen gestört wurde. Kurze Zeit später kam eine erleichterte Reaktion. „Endlich bist du rangegangen und nicht diese Frau.“ Obwohl Luan Mara noch nicht lange genug kannte, konnte er ihre Stimme wiedererkennen. Bei dem aufdringlichen Anrufer handelte es sich also wirklich um sie, was ihn nicht gerade begeistert stimmte und das konnte man auch hören, als er daraufhin nicht nur ein einsilbiges Wort von sich gab. „Wieso rufst du an?“, grummelte er ins Telefon. „Wieso?“, wiederholte sie fassungslos. „Wieso ich anrufe? Wie kannst du mich das fragen?“ „Weil ich keine Ahnung habe.“ „Ich hatte dir doch gesagt, dass ich dich nicht mehr aus den Augen lassen kann!“ „Mag sein.“ Er zeigte sich weiterhin verständnislos. „Trotzdem weiß ich den Grund dafür nicht, also: Wieso rufst du an? Noch dazu um diese späte Uhrzeit?“ Wieder setzte Stille ein, begleitet von unregelmäßigen Atemgeräuschen. War Mara etwa so aufgebracht, nur weil Luan ohne ein Wort gegangen, nein, die Flucht aus dem Buchladen ergriffen hatte oder ging es ihr vielleicht nicht gut? Was, wenn er sich irrte und sie gar keine Verbündete von Bernadette war, sondern doch eher eine Art Opfer? Das war alles sehr merkwürdig. „Ich wäre morgens zurückgekommen“, brach er die Stille, da sie nichts mehr sagte und er sich dachte, dass er sie wohl besser beruhigen sollte. „Das Buch muss ich schließlich immer noch holen und das hast du doch noch, oder?“ „Ja“, hörte er sie leise und zögerlich sagen. „Dann komme ich es am Morgen abholen.“ „Warum kommst du nicht jetzt sofort und holst es, wenn es so wichtig ist?“ Dass Vane ihm mit seiner Schall-Prägung befohlen hatte, bis zum frühen Morgen in diesem Zimmer zu bleiben und sich auszuruhen, wollte er ihr nicht erklären. Gegen diesen Befehl konnte Luan sich nicht wehren, dafür hallte er zu ausdauernd in seinem Geist wider und erinnerte ihn permanent daran. Vanes Stimme würde erst verklingen, sobald die Sonne aufging, dann könnte er das Hotel wieder verlassen. Sich gegen diese Befehle zu wehren hätte nur unerträgliche Kopfschmerzen zur Folge. „Es ist zu spät“, log Luan. „Wenn es morgens ist, komme ich sofort vorbei.“ „Nein, komm jetzt“, forderte Mara fast verzweifelt. „Ich verrate dir dann auch, wieso ich dich nicht aus den Augen lassen kann.“ Mühevoll unterdrückte Luan einen Seufzer. „Wir sollten besser schlafen.“ „Aber wir sind doch jetzt beide wach!“ Sie gab einfach nicht auf. „Wozu sollen wir noch bis zum Morgen warten, wenn du jetzt schon kommen könntest?“ Ein wenig überfordert warf Luan einen hilfesuchenden Blick zu Ferris und Naola, von denen er die ganze Zeit über neugierig beim Telefonieren beobachtet wurde. Hilfreich konnte er das nicht nennen und diese beiden Augenpaare machten ihn irgendwie nervös, aber es würde auch nichts bringen sich umzudrehen. Er musste die beiden weiter starren lassen, seine Konzentration sollte eher dem Gespräch mit Mara gelten. „Ich habe dir doch schon zwei Mal gesagt, dass ich keinen Grund habe, dich anzulügen“, erinnerte er sie daran. „Ich werde bei dir sein, wenn die Sonne aufgegangen ist. Warum vertraust du mir nicht?“ Mara musste erst schlucken und ihre Stimme klang brüchig. „Weil du eben doch ein Lügner bist.“ „Wie bitte?“ „Du hast mich schon verstanden!“, fuhr sie ihn enttäuscht an. „Du sagst zwar, du würdest nicht lügen, aber du tust es doch ständig! Lag ich wirklich bewusstlos auf der Straße, wie du behauptest hast?“ „Ist das noch wichtig?“, wehrte er die Frage ab. Auf diese Gegenfrage ging Mara gar nicht ein. „Und warum du in dieser ... dieser unheimlichen Welt mit deiner Waffe schießen durftest, andere Arten von Gewalt aber nicht angewendet werden sollten, hast du mir auch noch nicht erklärt. Du lügst mich an und hältst deine Versprechen nicht. Wie soll ich dir da vertrauen?“ Am liebsten hätte Luan aufgelegt, aber irgendetwas hinderte ihn daran. Für ihn war Mara noch eine Fremde und grenzte nur grob an die Schwelle zur Bekannten, das sollte umgekehrt eigentlich genauso sein. Lag es an dieser Erscheinung von Estera, dass er sich diesem Gespräch immer noch aussetzte und versuchte, sie zu beruhigen? Erfolgreich war er dabei allem Anschein nach nicht. Dieses Mädchen blieb für ihn ein einziges, großes Rätsel. „Meinetwegen erkläre ich es dir jetzt“, schlug er vor und fing gleich mit der Erklärung an. „Pistolen von Traumbrechern verschießen keine richtigen Kugeln, die physischen Schaden anrichten, sondern Energie, die aus unserem Körper abgezweigt wird und negative Ansammlungen von Gefühlen, aus denen Alpträume bestehen, vernichten kann. Deswegen konnte ich problemlos schießen, weil das keine körperliche Gewalt verursacht. Zufrieden?“ Erst schwieg sie, antwortete aber schon nach kurzer Zeit. „Ja, so stand es auch im Buch.“ Luan wollte sich gar nicht ausmalen, über wie viel Wissen Mara mittlerweile schon verfügte, sollte sie das Buch ausgiebig gelesen haben. Ändern konnte er das leider nicht mehr, dennoch durfte sie es nicht behalten. Jedenfalls war es ihr jetzt also nur noch darum gegangen, diese Erklärung nochmal von ihm zu hören, weil er ihr das versprochen hatte. Hoffentlich konnte er sie ausreichend beruhigen und sie dazu bringen, bis zum Morgen auf ihn zu warten, ohne andauernd hier anzurufen. Schon wieder sagte sie nichts und legte auch nicht auf. Eine Sache fiel Luan noch ein, die er ihr auch erklären wollte, sie in der Welt dieses Schöpfer-Reinmahrs aber vertrösten musste. Danach wüsste er nicht mehr, wie er ihr beweisen sollte, dass sie ihm vertrauen konnte. Durch die letzten Ereignisse hatte er es eben nur vollkommen vergessen, ihr die versprochenen Erklärungen abzuliefern. Wer konnte ihm das verübeln? Auch Traumbrecher konnten nicht immer an alles denken, bei dem Chaos, das sich um Luan ausbreitete. „Alpträume gewinnen durch negative Stimmungen wie Angst an Stärke, weil sie selbst aus diesem Stoff bestehen und deshalb wachsen, wenn man in ihrer Gegenwart so empfindet. Das ernährt sie quasi“, gab er sachlich die nächste Erklärung ab. „So, das hätte ich dir auch erklärt. Bist du jetzt beruhigt?“ „Nein.“ Nicht das, was er hören wollte, aber wenigstens reagierte sie sofort. „Warum bist du weggegangen, ohne mir Bescheid zu sagen?“ An ihr hatte es nicht gelegen, sondern an Bernadette. Noch wusste Luan nicht, wie er Mara einschätzen sollte und ob sie mit der Verräterin zusammenarbeitete oder nicht. Da er hier nicht weg konnte, bis die Befehle verklungen waren, wollte er sie nicht unnötig aufregen oder beunruhigen. „Hör zu, ich habe auch sehr viele Fragen und bin ziemlich durcheinander“, gestand er widerwillig. „Ich bitte dich: Lass uns das alles morgens klären, dann können wir in Ruhe sprechen. Von Angesicht zu Angesicht.“ Endlich bekam er eine Antwort, die er hören wollte. „Okay, Luan. Machen wir es so, wenn du nicht anders willst.“ Seltsam, hatte sie gerade zum ersten Mal seinen Namen ausgesprochen? Luan konnte es nicht richtig beschreiben, nur schien ihre Stimme, die seinen Namen so vertraut aussprach, etwas in ihm zu wecken. Das ruhige Gespräch mit ihr würde hoffentlich all seine Fragen klären, ganz besonders die, was Mara während der Erscheinung gesehen hatte. Seit Bernadette ein Loch in seine Atemhypnose gerissen hatte, glaubte er, die Frage danach nun stellen zu können. „Aber“, setzte Mara an und klang flehend, „komm auch. Komm auf jeden Fall.“ „Ich werde da sein.“ „Sonst rufe ich wieder an“, drohte sie kleinlaut. Durch ein Nicken wollte er zeigen, dass er sie verstanden hatte, dabei konnte sie es gar nicht sehen. „Gute Nacht, Mara.“ Hatte er ihren Namen jetzt auch zum ersten Mal laut ausgesprochen? Auch bei ihr schien das etwas auszulösen, das konnte Luan durch das Telefon hindurch spüren. Allerdings legte Mara dann auf einmal auf, ohne sich zu verabschieden oder noch einen Ton von sich gegeben zu haben. Dafür, dass sie so hartnäckig bei dem Vorhaben gewesen war, ihn persönlich erreichen zu wollen, wirkte dieser wortkarge Abschied nun merkwürdig. An ihr war aber auch einiges merkwürdig, genau wie dieses Telefonat. Innerlich zuckte Luan mit den Schultern und legte das stumm gewordene Telefon wieder auf dem Nachttisch ab. Anschließend wandte er sich an Ferris und Naola, von denen er immer noch neugierig angestarrt wurde. Normalerweise knüpfte Luan nie neue Kontakte und das war wohl auch der Grund, warum die beiden das so sehr in den Bann zog. So langsam durften sie gerne damit aufhören. „Es wird ab jetzt ruhig bleiben“, verkündete Luan. „Sie ruft nicht mehr an.“ Erleichtert erhob Naola sich vom Bett. „Sehr gut, also kann ich wieder schlafen gehen und so meiner Bettruhe nachkommen, die der Doktor mir verschrieben hat. Das schlechte Gewissen hätte ich nicht länger ausgehalten.“ Nur zwei Schritte ging sie vorwärts und blieb nochmal stehen, um ihn anzuschauen. Als ihre hellblauen Augen ihn missbilligend musterten, befürchtete Luan fast, dass sie ihn jede Sekunde dafür kritisieren würde, dass er Mara am Telefon einfach Dinge über Traumbrecher und Alpträume verraten hatte, die Menschen gar nicht wissen dürften. Ihren wahren Gedanken hätte er aber nie erraten, würde sie ihn nicht direkt laut äußern. „Wie du aussiehst. Deine Kleidung hat bei dem Kampf gegen den Schall-Alptraum auch ganz schön gelitten, so wie meine.“ Perplex blickte Luan an sich herab. „Schon, ja.“ „Kein Problem!“ Zuversichtlich klatschte sie in die Hände. „Das haben wir gleich.“ Rasch ließ sie eine Hand in die Seitentasche von ihrem Nachthemd verschwinden, in der sie vermutlich ihre Uhr aufbewahrte und berührte mit der anderen Luan an der Schulter. Ein warmer Windzug war zu spüren, der kurz den gesamten Raum erfüllte und mit jedem Blinzeln wurden mehr und mehr die Schäden an seiner Kleidung beseitigt, wie durch Zauberhand. Als Traumbrecher wusste Luan, dass Naola gerade ihre Schöpfer-Prägung benutzte, um den alten Zustand seiner Kleidung wiederherzustellen. Auch das leise Ticken der Taschenuhr war ein Zeichen dafür. Nur einige Sekunden später war seine Kleidung wieder wie neu und sie nickte zufrieden. „Schon viel besser. Du musst doch ordentlich aussehen.“ „Das hättest du nicht tun sollen, Naola“, klagte Ferris. „Ich hatte mich schon darauf gefreut, mit Luan endlich etwas einzukaufen, was nicht schwarz ist. Jetzt wird er weiterhin in diesem Mantel rumlaufen.“ Zuerst stoppte sie die Zeit ihrer Taschenuhr, wodurch das Ticken verstummte und lächelte Ferris nur entschuldigend zu. Dankbar richtete Luan derweil seinen Mantel und da er wusste, dass solche Kleinigkeiten Naola fast gar keine Traumzeit kosteten, musste er sich darüber auch keine Sorgen machen. Für ihn war es ein großes Glück, dass er den Mantel weiterhin tragen könnte und ihn nicht wegschmeißen musste. „Ihr beide solltet auch schlafen.“ Ihre Stimme klang fordernd, als wäre sie in dieser Sekunde bei ihrer Arbeit auf der Krankenstation und ihr Blick glitt zu Luan. „Vor allem du. Dir hat Vane doch sicher auch Bettruhe verordnet, also enttäusche ihn nicht.“ Naola wartete gar nicht erst eine Reaktion ab und wünschte ihnen beiden schon eine gute Nacht, als sie Richtung Tür ging, um zurück in ihr eigenes Zimmer zu gehen. Mit keinem einzigen Wort hatte sie danach gefragt, wieso Ferris und er eine Verbindung eingegangen waren oder warum Mara ihn so dringend hatte sprechen wollen. Entweder war es ihr wirklich verdammt wichtig, Vanes Anordnung zu erfüllen oder sie kannte Luan zu gut. Beides konnte ihm nur recht sein. Dafür gab es aber Ferris, der interessiert nachhakte. „Mara überfordert dich ganz schön, huh?“ „Kann man wohl sagen.“ Daraus wollte Luan kein Geheimnis machen. „Sie ist so unausgeglichen.“ „Unausgeglichen?“ „Ihre Stimmungen schwanken sehr stark. Sie ist völlig unvorhersehbar“, wurde er genauer und verschränkte die Arme. „Hat das bei Frauen eigentlich was zu bedeuten?“ Was Frauen anging, hatte Ferris eindeutig den besseren Überblick und Luan hatte ihn ohnehin nach einem Rat fragen wollen, wozu er nun gekommen war. Schmunzelnd erwiderte Ferris Luans ratlosen Blick und wirkte nach wie vor überhaupt nicht mehr deprimiert, trotz Naolas Abwesenheit. An ihr allein lag es also nicht, er verstand es offenbar nur sehr gut, sich zu verstellen. Verstellen, dachte Luan und erinnerte sich an etwas. Mara hatte mich gefragt, ob Ferris sich immer so verstellt. Bedeutete das etwa, dass Mara ihn auf Anhieb durchschaut hatte und Luan es nie aufgefallen wäre, wie sein wahres Gesicht aussah, hätte er seine Maske heute durch den Alptraum nicht abgenommen? Das kränkte ihn. Woran hatte Mara es gemerkt? Wüsste Luan es nach dem Blick in seine Vergangenheit nicht besser, würde er Ferris jetzt wieder nichts anmerken und ihn für einen lebensfrohen Typen halten. „Lässt sich schwer sagen, ist von Frau zu Frau nämlich unterschiedlich und es kann viele Gründe dafür geben, warum jemand wechselhafte Stimmungen hat“, antwortete Ferris auf seine Frage. „Du wirst sie besser kennenlernen müssen, um herauszufinden, ob das bei ihr was zu bedeuten hat.“ Toller Ratschlag. Genau das, was Luan eher nicht wollte. Sah so aus, als würde er das Gespräch mit Mara abwarten müssen. Bis dahin blieb ihnen genug Zeit übrig, nochmal eine Verbindung durchzuführen und dort weiterzumachen, wo sie stehengeblieben waren. Ferris zerstörte diese Planung aber mit seinen folgenden Worten. „Wir sollten also besser wirklich schlafen, damit du halbwegs fit bist, wenn du zu ihr gehst.“ „Schlafen?“ Verständnislos beobachtete Luan, wie Ferris sich bereits richtig ins Bett legte und sich zudeckte. „Meinst du das etwa ernst?“ „Natürlich. Du solltest nicht zu müden sein.“ Lachend schob er eine Hand hinter den Kopf, ließ diesen auf das Kissen sinken und legte die andere auf seiner Brust ab. „Sonst denkt Mara noch, du bist von ihr gelangweilt. Manche Frauen können da sehr sensibel sein.“ „Ferris“, sagte er mit Nachdruck und trat direkt neben sein Bett, auf dem er es sich gemütlich gemacht hatte. „Wir waren doch noch nicht fertig.“ Erstaunt hob Ferris eine Augenbraue. „Woher willst du das wissen?“ Woher? Am Anfang hatte er doch selbst angemerkt, dass es knapp werden könnte, alles zu zeigen, bis Vane am Morgen zurückkehrte. Außerdem stand Cowen an der Stelle, bei der sie unterbrochen worden waren, wie ein guter Bruder da, was nicht möglich sein konnte. Durch die psychischen Male, die Luan erlitten hatte, wusste er genau, dass Cowen Ferris noch in einer negativen Weise geprägt haben musste. Zwischen ihnen musste noch einiges vorgefallen sein, von dem Luan nichts wusste, nur weil sie unterbrochen worden waren. Ich will es wissen. Ich will alles wissen. Und diese Lücken zwischendurch? Was hatte es mit denen auf sich? Waren das wirklich Stellen gewesen, an denen Theeder aus dem Gedächtnis von Ferris gestrichen worden war? Es stand noch so vieles offen, da konnte Ferris ihm nicht auf halber Strecke den Weg versperren. „Du weißt genau, wie der Schlaf bei mir aussieht“, wich Luan aus und versuchte, ihn zu noch einer Verbindung zu überreden, um auch den Rest der Geschichte zu erfahren. „Ich schlafe ohne zu träumen und werde so oder so müde sein.“ Davon, dass er erst vor kurzem nach langer Zeit doch wieder geträumt hatte, erwähnte Luan an der Stelle nichts. Sicher war das nur eine einmalige Ausnahme gewesen, die nicht nochmal eintreten würde. Ihm blieb nur die frische Erinnerung daran. Statt auf ihn einzugehen, entfernte Ferris sich noch mehr von ihm und seinen Plänen. „Ach, komm schon, brauchst du etwa keine Pause?“ „Nein.“ „Nicht mal eine kleine?“ „Nein.“ „Nach dem, was du gesehen hast, müsstest du genug haben.“ Langsam verlor seine Stimme an Kraft und drohte in Kummer zu versinken. „Das sollte dir reichen.“ „Das reicht mir nicht!“, rief Luan ungeduldig. Dieser Ausbruch sorgte bei Ferris für einen verblüfften Gesichtsausdruck, der sich schnell wandelte und kurz darauf nur noch von Schmerz dominiert wurde. Verunsichert wich Luan etwas von dem Bett zurück und verlor sich in den braunen Tiefen dieser leeren Augen, die ihn traurig ansahen. Der depressive Schlund hatte sich erneut geöffnet. Was Ferris nach den letzten Worten sagte, riss Luan dann förmlich den Boden unter den Füßen weg. „Ich habe meine Eltern getötet. Hast du das überhaupt realisiert, während du zugesehen hast?“ Die Art, wie Ferris das sagte, schnürte Luan die Luft ab. So kalt und emotionslos. Richtig, vor dieser Verbindung war er von einem ganz bestimmten Blick heimgesucht worden, dessen Aussage gelautet hatte, dass Luan hinterher ein komplett anderes Bild von Ferris bekommen könnte. Sah er sich etwa wirklich als Mörder? War Ferris deshalb insgeheim so traurig? „Luan“, sprach nun Ferris seinen Namen aus, nur mit deutlich weniger Nachdruck. Bei ihm klang es eher erschöpft und auch das schwache Flimmern in seinen Augen verriet, dass er müde war. „Gib mir bitte eine Pause. Ich habe mich etwas überschätzt und würde mich gerne erst mal von der letzten Verbindung erholen.“ Daran, dass Ferris das alles zu viel geworden war und er sich erst mal ausruhen musste, hatte Luan gar nicht gedacht. Beschämt deutete er ein Nicken an und wandte sich schweigend ab, um zu seinem eigenen Bett zu gehen, in das er sich eilig verkroch. Er gab sich nicht mal mehr die Mühe, vorher seinen Mantel auszuziehen, nicht mal die Schuhe. Erst, als er die Decke wie ein Schild über seinen Körper schlang, fühlte er sich geschützt. Zwischen Ferris und Luan herrschte eine unangenehme Spannung, mal wieder. Irgendwie war er ein Naturtalent darin, andere Menschen in ihren Gefühlen zu verletzen, was nicht mal aus Absicht geschah. Nur jemand, der so unsensibel war wie er, konnte darüber hinwegsehen, dass Ferris eine Pause brauchte und auch erst mal nicht länger darüber reden wollte, was sich in seiner Vergangenheit ereignet hatte. Luan ärgerte sich über sich selbst. Kurz bevor er einschlief ertappte er sich dabei, wie er sich wünschte, wieder mit einer vollständig intakten Atemhypnose belegt zu sein. Nein, er hätte gar nicht erst auf Mara treffen dürfen. Seit er sie getroffen hatte, schien nach und nach alles schwerer zu werden. Noch länger würde er nicht zulassen, dass sie sein Leben so sehr ins Chaos stürzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)