The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 16: Ich bin nicht normal -------------------------------- Ich will, dass du das weißt: Du bist die erste Person, der ich alles über meine Vergangenheit verraten werde. Nicht mal die, die ich während meiner Kindheit, in der Jugend und als Erwachsener um mich hatte und sich als enge Kontakte beschimpfen lassen, wussten die Wahrheit. Die Wahrheit darüber, was hinter der Kulisse meines Lebens vor sich gegangen war. Viele hatten es als perfekt bezeichnet, aber Perfektion lässt sich gut schauspielern, wenn man den Dreh erst mal raus hat. Es waren reine Gedanken, die Luan erreichten und durch die Ferris gerade zu ihm sprach. Erst konnte er nur ein leises, röchelndes Echo aus weiter Ferne wahrnehmen, das langsam näher kam. Nach und nach wurden die einzelnen Worte nicht nur lauter, sondern auch deutlicher. Das Röcheln wandelte sich zu einem klaren und gleichmäßigen Klang, als würde Ferris‘ Stimme wieder zu Atem kommen, kaum dass sie bei Luan angekommen war. Ganz anders als bei Mara, deren Stimme jedes Mal in einem Echo erstickt war, wenn sie in Gedanken zu ihm gesprochen hatte. Noch etwas war anders: Ferris klang plötzlich auffallend teilnahmslos, obwohl seine Stimme zuvor noch förmlich in Kummer ertrunken war. Von sich und seinem Leben sprach er so, als wäre es nur ein kaltes Objekt ohne Seele oder Bedeutung, von dem er sich schon längst distanziert hatte. Der depressive Schlund, mit dem Luan bereits vorhin Bekanntschaft gemacht hatte, wurde dadurch aber nur noch mächtiger und war derart präsent, dass man glaubte nach ihm greifen zu können. Luan drängte sich die Vorstellung auf, wie dieses gewaltige Maul der Depression ihm bei diesem Versuch sofort die Hand abbeißen würde, weshalb er anfing sich unwohl zu fühlen. Dieses Gefühl wurde in Sekundenschnelle zu Ferris übertragen, mit dem er verbunden war und dem entlockte diese Regung von Luan kurzzeitig ein stumpfes Lachen, mehr nicht. Noch war Luan nur von Schwärze umgeben. Einer simplen Schwärze, die jeder Mensch erreichen konnte, indem er einfach nur die Augen schloss und an der nichts Außergewöhnliches dran war, wenn man sie nicht entsprechend einzusetzen wusste. In diese Farbe, diesen finsteren Abgrund, sank er schließlich hinein und ließ sich gänzlich in ihre Arme fallen, bis sich erste Veränderungen zeigten. Zuerst ertönte das Rauschen von Wasser, von dessen Lärm einige Stimmen verschluckt wurden, die nun ebenfalls zu hören waren, wenn auch nur sehr undeutlich. Schließlich wurde Luan von den Armen der Schwärze aufgefangen und plötzlich mit einem kräftigen Schubs nach oben geschleudert. Den finsteren Abgrund ließ er dadurch mit rasender Geschwindigkeit hinter sich. Bald schon war es ein Dunkelblau, das ihn aus den Fängen der Schwärze befreite und je höher er flog, desto heller wurde der Farbton, bis er ein weißes Netz aus Licht vor Augen hatte. Sonnenlicht, das wie ein heiliger Wegweiser durch die Wasseroberfläche eines Meeres brach, aus dem Luan nun auftauchte. Aus Reflex schnappte er nach Luft, dabei hatte er keinerlei Atemnot und erlebte diese Reise nicht mal körperlich, er war nur im Geiste hier. Ein Blinzeln genügte und Luan stand aufrecht mit den Füßen auf der Wasseroberfläche, durch die er eben erst nach draußen gebrochen war. Bei jedem Menschen und auch jedem Traumbrecher spiegelte sich das Innerste in einer anderen Form wider, nahm ein bestimmtes Bild an. Im Falle von Ferris war es also ein tiefes Meer aus Wasser, das in ihm verborgen lag. Ehrlich gesagt hatte er nicht mit etwas derlei Ruhigem gerechnet, eher mit etwas, das wild und lebhaft war. Seine Schöpfer-Prägung mochte zwar auf Wasser ausgelegt sein, nur musste das nicht zwingend auch sein Innerstes widerspiegeln. Wie es aussah, hatte Luan sich in dem Punkt getäuscht. Damit konnte er sich dann aber nicht näher befassen, da es endlich losging. Im nächsten Augenblick sah er auch schon die erste Szene vor sich, mit der Ferris die Erzählung seiner Vergangenheit einläutete. Die erste Erinnerung. Eine sehr frühe, junge Erinnerung, wie Luan schnell feststellte. Ferris war hier noch ein Kind, gerade mal sechs Jahre alt. Diese Information konnte er problemlos abrufen, dabei war sie ihm fremd und doch erschien sie gleichzeitig nicht neu für ihn. Den folgenden Ereignissen wohnte Luan nur als Beobachter bei und war eine Art Geist, der von niemandem in diesen Erinnerungen gesehen oder gar bemerkt werden konnte. Bloß wenige Schritte entfernt stand ein Kinderbett auf der Wasseroberfläche, in dem Ferris lag. Eine Frau saß bei ihm, auf der Bettkante und er erkannte sie gleich als seine Mutter wieder, was daran liegen musste, dass er durch die Taschenuhr mit Ferris verbunden war – er sah sie in Wahrheit nämlich zum ersten Mal. Erklärte auch, wieso er auf Anhieb das genaue Alter von Ferris wusste. Hier würde ihm wirklich nichts verborgen bleiben. Langes, feuerrotes Haar bedeckte ihren gesamten Rücken. Das Rot war ziemlich kraftvoll, wirkte durch die zahlreichen Locken ungezähmt und frei. Leider konnten ihre Haare nur auf den ersten Blick darüber hinwegtäuschen wie dünn, nahezu abgemagert seine Mutter war und auch ihr zu groß geratenes Nachthemd konnte es nicht verbergen, das musste einem Sorgen bereiten. Mit ihrem blauen Augenpaar, in dem eine sanfte Kälte wohnte, warf sie ihrem kleinen Sohn gerade einen liebevollen Blick zu und lächelte ihn beruhigend an – dieses Lächeln war dem von Ferris, wie Luan ihn kannte, täuschend ähnlich. An Ferris dagegen entdeckte Luan erstmals ein Detail, das ihn zunächst erschreckte, weil er davon bisher überhaupt nichts wusste: Der Junge hatte blaue Haare. Ein ähnlich kraftvolles Dunkelblau wie das Rot seiner Mutter. So sah also seine natürliche Haarfarbe aus? Durch die Verbundenheit zu ihm konnte er von vornherein ausschließen, dass er schon als Kind Farbexperimente durchgeführt hatte. Dunkelblau war tatsächlich seine natürliche Haarfarbe. Luan war alleine davon schon überrascht und die Reise hatte noch nicht mal richtig angefangen. Außer dem Bett und den beiden war ansonsten weit und breit nichts anderes zu sehen, nur ein endlos weites Meer, auf dem sich diese Szene abspielte, begleitet von einem ruhigen Wellenrauschen. Über ihnen nahm eine Wolkendecke aus Nebel die Sicht auf den Himmel oder was auch immer sich dahinter verborgen halten könnte. Als die beiden anfingen zu sprechen, ahnte Luan, dass das zwei der Stimmen sein mussten, die er schon dort unten in der Schwärze gehört hatte, aber vom Rauschen des Wassers verschluckt worden waren. „Mama?“, fragte Ferris zögerlich und zog sich die Bettdecke ein Stück ins Gesicht, um sich darunter zu verstecken, nur mit den Augen lugte er noch unter ihr hervor. „Hast du mich lieb?“ „Natürlich habe ich dich lieb, Schatz“, antwortete seine Mutter. Ihre Stimme war tiefer, als Luan erwartet hätte und auch kratzig, wie die einer Raucherin. „Ehrlich?“ „So ehrlich, dass andere vor Neid platzen würden.“ Schockiert starrte Ferris sie mit großen Augen an. „Aua!“ Schmunzelnd strich sie ihm über den Kopf. „Das darfst du nicht so wörtlich nehmen.“ „Hä?“ „Nicht so wichtig“, meinte sie, lächelte weiter liebevoll und hielt diesen Gesichtsausdruck die ganze Zeit über aufrecht. „Niemand wird wirklich platzen und ich habe dich auf jeden Fall sehr lieb.“ Anscheinend zweifelte Ferris daran, was auch seiner Mutter auffiel, deshalb versuchte sie den Grund dafür herauszufinden, wieso ihr Sohn sie danach gefragt hatte. „Hat etwa jemand behauptet, ich würde dich nicht lieb haben?“ Unsicher zog Ferris sich nun doch die Decke vollständig über den Kopf und schwieg. Er traute sich offenbar nicht ihr zu sagen, warum er darauf gekommen war. So leicht gab seine Mutter aber nicht auf und fing damit an ihn durch die Bettdecke hindurch mehrmals zu stupsen, was Ferris zum Lachen brachte. Nicht etwa, weil er kitzelig war, sondern es einfach lustig fand. Kitzelig war er noch nie gewesen, das war eines der wenigen Dinge, die Luan über ihn wusste. „Hör auf!“, bat Ferris seine Mutter, als er kaum noch Luft bekam vor Lachen. „Nö.“ Erbarmungslos stupste sie ihren Sohn weiter durch die Decke hindurch an. „Erst, wenn du mir sagst, warum du geglaubt hast, dass ich dich nicht lieb habe.“ „Okay, ich sag es!“, ergab der Junge sich und kam wieder hervor, kaum dass seine Mutter damit aufgehört hatte ihn zu stupsen. Etwas verhalten rückte er mit der Antwort raus. „Cowen meinte, du hast mich nicht lieb.“ Es geschah schon wieder. Die Informationen über Cowen wurden an Luan übermittelt und entwickelten sich automatisch zu einem festen Bestandteil seines Wissens: Cowen Haze, der einzige Bruder von Ferris, war genau zehn Jahre älter als er und zu diesem Zeitpunkt demnach gerade sechzehn Jahre alt. Wie kam ein Jugendlicher in dem Alter darauf, seinem kleinen Bruder so etwas zu erzählen? Mit Vermutungen hielt Luan sich lieber noch zurück und schaute weiter schweigend zu. Die Stimme von Ferris‘ Mutter nahm eine Note an, die nicht genau definiert werden konnte und ihre blauen Augen schienen etwas von ihrer Farbe zu verlieren. „Wie kommt er denn darauf?“ „Weil ich nicht normal bin“, lautete Ferris' Antwort, der dabei an seinen Haarsträhnen zupfte und sie in ihre Richtung hielt, um seine folgenden Worte zu unterstützen. „Da. Ich habe blaue Haare und Cowen sagt, das ist nicht normal.“ „Ferris, Schätzchen, du weißt doch genau, dass ich und auch Papa deine blauen Haare lieben, genau wie dich selbst.“ Sie versuchte, ihm das zu beweisen und wuschelte ihm mit beiden Händen ohne Scheu durch das Haar. „Selbst wenn du überall Haare hättest und ein kleines Kuschelmonster wärst, würden wir dich lieb haben. Es ist doch egal, wie du aussiehst.“ Über diese Aussage musste Ferris amüsiert kichern, sah seine Mutter direkt danach aber auch schon wieder unsicher an. „Und was ist mit den Dingen, die ich kann?“ „Hm? Du meinst Schuhe zubinden? Das ist doch großartig, dass du das kannst.“ „Nein, ich meine die Dinge, die ich im Schlaf mache“, erklärte Ferris weiter, während er noch über die Worte seiner Mutter lachte – und kurzzeitig stolz darauf wirkte, sich die Schuhe zubinden zu können. „Cowen hat gesagt, ich mache nachts im Schlaf Dinge, die unheimlich sind. Ich lasse Sachen schweben und so.“ Jetzt gelang es ihr nicht mehr, noch länger zu lächeln. „Ist das wahr?“ „Ich weiß nicht.“ Seine Unsicherheit wuchs, als er sah, dass seine Mutter nicht mehr lächelte. „Es ist also doch schlimm?“ Ein wenig gehemmt schüttelte sie rasch den Kopf. „Nein, nein. Das ist nicht schlimm.“ „Wirklich nicht?“, hakte Ferris kleinlaut nach. „Wirklich nicht.“ Sanft drückte sie ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du bist perfekt, so wie du bist. Schlaf jetzt, Schatz.“ „Okay, Mama.“ Perfekt. Das Wort hallte noch eine Weile unheilvoll über die Szene hinweg in die Ferne. Diese Erinnerung endete und verblasste, begleitet von den Gedanken, die Ferris nach dieser Unterhaltung mit Luan teilte: Dass ich großes Potenzial dafür hatte Traumbrecher zu werden, zeigte sich schon sehr früh bei mir. Dank meiner Mutter habe ich es als Kind nie für schlimm gehalten, wenn ich Dinge geschehen lassen konnte, während ich schlief. Es waren ja auch nur harmlose Sachen, die nie wirklich gefährlich wurden. Am Anfang. Bald schon konnte ich auch im wachen Zustand Außergewöhnliches geschehen lassen, allein durch meine Träumereien. Meine Eltern, besonders meine Mutter, hielt daran fest, dass es nichts war, weswegen man sich sorgen musste und mein Vater vertraute ihr. Nur mein Bruder blieb anderer Meinung. Traumbrecher wurden danach ausgewählt, wie hoch die Intensität ihrer Träume war und wenn Ferris schon als Kind so früh gezeigt hatte, dass sie bei ihm derart stark konzentriert waren, wunderte es Luan nicht, welchen Beruf er heute ausübte. Auch seine Haare waren vorher schon besonders gewesen, ohne jedes Färbemittel. Luan unterbrach diese Gedanken, als sich die nächste Szene auf der Wasseroberfläche des Meeres bildete. Diesmal war etwas mehr zu sehen als vorher. Ein gut gepflegter Garten eines Familienhauses offenbarte sich vor Luan, der auf den ersten Blick sehr kinderfreundlich aufgebaut war. Haufenweise Spielzeug lag in einem Sandkasten herum, an einem großen Baum hing eine Schaukel und es gab genug freie Spielwiese, auf der Ferris als Abbild dieser Erinnerung erschien, wieder als Kind. Jetzt war er acht Jahre alt. Mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen stand er zuerst reglos auf dem Gras, bis er plötzlich losrannte. Im Kopf stellte er sich vor, er wäre ein Flugzeug und würde durch den Himmel gleiten, was dazu führte, dass Ferris in dieser lebhaften Tagträumerei tatsächlich vom Boden abzuheben drohte. Nur nicht körperlich. Seine Füße lösten sich vom Boden und er schwebte empor in die Luft oder eher: Sein Geist tat es, der sich von seinem Körper löste. Rückwärts fiel diese leere Hülle ins Gras, kaum dass Ferris sie verlassen hatte. Fasziniert betrachtete Luan dieses Ereignis und war fast neidisch darauf, dass Ferris als Kind schon zu solchen Dingen fähig war. Etwas sollte diese fantasievolle Reise des Jungen aber bald schon stören und das würde bestimmt Cowen übernehmen. Der achtzehnjährige Junge war soeben aus dem Haus in den Garten getreten und runzelte missbilligend die Stirn, als er Ferris so verträumt im Gras liegen sah. Endlich konnte Luan sich ein Bild von ihm machen. Cowen hatte pechschwarzes, kurzes Haar und es lag so ordentlich, dass es fast schon als unnatürlich bezeichnet werden konnte, weil jede einzelne Strähne einen festen Platz besaß. Einige längere Haarsträhnen rahmten ein hellblaues Augenpaar ein, das wie pures Eis eine stechende Kälte verströmte. Sein strenger Blick ließ keinerlei Fehler zu und Luan fühlte direkt eine unangenehme Anspannung, dabei war Cowen noch nicht mal eine Minute anwesend. Bevor der auf seinen jüngeren Bruder zuging, richtete er sich mit zwei kurzen Handgriffen seine Kleidung, die aus einem faltenfreien, weißen Hemd samt Krawatte und enger, dunkler Hose bestand – entweder arbeitete er schon oder besaß für einen jungen Erwachsenen einen unheimlich gepflegten Stil. Ungehalten beugte Cowen sich neben Ferris zu diesem runter und stemmte beide Hände in die Hüfte. „Ferris! Du träumst schon wieder, oder? Hör auf damit!“ Eindeutig, es war die Stimme, die Luan schon in der Schall-Welt dieses Alptraums gehört hatte. Sie klang so gestochen scharf wie seine eisblauen Augen wirkten und Ferris reagierte auch sofort auf Cowen. Sein Geist wurde schwer, fiel unsanft vom Himmel herab und verband sich wieder mit seinem Körper, in dem er erst mal tief durchatmen musste, als er die Augen aufschlug. Nervös erwiderte er Cowens tadelnden Blick. „Was treibst du überhaupt hier draußen?!“, fuhr Cowen ihn wütend an und machte dabei eine ausholende Handbewegung. „Ich habe dir doch gesagt, dass du im Haus bleiben sollst, wo ich dich im Auge behalten kann!“ „Ich weiß“, sprach Ferris eingeschüchtert und zog den Kopf ein. „Tut mir leid. Ich bin aber so gern draußen. Drinnen ist es langweilig.“ Unterkühlt verschränkte Cowen die Arme vor der Brust. „Du meinst wohl eher: Drinnen kannst du nicht unbemerkt vor dich hin träumen. Solange ich auf dich aufpassen muss, möchte ich Unfälle vermeiden und du verursachst nur welche, wenn man nicht auf dich aufpasst.“ „Ich spiele doch nur“, verteidigte Ferris sich, wich aber Cowens Blick aus. „Und Mama sagt, es ist nicht schlimm, dass ich so lebhaft träume.“ „Mutter fürchtet sich vor dir und deinen Träumereien.“ Cowen hielt kurz inne und Luan glaubte, dass sich so etwas wie Hass in seinen Augen widerspiegelte. „Sie ist nur so nett zu dir, weil sie sich vor dir fürchtet und nicht riskieren will, dass du ihr was antust!“ Darauf reagierte Ferris erschrocken und sein Blick fixierte sich wieder auf Cowen. „Das ist nicht wahr!“ „Du glaubst doch nicht wirklich daran, dass Mutter ein Kind wie dich liebt?“ Verzweifelt schüttelte Ferris den Kopf. „Doch! Sie hat es mir gesagt!“ „Eines Tages wirst du schon noch aufwachen“, beendete Cowen die Diskussion und packte seinen Bruder grob am Arm, um ihn auf die Beine zu ziehen. „Bis dahin solltest du endlich lernen, Erwachsenen zu gehorchen! Sonst richtest du irgendwann noch ein Unheil an.“ „Aua!“, jammerte Ferris, wehrte sich aber auch nicht gegen Cowen. „Du tust mir weh!“ „Gut, dann lernst du vielleicht mal, dass Ungehorsam seine Folgen hat!“ „Cowen, lass ihn los!“, mischte eine wesentlich ältere, tiefe und raue Stimme sich ein. Calvin Haze, der Vater von den beiden, trat nun ebenfalls gerade aus dem Haus in den Garten und war ein stämmiger Mann mit Glatze, einem Dreitagebart und tiefgründigen, braunen Augen, die von der Farbe her exakt zu denen von Ferris passten. Dank der Verbundenheit erfuhr Luan, dass Calvin stets nur enge, kurzärmlige Oberteile in grün oder beige trug, durch die sein Körperbau gut zur Geltung kam. Dicht hinter ihm folgte seine Frau, Cowens und Ferris‘ Mutter, deren Namen Luan jetzt auch vermittelt bekam: Marcia Haze. Offenbar waren die Eltern früher als erwartet zurückgekehrt, denn beide Kinder wirkten überrascht – Ferris doch eher erleichtert. Cowen gehorchte Calvin ohne Widerworte und ließ Ferris sofort los, der daraufhin schluchzend zu Marcia lief, um sich von ihr in den Arm nehmen zu lassen. Derweil trat Calvin näher zu Cowen und erdrückte ihn förmlich mit seinem Blick. Tiefe Krater zogen sich durch die Stirn des Vaters, als er seinen ältesten Sohn zur Rede stellte. „Du bist jetzt achtzehn Jahre alt“, begann Calvin ernst und sah seinen Sohn dabei verständnislos an. „Alt genug, um langsam mal an Reife zu gewinnen. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du Ferris nicht so behandeln sollst? Können wir euch wirklich nicht mal eine halbe Stunde alleine lassen? Er ist dein Bruder. Ich habe mich auf dich verlassen, dass du für die kurze Zeit auf ihn aufpassen kannst.“ „Kann ich auch“, erwiderte Cowen, mit viel Respekt in der Stimme. „Ohne Ferris so zu behandeln, als hätte er etwas falsch gemacht.“ „Er hat aber etwas falsch gemacht!“ Vorwurfsvoll deutete Cowen auf Ferris. „Ich habe ihm gesagt, er soll drinnen bleiben und er hat nicht auf mich gehört. Soll ich ihn dafür etwa noch loben? Dann tanzt er uns doch allen nur auf der Nase herum.“ Seufzend rieb Calvin sich mit einer Hand über die Stirn. „Es ist Sommer, Cowen. Da kannst du Kinder nicht dazu zwingen, drinnen zu bleiben. Warum darf Ferris bei dir nicht rausgehen?“ „Weil er dann nur heimlich mit spielt und Chaos anrichtet!“ Fehlte da nicht etwas? Mit wem spielte Ferris? Es klang danach, als wäre ein Wort mitten in Cowens Satz verschluckt worden und gar nicht da, es war einfach so ausgeschnitten worden. Leider hatte Luan keine Zeit, sich darauf zu konzentrieren, wenn er keine wichtigen Details verpassen wollte, also ignorierte er den fehlenden Namen und konzentrierte sich auf die Szene, die wie ein laufender Film voranschritt. „Er ist ein Kind“, begründete Calvin ruhig, was nicht zu seiner rauen Stimme passen wollte. Schnaubend wandte Cowen sich ab. „Fein, unterstütz ihn ruhig. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Eines Tages werdet ihr es bereuen, nicht strenger mit ihm gewesen zu sein.“ Danach warf er einen raschen Blick zu Marcia, die seinem Blick betrübt auswich und Ferris noch enger an sich drückte. Auch diese Erinnerung verblasste im Anschluss und verschwand langsam, während Ferris sie erneut mit seinen Gedanken kommentierte: Ungehorsam. Ich sollte noch lernen, was für ein großes Unheil das mit sich bringen konnte. Solange meine Eltern da waren und auf meiner Seite standen, habe ich aber immer nur gedacht, Cowen könnte mich nur einfach nicht leiden. Deshalb habe ich weitergemacht und mir das Träumen von ihm nicht verbieten lassen. Ich habe nie auf ihn gehört und getan, was mir Spaß gemacht hat und da nie etwas passiert war, machte ich mir auch keine Gedanken um mögliche Folgen. Irgendwann tat ich sogar gezielt die Dinge, die Cowen mir verbieten wollte. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Wolkendecke über Luan wurde schlagartig dunkler, nahm die Gestalt von Gewitterwolken an und ein lautes Donnern grollte wie eine körperlose Gestalt über die Wasseroberfläche hinweg. Alles an der Umgebung fühlte sich auf einmal so schwer an, dass Luan sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ein Unheil. Bestimmt würde die nächste Erinnerung ein Unheil einläuten, das alles verändern sollte. Angespannt bereitete Luan sich auf den folgenden Film vor und fragte sich, was wohl passieren würde. Schleichend kam er dem Grund dafür näher, wieso Ferris so viel Leid und Kummer in sich trug. Es war Marcias Geburtstag. Inzwischen war Ferris zehn Jahre alt und seine Gestalt tauchte zusammen mit einer Tür auf, vor der er ungeduldig auf etwas wartete. Wenige Augenblicke später wurde sie geöffnet und Cowen, zwanzig Jahre alt, kam aus dem Zimmer, das dahinter verborgen lag – das Schlafzimmer ihrer Eltern. Aufgeregt wollte Ferris einen Blick ins Innere des Zimmers erhaschen, aber Cowen schloss die Tür bereits wieder zügig hinter sich. „Was ist los?“ Ratlos blickte Ferris Cowen an. „Ist Mama noch nicht wach?“ „Mutter geht es nicht so gut“, antwortete er, seine Stimmlage war noch kälter und abweisender geworden. „Wir lassen sie schlafen. Den Kuchen können wir ihr auch später noch geben.“ Nach diesen Worten schob Cowen Ferris auch schon grob zur Seite und ging an ihm vorbei, geradewegs in die Küche. Auch dort erschienen nur die wichtigsten Teile der Umgebung, in dem Fall war es eine Ablage, wo schon ein Geburtstagskuchen mit brennenden Kerzen bereitstand. Schnell waren sie von Cowen allesamt gelöscht worden und nur noch feine Linien aus Rauch erinnerten daran, dass sie schon mal gebrannt hatten. Jetzt wirkte der Kuchen nur noch wie ein unvollkommenes Objekt, dem seine Perfektion entrissen worden war. Genau so schien es jedenfalls Ferris zu empfinden. Mit aufgepumpten Wangen zeigte Ferris sich trotzig. „Wenn sich Mama nicht gut fühlt, heitert sie ein Kuchen doch erst recht auf! Ich will ihn ihr jetzt geben, nicht später.“ „Nein“, betonte Cowen deutlich. „Ein Kuchen wird Mutter nur noch mehr runterziehen, glaub mir.“ „Lügner!“ Wütend stampfte Ferris mit dem Fuß auf den Boden. „Du willst ja nur nicht, dass ich dabei bin. Kuchen heitert jeden auf!“ Auch Cowen wurde wütend und musste sich sichtlich zusammenreißen, nicht aus der Haut zu fahren. „Nein, eben nicht. Nicht jeden.“ „Wieso nicht?“ „Das verstehst du sowieso nicht. Dafür bist du noch viel zu klein.“ „Bin ich nicht! Ich bin schon zehn Jahre alt!“ „Und dass du hier so rumschreist, obwohl ich dir sagte, dass es Mutter nicht gut geht, zeigt eben doch, dass du noch ein kleines Kind bist“, beendete Cowen diese Diskussion und seine Augenbrauen zogen sich gefährlich dicht zusammen. „Ich werde Vater frühzeitig von der Arbeit abholen gehen. Das allein könnte Mutter jetzt aufheitern, nicht dieser dämliche Kuchen.“ „Aber-“, wollte Ferris einwerfen, doch er zuckte vor Schreck zusammen, als Cowens Faust mit einem lauten Knall auf den Tisch stürzte. „Kein Aber, Ferris! Du bist ein Kind und Kinder haben auf Erwachsene zu hören!“, stellte Cowen nochmal die Verhältnisse klar. „Du willst nicht wie ein Kind behandelt werden? Schön, dann gebe ich dir hiermit eine Chance, zu beweisen, dass du doch keins mehr bist: Übernimm wenigstens für eine halbe Stunde etwas Eigenverantwortung und warte im Haus, bis ich mit Vater zurück bin. Mit zehn Jahren dürftest du das ja wohl locker hinkriegen, oder nicht?“ Eigentlich klang das nach einem fairen Angebot und dass Cowen ihn wirklich alleine lassen wollte, zeigte auch ein gewisses Maß an Vertrauen, egal wie gering es auch sein mochte – oder es war eher ein Zeichen dafür, dass er sich nur sehr um seine Mutter sorgte und er ihr helfen wollte. Beinahe hätte Ferris deshalb artig zugestimmt, nur schob Cowen dann noch etwas hinterher, was innerlich eine starke Trotzreaktion bei dem Kind auslöste. „Und lass Mutter in Ruhe!“, befahl er. „Geh nicht in ihr Zimmer und lass den Kuchen hier stehen, kapiert?“ Zu Luans Überraschung folgten von Ferris keine Widerworte, sondern nur ein stummes Nicken und das hätte ihn in dieser Situation misstrauisch gestimmt. Cowen musste wohl zu besorgt um Marcia sein, um das zu bemerkten, denn er wirkte zufrieden und strebte ohne ein weiteres Wort schon Richtung Haustür. Wieder erschien sie als einziges, sichtbares Glied im Gesamtbild des Hauses und es war nur noch zu hören, wie Cowen draußen eilig mit einem Wagen wegfuhr. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, suchte Ferris die gesamte Küche nach einem Feuerzeug oder Streichhölzern ab, wofür nach und nach ein Möbelstück nach dem anderen auf der Wasseroberfläche erschien. Das Puzzlebild der Küche setzte sich auf die Art langsam zusammen. Anscheinend hatte man gut genug dafür gesorgt, dass sämtliche Hilfsmittel, mit denen man Feuer machen konnte, aus der Reichweite des Kindes entfernt worden waren. Frustriert stieß Ferris einen Seufzer aus, als er nicht fündig wurde und ... ... das Bild der Erinnerung verzerrte sich plötzlich. Begann wie wild zu flimmern, ähnlich wie bei einem Störsignal beim Fernseher. Es war nichts mehr zu erkennen, bis sich die Übertragung wieder fing und Ferris in der nächsten Szene mit dem Kuchen im Arm vor dem Zimmer seiner Eltern stand, in dem sich gerade nur seine Mutter aufhielt. Die Kerzen brannten alle und Ferris lächelte zuversichtlich. Etwas fehlte hier. Warum war das Zwischenstück nicht einsehbar? Lag es daran, dass der erwachsene Ferris sich nur nicht mehr an alles erinnern konnte? Nein, Luan hatte einen Verdacht, aber er behielt ihn erst mal für sich. Seine Gedanken würden nur den Lauf der Erinnerungen stören. „Ihr werdet schon sehen, ich heitere Mama ganz alleine auf~“, nahm Ferris sich fest vor und öffnete die Tür. Dahinter kam ein einzelnes Doppelbett zum Vorschein, auf dem Marcia saß. Über der Wolkendecke des Meeres war ein weiteres Grollen zu hören, das hinabstieg und unruhige Wellenbewegungen auf der Wasseroberfläche auslöste. Jeder Schritt von Ferris brachte Dunkelheit in die Erinnerung, weil die Wolkendecke sich nun anfing schwarz zu verfärben. Jede Sekunde musste etwas geschehen, was das Innerste von Ferris in Aufruhr versetzte. Und ab hier geschah alles Schlag auf Schlag. Marcia saß mit gesenktem Kopf alleine auf einer Seite des Doppelbettes – die Seite ihres Mannes, wie Luan vermittelt bekam. Sie rührte keinen einzigen Muskel und war wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, die nur zur Dekoration diente. Leblos und längst gebrochen. Genau das sagten ihre Tränen aus, deren glänzende Spuren noch auf ihren Wangen zu sehen waren. Vorsichtig schlich Ferris sich näher ans Bett heran und hielt dabei den Kuchen vor sich. Dann hob er ihn hoch, so weit wie er nur konnte. Und es folgte ein fröhliches: „Mama! Alles Gute zum Geburtstag!“ Wie vom Blitz getroffen fuhr Marcias Kopf hoch, starrte wie versteinert mit verweinten Augen auf den Kuchen und in der Wolkendecke blitzte wirklich ein grelles Licht auf. Alles geschah so schnell, dass Luan kaum folgen konnte, aber er spürte die Emotionen. Ihre Gewalt brachte ihn ins Schwanken, besonders eine von ihnen. Erst vor kurzem hatte er dieses Gefühl wieder neu erfahren, weil Bernadette ein Loch in das Netz der Atemhypnose gerissen hatte: Angst. „Monster!“, schrie Marcia unkontrolliert. Ferris stieß vor Schock nur einen stummen Schrei aus und das sowohl wegen der Reaktion seiner Mutter als auch den Kerzen. Wie durch Geisterhand wandelten sich die kleinen Flammen zu Giganten heran, was Ferris dazu brachte, den Teller aus Reflex samt Kuchen einfach fallenzulassen und zurückzuweichen. Innerhalb von Sekunden wuchs das Feuer so stark heran, dass es bald schon das Bett eingekreist hatte. Eine unerträgliche Hitze brachte die Atmosphäre zum Flimmern, ähnlich wie vorhin und doch war es anders. Das Schlafzimmer war von Feuer erobert worden. Wie konnte sich Feuer so schnell ausbreiten? Was Luan nun zu sehen bekam, waren nur noch kleine Ausschnitte von dem, was geschah. Fetzen einer Erinnerung, die eine hochgradige Verbrennung in der Seele von Ferris hinterlassen hatte. Ein Selbstschutz, um den Schmerz dieses Tages nicht zu lebendig werden zu lassen. Folgende Schnipsel bekam Luan zu sehen: Marcias Schreie übertönten das grollende Donnern, das zum dritten Mal aus der Wolkendecke und über das Meer jagte – ohne Ziel. Ferris war auf den Boden gesunken und saß reglos da. Konnte nur entsetzt starren. Calvin stürzte irgendwann ins Zimmer und brüllte einen Befehl Richtung Cowen. Sie waren nach Hause zurückgekehrt. Cowen schnappte sich Ferris, hievte ihn sich auf die Arme und stürmte mit ihm aus dem Haus. Calvin, fünfundvierzig Jahre alt, blieb bei Marcia, zweiundvierzig Jahre alt. Sirenen heulten auf. In dem letzten Filmausschnitt dieser Erinnerung standen die Brüder beide zusammen und doch alleine vor dem Haus, aus dem eine Menge Rauch nach außen drang, umgeben von Feuerwehr und Krankenwagen. Dann verblasste die Erinnerung. Ferris‘ Gedanken folgten: Meine Eltern haben diesen Tag nicht überlebt. Sie sind gestorben, in einem Feuer, dessen Ursache auf die Kerzen des Geburtstagskuchens geschoben wurde. Natürlich wusste ich es besser. Es hatte an mir gelegen. An mir und der Tatsache, dass ich nicht normal war. Auch Cowen betrachtete mich von Anfang an als Schuldigen, während ich von meinen Mitmenschen mit Mitleid für diesen unglücklichen Vorfall überhäuft wurde. Wir beide waren die einzigen, die es besser wussten. Also ... Aus dem Nichts tauchten zwei einsame Stühle auf, um die nächste Szene einzuläuten. Auf die musste Luan sich erst mal einstellen, da er noch glaubte die Hitze der Flammen deutlich in der Luft spüren zu können, die ihm das Atmen erschwerte. Sah nicht so aus, als würde sich die Wolkendecke nochmal aufhellen, sie blieb schwarz, dunkel und unergründlich. Eine Macht, deren Existenz es dem Meer unmöglich machte den Himmel zu sehen. Irgendwie deprimierend. Auf den Stühlen erschienen Ferris und Cowen, jeweils in anderer Haltung. Das Kind war regelrecht in sich zusammengesackt, der Erwachsene dagegen saß aufrecht und fror den Schuldigen mit seinem Blick an dem Stuhl fest. Nur ein paar Tage waren seit dem Unfall vergangen, bei dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Wahrscheinlich folgte nun so etwas wie eine Besprechung, mit dem Hintergrund, wie es weitergehen sollte. Oder eher ein Verhör, von Cowens Seite aus, gefüllt mit Beschuldigungen. Er war es auch, der zuerst die eisige Stille zwischen ihnen brach. „Du bist schuld, dass sie tot sind.“ Ferris nickte nur schweigend. „Wenigstens siehst du es ein“, fasste Cowen diese Einstellung positiv auf und verstärkte seine aufrechte Haltung, indem er seinen Körper anspannte. „Du weißt auch, woran es liegt?“ Wieder nickte Ferris schweigend. „Dann sag es“, forderte sein Bruder mit fester Stimme. Keine Spur von Trauer war in ihr enthalten. „Ich will es von dir hören.“ „Ich bin nicht normal“, antwortete Ferris kleinlaut. Er zeigte keinerlei Widerstand mehr gegen Cowen und fügte sich ihm gehorsam, was der nur begrüßte. „Genau. Wie sonst soll es möglich gewesen sein, dass das Feuer nur dir nicht geschadet hat? Definitiv nicht normal. Das müssen wir also dringend ändern.“ Überrascht hob Ferris den Kopf, den er bis dahin hängen gelassen hatte und warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. „Wir? Du lässt mich also nicht allein?“ „Ich bin dein Bruder. Dein nächster Verwandter und alt genug, mich um dich zu kümmern“, fasste Cowen zusammen. „Was würde das für ein Licht auf mich werfen, wenn ich dich links liegen lasse? Natürlich lasse ich dich nicht allein oder gebe dich in andere Hände.“ Darüber war Ferris spürbar erleichtert, seine Mimik hellte sich sogar etwas auf. „Danke, Cowen! Ich werden von nun auch gehorsam sein, das verspreche ich dir.“ „Das will ich dir auch raten. Nochmal soll so etwas ja nicht passieren, also ist Gehorsam schon mal ein guter Anfang.“ Nein, nochmal durfte so etwas nicht passieren, dafür mussten sie unbedingt sorgen. Diese Gedanken von Ferris erreichten Luan klar und deutlich, sie wandelten sich zu seinen eigenen, so eng war die Verbindung. Besonders wegen Marcias Ausbruch ihm gegenüber wollte Ferris sich ändern, das hatte ihn nämlich sehr getroffen. Er wollte kein Monster sein, sondern perfekt, so wie sie es damals zu ihm gesagt hatte. Musste er also erst normal sein? Ja, so war es wohl. Von nun an würde Ferris alles dafür tun, um normal zu werden und Cowen sollte ihn leiten. Wenn er erst mal normal war, dann ... „Ich werde dich schon richtig erziehen und wenn du es erst mal geschafft hast, normal zu werden, dann arbeiten wir an der Perfektion“, führte Cowen den Gedanken zu Ende. Etwas überrumpelt neigte Ferris den Kopf. Hatte er sich verhört oder konnte Cowen Gedanken lesen? „Perfektion?“ „Ja, das ist sehr wichtig.“ Eine flüssige Bewegung genügte und Cowen war von seinem Stuhl aufgestanden, um zu Ferris rüberzugehen. „Aber eins nach dem anderen. Zuerst bringen wir Normalität in unser Leben, vorrangig in deines, also wirst du nicht mehr mit spielen, verstanden?“ Schon wieder. Da war ein Wort gänzlich aus dem Satz ausgeschnitten worden, wie es schon mal vorgekommen war. Mit wem sollte Ferris nicht mehr spielen? Luan ahnte, dass nur einer in Frage kommen konnte: Theeder. Ihn aus dem Gedächtnis zu streichen, musste Ferris wahrlich meisterhaft gelungen sein. Dieser Sakromahr hatte scheinbar viel Einfluss auf seine Kindheit gehabt und doch wurde er komplett vergessen. Nach einer knappen Bestätigung von Ferris, dass er Cowen verstanden hätte, verblasste letztendlich auch diese Erinnerung und was folgte, waren wieder Gedanken: Cowen brachte mir also bei, wie man normal war. Er hätte mich verstoßen oder gar Angst vor mir haben können, aber stattdessen blieb er bei mir und half mir sogar. Wir konnten auch zusammen in unserem Familienhaus bleiben, lediglich das Schlafzimmer meiner Eltern konnten wir die nächste Zeit nicht mehr nutzen. Unser Leben ging also weiter, in anderen Bahnen als vorher. Für mich war es in Ordnung, wenn Cowen streng wurde. Oder zu streng. So war es richtig, glaubte ich. Aber ... Plötzlich störte etwas die Verbindung, in der sie sich gerade befanden. Noch bevor sich die nächste Erinnerung aufbauen konnte, verlor Luan den Halt unter seinen Füßen und fiel zurück ins Wasser. Wie ein schwerer Stein sank er auf den Grund des Meeres hinab, wo ihn Schwärze willkommen hieß. Nicht lange und sie stieß ihn zurück in die Wirklichkeit. Das war zu früh. Aber? Ferris war noch nicht fertig gewesen. Noch lange nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)