The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 5: Ich wusste es ------------------------ Wenn dieser Alptraum kein Reinmahr war, zu welcher Gattung gehörte er dann? Luan konnte ihn beim besten Willen bei keinem anderen Typ einordnen, was vor allem an seiner materiellen Form lag, die er angenommen hatte und ihn mit Ratlosigkeit belastete: Der Feind sah menschlich aus. Viel zu menschlich für einen Alptraum. Natürlich erkannte man auf den ersten Blick, dass es sich um keinen richtigen Menschen handelte, dennoch war diese Form höchst ungewöhnlich. Alpträume verabscheuten die Menschheit zutiefst und deswegen ließen sie diese auch im Schlaf so sehr leiden, nutzten sie teilweise sogar als Marionetten für ihre Zwecke oder sperrten sie schlimmstenfalls in einem Traum ein – ein großer Teil der im Koma liegenden Personen zählte zu solchen Fällen. Dieser Alptraum hatte jedoch die Form eines Menschen angenommen, wieso? Darauf konnte sich Luan keinen Reim machen. Hinzu kam ein weiteres Detail, das Luan zum ersten Mal an einem Alptraum beobachtete: Er hatte kein Gesicht. Das war deshalb so seltsam, weil Alpträume aus einer Ansammlung von negativen Gefühlen bestanden und sie daher in ihrer wahren Erscheinung, sei sie körperlich oder nicht, immer mindestens eine Emotion in irgendeiner Art widerspiegelten. In dem Fall war das menschliche Gesicht aber total blank, wie auf einem weißen Blatt Papier. Der Körper des Alptraums bestand vollkommen aus dem schneeweißen Sand, nur hatte der sich verhärtet, was noch ein zusätzlicher Unterschied zu einem Reinmahr und dem Rest allgemein war. Im Regelfall bildete der sogenannte Traumsand, der nur entstand, wenn ein Alptraum bereits Fuß in der Realität gefasst hatte, nur die Füllung, über die sich dann erst noch die richtige Erscheinung legte – wie eine Haut. Hier bildete eben dieser Traumsand offensichtlich zeitgleich die Außenhülle. Ansonsten war die Form, wie schon gesagt, menschlich und unspektakulär. Ein geschlechtsloser Körper mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf, aber ohne Haare und die dazugehörigen Gesichtszüge. Dort, wo Augen, Nase und Mund liegen sollten, war einfach nur eine glatte, weiße Stelle zu sehen. An Angriffslust mangelte es diesem Alptraum aber wohl nicht, denn er raste geradewegs auf sie zu, obwohl der Schild von Ferris noch aktiv war. Wieder knallte der Alptraum gegen die großflächige, runde Kuppel und löste einige rote Wellen auf der gleichmäßigen Oberfläche aus. Sie zogen sich quer durch das kühl wirkende, durchsichtige Dunkelblau und ließen den Schild nur kurz unruhig flimmern. Ein weiteres Mal wurde der Feind weit von dem Druck zurückgeschleudert, den er selbst auf dem Lichtschild ausübte. Ferris provozierte den Gegner gern auf diese Weise, doch er hatte entweder nie lange genug Lust nur zuzusehen oder machte seinen Gegenspieler damit so wütend, dass er eine böse Überraschung erlebte. Aus dem Grund wies Luan ihn lieber darauf hin, sich anständig um ihn zu kümmern. „Du sollst es zwar nicht übertreiben, aber auch bitte nicht untertreiben.“ „Sag bloß, der da bereitet dir Sorgen?“, reagierte Ferris amüsiert und warf seine Taschenuhr mehrmals in die Luft, nur um sie wie einen Ball jedes Mal wieder auffangen zu können. „Das ist, wie du sagtest, nicht mal ein echter Reinmahr.“ „Eben, es könnte ein neuer Typ sein, der gefährlich ist.“ „Er könnte aber auch ein absolutes Nichts sein, das nicht mal durch meinen Schild kommt und dumm genug ist, es immer wieder zu versuchen.“ Tatsächlich zogen sich erneut rötliche Wellen über das Schild, als das besagte Nichts zum dritten Mal gegen das Hindernis stieß und zurückgeworfen wurde. Für Luan war das eindeutig zu viel. „Ob Nichts oder nicht, kümmere dich endlich darum. Dem Schild nach zu urteilen ist deine Traumzeit schon aktiviert und verstreicht hier gerade vollkommen sinnlos.“ In Luans Stimme lag deutlich Druck und Unverständnis, wie man so gedankenlos mit dieser wertvollen Zeit umgehen konnte. Statt Einsehen zu zeigen, tippte Ferris gegen seine eigene Stirn und grinste dabei. „Reg dich nicht so auf, kriegst hier schon wieder diese Falten. Siehst auch ohne die schon viel älter aus, als du bist.“ „Ferris!“, rief Luan ungehalten. „Schon gut, ich mach ja schon. Ich mach ja schon.“ Ferris trat einen Schritt vor und schnippte einmal mit den Fingern, wodurch automatisch der Deckel seiner Taschenuhr aufsprang, aus der, wie bei Luan, ein grelles, weißes Licht wie Feuer zum Vorschein kam. Es zersplitterte und gab ebenfalls eine Pistole frei, die vom Aussehen her der von Luan täuschend ähnlich war. Danach legte Ferris die Uhr auch um den Hals. Bevor er sich aber die Waffe griff, wandte er sich nochmal an Luan. „Ich wette, das ist ein absoluter Schwächling, auch wenn er einen Klartraum befallen konnte. In nicht mal einer Minute ist der erledigt.“ „Rede nicht so viel und fang an.“ Endlich schnappte Ferris sich die Pistole, ging dann leicht in die Knie und sprang nach oben. Viel höher, als ein normaler Mensch jemals könnte. Er flog förmlich pfeilgerade aufwärts und durchbrach dabei seinen eigenen Schild, der auf der Stelle jegliche Leuchtkraft verlor und sich in einem kleinen Regenschauer auflöste. Viele Meter über den Baumkronen des Waldes hielt er schließlich in der Luft an und verweilte dort schwebend, umgeben von einer dunkelblau fließenden Energie. Bei jedem Traumbrecher war der Farbton von dem Blau anders, das ihn bei aktivierter Traumzeit umgab. Niemand wusste bisher so recht, ob das etwas zu bedeuten hatte oder nicht. Etwas verbittert musste Luan seufzen, weil er durch Ferris daran erinnert wurde, wozu Traumbrecher in Wahrheit fähig waren, solange sie noch genug Zeit übrig hatten. Schwerkraft beeinflussen, neue Welten schaffen und vieles mehr – es kam ganz darauf an, mit welchen Fähigkeiten man geprägt war. Je nachdem wie mächtig und real sich ein Zustand entwickelte, der durch das Träumen geschaffen wurde, bewegten die Zeiger der Taschenuhr sich aber auch entsprechend schneller oder langsamer. Wer also nicht aufpasste, konnte seine sechs Stunden locker in wenigen Minuten aufbrauchen und Ferris war leider oft viel zu gedankenlos beim Kämpfen, also behielt Luan ihn besser im Auge. Dank der erweiterten Sichtebene konnte Luan ihn von seinem Standpunkt am Boden aus problemlos sehen, auch durch das dichte Blätterdach hindurch. Somit entdeckte er auch den Alptraum ziemlich früh, der wieder aus der Ferne zurückgeschossen kam und abrupt mitten im Sturzflug stoppte, kaum dass er Ferris entdeckt hatte. Der hingegen eröffnete sofort das Feuer und gab mehrere Schüsse auf einmal ab. Dunkelblaue, leuchtende Energiekugeln schossen auf den Gegner zu und trafen ihn mitten in die Brust hinein, von körperlichen Schäden keine Spur. Soweit war alles normal, nur zeigte der Alptraum keinerlei Reaktion, als wäre überhaupt nichts passiert. Weiterhin verharrte er einfach nur schwebend in der Luft und schien Ferris gründlich zu mustern, zumindest wirkte es so. Ohne Gesicht war es schwer, das mit Sicherheit zu sagen. „Ach, so einer bist du also“, kommentierte Ferris, wenig beeindruckt. „Du brauchst also einen Nachschlag? Kannst du haben.“ Abermals feuerte er mehrere Schüsse ab, wovon jeder wie zuvor haargenau ins Schwarze traf. Auch das störte den Alptraum kein bisschen und Ferris fühlte sich nun doch sichtlich verspottet. Auf Worte verzichtete er aber und legte nochmals an, um einen Schuss abzufeuern. Diesmal wartete er einen Moment ab und konzentrierte sich dabei, ehe er den Abzug betätigte, was zur Folge hatte, dass der nächste Schuss wesentlich größer ausfiel als die letzten. Eine Energiekugel von der Größe einer Bowlingkugel drang in die Brust des Feindes ein, doch es geschah immer noch nichts. Weiterhin blieb der Alptraum seelenruhig und rührte sich keinen Zentimeter. So etwas hatte weder Luan noch Ferris bisher erlebt, letzterer verlor langsam jeden Funken Spaß an der Sache und zog die Augenbrauen zusammen. „Scheiße“, fluchte er. „ Du willst mich wohl verarschen?! Was zur Geißel bist du? Bist du überhaupt ein Alptraum oder was?“ Die Frage war durchaus berechtigt, wie Luan fand. Das, was bei ihnen als Munition für die Waffen diente, bestand aus Teilen ihrer Energie und wurde mit jedem Schuss aus dem eigenen Körper abgezweigt. Sie neutralisierte beim Zusammentreffen auf einen Alptraum die negativen Gefühle und da so ein Wesen nur durch die erst zu einer Existenz herangereift war, reagierten die verständlicherweise sehr empfindlich darauf. Gerade weil Alpträume so unterschiedlich waren, variierte dementsprechend auch die Anzahl an Schüssen. Manche wurden schon nach einem Treffer restlos vernichtet, andere steckten so viel ein, dass ein Kampf sich sehr in die Länge ziehen konnte. Womöglich war dieses Exemplar hier einer von der Sorte, für den eine große Menge an Schüssen nötig war, aber es stimmte Luan misstrauisch, dass er gar keine Reaktion zeigte. Alpträume verteidigten sich immer sofort, sobald sie merkten, dass man versuchte sie auszulöschen, egal wie mächtig sie waren. „Das ist alles sehr merkwürdig“, flüsterte Luan für sich, den Blick nach oben gerichtet, um die beiden beobachten zu können. „Okay, mir reicht es!“, verkündete Ferris, überaus genervt. „Du willst dich nicht wehren?! Na schön, dann werde ich dich jetzt mal so richtig wegpusten!“ Wieder richtete Ferris den Lauf der Pistole auf die Brust und Luan ahnte, dass er viel zu viel Energie in diesen Schuss legen würde, um seinen Gegner richtig wegpusten zu können. Das musste er unbedingt verhindern, denn Ferris war dabei viel zu voreilig all seine Kraft auf einen Schlag zu verlieren und schlimmstenfalls könnte der Alptraum hinterher immer noch unversehrt sein, dann hätten sie alle ein Problem. Er wollte den Mund öffnen und Ferris zurechtweisen, nur kam er nicht dazu. Plötzlich verkrampfte sich der Alptraum, aber scheinbar nicht aus Schmerz durch die Energiekugeln, sondern weil eine Mutation stattfand. Mutationen waren ein klares Anzeichen dafür, dass sich der Feind mit allen Mitteln gegen den Traumbrecher stellen würde, aber auch dafür, dass die vorherigen Schüsse bei ihm wirklich rein gar nichts bewirkt hatten. Auf jeder Seite des Körpers sprossen, neben den zwei vorhandenen Armen, jeweils vier weitere heraus, die, ähnlich wie in der verzerrten Welt vorhin, eine unmenschliche Länge erreichten und sich weit über den gesamten Himmel verteilten. Reaktionsschnell feuerte Ferris sofort gezielte Schüsse in jeden einzelnen neuen Arm ab, um die Gefahr zu vernichten, bevor sie noch größer werden konnte. Wenigstens war er dadurch davon abgebracht worden, seine Energie zu bündeln und mit einem Schuss zu verlieren. Leider schienen seine Energiekugeln das genaue Gegenteil zu erreichen, da direkt nach dem Einschlag weitere Arme aus den neuen herauswuchsen. Innerhalb von Sekunden wucherten mehr und mehr hervor, nahmen wie verzweigte Äste eines Baumes ihre Umgebung in Beschlag und ehe Ferris sich versah war er von allen Seiten eingekreist. Zielgerichtet stürzten sich die ersten Hände auch schon direkt auf ihn. Zu schnell, als dass Ferris noch rechtzeitig einen Schild hätte formen können, daher verwendete er eine Taktik, die Luan mehr als nur missfiel. Mühelos teleportierte Ferris sich einfach an eine andere Stelle hinter dem Alptraum, von wo aus er wie verrückt nochmals mehrere Schüsse abfeuerte. „Nimm das, du Mistkerl!“ „Teleportation?!“, schrie Luan außer sich. „Bist du bescheuert?! Das treibt die Geschwindigkeit deiner Zeit nur zu sehr in die Höhe, hör auf damit!“ Anscheinend hörte Ferris ihn nicht, denn er machte unbekümmert weiter und teleportierte sich jedes Mal weg, sobald die Hände nach ihm greifen wollten. Genug Zeit, um einen konzentrierten, großen Schuss abzufeuern hatte er somit nicht mehr, was nicht besser, sondern noch schlechter war. Ein hoher Energieverbrauch war im Vergleich doch eher zu verschmerzen, als zu viel von seiner Traumzeit zu verlieren. Darüber machte Ferris sich nur keine Gedanken und handelte spontan, das war in diesem Beruf ein fataler Fehler. Angespannt knirschte Luan mit den Zähnen und setzte sich in Bewegung, um an einem der Bäume hochzuklettern. Er wusste, dass das, was er jetzt vorhatte, keine besonders gute oder kluge Idee war, doch er wollte auch nicht seelenruhig zusehen wie Ferris seine ganze Traumzeit verbrauchte, nur weil der sich so schlecht bremsen konnte. Es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben auszuweichen, die weitaus sparsamer und zudem hilfreicher gewesen wären. „Ich wusste es. Ich wusste, er würde es übertreiben!“ Das war aber nicht mal etwas, was nur typisch für Ferris war, viele Traumbrecher konnten bloß schwer einschätzen, ab wann sie ihre Zeit zu sehr strapazierten und wann nicht. Andere verloren sich auch schnell in einem begeisterten Rausch, je mehr Spaß es ihnen machte, sich im Kampf überlegen zu fühlen. Aus diesem Grund hielt die aktive Arbeitszeit von den meisten ja auch nicht allzu lange an, weil viele unterschätzten, wie zügig sechs Stunden vorbei sein konnten. Luan dagegen wusste ganz genau, dass die Zeit dazu neigte viel zu schnell zu verstreichen. *** „Verfluchte Scheiße!“, ließ Ferris seinen Frust raus. „Irgendwann musst du doch mal schwächer werden!“ Wie viele Energiekugeln er bis jetzt schon in den Gegner gefeuert hatte, konnte er nicht genau sagen, aber es waren einige gewesen und trotzdem tat dieser Alptraum immer noch so, als würde es ihm nichts ausmachen. Allmählich bekam Ferris sogar das Gefühl, sein Gegenspieler wurde mit jedem Schuss nur noch lebhafter und agiler. Inzwischen waren so viele Arme und Hände um ihn herum, dass er nicht mal mehr den Körper des Alptraums sehen konnte. Wie Schlangen rauschten sie durch die Luft und versuchten hartnäckig ihn zu fassen zu kriegen, doch er konnte sich stets rechtzeitig an eine freie Stelle teleportieren, nur wurde der Platz langsam zu eng dafür. So war es bloß eine Frage der Zeit, bis die erste Hand ihn erwischen könnte. Irgendwann ließ Ferris keuchend die Waffe sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Mist, ich kann nicht mehr. Ich habe kaum noch Energie übrig.“ Zu gerne hätte er jetzt Luan gefragt, ob er ihm einen Tipp geben konnte, was er nun tun sollte. Oft wusste der am besten, welche Schritte bei Alpträumen am sinnvollsten waren, doch auch für ihn war es diesmal ein Kampf gegen einen fremdartigen Typ, also konnte er sich diese Option sparen. Weitermachen wie bisher sollte er aber auch nicht, also musste er seine Taktik ändern. Von oben schnellten Hände herab, die ihn durch seine kurze Atempause erwischten. Sie packten so fest zu, dass Ferris gar keine Chance hatte sich loszureißen. Bald darauf hielten ihn schon von überall her Hände gefesselt, so dass er sich nicht mal mehr minimal bewegen konnte. Wirklich beunruhigt war er deswegen aber nicht, schließlich wusste er schon genau, wie er sich befreien würde. „Du hast es so gewollt, also werde ich dich eben mit Gewalt vernichten.“ Grinsend spannte er seinen Körper an und das Ticken seiner aktivierten Taschenuhr wurde lauter, als er eine Veränderung der Wetterverhältnisse heraufbeschwor. Schlagartig hatte sich ein Gewitter am Himmel zusammengebraut, das erste Donnern grollte bereits laut in seinen Ohren. Regen prasselte in Massen nieder, was er vorerst nur hören konnte, so dicht lagen die Arme beieinander und hatten ihn vollständig eingeschlossen. Das Prasseln verwandelte sich rasch in ein bedrohliches Knacken, ähnlich wie bei Knochen. An dem nachlassenden Druck, mit dem die Hände ihn festhielten, merkte Ferris, dass sein Plan funktionierte. Inzwischen war das Ticken seiner Uhr kaum noch zu überhören, wurde aber doch von dem Krach übertönt, der entstand, als sich tausende, zu Eis erstarrte Regentropfen wie Pfeile durch den gehärteten Sand bohrten. Schnell bildeten sich Risse, weiteten sich aus und ließen das Gebilde aus Armen letztendlich auseinanderfallen. Sandbrocken in allen möglichen Größen regneten herab und Ferris konnte sich ohne viel Kraftaufwand befreien. Siegessicher beobachtete er, wie der Eisregen den Alptraum förmlich nach und nach auseinander riss, während er selbst von Schaden verschont blieb, da genau über ihm keine Tropfen fielen. Bald kam auch der Körper des Gegners endlich wieder zwischen all den Armen und Händen zum Vorschein, der gnadenlos von dem kalten Niederschlag erfasst wurde. Gerade wollte Ferris selbstsicher einen Siegesschrei verkünden, doch dann geschah etwas, was ihn völlig aus der Bahn warf. Aus den Rissen im Körper des Alptraumes brachen gewaltige Flammen hervor und bauten sich vor ihm zu einem Giganten auf. Hitze wehte ihm entgegen und raubte ihm den Atem. Nein, bitte nicht, dachte er verängstigt. Alles, nur kein Feuer! Wie auf Stichwort verstummte das Ticken seiner Uhr und die Zeiger rührten sich nicht mehr. Gleichzeitig löste sich das Gewitter auf, auch der eisige Regen ließ damit nach. Mit dem nächsten Atemzug spürte Ferris auch schon, wie die Schwerkraft wieder einsetzte und ihn nach unten zog. Er stürzte wie ein Stein vom Himmel, die Augen erstarrt auf die lodernden Flammen über ihn gerichtet. Der Anblick lähmte ihn. War das Zufall? Oder wusste dieses Ding, dass ich Angst vor Feuer habe? Eine Stimme in der Nähe zog seine Aufmerksamkeit auf sich. „Ferris!“ Es war Luan, so viel konnte er auf Anhieb sagen. Direkt im Anschluss sah er im Augenwinkel kurz einen Blitz von unten aus den Baumkronen aufleuchten und es entflammte daraufhin geradezu ein grelles, hellblaues Licht, gefolgt von einer Energiekugel in einem Ausmaß, wie er es bis jetzt nur von Luan kannte: Konzentrierte Energie eines Traumbrechers in der Größe einer kolossalen, feurigen Kugel, die locker die Hälfte des Waldes in sich einschließen könnte. Ruhe wurde von dem hellblauen Licht verbreitet, in das sich hier und da weiße Flecken gemischt hatten. Zweifelsohne musste Luan diese Energiekugel mit seiner Pistole abgefeuert haben, denn sie flog zielgerichtet auf den brennenden Alptraum zu, knapp vorbei an Ferris. Der Feind eilte bereits hinter Ferris her und wollte einfach seitlich an diesem Schuss vorbeifliegen, wurde aber gewaltsam in die Kugel hinein gesogen, als er nah genug an dieser dran war. Die bedrohlich roten Flammen verschmolzen mit dem Blau und wurden irgendwann gänzlich verschluckt, bis nichts mehr von ihnen oder dem Alptraum zu sehen war. Noch im Flug löste sich die Energiekugel auf, nichts blieb übrig. Weder von dieser mächtigen Ansammlung aus Energie, noch von dem Feind. Als Ferris dann schon die ersten Äste samt Blätter um die Ohren peitschten, nahm er das als Anlass, zu seiner Taschenuhr zu greifen und die Zeiger wieder wandern zu lassen, damit er nicht auf dem Boden aufschlug. Knapp einen Meter vor dem Zusammenprall blieb er in der Luft hängen, was ihn erleichtert aufatmen ließ. Hastig schwebte er in eine aufrechte Position und stellte die Uhr sofort aus, kaum dass er sicheren Halt unter den Füßen hatte. Bevor Ferris etwas sagen oder tun konnte, hörte er schon ein lautes Rascheln aus den Baumkronen über ihn. Luan stürzte aus dem Grün hervor und kam mit dem Rücken auf dem Boden auf. Dort blieb er reglos liegen, doch Ferris rannte längst zu ihm hinüber, wo er neben ihm in die Knie ging und mit den Händen behutsam seinen Oberkörper anhob, damit Luan besser Luft bekam. Dieser keuchte nämlich schwer. Ferris sparte sich die Frage, ob bei ihm alles in Ordnung war. Natürlich war es das nicht, immerhin hatte Luan mit diesem einen Schuss gerade ziemlich viel Energie verloren und bestimmt würde es nicht lange dauern, bis er das Bewusstsein verlor, zumindest nach früheren Erfahrungen. Kraftlos lag Luan in seinen Armen, dennoch schaffte er es, ihn vorwurfsvoll anzuschauen. „Wie viel hast du verbraucht?“, wollte er von ihm wissen und konnte nur noch sehr leise sprechen, da er zu erschöpft war. Nach einem kurzen Blick auf seine Uhr, konnte er ihm die gewünschte Antwort geben. „Vierzehn Minuten.“ „Ich wusste es.“ „Reg dich nicht auf“, versuchte Ferris ihn zu beruhigen und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. „Vierzehn Minuten sind doch so gut wie nix.“ Luan sah das anders, sein Blick verfinsterte sich. In Echtzeit hatte der Kampf vielleicht fünf Minuten gedauert. „Von wegen. Das summiert sich, du Idiot.“ „Oh, du bist wirklich sauer, was?“ „Und wie“, bestätigte Luan und konnte sich kaum noch dagegen wehren, dass ihm die Augen zufielen. „Dafür bekommst du noch was zu hören.“ „Ja, ich weiß.“ Länger hielt ihr Gespräch nicht an. Geschwächt schloss Luan die Augen und war sofort weg, was Ferris die Gelegenheit dazu gab, sich selbst erst mal zu sammeln. Eine solche Auseinandersetzung zu erleben, während sie auf dem Weg zu einer Mission waren, hatte wohl keiner von beiden erwartet. Zu allem Überfluss auch noch mit einem Alptraum, den sie nicht richtig in eine bekannte Gattung einordnen konnten. „Irgendwie haben wir immer so ein Pech, wenn wir zusammen unterwegs sind“, stellte Ferris für sich fest. „Ich verstehe nur nicht, wieso meine Schüsse nicht gewirkt haben.“ Ob es an der Größe gelegen hatte? An der Menge der konzentrierten Energie? So viel, wie er in kleineren Schüben in den Feind gefeuert hatte, musste er die Menge, die Luan in einen Schuss gelegt hatte, eigentlich auch erreicht haben. Brauchte es etwa wirklich nochmal die doppelte Energie, um diesen Alptraum in die Knie zu zwingen? Das wäre sehr bedenklich, so was war noch nie vorgekommen. Vielmehr beschäftigte ihn aber die Frage, wieso am Schluss Feuer aus dem Körper des Gegners gekommen war. Ausgerechnet seine größte Schwäche. Die Antwort würde er vorerst aber sicher nicht finden, auch er musste sich erholen. Deshalb schloss er den Sprungdeckel seiner Uhr, wodurch sich die Waffe, die er noch fest in der Hand gehalten hatte, in einem grellen Lichtblitz auflöste. Danach wollte er Luan hochheben, um ihn an eine gemütlichere Stelle zu tragen, aber in der Nähe ertönten auf einmal Geräusche, gefolgt von einer Frauenstimme. „Bist du Ferris?“ Erschrocken blickte er auf und staunte nicht schlecht, als er eine Frau vor ihnen stehen sah. Jene Frau, die Luan von dem Nachtmahr befreit hatte. Richtig, sie gab es ja auch noch, doch was machte sie hier? Hatte Luan sie etwa bis hierher mitgenommen oder war sie ihm gefolgt? Für gewöhnlich hätte er an der Stelle einen verführerischen Anmachspruch gebracht, einfach aus Prinzip, aber selbst ihm war dieser Umstand jetzt zu unpassend dafür. „Hi“, grüßte er sie stattdessen knapp und klang aufgrund seiner Erschöpfung durch den Kampf vorhin unsicherer, als er war. „Richtig, der bin ich. Und du bist?“ „Mara“, gab sie ebenso knapp von sich. „Aha.“ Er räusperte sich. „Du bist doch die Lady, die auf der Straße lag. Anscheinend geht es dir gut, das freut mich.“ „Willst du es mir nicht erklären?“, warf sie ernst ein. „Was?“ „Na, das, was hier gerade passiert ist.“ „Kommt darauf an“, meinte er und klang dabei unbeabsichtigt geheimnisvoll. „Wie lange bist du denn schon hier und was genau hast du gesehen?“ Genervt verdrehte sie die Augen, da ihr offensichtlich klar wurde, dass Ferris so leicht nichts darüber erzählen wollte, was hier genau vorgefallen war. Vielleicht sollte er ein wenig seinen unwiderstehlichen Charme spielen lassen und ihre Aufmerksamkeit auf was ganz anderes lenken, aber er war nicht nur zu erschöpft, den Umstand empfand er nach wie vor unpassend. „Egal, ich weiß sowieso, wer ihr seid“, meinte sie plötzlich. Jetzt wurde Ferris doch unsicher. „Ach ja?“ „Ja. Ihr seid Traumbrecher.“ Geschockt weiteten sich seine Augen und sein Mund öffnete sich, ohne dass etwas rauskam. Erst eine Weile später gewann er seine Stimme zurück. „Ach du heilige Scheiße.“ „Und das Ding vorhin, gegen das ihr gekämpft habt, war doch ganz sicher ein Alptraum.“ Sie machte eine kurze Pause, ehe sie besorgt weitersprach. „Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?“ Ihre Augen richteten sich zwar nicht auf Luan, sondern ziellos in die Dunkelheit des Waldes, aber er konnte sich denken, dass sie ihn meinte. Erst dieser Alptraum, von dem sie in jeder Hinsicht überrumpelt wurden und dann auch noch diese Frau, die mal eben so preisgab, dass sie genau wusste, wer und was sie waren. Irgendwie musste Ferris diese Situation jetzt trotzdem elegant bewältigen, dafür ließ er Luan wieder vollständig in das Gras des Waldbodens sinken und stand auf. „Er ist nicht in Lebensgefahr“, antwortete Ferris, überlegte nochmal und korrigierte seine Aussage lieber etwas. „Schätze ich.“ „Schätzt du?!“, wiederholte sie fassungslos. „Äh, also, wir sollten uns erst mal beruhigen und nochmal von vorne anfangen“, schlug Ferris vor. Dank seiner Taschenuhr um den Hals konnte er problemlos sehen, dass sie in eine Decke eingewickelt war, die ihm ziemlich vertraut vorkam. Als er sie dann tatsächlich als seine eigene wiedererkannte, wusste er nicht, ob er angetan oder beschämt sein sollte, also rutschte ihm der folgende Satz von ganz alleine heraus: „Ich hoffe, dass du nicht von mir wissen willst, wofür ich diese Decke normalerweise benutze.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)