Das Teehaus am Ende der Straße von Seelenfinsternis ================================================================================ Epilog: Endlichkeit und Ewigkeit -------------------------------- Sesshoumaru saß alleine auf dem Sofa und hielt den Kopf in seine Hände gestützt. Er war allein in dem kleinen Haus auf dem Gelände des Higurashi-Schreins und er würde es von nun an für immer sein. Vor drei Tagen war seine Gefährtin gestorben. So wenig er es auch wahrhaben wollte, aber Kagome war tot. Fast siebzig Jahre lang hatten sie Seite an Seite gelebt, nie einen Tag ohne den anderen verbracht. Die Jahre flogen nur so dahin, es war eine glückliche Zeit. Doch die Endlichkeit war unbarmherzig und gnadenlos und verschonte die Miko nicht. Zu bald schon waren die ersten Zeichen sichtbar, eine erste graue Strähne zog sich durch ihr langes, schwarzes Haar. Feine Falten umrahmten ihre Augen, ihr Körper wurde gebrechlicher. Schließlich ergriff eine schwere Krankheit Besitz von ihr, die bereits eine alte Frau geworden war und vor drei Tagen hatte sie schließlich den Kampf gegen den unsichtbaren Feind verloren. Sie lag in seinen Armen, als sie ihren letzten Atemzug tat und das Feuer ihrer Augen für immer erlosch. Sie ging dorthin, wohin er ihr nicht folgen konnte. So blieb er zurück und saß allein auf dem Sofa, den Kopf voll mit finsteren Gedanken. Es stand vom Tag ihres ersten Wiedersehens an fest, dass es so kommen würde, doch er hatte es verdrängt, wollte es vergessen und sich nicht der grausamen Wirklichkeit stellen. Kagome war sterblich, ihre Lebensspanne umfasste nicht einmal einen Bruchteil seines unsterblichen Daseins. Es stand fest, dass sie ihn eines Tages verlassen musste und doch haderte er nun mit ihrem gemeinsamen Schicksal. Warum war alles, was gut und schön war, nur so vergänglich? Die letzten Wochen hatten den Daiyoukai kompromisslos mit all dem konfrontiert, er musste mit ansehen, wie der Körper seiner Liebsten immer weiter der Krankheit erlag. Schon lange davor hatte er begonnen zu verwelken, wie eine Blume, die abgeschnitten in einer Vase stand und jeden Tag etwas von ihrer Schönheit einbüßte. Doch es hatte Sesshoumaru nicht interessiert. Es war ihm gleich gewesen, ob sie ein Mädchen oder eine alte Frau war, es hatte seiner Liebe zu ihr nie Abbruch getan. Er hatte sein Herz nicht an ihre Hülle verloren, sondern an das helle, warme Licht ihrer Seele. Vor drei Tagen war es erloschen. Auch in ihrem letzten Augenblick waren ihre Gedanken bei ihm, sah sie direkt in sein Herz und verstand, was ihn bewegte. „Vergiss nicht, du wirst niemals mehr allein sein. Ich werde immer bei dir sein, Liebster.“ Aber er saß jetzt allein auf dem viel zu groß wirkendem Sofa in dem viel zu großen, leeren Raum. Das Haus wirkte an diesem Tag heute noch leerer und verlassener, da all seine übrigen Bewohner nicht da waren. Heute wurde seine Gefährtin beerdigt. Viele Menschen und Youkai hatten ihr Kommen angekündigt, denn die warmherzige Miko hinterließ in vielen Leben eine klaffende Lücke und wurde schmerzlich vermisst. Sesshoumaru aber wollte allein sein, suchte die heilsame Stille der Einsamkeit, um dort ungestört um seine Liebste trauern zu können. Er spürte, wie die Kälte am Grunde seines Herzens wieder wuchs, wie alles in ihm langsam wieder zu Eis erstarrte, jetzt da die Wärme Kagomes es nicht mehr zurückdrängte. Er hasste diese Zeremonien, niemanden ging sein Schmerz etwas an und er hatte es gewiss nicht nötig seine Trauer vor anderen unter Beweis zu stellen. Hier in der Abgeschiedenheit gestattete er sich den Schmerz zu spüren. Es war nicht nur die Traurigkeit, die ihn erfüllte, nein auch Wut mischte sich darunter. Er hasste seine unsterbliche Existenz, er hasste es dazu verdammt zu sein, immer wieder allein zurückgelassen zu werden. Alles in seinem Leben war endlich, von beschränkter Dauer, nur er selbst nicht und seine Einsamkeit; beides war für die Ewigkeit bestimmt. Er würde nie einer Krankheit erliegen, sein Körper würde nicht irgendwann seinen Dienst versagen aufgrund von Alter und Gebrechlichkeit. Ihm wurde ein natürlicher Tod nicht gewährt. Nur durch seine oder die Hand seiner Gegner konnte sein Leben beendet werden. Doch selbst alle seine Feinde waren seit vielen Jahren tot. Sie war ihm lästig, die Ewigkeit seiner Existenz, heute mehr denn je. Was hatte ein Relikt der Vergangenheit noch in dieser Welt verloren? Die dunklen Gedanken drohten ihn zu übermannen und so griff er hektisch nach der Schachtel Zigaretten vor ihm auf dem kleinen Tisch. Das Klicken des Feuerzeugs durchschnitt die Stille und der Rauch verdrängte schnell die Enge in seiner Brust. Er konnte seinen Vater nur zu gut verstehen nach all der Zeit, warum er sehenden Auges in den Tod gegangen war. Er musste nicht um seine sterbliche Liebe trauern und dabei zusehen, wie nach und nach all seine Weggefährten ihn verließen. „Was soll die Qualmerei im Haus?“, riss ihn plötzlich eine helle Stimme aus seinem Hadern mit der Welt. In der Tür stand eine junge Frau und sah ihn empört an. Sie war komplett in schwarz gekleidet, ihr dunkles Haar fiel lang über ihren Rücken und verschmolz mit der Schwärze des Stoffs. Das Klackern ihrer Absätze hallte durch den Raum und störte das empfindliche Gehör Sesshoumarus. Ihre goldenen Augen waren von vielen Tränen gerötet, funkelten ihn aber trotzdem erbost an. „Du weißt, dass Mama es gehasst hat und es dir im Haus verboten hat.“ Er brummte etwas Unverständliches in Richtung seiner Tochter und führte trotzig die Zigarette wieder an die Lippen. Die junge Frau war ihre Tochter Inuko. So jung war sie gar nicht, es war noch nicht lange her, dass sie ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatten. Sein unsterbliches Blut verlängerte auch ihr Leben, im Gegensatz zu den vielen anderen Hanyou war ihre Lebensspanne viel länger als die eines Menschen und deshalb wirkte sie wie eine Anfang Zwanzigjährige. Sie war das Ebenbild ihrer Mutter, hatte auch ihr Temperament geerbt und ihm war als stände nun die jüngere Ausgabe seiner Gefährtin vor ihm. Doch ihre Augen verrieten sie, die schmalen, raubtierhaften Schlitze auf goldenem Grund zeichneten sie als sein Kind aus, genau wie die blaue Mondsichel auf ihrer Stirn, die aber jetzt durch einen Talisman verborgen wurde. Der Tag ihrer Geburt war einer der Glücklichsten in seinem Leben und er war stets ein stolzer Vater, der seine Tochter über alles liebte, auch wenn das nur ein kundiger Beobachter erahnen konnte. Nur jetzt gerade in diesem Moment etwas weniger, da sie Salz in die Wunden seines Herzens streute. „Wenn du unbedingt rauchen musst, dann geh vor die Tür oder ins Teehaus“, sagte sie mahnend und setzte sich neben ihren Vater auf die Couch. „Hn, was macht das noch für einen Unterschied? Sie ist tot“, antwortete er ruppig. Mitfühlend sah die Hanyou ihn an. Sie kannte ihren Vater und dessen verschlossene Art gut und so verstand sie sofort, was hinter seinen Worten steckte. Vorsichtig fragte sie nach: „Du vermisst sie sehr, nicht wahr?“ „Die Frage kannst du dir schenken“, knurrte er zur Antwort und fischte die nächste Zigarette aus der Packung, während er mit der anderen Hand die Vorherige im Aschenbecher ausdrückte. Inuko seufzte schwer. Es war sinnlos mit Sesshoumaru zu sprechen, wenn er so gelaunt war. Er hatte sich tief in seinem Weltschmerz verbarrikadiert und ließ nun niemanden mehr an sich heran. Egal, was sie auch sagen würde um ihn zu trösten, er würde es diskreditieren und eine zynische und gemeine Antwort geben. Aber so war ihr Vater nun einmal, sie kannte ihn nicht anders und wusste, dass seine Grantigkeit eigentlich nicht ihr galt. Müde stand sie wieder auf, die vergangenen Tage waren auch an ihr nicht spurlos vorbei gegangen. Trost würde sie heute nicht bei ihrem Vater finden, es würde das Beste sein ihn wieder allein zu lassen. Trotzdem umarmte sie ihn vorsichtig und flüsterte zum Abschied: „Denk dran Vater, sie hat dir versprochen, dich nicht allein zu lassen. Mama wird immer da sein, unsichtbar um dich herum und über dich wachen.“ Dann stand sie auf und ging die Treppe hinauf. Im nächsten Augenblick war er wieder allein in dem viel zu leeren Wohnzimmer. Unruhe erfüllte ihn plötzlich, er hielt es nicht aus weiter still zu sitzen. Rastlos lief er rauchend durch den Raum, irgendetwas in seinem Inneren wühlte ihn gerade auf. Die Luft war auf einmal viel zu stickig, der Raum viel zu beengt und er fühlte sich eingesperrt. Sesshoumaru trat an die große Glastür, die zum Garten führte und öffnete sie. Von draußen wirbelte eine warme Brise auf ihn zu, die sanfte Luft umhüllte ihn. Die Wärme, sie vertrieb die Kälte aus seinem Herzen; sie kam ihm so unendlich vertraut vor! Erschrocken riss er die Augen auf und sah sich um, doch da war niemand. Er stand immer noch allein im Wohnzimmer des Häuschens auf dem Gelände des Higurashi-Schreins. Woher kam dann dieses Gefühl? „Liebster“, hallte von weit weg ein Flüstern an sein Ohr. Kaum versuchte er sich darauf zu konzentrieren, war die Stimme auch schon wieder weg. Er hörte nur das Rauschen des Winds, das Rascheln einiger weniger verstreuter Blätter. Verlor er gerade den Verstand? Raubte die Trauer ihm nun jeden klaren Gedanken und begann er zu phantasieren? Verzweifelt schlug er die Hände vor das Gesicht, der kurze Moment des vertrauten Gefühls hatte die Wunden auf seiner Seele erneut aufgerissen und der Gedanke an ihre Stimme zerriss ihm gerade das Herz. Doch wieder frischte der Wind auf, wirbelte um ihn herum und schloss ihn in eine luftige Umarmung. „Du bist nicht allein.“ Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen. Dann war es eben so, dann verlor er eben seinen Verstand. Die warme Brise umwehte ihn weiter unablässig und vertrieb Stück um Stück die dunklen Wolken aus seinem Geist. Er fühlte wieder von fern ihre Berührung auf seiner Haut, wie ein Echo hörte er wieder ihre Stimme. Er hielt noch immer eine brennende Zigarette in seiner Hand und nachdenklich betrachtete er die Glut. Neuer Elan erfüllte ihn, schnell ging er ins Zimmer wieder hinein und packte den Aschenbecher, der immer noch auf dem Couchtisch stand. Dann ging er hinaus in den Garten und stellte die gläserne Schale auf den Boden. „Entschuldige Liebste“, sagte Sesshoumaru und drückte die Zigarette aus. 終わり - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)