wahrscheinlich eher unwahrscheinlich
26 – wahrscheinlich eher unwahrscheinlich
Kagome stellte den Kragen auf und kuschelte sich fest in ihren Mantel, um dem eisigen Herbstwind zu trotzen. Lange schon hatte der Sommer für dieses Jahr seine Schicht beendet und das Feld seinem ungemütlichen Kollegen Herbst überlassen. Monate waren vergangen, seit der Daiyoukai ihre Gefühle auf den Kopf gestellt hatte und die graue Tristesse fügte sich passend in ihr graues, ödes Leben ein. Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage den ersten Sturm angekündigt mit Regen, Hagel und allem, was dazu gehörte. Die ersten Ausläufer ließen jetzt bereits die vielen bunten Blätter über die Straße tanzen. Der November tauchte die Welt in ein bedrückendes Zwielicht, alles wirkte dumpfer und matter als in den anderen Monaten. Mit dem morgendlichen Nebel zog auch eine melancholische Stimmung auf und verdrängte die sommerliche Unbeschwertheit aus den Herzen der Menschen.
Eine weitere kalte Böe umfing ihre Beine, die unter ihrem Rock hervorschauten und nur von einer dünnen Strumpfhose bedeckt waren. In dieser Jahreszeit die Schuluniform tragen zu müssen, zu der nun mal auch der Rock gehörte, war kein Vergnügen. Sie war sowieso immer etwas verfroren. Wenigstens hatte sie diesen Tag in der Schule nun hinter sich gebracht. Der Abend dämmerte bereits, auch wenn es kaum fünf Uhr am Nachmittag war. Jetzt, wo die Tage wieder so kurz waren, hatte Kagome oft das Gefühl, dass sie den gesamten Tag nur in der Klasse hockte. Im Dunkeln aus dem Haus, im Dunklen wieder zurück, sie schien den gesamten Tag zu verpassen. Wobei es eigentlich nicht wirklich etwas zu verpassen gab, was machte sie sich eigentlich vor…
Die Routine ihres Lebens lastete wieder schwer auf ihren zierlichen Schultern. Wieder war jeder Tag ein Ebenbild seines Vorgängers, einer so monoton wie der andere. Wenn sie aus der Schule nachhause kam, setzte sie sich an ihre Hausaufgaben und las dann noch etwas zur Entspannung. Ab und an ging sie mit ihren Freundinnen aus, aber auch diese Unternehmungen konnten sie nicht von ihrer Schwermut befreien. Nicht nur einmal hatte sie sich gefragt, während sie von den drei glücklichen jungen Frauen umgeben war, ob mit ihr noch alles in Ordnung war. Sie empfand einfach keine Freude, egal wie sehr sich ihre Mädels auch bemühten sie auf andere Gedanken zu bringen. Kein Kinofilm, keine Shoppingtour und kein Streifzug durch das Nachtleben hatte bisher etwas daran ändern können.
In diesen Bahnen verlief ihr Leben, seit der Brunnen sich für immer geschlossen hatte. Innerlich hatte sie diese Welt bereits verlassen und mit ihr abgeschlossen, alles in ihr sehnte sich wieder nach der bunten und wilden Zeit der Youkai, die sie so sehr zu schätzen gelernt hatte. In der Moderne gab es einfach nichts, das dieses Verlangen zu stillen vermochte. Das glaubte sie zumindest, bis sie den letzten Überlebenden aus jenen glücklichen Tagen wiedergefunden hatte. Für eine kurze Zeit schloss sich diese Lücke in ihr, um kurze Zeit später umso heftiger wieder aufgerissen zu werden. Das mit Sesshoumaru… was war das eigentlich gewesen? Eine Affäre, ein Abenteuer, wie sollte sie es nennen? In jedem Fall lag es Monate in der Vergangenheit und hatte eine tiefe Narbe in ihrem Inneren zurück gelassen. Wieso dachte sie eigentlich immer an diese eine Nacht, wenn sie sich so traurig und allein fühlte? Eigentlich wollte sie ihn doch vergessen. Der letzte übriggebliebene Moment der Freude in ihrem Leben war das wöchentliche Treffen mit Hanako. Sie hatte es einfach nicht übers Herz bringen können der Hanyou ihren Herzenswunsch abzuschlagen und brachte ihr deshalb nun jeden Freitag Lesen und Schreiben in einem Café bei. Dafür hatten sie eine strenge Abmachung getroffen, dass niemals auch nur ein Sterbenswörtchen über den Daiyoukai verloren werden durfte. Trotz der oft aufkeimenden wehmütigen Erinnerungen war es schön von Hanako immer auf dem neusten Stand gehalten zu werden, was Neuigkeiten und Klatsch aus der Schattenwelt der Youkai betraf. Sie hatte das fröhliche Mädchen fest in ihr Herz geschlossen und sie stellte den letzten Farbtupfer in Kagomes eintönigem Leben dar.
Heute, nach diesem anstrengenden Tag, hatte sich Kagome definitiv eine Belohnung verdient. Sie hatte vor wenigen Minuten endlich die gefürchtete Matheklausur hinter sich gebracht, die ihr schon wochenlag den Schlaf geraubt hatte. Wahrscheinlichkeitsrechnung, wer brauchte denn so etwas? Die Wahrscheinlichkeiten in ihrem Leben konnte sie an einer Hand abzählen. Wenn sie weiter hier im Kalten stand und es nicht vor dem Regen bis nachhause schaffen würde, dann fing sie sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Erkältung ein. Dazu musste sie keine großen Berechnungen anstellen, das sagte einem schließlich der gesunde Menschenverstand.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals in ihrem Leben einen Mann finden würde, mit dem sie auch glücklich werden konnte, war hingegen verschwindend gering. Es machte die ganze Sache nicht weniger trostlos, wenn sie sich ausrechnen würde, wie viele Nullen genau hinter Komma standen. Die Sache mit Sesshoumaru wieder gerade zu biegen und einen Neuanfang zu starten sprengte dagegen das Fassungsvermögen ihres Verstandes für winzig kleine Zahlen. Eher würde sie zeitgleich in der Lotterie gewinnen und von einem Blitz erschlagen werden, so absurd unwahrscheinlich war dieser Fall.
Das waren immerhin praktische Anwendungen für die seltsame Kunst der Stochastik. Was dagegen musste sie lernen? Kagome durfte ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war aus einer Urne mit sechs Kugeln die Schwarze zu ziehen. Sehr lebensnah, spottete sie in Gedanken. Bei ihrem Glück zog sie sowieso die Niete, aber als Antwort in einem Mathetest eignete sich diese tiefere Erkenntnis über das Sein leider nicht.
Aber sie hatte das Thema nun endlich hinter sich gebracht und Kagome war guter Dinge sich nie mehr in ihrem Leben damit befassen zu müssen. Nach anstrengenden Tests gab es nur eine Sache, nach der sich ihr ausgemergelter Verstand sehnte: Schokolade! Sie war zu erschöpft um noch den Umweg über den Supermarkt zu machen, deshalb lief sie schnurstracks zu dem kleinen Einkaufskiosk, der wenige hundert Meter neben der Schule seinen Sitz hatte. Es musste nicht immer die Großfamilienpackung Süßigkeiten sein, ein bis zwei Schokoriegel würden auch ihre Gelüste befriedigen, witzelte sie innerlich voller Vorfreude.
Kaum war sie durch die Tür geschlüpft, wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Vor der Theke standen noch mindestens zehn andere Menschen und füllten den kleinen Verkaufsraum beinahe komplett aus. Die Schlange wand sich zwischen Regalen mit Zeitschriften, Büchsenessen, Knabbereien, Alkohol und noch vielem mehr durch. In diesen kleinen Lädchen, die meist bis spät in die Nacht geöffnet hatten, bekam man im Notfall fast alles, um nicht verhungern zu müssen bis die Supermärkte wieder geöffnet haben würden. Schon oft war es ihrer Mutter passiert, dass sie eine entscheidende Kleinigkeit für das sonntägliche Essen vergessen hatte und einer der vielen kleinen Kioske, die in einem engmaschigen Netz über die Stadt verteilt waren, rettete dann der Familie Higurashi das Abendessen. Dieses Wasserhäuschen stellte die Grundversorgung der benachbarten Schule mit allem, was gestresste und unterzuckerte Schüler so brauchten, sicher. In der Mittagspause fielen die Schüler ein, die keine Lust auf das gesunde Essen hatten, das ihre Mütter ihnen eingepackt hatten. Daher war der Kiosk sehr breit sortiert, was Süßigkeiten betraf und der alte Mann, der ihn betrieb, war immer auch eine Art Kummerkasten und Seelsorger für verzweifelte Schüler.
Das Warten gab Kagomes Heißhunger Gelegenheit sich zu überlegen, womit genau er gestillt werden wollte. Einfach nur zartschmelzende Milchschokolade oder doch verfeinert mit süßem, klebrigen Karamell? Samtiger Nougat, der die Schokolade im Mund noch eine Spur cremiger werden ließ? Dunkle Schokolade, deren herbes Aroma die Geschmacksknospen ihrer Zunge zum tanzen brachte, vielleicht gespickt mit knackigen Nüssen? Frische Pfefferminzcreme, zuckriges Marzipan oder exotische Kokosflocken? Es war zum Verrücktwerden, wie sollte sich bei der Auswahl ein Mensch entscheiden können? Ihr im Keller liegender Zuckerspiegel kannte die Antwort und schrie gierig: „Alles! Nimm einfach alles und iss es sofort!“ Aber so verlockend es war, leider hatte sie dazu nicht genug Geld bei sich.
Doch plötzlich riss sie eine schmierige Stimme aus ihren schokoladeumhüllten Phantasien: „Hey, Kagome! Na, ganz allein hier?“ Kagomes Gesicht gefror sofort, jede Vorfreude war verschwunden. Toshi, es war dieser widerliche Weiberheld, der nun hinter ihr in der Schlange stand und wohl beschlossen hatte wieder einmal einen Versuch zu starten auch ihrem Rock hinterher zu jagen. „Hast du heute noch was vor?“, hauchte er unvermittelt in ihr Ohr und stellte sich ungefragt dicht hinter sie. Die Wolke seines aufdringlichen Parfums nebelte sie vollständig ein, reizte ihre empfindliche Nase und hinterließ ein flaues Gefühl im Magen. Sicher war es eigentlich ein angenehmer Duft, überlegte Kagome, doch weniger war meistens eben mehr und Toshi schien immer darin zu baden. Es war auch schon im Klassenzimmer kaum auszuhalten.
Kagome tippelte einige kleine Schritte vor, bis ihr der nächste Wartende den Raum versperrte. Sie wollte einfach nur Distanz zwischen sich und diesen Casanova bringen, doch das ging in dem beengten Lädchen nicht. Toshi rückte ebenfalls in der Schlange nach und war ihr nun wieder deutlich zu nah. „Na wie sieht’s aus, Kleine?“, flötete er weiter in ihr Ohr und benutzte dabei jenen Singsang, den er sich wohl aus schlechten Filmen abschaut hatte. „Danke, verzichte!“, zischte Kagome gereizt. „Ach komm schon. Wir machen uns einen schönen Nachmittag, ich führ dich aus, dann suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen…“ „Nein, ganz sicher nicht!“, erwiderte Kagome nun schon etwas lauter. Langsam aber sicher wurde ihr mulmig zumute. Der Kerl machte sich immer weiter an sie heran, ignorierte ihren Widerspruch und die anderen Leute um sie herum versuchten alles zu ignorieren. Und für einen gezielten Tritt in die Weichteile war es gerade zu eng, stellte sie niedergeschlagen fest. „Stell dich doch nicht so an. Ich weiß, dass du es auch willst, sei nicht so schüchtern“, gurrte es weiter in ihr Ohr, was ihren Magen sich fast umdrehen ließ. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie plötzlich eine fremde Hand auf ihrer Hüfte spürte, die sich verdächtig in Richtung ihres Pos bewegte. „Lass das!“, stieß sie ängstlich aus, aber Toshi antwortete nur mit einem hämischen Lachen.
Doch so plötzlich die Hand da war, so plötzlich war sie auch wieder weg. Das lüsterne Säuseln war weg von ihrem Ohr und von etwas weiter hinten hörte sie ein schmerzerfülltes Winseln. „Nein heißt nein“, hörte sie eine tiefe Stimme ruhig klarstellen. Sie drehte sich schnell um und wollte ihren Augen nicht trauen. Da stand Sesshoumaru in seiner üblichen gelangweilten Attitüde und hielt Toshis Hand fest in seiner. Sein kalter Blick lag verächtlich auf dem Jüngling und er wartete wohl gerade auf eine Reaktion, um zu entscheiden, wie er weiter mit ihm verfahren würde. „Du Arschloch, lass mich los, sonst passiert was!“, schrie Toshi wütend und versuchte seine Hand aus dem stahlharten Griff zu befreien. Da das nicht gelang, wollte er gerade mit der freien Hand zu einem Schwinger ausholen, doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Er schrie laut auf vor Schmerz, als ein hässliches Krachen und Knirschen seiner anderen Hand zu hören war. Das Geräusch von brechenden Knochen sandte Kagome eine Gänsehaut über den ganzen Körper.
Die Schlange vor ihnen hatte sich in der Zwischenzeit aufgelöst und sie standen nun mehr oder weniger direkt vor dem Verkaufstresen. Den alten Besitzer schien der kleine Tumult in seinem Laden überhaupt nicht zu stören, denn er fragte völlig unbeeindruckt: „Was darf’s sein?“ Sesshoumaru nutzte Kagomes Überraschung und überging die vor ihm Stehende. „Zwei Mal das Übliche.“ Dabei hielt er die zertrümmerte Hand des Casanovas noch immer lässig fest. Mit seiner freien Hand nahm er zwei Schachteln Zigaretten entgegen und zog einen Geldschein aus der Brusttasche seines Hemdes. Sesshoumaru warf nochmals einen verächtlichen Blick auf den geschlagenen jungen Mann, von dem nun keinerlei Gegenwehr mehr zu erwarten war. Er schleuderte die Hand samt Besitzer angewidert von sich und verließ den Kiosk wieder ohne ein weiteres Wort zu sagen.
„Warte!“, rief Kagome und stürzte aus dem Laden dem Daiyoukai hinterher. So wie es aussah, sollte sie dringend darüber nachdenken Lotto zu spielen und sich bei Gewitter unter dem Bett zu verstecken. Schweigend schlenderte Sesshoumaru die Straße entlang, es schien ihm egal zu sein, ob Kagome ihm folgte oder nicht. Jedenfalls unternahm er nichts um es zu verhindern. Schnell hatte sie ihn eingeholt und griff nach seinem Unterarm. „Warte, bitte!“ Aufreizend langsam drehte er sich zu ihr herum und sah sie mit unergründlichem Blick an. Seine abweisende Maske funktionierte wieder, niemand konnte auch nur erahnen, was in ihm vorging. „Was willst du noch?“, fragte er schließlich, nachdem sie schon eine kleine Weile so auf der Straße standen; Kagome hielt immer noch seinen linken Arm, er hatte den Oberkörper zu ihr herum gedreht.
„Ich möchte mich bei dir bedanken, dass du mir den Kerl vom Leib gehalten hast. Das hättest du nicht tun müssen“, sagte Kagome zaghaft und schaute vorsichtig durch die ihr ins Gesicht hängenden Fransen ihres Ponys. Sie suchte in seinem Gesicht nach irgendeinem Hinweis, nach irgendeiner Reaktion, doch seine Züge waren wie so oft in Stein gemeißelt. Würde er jetzt wütend werden, weil sie ihm nachgelaufen war? „Keine Ursache“, murmelte Sesshoumaru einen Augenblick später monoton und befreite das eben gekaufte Päckchen Zigaretten von seiner Umhüllung. Sekundenbruchteile später klemmte bereits wieder eine Brennende zwischen seinen Lippen. Für ihn schien die Sache nun geklärt zu sein, denn er wollte bereits wieder weiter gehen, doch Kagome ließ seinen Arm nicht los. „Noch nicht…“, flüsterte sie.
Sesshoumarus Gesicht bekam einen leicht ärgerlichen Zug, der aber auch als gequält interpretiert werden konnte, als er knurrte: „Was noch?“ Kurz drohte der Mut Kagome zu verlassen, seine abweisende Haltung machte ihr Angst. Sie hatte beinahe vergessen, wie gut er Menschen auf Distanz halten konnte und dass die schroffe Fassade nur dem Schutz eines einsamen, vernarbten Herzens diente. So oft hatte sie sich überlegt, was sein würde, wenn sie sich wiederträfen. Jetzt war dieser Moment gekommen und ihr Kopf war wie leergefegt. All die klugen Sätze, all die Vorsätze waren im Nichts verschwunden. Kagome schluckte, kämpfte verzweifelt gegen die Angst und wirren Gefühle in ihr an. Es war, als wären die vergangenen Monate nie gewesen. In ihrem Gefühl stand sie wieder in jener Nacht vor dem Teehaus, nachdem sie die Panther besiegt hatten. Nichts, aber auch gar nichts hatte sie seitdem verarbeitet oder für sich geklärt. Sie hatte nur verdrängt, versucht zu vergessen, welchen Platz der Daiyoukai in ihr sich mit der Zeit erschlichen hatte.
„Wie geht es dir jetzt?“, begann sie schließlich leise und schüchtern zu Sesshoumarus Rücken zu sprechen. „Dein Leben muss sich ziemlich verändert haben.“ Sie konnte und wollte ihn einfach noch nicht ziehen lassen. „Es ist wie immer. Die Unruhe hat sich schnell wieder gelegt“, antwortete er überraschend entspannt und zog weiter an seiner Zigarette. „Das freut mich zu hören“, sagte sie mit einem entspannten Lächeln. Die sich nun schon wieder ausbreitende Stille war beinahe unerträglich für Kagome, sie wollte dieses Gespräch nicht abreißen lassen, sie musste einfach wieder etwas sagen. Wieder frischte der Wind auf und kroch gnadenlos durch jede Ritze in ihre Jacke.
„Ist dir nicht kalt?“, stellte sie eine weitere Frage; etwas Besseres fiel ihr gerade nicht ein und Sesshoumaru stand wie immer nur mit einem schwarzen Hemd bekleidet vor ihr trotz des Herbsts. „Ihr Menschen friert, ich nicht“, entgegnete er leicht empört, aber die Kälte wich langsam etwas aus seiner Stimme. „Stimmt, du hast ja nicht so triviale Probleme wie wir niederen Menschen“, kicherte sie. „Schön, dass selbst du das jetzt verstehst.“ Inzwischen hatte er sich auch vollständig zu ihr herumgedreht und sah sie abschätzig von oben herab an. Ganz spurlos schien dieses unerwartete Wiedersehen aber nicht an ihm vorbeizugehen, denn das Gold in seinen Augen war nicht ganz so unterkühlt wie für gewöhnlich und Kagome war davon überzeugt, ein nervöses Flackern darin sehen zu können. Wieder breitete sich Schweigen aus, während sie sich mitten auf einer belebten Straße gegenüber standen und beide unschlüssig waren, was sie tun oder sagen sollten.
Plötzlich und heftig überkam Kagome die Erkenntnis, dass sie ihn vermisste. Seine ruhige Art, seinen trockenen Sarkasmus, mit dem er die Dinge betrachtete, die Faszination, die von seinem dämonischen Wesen aus ging… Die Liste in ihren Kopf wurde immer länger und auch die Erinnerung an die unbändige Leidenschaft des Daiyoukai kehrte wieder in ihr Bewusstsein zurück. Auch erinnerte sie sich wieder an das Gefühl der Geborgenheit, das sie immer hatte, wenn sie mit ihm im Teehaus saß und über das Früher redete. Ihr Herz begann aufgeregt zu schlagen, was sollte sie denn nun mit diesen neuen Gedanken anfangen? Alles in ihr geriet ins Wanken, sie hatte doch beschlossen ihn vergessen zu wollen! Hektisch überlegte sie, was sie nun tun oder sagen konnte… sollte… musste…
Sesshoumaru hatte seine Zigarette zu Ende geraucht und warf den Stummel achtlos zu Boden. Er sah sie noch einmal eindringlich an, aber schien nicht das in ihrem Gesicht zu finden, nach dem er gesucht hatte. „Na dann“, sagte er und drehte sich wieder herum, um die Straße hinab in Richtung des Teehauses zu laufen. Kagome war überrumpelt und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, die Zeit schien nun für einen Moment stehen zu bleiben. Die Blätter hörten auf im Wind herumzuwirbeln und schwebten in der Luft, die Passanten um sie herum wurden zur starren Kulisse. Zahllose Überlegungen ratterten wie durch einen einarmigen Banditen durch Kagomes Kopf. Schließlich setzten die Worte, die wie von allein ihren Mund verließen, den Fluss der Zeit wieder in Bewegung:
„Darf ich dich wiedersehen?“