Das Teehaus am Ende der Straße von Seelenfinsternis ================================================================================ Kapitel 9: Sesshoumaru im Weltenbrand ------------------------------------- In freudiger Erwartung brach Kagome die Holzstäbchen in zwei und tauchte sie tief in die Suppenschale. Sie und Sesshoumaru saßen an einem kleinen Tisch abseits von den anderen Gästen in einem kleinen Restaurant. Geschickt fischte sie einige Udonnudeln aus der Brühe und zog sie schlürfend in ihren Mund. Der Daiyoukai hingegen rührte bedächtig in seiner Schüssel und aß langsam. „Es ist lange her, dass ich das letzte Mal so etwas gegessen habe“, sinnierte er nachdenklich. „Unmöglich! Das ist doch so lecker“, antwortete Kagome mit vollem Mund. Traurig verzogen sich seine Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln. „Ja… Aber es hängen zu viele Erinnerungen daran. Es ist das passende Gericht für den heutigen Tag.“ Er nahm mit den Stäbchen ein großes Stück frittierten Tofu. Irritiert sah ihn Kagome an. „Wie meinst du das?“ „Kazuko hat es oft für uns gekocht. Sie hat diese Nudeln geliebt.“ Sie hatte wirklich ein Talent dafür ungewollt taktlos zu sein, dachte Kagome zerknirscht. „Erzähl, was geschah als du dich mit ihr in einem Dorf niedergelassen hattest?“, forderte ihn die junge Frau auf mit seiner Geschichte fortzufahren. Sein Blick kehrte sich wieder nach innen und mit ruhiger Stimme berichtete er: „Wir lebten in einem kleinen Dorf in der Provinz Choshu. Nichts besonderes, einfach eine Ansammlung von Hütten in mitten von Reisfeldern.“ „Waren die Menschen dort nicht beunruhigt, dass ein Youkai unter ihnen lebte?“ Bitter schüttelte er den Kopf. „Nein, sie wussten nichts von meinem wahren Ich.“ Er nahm den Anhänger, der um seinen Hals hing, in die Hand und spielte mit seinen Fingern daran. „Zu dieser Zeit hatte ich diesen Talisman entwickelt. Die Menschen hatten uns Dämonen vergessen, kannten uns nur noch aus alten Sagen und Mythen. Die Ehrfurcht war einer irrationalen Angst und grimmigem Zorn gewichen. Es gab einige wenige Priester, die noch umherzogen und Dämonen jagten. Es war völlig anders als zu der Zeit, die du kanntest. Die Menschheit machte sich Stück um Stück die Erde Untertan, was ihnen im Weg stand oder sie bedrohte, wurde erbarmungslos ausgerottet.“ „Aber sie hätten dir doch nie etwas anhaben können““, wandte Kagome ein. „Warum hast du dich dann vor ihnen versteckt?“ Nachdenklich starrte er in seine nun leere Schale. Er schwieg einen Moment, die Erinnerung schien ihn zu überwältigen. Langsam und leise begann er schließlich wieder zu sprechen: „Ich habe es für sie getan. Sie wünschte sich ein ruhiges und harmonisches Leben. Ich versteckte also mein wahres Ich und wurde ein einfacher Soldat im Dienste des Herrschers dieses Gebiets.“ Kagome starrte an die Decke und versuchte sich es vorzustellen, aber es misslang ihr. Sie kannte ihn immer als einen stolzen und machtbewusst agierenden Anführer und seine Beschreibung passte überhaupt nicht zu dem Bild, dass sie auch jetzt noch von ihm hatte. Er beobachtete ihre angestrengten Überlegungen und sah sie mit gespieltem Vorwurf an. „Versuch es erst gar nicht dir vorzustellen. Ich habe es gehasst. Der Fürst war ein Tölpel, hatte keine Ahnung davon wie ein Heer zu führen war. Alles was ihn interessierte, war seine Macht und sein Reichtum.“ Kagome war durch seine Erklärung nun noch verwirrter als zuvor. Seit wann tat er Dinge, die ihm so sehr zuwider waren? Aber die Antwort war offensichtlich: „Sie hat dir wirklich viel bedeutet, oder?“ Sie vermied bewusst die Frage, ob er sie sehr geliebt hatte, da sie wusste, wie er darüber dachte. „Was sind ein paar Jahre in einem unsterblichen Leben im Dienste eines Idioten verglichen mit einem ganzen Leben voll Kummer?“, stellte er die Gegenfrage. „Es war besser als allein dem eigenen Verfall zuzusehen.“ „Also das kleinere Übel“, dachte Kagome laut und hielt den Kopf bedrückt gesenkt. Was musste er bloß in den Jahren davor für ein trostloses Leben geführt haben, dass er das als angenehmer empfand, überlegte sie nun still für sich weiter. Hatte ihn die Einsamkeit tatsächlich so sehr gequält, dass sein Wunsch nach Bindung größer geworden war als sein sonst so unnachgiebiger Stolz? Er würde ihr diese Frage nie beantworten, da war sie sich sicher. Deshalb versuchte sie das dünne Eis möglichst schnell hinter sich zu lassen. „Deine Tochter, erzähl mir von ihr. Wie war sie?“ Gequält legte er den Kopf in den Nacken und hatte die Augen geschlossen. Er schien lange die Erinnerung und Gefühle unterdrückt zu haben, diese Wunde auf seiner Seele schien kaum verheilt zu sein. Schwer atmete er, als würde ihm der Kummer körperlichen Schmerz bereiten. Plötzlich ließ er kraftlos den Kopf wieder nach vorne fallen und flüsterte rau: „Sachiko war das Ebenbild ihrer Mutter. Sie war lebhaft und fröhlich und sie wäre sicher eine sehr starke Hanyou geworden.“ „War sie das nicht schon?“, fragte Kagome vorsichtig nach. „Sie war zu jung. Zu jung um sich ihrer Kraft bewusst zu sein, geschweige denn, dass ich sie ausbilden konnte. Ihre gelegentlichen Ausbrüche, wenn ihr inneres Biest mit ihr durchging, zeigten aber welches Potential in ihr steckte.“ Sie wunderte sich, dass er sich überhaupt nicht daran störte, dass sein Kind ein Halbdämon war. Zwischen ihm und seinem Bruder war es immer ein stetes Reizthema gewesen und einer der Gründe, warum er Inuyasha nicht akzeptierte. Wahrscheinlich war es zu dieser Zeit schon etwas besonderes, wenn ein Elternteil ein vollwertiger Youkai war, dachte sie und musste an Hanako und die anderen Youkainachkommen dieser Zeit denken. Sie würde sich aber hüten ihn darauf anzusprechen. So mitgenommen wie er von seinen Erinnerungen war, konnte es möglich sein, dass er sich völlig vergessen würde. „Waren das dieselben Ausbrüche, die auch Hanako hat?“, fragte sie stattdessen. „Schlimmer“, sagte er ruhig, „Du darfst nicht vergessen, dass sie meine Kraft geerbt hatte. Beinahe hätte sie das ganze Dorf ausgelöscht bei einem Wutanfall.“ Ah, daher wusste er auch so genau, wie er einen entfesselten Hanyou beruhigen konnte. Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm. „Du warst sicher sehr stolz auf sie?“ „Welcher Vater wäre das nicht? Ich bin auch nur ein Mann“, raunte er bitter. Kagome seufzte einmal schwer auf. Sie wollte unbedingt wissen, warum die Kleine auch dem Krieg zum Opfer gefallen war, obwohl sie so stark war. Konnte sie ihn das fragen, wo er doch jetzt schon so schwer mit der Erinnerung zu schaffen hatte? Sie war in ihrem inneren Zwiespalt gefangen, doch Sesshoumaru befreite sie daraus. „Tu dir keinen Zwang an, ich seh dir an der Nasenspitze an, dass du wissen willst, was mit ihr geschehen ist.“ „Ich… Du musst nicht….“, stotterte sie ertappt, bis sie sich ein Herz nahm und zu ihrer Neugierde stand. „Konnte sie sich und ihre Mutter nicht beschützen?“ Die Bedienung unterbrach das Gespräch der beiden kurz, als sie die leeren Schalen abräumte. Da das Essen beendet war, zog Sesshoumaru den Aschenbecher in seine Reichweite und steckte sich sofort eine Zigarette an. „Sie war sechs Jahre alt, als sie starb. Viel zu jung, sie war ein unschuldiges Kind, das nie den blutigen Schrecken des Kampfes kennengelernt hatte. Der Fürst, dem ich unterstellt war, hatte sich nicht der Allianz unter dem Kaiser angeschlossen und hielt stattdessen dem Shogun die Treue. Wir waren mittendrin in den ersten Unruhen des Boshin-Krieges und schließlich wurde ich in eine Kommandoeinheit berufen. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich nicht völlig unfähig war“, sagte Sesshoumaru mit einem selbstgefälligen Grinsen. Ernst fügte er hinzu: „Wir kämpften gegen die kaiserlichen Truppen mit wechselndem Erfolg.“ Irritiert merkte Kagome an: „Wenn du gewollt hättest, dann wäre dieser Krieg doch sofort entschieden gewesen.“ Es schien seinem angekratzten Ego zu schmeicheln, denn das eitle Lächeln kehrte wieder zurück. „Hätte ich, ja. Aber warum sollte ich? Ich kämpfte, weil ich eine menschliche Existenz vorspielen musste und Geld benötigte, also war ich ein Söldner im Grunde meines Herzens. Ich habe nur gerade so viel Einsatz gezeigt, dass man mich nicht der Fahnenflucht bezichtigen konnte. Scheinbar war das immer noch mehr als die meisten anderen zustande brachten.“ „Du brauchtest Geld?“, stieß Kagome erstaunt aus. Das überraschte sie jetzt wirklich. Er war doch Herr des Westens gewesen, da konnte er doch nicht mittellos sein? „Ich war zu der Zeit ein Wanderer. Kein Land, keine Reichtümer, ich hatte nur das, was ich brauchte. Um mit einer Familie unter Menschen zu leben, reichte das leider nicht mehr. Soll ich jetzt weitererzählen oder willst du weiter dumme Fragen stellen?“ Mit leicht geröteten Wangen murmelte sie einen unverständlichen Fluch, um ihn für seine Unverschämtheit büßen zu lassen. Arroganter Mistkerl! „Wir hatten einen Überläufer in unseren Reihen, wie sich später herausstellte. Ich nehme an, er war gekauft, da er eine Schwäche für Glücksspiel besaß. Nachdem unsere Einheit einen der Generäle der Kaisertreuen getötet hatte, führte er unsere Gegner in unsere Dörfer, damit sie sich an unseren Familien rächen konnten. Wir kehrten Tage danach erst wieder zurück und standen vor den verkohlten Überresten unserer Häuser. Ich fand ihre leblosen Körper darin, sie waren furchtbar entstellt.“ Wieder schloss er die Augen und versuchte so den Schrecken der Vergangenheit aus seinen Gedanken zu verjagen. „Kein Youkai hätte so eine widerwärtige Tat begangen und sich an wehrlosen Frauen und Kindern vergangen. Aber die Menschen zeigten wieder einmal ihr niederträchtiges und ehrloses Wesen.“ Sein Gesicht war nun hart und unnachgiebig, der Kiefer fest angespannt. Kalter Hass loderte in seinen Augen, so wie vor fünfhundert Jahren so oft. Kagome erinnerte sich an die Verachtung, mit der er damals die Menschen behandelte. Umso furchtbarer musste es für ihn sein, dass seine Frau und Tochter ausgerechnet von diesen verhassten Menschen so grausam ermordet wurden. Es war schon ein Wunder gewesen, dass er Kazuko zu Liebe - und wohl auch aus Mangel an Alternativen – unter ihnen gelebt hatte. Sie wollte eigentlich gar nicht mehr wissen, was danach geschah. Sie ahnte, dass er sich fürchterlich für seinen Verlust gerächt haben musste und danach wieder untergetaucht war. Deshalb stand also hinter seinem Namen in der Aufstellung, dass er im Kampf verschollen sei. Stier sah Sesshoumaru gegen die Wand. Seine Gedanken und Gefühle waren in der Vergangenheit gefangen, er wirkte nun nicht mehr resigniert. Langsam, aber immer stärker begann sein Youki zu pulsieren. Wenn sie ihn aus dieser Gedankenspirale nicht befreien konnte, würde er bald von seinem Hass übermannt werden und ihn an den Menschen ihrer Zeit ausleben! Sie wagte es nicht ihn zu berühren, sprach ihn aber trotzdem mit sanfter und verständnisvoller Stimme an, in der Hoffnung er würde sich dann beruhigen. „Du hast ihren Tod gerecht, stimmt’s?“ Monoton und ohne jedes Gefühl verließen die Worte daraufhin seine Kehle. Er unterbrach nicht den Blickkontakt mit der Wand, starrte weiter fest auf einen Punkt. „Ich habe hunderte von ihnen getötet. Wahllos abgeschlachtet. Ich wurde wieder zu dem grausamen Dämon, den die Menschheit Jahrhunderte lang gefürchtet hatte. Blut regnete an diesem Tag vom Himmel, die Erde war durchtränkt. Doch es wusch nicht meine Trauer und meinen Zorn hinfort. Mein rasendes Biest fand in dem Töten Befriedigung, aber mein rastloses Inneres kam nicht mehr zur Ruhe. Es gab für mich nichts mehr außer Trauer und Hass, deshalb beschloss ich dem Land den Rücken zu kehren und auf Reisen zu gehen.“ Er wirkte nun etwas ruhiger auf Kagome, doch seine Aura flackerte noch immer bedrohlich und ein kleiner Funke konnte eine Explosion verursachen. Es hatte scheinbar geholfen den tobenden Sturm in seinem Herzen in Worte zu kleiden und hinaus in die Welt zu schleudern. Es war zwar barbarisch, aber sie verstand ihn. Es war nun einmal seine Art mit solchen Dingen fertig zu werden, er war trotz allem immer noch ein Daiyoukai. „Hast du den Verräter gestellt?“, fragte sie kalt. Sie hatte kein Mitleid mit diesem Mann. Ihr Mitgefühl galt eher den vielen Unschuldigen, die Sesshoumarus Jähzorn zum Opfer gefallen waren. Er nickte mit grimmiger Freude. „Ich riss ihm seine verräterische Kehle aus dem Hals und sah ihm dabei zu, wie er an seinem eigenen Blut erstickte.“ Bei der Vorstellung wurde Kagome schlecht. Es war blutig, grausam und einfach bestialisch einem Menschen kalt und ungerührt beim Sterben zuzusehen. Aber selbst das schien ihn nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Sie bekam das Bild nicht mehr aus dem Kopf, ein eiskalter Schauer durchfuhr ihren Körper. Sie musste sich von davon ablenken, sonst würde sie wahnsinnig! Deshalb fragte sie ihn: „Wohin hat dich deine Reise geführt?“ „Preußen“, antwortete er lakonisch und nahm einen tiefen Zug Rauch. „Was, du warst in Europa?“, rief Kagome laut vor Überraschung, was ihr einige missmutige Blicke der andern Gäste zuzog. „Warum nicht?“, entgegnete er unbeeindruckt von ihrer Reaktion. „Naja, es ist ein ziemlich weiter Weg und eine völlig andere Welt, besonders damals“, erklärte Kagome sich. Das war wirklich das Letzte, das sie erwartet hatte. „Eben drum“, brummte er in sich gekehrt. „Mir war schon in den Jahren davor aufgefallen bei der Landung der schwarzen Schiffe, dass das westliche Militär moderner und besser ausgerüstet war. Deshalb beschloss ich eine Bildungsreise in den fernen Westen zu unternehmen. Preußen war damals ein sehr militaristischer Staat, stand an der Spitze des Fortschritts und hatte eine der modernsten Armeen der damaligen Zeit. Ich war beeindruckt, was die Menschheit geschaffen hatte um ihren Mangel an Stärke zu überwinden und welch raffinierte Wege sie gefunden hatten einander auszulöschen. Die Kriegskunst hier war dagegen völlig rückständig.“ Fasziniert hörte sie ihm zu, aber eine Sache störte sie. „Du musst dort doch aufgefallen sein wie ein bunter Hund? Und Youkai kannte man dort doch sicher nicht?“ „Es gab ungefähr ein Dutzend überlebende Dämonen auf dem europäischen Kontinent, aber sie hatten wenig gemein mit den Youkai von hier. Natürlich habe ich mich getarnt. Kurz nach der Krönung des Kaisers trat ich in die Armee ein, um sie besser studieren zu können. Ich schnitt meine Haare ab und in der Uniform fiel ich kaum auf.“ Sesshoumaru und kurze Haare? Das war unvorstellbar, dachte Kagome geschockt. Sein Haar war wundervoll, sie beneidete ihn sogar darum; lang, silbrig glänzend und seidig. Aber sie durfte sich von solchen Oberflächlichkeiten nicht ablenken lassen, denn Sesshoumaru erzählte bereits weiter. „Ich wurde in die Artellerie abkommandiert und diente dort zehn Jahre als Gefreiter. Ich lernte den Umgang mit Gewehren, Kanonen und schweren Haubitzen, fügte mich in die straffe Organisation ein und lernte viel über das menschliche Wesen. Tücke, List und gezieltes Streuen von Falschinformationen waren ein probates Mittel der Politik. Der Gegner wurde erpresst, Verbündete durch Geld gefügig gemacht und heimliche Allianzen geschmiedet. Ich war ehrlich beeindruckt.“ Kagome versuchte sich vorzustellen, wie er wohl damals ausgesehen haben musste. Kurze, weiße Haare, die unter einer Pickelhaube verborgen waren und die typische tiefblaue Uniform tauchten vor ihrem inneren Auge auf, aber es ergab einfach kein stimmiges Gesamtbild. Ein entscheidendes Detail fiel ihr aber auf. „Du musstest ja dann Deutsch sprechen!“, forschte sie weiter nach. Genervt rollte er mit den Augen. „Damals nur leidlich und inzwischen habe ich alles vergessen. Ich könnte dir aber noch die Kaiserhymne vorsingen, wenn du unbedingt darauf bestehst“, stellte Sesshoumaru klar. Aber Kagomes Einwand war noch nicht ausreichend entkräftet. „Ist das nicht aufgefallen?“ „Natürlich“, kommentierte Sesshoumaru ihre naiven Einwürfe, „Es interessierte niemanden, solange ich meinen Dienst ordentlich machte. Wir waren fast nur Ausländer in dieser Einheit und als Kanonenfutter vorgesehen ohne die Möglichkeit befördert zu werden. Niemand scherte sich um uns. Wenn wir im Kampf verheizt wurden, würde sich niemand daran stören. Es zählten ja nur Tote des eigenen Volks, niemand weinte einem fremden Söldner eine Träne nach.“ „Was hast du nach deiner Zeit in der Armee getan?“, erkundigte Kagome sich weiter. Seine Geschichte war einfach fesselnd, all die Dinge, die sie sonst im Geschichtsunterricht langweilten, wurden mit einem Male lebendig und gewannen an Farbe. Die Bedienung hatte ihnen inzwischen zwei Gläser Wasser gebracht und Sesshoumaru nahm einen großen Schluck des kühlen Nass. Das viele Sprechen hatte seine Kehle ausgetrocknet. „Ich erkannte die Vorzeichen, dass die Menschen dort auf einen Krieg hinarbeiteten und quittierte deshalb den Dienst. Ich hatte keine Lust wieder für eine Sache in den Kampf zu ziehen, die mir gleichgültig war und es gab nichts, was mich dort hielt. Ich streifte also durch die Länder, beobachtete und versuchte so viel Neues wie möglich zu lernen. Irgendwann war es dann soweit, die Kanonen begannen zu feuern und plötzlich fand ich mich mitten in einem Krieg von gigantischem Ausmaß.“ Kagomes Augen wurden groß als sie ehrfurchtsvoll wisperte: „Das war der erste Weltkrieg.“ „Ja“, nickte er und spielte mit dem Feuerzeug in seiner Hand. Immer wieder ließ er den Deckel mit einem metallischen Klicken aufspringen und drückte ihn sofort wieder zu. „Ich wanderte durch die Gegend, zog von einem Schlachtfeld vom nächsten und beobachtete, wie sich die Menschen gegenseitig abschlachteten. Es war ein gigantisches Massensterben, das Leben eines Menschen war nichts mehr wert, einer mehr oder weniger wurde nicht vermisst. Jeder versuchte nur, dass der Gegner höhere Verluste erlitt als man selbst und es war egal, ob es tausende waren, die dabei umkamen. Jedes Mittel war recht und die Menschheit war auf dem besten Weg sich auszurotten. Ich habe es gesehen, ich habe die Abnutzungsschlacht von Verdun gesehen. Hunderttausende Tote, gestorben für einen halben Meter Landgewinn.“ „Wie furchtbar!“, stieß Kagome betroffen aus. Sie hatte Fotos gesehen, Fotos von Leichenbergen, Fotos des Elends in den Schützengräben. Doch Sesshoumaru lächelte kalt und antwortete mit unverhohlener Freude: „Es war herrlich! Überall Hass, Gewalt und Tod. Das stete Gemetzel vertreib die Verbitterung aus mir, ich fühlte mich nach langer Zeit wieder lebendig und endlich kam meine rastlose Seele zur Ruhe. Es war eine reinigende Katharsis dem Niedergang der menschlichen Rasse beizuwohnen.“ Schockiert sah Kagome ihn an. „Das ist nicht dein Ernst! Du kannst dich doch nicht am Tod von Millionen von Menschen erfreuen, um deine Trauer und Rachegelüste hinter dir zu lassen!“ „Warum hätte es mich berühren sollen? Mir haben die Menschen nie etwas bedeutet, sie waren erst nur ein lästiges Ärgernis und wurden immer mehr zu einer Bedrohung. Welchen Grund sollte ich haben Mitleid zu empfinden?“, fuhr er sie mit kalter Wut an. Sein Blick war wieder erbarmungslos und hart, es war ihm wirklich ernst. Kagome wusste schon davor, dass er die Menschen verachtete und sie eigentlich nur Ungeziefer in seinen Augen waren. Aber es so deutlich zu hören war doch etwas anderes. Und dass ihn selbst die Erosion aller Humanität unbeeindruckt ließ, ihn sogar erfreute, machte ihr Angst. Sie war erschüttert, das war zu viel für sie. Wieder einmal hatte er ihr gezeigt, was für eine naive Sicht sie auf ihn und die Welt hatte. Auch ihre Bestürzung war ihm egal, genau wie ihm der Tod von so vielen Menschen gleichgültig war. Er setzte seinen Bericht einfach fort: „Meine Euphorie wähnte nur leider nicht lang. Ich hatte ebenfalls gesehen, zu was die Menschen nun fähig waren, welche Waffen sie erschaffen hatten. Im mehr wuchs in mir die Erkenntnis, dass die Zeit der Youkai endgültig vorbei war. Wir waren stehengeblieben, hatten uns nicht weiterentwickelt und hoffnungslos unterlegen, weil wir zu stolz auf unsere Kräfte und stehengeblieben waren.“ Sein Eingeständnis riss sie wieder aus ihrer Betroffenheit heraus. Kagome saß wieder gerade am Tisch und sah ihn fragend an. Aber sie fand nicht die Antwort in seinem Gesicht. „Du wärst in einem Kampf Menschen unterlegen? Das glaube ich nicht! Du tötest einen Menschen mit nur einem Finger, wie sollten wir dir gefährlich werden?“ „Drei Tonnen Sprengstoff gehen auch an mir nicht spurlos vorbei“, sagte er resigniert. „Ich kann sicher viele von ihnen töten, aber unter Strich kann ich nicht gewinnen.“ Nun saß er wieder so vor ihr, wie zu Beginn ihrer Unterhaltung; Resigniert, verbittert und ein Schatten seines früheren Selbst. Langsam bekam sie eine Ahnung davon, wie sehr ihn die Erlebnisse geprägt hatten. Er hatte ohnmächtig den Niedergang der eigenen Art mit ansehen müssen, wich der aufstrebenden Menschheit, wurde verraten und alle, die ihm etwas bedeutet hatten, waren tot. Es gab nichts mehr im Leben, auf das er vertrauen konnte, es gab keine Hoffnung mehr für ihn, dass sich noch irgendetwas zum Guten wenden könnte. Und auch unter Seinesgleichen war er ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, das nicht mehr in diese Welt passte. Sie konnte es einfach nicht übers Herz bringen ihn zu verurteilen. Sie fühlte mit ihm, fühlte seinen Schmerz und hatte das dringende Bedürfnis ihn wieder etwas aufzurichten. Es war einfach furchtbar, wenn sie den stolzen Daiyoukai aus ihrer Erinnerung mit dem Mann ihr gegenüber am Tisch verglich. Aber trotzdem wollte sie seine Geschichte zu Ende hören und bat ihn deshalb zu erzählen, was in den Jahren bis zur Eröffnung des Teehauses geschah. „Ich wanderte ziellos durch die Wildnis, in der Hoffnung noch einige wenige überlebende Youkai zu finden. Aber realistisch betrachtet wollte ich einfach die Welt hinter mir lassen, ich wollte vergessen. Vergessen wer ich war, woher ich kam, was geschehen war. Ich hatte jedes Gefühl für Zeit verloren, Jahreszeiten zogen an mir vorbei und langsam führte mich mein Weg wieder gen Osten. Im Osten gab es noch Flecken, die der Mensch nicht unterworfen hatte. Aber selbst dort, tief in der Einsamkeit der russischen Wälder, erreichte mich die Nachricht von der Auslöschung Hiroshimas durch die Atombombe.“ Langsam schloss sich die Beweiskette in Kagomes Kopf und sie schlussfolgerte: „Das hat dich wieder heimkehren lassen. Deshalb bist du wieder nach Japan zurückgekehrt.“ Seine Stimme brach und wurde kratzig. Er versuchte es durch einen weiteren Schluck Wasser zu beheben, doch es half nicht. Er flüsterte beinahe: „Hiroshima gehörte einst zum Westen. Es lag am äußersten westlichen Rand meines Reichs und wir unterhielten eine große Festung in der Nähe. Es war meine verdammte Pflicht als Daiyoukai zurückzureisen und zu versuchen die letzten Youkai vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Und kurze Zeit später landete ich durch Zufall hier und entdeckte das verlassene Teehaus.“ Der große Sesshoumaru wurde von Heimweh und einem schlechten Gewissen heimgetrieben, nachdem er dem Flächenbrand der Welt der Menschen beigewohnt hatte, überspitzte Kagome seine Erklärung für sich. Aber es war rührend zu sehen, dass er sich trotz all dieser furchtbaren und niederschmetternden Erlebnisse noch immer um die wenigen und versprengten Youkai kümmerte und sich für sein ehemaliges Lehen verantwortlich fühlte. Ganz tief in ihm war noch sein altes Ich versteckt, er hatte sich nur im Strudel der Zeit verloren. Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit ihn wieder etwas mehr zu sich zu führen. Sie würde es sich wünschen für ihn, denn trotz seiner schroffen und verletzenden Art mochte sie ihn. Da er seine kalte Fassade etwas gelockert hatte, konnte sie einen flüchtigen Blick dahinter werfen und sie fühlte, dass sie durchaus Gemeinsamkeiten hatten. „Danke, dass du mir deine Geschichte erzählt hast“, sagte Kagome mit sanfter, freundlicher Stimme. Er klammerte sich wieder an eine fast abgebrannte Zigarette und starrte die Wand an. „Ich hatte ja keine Wahl, so aufdringlich wie du bist“, grummelte er mit halbherzigem Sarkasmus. Sie ließ ihn allein und bezahlte ihrer beider Rechnung bei der Bedienung am Tresen, ehe sie die kleine Nudelbar und Sesshoumaru verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)