Das Teehaus am Ende der Straße von Seelenfinsternis ================================================================================ Kapitel 5: die Youkai von heute ------------------------------- Gefräßige Stille breitete sich zwischen den beiden aus, während sie über den von Kagome mitgebrachten Kuchen herfielen. Als sie fertig waren, konnte Kagome ihr Amüsement nicht mehr zügeln und begann zu kichern: „Ich hätte nie geglaubt, dass der grausame und kaltherzige Sesshoumaru eine Schwäche für Kuchen hat.“ „Mach dich ruhig lustig“, murrte der Grund der plötzlichen Heiterkeit und schob mit einem Löffel die letzten Krümel auf dem Teller zusammen. „Youkai kannten früher keinen Kuchen, es ist der einzige Grund, warum ich die Menschheit nicht vernichtet habe.“ Kagome bekam sich kaum wieder ein vor Lachen. „Es ist beruhigend zu wissen, dass selbst du eine Schwäche hast. Und wenn es nur Marmorkuchen ist.“ Ein schiefes Grinsen zog sich über sein Gesicht als er antwortete: „Irrtum, das ist nicht mein Lieblingskuchen. Und besser eine so köstliche Achillessehne als eine so gefährliche wie mein dämlicher Halbbruder, der regelmäßig seine Kraft verlor.“ Erstaunt sah sie ihn an. „Du wusstest davon? Er hatte immer versucht es vor dir zu verbergen.“ „Ihr dachtet wirklich, dass ich ein ausgemachter Idiot bin, oder?“ Er griff nach der großen Kanne und schenkte nach. „Seine komplette Aura hat sich jedes Mal geändert, natürlich habe ich es gespürt. Außerdem haben alle Hanyou eine Nacht, in der sie ein einfacher Mensch werden. Er war schließlich nicht der einzige Halbdämon, den ich kannte.“ Nachdenklich starrte sie Löcher in die Luft. Er hatte recht, sie hatten damals wirklich geglaubt es vor Sesshoumaru verstecken zu können. „Warum hast du dir das dann nie zu Nutze gemacht? Ich meine, du hättest bei Neumond ihn mit einem Fingerschnippen töten und Tessaiga an dich nehmen können!“ „Hätte ich, ja. Aber das wäre feige und ehrlos gewesen, so etwas tue ich nicht.“ Irgendwie fühlte sich Kagome unwohl über Inuyasha zu sprechen. Es tat weh an die gemeinsame Zeit denken zu müssen, deshalb versuchte sie das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. „Haben Hanako und die anderen von heute auch solche Nächte? Dass sie komplett menschlich werden, meine ich.“ „Natürlich. Je nachdem wie viel dämonisches Blut sie in sich tragen, dauert es eine Nacht oder mehrere Tage.“ „Verstehe. Was machen sie in dieser Zeit?“ Kagome interessierte es brennend und so ließ sie nicht locker. Außerdem sprach er eher über andere Youkai als über sich selbst. „Einige trauen sich unter Menschen, weil sie ein menschliches Aussehen bekommen und versuchen in dieser Zeit ihre Angelegenheiten zu regeln, bei denen sie Kontakt aufnehmen müssen. Andere sehen dann noch schrecklicher aus und verstecken sich.“ „Was ist mit Hanako?“ „Sie merkt es selten, da es nur eine Nacht anhält. Sie meint, sie schlafe dann schlecht und habe Alpträume.“ „Sie ist ein außergewöhnliches Mädchen, ihr Youki ist sehr stark. Wer waren ihre Eltern? Wie alt ist sie?“ Schwer seufzend leerte Sesshoumaru seinen Aschenbecher um Platz für die gerade angezündete Zigarette zu schaffen. „Du platzt, wenn du mir nicht im Abstand von zwei Minuten eine nervige Frage stellst, oder?“ Kagome antwortete mit einem zuckersüßen Lächeln: „Genau so ist es.“ „Na dann, besser deine Fragerei, als dass ich die Sauerei wegwischen muss.“ Er lehnte sich entspannt auf den Tresen auf seine Unterarme und begann zu erzählen. „Hanako ist vierzehn. Sie stammt aus einer Familie von vielen Hanyou. Ein bisschen Fuchs, ein bisschen Tiger; Alle möglichen Stämme, man kann sie nicht zuordnen. Irgendwann muss es in dieser Familie einen oder mehrere starke Youkai im Stammbaum gegeben haben und diese Kraft hat bis heute überdauert in ihren Nachkommen. Hanako scheint zufällig eine Menge dieser Dämonenkraft auf einmal vererbt bekommen zu haben, deswegen hat sie diese Probleme.“ „Ich dachte jeder Mischling hätte die?“, hakte Kagome überrascht ein. „Nein, für gewöhnlich nur Abkömmlinge von sehr starken Dämonen oder von Daiyoukai. Das dämonische Erbe ist dann viel zu stark und lässt sich nicht kontrollieren. Inuyasha war der extremste Fall, der mir bekannt ist.“ „Stimmt, euer Vater war ja auch ein Daiyoukai. Das kam wohl nicht so oft vor.“ „Inuyasha war der einzige Hanyou, dessen Vater einer der vier Herrscher war. So etwas gab es vorher nicht und auch bis heute nicht wieder. Wenn Vater ihm nicht Tessaiga hinterlassen hätte, wäre er früher oder später eine unkontrollierbare Bestie geworden.“ Musste er wieder über seinen Bruder sprechen, dachte Kagome traurig. „Ich war dabei, als es passierte. Er hatte mich nicht mehr erkannt, es war furchtbar.“ Sie versuchte den Kloß in ihrem Hals mit einem Schluck Tee herunter zu zwingen. Sie würde sich jetzt nicht die Blöße geben und vor Sesshoumaru weinen! „Wie hast du es vorhin geschafft Hanako wieder zurückzuholen? Ich hab nur gesehen, dass du ihre Hände hieltst und dein Youki anschwoll.“ Nachdenklich blies er den Rauch in die Luft. „Wie soll ich das erklären? Sagen wir mal so, ich habe ein ernstes Wort mit ihrem inneren Dämon geredet.“ Unbeabsichtigt musste Kagome kichern: „Und der hört einfach so auf dich?“ „Nein, deswegen musste diese kleine Kraftdemonstration sein. Ich wäre enttäuscht, wenn Hanakos Biest sich etwas von jedem dahergelaufenen Dämon sagen ließe!“ „Du magst die Kleine, hab ich recht?“, fragte sie ihn plötzlich ernst. Er runzelte misstrauisch die Stirn. „Tu nicht so. Du kümmerst dich um sie, machst dir Sorgen… Es ist fast wie früher bei Rin.“ Plötzlich war da wieder die kalte Fassade und sein Blick gefror. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass Rin damit nichts zu tun hat. Ich verhindere, dass Hanako zu einer wilden Killerin wird, mehr nicht.“ Sein Blick war unmissverständlich und Kagome wagte es nicht auch nur ein weiteres Wort zu sprechen. Die angespannte Situation wurde plötzlich von lautem Motorengeheul durchschnitten. Vor der Tür krisch ein Motor scharf auf, lautes Lachen und Gejohle folgte. Sesshoumarus Kopf zuckte zur Tür. „Die haben jetzt noch gefehlt“, knurrte er ärgerlich. „Was ist los?“ Kagome verstand die plötzliche Aufregung nicht. Mit stechendem Blick wurde sie nochmal daran erinnert seine Tarnung zu wahren, dann flog die Tür auf und eine Gruppe von jungen Männern schlenderte in das Teehaus. Es waren sechs mutmaßliche Hanyou, beobachtete Kagome und vermutete, dass sie eine katzenartige Abstammung haben mussten. Die schrägen Augen und die spitze Gesichtsform erinnerten sie sehr an eine Katze. Die Sechs setzen sich an einen der Tische. „Ey Sess, altes Haus, was gibt’s Neues? Wer ist die Kleine?“ Der Sprecher zog sich einen weiteren Stuhl heran und legte seine Füße darauf. „Sie hat dich nicht zu interessieren. Was wollt ihr?“, grollte Sesshoumaru gefährlich leise zurück. Ein anderer gluckste laut aus dem Hintergrund: „Hey sag bloß der alte Eigenbrötler hat sich ‘n Mädel angelacht!“ Was war das denn, dachte Kagome entsetzt? Wie sprachen sie mit ihm, wussten sie denn nicht, wie gefährlich es war ihn zu provozieren? Sie versuchte möglichst unbeteiligt zu wirken und dachte an seinen seltsamen Hinweis, dass sie ihn nicht verraten solle. Unauffällig musterte sie den lärmenden Haufen. Die Sechs mussten wohl so etwas wie eine Gang bilden, anders war ihr Auftreten nicht zu erklären. Alle trugen Lederjacken mit aufgenähtem Rückenemblem. Sie konnte die verschnörkelte Schrift nicht entziffern, aber Mittelpunkt des Logos bildete ein schwarzer Katzenkopf. Alle hatten die Haare raspelkurz abgeschoren bis auf denjenigen, der seine dreckigen Stiefel auf den Stuhl gelegt hatte. Der hatte lange, blauschwarze Haare. Er war wohl sowas wie der Anführer der Truppe. „Nochmal, was wollt ihr?“, fragte Sesshoumaru leise und ruhig. Er ließ sich von dem Getue nicht im Geringsten beeindrucken. „Krieg dich wieder ein. Hast du noch was von deinem Selbstgebrannten?“ „Ich habe dir bereits gesagt, dass es Jahrzehnte dauert ihn herzustellen. Bis dahin bleibt dir nur Geduld“, sagte Sesshoumaru gelangweilt. Er beobachtete die Rowdys aus halb geschlossenen Augen, wie sie sich auf den Stühlen flezten. „Ich will aber nicht so lange warten!“, fauchte es ihm entgegen. „Die alten Sachen sind eben kein Fast-Food, Junge. Find dich damit ab.“ Teilnahmslos blies er kleine Kringel in die Luft. „Ich scheiß auf deine Traditionen! Ich versteh sowieso nicht, warum du immer noch daran festhältst“, brüllte der Hanyou jetzt aufgebracht, sprang auf und warf sich in Pose. Anscheinend war er nur auf der Suche nach Streit in das Teehaus gekommen und diese Diskussion schienen er und Sesshoumaru nicht zum ersten Mal zu führen, überlegte Kagome still. „Deine Traditionen helfen dir nicht gegen die Menschen da draußen! Auf der Straße kümmert es niemanden, was früher war. Das ist das Einzige, was zählt!“ Mit diesen Worten zog er eine Pistole aus seinem Hosenbund. Mit lautem Geschrei bekräftigten seine Kumpel seine Worte. „Dann geh wieder auf die Straße und sieh zu, was du davon hast. Es ist mir egal“, raunte der Ältere, „Und steck dein Spielzeug wieder ein.“ „Hah, von wegen Spielzeug! Ich lass mir nichts von irgendwelchen Menschen sagen, ich bin ein wahrer Dämon! Nicht so eine bemitleidenswerte Gestalt wie du!“ „War’s das jetzt endlich? Willst du noch was anderes außer Streit?“ Kagome war überrascht, wie ruhig der Daiyoukai blieb. Vor fünfhundert Jahren hätte das Bürschchen nicht mal seine Begrüßung überlebt. Der Rowdy lümmelte sich wieder zu den anderen an den Tisch und orderte eine Flasche Sake. Seelenruhig stellte Sesshoumaru das Gewünschte und sechs kleine Trinkschalen auf ein Tablett und stellte es den rüpelhaften Gästen auf den Tisch. Angewidert drehte sich die junge Frau ab. Die selbsternannten wahren Dämonen prosteten sich laut zu und berichteten unter lautem Gelächter und Geschrei, was sie in letzter Zeit für Heldentaten vollbracht hätten; Überfälle, Prügeleien mit anderen Youkai, Frauengeschichten. Besonders das Letztgenannte ekelte sie an, einer erzählte, wie er eine betrunkene junge Menschenfrau dazu gebracht hatte mit ihm zu schlafen und er sie dabei beschimpft hatte. Nach kurzer Zeit waren sie allesamt stramm wie zehn Russen und leider zogen sie jetzt auch Kagome in ihre Unterhaltung mit hinein. „Ey Puppe, was willst du mit dem alten Sack?“, lallte es sie plötzlich von der Seite an, „Wenn du ‘n Dämon willst, der’s dir besorgt, komm lieber zu mir, da haste mehr Spaß!“ Die Fahne des Schwarzhaarigen nahm ihr fast den Atem. „Danke, verzichte!“, entgegnete sie spitz und schob den trägen Körper des besoffenen Casanovas von sich weg. „Aaaaach, stell dich nich so an, das wird geil!“ Plötzlich spürte sie, wie eine Hand sich unangenehm auf ihren Po legte. Sie kam gar nicht dazu auszuholen und dem Kerl eine saftige Ohrfeige zu verpassen, denn Sesshoumaru hatte ihn bereits am Kragen gepackt. „Ich habe gesagt, sie hat dich nicht zu interessieren. Und jetzt verschwinde!“ Der Hanyou schien überrascht zu sein vom Eingreifen des Wirts und wehrte sich nicht. Als er keine Anstalten machte sich zu rühren, schliff ihn Sesshoumaru zu den anderen an den Tisch. „Ihr zahlt euren Deckel und dann seht zu, dass ihr Land gewinnt. Verstanden?“ Immer noch war seine Stimme ruhig und beherrscht, auch sein Youki war nicht zu spüren. Trotzdem waren die Rowdys beeindruckt von seinem Auftreten. Ein kleiner Dicker legte schließlich einige Scheine auf den Tisch und stürzte zur Tür hinaus, die anderen folgten ihm. Nur ihr Anführer drehte sich um und schrie Sesshoumaru beim Gehen an: „Das merken wir uns, du Opfer! Warte nur, wenn wir uns wiedersehen, Sesshoumaru!“ Dann verschwand auch er. „Was war denn das?“, fragte Kagome entsetzt als sie endlich wieder allein waren. „Du hast es doch gehört, das sind wahre Dämonen“, antwortete Sesshoumaru lakonisch und räumte das benutzte Geschirr zusammen. „Mach dir nichts daraus, so benehmen die sich immer.“ Immer noch aufgebracht sah Kagome zur Tür. „Wie können sie es wagen so mit dir zu sprechen? Wissen sie nicht, wer du bist?“ Er trug das Tablett hinter die Theke, stellte sich ihr den Rücken zugewandt an das Spülbecken an der Wand und säuberte die tönerne Sakeflasche und die Trinkschalen. „Nein, wissen sie nicht. Sie wüssten es nicht einmal, wenn du es ihnen sagen würdest.“ „Wie meinst du das?“, fragte Kagome neugierig und hoffte jetzt auch wieder ein Puzzleteil zu erfahren, was sie dann in das Rätsel, das Sesshoumarus Leben war, einfügen könnte. „Du könntest ihnen sagen, dass ich ein Daiyoukai bin und früher über die westliche Provinz und die Inuyoukai herrschte und sie würden nur blöd aus der Wäsche gucken. Die Youkai von heute haben noch nie etwas davon gehört, dass es Daiyoukai gibt und welche Kräfte wir haben. Die Älteren kennen das nur noch aus Märchen und würden dich auslachen, wenn du ihnen sagst, dass einer vor ihnen steht. Das wäre so, als würde ich dir sagen, dass du Schneewittchen wärst. Die Hanyou von heute sind alle jung, keiner ist älter als fünfzig und sie haben alle noch nie in ihrem Leben einen vollwertigen Youkai gesehen.“ Er beendete seinen Vortrag und das Spülen und setzte sich wieder Kagome gegenüber an den Tresen. „Keiner älter als fünfzig? Das ist doch kein Alter!“, stellte sie perplex fest. „Du hast es doch gehört. Sie leben auf der Straße, suchen Ärger und die meisten von ihnen verrecken irgendwann entweder mit einer Kugel in der Brust oder einer Nadel im Arm. Sie verstehen nicht, dass sie den Menschen nichts entgegensetzten können und bekriegen sich lieber untereinander statt sich zu helfen. Die Schwächeren und Vernünftigeren versuchen sich da herauszuhalten und machen aus der Not heraus krumme Geschäfte mit den Yakuza. Auch das ist nicht wirklich lebensverlängernd.“ Resigniert stellte sie fest: „Sie haben wirklich überhaupt nichts mehr mit den Youkai von früher gemein. Diese Erhabenheit, die machtvolle Ausstrahlung… all das fehlt. Was ist deine Rolle in dieser Welt? Du sagst, du gibst ihnen einen Rückzugsort, aber den wollen sie ja scheinbar nicht.“ Müde strich er sich über die Augen. All das Elend seiner Art wieder so vor Augen zu haben, zehrte wohl an ihm. Er sah plötzlich alt aus, die jugendliche Frische fehlte seinem Gesicht mit einem Mal und sie sah die Last der Jahrhunderte, die auf ihm lag. „Ich bin einfach nur ein ewig Gestriger, der versucht ein paar der alten Traditionen und Geschichten zu erhalten und sich an das Gestern klammert. Ich bin formal der Herr der Inuyoukai, aber es gibt keine Inuyoukai mehr; ich bin der Letzte. Ich will einfach meine Ruhe haben und den wenigen, die noch nicht so verkommen sind, helfen keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Wieder schien durch die kalte Fassade der tiefe Riss, der durch ihn ging. Alles war wie immer, wenn er von der Gegenwart oder anderen erzählte. Doch sobald er nur ein Wort seiner eigenen Vergangenheit preisgab, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Kagome war fest überzeugt, dass mehr dahinter steckte als der Verlust seines Titels. Warum war er der letzte Inuyoukai? Was war in den letzten fünfhundert Jahren geschehen, dass der stolze Daiyoukai Sesshoumaru sich von einem Halbstarken ungestraft verspotten ließ? Sie musste sehr behutsam vorgehen, wenn sie mehr erfahren wollte, das war ihr nun klar. „Vielen Dank, dass du mir den Spinner vom Leib gehalten hast“, sagte sie und verabschiedete sich. Es war besser ihn allein zu lassen, wenn er so war. „Dafür nicht“, murmelte er und war nun endlich wieder allein in seinem Teehaus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)