Doors of my Mind von Karo_del_Green (Der Freund meiner Schwester) ================================================================================ Kapitel 24: Die Last einer Entscheidung --------------------------------------- Kapitel 24 Die Last einer Entscheidung Erst als ich höre, wie sich die Tür erneut öffnet und schließt, stehe ich auf. Ich sammele meine nassen Sachen zusammen, wringe sie aus und beginne zu fluchen. Laut und brüllend. Es dauert eine Weile bis ich mich wieder beruhige. Wie komme ich mit den nassen Klamotten nach Hause? Selbst meine Schuhe sind nass. Ich fluche und schleudere frustriert mein klammes Shirt gegen die Wand. Keine Antworten. Nur noch mehr Fragen. Es ist alles nur noch schlimmer geworden. Es ist zum verrückt werden. Noch immer hallt mir Raphaels ´Schatz´ im Kopf umher und bohrt sich schmerzhaft in meine Glieder. Ich hebe das Shirt erneut auf und wringe es aus. Wütend betrete ich den Umkleideraum und sehe zu Raphaels Schrank. Ein klein wenig meines Ärgers verpufft. Vor dem Spind liegt ein Stapel mit einem kleinen Handtuch, einer Stoffhose und einem Hemd. Trotzdem spüre ich, wie die negativen Gefühle in mir überhand nehmen. Keine Erregung mehr. Kein Zufriedenheitsgefühl. Kein Glück. Nur noch beißende Ernüchterung. Was ich mit ihm mache, hat er mich gefragt. Was mache ich denn? Ich weiß es nicht. Ich will doch nur Nähe, Geborgenheit und Glück. So wie alle anderen auch. Zwinge ich ihn deswegen zu Reaktionen, denen er nicht gewachsen ist? Ich fühle Hoffnungslosigkeit und spüre, wie sehr ich zweifele. Genervt und mit einen Chaos an Gefühlen mache ich mich auf den Weg nach Hause. Meine feuchten Schuhe fühlen sich bei jedem Schritt mehr als widerlich an. Sie schlürfen und schmatzen. Außerdem ist mir langsam kalt. Im Haus angekommen suche ich mir als erstes eine der Heizungen im Flur und drehe sie auf. Sie hustet. Sie gluckert und dann wird es langsam warm. Ich stelle meine Turnschuhe darauf ab und stecke meinen Kopf in die Küche. Dort finde ich meine Eltern am Tisch sitzend vor. Sie trinken Kaffee und wirken ungewöhnlich entspannt. Meine Mutter streckt ihre Hand nach der meines Vaters aus und er lacht. „Hallo, bin da.“, gebe ich kurz laut und möchte gleich nach oben gehen. Ich muss unbedingt die Klamotten loswerden. Ich kann nicht riskieren, dass Maya sie erkennt. Wenigstens sind meine Haare mittlerweile trocken. „Mark, komm bitte her“, ruft meine Mutter und mir schwant nichts Gutes. Ein gemeinsames Gespräch mit beiden Eltern. Ich habe nichts getan. Jedenfalls nichts, was mir gerade einfällt. So oder so, es ist der scheinbar ungünstigste Zeitpunkt. Meine Eltern haben es voll drauf immer den unmöglichsten Moment zutreffen. Eine Treppenstufe habe ich geschafft und mein Fuß berührte bereits die zweite. „Warum?“, frage ich vorsichtig. Abgesehen von der Tatsache, dass ich Mayas Freund verführe und mich nicht an den Hausarrest halte, fühle ich mich durch und durch unschuldig. Meine Mutter beginnt zu lachen, als sie meinen misstrauischen Tonfall hört. Als keine Antwort kommt, schmule ich erneut um die Ecke und sehe meine Eltern lächeln. Positive Gesichter sind ein gutes Zeichen. Meistens jedenfalls. „Möchtest du uns irgendwas beichten?“, fragt mein Vater belustigt und schiebt mir einen Stuhl zu. „Nein?“ Argwöhnisch und in die Länge gezogen. Dass ich es als Frage formuliere, lässt meine Mutter erneut lachen. „Ich rate dir nicht ganz so schuldig zu klingen und zu gucken“, kommentiert sie kichernd. „Okay.“ Ebenso lang gezogen. Ich setze mich auf den dargebotenen Stuhl und meine Mutter stricht mit sanft über den Arm. Sie mustert meine Kleidung, fragt aber nicht. Ich könnte ihr nicht erklären, wieso ich entgegen meiner üblichen Abneigung mitten in der Woche ein Hemd trage. Und eine Stoffhose. Ich besitze keine. Außer klassische Joggingteile und das ist keines. „So, nun mach dir keine Sorgen, wir wollen nur über die Schule mit dir sprechen“, sagt sie und lächelt. „´Keine Sorgen machen´ und ´Wir reden über Schule´ sind für mich nicht kompatibel. Muss das jetzt sein?“ „Ja, es ist wichtig.“ „Das beruhigt mich immer noch nicht“, kommentiere ich und stehe noch einmal auf um mir einen warmen Tee zu machen. „Im Grunde wollen wir uns erkundigen, was du bisher zum Thema Abschluss und Uni zusagen hast. Und ob du bereits zu einer Entscheidung tendierst, wohin und für was du dich bewerben möchtest.“ „Wir haben ja schon vor einer Weile mal darüber gesprochen und wir würden das Internetverbot lockern, so fern du es für die Recherche und die Entscheidungsfindung für die Universitäten verwendest“, führt mein Vater fort und meine Mutter nickt zustimmend. Wieder Zugang zum Internet zu haben, wäre eine erfreuliche Abwechslung. „Um das mal klarzustellen, ich würde das Internet nie für etwas anderes nutzen, als für die Wissensanreicherung und dem Ausbau meiner Zukunft“, blödele ich rum. Ich lasse den Witzbold heraushängen und weiß, dass meine Eltern damit rechnen. „Natürlich nicht“, sagt mein Vater verschwörerisch und wirft mir einen wissenden Blick zu. Ich hebe eine Braue und tue so, als würde ich nicht verstehen, was er andeutet. „Mein Browserverlauf ist durchweg pädagogischer Natur“, sage ich trocken und kann nicht verhindern, dass es ein Stück weit ironisch klingt. Auch Sextechniken muss man schließlich irgendwie lernen. „Nun gut, Mark. Sind Medienstudiengänge noch aktuell? Produktdesign, hier an der Uni?“, fragt meine Mutter, die die Blicke meines Vaters und meine wissentlich ignoriert. Ich halte kurz die Luft an und stoße sie geräuschvoll aus. „Ja, schon...“ „Aber?“ „Aber ich favorisiere im Moment eher Grafikdesign oder Mediendesign“, sage ich leise und schaue in die überraschten Gesichter meiner Eltern. Für sie ist neu, Sie wissen vor allem, dass diese Studiengänge nur an anderen Unis angeboten werden. „Ich habe drei gute Unis gefunden. Die eine ist spezialisiert auf Designstudiengänge und bietet hervorragende Möglichkeiten hinsichtlich der Vermittlung von Praktikas und anderen praktischen Erfahrungen. An der anderen beiden wird für diese beiden Fächer kein NC verlangt, das heißt ich kann mich einfach einschreiben und muss gar nicht darauf warten, angenommen zu werden und mir bleibt das Anfertigen einer Mappe erspart.“ Ich versuche ihnen eine besonders gute Erklärung zuliefern, Ich bin immerhin vorbereitet. Im Prinzip behagt mir einfach nicht auf die gleiche Universität zugehen, wie Raphael. Doch das kann ich meinen Eltern schlecht auf die Nase binden. Ich schüttele die Gedanken von mir ab und sehe, wie sich meine Eltern anblicken. Sie sind verständlicher Weise verwundert. „Nun ja, eine aussagekräftige Mappe sollte nicht dein Problem sein, oder?“, hakte meine Mutter nach. Ich schüttele nur meine Schultern. Problem nicht, aber es wäre anstrengend. „Wie kommt es dazu?“, fragt meine Mutter weiter. „Na ja, ich denke, ich sollte mich nicht nur auf eine Sache festlegen, sondern verschiedenes in Betracht ziehen.“ Ich sehe meinen Vater zustimmend nicken. „Als planst du dich trotzdem für Produktdesign hier an der Uni zu bewerben?“ „Möglich...“ „Mark,...“, entflieht ihr seufzend. „Ich weiß, dass eine andere Uni bedeutet, dass ich ausziehen muss. Ich würde mir einen Platz im Studentenwohnheim suchen oder in einer WG. Ich besorge mir einen Nebenjob, sodass ich keine große finanzielle Last bin.“ „Um die Finanzen geht es nicht, Mark!“, sagt meine Mutter forsch. Ich sehe, dass ihr der Gedanke nicht behagt, dass ich so weit weg bin. Sie schluckt ihre Gefühle herunter, als mein Vater nach ihrer Hand greift. „Noch habe ich mich, ja nicht entschieden. Zu dem, weiß ich nicht, wie meine Noten aussehen und ob ich überall eine Chance habe. Ich dachte euch wäre das Recht, dass ich mich so breit, wie möglich aufstelle“, rechtfertige ich und meine Mutter prustet. „Na, ich will doch hoffen, dass du dich jetzt in den letzten Monaten zusammenreißen wirst und die Prüfungen mit Bravour bestehst“, sagt sie energisch und ich schlucke. „Natürlich werde ich das, aber du kennst doch die Lehrer. Die machen einfach, was sie wollen.“ „Mark, nimm es, bitte ernst“, beklagt sich auch mein Vater. „Das tue ich. Wirklich!“ Mein Vater sieht mich an und dann wieder zu seiner Frau. Mir fiele es auch schwer, mir zu glauben. „Nun gut, wir werden auf jeden Fall das Internet für zwei Stunden am Abend wieder einschalten. Wir möchten, dass du es dafür nutzt dich zu entscheiden, Informationen zu sammeln und dich vorzubereiten. Verstanden?“ „Sicher.“ Natürlich habe ich das verstanden. Ich kann nicht verhindern, dass ich wie ein kleines beleidigtes Kind klinge und verschränke die Arme vor der Brust. Ich würde niemals mit dem Internet Schindluder treiben! Nur schwer verkneife ich mir das Grinsen. Meine Mutter schüttelt ihren Kopf und ein paar blonden Strähnen lösen sich aus der Haarklammer. Ich stehe auf, doch meine Mutter hält mich zurück. „Wir unterstützen deine Entscheidungen, egal ob du die Universität hier wählst, oder eine andere“, sagt sie und lächelt aufmunternd, doch ich weiß, dass es ihr schwer fällt. Sie ist schließlich meine Mutter. „Das weiß ich.“ Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und verschwinde endlich in mein Zimmer. In meiner Schreibtischschublade krame ich nach den Infobroschüren, die ich von der hiesigen Universität habe und blättere sie durch. Produktdesign. Ich habe diese Broschüre schon seit zwei Jahren. Der Studiengang war lange Zeit der einzig Wahre für mich, doch nun hadere ich mit mir. Die gleiche Universität würde bedeuten, dass die Möglichkeit besteht häufiger auf Raphael zu treffen. Im Moment weiß ich nicht, ob das so eine gute Idee ist. Das Hin und Her mit Raphael kostet viel Kraft. Ich fühle mich ermattet. Doch jedes Mal, wenn ich an diese wunderbaren, ausdruckstarken Augen denke, flattert mein Herz. Der Ausdruck, den er in seiner Wohnung und auch in der Umkleidekabine hatte, sprach von Wohlgefallen und Leidenschaft. Er will es. Vielleicht ist er nur noch nicht bereit. Vielleicht ist es noch nicht ausgeträumt. Ich lehne mich zurück. Vielleicht. Wahrscheinlich. Eventuell. Möglicherweise. Adverbien sind scheiße. Ein Hin und Her, wie in einem Teenagerdrama. So lächerlich. Am Donnerstag unternehme ich einen neuen Versuch mit Raphael zu reden. Sein neues Hobby mir aus dem Weg zu gehen, beherrscht er mittlerweile meisterlich. Ich habe das Gefühl innerlich zu zerreißen. Seine Beziehung zu Maya ist für mich nur noch sein verzweifelter Versuch seinen eigenem Gefühlschaos zu entfliehen. Ist es vielleicht doch nur die Neugier? Ich setze mich in mein Versteck auf der Tribüne und warte auf die fleißigen Läuferchen. Wie oft ich hier oben gesessen habe, um Raphael zu beobachten. Ich weiß es nicht mehr. Ich denke an die Bilder zurück und frage mich, wie oft er davon gewusst hat. Als das Training beginnt, setze mich ganz offensichtlich in eine der mittleren Reihen. Hürdenlauf steht heute auf dem Programm. Nicht mein Favorit, denn ich finde, dass die Sportler eigenartig aussehen, wenn sie mit hochgerissenen Beine über die Hürden stelzen. Trotzdem sehe ich zu. Es wird kühler und geht auf den Abend zu. Raphael dreht sich nicht ein einziges Mal zu mir um und dennoch weiß ich, dass er mich sehr wohl bemerkt hat. Als sie fertig sind, trabe ich leise nach unten. Ich denke an Raphaels Aussagen mit dem Stalker und muss mir eingestehen, dass er ein wenig Recht hat. Ich wirke wirklich so. Ich beobachte, wie Raphael die Hürden zur Seite schiebt und dann vom Boden seine Pfeife aufsammelt. Das gesamte Training über wirkte er nachdenklich. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht verstehe und die er mir erklären muss. Ich habe nicht mehr als vage Vermutungen. Die Bilder in seinem Schreibtisch, sein stilles Näherkommen und vor allem seine Reaktionen auf meine Annäherungen. Ich bin mir sicher, dass mehr passiert wäre, wenn Maya uns in der Umkleidekabine nicht überrascht hätte. Noch immer spüre ich seine Hände auf meiner Haut. Im Moment scheinen sie sich unangenehm in mich hinein zu brennen. Ich fühle sein Unwohlsein so deutlich, wie den lauen Wind auf meiner Haut. „Nicht schon wieder, Mark!“ Er kommt auf mich zu und sieht mich entgeistert an. Er schiebt mich zur Seite, doch ich greife nach seinem Handgelenk und halte ihn fest. Ich habe damit gerechnet, dass es ihn nicht freuen wird mich zu sehen, aber trotzdem verletzt es mich. „Lass mich raten, du willst reden?“ „Ja, reden.“ „So, wie beim letzten Mal?“, spottet er. „Ja, wenn du es drauf anlegst“, kontere ich spitz und spüre selbst Verdruss. Kurz beiße ich die Zähne zusammen. Eine Eskalation möchte ich vermeiden. Ich schlucke jeden weiteren Konter runter und löse meine Finger von seinem Handgelenk. Raphael bleibt stehen, obwohl ich ihn nicht mehr festhalte. Mein gegenüberstreicht sich durch die dunklen Haare und schließt kurz die Augen. „Ich habe für sowas keine Zeit“, würgt er mich schon wieder ab und will an mir vorbeigehen. Ich verstehe nicht, warum er ständig davonläuft. Was verspricht er sich davon? „Verdammt, Raphael, ich löse mich nicht einfach in Luft auf. Also sag mir, wann hast du Zeit für so was? Möglicherweise, wenn du auf einem anderen Kontinent sitzt. Dann vielleicht?“ Raphael bleibt stehen und schnaubt. „Du klingst schon wieder, wie ein verrückter Ex.“ „Und du klingst die ganze Zeit, wie ein verdammter Lügner!“, knalle ich ihn an den Kopf und ich sehe, wie er seinen Blick getroffen abwendet. „Ich bin es leid dir nach zu laufen“, sage ich ihm. „Dann lass es doch!“, bellt er laut. Seine ablehnende Haltung trifft mich hart und ich zucke verletzt zurück, aber auch Raphael hat sich über seine eigene Reaktion erschrocken. „Okay, dann lass uns bitte nur ein einziges Mal darüber reden, wie zwei erwachsene Menschen“, sage ich ruhig, aber bestimmt. „Weil du dich ja immer so erwachsen verhältst und niemals ernsthafte, persönliche Gespräche ins Lächerliche ziehst“, gibt Raphael spöttisch von sich und spielt damit auf meinen niveaulosen Ausrutscher gegenüber den Jungs in der Umkleidekabine an. Ich fühle mich deshalb schon schlecht genug. „Im ernst? Ich habe mich dafür entschuldigt“, wehre ich mich. Ein einziges Mal. Eine Verfehlung, doch er spielt diese Karte aus. Mehr als mich entschuldigen kann ich mich nicht. Mein Hals fühlt sich trocken an. Ich spüre, wie mir meine Schlagfertigkeit langsam, aber sicher davongleitet. Meine Gefühle für Raphael sind zu stark um solche Aussagen einfach abzunicken. „Falls du es noch nicht gemerkt hast, aber ich versuche auch nur mit der Situation zurecht zu kommen, Raphael.“ „Ja, eine feine Art damit zurecht zu kommen.“ Abermals ein feines Spötteln. Ich will ihn gerade einfach nur schütteln oder wahlweise und verprügeln. Allerdings hat die Technik beim letzten Mal nicht so gefruchtet, wie geplant. „Arrghn, ich habe mich bereits entschuldigt, mehrmals. Außerdem ist das, was du tust, nicht besser.“ „Wie bitte? Ich mache nichts dergleichen!“ Er sieht bei sich keine Schuld. „Nein, du bist mir gegenüber nur unehrlich und ausweichend. Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist, wir hintergehen Maya. Du, im gleichen Maß, wie ich. Darüber sollten wir endlich reden oder willst du deine glücklose Beziehung einfach weiterführen.“ „Verdammt, ja, das ist mir sehr wohl bewusst und wir können von glücksagen, dass sie nichts mitbekommen hat. Das wird auch so bleiben. Wir halten beide unseren Mund.“ Während Raphael spricht, fährt er sich durch die Haare. Ich kann deutlich sehe, wie er die Zähne zusammenbeißt. „Schweigen ist ja deine Stärke. Bist du ein wahrer Meister drin“, antworte ich ihm verärgert. „Wie ich damit umgehe ist ja wohl meine Sache.“ „Mag sein, dass das deine Sache ist, aber die Tatsache, dass du dich gierig von mir befriedigen lässt und auf meinen Gefühlen rumtrampelst, geht mich etwas an. Also, was soll das?“ Meine konkreten Formulierungen beschämen ihn. Ich sehe, wie er schluckt und die Vene an seinem Hals zu pulsieren beginnt. Außerdem legt sich eine zarte Röte um seine Nase erkennen und er weicht meinem Blick noch konsequenter aus als vorher. „Hör zu, ich möchte nur verstehen, was es bedeutet“, setze ich fort. „Nichts. Es hat nichts zu bedeuten. Es war nur eine Verirrung. Ein spontaner Fehler“, sagt er knapp. „Spontaner Fehler. Mehrmals? Wow, du scheinst also aus Fehlern wirklich nicht zu lernen. Damit hat es sich für dich geklärt? Das sind Ausreden, alles Ausreden. Ich bin vielleicht nicht der Richtige um das so zu sagen, aber normal ist das nicht.“ Ich sehe ihn zweifelnd und verletzt an. Meine Hand fährt unruhig über meinen Arm und mich erfasst eine intensive Gänsehaut. „Es hat nichts zu bedeuten, Mark. Es war einfach nur ein Fehler. Schluss. Aus. Wir müssen damit aufhören und es am besten vergessen.“ Die direkten Worte bohren sich, wie Nägel in meinen Körper. Langsam und schmerzhaft. Ich schließe die Augen. „Vergessen? Du machst es dir immer schön leicht, nicht wahr? Ich will es nicht vergessen. Ich möchte verstehen, warum du plötzlich einen anderen Mann küsst. Ich will verstehen, wieso du Bilder von mir hast, die vor der Zeit von Maya sind. Ich will die Wahrheit.“ Ich konfrontiere ihn wild mit den Fakten, die ich kenne. „Ich war in der Foto-AG der Schule. Es ist nur Zufall“, weicht er aus und ich weiß, dass es an der Haaren herbeigezogen ist. Eine weitere fadenscheinige Ausrede. Es ist nahezu lächerlich. Ich mache weiter. „Du erinnerst dich an unsere erste Begegnung, warum?“ „Es war einfach ein verrückter Moment. Das merkt man sich. Mehr nicht.“ Wieder nur heruntergespielt. Ich spüre die Verzweiflung und wie sie sich in jede kleine Zelle meines Körpers ausbreitet. „Was ist mit Jake? Das ich etwas mit ihm hatte, sollte dir eigentlich egal sein, aber das war es nicht. Da war eifersüchtig. Erkläre es mir?“ Ich höre, wie er bei der Erwähnung des anderen Mannes leise schnaubt. Ganz unwillkürlich. Doch er setzt zu keiner Ausrede an. Ich denke an den Ausdruck seiner Augen zurück, an das Gefühl, welches ich empfunden habe, als ich es mir als Eifersucht erklärte. Etwas von diesem Ausdruck spiegelt sich auch jetzt in dem tiefen Grün. „Der Gedanke. Es hat dich gestört“, flüstere ich. Raphael ballt seine Hände zu Fäusten und schüttelt energisch seinen Kopf. „Das alles zwischen uns, das hast du genossen. Es hat dir gefallen. Leugne es nicht. Du hast es gewollt.“ „Mark, nicht...hör auf.“ „Es war mehr als Neugier oder blindes Verlangen nach körperlicher Nähe. Du weißt, dass wir weiter gemacht hätten, wenn Maya nicht gekommen wäre“, setze ich in völliger Überzeugung fort und gehe einen Schritt auf ihn zu. Wieder flackert diese Unsicherheit in seinen Augen. „Nein“, haucht er. Ein weiterer Schritt auf ihn zu. Ich sehe, wie er schwer schluckt aber nicht vor mir zurückweicht. Ich strecke meine Hand nach ihm aus, spüre seine Finger und seine umfangen meine. Im ersten Moment befürchtete ich erschlägt sie fort, doch er hält sie fest. Da ist etwas. Dort sind Gefühle. „Was fühlst du für mich?“ „Das spielt keine Rolle“ Er versucht das Geschehene herunterzuspielen, doch in seinen Augen lese ich die Bedrängnis, in die er sich manövriert fühlt. „Doch“, antworte ich noch immer mit Hoffnung. Für mich spielt es eine große Rolle. Seine grünen, wunderschönen Augen glänzen und spiegeln seine innere Zerrissenheit wieder. Wir sind uns wieder so nah. Ich spüre seinen hektischen Herzschlag an meiner Hand. Sein warmer Atem streift meine Haut. Ich greife seine Hand fester, sehe auf und in diesem Moment beugt er sich zu einem Kuss runter. Eine Berührung voller Kümmernis. Ein Moment purer Verzweiflung und so schnell, wie es geschehen ist, ist es wieder vorbei. „Verdammt...verdammt! Ich kann dir einfach nicht geben, was du willst. Denn ich...ich ... ich will eine normale Beziehung mit Maya. Ich bin nun mal der Freund deiner Schwester.“ Nun sagt er genau das, was ich auf keinen Fall hören will. Und obwohl ich das Zögern, den Hader höre als er es versucht zu formulieren, trifft mich nur der Schmerz. Es zerdrückt mich innerlich, aber genauso sehr erfüllt es mich mit Wut. Ich kann es nicht mehr hören. „Ja, verdammt. Ja, das weiß ich seit dem verdammten Tag, an dem meine Schwester den Mann als ihren Freund vorstellte, in den ich seit 4 verfickten Jahren verliebt bin. Also Danke, ich weiß, dass du der verfluchte Freund meiner Schwester bist.“ Mit jedem Wort wird meine Stimme lauter bis ich ihn anschreie. Es ist das erste Mal, dass ich ihm so deutlich meine Gefühle offenbare. Ich balle meine Hand zu einer Faust und schlage sie gegen seine Brust. Raphael fängt sie ab und zuckt zusammen. Ich bemerke eine Veränderung in seinem Blick, doch ich ignoriere sie. „Seit einem halben Jahr bekomme ich eure heuchlerische Beziehung brühwarm fast jeden Morgen und Abend aufs Brot geschmiert. Ich weiß ja nicht, ob es dich interessiert, aber ich finde es nicht berauschend“, knalle ich ihm als nächstes an den Kopf. Raphael senkt seinen Blick und meine Wut weicht kurz Trauer und Schmerz. Ich schlucke die Gefühle runter, spüre wie der plötzlich verfliegende Geschmack seiner Lippen förmlich verbrennt und nichts weiter als eine Erinnerung zurück bleibt, die rein gar nichts mehr bedeutet. „Und weil es nicht schlimm genug ist, stehst du vor mir, kommst in mein Zimmer, küsst mich. Du wirst wegen der Sache mit Jake eifersüchtig, suchst andauernd meine Nähe und dann ist es Nichts? Eine Verirrung? Ein Fehler“, wiederhole ich die Wort seiner verletzenden Antworten. Raphael schweigt. Seine Hand um meinem Handgelenk ist verkrampft. „Dass ich nie den Mund aufgemacht habe, ist meine Schuld. Dass ich meine Neigung für mich behalten, ist meine eigene Schuld, aber dass du so mit mir umgehst, habe ich nicht verdient“, sage ich leise. Ich versuche tief einzuatmen und meine Wut herunterzufahren, doch es gelingt mir nicht. „Wenn doch alles nichts zu bedeuten hat, dann verstehe ich deine Reaktionen nicht. Wenn dein Wissen um meine Homosexualität dafür gesorgt hätte, dass du dich von mir entfernst, dann wäre ich damit zu Recht gekommen, aber du hast genau das Gegenteil getan. Du hast meine Gefühle für dich ausgenutzt. Du hast mich benutzt.“ Ich beobachte sein angespanntes Gesicht. „Ich weiß,...“, flüstert er, „aber ich bin nicht schwul.“ Raphael kommt einen Schritt auf mich zu. Widersprüchlich, alles ist so widersprüchlich. Seine Stimme ist nicht so fest, wie sie mit diesen Worten sein muss und dennoch verursachen sie mir weiteren Schmerz. Ich schließe meine Augen und spüre, wie meine Wut tief rumort. “Scheiße, das weiß ich auch! Du erzählst mir nichts, was ich nicht schon seit Jahren weiß. Das sind alles keine Antworten, Raphael. Nur verdammte Ausflüchte“, brülle ich ihn an und stoße ihn zurück. Ich bin so extrem wütend, verletzt und enttäuscht. Mit jedem seiner Worte wird es schlimmer. Ich habe das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Es ist, wie eine Schlinge, die sich um meinen Hals legt und sich langsam zu zieht. Seine Augen beginnen zu schimmern. Es ist Schmerz und Wahrheit, die sich darin spiegeln, doch das hilft mir nicht. Ich verstehe es nicht, wenn er es nicht ausspricht. Also werde ich es nie verstehen können. „Verdammt, warum tust du mir das an? Warum konntest du mich nicht mein bescheidenes, trostloses Leben weiterleben lassen? Warum konntest du mich nicht einfach ignorieren? Warum?“ Raphael schließt seine Augen und fährt sich mit der Hand über den Mund. „Mark, es tut mir leid, aber... Was willst du denn hören? Egal, was ich sage, es ändert nichts an der Situation. Ich kann dir nicht geben, was du willst. Ich kann es nicht, Mark“, sagt er. Und ich fahre mir unwirsch durch die Haare. Er kann mir nicht geben, was ich will, wiederhole ich in Gedanken und spüre den Schmerz über die Tatsache, dass ich das schon eine ganze Weile weiß. „Du bist zu mir gekommen“, sage ich laut und direkt. Raphael zuckt heftig zusammen. „Es tut mir leid“, murmelt er schwach. „Ja, scheiß auf die Gefühle des dummen schwulen Jungen. Scheiß auf…“Ich schlucke die Worte resignierend runter und streiche mir mit kalten, klammen Fingern über meine bebenden Lippen. „Ich... Maya ist meine Freundin. Was anderes kann ich einfach nicht. Ich weiß nicht, wie…Mark, versteh das doch bitte.“ „Nein, ich versteh es nicht. Ich verstehe nicht, warum du dir einredest, dass du es nicht kannst, wenn du es im Grunde einfach nur nicht willst und nicht den Mumm hast. Du konntest schließlich auch Gefälligkeiten von mir entgegen nehmen und trotz alledem den perfekten Freund für sie weiterspielen.“ „So ist das nicht.“ Ein Flüstern mit einem Tonfall, den ich nicht zu bestimmen mag. „Hör auf.“ Ich will nichts mehr hören. „Mark...“ Er hadert, doch dann senkt sich sein Blick erneut. Seine linke Hand ballt sich zu einer Faust und er sieht zur Seite. Für mich ist seine Entscheidung gefallen. Er kann nicht und er will nicht. Maya ist der einfachere Weg. Welche Gefühle auch immer für mich hat, sie sind nicht stark genug. Er ist nicht mutig genug. Im Moment habe ich einfach nicht die Kraft um weiter darüber nachzudenken. Der letzte Funken Hoffnung in mir erstirbt. Vielleicht hätte ich ihn von vornherein ersticken sollen. Ich kann meine Tränen kaum noch unterdrücken. Raphael steht einfach nur da und schweigt. Das kann er gut, doch ich bin es einfach nur Leid von ihm angeschwiegen zu werden. Ich möchte nur noch weg und wende ich mich um. Ich höre, wie er wiederholt meinen Namen flüstert. „Nein, spar es dir“, erwidere ich und gehe. Raphael hält mich nicht zurück, doch ich höre, wie er hart gegen die Stufe der Tribüne tritt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)