Fang mich doch! von punkermietz ================================================================================ Kapitel 2: Der Nachtclub ------------------------ Nach dem Vorfall in der Fabrik hatte Erwin darauf bestanden, Eren ein paar Tage frei zu geben. Sie war nicht besonders glücklich darüber gewesen, aber sie musste sich eingestehen, dass sie eine kleine Pause gut vertragen könnte, um all die seltsamen Sachen zu verarbeiten, die ihr da geschehen waren. Jedes Mal, wenn sie zu schnell aufstand, drehte sich alles in ihrem Kopf und ihr wurde schwarz vor Augen. In Anbetracht dessen wären ein paar Tage Ruhe vielleicht nicht die schlechteste Alternative. Weder die Polizei noch das Aufklärungskommando waren in der Lage gewesen, die Verantwortlichen für die Entführung zu schnappen. Nur die Frau namens Annie konnte geborgen werden. Als Polizisten und Agenten endlich eingetroffen waren, hatte die blonde Frau noch immer bewusstlos am Boden gelegen. Sie hatte eine enorme Menge Blut verloren und war dem Tode nahe gewesen, doch man hatte sie rechtzeitig in ein Krankenhaus bringen können. Dort wurde lag sie nun in einem künstlichen Koma, und die Ärzte konnten nicht sagen ob und wann sie überhaupt aufwachen würde, um sich den Fragen der Agenten zu stellen. Es frustrierte Eren, dass sie die Frau nicht würde befragen können, zumindest nicht in nächster Zeit. Aber dass sie weder Reiner noch Mikasa verhören konnte, ärgerte sie wirklich über alle Maßen. Eine ganze Woche lang wartete Eren ab und versuchte ernsthaft und wahrhaftig, ihrem Körper Ruhe zu gönnen. Nachdem sie allerdings zwei Stunden lang wie ein eingesperrter Tiger auf und abgewandert war, entschied sie, dass es genug der Ruhe gewesen sei und dass sie endlich wieder arbeiten gehen müsste. Die ganze Zeit zuhause zu sitzen und nichts zu tun würde sie noch in den Wahnsinn treiben. Am nächsten Morgen ging Eren wieder ins Büro, voller Energie und bereit, wieder voll durchzustarten. Das folgende vertrauliche Gespräch mit Erwin über ihre nächsten Schritte allerdings dämpfte ihren Enthusiasmus erheblich. Ihr Boss informierte sie darüber, dass sie in der nächsten Zeit wohl erst einmal nicht in der Lage sei, Levi zu verhaften. Auf mysteriöse Weise waren nämlich sämtliche Beweise, die sie gegen ihn und die „Flügel der Freiheit“ gesammelt hatten, spurlos verschwunden. Es war wie verhext. Der Staatsanwalt konnte so keinen Haftbefehl mehr aufrecht erhalten, sie standen im Grunde genommen wieder am Anfang und hatten nichts gegen ihn in der Hand. Irgendjemand musste die Beweise gestohlen haben, es gab keine andere Erklärung dafür. Eren fluchte, schimpfte und tobte durchs Büro, aber Erwin saß einfach nur da und schenkte ihr ein müdes Lächeln. „Schau mal, Eren, ich weiß ja dass es ein kleiner Rückschlag ist...“ „Ein kleiner Rückschlag?“ unterbrach sie ihn aufgebracht und warf ihre Hände in die Luft. „Wir waren so nah, so verdammt nah dran, und jetzt stolziert dieser aufgeblasene Mistkerl in der Öffentlichkeit umher als wäre nichts geschehen! Die 'Flügel der Freiheit' werden weiter Verbrechen begehen, und dieses Schwein von Levi fühlt sich sicher und lacht sich ins Fäustchen über unsere Dummheit!“ Als sie realisierte, dass sie immer noch zu ihrem Vorgesetzten sprach, beruhigte sie sich und setzte sich seufzend. „Tut mir Leid für meine Wortwahl, Erwin, aber das regt mich gerade echt auf.“ „Ja, das habe ich mir schon fast gedacht.“ sagte dieser mit ernster Miene, aber er konnte nicht den amüsierten Schimmer in seinen Augen verbergen. Erens Ehrgeiz und Entschlossenheit waren einige der zahlreichen Gründe, weswegen er ihr die schwierige Aufgabe übertragen hatte, Levi zu schnappen. „Keine Sorge, wir werden einen anderen Weg finden.“ sagte er mit seiner ruhigen, tiefen Stimme. „Ich habe da auch schon etwas im Sinn ...“ --- Am nächsten Tag schlenderte Eren zu einem gemütlichen kleinen Cafe, um ihren besten Freund Armin zum Mittagessen zu treffen. Armin arbeitete als forensischer Psychologe für das Aufklärungskommando, und natürlich war er als solcher hochbegabt auf seinem Gebiet. Er sah recht niedlich und unschuldig aus, wie er immer verträumt in seinem Stuhl saß, die blonden schulterlangen Haare zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Aber Eren würde sich davon nicht täuschen lassen; sie wusste dass er ein teuflisches Genie sein konnte, wenn es die Umstände erforderten. Auch wenn sie in derselben Behörde arbeiteten, hatten sie während der Arbeitszeit meist wenig Gelegenheit sich zu unterhalten. Heute jedoch war Erens Geburtstag, und sie hatten sich beide etwas Zeit freigeschaufeln können, um wenigstens eine halbe Stunde etwas miteinander zu essen. Nachdem sie sich an einem der kleinen hölzernen Tische auf der Terasse niedergelassen hatten, bestellten sie beide ihre Mahlzeiten und begannen, sich über die neuesten Entwicklungen von Erens Fall zu unterhalten. Als sie ihm endlich über die gestohlenen Beweismaterialien berichtet hatte, brummte Armin nachdenklich vor sich hin. „Das ist schlecht.“ sagte er, während er sich gedankenverloren eine Gabel Pasta in den Mund schob. „Nicht wahr?“ stieß Eren hervor, während sie aufgeregt mit dem Messer auf ihn deutete. „Jetzt darf ich diesen Mistkerl nicht mehr verhaften! Ich muss warten, bis wir etwas Neues gegen ihn in der Hand haben. Levi hat sogar die Nerven, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, nun, da er sich in Sicherheit glaubt.“ Eren knirschte mit den Zähnen bei diesem Gedanken. „Ja ja ich weiß schon, aber … ist es nicht etwas seltsam, dass alle diese Beweise einfach so verschwunden sind? Als ob es sie nie gegeben hätte?“ Armin stützte den Kopf auf seine Hände und beobachtete sie aufmerksam. Eren zog fragend eine Braue hoch. „Ich weiß dass du mir irgendetwas zu sagen hast, wenn du mir diesen Blick zuwirfst. Spuck's aus.“ sagte sie. „Naja, denk doch einmal darüber nach, dass es alleine in deinem Team schon zwei Verräter gab. Sie haben dich nicht nur ausspioniert, sondern dich sogar entführt. Warum sollte es nicht mehr von ihnen geben? Menschen, die vielleicht nicht nur deine Arbeit sabotieren, sondern die Ermittlungen der gesamten Behörde?“ Eren musste zugeben, dass sie diesen Gedanken auch schon in Betracht gezogen hatte. Aber es war verstörend sich vorzustellen, dass es in ihrer Umgebung noch mehr Leute gab, die ihr Vertrauen missbrauchen würden. Es war einfach zu bedrückend. Sie rührte in ihrem Kaffee herum und starrte gedankenverloren in den schwarzen Strudel, den ihr Löffel verursacht hatte. „Hast du denn eine Idee, wer es sein könnte?“ fragte sie ihn, nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich hören wollte. Für einen kurzen Augenblick war Armin still, und Eren warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Sein Gesicht war zu einer eigentlich unlesbaren Maske versteinert, aber sie kannte diesen Ausdruck. Er hatte bereits begonnen, zwei und zwei im Geiste zusammenzuzählen, war sich jedoch noch nicht sicher, ob er wirklich die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Einen Moment später enstpannten sich seine Züge wieder, und er schenkte Eren ein freundliches Lächeln. „Nein, habe ich nicht.“ Sie wusste, dass er sie anlog, aber sie wollte ihn zu nichts drängen. Er würde es ihr erzählen, wenn er das Gefühl hatte, dass der richtige Augenblick gekommen sei. „Bitte, erzähl mir doch über den Plan, den Erwin vorgeschlagen hat.“ sagte Armin stattdessen. „Oh ja, genau!“ rief Eren. „Er ist ziemlich aufregend! Jean und ich werden dem 'Wall Maria' einen Besuch abstatten, einen dieser Nachtclubs, die Levi betreibt. Er glaubt, damit könnte er sein wahres schmutziges Geschäft verheimlichen. Wir werden uns jedenfalls undercover in seine Büroräume schleichen und-“ Armin zog beide Augenbrauen hoch. „Ihr werdet undercover sein? Aber glaubst du denn nicht, dass er dich wiedererkennen würde?“ fragte er zweifelnd. Eren schüttelte den Kopf, während sie an ihrem Kaffee nippte. „Nein, ich werde mich verkleiden, mit einer Perücke und dem ganzen Zeug. Außerdem glaube ich nicht, dass er überhaupt dort sein wird. Er hat seine eigenen Clubs in der Vergangenheit nur sehr selten nachts besucht.“ Armin legte den Kopf schräg zur Seite und beobactete Eren immer noch grübelnd. „Ok. Bitte, fahre fort.“ „Wie ich schon sagte, wir werden uns in sein Büro schleichen und nach belastenden Dokumenten suchen. Gerüchten zufolge hat er einen Vertrag mit einer Gruppe Rebellen abgeschlossen, um ihnen Waffen zu verkaufen. Und da wir ja seine Villa immer noch observieren, braucht er ein neues Versteck für seine ganzen Papiere.“ Armin schien noch immer nicht vollständig überzeugt. „Ich bin mir nicht sicher, ob mir der Plan gefällt. Vergiss nicht dass er stärker ist als du, und in diesem Club seid ihr auf seinem Territorium. Wenn irgendjemand dich erkennt, könnte es sehr gefährlich werden.“ Eren grinste ihn siegessicher an. „Mach dir keine Sorgen. Levi war vielleicht stärker, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Aber ich habe verdammt hart trainiert seitdem, er wird mich nicht ein zweites Mal überwältigen können.“ Außerdem hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass Levi sie nicht auf der Stelle hinrichten würde. Er schien zu sehr damit beschäftigt, sie immer wieder zu necken und aufzuziehen. Wenn er sie also wirklich erwischen sollte, würde er erst einmal seine Zeit damit verschwenden, irgendwelche dummen Kommentare abzulassen. Auch wenn Armin natürlich über diese merkwürdige Vorliebe von Levi, Eren immer wieder zu verägern, Bescheid wusste, hatte sie ihm nicht jedes kleinste Detail von ihrer Begegnung in der Fabrik erzählt. Niemand brauchte etwas über diesen Kuss erfahren, das war in keiner Weise relevant. Um genau zu sein, würde sie es auch nicht unbedingt als Kuss bezeichnen. Ein Kuss hätte etwas bedeutet, und das hatte ja wohl absolut nichts zu bedeuten. Es war auch nicht so sehr ein Kuss, sondern eher eine Art zufällige Mund-zu-Mund-Berührung gewesen. Ja, genauer betrachtet war dies sogar die plausibelste Erklärung. Der Strom ihrer Gedanken wurde unterbrochen, als Eren plötzlich eine altbekannte Stimme hinter sich kreischen hörte. „Eren, Aaarmin!“ Die Agentin drehte sich um und fand sich selbst plötzlich in der engen Umklammerung einer extrem aufgekratzten Hange wieder. „Alles Gute zum Geburtstag, meine Liebe!“ quietschte die Frau vergnügt und drückte noch fester zu. „Hange...kann nicht....atmen....“ keuchte Eren. „Oh entschuldige.“ Hange lachte und ließ sie los, nur um Armin auf die gleiche Weise zu begrüßen. Sie setzte sich in einen der gemütlichen Sessel am Tisch und strahlte Eren an, ohne ein Wort zu sagen. „Ähm...kann ich dir irgendwie helfen?“ fragte die junge Frau irritiert. Hange kicherte, kramte in ihrer Handtasche herum und zog eine kleine schwarze Geschenkbox heraus. Sie war mit einem glänzenden Papier und einer grünen Schleife versehen, und glitzerte leicht im Sonnenlicht. „Hier, ich habe ein kleines Geschenk für dich. Ich hoffe, es gefällt dir.“ sagte sie, als die die Schachtel Eren reichte. „Danke, das wäre doch nicht nötig-“ Eren riss ihre Augen auf, als sie die Box öffnete. „Hange, bist du verrückt geworden! Das wäre wirklich nicht nötig gewesen!“ In dem Kästchen lag, auf einem weißen Seidenkissen gebettet eine schlichte silberne Halskette. Ein tropfenförmiger grüner Stein verzierte die Kette, und wenn das Sonnenlicht den Anhäger berührte, schien seine Farbe sich zu verändern. Je nachdem, von welcher Seite aus man den Stein betrachtete, wechselte er seine Farbe von einem tiefen satten Jadegrün zu einem hellen, glitzernden Türkis. Eigentlich war Eren nicht wirklich die Art Frau, die sich viel aus Schmuck machte, aber diese Kette sah einfach nur wunderschön aus. Wunderschön, aber auch verdammt wertvoll. „Was denn, magst du sie etwa nicht?“ fragte Hange sie mit dem Gesichtsausdruck eines getretenen Hundewelpens. „N-nein, das ist es ganz und gar nicht!“ beeilte sich Eren zu erklären. „Ich liebe sie, wirklich! Sie ist absolut hinreißend! Es ist nur … du kannst mir doch nicht so etwas Teures schenken!“ Hange lachte erleichtert auf und klatschte ihre Hände begeistert zusammen. „Mach dir darum mal keine Gedanken, Eren. Ich habe diese Kette schon seit Ewigkeiten bei mir rumliegen, habe sie selbst aber nie getragen. Und da habe ich sie neulich wieder angesehen, und die Farbe des Steines hat mich total an deine Augen erinnert, und da dachte ich mir, warum nicht? Ich wollte dir eine Freude machen, nachdem du so hart für das Aufklärungskommando gearbeitet hast!“ Eren lächelte sie an. Dieses Geschenk und die Tatsache, dass Hange ihr eine Freude machen wollte, bedeutete ihr sehr viel. „Wenn das so ist.“ sagte sie, während sie den Anhänger aufs Neue bewunderte. „Danke, Hange. Ich weiß es wirklich zu schätzen.“ --- Ein paar Stunden später wurde es bereits ernst. Die letzten Vorbereitungen für ihre undercover-Mission waren fast abgeschlossen, und Eren konnte kaum ihr eigenes Spiegelbild erkennen. Da der Nachtclub zu den gehobenen Etablissements gehörte, mussten sie und Jean Abendkleidung tragen. Eren hatte sich für ein schulterfreies grünes Kleid entschieden; einfach weil der praktische Schlitz auf der rechten Seite es ihr erlauben würde, schnell und unauffällig die Waffe zu ziehen, die sie sich um ihren Oberschenkel geschnallt hatte. Ihr wuscheliges braunes Haar war unter einer kurzen roten Perücke versteckt. Es war eine schräg geschnittene Bobfrisur, die zwar authentisch und hübsch aussah, aus Eren allerdings gleich einen ganz anderen Menschen zu machen schien. Sasha half ihr noch mit dem letzten Schliff, indem sie ihr gefühlte Tonnen Make-Up aufs Gesicht schmierte. Eren schminkte sich höchst selten, und so war es ein ungewohntes Gefühl ihre Kollegin dabei zu beobachten, wie sie ihr roten Lippenstift auftrug. Das gesamte Team hatte sich versammelt, um Sashasn gebannt bei der Arbeit zu beobachten. Selbst Armin, Hange und Erwin waren da, um ihnen Glück zu wünschen. Jean, der einen eleganten schwarzen Smoking trug, tauchte hinter Eren auf, als sie sich noch einmal probehalber vor dem Spiegel drehte. Er grinste sie an. „Ich bin fast geneigt dazu zu sagen, dass ich mich heute nicht mit dir an meiner Seite blamieren werde.“ neckte er sie. „Du siehst ja fast aus wie ein normaler Mensch, Eren!“ „Danke gleichfalls, Pferdegesicht.“ erwiderte sie trocken. „Dieser Anzug könnte heute sogar deine jämmerliche Persönlichkeit überdecken.“ Sie grinsten sich beide noch einmal an und Jean streckte ihr sogar kurz die Zunge heraus, bevor sie sich ihre Jacken überzogen. Als sie sich schon umgedreht hatten und gehen wollten, sprang Hange ihnen in den Weg und hielt sie auf. „Warte, Eren. Du hast vergessen, deine neue Kette umzulegen!“ strahlte sie. „Es würde so gut zu deinem Outfit passen und deine Augen zur Geltung bringen!“ Armin räusperte sich neben ihr. „Also ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist, Erens Augen heute Nacht zu betonen. Levi könnte sie wiedererkennen.“ „Huh?“ fragte Eren, als sie bereits mit dem Verschluss der Kette kämpfte. „Warum sollte er sich ausgerechnet an meine Augen erinnern?“ Armin seufzte genervt auf und rollte mit den Augen. „Naja, vielleicht weil er-“ „Ach komm, sei nicht so langweilig!“ Hange unterbrach ihn lachend. „Die Kette ist ein Glücksbringer, da kann gar nichts schief gehen!“ Als sie den Club betraten, musste Eren sich die größte Mühe geben, um die luxuriöse Inneneinrichtung nicht mit offenem Munde anzustarren. Die Wände waren in einem gedämpften Rotton gestrichen, und kunstvolle Landschaftsgemälde schmückten sie. Trotz dass der Club gut besucht war, schafften schwere goldene Vorhänge eine intime Atmosphäre, und schwarze Möbel rundeten das elegante Erscheinungsbild ab. Wenn Eren nicht wüsste, dass all diese Sachen mit dem Geld zahlloser Verbrechen bezahlt worden sind, würde sie es vielleicht sogar mögen. Sie gingen in den Club hinein, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Jean rückte seine Krawatte zurecht und fuhr sich nervös mit einer Hand durch sein kurzes Haar. „Wenn der Club hier den 'Flügeln der Freiheit' gehört,“ sagte er leise zu Eren, „glaubst du, dass Mikasa dann auch hier sein wird?“ Eren sah ihn abschätzend von der Seite an. „Keine Ahnung. Warum fragst du?“ „Ähm...nur so.“ Wurde Jean tatsächlich gerade rot? „B-bin einfach nur neugierig, glaube ich.“ Er zupfte noch einmal an seiner Krawatte und war plötzlich sehr damit beschäftigt, Eren nicht direkt anzusehen. Sie schüttelte ihren Kopf und zog ihn in Richtung Bar. Am besten sollten sie erst den gesamten Clubbereich erkunden, bevor sie sich in die Büroräume schleichen würden. Die Agenten schlängelten sich zur Bar hindurch und sahen sich nach einem möglichen Eingang zum privaten Geschäftsbereich um. Eine schwere dunkle Tür mit eingesetztem Milchglasfenster erregte Erens Aufmerksamkeit. Vermutlich verbarg sich dahinter der Aufgang zu einem Treppenahus, dass wiederum hoffentlich zu Levis Büro führen würde. Sie gab Jean ein Zeichen und sie schlenderten weiter durch den Club, als seien sie ganz normale Gäste. Eren lies ihren Blick umherstreifen und beobachtete die anderen versammelten Leute. Sie konnte nicht alles überblicken, da der Raum ziemlich verwinkelt war. Hinter zahlreichen Vorhängen verbargen sich gemütliche Sitzecken mit kleinen Sofas, auf denen sich meist viele Leute tummelten. Als sie eine dieser Sitzecken näher betrachtete, erstarrte sie vor Schreck. Nie im Leben würde sie das schimmernde schwarze Haar und die porzellanfarbene Haut verwechseln können. Es war Levi. Warum zum Teufel musste er ausgerechnet heute hier sein? Hätte er sich nicht einen anderen Tag aussuchen können, um plötzlich einen seiner Clubs mitten in der Geschäftszeit zu besuchen? Eren stöhnte innerlich auf und versuchte dann, den Mafiaboss unauffällig zu beobachten. Gelangweilt nippte er an einem Glas, welches mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt war. Sein Gesicht war genauso ausdruckslos und unbewegt wie an dem Tag, an dem Eren ihm das erste Mal begegnet war. Er blinzelte noch nicht einmal, als sich eine der bildhübschen Frauen an seiner Seite zu ihm hinüberbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Eren fragte sich, ob er seine Lippen nur dann zu einem kleinen Lächeln verziehen würde, wenn er jemanden aufziehen würde. Plötzlich sah Levi in Erens Richtung, und sie bemühte sich schnell vorzugeben, sich ein paar Strähnen roten Haares zurückzustreifen, um ihr Gesicht zu verdecken. „Okay, es geht los.“ flüsterte sie Jean zu. „Ich werde jetzt nach oben gehen und das Büro durchsuchen. Du wirst die Situation hier im Auge behalten. Kontaktiere mich, wenn irgendwas ungewöhnliches geschieht.“ Eren rückte ihren drahtlosen Ohrhörer zurrecht, der ihr dabei helfen würde, mit ihren Kollegen in Verbindung zu bleiben. Sasha und Connie waren außerhalb des Clubs stationiert, um die Lage dort im Überblick zu behalten. So unauffällig wie möglich schlängelte Eren sich bis zur Tür. Nachdem sie sich versichert hatte, dass niemand ihr gefolgt war, schlüpfte sie schnell hinein und fand sich tatsächlich in einem Treppenhaus wieder. Sie huschte die Stufen hinauf und stand in einem dunklen engen Gang, der nur zwei Türen beinhaltete. Keine Wachen in Sicht. Sie öffnete die erste Tür, fand aber lediglich eine Putzkammer vor. Die Reinigunsutensilien darin waren geradezu penibel aufgereiht, alles hatte seine Ordnung und war absolut staubfrei. Als Eren jedoch versuchte, in den nächsten Raum zu gelangen, fand sie die Tür verschlossen vor. Unbeeindruckt zog sie eine Kreditkarte aus der Tasche und öffnete das Schloss mit einem leisen Klickgeräusch. Als sie in den Raum schlüpfte, war sie doch etwas überracht, tatsächlich das Büro entdeckt zu haben. Warum würde der Anführer einer Mafia seine Geschäftsräume so fahrlässig unbewacht zurücklassen? Wenn man jedoch sein arrogantes Gehabe in der der Vergangenheit bedachte, wog er sich wahrscheinlich nur zu sehr in Sicherheit in letzter Zeit, und wurde langsam übermütig. Was es auch war, Eren würde sich später darum Gedanken machen. Jetzt war die Zeit zum Handeln gekommen. „Pferdegesicht, kannst du mich hören?“ flüsterte sie. „Ich bin drin.“ Der Knopf in ihrem Ohr rauschte, und eine Sekunde später schnarrte Jean mit aufgebrachter Stimme zu ihr. „Wie oft muss ich eigentlich noch sagen, dass mein Deckname nicht Pferdegesicht ist!“ Eren kicherte, entschied sich aber vorerst nicht zu antworten, sondern ihre Suche nach wichtigen und verdächtigen Dokumenten zu beginnen. Den Schreibtisch hatte sie schnell durchsucht, in den wenigen Fächern waren nur säuberlich gespitzte Stifte, Blankopapier und eine Packung Hygienetücher. Schnell drehte sie sich zu einem alten grauen Aktenschrank um, und öffnete seine Tür. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie darin einen kleinen eisernen Safe vorfand. Es brauchte einige Minuten, um den Zahlencode zu knacken, aber sie schaffte es den Safe zu öffnen, ohne ihn zu beschädigen. Gespannt beugte Eren sich vor, um endlich einen Blick hineinzuwerfen. Zu ihrer Überraschung fand sie nur ein kleines schwarzes Kästchen darin. „Komische Art und Weise, seine Dokumente aufzubewahren.“ murmelte sie vor sich hin, als sie es in die Hände nahm und betastete. Neugierig öffnete sie die Schachtel, doch statt einem Stapel Papiere fand sie darin nur eine einzelne rote Rose und einen kleinen Notizzettel vor. Happy Birthday, Süße. Ich weiß dass du dir mehr davon erhofft hast, in meine Räume zu schleichen, aber dies ist das einzige Geschenk was ich dir vorerst machen kann. Da du dich das letzte Mal so über meine Blumen gefreut hast, dachte ich mir, dass dir diese Rose gefallen könnte. Mit besten Wünschen, Levi Mit einer goldenen Büroklammer war neben der säuberlichen Handschrift ein kleines Bild angehängt. Als Eren sich selbst auf der Fotografie wiedererkannte, wie sie wütend auf einen Strauß Blumen auf ihrem eigenen Schreibtisch starrte, hätte sie in die Luft gehen könnte. „Mikasa, du verdammte Verräterin!“ zischte sie, während sie dem Aktenschrank vor ihr einen gezielten Tritt verpasste. Sie zerknüllte den Zettel in ihrer Faust und drehte sich um, um wutschnaubend aus dem Büro zu rauschen, als sie plötzlich eine Überwachungskamera über dem Türrahmen bemerkte. Eine Kamera, die das ganze Szenario gefilmt hatte. Natürlich musste Levi aufzeichnen, wie sie auf seinen bescheuerten Trick herein gefallen war. Warum nur hatte sie das Ganze nicht eher durchschaut? Sie sollte langsam wirklich vorsichtiger werden. „Fick dich selbst!“ fauchte sie, während sie der Kamera den Finger zeigte und aus dem Büro stürmte. Schnell ging Eren die Treppen wieder hinunter und schlüpfte durch die dunkle Tür zurück in den Clubraum, während sie Jean Bescheid gab, dass sie noch weitersuchen müsste. Irgendetwas musste schließlich in diesem verdammten Nachtclub noch zu finden sein. Eren sah sich um. Um sie herum standen zwar ein paar Gruppen von Leuten, aber diese waren alle entweder zu betrunken oder zu sehr beschäftigt mit ihren Gesprächspartnern, um von ihr Notiz zu nehmen. Um so besser. Sie würde nur noch schnell den Ausgang am Ende des Ganges checken, bevor sie sich auf den Rückweg machen würden. Sonst würde sie sich die nächsten Tage immer wieder fragen, ob sie nicht vielleicht doch etwas übersehen hatte. Unauffällig schlenderte sie auf ihr Ziel zu und passierte einige Betrunkene, die lautstark über das letzte Fußballspiel diskutierten. Eren rollte mit den Augen; wohlhabend oder nicht, die Leute würden sich nie ändern. Als sie die Tür schon fast erreicht hatte, fühlte sie plötzlich, wie sich ein Arm von hinten um ihre Taille schlang. „Falsche Richtung, Süße.“ flüsterte eine raue Stimme in ihr Ohr. „Wolltest du dich wirklich rausschleichen, ohne mir vorher für meine kleine Geburtstagsüberraschung zu danken? Wie unhöflich.“ Natürlich erkannte sie die Stimme und den arroganten Bastard, zu dem sie gehörte, auf der Stelle. Levi stand direkt hinter ihr; sein Griff um ihre Taille war fest. Sie konnte seinen Körper spüren, der sich leicht an ihren Rücken presste, und ihre Gedanken wanderten für einen kurzen Moment in eine ganz und gar nicht professionelle Richtung. Schnell sammelte Eren sich wieder, und versuchte, sich ihm ägerlich fauchend zu entwinden. Doch statt sie gehen zu lassen, strich er eine der falschen roten Haarsträhnen von ihrem Nacken und vergrub seinen Kopf in ihrer Halsbeuge. Eren erstarrte. „Hm, du riechst heute verführerisch.“ murmelte Levi, als er einen tiefen Luftzug nahm. „Willst du mich damit etwa in Versuchung führen?“ Eren war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ihr Hals war schon immer ihre empfindlichste Stelle gewesen, und wannn immer jemand ihn beiläufig berühren würde, würde sich ein Kribbeln in ihrem ganzen Körper ausweiten. Aber Levi berührte ihren Hals nicht nur beiläufig, sondern streifte seine Lippen federleicht über die sensible Haut. Ein wohliger Schauer durchfuhr Eren, und ihr Kopf schaltete sich einfach ab. Sie war nicht mehr in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. „Schöne Halskette hast du da.“ Seine geschmeidige Stimme streichelte geradezu ihre Ohren, doch sie konnte den spöttischen Unterton darin klar heraushören. „Betont deine Augen.“ Eren fluchte innerlich. Verdammt sei Hange und ihr angeblicher Glücksbringer. „Vielleicht werde ich sie benutzen, um dich endlich zu erwürgen!“ knurrte sie und versuchte abermals, sich zu befreien. „Ich wusste gar nicht, dass du auf solche Sachen stehst.“ gluckste Levi hinter ihr. „Aber wenn dich das anmacht, bitte ...“ Eren achtete nicht wirklich auf den Unsinn, den er da von sich gab, sondern konzentrierte sich darauf, möglichst schnell und unauffällig ihre Waffe zu ziehen. Scheiß auf Erwins Plan, scheiß auf das Gesetz, sie würde ihn erschießen, hier und jetzt. Mit einer Hand schlüpfte sie unter den seidigen Stoff ihres Kleides und versuchte, die Pistole schnell zu greifen. Doch bevor ihre Fingerspitzen das kalte Metall auch nur berühren konnten, ergriff Levi sie und verschränkte ihrer beider Hände miteinander. Sie konnte die Waffe nicht mehr ziehen, sein Griff war fest und gnadenlos. Gottverdammt. „Ich würde dir dringenst empfehlen, dass zu unterlassen.“ wisperte Levi dunkel. „Es wäre doch sehr ärgerlich, wenn meine Wachen dich angreifen müssten, nicht wahr? Sie würden keine Sekunde lang zögern.“ Eren sah auf und bemerkte tatsächlich einige über den Raum verteilte Leute, die sie beide mit scharfen Blicken beobachteten. Sie konnte die Frau mit dem bernsteinfarbenem Haar aus der Fabrik wiedererkennen. Ihre honigfarbenen Augen blitzten Eren mit einem mörderischen Funkeln an, als ob sie sie am liebsten in der Luft zerreißen würde. „Dann lass mich los.“ knurrte Eren mit geknirschten Zähnen. Solange sie aus der Ferne wie ein turtelndes Liebespärchen aussahen, würden die Wachen nicht einschreiten. Eren wäre allerdings auch nicht in der Lage, endlich abzuhauen. Und das war im Moment ihr einziger großer Wunsch - schnell weg von diesem Ort zu gelangen, irgendwohin wo sie Ruhe hatte und ihre Gedanken wieder sammeln konnte. „Will ich aber nicht.“ grinste Levi, während er ihre Hand leicht drückte. Eren verlor langsam aber sicher die Geduld. „Also gut!“ fauchte sie und rammte ihm ihren Ellbogen in den Magen. Levi wurde von dem Schmerz überrascht und lockerte seinen Griff für einen Augenblick, und die Agentin nutzte den Moment um herumzuwirbeln und ihn gegen die dahinterliegende Wand zu stoßen. Um weiterhin den Anschein des verliebten Paares aufrecht zu erhalten, beugte sie sich zu ihm, achtete aber genau darauf, seine Handgelenke festzuhalten, damit er sie nicht noch einmal würde umklammern können. Der Mafiaboss sah sie mit unlesbaren, dunklen Augen an, machte aber keine Anstalten sie daran zu hindern, ihn weiterhin gegen die Wand zu pressen. „Du bist stärker geworden.“ sagte er schließlich anerkennend. „Natürlich bin ich das!“ zischte sie aufgebracht zurück. Dann senkte sie ihre Stimme. „Hör mal zu, Mistkerl. Ich habe keine Ahnung wie du die Beweise hast verschwinden lassen, aber keine Sorge. Ich finde schon noch einen Weg, deinen armseligen Hintern zu erwischen und festzunehmen!“ Levis Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Grinsen. „Kann's kaum erwarten, Miss Yeager.“ erwiderte er spöttisch. Eren blitzte ihn ein letztes Mal zornig an, bevor sie sich umdrehte und wütend davonstapfte. Auf ihrem Weg nach draußen schnappte sie sich Jean einfach am Kragen. Der Agent war die ganze Zeit durch die Bar gewandert, als würde er Ausschau nach jemandem halten. Natürlich hatte er darüber scheinbar ganz vergessen, Eren den Rücken zu decken. Die beiden machten sich sofort auf den Weg zurück zum Hauptsitz des Aufklärungskommandos, um über die gescheiterte Mission zu berichten. Nachdem sie etwa zwei Stunden über die Details diskutiert hatten, fand Eren endlich einen Moment Ruhe, um mit Armin alleine zu sprechen. Sie zog ihn in ihr Büro, versicherte sich, dass sie auch wirklich allein waren und blickte ihm dann direkt in die Augen. „Armin, ich glaube du hattest Recht. Er wusste, dass wir heute kommen würden um die Beweise zu suchen. Irgendjemand muss ihn gewarnt haben.“ Sie holte tief Luft, ihre Stimme bebte vor Abscheu und Bitternis. „Ich glaube, wir haben einenen weiteren Verräter unter uns.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)