Kamigami ga doki doki da yo! von Erenya (One Shot Sammlung Part 1) ================================================================================ Kapitel 1: Wahres Wissen kommt aus Erfahrung (Seriousshipping) -------------------------------------------------------------- Es war Abend geworden und die Lichter der Laternen die sie in die Luft hatten schweben lassen, waren schon lange erloschen. Nur noch das Licht der Sterne und des Mondes erhellten die Dunkelheit der Nacht, durch die Loki, gefolgt von Thor, zum Schulgebäude ging. Der Tag war lang gewesen und obwohl alle Probleme sich augenscheinlich gelöst hatten, lag Thor eine Frage auf der Zunge. „Loki...“ Es war, als verstand der Gott des Schalks auch ohne Worte, was in Thor vorging. Vielleicht brauchten sie auch gerade nicht viele Worte, weil Thor von Gewohnheit aus nie der Gesprächigste von ihnen war, „Ich weiß. Mach dir keine Sorgen. Ich werde Baldr mit meinen eigenen Händen töten.“ Es war ein Moment, der solange wie ein Atemzug andauerte und der mit Schweigen erfüllt war, bevor Thor zum letzten Mal in dieser klaren Nacht seine Stimme erhob. „Richtig.“ Obwohl es wie gewohnt neutral von ihm erklang, schwang doch eine gewisse Trauer in seiner Stimme mit. Ein Gefühl, dass weder Loki noch Baldr jemals aus seiner Stimme herausgehört hätten.Oder das sie auch nur erahnten. Als wäre er einem Albtraum entglitten, schrak Thor auf. Er fühlte den samtenen Stoff seiner Decke, die seinen nackten Oberkörper bedeckte und ihn in der Nacht wärmen sollte. Sein Blick glitt emotionslos durch den Raum und blieb auf dem Bett Lokis haften, der ruhig und selig schlief. Genauso wie Baldr, der irgendetwas über gegrilltes Fleisch und Yui und Loki nuschelte. Sie waren so friedlich miteinander, zu dritt in diesem Zimmer. Erneut kam Thor der Traum in den Sinn. Ein Traum, der vielmehr eine Erinnerung an den vergangenen Abend war. Baldr würde irgendwann zu einer alles vernichtenden Waffe werden und Loki mit seinem Speer wäre es schließlich, der Baldr vernichten und damit Frieden bringen würde. Er selbst würde dazu verdammt sein, alles hilflos mitanzusehen und entweder einen Freund, oder beide zu verlieren. Das alles nur wegen dieser Krankheit, die dank des Unantastbarkeitsfluches nicht beseitigt werden konnte. Zumindest gab es in Asgard keine Heilung dafür. Aber vielleicht waren Loki und Baldr deswegen hier. Vielleicht gab es in Zeus Schule für Götter einen Weg alles zu beenden, ohne dass Blut fließen musste. Es musste einfach einen geben. **~~** Hilflos sah Apollon in Thors Gesicht. Der Norde starrte ihn bereits seit einigen Minuten mit diesem stoischen, ernsten Blick an ohne auch nur ein Wort zu sagen. Thor selbst suchte noch nach den richtigen Worten, mit denen er seine Frage formulieren konnte, ohne dass man ihn verständnislos ansah. Besonders für Apollon musste diese Frage deutlich ausgesprochen werden. „T-Toru-Toru, ist alles in Ordnung? Hast du Bauchschmerzen? Bist du müde? Hast du Hunger? Durst?“ Apollon war mit der Situation sichtlich überfordert, zumal er nicht einmal ansatzweise ahnte, was Thor von ihm wollte. „Wie löst ihr Griechen Flüche?“ Es war ein unendlich langer Moment, den Thor benötigt hatte um diese Frage auszusprechen. Nicht einmal Apollon konnte die Art dieser Fragestellung missverstehen, soviel war sicher. „Das hängt von dem Fluch ab. Die meisten können nur von Göttern gelöst werden. Aber Flüche wie der von Onkel Hades, liegen weit über unserer Macht. Man kann sie höchstens übertragen.“ Ein stummes Murren kam von Thor, als er sich die Erklärungen Apollons angehört hatte. Das alles machte ihn nicht glücklich. Gar nicht glücklich. „Wieso fragst du, Toru-Toru? Bist du verflucht? Soll ich dir den Fluch nehmen?“ Thor hörte Apollon gar nicht mehr zu und wandte sich stattdessen zu den beiden Japanern, die ihrem Gespräch gefolgt waren und ihn schon mit einem vielsagenden Blick fixierten. „Keine Chance“, antwortete Takeru sofort, ohne dass Thor auch nur ein Wort sagen musste. Fragend hob sich dessen linke Augenbraue, denn ohne Erklärung würde er nicht verstehen, was Takeru meinte. „Flüche aus Japan sind unabwendbar. Man kann ihnen nur mit einem guten Fluch entgegenwirken um dessen grausames Ausmaß zu verhindern.“ Ruhig und ohne Emotionen gab Tsukito die Erklärung, die Thor im Stillen gefordert hatte. Es waren Worte, die seine Hoffnung mit einem Schlag zerschmettert hatten. Scheinbar war er nicht einmal in dieser Schule fähig zu lernen, was seine Freunde retten konnte. „Allerdings...“ Thor horchte auf, als Tsukito erneut das Wort erhob und ihn mit gleich bleibendem Gesichtsausdruck ansah. „In der Bibliothek könntest du vielleicht eine Antwort auf deine Frage finden. Die Bücher dort sind sehr umfangreich. Sie wurden nicht nur von Thoth Caduceus bereitgestellt, sondern auch von Zeus und täglich kommen Neue hinzu.“ Auch wenn Thor Tsukito noch nie so gesprächig erlebt hatte, war er doch mehr von der Tatsache erstaunt, dass er nicht von selbst auf die Bibliothek gekommen war. Immerhin war diese Bibliothek so umfassend, dass alle Mythologien sich in ihr vereinten. Selbst die Ägyptische. **~~** Dass die Sammlung allen Wissens wirklich umfangreich war, hatte Thor noch nie bezweifelt und obwohl es nicht das erste Mal war, dass er die Bibliothek betrat, war er doch fasziniert. Die Bücherregale gingen bis fast unter die Decke und es gab kaum eine Lücke, die noch Platz für weitere, fehlende Bücher in der Sammlung gelassen hätte. Bücher über verschiedenste Kulturen auf der Erde, über Pflanzen, Tiere, ganze Romanreihen, alles war hier zu finden. Die Chance hier ein Mittel gegen den Fluch zu finden war damit nicht ausgeschlossen. Die Frage war nur, wo er mit seiner Suche anfangen sollte. Nach welchen Schlagworten sollte er suchen? Waren Flüche für Menschen überhaupt relevant? Thor wusste die Antworten auf seine Fragen nicht, weswegen er einfach entschied sich querbeet durch die verschiedenen Themenbereiche zu lesen. Irgendwann musste er schließlich Erfolg haben und wenn es ihn die ganzen nächsten Tage kosten würde. **~~** Thoth beobachtete mit großem Interesse Thor, der erneut das Themengebiet gewechselt hatte. Zum vierten Mal an diesem Tag. Die Philosophie hatte er schnell beiseite gelegt und war zur Biologie über gegangen. Doch auch dort schien er nichts Entsprechendes, abgesehen von einem Buch über die Verbreitung und Ausbreitung von Viren, gefunden zu haben. Selbst in der klassischen Literatur war er nicht fündig geworden, sodass er nun die Abteilung für Okkultes abgraste. Thoth fragte sich was die Bohnenstange wohl suchte, zumal seine Methode des gezielten Suchens alles andere als effektiv war. Er hätte ihn selbstverständlich fragen und helfen können, aber Thoth war nicht hier an der Schule, um den jungen Göttern die Antwort auf ihre Probleme vorzukauen. Sie mussten schon von selbst darauf kommen. Er wollte Thor einfach weiter beobachten und sicher gehen, dass dieser keinen Schaden an den Büchern anrichtete. **~~** Nach zwei Tagen hatte selbst Thor verstanden, dass sein System für die Suche nach der benötigten Information alles andere als vorteilhaft war. Er hatte selbst jetzt noch nicht einmal die Hälfte der Bücher durchgesucht und wahrscheinlich hatte er in den einen oder anderen Bereichen wichtige Informationen übersehen, weil er sie einfach nicht in die Hand bekommen hatte. Noch dazu gab es einige Bereiche, die er getrost ausschließen konnte, darunter die Mathematik und Architektur. Er sah buchstäblich den Wald vor lauter Büchern nicht und war mit seinem Latein am Ende. Nicht einmal Apollon und Tsukito, die mehr Zeit in der Bibliothek verbrachten als er, konnten ihm sagen nach welchen Büchern er Ausschau halten musste. Es war einfach unmöglich, alle Bücher zu kennen, wenn man nicht gerade Thoth hieß und über die Fähigkeit des Schnelllesens verfügte. Und diesen Schritt zu wagen, seinen Lehrer um Hilfe zu bitten, hatte er bisher vermieden. Immerhin war der Ägypter auch nicht gerade hilfreich, wenn Yui Hilfe brauchte. Zumindest hatte er, als stiller Beobachter, dass oft genug gesehen. Dennoch, es war jetzt wohl die letzte Chance, die er hatte. Wenn der Gott des Wissens ihm nicht weiterhalf, musste er sich wohl damit abfinden, dass es für Baldr und Loki keine Rettung gab und er wieder zum stummen Zusehen verdammt war. Thor hatte einige Zeit gebraucht, um seinen Lehrer in der Bibliothek zu finden. Für Tsukito und Apollon wäre es wohl ein gewohnter Anblick gewesen, ihn an einem Tisch sitzend, mit einem Buch in der Hand zu sehen. Er war nicht alleine, doch Thor störte sich nicht an dem schlafenden Ägypter mit den schwarzen Haaren und der heimatlichen Tracht. Für seine Ziele war er irrelevant, ebenso wie es nicht wichtig war, dass er ihn noch nie zuvor hier gesehen hatte. Thor ging einfach davon aus, dass dessen Anwesenheit hier schon seine Richtigkeit haben würde. „Thoth-sama...“ Genervt, ohne es aber deutlich zu zeigen, hob Thoth seinen Blick von dem Buch und sah den nordischen Gott an, dem es ernst zu sein schien. Wahrscheinlich hatte er schon erwartet, dass er irgendwann zu ihm kommen würde, anders konnte sich Thor zumindest nicht erklären, warum Thoth kein bisschen überrascht war. Schweigen machte sich breit, auch wenn Thor sich nicht erklären konnte, wieso. Er war einfach unfähig, Thoth gegenüber sein Wollen so klar zu äußern, wie er es bei Apollon getan hatte. „Sag schon was du willst, Bohnenstange, und verschwende nicht meine Zeit.“ Die Worte Thoths waren harsch, doch wahrscheinlich war ihm die Stille genauso unangenehm wie Thor selbst. Er sammelte seine Gedanken und starrte Thoth weiterhin unablässig an. „Ich möchte einen Fluch brechen. Allerdings ist es ein Unantastbarkeitsfluch. Wo kann ich hier ein Buch finden, dass mir hilft, ihn zu brechen?“ Der Ausdruck in Thoths Gesicht blieb unverändert. Thor wusste nicht, was in seinem Kopf vor sich ging, was unfair war, denn er hatte ihm gerade verraten was er wollte. Somit hatte Thoth einen kleinen Einblick in seine geistige Welt bekommen. „Du willst also dem Bimbo und dem Schwachkopf helfen...“ Thoth hatte ins Schwarze getroffen. Und eigentlich hatte Thor nichts anderes erwartet. Immerhin war Thoth der Gott des Wissens. Wahrscheinlich wusste er schon von Anfang an über den Zustand Baldrs Bescheid. Und darüber, was die Zukunft bringen würde. Der Gott allen Wissens brauchte dazu keine Fähigkeit des Sehens wie Apollon. Wissen brachte immerhin auch Weitsicht. „Gibt es einen Weg?“ Da Thoth ihm nicht direkt antworten wollte obwohl er nun wusste, was er wollte, setzte Thor die Frage nach. Und zum ersten Mal sah er eine Regung in Thoths Gesicht. Seine Augenbrauen zogen sich in die wütende Tiefe. Der Glanz in seinen blauen Augen bekam etwas bedrohlich Gefährliches. Wie es schien, hatte seine Unwissenheit den ägyptischen Gott verärgert. „Wenn es einen Weg gibt, dann musst du ihn selbst finden!“ „Kaaaaaahhhhhh~“ Thoths Blick wandte sich von Thor ab, als der unbekannte Ägypter mit einem Gähnen verkündete, dass er seiner Traumwelt entglitten war. Für Thoth war dies wohl das Zeichen, dieses Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Er erhob sich von seinem Platz, was sein Freund ihm nachahmte, und verließ die Bibliothek. Ein Blick auf die Uhr, die auf dem Tisch stand, verriet Thor, dass es Zeit für das Abendessen war. Eine Zeit die Thoth neben dem Frühstück und Mittagessen nie verpasste. **~~** Wozu sammelte Thoth dieses ganze Wissen? Das war eine Frage, die Thor seit dem Gespräch mit seinem Lehrer beschäftigte. Wozu sammelte man Wissen, wenn man es mit niemanden teilen wollte? Thor verstand es nicht. Und so einfach wollte er sich mit einem 'Nein' auch nicht abfertigen lassen. Erneut war Thoth sein Ziel, doch anders als zuvor, fand er den Ägypter nicht in der Bibliothek, sondern auf seinem Weg zu eben dieser. Der Gott des Wissens hatte wohl sein Abendessen beendet und wollte nun in Ruhe, ohne die Anwesenheit des anderen Ägypters, sein Buch weiterlesen. Es war der perfekte Moment. Thor wartete, bis sein Lehrer nur eine Armlänge weit von ihm entfernt war und stellte sich ihm in den Weg. Missmutig sah Thoth ihn an, denn ihm gefiel dieser Verzögerung seines Tagesablauf nicht. Die jungen Götter kosteten ihn schon tagsüber mehr als genug Nerven und Zeit, die er besser verbringen konnte. „Thoth-sama... Wofür eigenen Sie sich das ganze Wissen an, wenn Sie es nicht mit anderen teilen?“ Bedrohlich zuckte Thoths Augenbraue auf die Frage der Bohnenstange. Er fragte sich, wie man nur so naiv und dumm gleichzeitig sein konnte. Wirsch griff er nach Thors Schulter und drückte ihn, nach einer halben Drehung, gegen die linke Marmorwand des Flurs. Unbeeindruckt sah Thor ihn an, anders als Yui, die des Öfteren diesen selten dämlichen bis hin zu verängstigten Gesichtsausdruck hatte. Dabei war er bei Thor jetzt schon handgreiflicher als bei dem Menschenmädchen, dass er noch mit Samthandschuhen anfasste. Immerhin unterschieden sich Götter und Menschen in ihrer Gebrechlichkeit, und selbst wenn Thor gerade in seinem menschlichen Äußeren gefangen war, hielt er doch wesentlich mehr aus, als ein einfaches Mädchen. „Hör gut zu, Bohnenstange, ich sage dir das nur einmal...“ Thor sah die Wut in Thoths Augen aufblitzen. Sie überschattet die Trauer, die er darin zu sehen glaubte. Einen Moment fragte sich der Norde, ob er sich vielleicht getäuscht hatte, und sah näher hin. Nein, er hatte sich nicht geirrt. In Thoths Augen lag etwas Trauriges, Wehmütiges, das man von dem Ägypter so nicht gewohnt war. Thor ließ dies einfach auf sich wirken, versank in Thoths Trauer, die seiner so ähnlich war, wenn er an das Schicksal seiner besten Freunde dachte. Alles an Thoth war so ungewohnt einfühlsam, als ob dieser ihm mit dieser Berührung und diesem Blick sagen wollte, dass er seinen Kummer verstand. Ebenso mit seinem Griff. Er war kräftig genug, um ihn gegen die Wand zu drücken, und doch hätte er keine Probleme gehabt, sich von dem Gott des Wissens zu lösen. Aber er wollte es nicht. Dieser feste Griff hatte soviel mehr zu sagen, soviel mehr zu bedeuten, als es sichtbar den Anschein hatte. Für diesen einen Moment gab er ihm dieses Gefühl von Vertrauen. „Du glaubst, die Theorie hilft dir? In der Theorie ist alles so schön und einfach, die Praxis steht aber auf einem ganz anderen Papier. Ihr seid hier nicht nur, um aus Büchern zu lernen. Wenn ihr ein Problem habt, dann müsst ihr selbst einen Weg finden, es zu lösen. Denn für dein Problem wird dir kein Buch der Welt den richtigen Ratschlag oder die perfekte Lösung geben.“ Die Hand Thoths löste sich von Thors Schulter. Etwas stimmte mit seinem Lehrer nicht und die Frage, was in ihn gefahren war, war soeben wichtiger geworden als sein eigentliches Problem. Zumindest konnte er sein Problem lösen, wenn er mehr über den Ägypter erfuhr und verstand, was das soeben gewesen sein sollte. **~~** „Thoth-sama? Wieso willst du mehr über ihn wissen?“ Thor hätte es sich eigentlich denken können, dass seine Frage auf Verständnislosigkeit treffen würde. Zumindest hörte er den Unglauben ganz deutlich aus Yuis Stimme, als er der versammelten Gruppe die Frage aller Fragen gestellt hatte. „... Einfach so.“ Er war schon genervt von der Tatsache, dass jeder von ihnen alles was er wissen wollte hinterfragte. Dagegen war Thoth, der sofort gewusst hatte, worauf er mit seiner Frage hinaus wollte, wesentlich angenehmer. „Ne, Thor-chin. Hast du ein Auge auf den Ägypter geworfen?“ Thor wusste, dass Loki einen Scherz machte. Er hörte es deutlich an dessen verspielten Unterton. Außerdem passte es zu dem Schalk, der einem ständig im Nacken saß. Es war daher passend, die Frage mit einem grummelnden Laut, den man als „Hmpf“ deuten konnte, zu beantworten und Loki damit ein begeistertes Kichern zu entlocken. „Also, könntet ihr mir etwas über Thoth-sama erzählen?“ Thor wurde ungeduldig. Irgendeiner von seinen Klassenkameraden musste doch etwas über den Ägypter wissen. Etwas, das ihm klar machte, wieso sein Lehrer so darauf bestand, ihm nicht bei der Lösung seines Problems zu helfen. „Thoth Caduceus war einst der Berater von Osiris, dem Bruder des Mannes, den man als seinen Vater bezeichnen könnte. Sein Vater hat Osiris umgebracht und als Osiris' Sohn Thoth Caduceus Vater zur Verantwortung zog, war es Thoth Caduceus persönlich der das Urteil über seinen Vater verhängte. Es war eine unabsehbare Tatsache, dass Thoth Caduceus früher oder später unparteiisch aber gerecht über den Streit urteilen musste und dass er irgendwem damit in den Rücken fallen musste.“ Seite um Seite blätterte Tsukito in seinem Buch um, während er den anderen erzählte, was er über ihren Lehrer wusste. Erstaunen lag in den Gesichtern der anderen, doch Thors Miene blieb beständig wie immer. Sie zeigte nichts von dem, was er durch Tsukitos Worte verstanden hatte. Er und sein Lehrer waren sich gar nicht so unähnlich. Thoth hatte schon eine schwerwiegende Entscheidung getroffen, um der Gerechtigkeit seinen Dienst zu erweisen. Er selbst würde das in ferner Zukunft noch machen. Die Frage war nur inwiefern? Niemand konnte ihm dann diese Entscheidung abnehmen. Kein Wissen der Welt könnte ihm helfen sich zwischen seinen Freunden zu entscheiden oder selbst zum Speer zu greifen, der Baldr daran hindern konnte die Welt dem Erdboden gleich zu machen. Er musste seinen eigenen Weg finden, so wie es ihm Thoth aus seiner Erfahrung heraus geraten hatte. Denn mit Sicherheit hatte auch der Ägypter in der Vergangenheit mit allem Wissen der Welt versucht, dass Unausweichliche zu verhindern. Kapitel 2: Mondaugen (MoonLightshipping) ---------------------------------------- Die Schulglocke, die auf den Namen Thoth hörte, hatte geläutet und den Unterricht beendet. Es war Zeit für die Club-Aktivitäten. „Baru-Baru! Tsuki-Tsuki, kommt ihr? Wir müssen über das kommende Sportfest reden.“ Fröhlich wie immer, ging Apollon auf Baldr und Tsukito zu. Sie hatten in der Tat den Tag zuvor vereinbart alles über das Ereignis, das die Menschen „Sportfest“ nannten zu lernen. Sie hatten in einer sehr spontanen Nacht und Nebelaktion, in der Yui ihnen wieder einmal Geschichten über das menschliche Schulleben erzählt hatte, beschlossen kurzfristig ein Sportfest zu veranstalten. „Mit Schweiß, Blut und der Kraft der Jugend, erschaffen wir Erinnerungen an unsere Freundschaft, die uns ein Leben lang begleiten werden. Oh ja, das werden sie.“ Unter diesem Motto hatte Apollon der Gruppe den Vorschlag für ein Sportfest gemacht und damit wieder einmal unter Beweis gestellt, dass er in seiner Begeisterung gerne dazu neigte Dinge zwar auf den Punkt zu bringen, es aber mit falschen Worten zu untermauern. Nachdem aber alle begeistert dem Vorschlag zugestimmt hatten, war der Schülerrat in die Vorbereitungsphase gegangen. Den Tag zuvor hatten sie alle nötigen Bücher besorgt und die wichtigsten Informationen aus diesen entnommen, um das Sportfest zu einem Erfolg zu machen. Heute wollten sie darüber debattieren, welche Wettbewerbe sie ausführen wollten, denn als einzige Klasse die wirklich ihren Abschluss machen würde, konnten sie nicht gegen die Feen die einfach nur in ihrer Statistenrolle existierten um das Schulgebäude zu füllen und zu beleben, antreten. Zusammen mit Baldr und Tsukito machte sich Apollon auf dem Weg ins Zimmer des Schülerrates. Sie hatten viel zu tun. Immerhin sollte in schon einer Woche das Sportfest stattfinden. **~~** Stille herrschte im Zimmer des Schülerrates. Nur das Rascheln von Papier, wenn die Seite eines Buches oder Schreibblocks umgeblättert wurde, durchbrach diese mit Erfolg. Konzentriert sahen die drei jungen Götter auf ihre Notizen, bis schließlich Tsukito ein Buch über verschiedene Spiele zuschlug. „Was ist los Tsuki-Tsuki? Brauchst du Hilfe?“ Hilfsbereit wie immer, und wahrscheinlich weil ihm seine eigenen Bücher zu langweilig waren, legte Apollon seine Aufmerksamkeit auf Tsukito, der müde den Kopf schüttelte. Er merkte nicht einmal, dass er auch Baldrs Aufmerksamkeit hatte und dass dieser bereits bemerkt hatte, wie blass der Mondgott war. „Ich muss schnell zu Kusanagi Yui, bevor sie mit Totsuka Takeru ins Clubcamp geht.“ Verwundert sahen sich Baldr und Apollon an. Sie fragten sich, was in dem Kopf des ruhigen Japaners vor sich ging und was für Probleme er hatte, die er mit ihnen nicht gemeinsam, dafür aber mit Yui lösen konnte. Um aber hinter dieses Geheimnis zu kommen, hatten sie keine Zeit, denn obwohl Tsukitos Handeln eher stoischer Natur war, konnten sie nur noch sehen, wie er durch die Tür ging und sie alleine zurückließ. **~~** Die Stunden waren vergangen und Tsukito war seit seinem Aufbruch nicht mehr zurückgekommen. Baldr und Apollon hatten einige wichtige Themen abgearbeitet, bei denen Tsukitos Hilfe nicht notwendig war, doch nun hingen sie fest. Sie konnten nicht alles ohne den Japaner entscheiden, weswegen der Gott des Lichtes und der Gott der Sonne entschieden hatten, dass eine Pause abwechslungsreich wäre. „Baru-Baru, was magst du trinken?“ Apollon hatte sich von seinem Platz erhoben und wollte gerade zur Tür gehen. Der kleine Miniladen, indem sie immer bekamen was sie gerade brauchten, hatte sicher noch auf und er wollte für eine kleine Erfrischung sorgen. „Sag, Agana Belea, mag Totsuka-san mich nicht? Seit der Sache mit Loki und Yui-san scheint er mir aus dem Weg zu gehen. Habe ich... was falsch gemacht? Hätte ich Loki mehr zur Rechenschaft ziehen sollen?“ Verwundert hob Apollon eine Augenbraue. Hinter dem lächelnden Gesicht Baldrs verbargen sich mehr Gedanken, von denen Apollon nichts geahnt hatte. Apollon selbst hatte nichts davon bemerkt, dass Tsukito dem Norden aus dem Weg ging. Er verhielt sich normal, für seine Verhältnisse. „Mach dir keine Sorgen, nur keine Sorgen, Baru-Baru. Du kennst doch Tsuki-Tsuki. Du kennst ihn doch. Er hat sicher nicht bemerkt, dass du dir um so etwas Sorgen machst. So wie er nicht merkt wenn er müde ist oder Essen braucht.“ Aufmunternd lächelte Apollon seinem Klassenkameraden entgegen, der ihn betreten ansah. „Frag ihn doch einfach, Baru-Baru. Er wird dir sicher erklären, dass das alles ein Missverständnis ist. Genau das wird er tun.“ Baldr dachte kurz über den Vorschlag Apollons nach. Der Sonnengott hatte recht. Wenn er schon ihm nicht glaubte, musste er wohl Tsukito persönlich fragen. Der Japaner konnte ihm das sicher alles erklären. „Ich werde ihn gleich suchen gehen. Danke.“ Es hatte gut getan mit Apollon zu reden. Auch wenn er nicht immer der Hellste war, so wusste er doch, wie er einen Kameraden aufmuntern und doch den einen oder anderen guten Rat mitgeben konnte. **~~** Baldr hatte wirklich jeden Stammplatz von Tsukito aufgesucht, doch das Mitglied des Schülerrates blieb verschwunden. Erneut beschlich Baldr das Gefühl, dass Tsukito ihm aus dem Weg ging und deswegen die üblichen Plätze mied. Sie hatten einander in der ganzen Zeit immerhin besser kennengelernt und wussten um die Eigenarten der anderen Bescheid. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass er und Tsukito miteinander sprachen, denn er wollte den genauen Grund wissen, warum ihm der Japaner aus dem Weg ging und deswegen sogar gewillt war von seiner Gewohnheit abzuweichen. Da Tsukito weder in der Bibliothek noch in einem der Klassenzimmer war, neigten sich alle Möglichkeiten langsam dem Ende entgegen. Takeru konnte er auch nicht fragen, der war immerhin mit Yui auf dem Ausflug. Er konnte somit niemanden fragen, denn wenn er das so recht bedachte, waren er, Apollon, Yui und Takeru die einzigen engen Kontakte die Tsukito zu haben pflegte. Baldr entschied, dass es nicht viel bringen würde, wenn er weiter nach dem Japaner suchte, ohne auch nur eine Ahnung zu haben was in seinem Kopf vor sich ging. Er wollte schon die Suche abbrechen und hatte entschieden Tsukito am nächsten Tag zu fragen, als er im Gang Usamaro sah. Dunkel erinnerte sich der Norde daran, dass dieser Hase ein treuer Begleiter Tsukitos war und ihn immer an den seltsamsten Orten und zu den merkwürdigsten Gelegenheiten zu finden schien. Vielleicht, so dachte Baldr, war der Hase wieder auf der Suche nach dem Japaner. Baldr hatte somit nichts zu verlieren, wenn er dem Haustier des Mondgottes folgte. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit würde dieses ihn zu Tsukito führen. Der Hase hatte viele Umwege auf sich genommen und war schließlich auf den Weg zum Eingang der Lernanstalt. Baldr ließ bereits alle Hoffnung fahren und glaubte, dass der Hase wohl nur seine Freiheit genoss und seinen Instinkten folgte. Mit Sicherheit war der Haupteingang der letzte Ort, an dem Tsukito sich befinden würde. Nachdem er vor gut fünf Stunden seinen Bruder und Yui verabschiedet hatte, gab es für ihn keinen Grund länger vor Ort zu bleiben. In seinen Gedanken versunken, folgte Baldr dem Hasen dennoch, auch wenn ihm schleierhaft war wieso. Doch schließlich entdeckte er in der Ferne etwas auf dem Boden liegen. Ohne inne zu halten, hoppelte Usamaro auf den am Boden liegenden Körper zu und Baldr dämmerte, wer dort lag. Panik ergriff den Norden, als diese Gewissheit ihm immer klarer wurde und der Körper vor ihm deutlicher als Tsukito zu erkennen war. Der Japaner war noch blasser als zuvor. Leichenblass. Baldr bekam Panik, denn er sorgte sich darum, dass Tsukito in seinem menschlichen Körper ein großes Unheil widerfahren war. Ängstlich sah er sich um und entdeckte Hades zusammen mit Dionysos aus dem Schulgebäude kommen. „Kommt schnell her und helft mir!“, rief er ihnen mit panischer Stimme entgegen. Seine Worte signalisierten den beiden Griechen, dass es sich wirklich um einen Notfall handelte, denn Baldr so ausgebracht zu sehen, war ein seltener Anblick. Sofort folgten sie ihm, zu dem am Boden liegenden Körper, der besorgt aber sanft von Usamaros Nase angestupst wurde. **~~** Der Schleier der Dunkelheit wich von seinen Augen, als sein Geist wieder zurück in die Gegenwart fand. Es war alles so unglaublich schnell gegangen. Er erinnerte sich noch daran, wie er Yui und Takeru verabschiedet hatte. Ihm war schwindlig gewesen, weswegen er sich an das Tor geklammert hatte. Als sein Bruder und das Menschenmädchen außer Sichtweise gewesen waren, hatte er sich von dem Tor gelöst und wollte zurück zu Apollon und Baldr gehen. Seine Beine hatten aber nicht mitgemacht, genauso wenig wie sein Geist. Er war zusammengebrochen, dem Hier und Jetzt entglitten und in einen schlafähnlichen Zustand übergegangen. Dennoch ging es ihm, nachdem sein Körper geruht hatte nicht besser. Sein Kopf schmerzte. Metaphorisch hätte er den Schmerz verbildlicht, indem er gesagt hätte, dass sein Bruder und Loki ihr Unwesen in diesem trieben. Mühsam richtete sich Tsukito auf. Sein Körper fühlte sich an, als wäre jeder einzelne Knochen mit Blei gefüllt. Genau so, wie er es in den Büchern gelesen hatte. Es war eine Erfahrung, die interessant und unangenehm zugleich war. Er war dennoch froh, sie machen zu können, um seine Studien über die Menschen zu komplementieren und dem Ziel des Absolvierens der Schule näher zu kommen. Ein Murren neben ihm riss ihn aus den Gedanken. Verwundert darüber sah er neben sich, in der Erwartung seinen Bruder zu sehen, auch wenn er nicht wusste, warum er wieder hier war. Doch da saß nicht Takeru auf einem Stuhl, mit dem Oberkörper auf seinen Bett liegend. Es war Baldr. Takeru war also doch noch im Camp. Doch warum war Baldr hier? Vorsichtig, um den Norden nicht zu wecken, richtete sich Tsukito auf und fühlte einen Lappen von seiner Stirn in seinen Schoß gleiten. Er tastete nach dem körperwarmen Stoff, der klamm war. Hatte sich Baldr um ihn gekümmert und so Takerus Platz eingenommen? Warum? Tsukito verstand es nicht. In den Büchern die er gelesen hatte, stand immerhin geschrieben, dass diese Erkältung von selbst vorbeiging. Wozu also Zeit verschwenden und an seinem Bett wachen? Nachdenklich sah Tsukito zu Baldr, dessen Gesicht durch das Licht des Mondes beschienen wurde. Eine seiner langen Strähnen hing ihm ins Gesicht und Tsukito streckte die Hand danach aus. Behutsam strich er diese Strähne weg, berührte die weiche Haut des Norden und bewunderte das Spiel des Mondlichts mit dem natürlichen Leuchten, das Baldr scheinbar immer umgab. Noch nie hatte er so eine schöne Verbindung gesehen, was seltsam war, denn schließlich hatte er vor ihrer Schulzeit auch jeden Abend den Mond und damit auch sein Licht betrachtet. Doch seit er nun auf dieser Schule war, und der Mond schien hier nicht anders, erkannte er etwas, das ihm zuvor verborgen geblieben war. Oder, war es vielleicht Baldr, der dem Licht des Mondes ein besonderes Strahlen gab? Baldr wurde von dem Hauch einer Berührung aus seinen Träumen gerissen. Er war enttäuscht von sich, als ihm bewusst wurde, dass er wohl eingeschlafen war. Müde erhob er seinen Oberkörper vom Bett und blinzelte, damit seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Erst undeutlich, doch dann in immer schärferen Konturen nahm er die sitzende Silhouette Tsukitos wahr. Der Mondgott war aufgewacht und hatte seinen Blick zu dem Fenster gewandt, von dem aus er einen guten Blick auf den Mond hatte. Baldr folgte seinem Blick und schätzte anhand der Lage des Himmelskörpers, dass es schon weit nach Mitternacht war. Aber das war nicht das, was er gerade so bewunderte. Es war der Mond, der so mysteriös und doch strahlend war. Genauso wie Tsukito. „Mir ist nie zuvor aufgefallen, wie schön der Mond bei sternenklarer Nacht ist“, gestand er, wissend dass Tsukito ihm zuhörte. Es sollte ein Kompliment für den Mondgott sein, der immer dafür garantierte, dass sie alle diesen Anblick genießen konnten. „Es ist seltsam... Er hat sich nicht verändert und doch, ist etwas anders...“, gestand Tsukito gedankenverloren und sah weiter den Mond an, der Millimeter für Millimeter über den Himmel wanderte. Fragend sah Baldr zu Tsukito. Seine goldbraunen Augen waren wehmütig auf die silberne Perle des Abendhimmels gerichtet. Sie wirkten so traurig und weltfremd. „Erst seit ich hier bin, ist der Anblick des Mondes etwas Besonderes für mich. Sein Licht ist wärmender. Hast du etwas damit zu tun, Baldr Hringhorni?“ Baldr verstand was Tsukito meinte. Er hatte schon viel Licht in der Welt gesehen. Immerhin war er der Gott des Lichtes, aber das Licht des Mondes war besonders. Anders als sein Fluch, der ihm vor allem schützte, fühlte er sich, beschienen vom Mond, wirklich geborgen. „Ich habe nichts damit zu tun, Totsuka-san. Ich denke, diese Schönheit, diesen besonderen Anblick, verdanken die Menschen dem Gott des Mondes. Und in angenehmer Gesellschaft, das habe ich hier gelernt, wird alles viel besser.“ Angenehme Gesellschaft. Tsukito wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah auf die Decke, die seinen Körper umhüllte. Genoss er diesen Anblick, weil er Baldrs Anwesenheit als angenehm empfand? Machte Baldrs gegenwärtige Nähe diesen Moment zu etwas Besonderen? Schweigend blickte Tsukito zu Baldr auf, der ihn freundlich anlächelte. Der Norde erhob sich von seinem Platz und legte vorsichtig seine kühle Hand auf Tsukitos Stirn. Es war ein angenehmes Gefühl, ein wohliges, dass seinen Körper erfüllte und ihn sogar die Kopfschmerzen vergessen ließ. „Dein Fieber scheint gesunken zu sein, Totsuka-san. Mit mehr Ruhe, geht es dir morgen früh sicher wieder besser und wir können wieder zusammen in den Unterricht gehen.“ Lächelnd sah Baldr seinen Kameraden an, der keine Miene verzog. Und dennoch, Baldr erkannte in seinen Augen, dass er dieses Lächeln erwiderte. „Deine Augen leuchten wie der Mond...“, wisperte Tsukito und beugte sich zu Baldr vor, der nicht damit gerechnet hätte, dass sein Kamerad diese Nähe suchen würde. Tsukito hatte von solchen Momenten gelesen und sie sollten doch alles über die Menschen lernen. Am besten lernte es sich über die Praxis. Sanft legte er seine Lippen auf die des Norden. Sie fühlten sich weich an, schmeckten nach erfrischendem Schnee und gaben ihm das Gefühl von wohliger Sicherheit. Kapitel 3: Es ist angerichtet (Foodshipping) -------------------------------------------- Der Winter war genauso schnell vergangen, wie er gekommen war, was nur davon zeugte, dass Zeus die Kälte wohl nicht ertragen hatte, oder sich einfach an der immer unpassenderen Kleidung seiner Schüler erfreuen wollte. Doch dieser Wechsel der Jahreszeiten, der stark an die Stimmungsschwankungen einer schwangeren Frau erinnerten, war bereits alltäglich für die Schüler der Götterschule. Nach den wenigen Tagen der Kälte, waren sie sogar froh darüber, dass die Temperaturen etwas anstiegen und Loki und Takeru die Chance verwehrt blieb, weiterhin mit gefrorenem Wasser zu werfen. Die Wahrscheinlichkeit dass ein gewisser Gott der Unterwelt jetzt noch von Schnee getroffen werden konnte, war somit minimal. „Ist das nicht schön, wie die Bäume so blühen? Das ist doch schön!“, rief Apollon begeistert, der tänzelnd über die Allee lief, die zu dem Schulgebäude führte. Die Bäume blühten in einem angenehmen Rosa, dass die grünen Sträucher überstrahlte und in Yui ein Gefühl auslöste, dass sie bis zu diesem Moment ignoriert hatte. Heimweh. Sie erinnerte sich an ihr Zuhause im Frühling. Die Kirschblüten im Tempel waren immer die schönsten und sie genoss jeden Moment, wenn sie mit ihren Freunden und der Familie unter ihnen saß und gemeinsam aß, trank und lachte. „Yousei-san? Ist alles in Ordnung?“ Apollon hatte sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte, als er in das Gesicht seiner Freundin sah, deren Lächeln von einem Moment zum anderen verschwunden war. Er kannte das Mädchen nicht so betrübt und er wollte sie, nach allem was sie für die Götter hier getan hatte, auch nicht traurig sehen. „Nein, nein. Es ist nichts. Ich habe nur gerade an mein Zuhause gedacht. Im Frühling haben wir immer zusammen die Kirschblüten bei mir angesehen. Ich vermisse meine Freunde und Eltern etwas.“ Yui bemühte sich um ein Lächeln, um den Gott nicht länger zu beunruhigen, doch so wirklich wollte ihr das nicht gelingen. Sie vermisste ihr Zuhause einfach viel zu sehr. Sie fragte sich, ob ihre Eltern sie vermissten, oder ihre Freundinnen. Immerhin war sie schon eine lange Zeit verschwunden, ohne eine Spur. Schweigend liefen Yui und Apollon zum Schulgebäude. Sie mussten sich beeilen, wenn sie pünktlich zum Unterricht wollten. **~~** Apollon war froh, dass er es zusammen mit Tsukito und Baldr geschafft hatte wirklich alle seine Klassenkameraden im Zimmer des Schülerrates zu versammeln. Alle, bis auf Yui, die vom Heimweh befangen nicht mehr gelächelt hatte. Er war nicht der Einzige, dem das sofort aufgefallen war. Auch Baldr hatte sich um das Mädchen gesorgt und sofort dem Plan des Sonnengottes zugestimmt. Nur dem Gott des Lichtes verdankte er es wohl, dass sowohl Loki als auch Thor auf ihre Clubaktivität des Nach-Hause-Gehens verzichteten und sich nun mit dem Rest auf der großen Couch tummelten. „Nun sag schon, Ahollon, warum sind wir hier? Baldr meinte, es ginge darum Koneko-chan wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Können wir nicht einfach Thoths Monokel am Rand schwärzen? Das ist sicher sehr witzig. Stellt euch nur sein Gesicht vor mit diesem schwarzen Ring ums Augen.“ Begeistert über seinen Plan lachte Loki leise, doch er verstummte als Baldr ein mahnendes „Loki!“ in den Raum warf und Thor ihn mit freundschaftlicher Härte in die Seite knuffte. „Wir machen was ganz Tolles. Etwas kalos Tolles! Wir feiern das Hakama, ein Fest, bei dem man mit Freunden und Familie die Kirschblüten in ihrer Blüte bewundert, zusammen isst und trinkt und ganz viele schöne Erinnerungen macht! Viele schöne Erinnerungen.“ Mit seiner überschwänglichen Begeisterung und einem Bild aus einem Magazin zu sehen war, das er den anderen präsentierte, versuchte er etwas von seiner Energie – wortwörtlich - auf die anderen zu übertragen. Er bemerkte nicht einmal die Blicke seiner Kameraden, die ganze Bände sprachen, denn in gut lesbaren, japanischen Schriftzeichen, die ein jeder Gott eigentlich beherrschen sollte, schon allein wegen der göttlichen Kommunikation zwischen ihren Welten, stand das Wort „Hanami“ geschrieben. „Apollon Agana Belea, du meinst wohl das Hanami“, stellte Tsukito monoton fest und fixierte den Sonnengott mit ausdruckslosem Blick, doch Apollon ließ sich in seiner Euphorie nicht bremsen und nickte nur. „Ja, so nennt man es auch. Es wird auf jeden Fall ganz toll. Jeder von uns wird etwas zu Essen mitbringen, wir werden Dee-Dees leckeren Saft trinken, ganz viel gemeinsam singen und noch viel mehr. Ganz viel mehr.“ Noch immer schienen die anderen Götter nicht so angesteckt, oder begeistert von Apollons Vorschlag zu sein. Zumindest sprach die Stille im Raum nicht gerade dafür, dass man ohne Weiteres dem Hanami zustimmen würde. Apollon merkte, dass er so nicht weiterkam, weswegen er Hilfesuchend zu Tsukito und Baldr sahen, die immerhin auch im Schülerrat saßen und auch etwas für Yui tun konnten. „Wir dachten, dass wir vielleicht ein kleines Barbecue machen könnten. Loki, magst du uns nicht helfen? Du wärst der Star des Tages.“ Unschuldig lächelte Baldr seinen besten Freund an, der hellhörig wurde. Das Wort „Star“ klang wie Musik in seinen Ohren. Noch dazu kannte er sich mit Feuer und damit auch mit Barbecues aus. Alle würden ihm danken, wenn sie satt und zufrieden waren. Ihm, nicht Apollon oder jemand anderem. „Versuchen wir es~ Sicher können wir viel Spaß gemeinsam haben“, verkündete Loki grinsend. Er merkte nicht einmal, dass Baldr gezielt das Wort „Star“ benutzt hatte, um ihn zu überzeugen. Natürlich war auch das der Katalysator, warum Takeru auf einmal zustimmte. Vor Loki wollte er sich nicht die Blöße geben, zumal er wusste, dass auch Hades, Thor und Dionysos mitziehen würden. Er wollte da nicht der einzige Miesepeter sein. **~~** Thoths Augenbraue zuckte bedrohlich, als er den Antrag auf ein Fest namens Hanami in den Händen hielt. Mit seinem dümmlichen Grinsen sah Apollon ihn erwartungsvoll an. Als Lehrer musste er diesen Wisch, der besagte, dass sie für die Vorbereitung des Hanamis früher Schluss bekamen, absegnen. „Ihr lernt nie etwas, wenn ihr schon wieder ein Fest feiert“, murrte der Ägypter und sah, wie das Lächeln Apollons schwand. Scheinbar hatte der Sonnengott bereits ein „Nein“ aus seinen Worten herausgehört, ein Wort, dass Thoth dieses Mal wirklich aussprechen wollte. Immerhin war das Hanami, nach seinem Wissensstand, kein Fest, sondern viel mehr eine japanische Ausrede um Sake zu trinken und Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen. Aus seiner Sicht konnten die jungen Götter nichts von diesem Hanami lernen, denn dazu hatten die anderen Feste bereits gedient. Zum Lernen. „Bitte, Thoth-sensei! Yousei-san ist so unglücklich. Sie vermisst ihre Eltern und Freunde. Wir wollen sie wieder zum Lächeln bringen. Bitte erlauben Sie unser Hanami.“ Ernst fixierte Apollon den Gott des Wissens, der erst jetzt verstand, wozu der Kindergarten wieder eine Feier ausrichten wollte. Anders als zuvor, dachte er nun aber gründlicher über das Hanami nach. Heimweh konnte zu einer schlimmen Krankheit werden, wenn man nichts dagegen tat. Sicher lag es nicht in Zeus' Interesse, wenn das Menschenmädchen unheilbar krank wurde. Er hatte damit keine andere Wahl. „Macht doch, was ihr wollt...“, murrte er, während er einen silbernen Schreiber nahm und den Antrag unterschrieb. Auch wenn der Sonnengott glaubte, dass Thoth immer noch nicht zu 100 Prozent einverstanden war, sagte die Unterschrift auf dem Antrag, mit dem er sich bei einem Fehlschlag zur Zielscheibe Zeus' machen würde, viel mehr aus. **~~** Yui konnte nicht anders als auf die führende Hand Apollons zu vertrauen, an die sie sich klammerte. Er hatte ihr die Augen verbunden und irgendetwas von einer Überraschung gesagt. Was genau es sein würde, ahnte sie nicht einmal. Sie folgte ihm einfach vertrauensselig wie sie war. Eine andere Chance hatte sie auch nicht. „Wo führst du mich hin, Apollon-san?“ Bis zum Haupttor des Schuleinganges hatte sie den Weg im Geiste rekapitulieren können, doch ab da war Apollon verworrene Wege gegangen. Sie wusste nicht mehr wo sie waren, außer dass es eben noch die Insel war. „Warte nur, warte nur. Das wird eine schöne Überraschung für dich. Eine sehr schöne.“ Yui hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen. Noch dazu wusste sie ja, dass der Schülersprecher dafür sorgen würde, dass sie sicher ans Ziel bringen würde. Weit konnte es nicht mehr sein, zumindest verrieten ihr das ihre Sinne. Es roch plötzlich nach frisch gebratenem Fleisch mit würziger Marinade, es wurde lauter und lebhafter. „In Ordnung, Yousei-san. Nun kannst du hinsehen. Jetzt kannst du.“ Neugierig, wohin Apollon sie geführt hatte, zog sich Yui die Augenbinde ab und erkannte, nachdem sie einige Male geblinzelt hatte, eine große Picknickdecke, auf der alle ihre Freunde, abgesehen vom Sonnengott, Platz genommen hatten. Sie saßen gemütlich unter einem blühenden Kirschbaum, dessen Blätter schon etwas die Decke mitsamt Allem, was darauf saß und stand verzierte. „Komm her~ Koneko-chan. Ich habe hier einen köstlichen Fleischspieß für dich.“ Als wollte er Yui mit dem aufgespießten, gebratenen Fleisch locken, was ohne Frage bei Baldr besser funktioniert hätte, winkte er mit dem gegrillten Nahrungsmittel. Sprachlos sah das Menschenmädchen zu den Göttern und schließlich zu Apollon der sie mit einem breiten Lächeln ansah. Yui wusste, dass sie alle gar nicht soviel essen oder trinken konnten, wie auf der Decke, auf der sie alle saßen, stand. Kulinarisch konnte sie sich durch alle hier versammelten Kulturen probieren und dabei würde es auch nur bleiben, denn mehr als ein paar Bissen passten nicht in ihren Magen. „Apollon-san, was ist eigentlich das hier?“, fragte sie und hob etwas Ovales hoch, dass von einem goldbraunen Teigmantel umhüllt war. Sie wollte nicht riskieren in etwas zu beißen, was sie nicht kannte, denn dank Loki hatte sie ihre Zunge um ein paar Geschmacksnerven erleichtert. Zumindest fühlte sie sich seit dem scharfen Cranberrykompott immer noch taub an. „Das? Uhm... Gute Frage. Eine sehr gute. Onkel Hades, was ist das?“ Fragend sah Apollon zu seinem Onkel, der von seinem Becher Ambrosia aufsah und sich genau betrachtete was Yui in der Hand hielt. „Ich hab kei-“ „Nordisch ist das nicht, Yui-san.“ Hades hatte seinen Satz nicht ausgesprochen, als ihm auch schon Baldr ins Wort fiel. „Ich weiß auch ni-“ „Mh~ griechisch ist es auch nicht. Und wenn Yousei-san es nicht kennt, ist auch nicht japanisch. Ganz bestimmt nicht.“ Ein Seufzen kam Hades über die Lippen. Auch wenn man nach seiner Meinung gefragt hatte, war es aufgrund seines Fluches egal, was er sagen wollte, denn es würde ihm niemand zuhören. „Was ist es aber dann? Und wer hat es mitgebracht? Wer?“ Apollons Blick streifte durch die Runde, aber keiner gab ihm deutliche Zeichen dafür, dass er verantwortlich für diese unbekannte Speise waren. „Ne~ Thor-chin, wo ist eigentlich das Cranberrykompott?“ Yui horchte auf, als Loki, an Thor gewandt, nach der Schüssel des scharfen Kompottes fragte, die vor wenigen Minuten noch vor ihm gestanden hatte. Nun war sie verschwunden. Stattdessen stand dort eine Servierplatte mit gerösteten Maiskolben. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht, denn obwohl die Vielfalt an Speisen mächtig gewesen war, konnte sie sich nicht an die Maiskolben erinnern. „Anii, hast du das Sambal Oelek Hähnchenfleisch alleine gegessen?“ Die Verwirrung wurde nicht weniger. Yui sah zu den beiden Brüdern und einer leeren Platte, auf der einst mit Sambal Oelek, einer scharfen Paste, marinierte Hähnchenstücke gelegen hatten, doch nun war die Platte leer und schien sogar saubergeleckt worden zu sein. „Was ist das für ein Salat... sieht seltsam aus.“ Egal wohin Yui sah, es verschwanden diverse scharfe Speisen und wurden förmlich gegen andere, unbekannte ausgetauscht. Es ging nicht mit rechten Dingen zu. „Ich habe diese Speisen heute schon einmal gesehen...“, ergriff Tsukito das Wort. Er hatte sich das Treiben nun lange genug angesehen und immerhin verstanden zu welcher Kultur die plötzlich aufgetauchten Lebensmittel in ihrer Art der Zubereitung entsprungen waren. „Thoth Caduceus hatte sie auf seinem Platz dort hinten stehen.“ Mit ausgestrecktem Arm verwies Tsukito in die Richtung, in der, nicht unweit von ihnen, ihr Lehrer mit einem Buch in der Hand saß. Yui hatte diesen gar nicht bemerkt, weil sie viel zu sehr auf die anderen fixiert gewesen war. Noch dazu war die Entfernung des Ägypters nicht unerheblich dafür, dass man ihn so leicht übersehen konnte, als wäre er der näher sitzende Hades. „Ich gehe Thoth-sama fragen, was das hier ist.“ Da Yui nun alle nötigen Informationen über die fremden Speisen hatten, oder zumindest wusste, wer ihr erklären konnte, was es war, erhob sie sich von ihrem Platz und lief in Richtung ihres Lehrers. „W-Warte, Yousei-san!“ Auch Apollon stand auf und setzte Yui nach, doch er blieb nicht der Einzige. Gott für Gott erhob sich mit einem mehr oder weniger plausiblen Grund von seinem Platz und machte sich auf dem Weg zu ihrem Lehrer. „WARTET!“, rief Baldr, der Loki folgen wollte, weil er befürchtete, dass dieser den Lehrer für den Diebstahl des Cranberrykompottes verantwortlich machen wollte. Doch unkoordiniert wie der nordische Gott war, stolperte er über seine Füße und legte sich der Länge nach auf die Decke. **~~** Vorsichtig lugte Anubis hinter dem Baum hervor, hinter dem er sich vor den anderen versteckt hatte. Er fragte sich, warum Thoth darauf bestanden hatte mit den anderen Zeit zu verbringen und ihr Essen mit ihnen zu teilen. Er hatte immer wieder versucht zu teilen, zumindest hatten die Speisen, die er von Thoth bekommen hatten, auf dem Platz der anderen Götter gefunden. Doch diese waren nun nicht mehr da, einfach weggelaufen. Anubis blickte etwas beleidigt zu den nicht angerührten Kolslo und den von Yui zuvor gehaltenen Kükenaugen. Alles köstliche Speisen aus seiner Heimat, die die anderen verschmähten. „Bara...“, murrte er leise und kam hinter seinem Versteck hervor um sich noch die anderen Köstlichkeiten der anderen Kulturen anzusehen. Das scharf gewürzte Hähnchen und auch das Cranberrykompott waren in einer einzigartigen Verbindung miteinander richtig gut gewesen und vielleicht hatten auch die Griechen etwas, dass seinem Gaumen mundete. Vom Saft den er einst von Dionysos stibitzt hatte, war er bereits überzeugt. Vielleicht taugte auch deren Essen etwas. Neugierig kroch der Ägypter näher an die griechischen Speisen heran und nahm sich schließlich ein gefülltes Weinblatt, an dem er vorsichtig schnupperte, doch der Geruchstest befriedigte seine Neugier nicht im Geringsten. Er hatte keine andere Wahl, als diese gefüllten Blätter zu probieren. „Kah Bara Kah“, murmelte Anubis und biss vorsichtig ein großes Stück von dem Weinblatt mitsamt Füllung ab. Es hatte im Gesamten eine seltsame Konsistenz, doch es war kaubar und das Innere war weich, etwas körnig, wohl Reis mit Oliven vermengt. So genau konnte Anubis das nicht festmachen, weswegen er auf die angebissene Stelle sah. „Au, mein Knie...“ Anubis zuckte zusammen, als er hinter sich eine Stimme vernahm. Er hatte geglaubt, dass alle weggegangen waren. Dabei hatte er den auf der Decke liegenden Baldr übersehen. In einem Anflug von Panik, sah sich der Ägypter in seiner näheren Umgebung um. Er musste sich verstecken, denn wer wusste schon, was der Lichtgott von ihm halten würde. „Und du bist?“ Zu spät. Baldr hatte ihn bemerkt und es gab keine Möglichkeit mehr wegzulaufen. „Keine Angst, ich tue dir nichts.“ Das Lächeln des Lichtgottes wich nicht und Anubis fasste langsam Vertrauen. Der Norde schien ihm nichts zu tun. Im Gegenteil, er erinnerte sich daran, dass er ihn schon öfter gesehen hatte und die Tiere seine Nähe ohne Angst suchten. Mit Sicherheit hätten seine Freunde, die Wesen mit den reinsten Seelen, Tiere, nicht die Nähe von jemanden gesucht, der nicht auch eine reine Seele hatte. „Also, wer bist du?“ Erneut stellte Baldr die Fragen aller Fragen. Anubis ließ ihn nicht aus dem Blick und überlegte. „Bara Bara“, antwortete er schließlich, was in seinen Ohren wie die Worte klang, die er brauchte um seinen Namen „Anubis“ zu sprechen. Dass der Norde ihn nicht verstand, war ihm dabei nicht bewusst, immerhin kannte er nicht viele andere Personen neben Thoth. Und Thoth verstand ihn immer, egal, was er sagte, oder worum es ging. „Du heißt also Bara Bara?“ Kurz schwieg Baldr mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht. Anubis wusste diesen nicht richtig zu deuten und hielt seine vorsichtige Haltung aufrecht. „Magst du etwas Fleisch am Spieß?“ Der ernste Ausdruck war dem erneuten Lächeln gewichen ebenso wie die Vorsicht bei Anubis gewichen war, als er auf das aufgespießte Fleisch sah. Sein Magen knurrte noch und der Duft des ihm hingehaltenen Spießes war einfach nur betörend. Mit noch aufrechterhaltener Vorsicht rutschte Anubis näher an Baldr heran, der ihm immer noch den Fleischspieß entgegenhielt. Er war nur noch wenige Zentimeter von dem Norden entfernt und näherte sich nur noch mit dem Kopf. Ohne weiter nachzudenken, öffnete er den Mund und biss einen Fleischbrocken vom Spieß ab. Nachdenklich kaute Anubis auf diesem herum, versuchte die ganzen Geschmacksnoten mit Hilfe seiner Zunge zu dechiffrieren und einzuordnen ob es ihm schmeckte oder nicht. Erst als er die angenehme Schärfe auf seiner Zunge prickeln spürte, wusste er, dass dieser Fleischspieß perfekt war und griff ohne zu Zögern nach dem Rest. „Kah bara bara!“, jauchzte Anubis freudig und biss einen weiteren Happen ab. **~~** Baldr hatte Anubis gefühlt wirklich jedes Fleischstück, das Loki zuvor gegrillt hatte, probieren lassen. Der Ägypter begeisterte ihn, denn er war so leicht glücklich zu machen. Noch dazu blieb er nur wegen des Essens in seiner Nähe, nicht wegen seiner natürlichen Anziehungskraft. Das war zwar kein Kompliment, aber für Baldr, zu dem jede unschuldige Seele und in der Regel auch andere Götter freiwillig kamen, eine willkommene Abwechslung. „Und das hier ist Lamm. Wie findest du es?“ Baldr war gespannt, was für ein Gesicht Anubis machen würde, denn die Worte des Ägypters verstand er nicht. So musste er sich auf dessen Mimik verlassen. Wie schon zuvor, lächelte der ägyptische Gott ihn an und gab ihm mit dem Wackeln seiner zwei abstehenden Haarsträhnen, die wie Ohren auf Baldr wirkten, zu verstehen, dass das Lamm ebenfalls eine gute Wahl war. „Bara kah bara“, antwortete Anubis ihn strahlend und wartete geduldig darauf, dass Baldr ihm wieder etwas reichte. Der Norde hatte schnell verstanden, dass sein Gegenüber einfach zu schüchtern war, um sich von den anderen Speisen zu nehmen, wenn er hinsah. Zumindest war etwas von dem Sushi verschwunden gewesen, als er sich nach einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit wieder zu ihm gewandt hatte. Natürlich hatte er das nicht thematisiert, denn ein untrügliches Gefühl sagte ihm, dass Anubis schüchtern war. Er wollte ihn nicht noch mehr in Verlegenheit bringen, als es seine Anwesenheit schon tat. „Bara Bara Kah. Kah Bara Kah Bara.“ Erschrocken sah Baldr auf, als der Ägypter sich plötzlich dazu entschied einen unverständlichen Redeschwall zu entfesseln. Mit einem vertrauensseligen Lächeln, sah Anubis den Norden an und hielt diesem einen goldenen Apfel hin. Baldr wusste nicht, woher er diesen genommen hatte, doch Anubis war flink. Er tat immer Dinge, die er nicht sah oder bemerkte, selbst wenn es nur für einen kurzen Augenblick war. Wie er es tat, wusste Baldr nicht, aber es war auch egal. Obwohl Anubis ihm fremd war, vertraute er ihm. Selbst wenn die Farbe Gold für einen Apfel nicht die gesündeste war, dankbar nahm er ihn an, führte ihn sich an die Lippen und biss mit einem Lächeln hinein. **~~** Zeus hatte der Sonne befohlen ihre Bahn fortzuführen und färbte den Himmel in ein warmes rot-orange, dass diesen weiteren Schultag verabschiedete. Baldr saß noch immer auf der Picknickdecke, und auf seinem Schoß lag Anubis, der sich im Schlaf enger an ihn kuschelte. Sanft strichen Baldrs zarte, filigrane Finger durch das schwarze Haar des Ägypters. „Kah Bara Bara“, nuschelte der Schlafende und lächelte dabei glücklich und zufrieden. Er hatte sich wirklich bis zum Äußersten satt gegessen und auch Baldr hatte den ihm gereichten, goldenen Apfel, bis zum letzten fleischig, fruchtigen Bissen verzehrt. Der Atem Anubis war ruhig und stetig. Er schien einen wirklich guten Traum zu haben und den Schoß des Norden als bequemen einzustufen. Anubis machte zumindest keine Anstalten so schnell wieder aufzuwachen, auch wenn die anderen ihn, Baldr, bald vermissen und mit ihm zusammen zum Schlafbereich der Jungen gehen würden. Es war seltsam, denn zum ersten Mal seit Stunden dachte Baldr daran, dass die anderen ihn vergessen hatten. Oder sich zumindest keine Sorgen um ihn machten. Nicht einmal Loki. Der hatte aber wahrscheinlich genug Spaß mit den anderen, dass seine Abwesenheit nicht einmal aufgefallen war. Gedankenverloren strich Baldr durch Anubis' Haar und spürte die ohrenähnlichen Strähnen zucken. Erschrocken fuhr der Ägypter hoch und sah sich aufgeregt um. Wie ein aufgescheuchtes Tier, dass seine Umgebung nun mit allen Sinnen nach einer Gefahr abtastete. Er schien etwas zu wittern, oder viel mehr zu hören, aber er wusste nicht, was er nun in Baldrs Gegenwart tun sollte. „Geh nur. Wir sehen uns sicher wieder“, erklärte Baldr, der verstand was in seinem neuen Freund vor sich ging. Anubis zögerte, denn er wollte nicht einfach gehen, ohne ein Wort, oder eine kleine Geste, die keine große Bedeutung hatte. Angestrengt, ohne dass man es in seinem Blick sah, dachte er darüber nach, was Thoth ihm über die Menschen erzählt hatte. Sie verabschiedeten sich mit Verbeugungen, Umarmungen und Händeschütteln. Aber sie waren keine Menschen. Das wusste Anubis. Sie waren Götter. Demnach hatten die Höflichkeiten der Menschen für sie keine Bedeutung. Außer... Anubis fiel ein, dass es eine Abschiedsform bei den Menschen gab, die auch unter den Göttern weit verbreitet war. Ruckartig richtete sich der Ägypter auf. Er war größer als Baldr und überragte ihn um einige Zentimeter, aber sie reichten, um sich zu ihm vorzubeugen und dem Norden einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. „Bara...“, wisperte er leise, erhob sich von dem Platz und lief so schnell er konnte, den anderen ausweichend, zurück zu Thoth. Baldr musste nicht lange warten ehe seine Freunde und Klassenkameraden zu ihm zurückkehrten. Ihm war klar, dass sie Anubis nicht gesehen hatten, denn der junge Ägypter war im Schutz der Baumstämme weggeschlichen. „Baldr~ Bist du die ganze Zeit hier gewesen und hast das Fleisch aufgegessen? Ich habe dich vermisst. Du hast den ganzen Spaß verpasst.“ Schon von Weitem hörte Baldr seinen besten Freund Loki glücklich rufen. Mit Sicherheit würde er ihm gleich von seiner Zeit mit den anderen und dem ganzen Spaß erzählen. Baldr würde dann interessiert zuhören, auch wenn seine Gedanken woanders waren. Denn er war in Gedanken und bei der Frage, warum er Anubis noch nie zuvor gesehen hatte. Kapitel 4: Was man nicht so alles lernt (Rushshipping) ------------------------------------------------------ „Wie ihr an der unbehaarten Haut sehen könnt, sind die Menschen ungeschützt. Anders als Götter haben sie keine Fähigkeiten, die sie vor wilden Tiere oder anderen Angriffen schützen könnten. Noch dazu sorgt ihr Wärmeempfinden dafür, dass sie sowohl in der Kälte als auch an zu warmen Orten nicht lange schutzlos verweilen können.“ Wie gewohnt von allen Tagen zuvor, zog Thoth auch heute wieder seinen Unterricht durch. Er störte sich nicht sichtlich daran, dass Hades ihm keines Blickes würdigte, Tsukito Wort für Wort mitschrieb was er an Informationen über die Menschen lehrte, und dass Dionysos den Schlaf der Gerechten schlief. Selbst Baldr, der sonst immer so aufmerksam war, glänzte mit allem nur nicht damit, dass er auf den Unterricht achtete. Von den anderen Idioten wollte Thoth gar nicht eh reden. Er musste nicht einmal hinsehen um zu wissen das Loki sich mit irgendwelchem Unsinn profilierte und damit Takeru, der zu seinem Leidwesen hinter ihm saß, auf die Palme brachte. Unruhe stand in diesem Klassenzimmer an der Tagesordnung und egal was Thoth tat, am nächsten Tag würden seine Bemühungen diesen Jungspunden etwas beizubringen erneut zunichte gemacht werden. Die einzigen zwei die seinem Unterricht hingegen folgten, waren der idiotische Spross vom Leiter dieser Schule und das Menschenmädchen, dass seinen Unterricht sowieso als unnötig empfand. Der Gott des Wissens fragte sich immer noch, warum Zeus Hoffnung schöpfte. Die Junggötter waren erbärmlich, leicht zu manipulieren. Sie würden jetzt vielleicht die Herzen der Menschen verstehen, aber über die Zeit würden sie auch diese Lektionen wieder vergessen. „Pst! Thyrsos...“ Bedrohlich zuckte eine Augenbraue Thoths, der die verzweifelten Versuche Baldrs, der Dionysos wecken wollte, bisher ignoriert hatte. „Mach dir keine Mühe. Baldr~ Er wird so schnell nicht aufwachen.“ Auch wenn Thoth keine Augen im Hinterkopf hatte, konnte er vor seinem inneren Auge das breite Grinsen Lokis sehen. „Er schläft immer gut wenn er einen Umtrunk hatte.“ Der Schalk saß förmlich in Lokis Stimme. Thoth war klar, dass der Gott des Lug und Truges einen Witz machte, doch die anderen ließen sich wie gewohnt von seinen Späßen mitreißen und durchschauten sein Narrentum nicht. „War der Saft den du ihm gegeben hast Wein?“ Es war wieder Takeru, der auf die Worte des anderen reagierte und in seinem jugendlichen Leichtsinn zu hitzköpfig wurde. Ruhe würde nicht mehr in diese Klasse kommen. „Loki hat Thyrsos-san Alkohol gegeben!“ „Das gibt sicher Ärger, wenn das der Direktor erfährt.“ Es war einfach sinnlos den Unterricht weiter zuführen, jetzt da die Geister, die als Schüler fungierten, aufgebracht waren. Seine Geduld war am Ende. „Thyrsos!“ Es war der letzte verzweifelte Versuch Baldrs den schlafenden Griechen zu wecken. Genauso war es der letzte Geduldsfaden, der Thoth an diesem Tag, später als gewohnt, riss. „Das reicht! Genug für heute. Der Unterricht ist beendet! Idiot, du kommst mit!“ Ungewohnt bedrohlich klang Thoths Stimme, als er das Buch auf den Tisch knallte und zu Apollon sah, der bereits schlimmes ahnte. **~~** Apollons Arme zitterten unter der Last der Bücher, die ihm Thoth aufbürdet hatte. Selbst jetzt stapelte der Gott des Wissens weitere Bücher auf den schwankenden Turm, dessen einzige Sicherheit ein schwankender Apollon war. „Thoth-sensei... Ich.. Das reicht doch langsam. Es reicht. Ich kann den Stapel nicht mehr länger halten, kann ich wirklich nicht mehr.“ Thoth verzog die Augenbrauen, als er das erbärmliche Gejammer des Sonnengottes vernahm, der bisher die Last der Bücher genauso stumm ertragen hatte, wie er das undisziplinierte Verhalten seiner Kameraden ertrug. „Stell sie auf den Tisch.“ Aus seiner Sicht war er wirklich großzügig. Er hätte den jungen Gott auch noch länger leiden lassen können, doch das Gejammer war unerträglich. Ächzend stellte Apollon seinen Stapel ab und ließ sich auf den Stuhl sinken. Ihm stand die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Erbärmlich, das war das einzige Wort aus Thoths Wortschatz, was gerade den Sonnengott passend beschrieb. „Die waren schwer. Das waren sie“, keuchte der junge Gott und sah zu Thoth, der sich eines der Bücher aus dem Stapel zog und dieses aufschlug. Er bemerkte den fragenden Blick Apollons, der sich wunderte, was der Lehrer von ihm wollte Thoth hingegen nahm sich das Privileg heraus, ihn weiter am Haken zappeln zu lassen. Apollon würde nicht gehen, bevor er es erlaubte. Soviel hatte er über den Sohn Zeus' gelernt. „Du weißt schon, dass du vollständig versagt hast?“ Mit seinen treudoofen smaragdgrünen Augen, sah Apollon zu seinem Lehrer auf, der seinen Blick nicht von dem Buch nahm. Auf diese Weise bekamen seine Worte mehr Tiefe, dachte er zumindest. „Was?“ Es war nur ein Wort. Ein einfaches Wort, das erneut alle Nerven reißen ließ. „Du meinst wohl 'Wie bitte?'“ Obwohl es in Thoths Inneren wie in einem Vulkan brodelte, versuchte er beherrscht zu bleiben. Zeus beobachtete schließlich die ganze Schule und er konnte nicht riskieren, dass dieser seinen einzigen Schwachpunkt nutzte, um ihn an die kurze Leine zu nehmen. „Ja, so kann man das auch sagen, Thoth-sensei.“ Dieses breite Grinsen... Dieses unschuldige breite Grinsen. Wieso musste dieser Idiot so idiotisch sein? Erneut brachte er ihn aus der Fassung und an die Grenzen seiner Beherrschung. „Du bist neben dem Fehlschlag der größte Fehler dieser Schule. Das auch noch als Schülersprecher. Du hast versagt.“ Theatralisch schlug Thoth das Buch zu und bedachte Apollon mit bösem Blick. Doch ihm begegnete nur ein naives paar Augen. Scheinbar wusste der Sonnengott nicht, was er falsch gemacht hatte. Eine Tatsache, die Thoth von Anfang an hätte bewusst sein müssen. „Es ist deine Aufgabe, deine Klassenkameraden unter Kontrolle zu halten. Wenn du das nicht schaffst, hast du versagt.“ Verwunderung blinzelte ihm entgegen. Keine Reue war zu sehen, einfach nichts. „Yousei-san sagte, dass ich auch nicht mehr machen kann. Kann ich nicht. Selbst in allen mir bekannten Büchern steht, dass das nicht meine Arbeit ist.“ Zornig funkelte Thoth Apollon an. Dieser Idiot hatte wirklich Nerven. Er wagte es doch so dreist, ihm, dem Gott der alle Weisheit besaß, zu widersprechen und zu korrigieren. „Raus!“ Mühevoll presste er diese Worte zwischen seinen Lippen vor. Es kostete ihn gerade alle Kraft, vor Apollon seine Beherrschung nicht zu verlieren. Er ertrug den Jungen aber auch nicht länger in seiner Nähe. **~~** Thoth konnte nicht glauben, dass Apollon Recht hatte. In keinem seiner Bücher stand, was genau die Aufgabe eines Schülersprechers war. Zwar gaben seine Bücher wieder, dass dieser wichtige Entscheidungen traf und eine Vorbildfunktion inne hatte, mehr aber auch nicht. Vorbildlich war Apollon allemal. Immer aufmerksam, gewillt zu lernen und hilfsbereit. Diese Punkte hatte Apollon alle erfolgreich abgedeckt. Thoth wollte dennoch nicht glauben, dass es seine Aufgabe war, diese Tunichtgute zur Ordnung zu pfeifen. Er wollte die unlösbare Aufgabe abgeben, denn er hatte bereits genug zu tun und war froh, wenn er Zeit zum lesen fand. „Bara...“ Kurz sah Thoth von seinem Buch auf und sah zu Anubis, der ihm eine kleine Rebe mit Weintrauben entgegenhielt. Er wusste, woher sein Freund diese hatte und mit Freuden nahm er sie deswegen an. Erneut versank Thoth geistig in seinem Buch, blätterte Seite um Seite um, während eine Traube nach der anderen in seinem Mund verschwand. Nichts, es stand einfach nichts über die von ihm gewünschte Funktion des Schülersprechers darin. „Kah Bara!“ Dieses Mal sah Thoth nicht zu Anubis, der ihm eine geschälte Mandarine hinhielt, denn er wusste, dass sein Kleiner sich Sorgen um ihn machte. Mit einem Nicken nahm sich Thoth ein Stück von der Mandarine, zusammen mit einem weiteren Buch. „Kah Kah Bara.“ Wieder wurde Thoth eine Frucht entgegengehalten. Dieses Mal Melonenstückchen. Es gehört fast schon zum Alltag, dass Anubis ihn so zum Essen überredete, oder ihm einfach zeigen wollte, was er für Leckereien gefunden hatte. „Wo hast du das alles nur wieder her?“ Er musste fragen, auch wenn er ahnte, dass es aus Dionysos Garten stammte. Nicht weiter schlimm, wenn es nach ihm ging. „Kah Bara Bara Kah Bara!“, antwortete Anubis wie erwartet. Thoth war klar, dass dem Griechen das nicht gefallen würde, wenn er es mitbekam. Doch das war nicht einmal als Klassenlehrer sein Problem. **~~** Der Abend war gekommen und für Thoth war die Zeit nahe, zusammen mit Anubis zu ihrem Zimmer zu gehen. Er hatte heute genug gelesen, wenn er am nächsten Morgen pünktlich vor der Klasse stehen wollte. „Kah Bara Kah...“, nuschelte Anubis und rieb sich mit dem Ärmel seiner Jacke die Augen. Der junge Ägypter war schon seit dem letzten Buch von Thoth müde gewesen und hatte diesem das auch klar deutlich gemacht. „Wir gehen ja schon...“, murrte Thoth, ohne Anubis eines Blickes zu würdigen. „Bara Bara Kah“, kam es vorwurfsvoll von seinem Freund. Thoth verstand seinen Einwand und Sorge, aber Anubis war ihm geistig nicht ebenbürtig genug um ihm zu sagen, was gut für ihn war und was nicht. „Bara!“ Thoth hatte gerade zu einer Standpauke ansetzen wollen, als der junge Gefährte sich plötzlich hinter einer Säule versteckte und scheinbar versuchte sich mit dem Marmor zu vereinen. Verwundert sah er zu Anubis, der ängstlich um die Ecke, in Richtung Schlafsäle blickte. Thoth folgte seiner Blickrichtung und erkannte den blonden Schopf des idiotischen Sonnengottes. So endete sein Abend alles andere als glorreich. „Thoth-sensei! Ich habe Sie gefunden, ja das habe ich!“ Mit einem breiten Grinsen sah Apollon seinen Lehrer an, was für ihn nichts gutes bedeuten konnte. „Ich habe eben mit Yousei-san gesprochen. Sie sagte, dass es die Aufgabe des Klassenlehrers sei, die Klasse zur Disziplin zu ermahnen. Das sagte sie.“ Thoth brauchte einige Sekunden um zu realisieren, was Apollon eben gesagt hatte. Der Idiot hatte wirklich recherchiert, was seine Aufgabe war. „Wie bitte?“ Etwas drohendes lag in Thoths Stimme, als er Apollon dazu aufforderte, erneut zu wiederholen, was er gesagt hatte. Es war nicht so, dass Thoth nicht verstanden hatte, was sein Schüler gesagt hatte. Er brauchte nur gerade einen Grund um in die Luft zu gehen und zu seinen einmaligen Erziehungsmethoden greifen zu können. „Es ist die Aufgabe des Klassenlehrers Disziplin und Ordnung in die Klasse zu bringen. Genauso ist es!“ Er hatte es wirklich wiederholt. Dieser Idiot war ihm doch tatsächlich in die Falle gegangen. Er konnte seine unbändige Wut an dem Sonnengott auslassen. Ohne weiter darüber nachzudenken, drückte Thoth Apollon gegen die nächstliegendste Säule. „Hör zu, Idiot... Wer von uns beiden ist hier der Gott des Wissens? Wer wird wohl wissen, wer eine Klasse zu leiten hat? Ein naives Menschenmädchen, oder ich?“ Bedrohlich funkelte Thoth Apollon an. Anders als bei Yui, die ihn für gewöhnlich verängstigt ansah, fixierte ihn Apollon mit seinem treudoofen Blick. Er sah nichts in diesen Augen und wusste auch nicht, was seinem Schüler durch den Kopf ging. Und doch erkannte er da etwas. Ein einzelnes, kleines Rädchen, drehte sich in Apollons Kopf und arbeitete. Thoth wusste das, denn er hatte den Jungen in der Klasse lange genug beobachten können. „Das habe ich erst vor kurzem gelesen!“, rief der junge Sonnengott begeistert. Thoth konnte sofort das breite Lächeln Apollons sehen. Es gefiel ihm gar nicht, denn er wusste nicht, was dieser plante und konnte es damit nicht kommen sehen. Er wusste erst was Apollon vorhatte, als sich dessen Lippen plötzlich auf seine eigenen drückten. Thoth war nicht klar, was er davon halten sollte, denn weder seine überaus gut entwickelte Logik, noch der Inhalt der Bücher die er je gelesen hatte, wussten, was in so einer Situation zu tun war oder wie man darauf reagierte. Er wusste ja nicht einmal, was sich der junge Gott dabei dachte. Er konnte erst fragen, als Apollon den Kuss löste und in das errötete Gesicht seines Lehrers sah. „Du...“ In Thoth brodelte es vor Wut, doch erneut zeigte sich keine Angst im sonnigen Gemüt Apollons. Im Gegenteil, er schien besorgt zu sein. „Seltsam, dabei stand da, dass es schön sein soll. Stand es. Hat es euch nicht gefallen, Thoth-sensei?“ Wie naiv konnte dieser Junge sein. Thoth wollte es nicht glauben. Er wollte ihn schlagen, ohrfeigen, ihn genauso in der Ehre kränken wie es Apollon eben getan hatte. „Was soll das?“, presste er gereizt zwischen seinen Lippen hervor. Noch immer hielt er den Jungen gegen die Säule gedrückt, doch dieser sah ihn nur fragend an. „Nun, wenn Menschen ein Problem miteinander haben, und einer den anderen gegen die Wand drückt, küssen sie sich, genau das tun sie. Das habe ich in einem Magazin gelesen, das Loki-Loki mir geliehen hat. Und wenn man alles richtig macht, lösen sich die Probleme und die beiden Menschen werden glücklich. Sehr glücklich.“ Der Rotschimmer auf Thoths Wange wollte nicht weichen. Dieser Junge war einfach nur idiotisch und naiv. So etwas konnte doch nicht funktionieren. Niemals. „Können wir jetzt glücklich werden? Oder habe ich was falsch gemacht und das Problem ist nicht gelöst? Wurde es nicht gelöst?“ Thoth wusste wirklich nicht, wie er auf Apollons Frage reagieren sollte. Er wusste ja nicht einmal, was für ein Heftchen von Loki der Junge gelesen hatte. Damit war ihm auch nicht klar, ob das was der Junge sagte wahr war. Allerdings, wie er Apollon kannte, hatte er es doch wieder falsch gemacht. „Geh schlafen...“, murrte Thoth unzufrieden. Er konnte dieses treudoofe Grinsen nicht mehr ertragen, auch wenn er wusste, dass es ihn bis in seine Träume verfolgen würde. „Aber das Problem mit der Aufgabe des Schülersprechers.“ Hartnäckig war der Junge ja, und auch ein Vorbild. Er erfüllte seine Aufgabe als Schülersprecher, auch wenn er ein verdammter Idiot war. „Kümmer du dich um deine Aufgabe, ich kümmere mich um den Rest und bringe diesem Haufen noch Disziplin bei.“ Auch wenn Thoth nicht mehr zu Apollon sah, konnte er spüren, wie dessen Lächeln breiter wurde. „Versag aber nur einmal darin und... wir führen dieses Gespräch noch einmal.“ Mit einer Handbewegung, die Apollon sicher nicht zu deuten wusste, gab Thoth seinem Freund Anubis, der alles mit angesehen hatte, ein Zeichen, dass sie in ihr Zimmer gingen. Gleichzeitig versuchte er damit zu überspielen, dass er sich selbst nicht sicher war, ob er dieses Gespräch oder die Situation des Kusses noch einmal wiederholen wollte. Kapitel 5: Weindetektiv (Gardenshipping) ---------------------------------------- Nachdenklich sah Dionysos zu dem Gebüsch, in dem er einst eine Kiste voller Saftflaschen gelagert hatte. Wie aber schon damals, als er mit seinen Freunden anstoßen wollte, waren die Flaschen verschwunden. „Nicht schon wieder!“, murrte der griechische Gott erbost und ging auf die Knie. Mit seinem nüchternen, klaren Verstand, ging er in seinem Kopf alle möglichen Tatverdächtigen durch. „Apollon und Onkel Hades sicher nicht... Die Norden waren auf der Bühne und eben in der Mensa. Und die Japaner... Nein sicher nicht.“ In Gedanken rief sich Dionysos den Saftdieb in Erinnerung. Zumindest das, was er von ihm gesehen hatte. Er konnte sich daran erinnern, dass der Saftdieb einen gebräunten Teint hatte. Wie ihr Lehrer. Ein Ägypter also? Dionysos verschränkte die Arme vor der Brust und ging geistig ihre Schülerliste durch. „Vier Griechen... drei Norden... Zwei Japaner... ein Ägypter.“ An seinen Fingern zählte er alle ihm bekannten, anwesenden Götter ab. Es gab nur einen Ägypter. Allerdings, Thoth hatte bei ihrem Theaterstück den Vorleser gemimt. Sie hätten bemerkt, wenn dieser nicht anwesend gewesen wäre. „Allerdings... wenn ich mich recht erinnere...“ Etwas in Dionysos Kopf begann zu arbeiten. Ihm keimte ein Gedanke. Einer dem ihm sein Onkel und Bruder bestätigen sollte. **~~** Nachdenklich sahen Hades und Apollon Dionysos an, der ihnen seinen Fall sehr anschaulich erklärt hatte. Nur zu gut erinnerte er sich an dieses Theaterstück, deren Ausgang alles andere als rosig gewesen war. „Und du glaubst wirklich, dass es Thoth-sensei war? Glaubst du das wirklich?“ Ernst sah Dionysos seinen Halbbruder an, der ihn genauso wie sein Onkel mit einem fragenden Blick bedachte. Natürlich war sich Dionysos sicher, dass es Thoth war. Er hatte ihm schließlich den Schlüssel zu seinem Keller abgenommen. Noch dazu war er der einzige Ägypter in der Götterschule. „Es gab diesen einen Moment, in dem wir seine Stimme nicht gehört haben und zu dem der Saftdieb auf der Bühne war. Es hat auch einige Zeit gedauert, bis der Glasschuh zerbrochen war und wir seine Stimme wieder hörten. Die Zeit hätte gereicht um von der Bühne wieder in die Kabine zu kommen, das habe ich getestet.“ Apollon war sich sicher, dass er seinen Bruder lange nicht mehr so ernst erlebt hatte. Wie ein richtiger Detektiv hatte er seine Untersuchungen angestellt und war zu einem Ergebnis gekommen. Dennoch hatte er Apollon und Hades um ihre Meinung bitten wollen um sich nicht vollständig die Finger zu verbrennen. „Du solltest ihn vielleicht fragen. Aber nur wenn du dir sicher bist.“ Nachdenklich sah Dionysos Hades an. Sein Onkel hatte Recht. Wenn er sich so sicher war, konnte er wirklich Thoth fragen. Allerdings... so heiß auf dieses Gespräch war er nicht. Es war immerhin Thoth, ein Gott, mit dem man unnötige Gespräche vermied. **~~** „Ich war die ganze Zeit in der Kabine.“ Kurz und knapp fiel die Antwort von Thoth aus. Etwas anderes hatte Dionysos nicht erwartet und dennoch war er nicht zufrieden damit. „Du bist der einzige Ägypter hier! Außerdem warst du als einziger während des Theaterstücks nicht immer hörbar. Gestehe!“ Dionysos wusste, dass er sich weit aus dem Fenster lehnte, vor allem Thoth gegenüber, der seine Spuren gut genug verwischt hatte. Als Gott des Wissens wusste er eben wie. „Und das ist dein einziges Indiz? Das ich nicht ununterbrochen geplaudert haben? Wo sind deine Beweise?“ Der Gott der Fruchtbarkeit geriet ins stocken. Beweise hatte er natürlich nicht. Dennoch war er sich sicher, dass es nur ihr Lehrer gewesen sein konnte. „Du bist der einzige Ägypter! Das ist Beweis genug. Noch dazu hast du als einziger den Schlüssel zu meinem Weinkeller!“ Unbeeindruckt sah Thoth Dionysos an, der seine infamen Behauptungen wirklich ernst meinte. Verständlich, wenn Thoth es recht bedachte. Es gab schließlich nicht viele, die Zeus sein Geheimnis kannten. „Wenn ich mich richtig erinnere, sagtest du, die Flaschen hätten im Gebüsch gestanden und von dort seien sie verschwunden. Demnach bräuchte der Dieb auch keinen Schlüssel für deinen Weinkeller. Damit könnte es jeder sein.“ Kurz nur brach Dionysos mit seiner Theorie zusammen wie eine Mauer, auf die man mit der Wucht eines Vorschlaghammers eingeschlagen hatte. Er fing sich aber schnell wieder. Wie konnte der Gott des Wissens diesen logischen Fehler machen? „Ja, der Dieb brauchte keinen Schlüssel und irgendwie brauchte er ihn doch. Dieser Schlüssel war aber zu diesen Momenten bei mir. Wenn der Dieb also vor hatte meinen Saft zu stehlen, so musste er warten, bis ich die Flaschen abstelle.“ Triumphierend baute sich Dionysos vor Thoth auf. Das war sein glorreicher Schlag. Diese Logik konnte nicht einmal Thoth zerschlagen. „Du bist wirklich mit dem Idioten verwandt. Meinst du nicht, dass ich, wenn ich deinen Saft gewollt hätte, einfach gewartet hätte, bis du mir den Schlüssel wieder überreichst? Ich hätte dann so oft ich wollte deinen Keller plündern können.“ Und Thoth hatte die Logik doch zerstört. Selbst Dionysos musste einsehen, dass sein Lehrer Recht hatte, womit sie wieder bei dem Gedanken, dass es jeder hätte sein können waren. Sein großer Fisch war vom Haken. „Aber... Der Dieb war ein Ägypter!“ Es war alles, was er noch hatte. „Und wenn er ein Norde war... Ohne Beweise könntest du nicht einmal den Schwachkopf für irgendetwas belangen und selbst bei ihm wäre es wahrscheinlicher, dass er es war.“ Dionysos geriet ins trudeln. Thoth hatte Recht. Er konnte ihm nichts. „Wenn du nüchtern bist, denk über den Tellerrand hinaus. Wenn du alles Unmögliche ausgeschlossen hast, ist das was übrig bleibt die Wahrheit.“ Damit war das Thema beendet, zumindest für Thoth. **~~** Dionysos wusste nicht mehr weiter. Erneut war er bei dem Gebüsch, an dm er die Saftflaschen gelagert hatte und überlegte, ob er zuvor etwas Verdächtiges gesehen hatte. Doch nichts. Wie auch? Seine Kameraden waren alle auf der Bühne gewesen. Wenn man es recht bedachte, war Thoth vielleicht auch nicht hier gewesen. Zumindest, wenn er diese Unmöglichkeit ausschloss. Der einzige Gott, der zur Zeit des Stückes nicht sichtbar war und der auch nach belieben seine Gestalt ändern konnte, war Zeus. Sein eigener Vater. „Aber wozu?“ Das war eine gute Frage. Noch dazu eine, auf die Dionysos keine Antwort wusste. Warum sollte sein Vater ihm seinen Saft klauen? Er hätte ihn doch auch einfach fragen können. Wozu musste er sich da in einen Ägypter verwandeln und Thoth belasten? Das machte alles keinen Sinn. „Ob es möglich wäre... ob noch jemand...“, Dionysos ließ seine Gedanken weiterhin schweifen. Zu einer Möglichkeit, die unglaublich war. Ohne Zeus' Wissen und Wollen, konnte sich mit Sicherheit kein Fremdling hier eingeschleust haben. 'Ohne sein Wissen vielleicht nicht... Aber was... wenn er es sogar weiß?' Es war in der Tat die einzige Möglichkeit. Alles andere hatte Dionysos erfolgreich ausgeschlossen. „Nur wo versteckt sich dann dieser Unbekannte?“, murmelte Dionysos. Es gab viele Möglichkeiten, immerhin war die Schule gigantisch groß, selbst nachdem Baldrs Ausbruch sie fast vollständig zerstört hatte. „Mit einem guten Tropfen fällt das Denken sicher leichter. Vielleicht gibt Thoth mir noch einmal den Schlüssel.“ Vorfreudig, mit dem Gedanken auf seinen guten Tropfen, tänzelte er in Richtung seines Kellers, der sich auf dem Weg zur Bibliothek befand. Zumindest redete Dionysos sich das ein, um eine gute Ausrede zu haben, wieso er ausgerechnet diesen Weg immer wieder ging. Natürlich musste er hoffen, dass er Thoth nicht über den Weg lief, denn diesem konnte er diese Lüge nicht auftischen. **~~** Ihm stand der Mund offen, als er die offene Tür zu seinem Heiligtum sah. Sperrangelweit stand sie auf und gab Einblick in seinen privaten, geheimen Raum. „Bara~ Bara~ Bara Bara Kah~“ Aus dem Inneren seines Raumes hallte ein Singsang von einer unbekannten Stimme. Sofort schrillten bei ihm alle Alarmglocken. Noch dazu kam ihm dieses „Bara“ bekannt vor. Der Laut einer Krähe und er hatte ihn schon zweimal gehört. 'Der Saftdieb!' Wie eine Wagenladung Ziegelsteine, prasselte die Erkenntnis auf Dionysos herab. Für ihn gab es nun kein Halten und Denken mehr. Wie ein wild gewordener Stier stürmte der Gott der Fruchtbarkeit ins Innere seines Kellers, immer der Stimme folgend. „Kah~ Bara~ Kah Bara Bara~“ Je näher Dionysos dem Inneren kam, desto nervöser wurde er. Er roch schon den süßlichen Duft des Weines, den er mit soviel Anstrengung und Liebe angesetzt hatte. „Du verdammter Saftdieb! Hab ich dich!“ Die letzten Stufen war Dionysos runter gesprungen, sodass er nun zwischen verschiedenen Fässern und Regalen voller Flaschen stand und in das erleuchtete Innere sehen konnte. Ein Klirren erfüllte die Luft. Es verriet Dionysos, dass sein Saftdieb sich wie eine Ratte versteckte. „Hab ich dich!“, murrte er und lief zu der Stelle, an der er den Dieb vermutete. Er sah um die Ecke einiger Kisten, in denen abgefüllter Wein und Saft waren, und grinste siegessicher. Ja, er hatte ihn. Dionysos war sich sicher, dass zufriedene Menschen anders aussahen als er. Das wusste oder viel mehr ahnte er. Ein kleiner ägyptischer Junge, war sein Dieb. Dabei hatte er dahinter ein diabolisches Genie wie Thoth vermutet. Doch nun hing ein kleiner Junge an ihm. Schnurrend und vollkommen betrunken. „Kah Bara Bara~“, schnurrte der junge Ägypter und schmiegte sich zutraulich an den Gott der Fruchtbarkeit. Er schien keine Angst vor ihm zu haben, obwohl er ihn so angeschrien hatte. Im Gegenteil, kaum dass er Dionysos erblickt hatte, hatte der Ägypter ihn angesprungen, zu Boden gerungen und sich an ihn geschmiegt. Das war momentan scheinbar alles was er wollte. Kuscheln. „Du bist...“, murrte Dionysos und strich Anubis sanft über den Kopf. Sein Haar war weich wie Seide und duftete nach frischen Datteln und... Rosen? Verwirrt sah Dionysos den Gott des ägyptischen Totenreichs an. Er kannte diesen rosigen Duft aus seinem Garten. Hatte sich der Dieb etwa auch dort herumgetrieben? „Du machst mir also noch mehr Ärger und Kummer...“, flüsterte Dionysos und erntete dafür einen verspielt fragenden Blick des Ägypters. Er sah so niedlich und unschuldig aus, dabei war er ein Dieb und wenn er das mit der viel zu groß geratenen Schuluniform richtig sah, auch ein viel schlimmerer Herumtreiber als er selbst. „Kah Bara Bara...“, schnurrte Anubis und schmiegte sich fester an Dionysos. Der Grieche errötete, sah dem Schakal-Jungen ins Gesicht und überlegte, wie er ihn bestrafen würde. Es durfte nichts böses sein. Dennoch, es musste eine angemessene Strafe sein. Sanft drückte er den Jungen an sich, sog seinen Duft ein. Zum ersten Mal wurde sich Dionysos bewusst, dass er Zeus in gewissem Maße doch ähnlich war. Es störte ihn nicht, dass dieser flauschige Mitschüler männlich war. Er wollte ihn liebevoll züchtigen, sanft bestrafen, genauso wie der Genuss seines Weines ihn bestrafte. „Ungezogener Bengel“, flüsterte Dionysos und hauchte dem Ägypter einen Kuss auf die Stirn. Der Ägypter zuckte nicht zusammen, im Gegenteil, er schien leise zu schnurren und krallte sich an dem dunklen Oberteil des Griechen fest, der ihm den nächsten Kuss auf die Wange, knappen neben den Mundwinkeln gab. Er schmeckte an dieser Stelle süßlich, wie sein Wein, weswegen Dionysos bewusst wurde, dass Anubis mit diesem wohl gekleckert haben musste. Er wollte mehr davon schmecken, weswegen er Anubis' Lippen liebkoste und mehr von seinem Wein zu schmecken bekam. Er lobte sich innerlich für diesen Geschmack, denn der Wein gab diesem Ägypter eine ungeahnt verführerische Note und Dionysos wollte mehr. Mehr, noch viel mehr. Kapitel 6: Wie du bist (Tsunamishipping) ---------------------------------------- Sein Blick war sehnsüchtig auf den hellen Mond am Himmel gerichtet. Er war so groß, so distanziert und sein Licht strahlte genauso viel Kälte aus, wie es sein Bruder tat. Die warmen, brüderlichen Momente mit Tsukito waren für Takeru genauso selten wie es der volle Mond war. So selten, dass sich der Gott des Meeres fragte, ob sein Bruder ihn hasste. Er war zumindest nicht der erste gewesen. Doch bei Tsukito wog diese Angst schwerer. Er brauchte ihn. Nicht weil er sonderlich herzlich wäre oder aufbauend, sondern weil er einfach sein Bruder war. Nachdem all die anderen Götter ihn mieden, war seine Familie alles, woran er sich abgesehen von Yui, klammerte. „Es ist nicht das Licht des Mondes...“, wisperte Takeru leise und ließ einen tiefen, inbrünstigen Seufzer von seinen Lippen. „Anii! Hier ist noch ein Platz frei!“ Mit Mühen hatte Takeru den Platz neben sich frei gehalten. Loki hatte es doch wirklich riskieren wollen, von dem stürmischen Gott des Meeres, tosenden Applaus auf seine Pausbäckchen zu bekommen. Zum Glück war es Baldr gewesen, der Loki vor dem Schlimmsten bewahrt hatte, indem er ihn liebevoll zu Thor und den Griechen gezogen hatte. Zwar hätte Tsukito sicher noch einen anderen Platz finden können, doch Takeru wollte seinen Bruder unbedingt neben sich haben. An seiner Seite, dahin wo er hingehört. „Hier! Hier!“ Wie ein Hase hüpfte Takeru auf und ab. Je näher sein Bruder ihm kam, desto mehr verdeckte die Menge den kleinen Japaner. Obwohl Takeru die kräftigste Stimme im Raum war, wurde sie von der schnatternden Menge verschluckt, so dass Tsukito sich zwischen Apollon und Baldr niederließ um sein befülltes Tablett ausgiebig zu studieren. Betrübt sah Takeru das an und ließ sich auf seinen Platz sinken. Warum? Sein Bruder schien nicht einmal nach ihm gesucht zu haben. Warum war sein Bruder für ihn genauso unerreichbar wie der Mond? Wieso nur? Es deprimierte ihn, immerhin waren sie die einzigen Geschwister, die es nicht schafften ein brüderliches Verhältnis zu besitzen. Doch vielleicht gelang es noch, wenn er diejenigen fragte, die etwas mehr Ahnung von der Bruderschaft hatten. **~~** Apollon war nicht wohl dabei, wie Takeru ihn mit diesem stechenden Blick fixierte. Es war sogar recht unheimlich, auch wenn Apollon wusste, dass hinter Takerus Benehmen keine böse Absicht steckte. Zumindest hoffte er das bei seinem Leben. „Du...“ Alleine dieses Wort ließ Apollon zusammen zucken, denn es war so ausgesprochen worden, wie es Takeru immer tat, wenn er Loki eine Abreibung verpassen wollte. Es ließ Takeru damit nur noch bedrohlicher wirken. „W-Was gibt es, Take-Take?“ Bemüht zwang sich Apollon zu einem Lächeln mit dem er versuchte Takeru zu beruhigen. Was auch immer er getan hatte, er bereute es bereits, wenn Takeru ihn so ansah. „Wie schaffen du und Dionysos es, so gute Freunde zu sein?“ Verwundert sah Apollon zu dem Meeresgott. Sein Gesichtsausdruck passte gar nicht zu seinem Wollen, was Apollon mehr als verwirrte. „Dee-Dee und ich sind zusammen aufgewachsen. Wir haben immer zusammen gespielt und kennen die Geheimnisse des anderen.“ Fast schon stolz purzelten die Worte über Apollons Lippen und ließen in Takeru puren Neid aufkeimen. Er kannte keine Geheimnisse von Tsukito sie hatten nicht einmal als Kinder viel Zeit miteinander verbracht. Im Gegenteil, weil Tsukito es als Pflicht sah, ihren Bruder Amaterasu zu behüten, entfernten sie sich immer von einander. Amaterasu war der Keil, der Takeru leider eben so wichtig, wenn auch nicht so wertvoll wie Tsukito, war. „Außerdem...“, setzte Dionysos nach und weckte große Erwartungen in Takeru. Der Grieche schien irgendetwas nachsetzen zu wollen. „... Wein und Liebe bringen einander näher.“ Ein süffisantes und verträumtes Lächeln lag auf Dionysos Lippen. Eine Tatsache, die in Verbindung mit dem etwas zweideutigeren Wortlauf zu denken gab. Dennoch, Wein war dafür bekannt, dass er die wahren Gedanken eines Menschen zum Vorschein brachte. Warum sollte das nicht auch bei Göttern oder viel besser noch seinem Bruder funktionieren. **~~** Takeru bewunderte seinen Bruder, wie er auf dem Holzsteg saß und mit stiller Sehnsucht zum Mond sah. Zumindest glaubte Takeru Gefühle dieser Art zu erkennen. Vorsichtig näherte sich Takeru seinem Bruder mit der gekühlten Flasche Sake, die er bereit gestellt hatte. In der anderen Hand hielt er zwei kleine weiße Becher. „Anii! Hier bist du! Hast du Lust auf einen erfrischenden Umtrunk?“ Ohne eine Emotion sah Tsukito zu Takeru, der sich neben ihn gesetzt hatte. Takeru wusste nicht, wie er diesen Ausdruck deuten sollte, aber er ließ sich davon nicht abschrecken. „Es ist ein Verstoß gegen die Schulordnung, Totsuka Takeru. Alkohol ist verboten.“ Das hatte Takeru vollkommen vergessen. Zeus hatte Alkohol verboten, eine Tatsache die selbst Dionysos sehr verärgert hatte. Ebenso wie diese Tatsache gerade Takerus Plan versaute. „Ach was! Wir können doch mal eine Ausnahme machen. Außerdem bleibt es ein Geheimnis unter Brüdern.“ Takeru gab sich wirklich alle Mühe Tsukito von der Richtigkeit seiner Tat zu überzeugen. Außerdem konnte er mit einen gemeinsamen Geheimnis das Eis brechen. „Ein Geheimnis unter Brüdern...“, wiederholte Tsukito leise und nachdenklich. „Ja, genau. Niemand außer uns wird es erfahren.“ Breit grinsend goss Takeru sich und seinem Bruder Sake ins Schälchen und reichte dieses an ihm weiter. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm Tsukito das Schälchen und trank einen kleinen Schluck, sehr zu Takerus Zufriedenheit. Im Gegensatz zu Tsukito war Takeru es gewohnt Sake zu trinken. Es würde damit nicht lange dauern, bis Tsukito sich dank des Alkohols öffnete. Tsukito öffnete sich kein bisschen. Im Gegenteil, der Alkohol schien bei Tsukito keinerlei Wirkung zu zeigen, anders als bei Takeru, der Schluck für Schluck runter würgte um nicht gegen seinen Bruder zu verlieren. „Anii... Su verdreckst gans schööön fiel...“, nuschelte Takeru und hickste lachend auf. Die Welt um ihn drehte sich, genauso wie sein Magen Purzelbäume schlug. Wie machte Tsukito das nur? Er hatte ihn wirklich noch nie trinken sehen. Kannte sein Bruder Tricks, die ihm nicht vertraut waren? Takeru fühlte sich wie ein Versager, so unmännlich und vor allem gedemütigt. Sein Kopf wurde leichter vor Enttäuschung, seine Augen schwerer und schließlich bettete er seinen Kopf auf die Tischplatte und schlief ein. **~~** „Hahahahahahahahaha! Er hat dich unter den Tisch getrunken? Das ist herrlich! Du verträgst dann ja gar nichts!“ Takeru musste sich wirklich beherrschen, Loki nicht mit seiner Faust bekannt zu machen. Der Schalk provozierte es einfach. Er vertrug einiges, wahrscheinlich mehr als Loki selbst, dessen Lachen durch die Mensa schallte. „Wahrscheinlich könnte selbst Koneko-chan dich unter den Tisch saufen“, flötete Loki verspielt und sah dabei zu Yui, die abwehrend die Hände hob, als wollte sie damit sagen, dass man sie besser aus diesem Streit heraushielt. „Du mieser...“ Takeru war nun wirklich von seinem Platz aufgesprungen und war halb auf den Tisch gestiegen, um die Meter zwischen sich und Loki zu überwinden. Dieser war ebenfalls aufgesprungen und hatte die Flucht angetreten, denn mit Takeru wollte er sich doch nicht anlegen. „Take-Take, beruhige dich. Du kennst Loki-Loki doch, genau das tust du.“ Apollon bemühte sich um ein Lächeln, hielt aber einen gesunden Abstand zu Takeru, der immer noch kurz davor war zu explodieren und die Mensa irreparabel zu beschädigen. „Hast du schon versucht mit Tsuki-Tsuki zu reden und ihn zu fragen, was er an dir mag?“ Fragend sah Takeru zu Apollon. Natürlich hatte er das noch nicht gefragt. Wie auch, wenn er betrunken gewesen war? „Und das hilft?“ So ganz überzeugt war Takeru nicht. Wie auch, der Alkohol hatte sie einander nicht näher gebracht. Ebenso wenig das Geheimnis, was nun kein Geheimnis mehr war, nachdem Takeru allen von dieser Nacht erzählt hatte. „Bei uns auf der Erde hilft es immer. So kannst du lernen Tsukito-san besser zu verstehen.“ Takeru zweifelte immer noch daran. Aber wahrscheinlich musste er wirklich den menschlichen Weg gehen. Auf dem göttlichen war er Tsukito ja nie nahe gekommen. Die ganzen Hasen hatten sein Herz zumindest nicht erweicht. **~~** Takeru hatte den ganzen Abend überlegt, wie er das Gespräch mit Tsukito suchen sollte und schließlich hatte er den japanischen Onsen ihrer japanischen Räumlichkeiten vorgeschlagen. Tsukito hatte ihm vorgeschlagen vorzugehen, da er noch etwas für seine „Mission“ zu erledigen hatte. Doch das war schon vor einer geschlagenen Stunde gewesen. Takeru hatte sich beim Waschen Zeit gelassen, beim entspannen und selbst jetzt weigerte er sich wieder herauszukommen, denn er hoffte immer noch, dass Tsukito wirklich nachkommen würde. 'Ich geb's auf...', murrte Takeru schließlich und stieg aus dem Wasser. Sein Bruder hatte ihn versetzt. Wieder einmal. Ein Bild dass er gewohnt war, was ihn aber zutiefst verletzte. Takeru hatte wirklich genug und verließ den Onsen, um wieder in ihr Zimmer zurückzukehren. Dort sah er ihn. Tsukito, der über einen Buch saß und las. Wut stieg in Takeru auf, denn es schien fast so, als hätte Tsukito ihn vollständig vergessen. Diese 'Mission' war wieder einmal wichtiger gewesen als er, sein Bruder. „Anii!“ Lauthals machte sich Takeru bemerkbar und sah seinen Bruder erbost an, der vollkommen emotionslos von seinem Buch aufsah, als wollte er fragen, was los sei. „Du hast mich warten lassen...“ Es war kein stummer Vorwurf, der in Takerus Stimme lag, sondern ein offener. Er wollte aus seiner Enttäuschung und Wut kein Geheimnis machen, im Gegenteil. Er wollte das Tsukito diese ihm wahrscheinlich unbekannte Emotion wahrnahm. Doch Tsukito nahm es nicht wahr. Stattdessen wandte er seinen Kopf zur Uhr und schien angestrengt über Takerus Wut nachzudenken. „Also wirklich! Wenn du mich so leid bist, dass du keine Zeit mit mir verbringen willst, was hindert dich daran dich einfach von mir zu entfernen? Lass mich doch wie die anderen alleine!“ Schweigen. Das war alles was er bekam. Schweigen von seinem eigenen Bruder, dessen Ausdruck in den Augen er nicht einmal deuten konnte. „Weil Totsuka Takeru eben Totsuka Takeru ist.“ Es waren die einigen Worte, die Takeru von Tsukito vernahm und die ihm den Boden unter den Füßen wegzerrten. **~~** Takeru hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Tsukitos Worte waren ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Hasste Tsukito ihn etwa weil er er war? Oder war es nur ein Charakterzug den er nicht mochte? „Was meint Anii nur...?“, murmelte er leise mit dem Kopf auf der Tischplatte. Doch das Holz konnte sein deutlich hörbares Seufzen nicht ersticken. Sehr zu seinem Leidwesen, denn es waren ausgerechnet die Norden, vor allem Loki, die das hörten. „Ne~ Takeru~ Was seufzt du denn so?“ Takeru verzog das Gesicht, denn ausgerechnet Loki musste es sein, der seine Worte so spottend aussprach. „Hat dein Bruder dir endlich den Laufpass gegeben?“ Vor seinem inneren Augen sah Takeru dieses breite Grinsen Lokis, der unwissentlich ins Schwarze getroffen und damit Takerus Temperament geweckt hatte. Wütend sprang der Gott des Meeres auf und packte Loki am Kragen, der ihn nur grinsend ansah. „B-Beruhige dich, Totsuka-san.“ Verzweifelt griff Baldr nach Takerus Arm und versuchte ihn zu beruhigen. Nutzlos, denn Takeru war viel zu aufgebracht. „Was ist denn passiert, Totsuka-san?“ Baldr versuchte die Situation zu verstehen, um Loki zu retten, denn wenn Takeru ernst machte... Nun, daran wollte Baldr nicht denken. „Als ich Anii fragte, was ihn daran hindert sich von mir fernzuhalten wenn er mich nicht mag, meinte er... Das ich eben Ich sei.“ Als Takeru sich die Worte wieder in Erinnerung rief, fühlte er sich plötzlich schwach, weswegen er Loki losließ. „Ich weiß nicht einmal was das bedeutet...“, nuschelte Takeru leise. „Ich weiß es~. Du bist ihm zu impulsiv. Da hat er Angst sich von dir zu lösen~“ Erneut reizte Loki das entzündbare Temperament Takerus, doch dieses Mal kam er nicht einfach so davon. „Loki!“ Der Schelm zuckte zusammen, als Baldr die Stimme erhob und zog schmollend den Kopf ein, als hätte sein Freund ihm die Ohrfeige verpasst, die er von Takeru provozierte. „Aber Baldr~ Es ist doch nur die Wahrheit.“ Die Wahrheit... Takeru dachte wirklich über Lokis Worte nach. Ja, er war impulsiv und wenn er es recht bedachte, ging er wirklich schnell an die Decke. Manchmal ohne Grund oder wegen Lappalien. Wenn das wirklich der Grund war, dann musste er sich ändern um Tsukito doch noch für sich zu gewinnen. **~~** Es war eine förmlich unbezwingbare Aufgabe bei Lokis Späßen nicht in Rage zu geraten. Der Kerl machte ihn wahnsinnig, doch für Tsukito versuchte Takeru ruhig zu bleiben. Er passte sogar im Unterricht auf, machte seine Hausaufgaben nach seinen Clubaktivitäten und versuchte weniger an Tsukito zu hängen. Geduld war diesbezüglich wahrlich nicht seine Stärke, anders als Meditation. Aber Geduld war keine Meditation. Geduld war eine lästige Tugend, die Takeru schon als kleiner Junge nicht beherrscht hatte. „Totsuka Takeru...“ Takeru sah auf, als sein Bruder aus dem Schulgebäude kam. Er hatte sich gerade gedehnt, um seine gewohnte Aufwärmroute zu laufen, als Tsukito ihn angesprochen hatte. „Was gibt es, Anii?“, fragte er verwundert und hob eine Augenbraue. Als Antwort bekam er nur einen Blick auf ein Schulbuch, welches Tsukito ihm entgegenhielt. Der Einband war verziert mit Abbildungen kleiner Sterne, Cartoonexplosionen und Bonbons. Eindeutig Lokis Handschrift und Takeru ahnte bereits, wem dieses Buch gehörte. „Loki Laevatein hatte es irgendwie in seine Finger bekommen“, bestätigte Tsukito Takerus Befürchtung. Es brodelte in ihm und er war kurz davor, loszustürmen um Loki die Leviten zu lesen, doch... Sein Bruder stand vor ihm. Er durfte jetzt nicht aus der Haut fahren. Er durfte nicht in seine alten Muster zurückfallen und Tsukito so weiter abschrecken. „Ich werde mir später bei Thoth-sensei ein neues holen...“, murrte Takeru daher verstimmt und entfernte sich im angenehmen Laufschritt von seinem Bruder. **~~** Ganz genau hatte Tsukito seinen Bruder beobachtet. Er verhielt sich seltsam ungewohnt, nicht wie der Takeru den er eigentlich mochte. Es brachte Tsukito zum grübeln. Hatte er Totsuka Takeru irgendwie verstimmt, oder hatte er irgendetwas traumatisches erlebt? „Totsuka-san, ist alles in Ordnung?“ Tsukito sah von seinem Buch auf, in welchem er Wort für Wort die aktuelle Satzung des Schülerrates geschrieben hatte. Dabei war er geistig vollkommen abgedriftet. Das hatte er erst bemerkt, als Baldr ihn zurück in die Realität geholt hatte. Nein, alles in Ordnung war nichts... Totsuka Takeru verhielt sich nicht wie Totsuka Takeru. „Geht es Totsuka Takeru gut?“ Verwundert sahen Baldr und Apollon einander an. Auch ihnen war nicht entgangen, dass sich Takeru verändert hatte, doch dass sein eigener Bruder nicht wusste wieso, verwunderte sie mehr. Erst Baldr schien zu verstehen, dass Tsukito so einiges nicht mitbekommen hatte. Die Frage war nur, wie sie ihm das alles erklären sollten. **~~** Sowohl der Mond, als auch sein Bruder blieben weiterhin von ihm distanziert. Selbst sein neues Ich schien Tsukito nicht zu gefallen, so dass Takeru sich fragte, was er denn noch tun konnte. „Es ist nicht das Licht des Mondes, das mich verrückt macht“, wisperte Takeru leise und ließ seinen Worten ein Seufzen folgen. Wahrscheinlich waren sie als Brüder schon zu distanziert um diese Barriere noch zu überwinden. „Totsuka Takeru...“ Takeru lehnte seinen Kopf etwas nach hinten um seinen Bruder zu erkennen, der ein rundes Tablett mit zwei Schälchen und Fläschchen trug. „Lust auf einen geheimen Umtrunk?“ Verwirrt hob Takeru eine Augenbraue. Noch vor wenigen Tagen hatte sich Tsukito dagegen gesträubt und nun... Seltsam. „Ist Alkohol nicht verboten?“, murrte er daher leise. Regelbrüche gehörten zu seinem alten Selbst, dieses hatte er aber für Tsukito abgelegt. „Dann bleibt das unser Geheimnis, Totsuka Takeru.“ War das ein Scherz? Hatte Loki sich das ausgedacht um ihn erneut zu demütigen? Misstrauisch sah Takeru Tsukito an. „Nur ein paar Schälchen, ich vertrag nicht mehr so viel.“ Takeru war vorsichtig geworden und beobachtete Tsukito, der seinen Sake wesentlich schneller trank, als er. Takeru erkannte den roten Schimmer auf Tsukitos Wangen, diesen leicht gläsernen Blick und doch tat sich bei dem anderen nichts. Dabei zeigte sein Körper eindeutig Zeichen dafür, dass er angetrunken war. „Wie machst du das, Anii? Du trinkst den Sake schneller als ich und doch bist du wie immer. Hast du heimlich mit Amaterasu geübt?“ Takeru ließ das einfach keine Ruhe. Er wollte dieses Geheimnis endlich wissen. „Mir ist etwas schwindlig... Und das Sprechen fällt schwerer...“, erwiderte Tsukito, der wirklich klar damit zu kämpfen hatte sich zu artikulieren, was ihm immer noch peinlich war. Er bemühte sich daher, sich wie damals nichts anmerken zu lassen. Immerhin glaubte er, dass Takeru das von ihm erwartete. „Moment... Der Sake wirkt? Auch beim letzten Mal?“ „Ich bin wohl im sitzen mit offenen Augen eingeschlafen...“, erklärte Tsukito seinen Bruder, der ihn fassungslos anstarrte. Er hatte also doch nicht verloren. „Totsuka Takeru... Warum magst du mich?“ Erneut eine überraschende Frage. Was war nur los, oder lag das am Sake? „Ich liebe dich weil... du ruhig und besonnen bist. Noch dazu hast du meine Seite nie gemieden, obwohl ich etwas temperamentvoll bin... schade, dass es wohl nur aus Angst war.“ Deprimiert nahm Takeru einen Schluck von seinem Sake und sah Tsukito an, der nur mit dem Kopf schüttelte. „Nicht aus Angst... Du hast gefragt, warum ich noch bei dir bin... ich bin bei dir, weil Totsuka Takeru eben Totsuka Takeru ist.“ Schweigen kam zwischen den beiden auf und Takeru brauchte etwas um Tsukitos Worte zu verarbeiten. „Du magst mich?“, fragte er daher nur, um sicher zu gehen, dass er ihn dieses Mal nicht falsch verstanden hatte. „So wie du bist.“ Als wollte Tsukito seine Worte unterstreichen, legte er eine Hand auf Takerus und rang sich ein gefühlvolles Lächeln ab. Es war ein seltenes Lächeln, eine Rarität und Takeru war froh, dass dieses Lächeln nur ihm galt und er sich nicht verändern musste, um seinem Bruder weiterhin nahe sein zu können. Kapitel 7: Licht der Hoffnung (Sunshineshipping) ------------------------------------------------ Sie waren sich so gleich, so ähnlich, schienen dieselbe Funktion in ihrer Götterwelt zu haben und doch waren sie beide von Grund auf verschieden. Baldr bemerkte das immer, wenn er im Klassenzimmer zu Apollon sah. Gerade jetzt, da er von seinen Gewissensbissen gegenüber Cassandra erlöst und prädestiniert für seinen Abschluss war, schien der Sonnengott noch mehr zu strahlen, ihn fast zu überleuchten. Seltsam, sie waren beide Götter des Lichtes, doch der Schatten über Apollon war verschwunden und Baldr hatte das Gefühl, alleine mit seiner Dunkelheit zurückzubleiben und gegen Apollon zu verlieren. Er konnte seinen Abschluss machen, er war es, dem Yui so unsagbar nahe war, er war es den so viele trotz seiner Fehler aufrichtig liebten... Er war fluchlos, frei und so viel anders als er, obwohl sie einander gleich waren. **~~** „Baru-Baru!“ Baldr zuckte zusammen, als er die Stimme Apollons hinter sich hörte. Verwundert drehte er sich um, doch kaum, dass dies geschehen war, hatte er den Sonnengott an sich hängen. Es war unangenehm, dass Apollon an ihm hing, als sei er der lebensgroße Teddy den Apollon brauchte um glücklich zu sein. „Agana Belea, du erdrückst mich, was ist denn los?“ Baldr setzte seine gewohnte Maske auf, ein Lächeln. Es grenzte fast schon an ein Wunder, dass er dazu fähig war, obwohl ihm Apollon gegenüber stand. Dabei war dessen Anwesenheit einfach nur unerträglich. „Yousei-san hat uns erzählt, dass es diverse Länder in der Menschenwelt gibt, in denen sich Menschen mit Farbe bewerfen und im Farbregen tanzen und ganz viel Spaß haben, soviel Spaß! Wir wollen das auch machen, wollen wir machen. Tsuki-Tsuki wartet bereits im Zimmer des Schülerrates, komm doch mit, komm doch mit, Baru-Baru.“ Baldr wusste nicht, ob es an Apollons etwas aufdringlichen, aber liebenswürdigen Art lag, oder an dessen anziehenden Persönlichkeit, aber er fühlte sich von Apollon im wahrsten Sinne des Wortes mitgezogen, wodurch er keine andere Wahl hatte, als zum Zimmer des Schülerrates zu gehen und zu hören, was ihr Schülersprecher nun schon wieder plante. Schlecht waren seine Ideen bisher nie gewesen, nur dessen eigenwillige Umsetzung hatte immer etwas... eigenwilliges. „Komm mit, komm mit!“ Baldr hatte wirklich keine andere Wahl, als Apollon zu folgen, der ihn immer weiter mit sich zog in die ihm vertraute Richtung des Zimmers für den Schülerrat in dem auch schon wirklich Tsukito wartete und in Ruhe ein Buch las, welches er sich anlässlich der neuen Idee Apollons geholt hatte. Sein Herz ging aber auf, als er Yui erblickte, die ihn mit diesem unbeschreiblichen Lächeln begrüßte. Ein Lächeln, dass so anders als von den Anderen war. Aufrichtig und ungebunden an seinen Zauber. „Wir sind nun vollzählig, genau vollzählig sind wir nun. Tsuki-Tsuki, hast du schon etwas über das Fest gefunden, von dem uns Yousei-san erzählt hat? Hast du?“ Apollon war wie gewöhnlich in seiner Euphorie nicht zu bremsen. Im Gegenteil, seit er seinen Abschluss gemacht hatte, schien er sogar noch euphorischer zu sein, so als wollte er nun unbedingt alle dazu bringen, dass sie ihren Abschluss machen konnten. Wenn Baldr ehrlich war, hasste er das an ihm. So naiv, so selbstlos und in gewisser Weise so gefährlich für ihn, wenn es da um diese eine Person ging, die Baldr mehr als alles andere auf der Welt an seiner Seite haben wollte. In seinen Gedanken verloren, ging Baldr auf die Couch zu und ließ sich neben Apollon nieder, der sich so angeregt und vor allem aufgeregt mit Tsukito unterhielt. Wieso nur, waren sie einander so ähnlich und doch verschieden? Wieso nur, fürchtete er, dass er hinter Apollon zurückbleiben würde, wo er es doch war, der bei allen beliebt war, denn selbst die Menschen lieben würden, wenn er auf die Erde kam. Warum nur, fürchtete Zeus, dass er diese Wesen nicht verstehen konnte? Lag es etwa an dieser anderen Seite in ihm? Diese Seite, diese Persönlichkeit, die er nicht kontrollieren konnte, wenn man ihm etwas wichtiges nahm, oder jemanden verletzte der ihm nahe stand? War es denn wirklich falsch, ab und an der Dunkelheit und Zerstörung nachzugeben? „Baldr-san?“ Erschrocken sah Baldr zu Yui auf, die ihn besorgt ansah. Sie kannte diese Seite von ihm bereits und doch fürchtete sie ihn nicht. Sie redete noch genauso mit ihm wie vorher, wie mit jedem anderen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig, wobei ihre Stimme deutlich mit Sorge erfüllt war. Sie machte sich Sorgen, um ihn? „Ja, alles in Ordnung, Yui-san. Ich hing in Gedanken wohl noch dem Lernstoff von Thoth-sensei nach.“ Er lächelte, so wie er es immer tat, um sein wahres Wesen zu verbergen. Ein Lächeln, dass jeden blenden konnte, selbst den Gott der Sonne persönlich. „Ah~ Die Geschichte mit Pandora. Ja die ist wirklich schwer. Sehr schwer. Im Olymp gibt es nur Gerüchte darüber. Die Geschichte ist für junge Götter ein Mahnmal dafür, warum mystische und göttliche Gaben niemals an Menschen weiter gegeben werden dürfen. Aphrodite lamentiert selbst heute noch über die Handlung Pandoras, dass sie die Büchse geöffnet hat, das tut sie immer.“ Apollon schien fast vor stolz zu platzen, dass er über die Geschichte der Büchse der Pandora Bescheid wusste. Thoth hatte sie als Beispiel dafür verwendet, wie groß die Neugier der Menschen war. Baldr hingegen hatte nicht wirklich zugehört und stattdessen überlegt, wie er genauso schnell wie Apollon seinen Abschluss machen konnte. Doch gerade jetzt wieder, zeigte Apollon nur zu deutlich, wie weit sie voneinander entfernt waren. „Dann war diese Geschichte ja nicht Mahnung genug für dich, Agana Belea.“ Baldr lächelte über diese Worte hinweg, die so gezielt in Apollons Herz trafen, dass er es mit einer inneren Genugtuung sah, wie Apollon das Gesicht schmerzerfüllt verzog. Jeder im Raum wusste, worauf Baldr angespielt hatte und niemand würde glauben, dass Baldr dies mit Absicht getan hatte. „Ahahahaha... Da hast du wohl Recht, Baru-Baru.“ Etwas schmerzerfülltes lag in Apollons Lächeln. Gott, wie Baldr selbst dieses Lächeln hasste. Diese Seite von Apollon, der scheinbar niemals böse auf jemanden wurde, sondern alles immer hinfort lächelte. Er wollte dieses Lächeln zerstören, er wollte Apollon zerstören. Baldr spürte, wie dieser Gedanke immer mehr Besitz von ihm ergriff. Die Angst trat ein. Angst, sich selbst nicht mehr unter Kontrolle zu haben und dann womöglich auch Yui zu verletzten. „Entschuldigt, mir geht es nicht gut...“ Baldr erhob sich entschuldigend und hielt sich den Kopf. Er musste weg. Schnellstens weg, bevor ein Unglück passierte. Er ignorierte die besorgten Blicke seiner Mitschüler und ging stattdessen aus dem Raum hinaus. Er musste weit weg, damit Yui nichts passierte, damit er die Kontrolle nicht verlor, damit er Loki noch nicht zu etwas zwingen musste, womit dieser sich wahrscheinlich schon seit Jahren quälte. **~~** Die Büchse der Pandora. Baldr hatte zugeben müssen, dass ihn nun doch dieses Thema interessierte, weswegen er sich nach dem Unterricht in die Bibliothek zurückgezogen hatte. Besonders, weil hier der beste Ort war, um Apollon aus dem Weg zu gehen, um nicht erneut unfaire, wenn nicht gar gemeine Dinge zu sagen, die ihr Schülersprecher wahrscheinlich nicht verdient hatte. Aber nur wahrscheinlich. Vielleicht hatte er sie wegen seiner Naivität und strahlenden Persönlichkeit ja doch verdient. Jeder brauchte etwas Schmutz auf seiner weißen Weste. Apollon hatte seinen viel zu früh abgewaschen. „Ah, da ist es...“, flüsterte Baldr, als er endlich gefunden hatte, wonach er suchte. Mit größten Interesse, dass er bisher nie für griechische Mythologie gehegt hatte, öffnete er das Buch und begann darin zu lesen, was die wahre Geschichte Pandoras war. „Zeus bat Hephaistos einen Menschen aus Lehm zu erschaffen, den er Pandora nannte. Die Frau heiratete den Bruder des Diebes Prometheus, der Zeus das Feuer gestohlen und damit die Menschen selbstständiger und gottloser werden lassen hatte. Zeus gab Pandora eine Büchse und wies sie an, den Menschen zu sagen, dass diese niemals geöffnet werden dürfte. Pandora selbst öffnete aber die Büchse und ließ alles schlechte in die Welt fahren, so dass Krankheit, Tod, Zerstörung...“ Baldr hielt inne als er das Wort Zerstörung laut für sich selbst las. War es nicht das was er brachte? Zerstörung? War er vielleicht von diesem Übel nach dessen Flucht in Besitz genommen wurden? Baldr schüttelte mit dem Kopf. Er musste die Geschichte erst zu Ende lesen, nur dann konnte er sich ein Urteil erlauben. Vielleicht hatte man das Übel auch wieder eingesperrt. Noch dazu war er kein Grieche, was sollte die Büchse der Pandora also mit ihm zu tun haben? Das war immerhin eine Angelegenheit der Griechen und nicht seine. „Bevor die Hoffnung aus der Büchse weichen konnte, wurde diese aber verschlossen, so dass von diesen Zeiten an alle Übel über die Menschen einhalt hielten.“ Kaum dass er die letzten Sätze des Mythos gelesen hatte, wurde Baldr heiß und kalt gleichzeitig. So war das also mit Pandora gewesen. Hatten die griechischen Übel vielleicht doch auch die Norden heimgesucht? Hatte die Zerstörung sich in ihm reinkarniert? Wenn dem so war... Er mochte gar nicht daran denken. Niemals. Er wollte nicht zum Gott der Zerstörung werden und Menschen oder Göttern wehtun, die ihm so viel bedeuteten. **~~** Durch Loki und die anderen Götter, waren Baldrs Bedenken schnell in Vergessenheit geraten. Nicht aber seine Gefühle für Apollon, der immer exzessiver seine Nähe suchte und selbst die Hausaufgaben mit ihm zusammen machen wollte. 'Das ist nur der Zauber deiner Mutter...', versuchte sich Baldr immer wieder einzureden. Doch Apollons Aufdringlichkeit befand sich auf einem ganz anderen Level als die der Geisterschüler, die als Statisten nur die Schule füllen sollten. Dennoch, damit er sich seine negativen Gefühle Apollon gegenüber nicht anmerken ließ, hatte er nachgegeben und zusammen mit ihm und Tsukito das Farbenfest, welches man 'Holi' nannte, organisiert. Sie hatten den ganzen Abend zuvor damit verbracht, kleine Säckchen mit Farbpulver zu füllen. Loki hatte sich ebenfalls eingebracht, mit der Grandiosen Idee Wasser in Ballons zu füllen, damit der Wind die Farbe nicht so schnell wieder wegwehte und es wirklich ein wunderbares Erlebnis für alle wurde. Allerdings hatte Baldr Loki dabei erwischt, wie dieser den ein oder anderen Ballon mit flüssiger Farbe und Tomatenketchup zu füllen versucht hatte. „Ich freu mich schon auf morgen und wie ich mich auf morgen freue!“ Hatte Apollon nach der harten Arbeit verkündet, während alle aus dem Klassenzimmer gingen. Sie waren alle fröhlich, freuten sich auf den nächsten Tag und schienen Apollon dafür zu danken, dass er diese grandiose Idee hatte. Sie alle schienen vergessen zu haben, dass Yui ihm erst von diesen Event erzählt hatte. Ohne sie wäre er doch niemals darauf gekommen. „Nee~ Baldr~ Sollen wir für Ahollon vielleicht eine besondere Überraschung machen? Als Organisator des ganzen sollte er doch am buntesten aussehen, meinst du nicht?“ Mit einem breiten Grinsen hatte sich Loki zu Baldr, der das Schlusslicht bildete, zurückfallen lassen und hielt dabei eine Flasche mit gelber Farbe hoch. Für gewöhnlich, hätte Baldr nun etwas gegen diese Idee und versucht Loki aufzuhalten, doch irgendwie... Ja, irgendwie wollte er Apollon gerne etwas bloßstellen. Beweisen, dass er nicht so perfekt war wie alle anderen glaubten. Und doch... „Loki!“, antwortete er im gewohnten Ton, wie es immer war, wenn er Loki von seinen Scherzen abbringen wollte, oder dieser bereits etwas ausgefressen hatte. Es war allerdings dieses Mal nicht so, dass er etwas gegen diesen Scherz hatte. Vielmehr lag es daran, das Apollon ein undankbares Opfer war und es ihm wahrscheinlich auch noch gefiel. Loki verstand das aber nicht. Er dachte, dass Baldr wie gewohnt widersprach, weil er glaubte, dass dieser Scherz zu weit ging. „Aber Baldr~ Der Spaß tut doch niemanden weh. Vielleicht tun wir Ahollon damit sogar einen Gefallen.“ Lokis Grinsen wich nicht. Doch Baldrs Blick verdüsterte sich. Natürlich würden sie Apollon damit einen Gefallen tun. Er würde wieder der Strahlemann sein. Und selbst wenn die Farbe jemanden anderen erwischte, Apollon würde mit seinem Optimismus alle wieder runter bringen. Am Ende hätten alle Spaß. Nur er nicht. „Baldr?“, fragte Loki leise und drang damit nur hauchzart noch in Baldrs Unterbewusstsein vor. Er hasste Apollon. Apollon, der ihm so gleich und doch so frei von Dunkelheit war. **~~** Die gesamte Schule hatte heute auf ihre Schuluniform verzichtet und sich stattdessen in vollständiges Weiß eingekleidet, um so besonders viel von der Farbe einfangen zu können. Da Thoth es nicht für nötig hielt als Lehrer an dem Event teilzunehmen, hatte er sich mehr oder weniger dazu bereit erklärt die ersten Farbsalven zu werfen und so das Holi zu eröffnen. Der Rest lag dann an den Göttern und Schülern. „Auch wenn ich das hier für die größte Zeitverschwendung halte...“, setzte Thoth die Eröffnungsrede an und griff dabei in einen Topf mit Farbpulver, den Yui ihm vor Beginn des Events gereicht hatte. Nun stand sie mit den Göttern inmitten der Menge und erwartete mit klopfenden Herzen die erste Salve. „Viel Spaß...“ Das Thoth wirklich eine kurze Rede halten würde, hatte schon niemand erwartet, dass sie dann aber so kurz werden würde, noch weniger. Dennoch, niemand beklagte sich, als die erste Salve trockener Farbe auf sie herab rieselte. Eine Zweite von Thoth folgte, ebenso eine dritte, doch schließlich, als die anderen alle ihre Farbbeutel ergriffen und selbst anfingen Farbstaub in die Luft zu werfen, hielt Thoth inne und überließ die Meute an Schülern ihrer selbst. Er für seinen Teil hatte genug zu diesem Schauspiel beigetragen, dass musste reichen. Wo er auch hinsah, die Kleidung wurde bunt. Farben, überall Farben, die vom Himmel herabregneten, zusammen mit Wasser, welches wohl durch die aufgeplatzten Wasserballons kamen, die alle einander zuwarfen. Nur Baldr, hatte nichts von diesem Spaß. Das Wasser kam nicht einmal bis zu ihm und die Farbe rutschte an einer unsichtbaren Mauer hinab. Seine Sachen waren die einzigen die Weiß blieben. Ebenso war er der einzige, der keinen Spaß hatte. Um ihn herum war überall fröhliches Gelächter. Er war einsam, unter vielen. Selbst Loki hatte seinen Spaß daran, indem er sein liebstes Opfer Takeru mit Farbe bewarf und dieser darauf einging und es erwiderte. Yui hatte Spaß und ließ sich von Tsukito und Apollon bewerfen. Selbst Thor mischte mit, indem er die Geister mit Farbe berieselte, nach denen sie sich so sehr zu sehen schienen. Sie alle, waren zusammen. Doch er stand dank dem Zauber seiner Mutter außen vor. Nicht einmal die Farbe wollte ihm etwas antun und ihn beschmutzen. Genauso wie der Regen für gewöhnlich an ihm abprallte. Zum ersten Mal, war sich Baldr bewusst, was dieser Segen bedeutete, dass er in Wahrheit der Fluch war, der ihn zu einem zerstörenden Gott machte und der ihn selbst verletzte. Nicht körperlich, aber emotional, weil er gerade an Momenten wie diesen nicht teilhaben konnte. So gut es ging, schlängelte sich Baldr durch die Massen. Seltsam, sonst immer zog er alle magisch an, doch nun schien er allen egal zu sein. Sie hatten Spaß, bemerkten ihn nicht einmal, wenn er sie aus versehen anrempelte. Meist entschuldigten sie sich bei ihm, aber mehr auch nicht. Baldr wollte nun alleine sein. Für sich. Fernab aller Mitschüler und Götter. Wenn er schon in der Masse einsam war, dann konnte er es auch alleine. Apollon lachte vergnügt, als Loki ihn mit einem Wasserballon bewarf und so mehr von Yuis violetter Farbe, vielleicht war es auch blau und rot vermischt, an ihm haftete. Doch er verstummte, als er nicht unweit von sich, eine vollkommen saubere Gestalt in Form von Baldr aus der Menge flüchten sah. Dunkel erinnerte er sich daran, was er einst mit den anderen beim Sterne beobachten erlebt hatte. Damals, als sie Hades zeigen wollten, dass nicht alles Unglück wirklich Unglück war. Baldr war der einzige gewesen, den der Regen nicht nass gemacht hatte und in Apollon stieg eine düstere Vorahnung auf, dass dies nun auch beim Holi passiert war. Zumindest war Baldr zwischen all den bunten Gestalten mit seiner vollkommen unbefleckten Kleidung mehr als nur auffällig gewesen. „Apollon-san?“ Apollon sah zu Yui, die bemerkt hatte, wie ernst der Sonnengott geworden war. Doch Apollon schenkte ihr zur Beruhigung ein Lächeln. „Feiert noch etwas weiter, feiert ruhig noch. Ich muss etwas wichtiges erledigen, etwas sehr wichtiges“, erklärte er, als er ebenfalls anfing sich durch die Menge und den Farbregen zu kämpfen. Er wollte Baldr gerade jetzt nicht aus den Augen verlieren. Immerhin waren sie beide Götter des Lichtes. Sie waren einander so ähnlich, dass Apollon glaubte zu wissen, wie Baldr sich fühlte. Und als Freund, wollte er für Baldr da sein. Vor allem dann, wenn er einen Freund an seiner Seite brauchte und das war gerade jetzt der Fall. „Tut mir leid, das tut es. Verzeihung...“ Bemüht kämpfte er sich durch die Massen, wesentlich schwerfälliger als Baldr, dem scheinbar jeder aus dem Weg gegangen war, um ihn nicht zu verletzten. Wahrscheinlich war auch das ein Werk von Baldrs Segensfluch seiner Mutter. Apollon besaß so etwas nicht und gerade jetzt wünschte er es sich aber, um schneller zu Baldr zu kommen. **~~** Der Abgrund in die Tiefe war Baldr wahrscheinlich näher als ihm selbst lieb war. Aber hier, an der Klippe, war der einzige Ort, an dem er ungestört sein konnte. Hier her verfolgte ihn nicht mehr das Lachen seiner Klassenkameraden. Nur der Wind wehte ihm durchs lange, dunkelblonde Haar und versuchte ihn zu beruhigen. Doch es gab nichts zu beruhigen. „Hier bist du. Ich habe dich endlich gefunden, endlich gefunden habe ich dich.“ Baldr zuckte zusammen, als er so plötzlich Apollons Stimme hinter sich vernahm. Überrascht wandte er sich zu ihm um und erkannte den bunten Sonnengott, der ihn erleichtert und atemlos anlächelte. Hatte wirklich er als einziger sein Verschwinden bemerkt und war ihm dann auch noch nachgelaufen? Warum musste es ausgerechnet er sein, dieser Idiot, dieser Gott, denn Baldr gleichermaßen mochte wie hasste? „Agana Belea...“ Der Nachname seines Klassenkameraden kam kühl über seine Lippen, gefolgt von einem falschen Lächeln. „Du solltest zurück zu den anderen gehen, sie vermissen dich sicher schon.“ Er sollte weg. Er sollte verschwinden, bevor seine Wut und sein Hass auf ihn, sich irgendwie ausbreiteten und keimten. Baldr ertrug die Nähe des Sonnengottes nicht. „Nein, Baru-Baru! Dann bist du alleine und das will ich nicht!“ Die Bedeutung von Apollons Worten sickerte in Baldr langsam wie dickflüssige Bonbonmasse. Apollon hatte bemerkt, dass er einsam war. Obwohl sie die letzten Tage nicht mehr miteinander gesprochen hatten, weil Baldr ihm aus dem Weg gegangen war. „Ich kann mir vorstellen, wie es sich anfühlt, nicht denselben Spaß wie die anderen zu haben, kann ich mir wirklich vorstellen. Aber... deswegen musst du nicht alleine bleiben. Wir finden einen Weg.“ Dieses Lächeln. Dieses unsagbar unerträgliche Lächeln von Apollon. Es trieb Baldr zur Weißglut. Er ertrug es nicht. Er ertrug diesen viel zu hell strahlenden Sonnengott einfach nicht, auch wenn er sich danach sehnte so zu sein wie er. Genauso frei von der Dunkelheit, genauso nahe bei Yui. „Als ob du es dir vorstellen könntest, Agana Belea!“ Baldr merkte nicht, wie seine Haare schneeweiß wurden und sein menschlicher Körper dem seines Götterkörpers wich. Er spürte nur diese unbändige Wut, die er in diesem Moment auf Apollon eindreschen lassen wollte, der allerdings Schritt für Schritt näher kam, obwohl er spüren musste, dass die Luft um ihn herum geladen war. „Keinen Schritt näher! Bleib mir vom Leib, Agana Belea.“ Er wollte ihn nicht so nahe bei sich haben und hob seine Hand. Bereit die Kontrolle zu verlieren, sich seiner dunklen Seite zu ergeben und damit auch dieses Problem aus dem Weg zu räumen. „Dann bin ich eben eine Reinkarnation vom Inhalt der Büchse der Pandora...“, wisperte Baldr leise und ergab sich mehr und mehr seinem anderen Ich. Er nahm Apollon nur noch verschwommen wahr, der immer näher auf ihn zu kam. Loki hatte Recht, er war ein Ahollon. Er wagte es doch tatsächlich und spielte mit seinem göttlichen Leben. Kurz bevor Baldr vollständig seine Kontrolle verloren hatte, spürte er, wie ein anderer, warmer Körper sich an ihn schmiegte. Noch einmal, öffnete er seine seelischen Augen und blickte auf den Körper des Gottes mit dem leuchtend blonden Haar, der ihn fest umarmte. „Baru-Baru... Du hast die Geschichte nicht bis zum Schluss gehört, oder? Als alle Übel der Welt geflohen waren, aus der Büchse der Pandora und man die Hoffnung darin verschloss, beschloss Pandora, dass dies nicht fair war und öffnete sie ein letztes Mal, so dass auch das Licht der Hoffnung in die verdunkelte Welt entkommen konnte. Sicher, Leid, Krankheit, Zerstörung sind schlimm, aber nur mit der Hoffnung werden sie erträglich, nur dann werden sie erträglich. Und wenn man Freunde hat, dass habe ich hier gelernt, wird all das Leid mit dieser gebündelten Hoffnung nur noch viel erträglicher.“ Baldr lauschte stumm und bewegungslos den Worten Apollons, der sich noch fester an ihn drückte und ihn wirklich berührte. Er spürte den nassen Körper und die warme Farbe, die sich auf sein Göttergewand legte. Farbe, die ihm zuvor ausgewichen war, aber nun dank Apollon auf ihn übertragen wurde. „Und wenn schon...“, wisperte Baldr leise. Er hasste Apollon noch immer. Denn gerade war er das Licht der Hoffnung, von dem er sprach. Dieses Licht, es war einfach zu hell um es zu ertragen. „Nichts und wenn schon. Auch durch dich, habe ich immer wieder Hoffnung schöpfen können, genau das habe ich. Ich bewundere dich, Baru-Baru. Du bist beliebt, engagiert, freundlich und nett zu Yousei-san, sehr nett. Als ich zu Cassandra wollte, dachte ich mir, dass sei okay, wirklich okay, weil du ja für Yousei-san da bist. Du hättest ihr Hoffnung gegeben und sie wieder zum lächeln gebracht, genau das hättest du.“ Baldrs Augen weiteten sich. Was Apollon da sagte, ergab doch keinen Sinn. Sicher, er hätte Yui versucht zum Lachen zu bringen, wenn sie wegen Apollon geweint hätte, aber er wäre doch nicht der einzige gewesen, der das versucht hätte. „Ich weiß genau, dass du als einziger es geschafft hättest, weil du ein Gott des Lichtes bist. Und deswegen, bist du die Verkörperung der Hoffnung, das bist du.“ Sein Herz schlug schneller, als er Apollons Worte hörte. Sah der Sonnengott ihn etwa so? War das wirklich seine aufrichtige Meinung über ihn? „Agana Belea...“, flüsterte er leise und sah zu Apollon, der ihn dieses strahlende Lächeln schenkte. Vorbei war die Spannung in der Atmosphäre. Vorbei war der Hass, der zwar noch keimte, aber nicht mehr so leidenschaftlich brannte. „Ach herr je, jetzt habe ich dein Hemd beschmutzt...“ Weinerlich entfernte sich Apollon von Baldr, der an sich hinab sah. Er war wieder in seiner Menschenform, doch wie es Apollon bemerkt hatte, war sein weißes Hemd voller Farbe. Er war... am Holi-Fest voller Farbe. Und das nur, weil Apollon sich ihm hatte nähern können. Weil er ihn berührt hatte. Ein Lächeln zauberte sich auf Baldrs Gesicht, als er seinen Beutel mit Farbpulver nahm und diesen über Apollons Kopf ausschüttelte. „Du bist viel schmutziger als ich, Agana Belea.“ Baldr lachte. Es war aber dieses Mal nicht dieses gespielte Lachen, sondern ein aufrichtiges, welches ihm Apollon geschenkt hatte. Ebenso das Licht der Hoffnung, dass erneut in Baldrs Dunkelheit erstrahlt war. Kapitel 8: Orpheus (Positiveshipping) ------------------------------------- „Dee-Dee, warte auf mich, warte!“ Dionysos wandte sich um, als er die Stimme Apollons hinter sich vernahm. Er war wirklich ein Kindskopf. Eine Frohnatur die seines gleichen suchte. Etwas, dass Dionysos immer wieder erleichterte, auch wenn es nicht gerade leicht war, gegen diesen Jungen zu bestehen. „Schau mal, ich habe etwas wunderschönes gehört, etwas wirklich Schönes“, erklärte Apollon keuchend, als er vor Dionysos stand und ihm eine Lyra entgegen hielt. Dionysos kannte diese Lyra. Hermes hatte sie einst erschaffen. Seltsam, warum hatte Apollon sie? Hermes war doch so stolz darauf. „Herm-Herm hat sie mir als Entschädigung für die Rinder gegeben.“ Apollon strahlte übers ganze Gesicht und Dionysos musste innerlich seufzen. Das war sicher kein gutes Geschäft. Wenn er die Zeit fand, würde er Hermes eine gehörige Standpauke dafür geben. Auch wenn er jünger als sie beide war, konnte es doch nicht sein, dass er die Einfältigkeit des Sonnengottes ausnutzte. „Kannst du darauf denn spielen, Apollon?“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Wann sollte Apollon schon gelernt haben, wie man spielte? „Herm-Herm hat es mir gezeigt.“ Ohne zu zögern, hob Apollon die Lyra an. Jeder Angriff saß, was Dionysos faszinierte. Sein Bruder war zwar der Hellste, aber nicht der Klügste. Dennoch hielt er diese Lyra, als hätte er noch nie etwas anderes getan. Apollon holte tief Luft und begann schließlich die Saiten des Instrumentes zu zupfen und ihnen eine Melodie zu entlocken, die Dionysos Blut in Wallung brachte und sein Herz wild und schwer gegen seine Brust schlagen ließ. Diese Melodie, brannte sich in seinen Kopf und ließ ihn alles vergessen, außer Apollon, der dieses Lied im Augenblick nur für ihn zu spielen schien.   **~~**   Es war wie ein Albtraum aus dem Dionysos inmitten der Nacht erwachte. In seinen Erinnerungen hallte dieses Lied, welches sein Herz fest an Apollon gebunden hatte. Sein Herz, welches Schuld daran war, dass er nun mit den anderen Göttern und Apollon hier an dieser Schule war. Er war freiwillig mitgekommen, um Apollon beizustehen. Seit dem Verlust von Cassandra, war er so niedergeschlagen und verbarg seine dunklen Gedanken hinter einem strahlenden Lächeln. Genau wie damals... Damals... mit diesem einem Mann. Warum erinnerte sich Dionysos nur auf einmal an ihn. An diesen einen Mann. Er war nicht einmal eine geheime Leidenschaft oder Liebe für Apollon gewesen und doch hatte Dionysos ihn gehasst. Abgrundtief. Apollon würde das nur niemals erfahren. Der einzige der das wusste, war Hades und mit Sicherheit würde dieser schweigen. Alles was Dionysos tun musste, war diese ganze Geschichte einfach zu vergessen. Er musste sie vergessen. Sich hinlegen und einfach schlafen. Ja, das wäre das beste. Es vergessen.   **~~**   Perplex starrte Dionysos auf das Magazine, welches Apollon ihm freudestrahlend entgegen hielt. Darauf waren drei Männer abgebildet und eine Schlagzeile mit dem Titel „HEAVENS beim Uta no Prince-sama Award“ prangte auf ihr. „Schau nur Dee-Dee! Die Menschen nennen das Idolgruppe. Ist das nicht aufregend, das ist doch so aufregend. Ein paar völlige fremde treffen sich und machen gemeinsam Musik und teilen so eine Leidenschaft, eine tiefe Leidenschaft. Sie sind wie wir, genau das sind sie.“ Dionysos lächelte, als er seinen Bruder so begeistert reden hörte. Ja, die Musik lag ihm eben schon immer. Damit konnte man seinen Bruder wohl wirklich jedes Mal aufs neue begeistern. „Sei ruhig!“, polterte Takeru von der hinteren Reihe und erweckte so Apollons Aufmerksamkeit. „Wir sind alles, aber sich keine Idolgruppe.“ Takeru verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen, was nicht lange so blieb, als Loki sein verspieltes Lachen ertönen ließ. „Awww~ Takeru~. Dabei passt du mit deiner Größe doch gerade richtig in so eine Gruppe~. Es gibt immer einen Zwerg~“ Ohne Vorwarnung sprang Takeru auf und ließ dabei den Stuhl gen Boden knallen. Seine Hand war zur Faust geballt, wie üblich wenn er seinen täglichen Streit mit Loki hatte. Dionysos fragte sich, wann die beiden endlich damit aufhörten, oder einander ihre Gefühle gestanden. Ein Menschensprichwort sagte doch „Was sich neckt das liebt sich.“ Die Liebe Lokis für Takeru musste demnach ungeahnte Dimensionen haben. „Yousei-san, kannst du uns nicht mehr von den Idolen deiner Welt erzählen?“ Wie immer ignorierte Apollon gekonnt den kleinen Twist zwischen dem Japaner und dem Norden. Solange es nicht zu weit ging, würde sich wohl nicht einmal ihr Lehrer einmischen. Zumindest nicht, wenn sie in einer Lautstärke stritten, bei der Thoth sie ohne Probleme ignorieren seine Gedanken laut und deutlich genug hören konnte um zu wissen wie er sie verfluchte. „Apollon-san... Also... Um ehrlich zu sein, ich habe mich nie sonderlich für Idolgruppen interessiert.“ Fast schon ein wenig enttäuscht sah Apollon zu Yui, die ihn entschuldigend anlächelte. Ja. Es war für Dionysos ein Tag wie jeder andere. „Oh, da fällt mir ein, wir hatten auch in unserer Heimat ein Idol, ja das hatten wir. Weißt du noch, Dee-Dee, weißt du noch? Er konnte mit seiner Musik jeden verzaubern, wirklich jeden. Deswegen habe ich ihm auch etwas von mir geschenkt, damit noch viel mehr von seiner Kunst begeistert sind, noch viel mehr.“ Dionysos' Körper versteifte sich, als Apollon plötzlich diesen Mann zum Thema machte. Sie sprachen nie über ihn. Das war ein ungeschriebenes Gesetz und doch hatte Apollon es nun gebrochen. „Ach gab es das? Ich weiß nicht wen du meinst, Apollon.“ Dionysos setzte sein sorgloses Lächeln auf. Das was er immer präsentierte, welches alle glauben machte, dass er eben immer positiv gestimmt war, niemals traurig oder verbittert. Einfach eben Dionysos. „Nicht? Aber Onkel Hades weiß doch sicher noch wen ich meine, das weißt du doch noch.“ Apollon hatte sich sofort von ihm ab- und Hades zugewandt. Dieser hatte Dionysos Reaktion sofort verstanden. „Ich kann mich leider nicht an jede unglückliche Seele erinnern, auch wenn ihre Wut und ihr Hass wie ein Fluch auf mir liegt“, flüsterte Hades leise und versuchte das Thema so zu beenden. Doch Apollon war niemand der dieses Thema einfach so stehen ließ. „Aber... Ihr beide kennt ihn doch, das tut ihr sicher. Wie war nur sein Name? Ahhh es ist so lange her, so lange her...“ Dionysos sah, wie es in Apollons Kopf ratterte und arbeitete. Er selbst wusste den Namen noch zu gut. „O.. Or... Ovid? Nein. So hieß er nicht, nein. Orphe-“ „Das reicht!“ Es war als fürchtete Dionysos diesen Namen, weswegen unkontrolliert seine flache Hand auf den Tisch schlug und alle zusammenfahren ließ. Erst jetzt, als die Blicke der anderen auf ihm lagen, wurde Dionysos bewusst, dass er überreagiert hatte. Er musste sich beruhigen. Um Gottes Willen, er musste sich sofort beruhigen. „Der Unterricht beginnt gleich, wir sollten auf unsere Plätze gehen.“ Er selbst konnte nicht glauben, was er da sagte, als er sich auf seinen Platz niederließ. Für diesen Augenblick war es aber egal solange er diesen Namen des Mannes nicht hören musste.   **~~**   Dionysos beobachtete wie Apollon gen Erde sah. Er lauschte wieder diesem Sänger, den er entdeckt hatte. Seit er diesem Mann zuhörte, hatte Apollon selbst nicht mehr zur Lyra gegriffen, was Dionysos schon schmerzte, denn er hatte gerne ausgelassen zu Apollons Klängen getanzt. „Er singt so schön, so schön singt er. Das letzte Lied hat mich richtig zu Tränen gerührt, zu Tränen.“ Dionysos ging auf seinen Bruder zu und beugte sich zu diesem. Seine Augen waren wirklich verweint und er konnte eine einzelne Träne sehen, die über seine Wange glitt. Vorsichtig, strich Dionysos ihm diese weg und lächelte dabei. „Dann solltest du vielleicht etwas fröhliches spielen. Dann sind die Tränen im Nu vergessen.“ Für Dionysos war es ein Grauen seinen sonst so strahlenden Bruder weinen zu sehen. Das passte nicht zu ihm. Deswegen wollte er ihn aufmuntern. Ein kleines Fest, auf dem er fröhliche Lieder spielen und singen konnte, war da doch ideal. „Ich kann nicht, kann ich wirklich nicht“, erklärte Apollon mit einem unschuldigen Lächeln und versetzte Dionysos damit einen Stich ins Herz. Schon wieder hatte Apollon seine Bitte abgelehnt und dabei sehnte sich Dionysos doch so sehr nach einem Lied von seinem Bruder. Er sehnte sich nach dessen Stimme und dessen Strahlen. „Wieso kannst du nicht?“, fragte Dionysos und sah seinen Bruder mit einem Blick der Verzweiflung an. „Weil ich die Lyra nicht mehr habe. Sie ist bei der Person, die sie wirklich verdient hat.“ Es schien Dionysos den Boden unter den Füßen wegzureißen. Die Lyra... Die Lyra die Apollon einst von Hermes erhalten hatte, war nicht mehr in seinem Besitz? Dabei hatte sie Apollon immer so stolz getragen. Dionysos konnte es nicht fassen. „Wer hat sie?“, fragte er obwohl er die Antwort gleichzeitig fürchtete. „Sein Name ist-“   **~~**   Die Glocke hatte gerade rechtzeitig zur Pause geschlagen. Sie hatte ihn davor gerettet, diesen Namen zu hören, auch wenn er ihn bereits kannte. Murrend rieb er sich den Kopf, sich dafür verabscheuend, dass er tatsächlich eingeschlafen war und schon wieder von diesem unliebsamen Teil ihrer Vergangenheit träumte. Er brauchte dringend eine Ablenkung. Eine, die ihm nur sein fruchtbarer Garten bieten konnte und später vielleicht ein Gläschen Saft, dass viel eher ein heimliches Gläschen Wein war. Vielleicht sollte er Yui einladen. Es gab schließlich mehr als einen schönen Weg den Kopf frei zu bekommen. „Es tut mir leid, Baru-Baru, aber ich komme heute nicht zum Tennisclub!“ Es dauerte etwas bis Dionysos gänzlich aus seinem Traum erwacht war und bemerkte, wie Apollon eilig seine Tasche packte. Seltsam, in der Regel folgte er den Regeln und ging immer in den Schulclub. War etwas im Unterricht passiert was er verschlafen hatte? Nein sicher nicht, sonst wären die Anderen doch verwunderter über Apollons Entschluss gewesen. Warum machte er sich eigentlich Sorgen? Apollon war Schülersprecher, da war es doch nur normal, dass er hin und wieder diesen Club wegen seinen Schülersprecher-Aktivitäten sausen lassen musste. Er war heute einfach nur zu empfindlich. Allmählich brauchte er wirklich seinen Garten um seinen Kopf abzuschalten. Komplett abzuschalten.   Der Garten tat ihm wirklich gut. Das verdankte er seinen Pflanzen, die ihn freudestrahlend mit stehenden Köpfchen begrüßten und förmlich um Wasser bettelten. Da konnte er doch nicht so sein. Mit einem freundlichen Lächeln, holte er den Schlauch und richtete diesen auf die Blumen, während er den Hahn aufdrehte. „Wachst und gedeiht. Wachst und gedeiht“, flüsterte er ihnen zu als würden sie verstehen was er sagte. Wahrscheinlich taten sie es sogar, denn sie schienen sich richtig Mühe zu geben, seinem Wunsch zu entsprechen. Genau so etwas ließ sein Herz höher schlagen und alle Probleme vergessen. „Dionysos...“ Als er eine Stimme hinter sich vernahm, wandte er sich um, vergaß dabei aber seinen Schlauch, den er mit sich drehte und so jenen nass spritzte, der es gewagt hatte hatte, hinter ihm zu stehen. Erst als er Hades nasses Gesicht sah, wurde ihm bewusst, dass er ja immer noch den Schlauch hielt, den er auch sofort abstellte. „Hades-san! Tut mir leid. Soll ich dir ein Handtuch holen?“ Dionysos fühlte sich schuldig und wollte schon los rennen, als Hades seine Hand hob und ihm so zum bleiben animierte. „Schon in Ordnung, mein Unglück ist schuld daran. Genauso wegen der Sache heute mit Apollon und den Erinnerungen an diesen Mann.“ Dionysos verzog das Gesicht, denn eigentlich hatte er nicht mehr daran denken wollen, doch nun war es Hades, der ihn auch noch damit in die Ereignisse des Tages zurückholte. Auch wenn er Hades gegenüber ehrlich sein konnte, so brachte es Dionysos einfach nicht übers Herz. Selbst wenn man es ihrem Onkel nicht anmerkte, so gehört er doch zu der Sorte Mensch, die sich massive Sorgen um andere machte. „Dionysos, du solltest bezüglich dieser Sache mit Apollon reden. Er wird es verstehen, denke ich.“ Mit Apollon darüber reden? Hades hatte wirklich gut reden. Wie sollte er nach so vielen Jahrhunderten dieses Thema einfach so ausgraben und seinem Bruder gestehen, was er in einem Anflug aus Wahnsinn und Bruderliebe getan hatte? Wie sollte Apollon das jemals verstehen? Dennoch er wollte ihn gerade jetzt sehen. Wissend, dass er nichts wusste, dass er ihn immer noch so anlächelte wie vorher, und das er ihm weiterhin von weiter Ferne nahe sein konnte. „Wo ist Apollon gerade?“ Hades zeigte mit einem Schulterzucken, dass er es selbst nicht wusste. Dionysos blieb damit keine andere Wahl, als seinen Bruder zu suchen.   **~~**   Hades konnte nicht glauben, was Dionysos ihm da erzählt hatte. Nachdem die Seele Eurydikes in sein Reich gefunden hatte, war kurz darauf Dionysos aufgetaucht. Wie im Wahn, hatte er ihm die Geschichte von dem Geliebten der Nymphe erzählt. Seine Kraft Götter zu betören, dank der Lyra die ihm Apollon geschenkt haben sollte, war einfach unfassbar. Sicher, Apollon hatte schon früher wahnwitzige Ideen gehabt und Menschen wie auch mystischen Wesen kleine Geschenke gemacht, aber ein so machtvolles? Hades konnte, nein er wollte sich das nicht vorstellen. „Hades-san, ich bitte dich! Er wird hier auftauchen und seine Geliebte zurückfordern. Wenn nicht mit Worten, dann mit seiner Musik. Er darf sie nicht bekommen.“ Es war selten, dass Dionysos ihn hier besuchte und dann auch noch so nachdrücklich eine Forderung stellte. Was war seinen Neffen nur passiert? Warum interessierte es ihn so sehr, dass ein anderer diese Lyra spielte und dies auch tun würde, um seine Liebe freizubekommen? „Dionysos, das ist nicht deine Art“, erklärte der Gott der Unterwelt, wurde aber von dem Gott der Fruchtbarkeit gepackt, in dessen Augen er den leidenschaftlichen Wahnsinn sehen konnte. Was war ihm nur passiert? „Diese Lyra... Sie gehört einzig und allein Apollon. Niemand sonst darf sie spielen. Niemand sonst darf damit die Welt erhellen.“ Es musste sein Unglück gewesen sein, welches Dionysos befallen hatte. Glaubte zumindest Hades. Anders konnte er sich nicht erklären, warum Dionysos seinem Bruder auf einmal so den Rücken deckte. Und doch konnte er verstehen was dieser meinte. Die Lyra, sie gehörte einzig dem Gott der Sonne, doch sie war schon lange nicht mehr durch dessen Hand erklungen. Sie heilte damit keine Herzen mehr, brachte kein Licht in die einsamen Stunden und schien selbst die Sterne blasse als früher wirken. „Hast du Apollon das schon einmal gesagt?“, fragte Hades aber. Selbst wenn Apollon kleine Geschenke machte, so dachte er sich immer etwas dabei. Sie hatten immer irgendeinen tieferen Sinn, der anderen jedoch verborgen blieb, bis er diesen erläuterte. „Wir reden kaum noch... und ich vermisse ihn...“ Dionysos Hände lösten sich von Hades Tunika. Die Trauer war ihm deutlich aus seiner Stimme herauszuhören. Er vermisste ihn also. Hades erinnerte sich nur zu gut daran, wie viel Zeit die beiden Brüder miteinander verbracht hatten. Vielleicht war es gar nicht der Verlust der Lyra gewesen, der dem Olymp etwas von seiner Sonne genommen hatte.   **~~**   Nirgends. Apollon war nirgends zu sehen und Dionysos hatte ein ganz schlechtes Gefühl dabei. Ein Gefühl welches er aus der Vergangenheit nur zu kannte und von dem er nicht gehofft hatte, es jemals wieder empfinden zu müssen. Er konnte ja damit leben, seinen Bruder an eine Frau zu verlieren, er selbst hatte immerhin mehr als eine gehabt, aber doch nicht an einen Mann der noch dazu schon lange nicht mehr lebte. Noch einmal wollte er das nicht durchstehen. Vielleicht hatte Hades ja Recht und er musste Apollon endlich alles erzählen. Die ganze Wahrheit.   „ikue ni kasanaru hikari no naka ni modokashii kokoro sotto kakushita omoiau hodo ni surechigai yureru utsukushiki hana tsunaida kizuna tada dakishimete itai yo“   Dionysos hielt inne, als er eine vertraute Stimme hörte, die durch die leeren Flure der Schule erklang. Unter tausenden hätte er sie wieder erkannt und wie damals, als Apollon ihm zu ersten Mal vorgesungen hatte, schlug sein Herz voller Leidenschaft. Diese Stimme war wie ein Zauber, betörend, begehrlich und der Grund, warum er sich niemals von seinem Bruder entfernen würde oder zumindest versuchte ihm immer nahe zu sein, für ihn da zu sein. Denn seine Stimme errettete ihn vor dem Wahnsinn. Als würde eine unsichtbare Hand ihn führen, ließ sich Dionysos zu dem Musikraum führen, in dem Apollon saß und sein wohlvertrautes Lied sang. Für sich in seiner eigenen kleinen Welt. Unerreichbar und doch so nah wie schon lange nicht mehr. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er die Saiten des Instrumentes zupfte, welches Dionysos so viele Jahre für verloren gehalten hatte. Seine Augen weiteten sich und er konnte nicht mehr an sich halten und musste einfach den Raum betreten. Die Tür schwang auf, die Lyra verstummte und Apollons überraschter Blick traf den trauererfüllten von Dionysos. „Dee-Dee...“ Kurzes Schweigen trat zwischen die beiden Brüder. Ein Schweigen, welches Dionysos brach, indem er all seinen Mut zusammenfasste. „Es wird wieder wie früher, oder?“ Etwas hoffendes lag in Dionysos Stimme, der genug Abstand zwischen sich und Apollon hielt. Einen Abstand den er eigentlich fürchtete, denn er bedeutete soviel mehr als dass sie über Jahre eine gewisse Distanz zueinander bekommen hatten. Eine Distanz, die Apollon überwand, als er die Lyra beiseite legte und direkt auf Dionysos zulief. Dionysos konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Apollon seine Arme um ihn legte. Zum ersten mal seit einer so langen Zeit spürte er diese sonnige, warme Nähe. Er roch den Morgentau der aufgehenden Sonne in seiner Welt. „Tut mir leid, dass ich nicht erkannt habe, dass du seine Musik nicht magst. Ich hätte sie nur zu gerne mit dir zusammen gehört.“   **~~**   Apollon hätte ihn auch blind gefunden, denn seine Stimme hallte unentwegt in seinem Herzen wider. Es grenzte fast schon an Ironie, dass selbst jetzt, da Anhänger Dionysos ihn in die Finger bekommen und in Stücke gerissen hatten, sein Lied nicht verstummen wollte und seinen Bruder immer noch geißelte. Selbst hier, an dem einsamen Strand, neben der Lyra konnte es dieser Mann nicht lassen und sang seine traurigen Litaneien. Apollon lächelte traurig, beugte sich zu dem Kopf und strich sanft durch das Haar des Sängers, der sofort verstummte, als hätte Apollon ihm damit einen eindeutigen Befehl gegeben. „Hör bitte auf, ja? Du quälst Dee-Dee. Dabei wollte ich doch nur einmal mit ihm so ausgelassen tanzen, wie er es auf den Festen immer tut. So ganz allein.“ Apollon hob die Lyra auf und verbarg sie unter seiner Toga. Er würde ein Sternenbild nach ihr formen lassen. Als Mahnmal, damit er nie wieder Dionysos so tief verletzte und sie von einander trennte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)