H-Reunion von Norrsken (Das Vermächtnis der fünf Prinzen) ================================================================================ Kapitel 1: Nach fünf Jahren --------------------------- Sirrend landeten die hochmodernen Kreisel in der Arena und zogen ihre Bahnen. Euphorisch riefen die Umstehenden ihren Favoriten zu und jubilierten bei jeder Kollision. Mit Klacken und Knirschen rieb das Metall aneinander, bis es Funken sprühte. »Hau ihn raus!«, forderte ein Junge mit grünem Haar seinen Beyblade auf. Über die Bande holte er Schwung, stieß heftig gegen seinen Gegner und brachte ihn ins Straucheln. Für den Rauswurf reichte es jedoch nicht. »Halte durch! Nicht aufgeben!«, rief der andere Junge seinem Spielzeug gut zu. Mit aller Kraft suchte er den Kontakt, doch sein Gegner hebelte den Angriff aus und kickte den Gegner mit solcher Heftigkeit, dass er aus der Arena flog. Erstaunt zog der Verlierer die Luft ein und folgte der Flugbahn seines Beyblades mit den Augen. Er flog ein beachtliches Stück und wäre hart auf dem Boden aufgeprallt, hätte ihn ein junger Mann nicht aus der Luft gefangen. »Hey, hey, hey! Immer langsam ihr Champs. Sonst schießt ihr eure Blades irgendwann noch aus dem Orbit«, witzelte der Retter und hielt den Kreisel sicher in der Hand. Für diejenigen, die regelmäßig das Beyblade-Center der Stadt besuchten, war seine Anwesenheit nichts Überraschendes, aber auch diejenigen, die seltener oder zum ersten Mal dort waren, wussten, wer er war. Unverkennbar trug er wie eh und je sein Markenzeichen, die Baseballcap, die ihm einst sein großer Bruder schenkte. Sein schlichtes weisses Shirt kombinierte er mit einer Sportjacke und als Zeichen dafür, dass er ein Blader war, hatte er seinen Beyblade in einer Tasche um den Oberarm geschnallt. Gelassen ging er auf die Kinder zu und gab den Kreisel seinem rechtmäßigen Besitzer zurück. »Danke, Takao!« »Kein Problem. Mach weiter so, dann wirst du bald schon besser sein«, versprach der Ältere und grinste ganz typisch für ihn. Es passierte nicht selten, dass sich die Kinder um ihn scharrten, sobald sie seine Anwesenheit einmal registrierten, doch jedes Mal überrumpelte es ihn aufs Neue. Er lachte auf und richtete sein Cap, während die Kinder mit Bitten auf ihn einredeten. Alle wollten sie von ihm Tipps und Tricks lernen – und dafür war er da. Takao versuchte etwas Ruhe in die Meute zu bringen, bevor er seinen Beyblade und den Starter aus den Taschen zog, um mit einer kleinen Lehrstunde zu beginnen. Allerdings ließ es der einstige Beyblade-Champion sich nicht nehmen gelegentlich abzuschweifen und alte Anekdoten aus seiner aktiven Spielerzeit zu erzählen. Jedes Mal klopfte sein Herz schneller und die Augen der Jüngeren begannen zu leuchten, egal wie oft sie die Geschichten vielleicht schon gehört hatten. Zum Abschluss versuchten die Kinder Takao zu einem Match zu überreden und hätten es geschafft, wären nicht zwei von Takaos besten Freunden eingetroffen, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Die haselnussbraunen Augen weiteten sich, bevor er mehrmals blinzelte und sich endlich von der Traube Kinder löste. Manabu und Hiromi kannten diese Situation bereits und waren daher geduldig. Dass Takao selbst nach fünf Jahren noch immer als großer Held des Beyblade-Sportes gefeiert wurde und die Kinder zu ihm aufblickten, konnte man schlecht ignorieren. Daher sparte sich die junge Frau eine tadelnde Ansprache, obwohl er sie warten ließ. Zudem hatten sie ihren Besuch dieses Mal gar nicht angekündigt. Trotzdem lagen ihre Hände an den Hüften, quasi kampfbereit, um Takao doch einen Vortag zu halten, wenn er nicht achtgab. Seinen Beyblade wieder sicher verstaut, schob Takao die Hände in die Jackentaschen und grinste den beiden freudig entgegen. »Was verschlägt euch denn her?«, fragte er im überraschten Ton. Die beiden Freunde sahen einander an und schienen in ihrem Blickwechsel zu beratschlagen, wer auf die Frage antworten sollte. Takao wusste nicht warum, aber irgendwann hatten Manabu und Hiromi mit dieser stummen Kommunikation angefangen und bis zu diesem Tag perfektioniert. Insgesamt störte er sich nicht daran (vor allem, wenn er es nicht mitbekam), doch wenn er sich auf diese Weise von einem Gespräch ausgeschlossen fühlte, konnte er ungehalten werden. Wann sein dünner Geduldsfaden überstrapaziert war, ließ sich schwer einschätzen, doch über die Jahre, die Manabu seinen Kumpel schon kannte, hatte er gewisse Anzeichen für die temperamentvollen Ausbrüche des Weltmeisters kennengelernt. Als der Brünette ein Zucken der Nasenflügel bei Takao bemerkte, wandte er sich sogleich mit einem heiteren Grinsen an ihn. »Wir haben ein paar Neuigkeiten, von denen wir dir berichten wollten«, antwortete er. Hiromi zog aus ihrer Umhängetasche ein Blatt in Größe A3 hervor und rollte es aus. Es war ein Plakat mit auffälligen Farben und großen Lettern. Ein absoluter Blickfang. Takao zog die Stirn kraus, da ihm nicht klar war, was so toll und ausgefallen an diesem Aushang sein sollte. Davon hingen genügend in verschiedensten Formen und Größen in der gesamten Stadt. »Ich wusste, er schnallt es nicht«, schnaubte die junge Frau und verdrehte die Augen. Als Hilfestellung tippte sie auf den Schriftzug, der sich über das Plakat erstreckte, und hoffte, ihr Gegenüber zum Lesen animieren zu können. »Battle Bladers?«, las Takao skeptisch vor. Was sollte ihm das sagen? Doch in seinem Bauch keimte ein bekanntes flaues Gefühl auf. Die Begriffsstutzigkeit ihres Freundes ließ die Beiden frustriert aufstöhnen. »Das ist doch wieder mal typisch! Einfach unglaublich! Hast du dein Hirn heute Morgen wieder im Bett gelassen?« »Hey! Kein Grund beleidigend zu werden, Chef. Von Hiromi bin ich es vielleicht gewöhnt, aber einer reicht.« Unerwarteter Weise war es seine Freundin, die sich dazu erbarmte, zu einer Erklärung anzusetzen. »Dieses Plakat ist der Testdruck. Weitere hundert befinden sich gerade in der Produktion. In den nächsten Tagen soll die offizielle Werbekampagne der BBA beginnen.« »Okay? »Wir haben die Erlaubnis von Mr. Daitenji dir jetzt schon davon zu erzählen«, führte Manabu fort. »Battle Bladers wird ein Turnier für Beyblader aus der ganzen Welt!« Langsam zeichnete sich Erkenntnis in Takaos Zügen ab. Die haselnussbraunen Augen wurden groß und begannen auf diese besondere Art zu leuchten. »Eine neue WM?«, folgerte er, doch Hiromi verneinte sofort mit einem Kopfschütteln. »Nicht direkt. Auf jeden Fall überhaupt nicht so, wie wir es aus der Vergangenheit kennen. Wie es genau laufen wird, erfahren wir auch erst in ein paar Tagen. Aber es soll wohl anders werden.« Takao nickte, auch wenn er nicht viel verstand. Die Aussicht auf ein neues Turnier reichte ihm jedoch. Auf eine ausführliche Erklärung konnte er warten. Doch eines gab es da noch, was ihn brennend interessierte. »Wissen die anderen schon Bescheid?« Das Lächeln auf Manabus Lippen verbreiterte sich zu einem Grinsen. Mit dieser Frage hatte er nicht bloß gerechnet, er hatte sie erwartet. »Ich hab ihnen geschrieben, noch bevor wir zu dir aufgebrochen sind.« »Mr. D lädt sie herzlich als seine Gäste dazu ein«, setzte Hiromi hinzu. Eigentlich war es Takao klar gewesen, dass der alte Mann an sie genau so dachte wie er. Immerhin waren sie ein Team – eine Einheit! Auch wenn sie über den ganzen Erdball verstreut waren, gehörten sie zusammen. Dieses bekannte Kribbeln kitzelte ihn in der Nase. Die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit seinen besten Freunden weckte ungeheuren Tatendrang in ihm. Nach fünf Jahren würde die G Revolution wieder vereint sein! ✪ Nachem Volkov die BBA intrigiert und aus dem Geschäft verdrängt hatte, musste Mr. Daitenji ganz von vorne Anfangen. Das alte BBA Gebäude war zerstört, der Kontakt zu Partnern weltweit abgebrochen und Verträge mussten neu ausgehandelt werden. Zudem hatte die BEGA das Vertrauen der Sportler erschüttert, was den erneuten Aufstieg zusätzlich erschwerte. Nach fünf Jahren hatte sich die Vereinigung stabilisiert und neu Fuß gefasst. Sie war längst nicht wieder so groß wie einst, doch Mr. Daitenji konnte sich nicht beklagen. Das neue Gebäude der BBA war kleiner als das einstige, doch erfüllte seinen Zeck zufriedenstellend. Im Augenblick befand sich der Direktor im Konferenzraum im zweiten Stock. Die Fenster waren mit Rollladen versehen, um das Licht im Raum auf ein angenehmes Maß zu dimmen. Dort beriet sich der ältere Herr mit den verschiedenen Abteilungsleitern über die letzten Feinheiten des geplanten Turniers. Seit dem Wiederaufbaut hatte die BBA von größeren Events Abstand gehalten. Sie war noch zu klein und nicht genug abgesichert, dass sie finanzielle Fehlkalkulationen hätte auffangen können. Noch ein Bankrott hätte für die Vereinigung das Ende bedeutet. Mit dem aktuellen Stand konnte Mr. Daitenji jedoch absolut zufrieden sein und mit der Erfahrung, die er mitbrachte, (der es auch zu verdanken war, dass sich die BBA so gut erholt hatte) vertraute man seinem Urteil. »Wir werden nächste Woche die offizielle Bekanntgabe machen. Bis dahin werde ich hoffentlich schon ein paar Rückmeldungen der ehemaligen Champions haben. Solange möchte ich nicht, dass etwas an die Öffentlichkeit durchdringt. Behalten sie die Planung weiter genau im Auge und überprüfen sie besser alles zwei Mal«, sprach er mit klarer und ernster Stimme. Die Bedrohung durch einen Misserfolg würde für die BBA zwar nicht mehr das Ende bedeuten, doch es wäre trotz allem ein herber Rückschlag. Dessen war dich der Direktor stets bewusst. Damit war die Konferenz abgeschlossen und die Teilnehmer ordneten schnell ihre Unterlange, bevor sie sich an ihren Arbeitsplatz zurückbegaben. Mr. Daitenji warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr, bevor er sich langsam aus seinem Stuhl erhob und den Weg in sein Büro antrat. Er hatte noch etwas Zeit bis zu seinem verabredeten Videotelefonat und genoss es, sich die Beine zu vertraten. Auf seinen Gehstock gestützt schlenderte er durch den Gang und sah raus zum Fenster. Vom Flur aus hatte man einen Ausblick auf den Hinterhof. Dort hatte man einen Sportplatz erbaut, auf dem Kinder und Jugendliche sich nach der Schule trafen, um ihre Technik im Beybladen weiter zu verbessern. Die Begeisterung der Jungend direkt vor Augen zu haben, war für den alten Herrn ein täglicher Ansporn bei seiner Arbeit. Der Sessel im Büro des Direktors war sehr alt und ausgebeult. Nur die wenigsten wussten, dass er von seinem Beisitzer vom Sperrmüll gerettet wurde. Mehrfach war schon der Einfall aufgekommen, dass ein Neuer eine gute Investition wäre, doch Mr. Daitenji hatte stets freundlich aber energisch abgelehnt. Er verband zu viel mit dem alten Möbelstück und wollte auf dieses wohlbringende Gefühl, das ihn jedes Mal überkam, wenn er in die Polster sank, nicht verzichten. Mit einem Piepton kündigte sich der Anrufer an und Mr. Daitenji öffnete das Videofenster über den ganzen Bildschirm seines Computers. »Es freut mich von dir zu hören, Hitoshi«, begrüßte er den alten Freund. »Hallo, Mr. Daitenji«, erwiderte dieser respektvoll. »Wie geht es dir?« Für den alten Mann war dies nicht bloß eine Höflichkeitsfloskel. Vor fünf Jahren, nachdem Takao gemeinsam mit seinen Freunden die Machenschaften der BEGA gestoppt hatte, war Hitoshi zu Reisen durch die ganze Welt aufgebrochen. Den jüngeren der Kinomiya-Brüder hatte dieser erneute Verlust zwar getroffen, doch er brachte notgedrungen Verständnis für die Beweggründe auf. Hitoshi besuchte die verschiedensten Länder der Welt und suchte in ihren Städten und Dörfern nach passionierten Anhängern des Beybladesportes. Dort, wo er nicht so bekannt war, nahm er sich die Zeit, den Kindern das Spiel beizubringen und wenn er ein besonderes Talent entdeckte, berichtete er der BBA davon. Lag es in den Möglichkeiten der Vereinigung, erhielt der Schützling fortan eine entsprechende Förderung. In ihrem heutigen Gespräch wollte der Direktor von seinem Talent-Scout eine Einschätzung, was die Teilnahme am kommenden Turnier betraf. »Ich bin davon überzeugt, dass aus aller Welt Teilnehmer zusammenkommen werden. Sowohl aus der Großstadt als auch von kleineren Dörfern. Zu den Spielern, bei denen ich mir absolut sicher bin, dass sie sich qualifizieren werden, habe ich ein paar Daten gesammelt. Ich werde sie Ihnen in Kürze per Mail zukommen lassen, Mr. Daitenji.« »Sehr schön! Ich bin schon sehr gespannt, mit was für außergewöhnlichen Spielern wir zu rechnen haben.« Wenn der alte Mann in den letzten fünf Jahren etwas in seiner Arbeit vermisst hatte, dann war es das Staunen, das die jungen Erwachsenen bei ihm auslösten, wenn sie bei den sportlichen Wettbewerben ihr Letztes gaben und über sich selbst hinauswuchsen. »Bevor ich es vergesse! Vermerk mir doch bitte auch, wenn von deinen Talenten jemand finanzielle Unterstützung bei der Anreise brauchen sollte. Ich leite es dann direkt weiter an unsere Partner, die sich darum kümmern wollten.« »Natürlich, Mr. Daitenji.« »Sehr schön. Ich freu mich schon auf deinen nächsten Bericht, Hitoshi!« ✪ Ruhig lag der gepackte Koffer auf dem ordentlich gemachten Bett. Der Schrank gegenüber, gefüllt mit weiteren Kleidungsstücken, stand offen, doch der junge Mann ließ beides für den Moment unbeachtet. Er stand vor der Terrassentür, die bis eben noch hinter den schweren, dunklen Vorhängen versteckt gelegen hatte. Nachdem er sie zur Seite gezogen hatte, konnte er von der hoch gelegenen Wohnung in den Himmel schauen, der von der untergehenden Sonne in kräftiges Rot gefärbt wurde. »Bist du noch da?«, fragte eine elektronisch leicht verzerrte Stimme und weckte seinen Gesprächspartner auf diese Weise aus seinem Tagtraum. »Ja«, war die karge Antwort. Der junge Mann mit den aschgrauen Haaren öffnete die Tür zur Terrasse und atmete die frische Luft ein. Er lockerte den Hemdkragen, um diesem einengenden Gefühl zu entgehen und genoss das bisschen Freiheit. Er wechselte mit dem Telefon die Ohrmuschel und wandte sich wieder seinem Gepäck zu. »Fallen dir noch irgendwelche Instruktionen ein, die du mir lieber gesagt haben willst, bevor ich jetzt auflege?«, erkundigte sich der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung und Kai konnte eine Spur des genervten Gemütes erahnen. Vermutlich fühlte sein Kamerad sich, als würde er ihm nichts zutrauen, dabei wusste der Andere genau, dass Kai bloß einen Hang zum Perfektionismus hatte. »Nein, ich denke das war alles. Ich bin mir sicher, du regelst alles zufriedenstellend, bis die Umstellung bei allen angekommen ist. Ich verlass mich auf dich.« Kai vernahm noch ein paar steife Verabschiedungen auf Russisch, bevor das vertraute Klicken ertönte und das Telefonat beendet war. Achtlos schmiss er das Handy auf die Kommode auf der schon eine leere Vase und sein Beyblade Dranzer Platz gefunden hatten. Der laue Wind kam zum Fenster rein, spielte mit den Vorhängen und malte ein Schattenspiel an die in rotes Licht getauchte Wand. Bald würde die Sonne untergegangen sein. Kai ließ den Blick über den geöffneten Koffer und seine Kleidungsstücke schweifen. Er war für einen unbestimmten Zeitraum gepackt worden, doch über den Inhalt wollte er sich für heute Abend keine weiteren Gedanken machen. Er schloss den Deckel und stellte das Gepäckstück vor das Bettende auf den Boden. Anschließend verließ er den Raum durch die Tür und trat in den Wohnbereich. Ein leises Maunzen ließ sich verlauten und geschmeidig tigerte der Urheber um die Beine seines Herrchens. Er kniete sich zu dem Tier hin und hob es um den Bauch herum an, um es auf den Arm zu nehmen. Kaum kraulte er den Kater hinter den Ohren, begann dieser zu Schnurren und Kai musste lächeln. »Du bist schrecklich verschmust, weißt du das, Lancelot?« Der sibirische Kater kommentierte dies mit einem weiteren Maunzen und erwartete offenkundig weitere Streicheleinheiten. Immerhin nahm er für sein Herrschen beschwerliche Reisen auf sich, also konnte es dies von ihm erwarten. In die schwarze Ledercouch versunken, Lancelot schnurrend auf seinem Schoß, checkte Kai auf seinem Laptop sein Postfach auf neue Mails und las aufmerksam die neuen Informationen, die Mr. Daitenji ihm hatte zukommen lassen. Hosted by Animexx e.V. 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