Hummingbird von Traiko ================================================================================ Kapitel 2: Brooklyn ------------------- Einsam und verlassen kauere ich mal wieder in meiner „Lieblingsecke“ des Schlafzimmers, in der ich immer kauere, wenn es mir nicht gut geht. Mir ist kalt, ich zittere, doch ich will mich nicht zudecken, will nicht aufstehen und an einen wärmeren Ort gehen oder irgendetwas anderes an meiner Situation ändern. Schließlich bin ich auch nicht Schuld daran. Mit offenen Armen lade ich die Kälte ein, sich einen Platz in meinem Herzen zu nehmen. Deinen Platz. Denn du bist mal wieder nicht da. Und das obwohl ich dir vorhin am Telefon gesagt habe, dass du zu mir kommen musst. War ja von vorne herein klar, dass du nicht aufkreuzt und mich hier alleine sitzen lässt. Deswegen muss es kalt sein. Ja, es ist immer kalt wenn du nicht da bist. Diese Kälte ist alleine deine Schuld. Warum tust du mir das an? Schon wieder? Ist es dir egal, was mit mir passiert? Wie kannst du nur so egoistisch sein! Brauchst du mich etwa nicht mehr? Bedeute ich dir nach all der Zeit nichts mehr? Nur wenn du mich brauchst, fühle ich mich gut, fühle ich, dass meine Existenz benötigt wird. Es ist dunkel um mich herum, ich sehe kaum meine eigene Hand vor Augen. Wo ist dein Licht? Dein sonniges Lachen, deine Unbekümmertheit, die freie Art? 
Du bist immer glücklich, mit deiner Welt um dich herum eins und frei wie ein Vogel. Du erinnerst mich an einen Kolibri. Klein, zahm, hübsch und lieb fliegt er von Blume zu Blume, ganz wie er mag, ohne Spuren zu hinterlassen. Und trotzdem ist er ein wildes Tier, unberechenbar, frei hinzufliegen wo und wann es ihm gerade passt. Ich hingegen bin ein wildes Biest, das eingesperrt in seiner eigenen Haut nach Aufmerksamkeit und nach Nähe schreit. Unglücklich und Verlassen, aber intelligent. Unweigerlich macht sich in meiner Bauchgegend wieder dieses wohl bekannte Brennen breit. Mir fehlt all das, was du hast. Und deswegen will ich dich verschlingen. Will ich dich ganz in mir aufnehmen. Mit all deinen Eigenschaften, deiner Freiheit, deiner Unbekümmertheit, deinem Glück und deinem Lächeln. Mit allem was du bist und sein wirst. Mit deinem Leben. Du darfst mich niemals verlassen. Es muss so bleiben wie es ist, du musst immer wieder zu mir zurückkommen und du musst auch heute zu mir zurückkommen, ganz gleich was auch passieren wird. Und ich muss dafür Sorge tragen, dass alles so bleibt wie es zwischen uns ist. Mit allen Mitteln, die ich habe. Denn du bist der Quell meines Glücks. Und gerade deswegen musst du mir gehören, mir ganz alleine. Du musst! Verstehst du das nicht? Ich erinnere mich daran, dass du mir einmal sagtest, dass ich doch auch einmal etwas mit den anderen dreien auf unserem Team etwas unternehmen könnte. Doch seien wir mal ehrlich, wer aus unserem Team könnte außer dir dafür in Frage kommen? Crusher, der sich ach so selbstlos für seine kleine, kranke Schwester aufopfert? Als ob der noch für irgendwen anderen Zeit hätte oder auch nur in seinen sorgenvollen Kopf hinein lassen würde. MingMing, das oberflächliche, von den Medien aufgeblasene Pop-Idol? Die denkt doch nur an die Anzahl ihrer Fans, an sich und ihren Ruhm, der ihr völlig zu Kopf steigt. Sie nimmt doch schon gar nichts anderes mehr wahr. Garland, dieser arrogante Sportfreak? Der muss doch sich und seiner super berühmten Familie von Sportlern aller Art beweisen, dass er dazugehört und genau wie seine Geschwister ganz toll in einer Sportart sein kann, die eben noch nicht von seinen übertollen Geschwistern erobert wurde. Als ob der für andere Dinge noch Zeit hätte. Dass ich nicht lache. Nein, der Einzige, der in Frage kommt bist du, Mystel. Du hast keinen Druck von außen, jemand ganz Bestimmtes zu sein oder nicht zu sein, musst niemandem etwas beweisen. Stattdessen lebst du einfach, frei und unbekümmert und unvoreingenommen. Du hast Zeit und Platz in deinem Herzen und in deinem Kopf um noch andere zu sehen und darin aufzunehmen. Immerhin konnte ich dir damals diesen Gedanken, von wegen Abhängen mit den anderen, aus dem Kopf schlagen und auch dir klar machen, dass du dich besser nicht zu sehr auf diese drei einlässt. Aber anscheinend war das nicht von langer Dauer. Warum zum Geier bist du so schwer von Begriff? Warum sagst du, du hast dich verändert und etwas neues gelernt, wenn es nicht so ist und du nach einer gewissen Zeit die gleichen Fehler wieder an den Tag legst? Mit einem Mal merke ich wie der Zorn in mir hochkocht. Eine kalte Flamme, die mich langsam, ganz langsam verzehrt, qualvoll verändert und das Brennen in meiner Magengrube nur noch weiter anfacht. Zusammen mit dem Brennen in meinem Bauch ergibt es einen seltsam schmerzenden Zustand. Natürlich bist du nicht da, du bist es nie wenn ich dich mal brauche. Denn du brauchst mal wieder Zeit für dich. Ich war immer für dich da, selbst in deinen dunkelsten Stunden war ich da und habe dich aufgefangen. Anscheinend zählt das alles nicht mehr. Alles was zählst bist du, du, du! Es dreht sich immer alles nur um dich, es geht immer nur darum, wie es dir geht, was du fühlst. Und Hauptsache du musst nichts dafür tun. Hauptsache, die anderen machen alles, helfen dir, sind bei dir. Du nimmst und nimmst ohne jemals geben zu müssen! Sieht man ja mal wieder an der jetzigen Situation. Sonst wärest du ja rechtzeitig da gewesen und würdest dich nicht so verspäten. Auf dich ist wirklich kein Verlass. Wieso lasse ich mich jedes mal dazu hinreißen immer wieder zu denken du würdest dich ändern? Nein, das ist dein wahres Gesicht, hässlich und egoistisch. Ha, du solltest dich glücklich schätzen, dass ich weiß wie du in Wirklichkeit aussiehst. Ohne diese Maske, die ich dir am liebsten zertrümmern würde, nur damit die Welt dich einmal so sieht, wie ich dich sehe. Ohne diese geschmacklose Maske mit der du alle betrügst und glauben machst, du seist anders. Dass ich trotz allem bei dir bin und dir zur Seite stehe, sollte eigentlich für sich sprechen. Und zwar Bände. Wer würde sich denn schon mit dir einlassen, wenn bekannt wäre wie du wirklich bist? Ja, ganz genau. Niemand. Nur ich bin bei dir. Wie immer an dieser Stelle gesellt sich zu meinem Brennen im Bauch das ebenfalls bereits gut bekannte Stechen unter meinem Brustbein. Wie ich diese Kombination von Schmerzen hasse! Das Geräusch von der ins Schloss fallenden Tür reißt mich aus meinen endlosen Gedanken. Danach herrscht wieder Stille. Im Flur wird das Licht angeknipst, welches in einer Kegelform durch die halb geöffnete Schlafzimmertür bis in meine Lieblingsecke vordringt. Das kannst nur du sein, kann nur dein Licht sein. Wer sonst würde zu mir herein kommen ohne ein Wort zu sagen? Oh, Mystel, wie gut ich dich bereits kenne. Besser als jeder andere. Gleichzeitig macht mein Herz einen kleinen Freudensprung. Denn du bist zu mir zurück gekommen. Also brauchst du mich doch noch in deinem Leben. Meine Strategie geht weiterhin auf. Ein routinemäßiger Blick auf die Uhr lässt mich allerdings wieder ernüchtern. Du bist viel zu spät. Habe ich dir nicht schon tausend Mal gesagt, dass du dich unverzüglich zu melden hast, wenn du zu spät kommst? Abgesehen davon hast du da zu sein, wenn du fertig mit dem Training bist. Und zwar sofort nachdem du fertig bist. Ich kenne deinen Trainingsplan in- und auswendig. Wozu trainierst du eigentlich überhaupt noch? Wir wissen doch alle ganz genau, dass ich die anstehenden Turnierkämpfe auch im Alleingang bestehen kann. Es wäre viel besser, wenn ich dich in dieser Zeit für mich haben würde. Aber gut, Boris hat das Sagen. Und so bleibt auch mehr Zeit für mich um mich mit meinen kleinen, wilden Vögelchen zu unterhalten. Aber zurück zum vorherigen Gedanken: auch alle deine anderen Termine sind mir bestens bekannt. Schließlich gehört auch deine Zeit mir. Wahrscheinlich kommst du jetzt wieder mit irgendeiner „vernünftigen“ Ausrede an. Mittlerweile solltest du wissen, dass das nicht mehr bei mir zieht. Warum nur bist du so lernresistent, mein kleiner, wilder Kolibri? Langsam erhebe ich mich, gehe mit langsamen Schritt auf die halbgeöffnete Tür zu und bleibe dort stehen. Von hier aus kann ich dich sehen. Du stehst mit dem Rücken zu mir und kramst leise in einer Tüte herum, in der sich irgendetwas in bunt eingepacktem Papier und einigen Schleifen befindet. Du machst alles leise. Glaubst du etwa, dass ich nicht mitbekommen würde was du machst, nur weil du dabei leise bist? Lächerlich. Und das Geschenk, das doch hoffentlich für mich bestimmt ist und das mich sogar für eine kurze Sekunde jetzt schon erfreut, wird dich jetzt auch nicht mehr retten können. Jedenfalls vorerst nicht. Später werde ich mich vielleicht darüber freuen können, wenn du deinen Fehler wieder einigermaßen gut ausgebadet hast und ich mich nicht mehr so sehr über dich ärgern muss. Durch den Spiegel im Flur kann ich auch dein Gesicht beobachten. Doch was muss ich sehen? Ein Lächeln? Sofort werde ich wieder unsicher. Ein kleiner Stich in meinem Herzen. Doch kurz darauf wandelt sich die Unsicherheit wieder in eine leichte Aggression um. Nein, nein, du darfst nicht lächeln. Du darfst dich nicht gut fühlen. Denn dann brauchst du mich nicht mehr. Und dann bin ich entbehrlich und ich werde wieder alleine sein, werde keinen Grund mehr haben zu existieren. Du musst mich brauchen, weil es dir nicht gut geht. Genauso wie ich dich brauche, damit es mir gut geht. Langsam und bedrohlich nähere ich mich dir, ohne dass du mich zu bemerken scheinst. Ich werde jetzt dafür sorgen, dass es dir wieder schlecht geht und du mich brauchen musst. Koste es was es wolle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)