Hummingbird von Traiko ================================================================================ Kapitel 1: Mystel ----------------- Seit langer Zeit sitze ich wieder an meinem alten Lieblingsplatz. Weit ab von Wohnungs- und Industriegebieten in der freien Natur. Von hier habe ich einen guten Überblick über meine Umgebung. Ein idealer Ort um nachzudenken. Um über uns beide nachzudenken. Ein frischer Wind weht zärtlich durch mein Haar und die letzten Sonnenstrahlen des Tages erwärmen meine Haut. Wie sehr ich das alles vermisst habe. Die Sonne geht gerade unter. Wie malerisch sie dabei den Himmel in rote, orange und violette Fetzen reißt. So ähnlich müsste auch gerade mein Herz aussehen. Und du bist meine Sonne. Wenn du lachst, erstrahlst du deine Umgebung. Du tauchst alles in ein warmes Licht. Für mich ist es das Größte auf Erden, wenn du dich freust. Ich habe es mir zu einem meiner Hauptaufgaben gemacht, dir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Nur dann fühle ich mich auch richtig glücklich. 
Aber ich, nein wir beide wissen, dass deine Freude nie von langer Dauer sein wird. So wie jeden Abend die Sonne untergeht, so wird auch deine Laune umschlagen. Du hast mir sogar selbst einmal gesagt, dass ich dein Himmel sei. Du brauchst mich stets bei dir, ganz um dich herum, nur dann könntest du frei fliegen. Es war eines der schönsten Dinge, die du mir gesagt hast. Wer sonst kann schon von sich behaupten für eine andere Person den Himmel auf Erden zu bedeuten? Ich ertappe mich bei einem Lächeln. Irgendwie macht es mich froh, dass wir beide so eine besondere Beziehung zueinander haben. Dass wir voreinander sein können wie wir sind, egal wie hässlich wir auch sein mögen. Dass ich vor dir meine Maske ablegen kann. Für Außenstehende mag unsere Verbindung bestimmt nur schwierig zu begreifen sein. Wenn überhaupt. Selbst ich kann es nicht richtig in Worte fassen. Es ist ein ganz bestimmtes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Und manchmal macht es mir Angst. Angst vor dir und dass du mich verschlingst. Ist es das, was manche Leute eine Hassliebe nennen? Ist es das was passiert, wenn ein Tornado auf einen Vulkan trifft? Ach was, wo denke ich da hin... Schließlich sagst du ja selbst immer, dass alles was du machst stets zu meinem Besten ist. Auch wenn ich es nicht immer sehe. Aber du bist der Intelligentere von uns beiden und hast sicherlich Recht mit dem was du sagst und mit dem was du tust. Ganz gleich wie schmerzlich es für mich auch ist, es ist zu meinem Besten. Es ist bewundernswert von dir, dass du immer mich an erste Stelle stellst, egal, wie es dir gerade geht. Das rechne ich dir hoch an und ich versuche es dir gleich zu tun. Denn du hast nur die beste Behandlung verdient. Besonders wenn man sich all die Schmerzen ansieht, die ich dir in der Vergangenheit angetan habe. Es ist gut, dass du sie mir immer wieder vorhältst. Nichts anderes habe ich verdient. Und du liegst völlig richtig damit zu tun und zu lassen was du willst, auch wenn es mir oft nicht schmeckt. Das ist nur ausgleichende Gerechtigkeit. Ein Kolibri fliegt an mir vorbei. Ein Schmunzeln legt sich auf meine Züge. Welch Laune der Natur. Du nennst mich auch oft deinen kleinen Kolibri. Gedankenverloren schaue ich dem kleinen Vogel hinterher. Gerne würde ich genau so frei sein wie er... Moment, war ich das nicht einmal vor unendlich langer Zeit? Ich schüttele den Kopf und damit den Gedanken aus diesem. Ich habe jetzt dich und du bist viel wichtiger als alles andere. Mein Training ist schon lange vorbei. Der Coach hat es schon vor Stunden beendet, weil ich nicht richtig bei der Sache war. Er sagte, es mache so keinen Sinn und ich solle erst meinen Kopf frei bekommen, bevor ich wieder zum Training komme. Er lag damit vollkommen richtig. Ich habe den Kopf voll mit dir. Was der Coach sagt, das muss auch gemacht werden und deswegen sitze ich jetzt hier. Seit langem wieder. Obwohl ich doch ganz genau weiß, dass ich sofort hätte zu dir kommen sollen. Selbst wenn das Training regulär zu Ende gegangen wäre, hätte ich mich vor einiger Zeit schon auf den Weg zu dir machen müssen. Aber ich brauchte heute einfach diese Zeit für mich. Ich brauchte sie um seit langem wieder en Stück weit frei zu sein, ganz wie der kleine Kolibri. Um ein Stück weit ich zu sein. Warum verstehst du nicht, dass ich Zeit für mich brauche? Auf diese Frage hin meintest du nur, dass du selbst auch keine Zeit für dich selbst brauchst. Anstatt Zeit mit dir selbst zu verbringen, verbringst du sie lieber mit mir zusammen. Das sei doch etwas ganz Selbstverständliches, wenn Menschen so eine enge Beziehung wie wir hätten. Natürlich, ich verbringe auch liebend gerne meine Zeit mit dir, Brooklyn. Bin ich etwa zu egoistisch? Vermutlich... Und doch kann ich es nicht ändern. Ich fühle mich, wie so oft in letzter Zeit, wie ein kleiner Vogel in seinem Käfig. Ich kann mir selbst nicht entfliehen. Dabei möchte ich das sein was du so sehr brauchst. Der Horizont verschluckt gerade den letzten Sonnenschein und langsam macht sich die Dunkelheit und mit ihr die Kälte breit. Wenn ich zu dir zurückkomme, wird es einen riesigen Ärger geben - denn ich werde viel zu spät bei dir ankommen. Ganz gleich, wie sehr ich mich beeilen werde. Ein Seufzen entweicht meinen Lippen. Es bringt ja doch nichts. Ich muss zu dir zurück. Ätzend langsam erhebe ich mich, recke mich als mir in diesem Augenblick einfällt, dass ich ja mein Handy dabei habe. Vielleicht sollte ich dich anrufen und dir sagen, dass mein Training heute länger gedauert habe. Es wäre nicht das erste mal, dass ich dir diese kleine Lüge erzählen würde, nur damit du nicht ganz so schlimm ausrastest und mir wieder sonst was um die Ohren wirfst. Um ehrlich zu sein, ist mein Trainingsplan den ich dir gegeben habe eine halbe Lüge. Im Gegensatz zu dir brauche ich einfach Zeit für mich. Ganze genau so, wie man die Luft zum atmen braucht. Deswegen habe ich viele Trainingsstunden schlichtweg erfunden, habe meine Pausen auf dem Papier in Sporteinheiten verwandelt und mir neue Pausen hinzugefügt. Alles in etwa so, dass es ungefähr dem letzten Trainingsplan, der tatsächlich der Wahrheit entsprach, sehr ähnlich ist. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ich schon vor Monaten eingegangen, denn du verlangst immer mehr Zeit von mir. Abgesehen von meinen erfunden Freizeiten im vermeintlichen Training, gehört dir bereits meine komplette Zeit. Aber ich weiß ganz sicher, dass du in diesem Bereich nicht mal auf die Idee kommen könntest, dass etwas faul sein könnte. Immerhin bist du besser als wir alle. Ein Naturtalent wie du es im Beybladen bist, ist schwierig zu trainieren, denn es beherrscht bereits so vieles, von dem andere nur träumen und noch härter daran arbeiten müssen. Du beherrschst das alles schon mit links. Da ist es ganz natürlich, dass dein eigener Trainingsplan viel schlanker ausfällt. Das ist dir bestens bekannt und deswegen ist es für dich das Normalste der Welt, dass wir anderen mehr Training im Programm haben als du. Es tut mir Leid dich so belügen zu müssen. Zu was für einer Art Mensch macht mich das, wenn ich die Person, die ich auf dieser Welt am liebsten habe belügen muss nur um nicht selbst verrückt zu werden? Ich kenne die Antwort bereits. Wenn man einen Menschen liebt, sollte man ihn niemals belügen müssen. Ich bin ein Lügner und feige obendrein, da ich diese Lügen vor dir geheim halte um mich selbst nicht der schreienden Wahrheit und deinem Zorn stellen zu müssen. Dein Ärger wäre nur berechtigt. Ich lüge weiter um dein Herz nicht noch mehr zu beschädigen, als es eh schon ist und um meinen eigenen Hintern zu retten. Wie erbärmlich von mir. Nach einigem Kramen, hole ich mein Handy aus der Hosentasche hervor. Allerdings muss sich mein gefasster Plan an dieser Stelle in Luft auflösen, denn das Gerät ist aus und bleibt aus. Mal wieder habe ich vergessen es aufzuladen. Sieht mir mal wieder ähnlich. Mit dem tröstenden Gedanken, dass ich allerdings an diesem hübschen Örtchen sowieso keinen Empfang gehabt hätte, lasse ich das Handy wieder in der Tasche verschwinden. Und deine Schelte habe ich auch verdient. Schließlich ist Pünktlichkeit etwas ernst zu nehmendes. Es hat etwas mit Verlässlichkeit zu tun und du solltest dich stets auf mich verlassen können. Schließlich bin ich dein Himmel und du bist meine Sonne. Wieso nur reite ich mich immer wieder in solche blöden Situationen hinein? Vielleicht ist das mein eigenes trauriges Naturtalent... Höchste Zeit aufzubrechen. Noch einen letzen Blick auf den Horizont werfend ziehe ich meine Maske wieder ins Gesicht. Mit einem beherzten Satz springe ich von Stein zu Stein, weg von meinem alten Lieblingsplatz in Richtung Zivilisation. In meinem Kopf rasen die Gedanken - sicherlich wirst du traurig und enttäuscht von mir sein, dass ich so spät aufkreuze. Wie kann ich dich wieder glücklich machen? Da kommt mir die rettende Idee. Vor einigen Wochen sind wir doch an diesem Schokoladen Geschäft vorbei gegangen. Du hast die schwarzweiß gemusterte Schokolade mit den Erdbeeren so geliebt. Am Besten ich mache einen kurzen Umweg dorthin und lasse dir welche als Geschenk einpacken. Das wird dir sicher gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)