Sherlock Holmes und das Phantom der Oper von Deadangel ================================================================================ Kapitel 1: Ankunft in Paris --------------------------- Auf Sherlocks nervöses Drängen, nahmen sie den Nachtzug noch am selben Tag. "Wir hätten uns vorher zumindest um ein Hotel kümmern sollen.", meinte Watson, als er seinen Koffer in der Ablage über den Sitzplätzen verstaute. "Kleinigkeiten, Krimskrams", kommentierte Holmes. Er hatte sich auf die Schnelle einen Stadtplan von Paris besorgt, den er, schandhafter Weise, einfach von einem Ständer des Bahnhofskiosks hatte mitgehen lassen. Nun studierte er die Straßen im weiten Umkreis um die Oper. "An Schlaf und Ruhe wird nach der Ankunft sowieso nicht zu denken sein.", meinte er weiter. "Für dich vielleicht nicht. Ich für meinen Teil möchte ungern den Koffer die ganze Zeit durch Paris schleppen." "Mmh... na gut, da mag etwas Wahres dran sein", sagte Sherlock und schlug den Stadtplan zu. "Nach der Ankunft werde ich mir die Oper ansehen und du wirst mit dem Gepäck eine Bleibe für uns suchen!" Er zupfte seinen Mantel zu Recht und versuchte sich in eine einigermaßen bequeme Position zu bringen. "Was ich? Sherlock! Dann gib mir wenigstens den verfluchten Stadtplan. Ich wünschte meine französische Aussprache wäre besser." "Bedaure, den benötige ich selber. Und jetzt, Ruhe!" „Was, Ruhe?" "Ich will ausgeschlafen sein, wenn wir in Paris ankommen." Damit schloss Sherlock die Augen und lehnte sich in dem Sitz zurück. Sie erreichten die sogenannte Stadt der Liebe am Mittag des nächsten Tages. Watson schien die Fahrt nicht sonderlich gut bekommen zu sein. Er hatte Augenringe und war einen Großteil der Zeit damit beschäftigt herzhaft zu gähnen. "Hier kauf dir einen Kaffee, bevor du ein Hotel suchst. Komm danach zur Oper nach." Sherlock drückte ihm ein paar Münzen in die Hand, bevor er dann mit schnellen, energischen Schritten in der Menge verschwunden war und sich auf den Weg zur Oper machte. Watson blieb wie ein ausgesetzter Hund zurück und viel anders fühlte er sich in diesem Moment auch nicht. Die Opéra Garnier, wie die Pariser Oper nach ihrem Architekten benannt worden war, war schnell und leicht zu finden. Zwar war der Weg gut ausgeschildert, aber am einfachsten war es, den Touristen zu folgen. Neben dem Eiffelturm gehörte auch die Oper zu den wohl begehrtesten Sehenswürdigkeiten von Paris. So befand sich der Detektiv bald vor den vielen Säulen vor dem Eingang in das eigentliche Gebäude. Steinreliefs und Statuen starrten mit ihren Augen auf all jene hinab, die sich der Oper näherten. Das gesamte Gebäude sollte mit seinem Protz wohl die Passanten beeindrucken und ihnen eine Illusion von Luxus und Kunst vorheucheln, wobei vom ersteren die Angestellten der Oper wahrscheinlich wenig erhielten. Letztendlich war eben auch Kunst nur ein Geschäft und nur jene, die weit an der Spitze standen, erhielten neben Anerkennung auch noch Reichtum. Dennoch musste der entsprechende Schein nach Außen gewahrt werden, denn so war es in diesem Gewerbe eben: Illusion bestimmt alles. Und je besser sie war, desto besser die Einnahmen der Oper. Wie passend, dass sich ein Phantom hier breitgemacht hatte. Hätte er Firmin nicht gestern gesehen, dann hätte Sherlock die Geschichte auch für eine interessante Werbemaßnahme halten können. Aber der arme Mann hatte richtige Angst gehabt. Langsam begann Sherlock das Gebäude zu umrunden. Zumindest gab es viele Möglichkeiten hineinzukommen. Die Fenster des Erdgeschosses waren leicht zu erreichen und nur wenig gesichert. Zudem gab es neben dem Haupteingang noch zwei weitere Eingänge für die Angestellten und Zulieferer. Hinein- und wieder hinauszukommen war somit keine große Herausforderung. Zwar gab es überall Pförtner, die alles im Blick haben sollten, aber wie es bei Wächtern nun einmal war, nach ein paar Stunden wurden sie unkonzentriert. Dann reichten Kleinigkeiten als Ablenkung. Der nette Nachbar, der auf einen Plausch vorbeikam oder schon die schöne Passantin, die in Sichtweite entlang schritt. Sherlock selbst fand diese Art der Überwachung äußerst primitiv. Dennoch wollte er noch nicht davon ausgehen, dass auch das Phantom auf diese Weise hinein und hinaus kam. Dazu hatte er noch zu wenige Anhaltspunkte und konnte seinen neuen Gegner nicht gut genug einschätzen. Ein weiteres Mal umschritt er den imposanten Bau, bevor er sich dann dem Eingangsbereich zuwand. Er stieg die wenigen Stufen hinauf zu den großen Doppeltüren. Sie waren verschlossen, da es für Führungen oder Aufführungen noch zu früh am Tag war. Holmes klopfte an das Glas, doch aus dem Inneren erfolgte keine Reaktion. Na gut, dann eben anders. Erneut führte sein Weg ihn um das Gebäude herum hin zu einer der kleineren, unscheinbareren Pforten, die von den Angestellten genutzt wurden. Schon als er mit energischen und schnellen Schritten auf die Tür zugeschritten kam, stellte sich ihm ein Pförtner entgegen. "Monsieur, dass hier ist der Angestellteneingang. Unbefugte haben hier keinen Zutritt. Bitte gehen sie." "Mister Firmin erwartet mich. Bitte schicken sie nach ihm und sagen ihm, dass Sherlock Holmes hier ist." Der Pförtner musterte den Detektiv mit einer gesunden Skepsis und Wachsamkeit, die Sherlock außerordentlich löblich fand, wenn man die Stellung des Mannes bedachte. Er wand sich dann wieder von dem Detektiv ab und nutzte die alte Telefonanlage des Gebäudes, um die Direktion zu erreichen. Die Anlage funktionierte über eine große Stecktafel, in der die entsprechenden Stecker in die zugehörigen Dosen gedrückte wurden. "Monsieur André. Ich wünsche ihnen einen guten Morgen. Ja hier ist Leroux von der Pforte B. Ein gewisser Monsieur Holmes wünscht ihren Kollegen zu sprechen. ... Ja... Ja... Gut, ich werde es ihm sagen." Er legte den kleinen schwarzen Hörer auf und wandte sich dem wartenden Holmes zu. "Die Direktoren sind bereits auf den Weg Monsieur. Bitte haben sie einen Moment Geduld." Sherlock fand dies äußerst ärgerlich, denn es brachte ihn um die Gelegenheit sich auf dem Weg zum Büro ein wenig selbstständig umzusehen. Aber sei es drum. Die Gelegenheit würde sich schon noch wieder bieten. Es dauerte dann in der Tat auch nicht lange, bis die beiden Direktoren der Oper eintrafen. Herr André war körperlich ein ziemlicher Gegensatz zu Firmin. Er war schlank und großgewachsen. Das Haar lag ihm in dichten, blonden Locken auf dem Kopf. Und auch wenn er deutliche Spuren von Nervosität zeigte, schien er weitaus selbstbewusster und zuversichtlicher als sein Kollege zu sein. Seine Schritte waren fest und zeigten einen starken Willen. "Monsieur Holmes!", sagte er mit fester Stimme und reichte dem Detektiv die Hand zu einem festen Händedruck. "Es ist schön, dass sie gekommen sind. Wir hatten sie erst heute Abend erwartet, frühestens." "Nun, ich wollte es mir nicht nehmen lassen, mir so schnellst wie möglich ein Bild von ihrem Pha..." "Pst! Nicht hier. Kommen sie. Über so etwas wollen wir nicht so nah hier an der Oper reden. Er könnte es hören.", meinte Firmen sofort und auch Andrés Blick schien ein wenig besorgter zu werden. "Sie müssen nach der Reise Hunger haben. Kommen sie, wir laden sie und ihren... Oh, sie sind ohne ihren Partner hier?" "Dr. Watson kümmert sich um ein Hotelzimmer. Er scheint jedoch damit gerade fertig zu sein, denn dahinten naht er." In der Tat erschien Watson an der nächsten Straßenecke und stieß dann zu den anderen drei Gestalten. "Sie hätten sich nicht selbst um ein Zimmer kümmern müssen.", sagte André freundlich. "Wir hätten ihnen auch ein Zimmer organisieren können." "John besteht darauf unser Zimmer selber zu wählen.", sagte Sherlock um das Gespräch abzukürzen. Das letzte was er wollte, war in irgendeiner Form unter der Kontrolle seiner Auftragsgeber zu stehen. "Er ist dabei sehr eigen." "Verstehe.", sagte Firmin lächelnd. "Dann ist er es also bei ihnen, der sich um so etwas kümmert." "Wir sind kein Paar..." Watson wurde es allmählich Leid das immer wieder erwähnen zu müssen. Wenig später saßen sie zu viert in einem kleinen Café etwas die Straße hinunter. Für Watson und Holmes war es die Gelegenheit ihr verpasstes Frühstück nachzuholen. „Nun denn.“, sagte Sherlock und musterte die beiden Direktoren genauer. Sein Bild, das er sich von Firmin in London gemacht hatte, bestätigte sich und so nahm er André genauer unter die Lupe während er weiter sprach. „Woher kommt diese Angst, dass ihr Plagegeist sie belauscht?“ André seufzte und strich sich eine seiner blonden Locken aus dem Gesicht. Die Frage schien ihm unangenehm, oder zumindest unangenehmer als seinem Kollegen zu sein, denn er seine Stirn legte sich für wenige Sekunden misswillig in Falten. „Er hat in seinen Briefen Dinge geäußert, die eigentlich im Privaten und hinter verschlossenen Türen gefallen sind“, meinte Firmin, nachdem sein Kollege nicht antwortete. „Damit meine ich nicht nur Dinge, die die Oper betreffen. Zum Beispiel wusste er einige Dinge die ich mit meiner Frau besprochen habe.“ „Und ich nehme an, dass er auf diese Weise auch Dinge erfahren hat, die er gegen sie verwendet. Liege ich damit richtig Mister André?“ Der blonde Mann zuckte zusammen, fasste sich aber erstaunlich schnell wieder. „Das mag sein“, sagte er ausweichend. „Immerhin gibt es bei der Planung und Unterhaltung eines so großartigen Kunstschatzes immer Dinge, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen.“ „Sie müssen nicht konkret werden“, meinte Sherlock und lehnte sich zurück. „Ich werde alle relevanten Details schon während meiner Ermittlung herausfinden“, sagte er ohne den geringsten Selbstzweifel. „Und wenn es sich nun doch um einen ihrer Angestellten handelt?“, fragte Watson, der bisher überwiegend zugehört hatte und seine Idee aus London auch einmal zu Wort bringen wollte. Sherlock verzog das Gesicht nur zu einem knappen amüsierten Schmunzeln und verschränkte die Arme vor der Brust. „Oder vielleicht auch Mehrere, die sich zusammen geschlossen haben, um sie unter Druck zu setzen?“, fuhr John jedoch unbeirrt fort. „Natürlich wäre so etwas möglich.“, meinte André nachdenklich. „Aber uns würde niemand einfallen, der einen solchen Hass auf uns hegt.“ „Das tut es den wenigsten.“, meinte Sherlock desinteressiert. „Ich habe drei letzte Fragen, meine Herren, bevor ich mich hoffentlich endlich ans Werk machen kann.“, verkündete er schließlich. „In dem Schreiben, das Firmin mir gezeigt hat, ging es um Änderungen an dem Besetzungsplan: Welche Änderungen? Und gibt es irgendwelche Zeiten zu denen ihr Phantom am Aktivsten ist? Und das Letzte ist eigentlich weniger eine Frage: Ich muss mich ungestört und ohne Verdacht zu erregen in der Oper umsehen können. Zu erst dachte ich an eine Stelle als Violinist, aber das würde mir den Zugang zu bestimmten Bereichen der Oper erschweren. Deshalb sollten Watson und ich als Bühnenarbeiter auftreten.“ Damit würde sich niemand wundern, wenn die beiden sich an abgelegenen Orten der Oper umsahen. „Was? Ich auch?“, fragte John überrascht. „Natürlich du auch!“, meinte Sherlock und nahm einen Schluck von dem Tee, der vor ihm auf den Tisch stand. „Immerhin brauche ich jemanden zum Reden, um meine Gedanken besser ordnen zu können. Und dabei sind deine unbedarften Nachfragen äußerst hilfreich.“ „Unbedarft…“ Watson verzog leicht das Gesicht. „Weißt du, manchmal frage ich mich, warum ich mir das Ganze überhaupt antue…“ „Bitte John, so etwas sollten wir lieber unter uns im Hotel besprechen.“, sagte Sherlock trocken und sah dann wieder zu seinen Auftragsgebern. „Nun meine Herren? Ich warte.“ André war es, der dieses Mal antwortete. „Es geht um Christine Daaé. Bei den Neubesetzungen, meine ich“, sagte er. „Bisher war La Charlotta unsere Primadonna und sie erfreut sich einer nicht kleinen und sehr einflussreichen Schar an Gönnern. Doch das Phantom hat nun seit einiger Zeit gefordert, dass wir sie absetzen, zugunsten der jungen Daaé. Sie können sich vorstellen, was das für Spannungen auslöst.“ „Haben sie Miss Daaé einmal daraufhin zur Rede gestellt?“, fragte Sherlock. Was das für Spannungen auslöste, war jedem Menschen mit einigermaßen klarem Verstand bewusst. Dafür brauchte er keine Beschreibung. „Natürlich, aber sie schien darüber genauso ratlos und verblüfft zu sein, wie wir. Zumal sie wie gesagt recht jung und ein wenig naiv ist.“ Sherlock nickte nachdenklich. „Na gut. Und was ist mit den Zeiten?“, kam er auf die zweite Frage zu sprechen. „Es ist völlig unvorhersehbar, wann sich das Phantom bemerkbar macht. Die Briefe erscheinen meist am Morgen auf unseren Schreibtischen. Was alles andere angeht, ist es unvorhersehbar. Nur… eines wissen wir. Er sieht den Vorführungen zu, denn manchmal sieht man einen schwarzen Umriss in Loge 5 sitzen. Betritt man die Loge jedoch, ist er plötzlich verschwunden, obwohl niemand jemanden hinein- oder hinausgehen gesehen hat. Sie sehen, es ist ein einziges Mysterium.“ „Nein, dass würde ich nicht so sehen. Es ist ein Rätsel und ein sehr interessantes, wie ich zugeben muss.“, sagte Sherlock wieder einmal mit seiner plötzlichen Bestlaune. „Aber nichts desto trotz ein Rätsel, das man lösen kann.“ Er sprang förmlich von seinem Stuhl auf. „Ich danke ihnen für das Essen. John und ich werden morgen pünktlich um 8 Uhr vor der Pforte B erscheinen. Sie werden uns dann als neue Bühnenarbeiter vorstellen.“ Er sah kurz zu Watson. „Komm John. Du hast die Zimmerschlüssel und ich möchte ungern vor verschlossenen Türen stehen.“ Er ging dann pfeifend die Straße entlang. Watson seufzte. „Vielen Dank für das Essen.“, sagte er auch noch einmal und erhob sich. „Und entschuldigen sie ihn. Er ist… nun ja… Er ist immer so.“ Mit einigen schnellen Schritten schloss er zu Sherlock auf. „Das Hotel Scribe, nicht wahr?“ „Ja…“, sagte John und blickte mit seinem typischen woher-weißt-du-das-Gesicht zu Sherlock auf. „Kinderspiel. Wenn man die Richtung bedenkt aus der du gekommen bist, ist das das Nächstliegende. Und ohne Stadtplan wirst du kaum lange nach weiteren Hotels gesucht haben.“ Während Sherlock im Hotelzimmer ein Bad nahm, holte Watson einige Broschüren von der Rezeption. Da die Oper viele Besucher anzog, gab es auch viel Informationsmaterial über sie. Erstaunlich für ihn war, dass der Bau noch gar nicht so alt war. Die Arbeiten hatten 1861 begonnen und waren 1875 abgeschlossen worden. Insgesamt war das Gebäude gerade einmal 6 Jahre in Betrieb. Sherlock kam mit nassen Haaren aus dem Bad. Er hatte ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, während er sich mit einem anderen die Haar trocken rubbelte. „Und irgendetwas Interessantes?“, fragte er und setzte sich in den Sessel gegenüber von John. „Nur die neusten Aufführungen und ein wenig über den Bau und den Architekten des Opernhauses. Also nichts, was du für wichtig erachten würdest.“ „Mmh… Was spielen sie heute Abend?“, fragte der Detektiv und ließ das Handtuch, mit dem er sich die Haare getrocknet hatte, achtlos auf den Boden fallen. „Heute Abend…“, murmelte Watson und blätterte kurz durch eins der kleinen Heftchen. „Ah, hier. Heute Abend. Sie spielen Faust. Falls die Direktoren, den Forderungen des Phantoms nachgekommen sind, wird wohl Miss Daaé in der Rolle von Gretchen auftreten“, meinte er. „Ahh, Faust.“, sagte Sherlock. „Ein schönes Stück. Was meinst du John? Wo wir schon einmal hier sind, sollten wir die Chance nutzen und uns ein wenig Kultur gönnen.“ „Ich bin kein großer Freund von Opern.“, sagte Watson mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. „Schlimm genug, dass ich ab morgen in einer arbeiten muss.“ „Auch nicht, wenn es dir vielleicht einen ersten Blick auf das Gespenst bieten wird?“ „Phantom.“, verbesserte Watson schmunzelnd. „Und es braucht wohl kaum mehr um mich zu überreden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)