Sherlock Holmes und das Phantom der Oper von Deadangel ================================================================================ Prolog: -------- Das Jahr 1881… Trist! Trist und Langweilig! Besser könnte man das Leben in der Baker Street 221B nicht beschreiben. Zumindest im Moment und zumindest wenn man Sherlock Holmes hieß. Auf dem Boden und den Tischen war ein Meer von Zeitungen ausgebreitet. Erstochener Geschäftsmann – Langweilig, die Ehefrau war es. Raubüberfall auf Juwelier- Einfach offensichtlich, Versicherungsbetrug. Ertrunkener Anwalt – War die Polizei denn blind? Eindeutig, Racheart einer Drogenbande… Gab es auf dieser Welt den keine richtigen Verbrecher mehr? Rastlos stand der Detektiv von dem Sofa auf. Irgendwo musste hier doch noch irgendwas sein… Mrs. Hudson und John konnten doch nicht alle seine Verstecke gefunden haben. Wenigstens eine Zigarette musste sich doch hier irgendwo finden... "Es ist nichts hier…", sagte Watson, der gerade zur Tür hinein kam. Er hatte ein Tablett mit Tee dabei. Sherlock klappte eine kleine Kiste, in der die Munition für Watsons Revolver aufbewahrt wurde, wieder zu. "Ich weiß nicht, was du meinst.", sagte er und stellte sie zurück. "Ja, sicherlich." John machte einen großen Schritt über einige der Zeitungen hinweg und stellte das Tablett auf den Tisch. "Mrs. Hudson wird dieses Chaos nicht gefallen." Nach dem Zufallsprinzip fischte er eine der Zeitungen vom Boden. "Nichts Interessantes dabei?" "Sieht es so aus?" Sherlock seufzte und ließ sich frustriert zurück auf das Sofa fallen. "Alles bestenfalls durchschnittliche Kriminelle. Nicht mal die Mühe wert." "Uhm… Ja, sicherlich." Watson verkniff sich jegliches weiteres Kommentar darüber. "Tee?", fragte er und goss bereits zwei Tassen ein. "Ja, unbedingt.", antwortete Sherlock. Draußen hörte man das Halten eines Wagens. "Schenk am Besten noch eine Tasse mehr ein. Ich denke wir bekommen Besuch." "Besuch? Wer?" "Ich weiß noch nicht. Allein an der Bremse und an der Uhrzeit, in der die meisten Menschen eigentlich berufstätig sind, kann ich darüber noch keine Schlussfolgerungen ziehen." Wenig später hörte man unten Mrs. Hudson die Tür öffnen und Sherlock wechselte zumindest von seiner halb liegenden Position auf dem Sofa in eine Sitzende. "Sherlock? Hier ist Besuch für Sie." Mrs. Hudsons freundliches Gesicht erschien in der Tür. "Aber Sherlock, was ist das wieder für ein Durcheinander." Ihr Blick glitt dann zu Watson. "Sie sollten ihn wirklich besser im Blick behalten. So kann man doch wirklich keine Gäste empfangen." "Ich werde es versuchen, Mrs. Hudson.", sagte Watson mit leichter Resignation in der Stimme. "Mrs. Hudson! Lassen sie bitte den Herrn herein!", sagte Sherlock mit seiner nicht unbedingt liebenswürdigen Art. Die ältere Dame trat zur Seite und machte Platz für einen korpulenten Herrn. Das Gesicht des Mannes war leicht gerötet und er trug einen teuren, gepflegten Anzug. Den Zylinder hatte er höflich abgenommen und hielt ihn nun in den Händen. Er hatte einen sehr dünnen Haarkranz, den er versucht hatte sich über die immer größer werdende Glatze zu kämmen. In seinem Schnurrbart zeichneten sich schon graue Haare ab, obwohl der Mann nicht älter als Mitte 30 sein konnte. "Stress… sehr interessant. Bitte nehmen sie Platz.", sagte Sherlock. "Sie werden also erpresst.", sagte er und erhob sich, um ein paar Schritte auf und ab zu gehen. "Was? Ja, aber woher wissen sie das?", fragte der Fremde. "Mhh… offensichtlich.", meinte Sherlock. "Sie sehen nicht unbedingt wie ein armer Mann aus. Gepflegter Anzug, aber sie sind sehr nervös. Nervöser als ein Mann selbst in einer hohen Position sein würde. Ihre Augen suchen immer die Umgebung ab, als ob sie einen Verfolger erwarteten. Zudem guckt ein Zettel zerknitterten Papiers aus ihrer Jackettasche. Sie sind eigentlich ein Mann, der besser mit seinen Sachen umgeht. Ihre Uhr, die Knöpfe ihrer Kleidung, ihr Ehering; alles poliert und kein einziger Kratzer. Es würde mich wundern, wenn sie mit Unterlagen anders umgehen würden. Das heißt also, dass sie das Schreiben sehr verärgert… oder nein, verstört haben muss. Wenn es Ärger gewesen wäre, wären sie aufgebrachter und nicht unbedingt ängstlich-nervös. Dennoch haben sie es nicht weggeworfen, also steht etwas sehr wichtiges auf den Papier. Zusammen mit den anderen Anzeichen und der Tatsache, dass sie hier sind, liegt eine Erpressung am Nächsten. Allerdings muss ich sie enttäuschen. Ich nehme keine Aufträge außerhalb Englands an. Ich reise sehr ungern und nach ihren Akzent sind sie Franzose." Den Mann klappte die Kinnlade herunter und er musste sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn tupfen. "Sie… Sie haben vollkommen recht.", brachte er nach einem kurzen Moment hervor. "Das bestärkt mich umso mehr, dass sie der Einzige sind, der uns helfen kann. Ich wäre bereit ein hohes Gehalt zu zahlen, wenn sie sich dem Fall annehmen würden." Er schluckte. "Mein Name ist Firmin. Ich und mein Kollege, Monsieur André, führen die Oper in Paris. Wirklich ein herausragender Bau müssen sie wissen und ein einzigartiger Ort der Kunst…" "Langweilig. Kommen sie zur Sache." Mister Firmin zog scharf Luft ein. "Nun, um ehrlich zu sein, führen wir die Oper erst seid einigen Monaten und mit dem ersten Tag haben diese Erpressungen und die Schwierigkeiten angefangen." Er zog das Papier aus seiner Tasche und legte es vor dem Detektiv auf den Tisch. Sherlock sah zu Watson. "John, wärst du so freundlich es vorzulesen." Dr. Watson seufzte leise und griff nach dem Schreiben. "Meine Herren! Mit Missbilligung muss ich feststellen, dass meine Anweisungen für die neue Besetzung nicht durchgeführt wurden. Ich rate ihnen schleunigst an, dass sie sie umsetzen, wenn sie kein großes Unglück provozieren wollen. Zudem wird mein Gehalt fällig. Ich erwarte die 20.000 Franc am Ende der Woche auf übliche Weise. Hochachtungsvoll Ph. d. O." Watson sah zu dem Direktor vor sich. "Ph. d. O.? Was soll das heißen?" "Phantom der Oper, meine Herren." Der Direktor tupfte sich weiteren Schweiß von der Stirn. "So nennt sich dieser verfluchte Poltergeist zumindest." Mit einer flinken Bewegung riss Sherlock John das Schreiben aus der Hand und betrachtete es eingehend. Die Schrift war eng und anstrengend zu lesen. Manche Kinder hatten eine bessere Handschrift, dennoch ließ die Wortwahl und die Formulierung auf jemand gebildetes oder zumindest jemanden mit einigen Manieren schließen. "Ein Phantom also." Langsam begann die Sache interessant zu werden. "Aber das ist noch nicht alles, nicht wahr? Sie sprachen ja bereits von einigen Monaten und ich nehme nicht an, dass sie diese 20.000 Franc gleich von Anfang an gezahlt haben." Direktor Firmin seufzte und fuhr fort. "Ja, damit haben sie recht. Zuerst taten wir es als Scherz der alten Direktion ab. Dann gab es aber die ersten Vorfälle: Herabstürzende Bühnenbilder und Lichter, verschwindende Perücken und Kostüme und solche, die mit Ungeziefer verseucht waren, Ratten, die durch die Flure laufen und sich dann wie in Luft auflösen. Und eine Gestalt im schwarzen Mantel, die lautlos durch die Gänge wandert und dann plötzlich verschwindet." Firmin seufzte. "Es ist ein Alptraum gewesen und das waren nur einige der komischen Vorkommnisse. Einige Verletzte gab es auch. Erst als wir das Gehalt bezahlten, hörten diese Dinge auf." Sherlock hatte die Hände verschränkt und seine Laune schien sich deutlich zu heben. "Und diesen Mann im schwarzen Mantel, können sie ihn näher beschreiben? Und wie lassen ihm sie das Gehalt zu kommen?" "Ich und mein Kollege haben die Gestalt noch nie gesehen, aber es gibt andere, die sie kurzzeitig gesehen haben wollen. Das Gehalt… Wir geben das Geld in einen Briefumschlag und legen sie in die Loge des Phantoms. Das ist die Loge 5 und es ist eine weitere seiner Forderungen… Die Loge 5 darf nicht vermietet werden und muss während jeder Vorstellung leer sein. Nach der Abendvorstellung ist das Geld dann verschwunden. Wir haben uns schon an die Polizei gewendet, aber diese hält uns für mehr oder weniger verrückt." Firmin seufzte noch einmal und wirkte nun noch nervöser. "Und?", fragte Sherlock. "Es gibt noch eine Sache mehr, die sie noch nicht erzählt haben." "Ja… es gab einen Mord. Joseph Buquet, unser Maschinenmeister. Man hat ihn vor drei Tagen erhängt im ersten Untergeschoss zwischen den alten Kulissen gefunden." Firmin biss sich leicht auf die Lippen. "Als man uns dann zu der Stelle führte, war die Leiche bereits abgeschnitten worden und das Seil spurlos verschwunden." Sherlock lachte laut auf. "Das ist brillant! Wirklich brillant. Auf der Skala wäre das eine 8 vielleicht auch eine 9. Wirklich gut! John, ich denke wir werden packen. Herr Firmin, ich nehme an, dass die Zugkosten für unsere Anreise von der Oper übernommen werden, oder?" Der dickliche Mann nickte völlig verwirrt. "Gut, gut. Dann werden wir morgen aufbrechen. John und ich fahren alleine, das ist mir angenehmer. Sie können also bereits heute nach Hause zurückkehren. Nach unserer Ankunft werden wir uns dann bei ihnen melden. Und nun gehen sie bitte." Nachdem Firmin gegangen war, nahm Sherlock gut gelaunt seine Geige zur Hand. "Wirklich ein interessanter Fall. Ich denke, dass ich mich gut unterhalten werde." Er begann zu spielen. Ein Phantom… er war neugierig, was für ein Mann dahinter steckte. Watson sah auf. "Sehr freundlich, dass du mich vorher gefragt hast, ob ich überhaupt eine Reise nach Frankreich unternehmen will." "Ach bitte. Es kann gefährlich werden, allein dafür würdest du schon mitkommen.", meinte Sherlock zu seinen Freund und stimmte mit der Violine eine freudige Melodie an. "Und es ist nicht so, als ob du etwas Besseres zu tun hättest. Ich habe deinen Terminkalender gesehen, seit... wie hieß sie noch Josephin, nein, das war die davor, Marie, genau! ...seit sie weg ist, herrscht gähnende Leere in deinem Kalender." "Du siehst meine Termine durch?" "John, wir sollten keine Zeit verlieren. ich spüre schon wie es mir in den Fingern kribbelt. Das verspricht wirklich ein herausragender Fall zu werden! Lass uns sofort packen. Vielleicht fahren wir bereits heute Abend." "Und wenn es jetzt nur ein unzufriedener Angestellter ist, wirst du unzufrieden sein." Watson erhob sich von seinem Sitzplatz. "Ein Angestellter? John, wirklich! Wenn es nur um einen Angestellten ginge, würde er sich wohl kaum in das Programm und die Besetzung einmischen wollen. Außerdem wäre dann die ständige Zahlung eines solchen Gehalts viel zu riskant. Nein, nein, da steckt mehr dahinter. Das Geld ist auch nur eine Nebensache. Hier geht es um mehr: Es ist ein Machtkampf!" Sherlock lief in sein Zimmer und in Windeseile suchte er einige Kleidungsstücke heraus und warf sie auf das Bett, um sie nachher einzupacken. "Und nimm deinen Revolver mit! Wir können ihn vielleicht brauchen!", rief er laut als er den alten Reisekoffer hervor zog. Watson seufzte. "Frankreich also... na schön. Es fing ja in der Tat schon an langweilig zu werden." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)