Falling and Rising von Sho ((Arbeitstitel)) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Uruha winkte mir noch kurz, ehe er in seine Strasse einbog. Mein Haus lag gerade mal zwei Strassen weiter und so hatte ich nur ein paar Minuten alleine zu laufen. Doch genau diese Minuten verwünschte ich heute. Als ich nämlich in meine Strasse einbog, traf ich dort keinen anderen als Reita an. Wie immer gab er sich lässig, indem er an einen Gartenzaun gelehnt dastand und rauchte. Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihn zu ignorieren und einfach so tun, als hätte ich ihn nicht gesehen. Doch er nahm mir diese Entscheidung sogleich ab, indem er sagte: „Na Shiroyama? Hättest du wohl nicht erwartet, was?“ Ich seufzte innerlich und blieb vor ihm stehen. „Nein.“, gab ich zu „Mutierst du jetzt auch noch zum Stalker?“ Er grinste. „Seh ich so aus, als hätte ich dazu die Zeit?“. Ich zuckte nur mit den Schultern, zuzutrauen war ihm alles. „Ich warte auf einen Kunden.“, erklärte der Blonde nun und blies mir den Zigarettenrauch direkt ins Gesicht, ehe sein Grinsen wieder auf dem Gesicht erschien. „Auf einen Kunden?“, wiederholte ich und hätte mich deswegen gleich schlagen können. Reita wollte mit seinen Sprüchen und Geschäften nur Aufmerksamkeit und durch meine Nachfrage bekam er die auch gleich. „Ja. Gras und so. Keine große Sache.“, antwortete er gedehnt, worauf er einen weiteren Zug nahm. „Passt zu dir.“, kommentierte ich knapp, ehe ich mir einen Ruck gab und einfach weiter lief. Was Reita in seiner Freizeit tat, konnte mir nun wirklich am Arsch vorbeigehen. Es reichte mir bereits, wenn ich ihn in der Schule und ihm Laufkurs sehen musste. Immerhin war dies vorhin die freundlichste Konversation gewesen, die wir je geführt hatten. Wer weiß, vielleicht wurden wir in fünfzig Jahren ja doch noch die dicksten Freunde… Zu Hause angekommen, zog ich meine Schuhe aus und trat darauf in die helle, große Küche, wo meine große Schwester Nami gerade dabei war, zu kochen. Ich verzog das Gesicht, als mir ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Kochen war nicht gerade ihre Stärke und doch war sie diejenige, die am meisten in diesem Haus kochte. „Was tust du da?“, fragte ich, natürlich mit einer vorsichtigen Stimme, da wir Shiroyamas schnell zu Wutausbrüchen neigten, und stellte mich neben sie. „Suppe, siehst du doch.“, kam ihre Antwort. Mit einem Stirnrunzeln betrachtete ich das bräunliche Gebräu. Suppe also… "Soll ich dir helfen?", bot ich ihr an, in der Hoffnung, die Suppe durch meine ebenfalls eher kärglichen Kochkünste vielleicht retten zu können. "Du hast sie nicht einmal gekostet.", Namis Stimme klang säuerlich. Anscheinend hatte sie meine Absichten bereits erkannt. "Dann eben nicht." Da wollte man einmal für das Familienwohl sorgen... "Wie lief die Schule?", fragte sie nun wieder in einem neutralen Ton. "Wie immer.", kam meine Standartantwort. "Das sagst du schon seit Jahren. Geschieht denn nie was Spannendes?" "Na ja, wir haben einen neuen Schüler.", erklärte ich. "Ah ja? Ist er nett?" "Mhm." Ich nickte. "Hat er sich bereits eingelebt?" Erneut nickte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass man neugierigen Leuten besser gleich die Antworten gab, die sie hören wollten, damit man sobald wie möglich seine Ruhe hatte. Ich hasste Themen wie Schule oder Mitschüler. Es interessierte Nami ja doch nicht, sie fragte nur, dass gefragt worden war. "Ich geh meine Hausaufgaben machen.", sagte ich schließlich zu ihr. "Mach das. In einer halben Stunde gibt es Abendessen, ja?" Nami war für mich mehr eine Mutter als eine Schwester. Meine Eltern hatten schon immer hart und viel gearbeitet und uns in unserem Alltag alleine gelassen. Uns; Mamoru der Älteste, der nur noch am Wochenende nach Hause kam, Nami und mich. Das Resultat der Schufterei meiner Eltern war ein Leben voller Geld. Wir wohnten in einem modernen, geräumigen Haus mit einem von einem Gärtner gepflegten, großen Garten. Außerdem hatten unsere Eltern unsere Wünsche schon immer - ohne mit der Wimper zu zucken - erfüllt. Jedenfalls jene, die man mit Geld kaufen konnte. Alle anderen waren bis heute unerfüllt geblieben, darunter das Feiern des Geburtstages zusammen mit der ganzen Familie. Ich hätte lieber letzteres gehabt, als all dieses Geld, das im Endeffekt doch bedeutungslos für mich war. Jedoch hatte Mamoru immer gesagt, dass man nicht alles im Leben haben konnte. Vielleicht hatte er damit ja recht... Als ich schließlich vor meinen Hausaufgaben sass, die ich vor fünf Minuten noch mit voller Motivation hatte machen wollen, zögerte ich einen kurzen Moment, ehe ich sie weglegte. Ich würde sie morgen noch schnell von Uruha abschreiben. Obwohl ihn die Schule genauso wenig wie mich interessierte, machte er seine Hausaufgaben doch anständig. Ich jedoch hatte dies schon lange aufgegeben. Wahrscheinlich war ich einfach zu dumm dafür, oder es fehlte mir jemanden, der mir den ganzen Mist erklärte. Vielleicht auch beides. Stattdessen setzte ich mich auf mein Bett und begann auf meiner akustischen Gitarre zu zupfen. Es war das einzige, was ich wirklich konnte und was mir, abgesehen von Uruha, in meiner trostlosen, kleinen Welt, Licht zu spenden schien. Der nächste Morgen war regnerisch und kalt. Er gehörte zu jenen Tagen, die es einen schwer machte, überhaupt die Decke aufzuschlagen und das Bett zu verlassen. Und doch war auch heute wieder ein langweiliger Schultag mit noch langweiligeren Schulstunden und Lehrern, die endlose Monologe führten. Nachdem ich mich einigermassen für die Schule zurechtgemacht hatte und den morgendlichen schwarzen Kaffee getrunken hatte, machte ich mich auf den Schulweg. Dort traf ich wie jeden Morgen Uruha an unserer Stammesecke. "Na, gut geschlafen?", fragte Uruha mit einer frischen Stimme. Dieser Mann wirkte irgendwie immer wie neu geboren, auch wenn er eine Nacht lang an "irgendwelchen Mathematikgleichungen" gearbeitet hatte, wie er behauptete, was aber natürlich völlig gelogen war. In Wirklichkeit vermutete ich, dass er gerade dabei war, eine neue Marke für Kosmetik oder so zu entwickeln. Auffällige Anzeichen hatte ich für meine These allerdings noch nicht gefunden. "Ich habe so gut wie noch nie geschlafen.", antwortete ich und bemühte mich nicht einmal, den sarkastischen Unterton zu verstecken. Uruha wusste doch, dass ich an Schlafproblemen litt. Nachts lag ich oft unfreiwillig stundenlang wach und wenn ich einmal schlief, so erwachte ich jede Stunde mindestens einmal. Tagsüber war ich deswegen oft nervös, gereizt und litt nicht selten auch an Kopfschmerzen. "Warum nimmst du nicht endlich Tabletten?", wollte Uruha wissen, während wir uns auf den Weg machten. "Weil diese auf die Dauer keine Lösung sind. Die sind verdammt ungesund und ich fühle mich nur noch schlapper am Morgen.", antwortete ich verärgert. Wie oft wollte er diese Frage eigentlich noch stellen? "Weißt du, was ich als Kind immer gemacht habe, wenn ich nicht schlafen konnte?", begann Uruha erneut, während er seine Hände in den Hosentaschen und den Blick auf den Boden gerichtet hatte, damit er ja nicht auf einen Riss im Boden stand. "Ich will es gar nicht wissen, murmelte ich. "Doch, willst du. Kennst du dieses Bananengame, das vor vier Jahren so IN gewesen ist?" Und wie ich das kannte. Es war ein Geschicklichkeitsspiel gewesen, wo es darum ging, fliegende Bananen mit einem Korb einzufangen. Gingen mehr als drei Bananen daneben, hatte man verloren. Ich hatte es wirklich gehasst, da ich es jedes Mal geschafft hatte, bereits nach zehn Sekunden ein Game Over zu haben. Und doch war ich süchtig danach gewesen und hatte stundenlang gespielt. "Was ist mit dem?", wollte ich misstrauisch wissen. "Ich habe diese Bananen immer vor dem Einschlafen in meinen Gedanken gezählt. Das hat echt was gebracht, ich kam bis zehn und dann war ich eingeschlafen.", erklärte mein bester Freund stolz. "Ja, weil du gewusst hast, dass du eh nicht weiterzählen gekonnt hättest, stimmts?", neckte ich ihn, wobei sich ein Lächeln in mein Gesicht geschlichen hatte. Uruha schaffte es irgendwie immer, mich etwas aufzuheitern. "Sag mal, könntest du mir dein Heft leihen, ich müsste da noch was abschreiben...", bat ich ihn und wechselte damit schlagartig das Thema. Er nickte, kramte kurz in seiner Tasche, ehe er mir ein säuberlich eingebundenes Heft reichte. Ich wollte mich gerade bedanken, als ich plötzlich gerammt wurde und stolperte. Dabei fiel mir das Heft aus der Hand und bevor Uruha oder ich reagieren konnten, landete es in der nächsten Regenpfütze. "Oh scheiße.", fluchte ich und kehrte mich wütend zum Verursacher dieses Vorfalls um. Dieser grinste gemein. "Kannst du nicht aufpassen?", schrie ich ihn wutentbrannt an. "Ups, tut mir leid. Wie schade für das arme Heft.", spottete der Nasenbandträger, gab mir einen Klaps auf den Rücken und lief weiter. Währenddessen hatte Uruha sein Heft aus der Pfütze gefischt, wobei man dieses Ding nun wirklich nicht mehr als "Heft" bezeichnen konnte. Es glich einem Haufen Elend, die Seiten waren zusammengeklebt und teilweise bereits aufgelöst, die Tinte sowieso verschmiert. Entsetzt betrachtete Uruha es von allen Seiten. "Dieser scheiß Idiot.", fluchte ich. "Das wird er bezahlen." "Hey, kann ich euch helfen?", mischte sich schließlich eine fremde Stimme ein. Hinter uns stand Kai mit einem unsicheren Lächeln. Sogleich riss ich Uruha das Ding aus den Händen und hielt es Kai vor die Nase. "Guck mal was dein Ach-so-toller-Freund gemacht hat!" Wär es mein Heft gewesen, hätte ich daraus kein grosses Drama gemacht. Doch die Tatsache, dass es das meines besten Freundes und Reita auch noch an der ganzen Sache schuld war, forderte mich gerade zu heraus. Kais Augen weiteten sich etwas, als er zwischen Uruha und dem ehemaligen Heft hin und her schaute. "T-Tut mir echt leid. Ich weiß, dass Reita manchmal ein echter Idiot-" "Manchmal?", unterbrach ich ihn fassungslos. "Immer!" "Ja okay, so kommt es euch vielleicht vor.", gab Kai etwas kleinlaut zu, während er sich nervös eine Strähne aus dem Gesicht strich, nur damit sie ihm zwei Sekunden später wieder ins Gesicht fiel. "Wenn du magst, kann ich dir mein Heft kopieren:", wandte sich nun Reitas bester Freund an Uruha. "Meine Schrift sollte einigermaßen leserlich sein und ich habe auch immer mitgeschrieben.""Wirklich?", Uruhas Augen schienen geradezu zu strahlen. "Ihr vergesst, dass wir nicht in derselben Klasse sind.", kommentierte ich den Vorschlag und rollte mit den Augen. Kai und Reita waren nämlich (un)glücklicherweise in unserer Parallelklasse. Kai zuckte nur mit den Schultern. "Ich weiß. Aber wir haben denselben Lehrer in diesem Fach, also sollten wir etwa den gleichen Stoff durchnehmen." "Das wäre toll!", rief Uruha, bevor ich noch etwas dazu sagen konnte. "Gut. Dann können wir das ja gleich heute nach der Schule machen, ja?" Kai lächelte etwas verlegen. "Ja, super", Uruha nickte - nach meinem Geschmack etwas zu heftig. "Du hättest auch meines kopieren können.", grummelte ich schließlich, als Kai gegangen war. "Damit ich eine halbe Stunde brauche, bis ich den Text überhaupt entziffert habe? Nein danke." Uruha lachte. "Wie du meinst.", sagte ich beleidigt. Wir hatten gerade das Schulareal betreten, als ich Ruki entdeckte. Heute trug er keine Wollmütze, seine Haare waren dafür geglättet. Auch war er wieder geschminkt, dasselbe Programm wie gestern. Zudem trug er eine rote Lederjacke und darunter ein ihm viel zu groß wirkender, schwarz weiß karierter, gestrickter Pullover. Seine Streichholzbeine steckten in eher engeren, schwarzen Röhrenjeans, die an vielen Stellen zerrissen waren. Ob das Absicht gewesen war oder nicht, konnte ich nicht sage. Das Ganze wurde abgerundet durch schwarze Springerstiefel und einem Nietenhalsband, welches aus der Ferne gefährlich glänzte. "Ein Punk, der ein Faible für gestrickte Sachen hat, aha", kommentierte Uruha. Anscheinend hatte er ihn ebenfalls gesehen. "Es sieht gar nicht mal so schlecht aus.", widersprach ich. "Guck dir doch mal die anderen Jungs an. Die sehen doch allesamt gleich aus." Uruha warf mir einen vernichtenden Blick zu. "Ich sehe nicht wie andere aus, merk dir das." und damit stolzierte er davon. Sollte er doch sauer sein. Wenn er schon über andere lästerte, durfte ich das doch auch tun. So wie es aussah, würde er wohl erst mal sauer auf mich sein. Man musste nur etwas Falsches sagen, damit Uruha einen einen Tag lang ignorierte. Vielleicht war nun der richtige Zeitpunkt, einmal nach Ruki zu sehen. Er stand nämlich gerade ziemlich verloren da, was in mir das Gefühl auslöste, ihm irgendwie helfen zu müssen. "Hallo. Alles klar?", fragte ich, nachdem ich mich zu ihm gesellt hatte. Er zuckte zusammen und schaute auf. Ein kleines Lächeln, welches eher erzwungen aussah, erschien auf seinen Lippen. "Hi. Ja, alles in Ordnung. "Ruki, nicht wahr?", fragte ich noch einmal nach, um mir sicher zu gehen, dass ich mir nicht einen falschen Namen angewöhnte. Namen waren nämlich nicht unbedingt meine große Stärke - ich hatte bereits ewig gebraucht, bis ich die Namen meiner Lehrer gekonnt hatte, wobei ich den meines Biologielehrers noch immer gelegentlich vergaß. Madu-, nein, Madora-sensei oder so. Ruki nickte. "Und du bist?" "Yuu. Oder Aoi, wie mich alle nennen.", stellte ich mich vor. Erneut nickte Ruki und die Nervosität war ihm dabei förmlich anzusehen. "Du... du musst nicht mit mir abhängen, weißt du. Ich bin mir gewöhnt, dass ich alleine bin in der Schule aber du... hast einen besten Freund, den du nicht vernachlässigen solltest!", sagte er schließlich. "Was? Nein, nein. Schon in Ordnung.", versicherte ich ihm. Dass mein bester Freund mich momentan ignorierte und ich erst dadurch auf die Idee gekommen war, mich Ruki mal etwas zu nähern, musste ich ihm ja nicht unbedingt erzählen. "Bist du dir sicher?", wollte Ruki kritisch wissen, doch ich nickte ohne zu zögern. Einen kurzen Moment entstand eine peinliche Stille, ehe ich auf die große Schuluhr schaute. "Lass uns in die Klasse gehen, sonst sind wir wieder spät dran.", schlug ich vor. "Kommt dein bester Freund nicht?", wollte Ruki wissen und sah sich um. "Uruha? Keine Ahnung. Wahrscheinlich sitzt er längst im Zimmer." Doch als Ruki und ich uns schließlich in die hinterste Reihe setzten - ersterer natürlich erst, nachdem er mich gefragt hatte, ob es wirklich ok sei - fehlte von Uruha jede Spur. Auch als der Unterricht längst begonnen hatte, ließ er sich nicht blicken. Normalerweise war es nicht seine Art, zu spät zu kommen - es sei denn ich war dabei. Ich konnte nur hoffen, dass Reita nicht in diese Sache verwickelt war. So wie dieser heute drauf gewesen war, konnte ich es mir erschreckend gut vorstellen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)