Falling and Rising von Sho ((Arbeitstitel)) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Als erstes betrat Asako-san das Zimmer und ich glaubte zum ersten Mal zu bemerken, dass er eine Brille trug. Nicht lange darauf schlüpfte auch eine weitere Person in das Zimmer. Sie war so klein, dass man sie um ein Haar übersehen hätte können. Okay, eindeutig übertrieben. Der Junge schien vielleicht einen halben Kopf kleiner zu sein als ich. 1.60 vielleicht? Das waren dann schon gute elf Zentimeter! Doch nicht nur seine Größe veranlasste dazu, zu starren. Er trug eine… farbenprächtige Wollmütze, welche meiner, ich hatte sie vor einem Jahr von Uruha zu Weihnachten geschenkt bekommen, gefährlich ähnlich sah. Darunter lugten blonde und rote Strähnen hervor. Seine Augen waren umrandet mit schwarzem Eyeliner, die Wimpern getuscht und die Augenbrauen sorgfältig gezupft. „Nicht schlecht.“, sagte Uruha neben mir aufgeregt und wie er eben so war, konnte er sein Stimme natürlich nicht unten behalten. Einige unserer Mitschüler warfen mir daraufhin seltsame Blicke zu. Warum immer ich für sein Verhalten verantwortlich gemacht wurde, wusste ich nicht. Wahrscheinlich sahen sie mich inzwischen als so etwas wie sein Kindermädchen an. Oder Schlimmeres. Der Neue jedenfalls starrte auf den Boden, als Asako-san ihn vor die Wandtafel zerrte. „So, dann erzähl uns bitte kurz etwas über dich!“, verlangte der Lehrer, „Und nimm diese Mütze runter. Wir erlauben keine Kopfbedeckungen im Klassenzimmer!“ Die ganze Klasse hielt den Atem an, als unser neuestes Klassenmitglied zuerst zögerte, dann aber doch langsam den Arm hob und die Wollmütze auszog. Darunter kam ein Wirrwarr aus blonden Locken hervor, welches er schnell etwas zurecht zupfte. Asako-san räusperte sich und deutete mit einer Handbewegung an, dass alle auf seine Vorstellung warteten. „‘Tschuldigung“, die Stimme des Blonden zitterte, als er zu sprechen begann. „Ehm, also, f-freut mich, euch kennenzulernen. Mein Name ist Ruki… so n-nennen mich jedenfalls alle, ich bin sechzehn und…ja... “, Er stoppte und schien nicht mehr weiter zu wissen. Hilflos sah er zu Asako-san, der dessen Blick aber nicht bemerkte. Stattdessen streckte nun Uruha die Hand hoch. „Ja bitte?“, brummte unser Lehrer. „Mich würde interessieren, was deine Hobbies sind.“, meldete sich mein bester Freund und strahlte dann über das ganze Gesicht. Wie es aussah, schien er ziemlich stolz auf seine Frage zu sein. Wenn er Glück hatte, schrieb ihn Asako-san vielleicht sogar noch neben dem Kommentar „Zeigt guten Einsatz“ auf. „Ja, erzähl uns doch, was du magst!“, stimmte unser Lehrer nun zu. Ruki nickte hastig, ehe sein Blick zu Uruha glitt, dann bei mir landete und schließlich wieder am Boden klebte. „I-Ich lese gerne, höre Musik oder zeichne!“, erklärte er. "Das ist alles?" "Ich glaube schon..." Asako-san nickte, ehe er sagte:„Gut, dann kannst du dich setzen. Der Platz neben Tomu dürfte noch frei sein.“ Seine Erleichterung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als Ruki zu seinem neuen Platz huschte, um sich dort möglichst unsichtbar zu machen. Viel Selbstbewusstsein schien er jedenfalls nicht zu haben, was mich ehrlich gesagt etwas wunderte. Sein Aussehen stach doch etwas heraus, dann musste er ja wohl auch etwas Selbstbewusstsein haben! Asako-san setzte sein Unterricht in gewohnter Weise fort und redete bereits wieder ohne Unterbruch. Ich währenddessen beobachtete Ruki, der eilig einen Block hervorkramte, einen Stift zur Hand nahm und hastig mitschrieb. Ein leichtes Grinsen umspielte meine Lippen. Der Arme wusste gar nicht, dass er es sich auch einfacher machen konnte. Aber als neuer Schüler wollte man ja sicher nicht gleich schlecht anfangen. Auch ich hatte mir jedes Jahr wieder neue Vorsätze genommen, etwa fleißiger in der Schule zu werden. Aber hatte ich dies jemals durchgehalten? Nein. Doch vielleicht war Ruki ja wirklich etwas schlauer als der Rest der Klasse? „Aoi? Bist du da?“, riss mich plötzlich Uruha aus den Gedanken. „Sehe ich so aus?“, grummelte ich etwas säuerlich. Der Typ hatte ein Gespür für dumme Momente. „Du sitzt jedenfalls da. Da dachte ich-“ „-Schon gut. Was wolltest du fragen?“, unterbrach ich ihn ungeduldig. „Was denkst du über den Neuen?“ „Schwer zu sagen. Wir kennen ihn gerade mal fünf Minuten.“ „Ich meine dein Ersteindruck. Hast du denn überhaupt keinen?“, wollte Uruha wissen. „Was ist denn deiner?“, fragte ich zurück. „Na ja… Er wirkt etwas seltsam… Vor allem liest und zeichnet er gerne. Seltsame Hobbies für so einen Typen…“ „Sind denn deine besser? – Schon gut, ich will es gar nicht wissen.“, sagte ich schnell. Uruha würde sowieso hundert Gründe finden, warum denn genau seine Hobbies die Richtigen waren. Außerdem war das Diskutieren mit ihm einfach nur anstrengend, manchmal fragte ich mich echt, warum ich es trotzdem tat. Uruha stupste mein Arm leicht mit seinem Zeigefinger an. „Was findest du denn nun?“, drängte er, gerade als es klingelte. Doch ich zuckte nur mit den Schultern und verließ mit einem „Ich geh eine rauchen“ das Zimmer. Uruha wusste, dass ich ab und zu etwas allein sein wollte und folgte mir deshalb auch nicht. Manchmal musste ich einfach an die frische Luft um meinen Kopf wieder etwas zu durchlüften. Da man zu dieser Zeit eigentlich nie ein Lehrer auf dem Schulplatz antraf - die sassen sowieso alle im Lehrerzimmer, tranken Kaffee und tauschten ihre langweiligsten Neuigkeiten aus, blieb ich direkt vor dem Schulhaus stehen. Erleichtert nahm ich eine halbe Minute später den ersten Zug meiner Zigarette. Einen kurzen Moment hob ich den Kopf gen Himmel und schloss die Augen. Wie gut das tat! Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Uruha es ohne Rauchen aushielt… Ich meine, er rauchte nicht mal mehr eine täglich! Trotzdem hoffte ich natürlich, dass er davon loskam. Plötzlich spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte. Etwas verärgert darüber, dass ich ständig aus meinen Gedanken gerissen wurde, drehte ich mich um. Vor mir stand der Neue. Ruki. „Hallo.“, sagte er schüchtern und kratzte sich etwas verlegen am Kopf. „Tut mir leid, dass ich störe… Ich wollte eigentlich fragen, ob du mir dein Feuerzeug leihen könntest?“ Einen kurzen Moment starrte ich ihn perplex an, ehe ich registrierte, dass er mich gerade etwas gefragt hatte. „Äh, ja klar!“, sagte ich hastig und kramte in meiner Hosentasche nach dem Gewünschten. „Danke.“, er lächelte vorsichtig, als ich es ihm reichte. Während er sich ebenfalls eine Zigarette anzündete, gingen mir Uruhas Worte wieder durch den Kopf. ‚Seltsam‘ hatte er gesagt. Ausgerechnet er. Und dann hatte er unbedingt auch noch meine Meinung hören wollen… Wenn ich eine Person, die praktisch ein Fremder war, einschätzte, dann behielt ich es für mich. Oft entstanden ja sowieso nur Vorurteile und diese dann auch noch zu verbreiten, fand ich sinnlos. Ruki bedankte sich noch einmal, als er mir das Feuerzeug zurückgab, und entfernte sich kurz darauf wieder. Ich sah, wie er sein Handy aus der Hosentasche zog, es an sein rechtes Ohr hielt und kurz darauf auch schon in einer wilden Diskussion war. Da die Windverhältnisse ungünstig waren, konnte ich nur ein paar Wörter mithören. Doch das, was ich hörte, verstand ich nicht. Er sprach sicher nicht im örtlichen Dialekt. War es überhaupt Japanisch? Er schien jedenfalls ziemlich aufgekratzt zu sein, da er wild mit der einen Hand herumfuchtelte und seine Stimme sich gehoben hatte. Verdammt, jetzt war ich schon wieder am Grübeln! Schnell drückte ich meine Zigarette aus und eilte dann wieder zurück ins Schulzimmer. Für die restlichen Stunden verbannte ich all diese Gedanken und versuchte, mich stattdessen auf den Schulstoff zu konzentrieren.^ ~ „Sag mal, ist alles okay mit dir?“, fragte mich Uruha auf dem Nachhauseweg mit besorgter Stimme. Ich nickte und setzte ein falsches Lächeln auf. „Was sollte schon mit mir sein?“ „Du bist noch stiller als sonst…“ Hatte er es also doch bemerkt… „Ich bin nur müde!“, erklärte ich, was ein Stück weit auch stimmte. Ich hatte einen Laufkurs als Zusatzfach gewählt und hatte dementsprechend auch täglich Training. Eigentlich war ich früher überhaupt nicht der Sporttyp gewesen. Ich war immer der Langsamste gewesen und das Goal im Fußball hatte ich auch nie getroffen. Von meinen Eltern überredet, hatte ich mich trotzdem angemeldet, da ich gedacht hatte, es wäre nur etwas Laufen. Doch darin hatte ich mich weitaus geirrt. Wir mussten die unterschiedlichsten Übungen machen, trainierten auf verschiedenen Strecken, egal ob es regnete, hagelte, schneite, und das Schlimmste; Reita befand sich ebenfalls in diesem Kurs. Doch damit nicht genug, er war auch noch der schnellste Läufer der ganzen Schule. Neben ihm kam ich mir wie eine lahme Schnecke vor. Ich hatte mir geschworen, ihn eines Tages zu schlagen, damit ihm der Spott im Halse stecken blieb! „Hast du es heute wieder einmal übertrieben beim Training?“, fragte mich Uruha mit gerunzelter Stirn. Er hatte mir einen Vogel gezeigt, als ich ihm von meinem Ziel erzählt hatte und nur kopfschüttelnd gesagt: „Ich glaube, Kalligraphie wäre doch besser für dich gewesen!“ „Ich will einfach Reita schlagen. Mehr nicht!“, antwortete ich auf seine Frage. „Mehr nicht?“, Uruha lachte sarkastisch. „Gib es endlich auf! Mal ehrlich, Aoi, Laufen liegt dir einfach nicht! Oder hast du etwa schon irgendwelch Fortschritte gemacht?“ „Na ja… Nicht richtig aber-“ „Siehst du. Bei Reita ist das angeboren, aber du kannst machen, was du willst und wirst es nicht auf einen einzigen grünen Zweig bringen!“ Uruhas Worte waren wie ein Schlag auf meinen Magen, doch ich wusste, dass er recht hatte. Ich schien nirgends wirklich ein Talent zu haben. Weder in Sport, noch in Kunst oder Mathematik. Ich war einfach nur ein Loser. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)