Pirates of the Caribbean: Black Tides von Sharyne ================================================================================ Kapitel 13: Flammendes Inferno (Teil 1) --------------------------------------- 12. Kapitel - Flammendes Inferno (Teil 1) Captain Jack Sparrow, trotz des Bewusstseins über die große Last, die seine Verantwortung für ihre nicht ganz gefahrlose Reise - verbunden mit der Herausforderung, die Calypso ihm anvertraut hatte - darstellte, lehnte in einer geradezu lässigen und entspannten Haltung am Mittelmast der Black Pearl und lauschte dem Wind und dem stetigen Rauschen der mächtigen Wellen unter dem Kiel der Galeone. Die nachtfarbenen Segel waren umgeben von eher schwächlich erscheinendem Nebel, der auch über den Wogen der Karibischen See hing und die noch junge Morgendämmerung ankündigte. Der flammende Sonnenaufgang hatte gerade erst den Rand des Horizonts erreicht und warf einen orangefarbenen Schimmer auf die immer noch müden Gesichter der Crew, die zu dieser frühen Tageszeit die Arbeit eher etwas langsamer anging, obwohl es keinesfalls ungewöhnlich war, dass die Besatzung eines Schiffes nach nur wenigen Stunden Nachtruhe bereits wieder an Deck gescheucht wurde. Im Normalfall gönnte Jack Sparrow seine Männer einen längeren, erholsamen Schlaf - doch da ihre momentane Situation nicht auf einen Normalfall hinauslief und eher als lauernde Gefahr betrachtet werden konnte, tat er alles dafür, um seine geliebte Pearl schnellstmöglich in das Südchinesische Meer zu segeln und den Hafen der riesenhaften Stadt Singapur zu erreichen - und, wenn er sich in seinen Berechnungen nicht irrte, würde ihre Reise dank der vielen Knoten seiner Galeone nur noch eineinhalb oder zwei weitere Monate in Anspruch nehmen. Der jüngere Pirat, der erst seit wenigen Wochen seiner Crew angehörte und den er als Jim Truscott kennen gelernt hatte, trottete mit verschlafenem Gesicht und in allen Himmelsrichtungen abstehendes, dunkelbraunes Haar zu ihm heran, mit einem großzügigen Becher in der linken Hand, aus dem ein vertrauter Geruch aufstieg: Rum, vermischt mit ein paar wenigen Kräutern und heißem Wasser. Wortlos ließ er sich auf der anderen Seite des Mittelmastes nieder, lehnte den Kopf an das alte Holz und winkelte ein Bein an. Er murmelte irgendetwas unverständliches, dass sich für Jack stark nach einem schwachen " 'n Morgen, Captain" anhörte; grinsend deutete der Piratenlord auf den Becher seines jüngeren Besatzungsmitglieds hinunter. "Trinkst du das Zeug etwa immer noch?" "Aye. Purer Rum ist nichts für mich", antwortete Jim verschlafen und nahm einen weiteren Schluck Grog - nicht wenige Köpfe ruckten verwundert zu ihm herum und starrten ihn an, als wären ihm soeben vier weitere Arme gewachsen. "Falsch!", widersprach Jack mit einem spitzbübischen Grinsen. "Woher kannst du das wissen, wenn du das köstlichste Getränk der gesamten Karibik noch nicht einmal gekostet hast?" "Woher wollt Ihr wissen, Captain, dass ich das noch nicht getan habe?", seufzte der Angesprochene fast monoton. "Jedenfalls noch nicht auf meinem Schiff", kam es vom Captain zurück. In der stillen Pause, die sich kurz einstellte, beschloss Jack, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken - Jim schien wohl eher weniger gesprächig zu seien, und ein wenig mehr über ein neues Besatzungsmitglied in Erfahrung zu bringen, konnte immerhin nicht schaden, obwohl der Captain sich schon fast denken konnte, in welche Richtung das Leben des jungen Piraten bisher verlaufen war, bevor er ihn mehr oder weniger freiwillig aus dem ihm bevorstehenden Dasein der übertriebenen Etikette mit gepuderten Perücken und vorgehaltener Hand 'befreit' hatte. "Wie verging deine kleine, trostlose Existenz, bevor ich dich aufgegabelt habe, Kleiner?" Jim zuckte bei dieser unliebsamen Bemerkung kaum merklich zusammen, ließ sich jedoch nichts anmerken und tat so, als hätte er das letzte Wort geflissentlich überhört. "Du meinst wohl eher, bevor du mich vor die Wahl stelltest, in einem Beiboot ohne Kurs auf dem Meer zu treiben oder deiner Crew beizutreten, Jack." Das war einer der Dinge, die der Piratenfürst des Karibischen Meeres so seltsam an dem Jungen fand: Er konnte sich wohl schlicht und einfach nicht entscheiden, welche Anrede er bei seinem Captain benutzen sollte. Außerdem erinnerte er ihn fast ein wenig an den einstigen Waffenschmied mit dem Namen Will Turner - oder seit Längerem wohl eher Captain Will Turner - der sich früheren Zeiten ebenfalls zwei Seiten gezeigt hatte: Die introvertierte, eher schüchterne und heraushaltende, oder aber eher den typischen Charakterzug eines Piraten: Mutig, furchtlos und bereit, für die Freiheit zu kämpfen - doch auch hinterlistig und clever, um jede Situation zu seinem eigenen Gunsten auszunutzen. Jack vermutete in dem jungen Jim einen ganz ähnlichen, schlummernden Löwen. Und was wirklich in ihm steckte - nun, das würde sich vielleicht noch zeigen ... "Ich erinnere mich", schmunzelte der Piratenfürst, scheinbar amüsiert in einem ehemaligen Erlebnis versunken. "Du meinst den Tag, an dem ich und meine Männer die HMS Peacock geentert und geplündert haben? Aye, das war vielleicht ein schöner Spaß. Hat tapfer gekämpft, eure Besatzung." Jacks fragender Blick schien die Antwort auf seine vorherige Frage zu verlangen, und so kam Jim nicht drumherum, ihm von seiner Zeit als Soldat niedrigen Ranges zu erzählen. "Ich war damals Angestellter der East India Trading Company", begann er und bestätigte somit die Vermutung des Captains. Die Uniform, die Jim an diesem Tag noch getragen hatte, hätte er unter tausend anderen wiedererkannt - nicht zuletzt, weil er eine ähnliche selbst ein paar wenige Jahre getragen hatte, bevor Beckett sein Schiff auf den Grund des Meeres geschickt und ihn gebrandmarkt hatte. "Nur ein einfacher Kadett, der auf der Rückfahrt von London nach Kingston mit seinen Vorgesetzten und der Crew unterwegs war. Ich hoffe doch, Ihr habt Freude an unserer reichlichen Beladung gefunden", grinste der junge Pirat und zog verschmitzt den linken Mundwinkel nach oben. "Selbstverständlich. So ein Angriff auf ein Handelsschiff muss sich doch lohnen - selbst, wenn die Peacock kein besonders prachtvolles war", kommentierte Jack trocken. Jim verzog das Gesicht. "Da habt Ihr recht, Captain. Weder äußerlich, noch innerlich." Dem Piratenlord entging die Anspielung auf die Behandlung innerhalb der Crew keinesfalls. "Waren wohl nicht besonders freundlich zu dir, diese Perückenträger, was?" "Nun, wie ich bereits sagte - ich war nur ein einfacher Soldat und wurde liebend gern als Schiffsjunge eingesetzt. Dass ich meinem damaligen Vorgesetzten den Zucker für den Tee holen durfte, war wohl die höchste Ehre, die mir jemals zuteil wurde." Jack lachte spöttisch auf. "Das, mein lieber Freund, ist der Tee trinkende, blasierte und so unglaublich 'hochwichtige' englische Adel. Ich hoffe, das Piratenleben bekommt dir um Einiges besser." "Unter Euch selbst und Eurer Crew bekam ich etwas, das ich in der Company niemals hatte oder hätte haben können." Der Piratenlord schmunzelte amüsiert und fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über den geflochtenen Kinnbart. "Und das wäre?" "Freiheit und Ungebundenheit." "Da sprichst du ein wahres Wort, Kleiner." Der Captain breitete demonstrativ die Arme aus und umfasste mit dieser Geste seine nachtschwarze Galeone, die gut gelaunte Crew und das endlos erscheinende Meer, und hätte ein kleiner Windstoß in diesem Moment nicht seine wilde Mähne aus Dreadlocks und allem möglichen Schmuck darin durcheinander gebracht und den alten Dreispitz tiefer in das braungebrannte Gesicht rutschen lassen, wäre Jim vermutlich nicht verwundert über das breite Grinsen seines Captains gewesen. Jack liebte diese Endlosigkeit und das Leben befreit von jeglicher Monarchie oder Gesetze genauso wie er - hätte ihm damals jemand noch vorausgesagt, dass er, Jim Truscott, dessen Ziel einst ein hoch angesehener Posten in der Company gewesen war, Pirat werden würde, hätte er denjenigen vermutlich ausgelacht und verhaften lassen. So ruhig und entspannt der Captain auch mit seinem jungen Besatzungsmitglied redete - einem wachen und cleveren Augenpaar, das Jack Sparrow bereits viele Jahrzehnte lang kannte und sich der Bedeutung seiner Gestik und Mimik sowie seiner manchmal sehr seltsamen Eigenarten bewusst war, hätte auf den ersten Blick sofort die Angespanntheit und Unruhe des Bukaniers erkannt. Joshamee Gibbs wusste, dass sich hinter der gelassenen Fassade des Piratenlords mehr verbarg, als dieser vielleicht zugeben wollte - denn Jack beherrschte es sehr gut, seine wahren Gedanken und Empfindungen hinter einer scheinbar undurchdringlichen Maske zu verstecken. Mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf beobachtete Gibbs seinen langjährigen Freund aufmerksam; da war irgendetwas in diesen tiefbraunen Augen, dass so ziemlich alle Alarmglocken in dem alten Piraten zum schrillen brachten. Doch war es gleichgültig, wie sehr der ehemalige Rumschmuggler sich darüber den Kopf zerbrach oder versuchte, den Grund für dieses seltsame Verhalten herauszufinden - es hatte keinen Zweck, solange der Captain seinem langjährigen Freund nicht von allein verriet, was ihn bedrückte. Selbst er hatte Probleme damit, aus Jack etwas herauszubekommen, das er lieber für sich behielt. Ähnliches war Gibbs vor vielen Jahren schon einmal aufgefallen: Als die Zeit für Jack abgelaufen war, Captain der nachtschwarzen Galeone zu sein, er überraschend oft Festland aufsuchen lassen hatte und dabei in die Finger der Pelegostos - gefräßige Kannibalen - geraten war, bis sich schließlich herausgestellt hatte, dass der Piratenlord auf der Flucht vor Davy Jones und dessen Haustier mit gigantischen Ausmaßen gewesen war. Irgendetwas lastete nun erneut schwer auf Jacks Schultern - und Gibbs nahm sich vor, möglichst bald herauszufinden, was genau seinem Captain zu schaffen machte (Er glaubte jedoch nicht daran, dass es einzig und allein an seinem langjährigen Erzfeind Barbossa lag, der im Moment mit Kompass und einem gelegentlichen Blick auf die Seekarten Jacks geliebte Black Pearl steuerte). Denn was Captain Jack Sparrow nichts Gutes brachte, das brachte auch ihnen nichts Gutes! Schon oft genug hatte er diese Erfahrung gemacht, um das äußerst merkwürdige Gebaren seines Captains jetzt noch ignorieren zu können. Dieser ständige Wechsel zwischen altbekannter Verrücktheit und Cleverness, Sorge, scheinbares Unbehagen und Ernsthaftigkeit hatte definitiv nichts Gutes zu bedeuten. Außer der schweren Aufgabe, die Calypso ihm auferlegt hatte, musste es noch etwas anderes geben, das dafür verantwortlich war ... Jack beendete das Gespräch mit Jim mit einem breiten Grinsen, bedeutete ihm, sich zurück an seinen Posten zu begeben und begab sich zur Brücke - und noch bevor er den schwarzen, breitkrempigen Hut und das nervige Äffchen ausmachte (das sich im Moment mit der Schiffbrüchigen ausgiebig beschäftigte, die eigentlich damit beauftragt worden war, die restliche Crew aus den Hängematten zu schmeißen), sank seine Laune auf den tiefsten Grund des Meeres hinab. Er konnte es einfach nicht ertragen, das Steuerrad in den Händen dieser hinterlistigen, verschlagenen Kielratte zu sehen! Er hatte zwar nach wie vor das volle Kommando über sein Schiff und Barbossa konnte als eine Art 'zweiter Steuermann' betrachtet werden - aber dennoch steuerte genau dieser Pirat seine Galeone, der sie sich viel zu oft unter den Nagel gerissen hatte. Und dass Jack nun praktisch dazu gezwungen war, ihm das Ruder zu überlassen, ging ihm gewaltig gegen den Strich! Hector blickte von der roten Kompassnadel auf, als der rechtmäßige Captain der Black Pearl sich näherte und sich mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen grüßend an den Dreispitz tippte. Der Piratenfürst des Kaspischen Meeres erwiderte diese nicht wirklich ernst gemeinte Geste mit einem knappen Nicken in seine Richtung und einem ebenso sarkastischen Funkeln in den hellen Augen. "Sind wir auf dem richtigen Kurs?", erkundigte sich Jack - natürlich völlig unnötig, wie Hector fand - verschränkte die Hände hinter dem Rücken und gesellte sich mit wachsamem Blick neben seinem Erzfeind. "Selbstverständlich, Jack. Ich zweifle nicht an deinem Kompass." "Das will ich auch hoffen", murrte der Bukanier, "aber sagtest du vor einiger Zeit nicht, dass du Singapur nicht unbedingt freiwillig oder ohne wirklichen Grund aufsuchen würdest? Daher kann die Ankunft in dieser Stadt wohl kaum deinen Wünschen entsprechen." "Aye, ich kann Singapur nicht besonders gut leiden, das ist wahr." Wachsam ließ er den Blick über das Schiff schweifen und studierte kurz die mittlerweile recht muntere Crew in den Wandten und an Deck. "Woher weißt du dann, ob mein Kompass dich zu unserem Ziel führt?", knurrte Jack. "Wir sollten wegen unnötiger Umwege keine Zeit verlieren!" Der Captain reckte das Kinn vor. "Dieser Tempel, nahezu verlockend mit uralten Seekarten, Schriftstücken und Büchern gefüllt, die ebenfalls wie die Karte Sao Fengs wertvolle Informationen enthalten", beantwortete Barbossa die Frage des skeptischen Bukaniers. "Das ist es, was mich interessiert. Nicht nur allein wegen dieser wildgewordenen griechischen Göttin. Vielleicht werde ich sogar fündig, was bestimmte interessante Karten betrifft, wenn du verstehst, was ich meine. Und der Tempel wurde in Singapur erbaut, aye?" Hector setzte ein triumphierendes Grinsen auf. "Du siehst, Jack, wir sind auf dem richtigen Kurs." Der Piratenfürst der Karibik kommentierte das mit einem eher unverständlichen Murren und beschloss dann, seine schlechte Laune etwas zu heben, indem er seinen Erzfeind ein wenig piesackte - was hatte er sich über dessen dämlichen Gesichtsausdruck amüsiert, als Sarah ihn an die Planken genagelt hatte! "Steht dir übrigens ausgezeichnet", feixte Jack breit und strahlte mit einer diebischen Freude, als wäre Weihnachten und Ostern auf ein- und denselben Tag gefallen. "Was?" Hector klang sichtlich irritiert und blickte fragend an sich hinunter. "Ich sehe genauso aus wie immer, Jack." "Die Schramme!", versuchte der Angesprochene zu verdeutlichen und deutete auf seine eigene linke Wange, während er mit beiden Armen in Richtung der Schiffbrüchigen wedelte, mit dem Kopf wackelte und leicht den Oberkörper zurücklegte. Barbossas stechender Blick richtete sich fest auf eine schattenhafte Gestalt an Deck, die soeben mühselig versucht war, ein kleines Kapuzineräffchen davon abzuhalten, sich brennend für eine dunkelblonde Locke zu interessieren und dies durch festes Zerren zu verdeutlichen. Das tiefe Knurren, mit dem der Piratenlord Jacks aufmerksame Beobachtung kommentierte, hätte wohl so ziemlich jeden Widersacher sofort in die Flucht geschlagen - bis auf Captain Jack Sparrow, natürlich. "Sie hat letzte Woche für reichlich Gelächter und Spaß gesorgt", fuhr der Bukanier unbeirrt und mit fröhlicher Stimme fort. "Es war eine sehr dumme Idee von ihr, mich dermaßen zu demütigen!", brauste Hector auf, den Blick nach wie vor auf die Schiffbrüchige gerichtet und das Steuerrad nun fester umklammernd, sodass die Knöchel seiner linken Hand blass hervortraten. "Ich denke, du weißt es am besten, Jack - jeder, der es wagt, meinen Namen in den Dreck zu ziehen oder mich vor aller Augen zu erniedrigen, bekommt meine Vergeltung zu spüren - und bei ihr werde ich keine Ausnahmen machen." "Und was genau hast du vor, Hector? Sie foltern, vierteilen, erschießen, erhängen, vergiften und ihr den Rum entziehen - und das alles gleichzeitig? Genau danach sieht es nämlich aus. Ich kenne dich, mein Freund." Barbossa verzog bei der Bezeichnung 'Freund' das Gesicht und bedachte seinen ständigen Widersacher mit spöttischem Blick. "Anscheinend nicht gut genug, Sparrow." Ein hinterlistiges, fieses Grinsen stahl sich auf seine Lippen - und Jack weitete erschrocken die Augen, als er dieses kleine, scheinbar viel bedeutende Wort hinzufügte: "Besser." "Nicht auf meinem Schiff, Barbossa!" Zum zweiten Mal schien der Angesprochene sichtlich irritiert, schüttelte den Kopf und richtete den Blick nun auf den Piratenfürsten der Karbik. "Ich kann dir nicht ganz folgen, Jack. Wovon sprichst du?" "Frag nicht so dumm, du weißt, wovon ich spreche!" Verachtung lag in der Stimme des karibischen Piratenfürsts. Hector schien ernsthaft darüber nachzudenken, was der Bukanier damit meinen konnte, dann hellte sich sein Gesicht auf, in plötzlicher Erkenntnis - und er begann zu lachen. "Du kennst mich wirklich nicht, Sparrow! Glaubst du allen Ernstes, ich würde -?" "Dir traue ich alles zu!", fauchte Jack. "Und mag dein blasiertes Gentleman-Gehabe noch so echt wirken. Ich hab dir das noch nie abgekauft." Barbossa seufzte übertrieben auf, rollte entnervt mit den Augen und nickte in Richtung Sarah Blackwood. "Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber selbst ich begegne nicht jedem Menschen respektlos, und Frauen schon gar nicht - selbst diesem unglaublich frechen Weibsstück dort drüben würde ich niemals etwas derartiges antun. So seltsam es sich für dich auch anhören mag, Jack, aber ich verabscheue unnötige Gewalt in jeglicher Hinsicht und versuche sie zu verhindern, wenn es mir möglich ist - vor allem bei Frauen. Ich erinnere dich nur ungern an das Dilemma in Kingston." "Kingston? Du meinst diesen widerwärtigen Barbesitzer, dem du eine Kugel in die Brust gejagt hast?" "Zu Recht", knurrte Barbossa. "Ich denke eher widerwillig daran, was mit dem armen Mädchen passiert wäre, wenn wir beide damals nicht gewesen wären." Jack knurrte etwas von "... meuternder Erster Maat!", legte beide Hände auf die Brüstung der Brücke und schnaubte verächtlich. "Gestatte mir diese Frage, Hector, aber wie hast du sonst vor, deine Rache an ihr auszuüben?" Der Angesprochene holte nahezu dramatisch langsam einen giftgrünen Apfel aus der Innentasche seines Mantels, beäugte ihn gierig und richtete seinen Blick dann wieder auf Sparrow, der mit einem leisen Grollen die dunklen Augen verengte. "Auf genau die Art und Weise, die für mich spricht und die meine Feinde fürchten gelernt haben, Jack. Denk nach, vielleicht kommst du von allein darauf." Der jüngere Bukanier stützte sich nun mit beiden Armen an der Brüstung ab, senkte den Blick und antwortete mit klarer Stimme: "Du schlägst sie mit ihren eigenen Waffen." "Aye! Gut mitgedacht." "Also hast du vor, sie ebenfalls vor meiner Crew zu demütigen - oder etwas dergleichen." Es war keine Frage, sondern eine sichere Feststellung; obwohl er zuerst Anderes vermutet hatte, lag ihm diese Art von Rache nun klar vor Augen - Hector behielt recht, denn das, was sich seine Feinde für ihn ausdachten, ließ er sie nur allzu gern selbst spüren, und Jack hatte das Gefühl, hier ein wenig einlenken zu müssen. "Wie du vor hast das anzustellen, interessiert mich nicht im Geringsten, Barbossa, aber lass dir Eines gesagt sein: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das auf meinem Schiff zulassen werde." "Wie willst du mich daran hindern, Jack?" Barbossa lachte spöttisch auf und verschränkte die Arme, sodass der Piratenlord der Karibik ihm einen vorwurfsvollen und empörten Blick zuwarf, schnell das Steuerrad übernahm und die Pearl zurück auf den richtigen Kurs brachte. "Ich finde einen Weg, keine Sorge, mein Freund." "Du hast wohl kein Problem damit, mich vor aller Augen demütigen zu lassen, aber sie stellst du unter deinen Schutz? Nennst du das etwa die Gerechtigkeit eines Captains?", murrte Hector säuerlich. "Erstens hast du dir diese Blamage selbst zuzuschreiben und zweitens hast du es verdient", quittierte Jack diesen Vorwurf. "Außerdem war es doch ganz interessant zu sehen, über welche Waffen Miss Blackwood verfügt, nicht wahr? ... Vor allem für dich." Hector schmunzelte listig und setzte eine interessierte Miene auf. Dieser Hund hatte seinen Plan an jenem Abend also durchschaut ... "Eines muss man dir lassen, Jack: Du denkst ziemlich raffiniert." "Liegt in der Familie", antwortete Sparrow mit einem Wink, überließ ihm eher widerwillig das Ruder, verließ die Brücke und zog sich in die Kapitänskajüte zurück. Hectors Blick folgte ihm bis zu den Flügeltüren aus dunklem Ebenholz, und hätte Jack nur ein paar wenige Sekunden später das Deck unter Gibbs' Aufsicht zurückgelassen, wäre ihm vielleicht noch das durchtriebene Lächeln und tückische Funkeln im Gesicht seines Erzfeindes aufgefallen, während Barbossa vergnügt in den frischen Apfel biss. _.;:+*’`'*+:;..;:+*’`'*+:;..;:+*’`'*+:;..;:+*’`'*+:;._ Der zuvor strahlend blaue Himmel über dem Karibischen Meer hatte sich in ein tristes und schattenhaftes Grau gewandelt, komplett verdeckt von dunklen Regenwolken, die windige und kalte Böen über die See schickten und einen leichten Schauer auf das fast schwarze Ebenholz der Black Pearl regnen ließen. Gibbs hatte das Kommando an Deck übernommen und ließ die inzwischen durchnässten Männer alle nachtfarbenen Segel trimmen und setzen; der leichte Sturm verstärkte sich von Stunde zu Stunde und kam ihnen gelegen, indem er die Galeone schneller über den Atlantischen Ozean trieb und ihre immer noch beachtliche Reisezeit nach Singapur ein wenig verkürzen würde. Das stärker werdende Prasseln des Regens und die rauschende Gischt, das Pfeifen des Windes und die Rufe, Befehle und das Gelächter an Deck klangen nur gedämpft durch das starke Holz der Planken, die die Kapitänskajüte bildeten, hindurch. Im Halbdunkel des spärlich beleuchteten Raums beugte sich Jack mit einer Flasche Rum in der Hand über die bereits leicht vergilbten nautischen Seekarten, den Blick aus den mit Kohle umrandeten, dunklen Augen fest auf ihre derzeitige Route nach Südostasien gerichtet und die Seemeilen bis hinein in das Südchinesische Meer verfolgend, während die kümmerlichen Kerzen sich langsam ihrem Ende zuneigten und ihren Wachs fröhlich auf der Tischplatte verteilten. Die Flammen verschlangen gierig die verkohlten Dochte, und je länger der Captain etwas abwesend dieses Schauspiel betrachtete, desto schneller schien sich die Zeit zu verflüchtigen, während der starke Wind kräftig die Segel aufbauschte und die Pearl einiges an Fahrt aufnahm - nicht selten schwankte sie stark nach Steuer- oder Backbord, was das seit Jahrzehnten vertraute Knarzen der Planken erzeugte. Junge Soldaten oder Männer, die das erste Mal in ihrem Leben mit einem Schiff fuhren, würden wohl spätestens jetzt die Reling aufsuchen und ihr Mittagessen dem Meer anvertrauen. Jack schüttelte bei diesem Gedanken den Kopf über sich selbst und begann erneut damit, sich auf die Seekarten zu konzentrieren, während er die bereits bekannten (oder weniger bekannten) Dinge, die er über Nyx erfahren hatte, in seinen Gedanken zu sammeln versuchte (was vom Inhalt der drei ehemals vollen Flaschen auf dem Boden nicht gerade vereinfacht wurde). Frustriert stellte Jack fest, dass er bis auf ihr schemenhaftes Erscheinungsbild, die Tatsache, dass sie mutwillig und wahllos Schiffe zerstörte und deren Besatzungen in die Hölle schickte, nichts über sie wusste - dorthin, wo sie vermutlich selbst herkommt, dachte der Piratenfürst verächtlich. Und sobald ich weiß, wie ich das anstellen soll, schicke ich sie persönlich dorthin zurück! Für heute verbot er sich jeglichen Gedanken an Angelica - verdammt, er hatte wirklich Besseres zu tun, als sich seiner ehemaligen Flamme zu widmen! - und trotzdem konnte er es nicht verhindern, dass ein leicht verschwommenes Bild des Gesichts der schönen Spanierin für einen winzigen Augenblick in seinem Kopf herumspukte. Es würde nicht schaden, wenn er vor der Ankunft in Singapur und der Suche nach diesem verfluchten Tempel ein wenig mehr über diese Göttin zusammentragen könnte, und hätte er gewusst, wie er sich ohne jegliche Verbündete, alte Schriftstücke oder Bücher und bestimmte Vorgehensweisen dem Höllenengel gegenüberstellen konnte, hätte er es auf der Stelle getan - dann wäre dieses lästige Problem (hoffentlich) beseitigt. Doch dass der Kampf gegen dieses wildgewordene Biest, das sich eine Göttin schimpfte, längst nicht so einfach werden würde wie die bisherigen Spektakel, die die Black Pearl bereits überstanden hatte - diese Befürchtung hatte bereits weit vor dem Beginn ihrer Reise nach Singapur eine beunruhigende und schattenhafte Gestalt in seinem Unterbewusstsein angenommen. Hätte sein langjähriger Verbündeter Gibbs das ausweichende Gerede gehört, dass sich soeben in seinen eigenen Gedanken gerade abspielte, hätte er sofort erkannt, dass Jack aus einem ganz anderen Grund erpicht darauf war, sofort etwas über die Göttin der Nacht herauszufinden und sich keine Zeit mit ihrer Vernichtung zu lassen. Denn ohne das Wissen, wie ein Sterblicher ein übernatürliches Wesen wie Nyx vernichten konnte, das zudem ohne bestimmte Wege und Mittel unsterblich war, wäre er nahezu machtlos gegen sie - denn was Jack wirklich befürchtete, war ein Angriff des dunklen Engels auf die Black Pearl. Und doch wusste er seine wahre Befürchtung gegenüber der Crew zu verbergen, denn wenn sie herausfanden, was ihren Captain wirklich beschäftigte, dann konnte das ... eine leichte Unruhe an Bord auslösen. Und das war es, was Jack mit allen Mitteln zu verhindern versuchte. Er bezweifelte, dass Nyx vor seiner geliebten Galeone halt machen und seine Besatzung mit dem Tod verschonen würde - mal abgesehen von der Tatsache, dass die Göttin laut Calypsos Worten Widersacher zu vernichten versuchte, die sich ihr in den Weg stellten. Und da er im Augenblick wohl der Einzige davon war ... Ihr Zorn auf Tia Dalma musste wirklich beachtlich groß sein, wenn sie sich in die Angelegenheiten der Sterblichen einmischte und ihre Schiffe in die Luft jagte - warum sie das jedoch tat, war für ihn nach wie vor ein großes Rätsel. Calypso meinte, sie würde unschuldige Menschen auf See töten, um Zorn auf die Meeresgöttin zu lenken - doch Jack war sich inzwischen sicher, dass das wohl kaum der einzige Grund sein konnte. Es steckte mehr dahinter ... Und dann kam ihm ein Gedankenblitz: Natürlich hatten sie eine Zeugin an Bord! Sarah Blackwood war ihm nach der Unterbrechung durch die Ankunft in Schiffbruch ohnehin noch ein Gespräch schuldig, und da sie sich wohl augenscheinlich mit Barbossas Flohkiste vergnügte, die auch noch denselben Namen wie der karibische Piratenlord trug, würde sie es hoffentlich auch schaffen, ein wenig Zeit für ihren Captain einzuräumen. Jack fuhr sich kurz über das Gesicht und richtete seine dunkelrote Bandana, sprang ohne zu zögern auf (was ein leichtes Schwanken zufolge hatte, und er bezweifelte stark, dass es dieses Mal am starken Wellengang lag) und schritt auf die beiden hölzernen Flügeltüren zu. Mit einem Ruck riss er sie auf und blickte nach draußen, wo der inzwischen starke Regen auf das Deck trommelte, lauthals Befehle gegeben wurden und die Pearl in den anbrechenden Sonnenuntergang gesegelt wurde. Große, sturmgepeitschte Wellen brachen sich am Bug des Schiffes und spülten über das Deck, das vereinzelt flammende Licht der Sonne wirkte durch die grauschwarzen Regenwolken wie ein gieriges Feuer, das den Himmel zu verschlingen schien, und einen kleinen Augenblick lang genoss der Captain dieses immer wieder atemberaubende Schauspiel über den hohen Wellen, deren Gischt beständig gegen das dunkle Holz der Galeone schlug. Sein Blick suchte eine schlanke Gestalt, eingehüllt in eine wohl ebenso durchnässte, schwarze Robe, und zu seiner Überraschung richtete sich seine Aufmerksamkeit auf eine junge Frau, die dabei war, einigen Männern beim Segeltrimm zu helfen und das Großsegel in den Wind zu legen. Sie musste bereits seit Stunden dabei seien, den Männern an Deck zur Hand zu gehen und das Schiff sturmsicher zu machen, denn sie war nicht minder triefnass wie die anderen und machte sich mit einem Eifer an ihre Aufgaben, dass sie vor Anstrengung und Konzentration gar nicht zu hören schien, wie der Captain ihren Namen rief. Jack schmunzelte einen Augenblick über die scheinbar unermüdliche Frau - man sah ihr deutlich an, dass sie die Rettungsaktion vor wenigen Wochen mit aller Kraft rechtfertigen und ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen wollte. "Sarah!", rief Jack ein zweites Mal und grinste über das ganze Gesicht, als eine scheinbar verwunderte Gestalt an Deck zu ihm herumfuhr und die Richtung zu suchen schien, aus der sie soeben die Stimme des Piratenlords vernommen hatte. "Aye, Captain?" Der Bukanier legte leicht den Oberkörper zurück, winkte sie zu sich heran und deutete dann auf das Innere seiner Kajüte, und Sarah verstand. Sie überließ ihre Aufgabe einem anderen Piraten (ein murrender Captain Teague, wie sie wenige Sekunden später leicht beunruhigt feststellte), lief eilig auf die Flügeltüren zu und folgte Jack in den düsteren Raum. _.;:+*’`'*+:;..;:+*’`'*+:;..;:+*’`'*+:;..;:+*’`'*+:;._ Zwei Glasen waren vergangen, seit Captain Teague seinen Sohn für einen kurzen Augenblick an Bord gesehen hatte, wie er nach Miss Blackwood gerufen hatte - und auch ihm war nicht entgangen, dass Jack auffällig viel Zeit in seiner Kajüte verbrachte, was einen nicht besonders positiven Grund zu haben schien. Er spürte, wie sein Stammhalter mit zunehmender Zeit ein wenig ernster geworden war, seit dem Zeitpunkt, an dem ihre Reise nach Singapur begonnen hatte. Vielleicht ist das auch ganz gut so, dachte der Behüter des Piratenkodexes für sich selbst und schüttelte den Kopf, was das Klirren einiger Kruzifixe in seinen schwarzen Dreadlocks zufolge hatte, durchzogen mit vereinzelten, silbernen Strähnen. Dann wird der Junge hoffentlich mal etwas erwachsen! Der Regen und der kräftige Sturm hatten inzwischen ein wenig nachgelassen und verstärkten den salzigen und so vertrauten Geruch der See, der Sonnenuntergang neigte sich dem Ende zu und der Wellengang beruhigte sich, während die Crew von der harten Arbeit, die ein solches Unwetter mit sich brachte, inzwischen ein wenig müde und ermattet wirkte. Marty war wohl im Krähennest des Mittelmasts eingeschlummert, das Kinn auf die Brust gelegt und mit beiden Händen eine leere Flasche Rum umklammernd, Barbossa hatte das Ruder dem eigentlichen Steuermann Cotton überlassen, lehnte am Vordermast der Pearl und teilte sich mit seinem Kapuzineräffchen einen giftgrünen Apfel (völlig überflüssig für einen untoten Affen, dessen Sinne versagt hatten, fand Teague - aber was tat man nicht alles für seine Vernarrtheit in gewisse Begleiter) und Jim Truscott trottete, ein Gähnen unterdrückend, an seine Seite und ließ sich neben ihm an der Reling nieder. "Was glaubt Ihr, was sie wohl dort drinnen besprechen, Captain Teague?", murmelte der Junge Pirat und schloss für einen kurzen Moment beide Augen, deutete mit einem Kopfnicken Richtung Kapitänskajüte, bevor er in leisem Ton fortfuhr. "Ich bin nicht neugierig, aber ich vermute, dass es etwas mit Nyx zu tun haben muss." "Aye. Da bin ich mir ziemlich sicher", knurrte Teague mit leicht beunruhigter Stimme, "doch es stellt mich vor ein Rätsel, was mein Sohn vor uns zu verbergen versucht. Ich denke, ich bin nicht der Einzige, der inzwischen so einige Veränderungen an ihm bemerkt hat." Jim entging der leicht fragende Unterton nicht. "Da habt Ihr recht. Es ist seltsam, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ..." Der ehemalige Soldat legte eine kurze Pause ein, richtete sich ein wenig auf und rückte seinen Hut zurecht. "... dass wir einige dunkle Tage vor uns haben, die nicht weniger dunklere Tatsachen mit sich bringen werden." Der ehemalige Piratenfürst suchte den Blick des jungen Piraten, der ihn stumm und dennoch vielsagend erwiderte. "Im wahrsten Sinne des Wortes, Junge", schnaubte der ältere Sparrow und blickte gen Himmel. "Selbst die sonnigen Tage in der Karibik kommen mir finsterer vor als sonst." Jim nickte, abwesend mit einer schwarzen Feder an seinem Hut spielend, wollte sich gerade wieder an den älteren Captain wenden, doch ... Der Behüter des Piratenkodexes zuckte erschrocken und leicht empört zusammen, als sich Jims Augen ungläubig weiteten, er wie von der Tarantel gestochen so plötzlich aufsprang, dass er ihm beinahe den Humpen aus der linken Hand gehauen hätte und sich an die Reling klammerte, als hätte er einen Geist gesehen. Das erschrockene Keuchen des jungen Mannes brachte alle Alarmglocken in Teague dazu, beunruhigend laut zu schrillen, und mit leicht geöffnetem Mund und einem Anflug von bedrohlicher Kälte in den alten Knochen, die er so schon lange nicht mehr gespürt hatte, folgten seine dunklen Augen dem Finger Truscotts. "Was, bei allen Göttern der Sieben Weltmeere, ist denn das?!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)