Das Herz der Hölle von Inzestprodukt ================================================================================ Kapitel 6: Hilflos ------------------ Dass er vor den anderen aufwachte, überraschte Raphael nicht wirklich. Da war der Umstand, überhaupt eingeschlafen zu sein, viel schlimmer denn wenn er sich nicht täuschte, krabbelte EINE SPINNE ÜBER SEINEN ARM! Mit einer hektischen Bewegung schüttelte er sie ab und sah in ein dunkles Blätterdach, es dämmerte gerade erst und mehr als fünf Stunden Schlaf hatte er sicher nicht errechnet. Dass sie noch beide in der Hängematte lagen, wunderte ihn ebenso und auch, dass Michaels Arm über dem Bauch des Blonden hing, sein Gesicht irgendwo an Raphaels Brust gedrückt und friedlich schlafend. Toll, nun könnte er sich nicht einmal anziehen, ohne den kleinen Feuerteufel zu wecken, den er vorsichtig anschielte. Er hatte selten jemanden im Arm liegen, mit dem er in der letzten Nacht ein Stelldichein durchlebt hatte und gerade jetzt… Einer von Raphaels Armen lag um den Kleinen gelegt, er lag also zum Teil drauf und wenn sich der Heiler nun minimalst bewegte, würde Michael aufwachen und ihn einäschern. Klar, weil er sich ja auch ankuschelte! Mit etwas Geschick und einem festen Untergrund könnte Raphael sich sicherlich befreien, doch das war eben nicht gegeben und zudem waren die Instinkte seines Attentäters derart scharf ausgeprägt, dass er ihn bei der kleinsten Pulserhöhung im Aufwachmodus von der Hängematte schubsen und einen Feuerstoß hinterherschicken würde. Innerlich seufzend – bloß keine weiteren Geräusche von sich geben – richtete Raphael den Blick nach oben und sinnierte, wie groß seine Chancen auf Morgensex waren. Unterirdisch, vermutlich. Er musste sich unbedingt eine Kamera zulegen und Michael abfüllen, damit er von diesem Fotos schießen konnte. In eindeutig-zweideutigen Positionen und mitten beim Akt. Ob er wohl ein Video mitdrehen würde? Dann gäbe es Material, an dem er sich immer wieder erfreuen könnte. Raphael runzelte die Stirn und schüttelte dann sachte mit dem Kopf; noch einmal mit ihm schlafen? Es wurde allmählich wirklich zu einer Affäre, er musste mehr aufpassen. Mika-Chan war sicherlich nicht von der romantischen Sorte und eine feste Sexpartnerschaft hatte der Blonde auch nie verfolgt. Monogamie war außerdem überhaupt nicht sein Ding. „Warum hältst du mich fest…?“ Angstschweiß perlte hervor, dann bog er endlich den Arm unter dem Rothaarigen weg und drehte sich so gut es ging auf die Seite, wo Michael sich gerade aufsetzte und durch das zerzauste Haar fuhr. Konfrontation? Konnte er haben. „Du hast dich an mich gekuschelt und auf meinem Arm gelegen, also bitte!“ „Aha“, antwortete der Rotschopf viel zu desinteressiert und schob die Decke mit dem Fuß weg. Raphael rutschte gerade noch rechtzeitig in die Mitte, als Michael sich an einen Ast herüberangelte und seine Klamotten aus den Zweigen auflas, dann recht flink zu Boden schlängelte und am nächstbesten Busch seine Morgentoilette erledigte, während er noch irgendwo im Halbschlaf die Nase hochzog und ausspuckte. Raphael verzog den Mund, streckte dann aber vorsichtig den Arm und zog wenigstens seine Hose heran, während er den nackt umherstreifenden Feuerengel beobachtete. Der suchte nach einem fehlenden Kleidungsstück, welches wohl doch nicht auf dem Baum gelandet war und schlüpfte dann in die gleichen, furchtbar engen Hosen vom Vortag. Irgendwie erregte dieser Anblick Raphael, er hatte nun wieder die nackten Beine vor sich, ohne von der Tatsache des männlichen Geschlechts konfrontiert zu werden. Allerdings musste er sich langsam angewöhnen, Michael nicht mehr als Sexobjekt zu sehen, denn wie oft dieser noch mitziehen würde, war fraglich. Konstante Verhaltensweisen waren nicht seine Stärken, man konnte sich nur immer auf dieselben Dinge verlassen, zu denen Sex jedoch bisher nie gehört hatte. Ein Stoßgebet an seinen eigenen Körper, dann glitt Raphael halb bekleidet vom Baum zu Boden und rang mit sich, nun auch in den Busch zu pinkeln, doch er unterdrückte dieses Bedürfnis, solange noch jemand bei ihm war. Oder wieder auf dem Baum, so schnell konnte er ihn gar nicht im Auge behalten. „Fang mal.“ Gerade noch rechtzeitig streckte er die Arme aus und nahm den geworfenen Rucksack in Empfang, dann klinkte die Hängematte schon an einer Seite aus. Er würde Michael arbeiten lassen und den kurzen Moment wirklich zum Pinkeln benutzen, nachher rannten so oder so wieder überall Soldaten rum und vor denen wollte er sich noch weniger entblößen. Er sollte sich dessen auch nicht schämen, dennoch warf Raphael einen Blick über die Schulter und beobachtete, wie der Feuerengel den nächsten Baum erklomm und am Karabiner ihres Schlaflagers rumpfuschte. Raphael war nie der Typ gewesen, der sich zum Kollektivpissen an eine Mauer stellte und mit dem Nebenmann ein angeregtes Gespräch führte. Ehrlich gesagt traute er das nur den – wie er aus verlässlicher Quelle wusste – zum Teil unregistrierten Soldaten in Michaels Armee zu, inklusive ihrem Oberbefehlshaber. Und wie gerne würde er sich nun die Hände waschen, doch leider wuchsen in der Wildnisse keine Waschbecken und so stellte Raphael jegliche Aktion hinten an, die eine indirekte Berührung mit seinem Mund bedeuten würde. Essen? Nur, wenn er vorher seinen Koffer mit den Desinfektionstüchern bekommen würde. „Du pisst ohne Seife in der Nähe?“ „Ich bewundere dich für deinen Wortschatz.“ „Ich mich auch, hab ihn tief vergraben.“ Mit der Hängematte über der Schulter kam der Rothaarige wieder, nahm den Rucksack entgegen und ging in die Hocke, legte dann routiniert den schweren Stoff zusammen und rollte ihn über dem Reißverschluss zusammen, zog ihn da fest. „Gehen wir nochmal zurück zum Schiff?“ „Ich bin mit einer Kampfmerkabah losgezogen, glaubst du, wir laufen? Du musst öfter mit in einen Einsatz, Grünschnabel.“ Kurz überdachte Michael die letzte Aussage, blickte dabei stumm in Raphaels Gesicht und berichtigte mit Erinnerung an die nächtliche Schlafsituation: „Oder vielleicht besser nicht…“ Die Reaktion darauf war ein spöttisches Schnauben, bei dem der Heiler auch in sein Oberteil schlüpfte und seine Haare mühsam außer Acht ließ – die Hände, keine Seife. Eigentlich wollte er auch vermeiden, das Offensichtliche anzusprechen, doch wie sollte er sich bei diesen Frechheiten bitte zusammenreißen? „Du kannst kaum leugnen, dass du spaß hattest. Dann bist du ein verdammt guter Schauspieler. Und die dämliche Verbeugung kannst du stecken lassen, ich kenn dich lange genug, dir hat das gefallen!“ Michael brach ab, auf den Schauspielerkommentar hin den Arm gespielt heranzuziehen und sich zu verbeugen, schulterte den Rucksack auf einer Seite und glitt mit der Zungenspitze sichtbar über die hellen Zähne; die silberne Kugel seines Steckers im Muskel blitzte auf und zog kurz die volle Aufmerksamkeit Raphaels auf sich. Dann verschwand der Anblick wieder und er blickte hoch in Michaels Augen; Sonnenlicht schien durch die Blätter und fiel direkt hinein, ließ das warme Gold unangenehm hell strahlen, doch es schien den Besitzer gar nicht zu stören. „Nächstes Mal liegst du unten.“ Verdutzt folgte der Blonde ihm, da sich sein Kumpane in Bewegung gesetzt hatte und nun allmählich den Pulk Soldaten ansteuerte, der klugerweise vor dem Boss aufgewacht war. Er musste sich mit diesem Gespräch beeilen, sonst könnten sie es nicht mehr führen und wie er später noch einmal daran anknüpfen sollte, wusste der Heiler wirklich nicht zu sagen. „Du willst wirklich noch mal? ich dachte, ich bin unfähig.“ „Bist du auch, deswegen liegst du nächstes Mal unten. Ich lass mir doch nicht zwei Mal weh tun und du kommst mit heilem Arsch davon.“ „Ich hab mich entschuldigt und dich geheilt, muss mich einfach daran gewöhnen, dass du ein Kerl bist.“ „Das wirst du dann nicht mehr vergessen, keine Sorge.“ Wie immer klang Michael wirklich gelangweilt, sobald es um ihre soziale Interaktion miteinander ging, doch Raphael war zumindest etwas beeindruckt, wie selbstsicher der Kleine war. Also… er hatte es ja einmal erlebt, Michael war nach den paar Minuten aktiven Handelns vollkommen von der Rolle. Man könnte nun wieder die Schuld auf die Drogen schieben, das hatte Raphael ja auch getan aber bei ihm hatte nur die Dauer gelitten, nicht etwa Technik und eine aufkeimende Atemnot. Gut, er würde es sehen. „Fein. In einer Woche bei mir.“ „Wieso bei dir?“ „Weil ich alles da hab, was man dafür braucht. Oder willst du, dass ich in dein Schlafzimmer komme? Diesen Vorort der bakteriellen Hölle.“ „Ist mir latte.“ Michael beschleunigte seinen Schritt nicht, das würde vor den Soldaten einen seltsamen Eindruck machen und er musste auch nicht unbedingt Meter um Meter vor Raphael hermarschieren. Wer unter seinen Leuten an der Autorität des Bosses zweifelte, nur weil der nicht vor seinen Truppen patrouillierte, war definitiv falsch in der Einheit. Oder wurde zur Not eines Besseren belehrt. Allerdings ersparte Raphael es ihnen beiden – eher sich, da er dann vermutlich den Ärger seines Lebens bekommen würde – nun weiter in die Materie vorzudringen und wartete dann brav, bis er endlich in das Flugschiff und damit auch an seine Tasche kam, aus der er irgendwo ganz weit unten ein vereinsamtes Päckchen Desinfektionstücher hervorzog und sich die Hände säuberte. Funktionierende Wasserleitungen waren ein Luxus, den er bereits nach ein paar wenigen Stunden vermisste. Insgeheim glaubte er ja noch immer, dass Michael hier Trinkwasser bunkerte, mit dem man sich auch waschen konnte. Wie bitte sonst könnte er Monate auf einem Einsatz verbringen? Wenn Raphael dann aber an gewisse Dinge dachte, die bei der nach einem Einsatz (manchmal) anstehenden Routineuntersuchung auf Michaels Körper ein Leben aufgebaut hatten, konnte er den Gedanken an Hygiene schnell wieder verdrängen. Man möge ihn pingelig nennen aber ein kurzes Waschen würde viele Wochen Infektionen und Mangelerscheinungen ersparen. Neben ihm sank Michaels Rucksack zu Boden und die Schritte zogen an Raphael vorbei zurück zum Kontrollpult, plötzlich wimmelte es auch draußen vom Rest der Soldaten. Wie auch immer sie es anstellten – Michael schien nicht verärgert zu sein und genau das war wohl auch das Ziel. Ein guter Start in den Tag. Raphael nahm es sich heraus – da ebenfalls Elementarengel, sollte sich ruhig jemand mit ihm anlegen – sich neben Michael zu setzen und zuzusehen, wie der noch die letzten Leute einsteigen ließ, dann ging es eigentlich direkt weiter. Vom Aufwachen bis hierher waren keine fünfzehn Minuten vergangen, so schnell startete Raphael seinen Tag eigentlich nie, zumal er eigentlich wirklich müde von der letzte Nacht war. Sein Rhythmus bestand aus noch mindestens vier Stunden Bett, duschen, Frühstücken und dann anziehen. Sicherlich nicht im Busch pinkeln und in den gleichen Klamotten wie am Vortag direkt weiterfliegen an einen Ort, der allgemeinhin als verseucht bezeichnet wurde. Hier gab es zwei wichtige Komponenten: Die dort herrschende Zahl der Dämonen, die sich seit dem Zusammensturz der Schalen noch immer tummelten und das Gift, welches sie inzwischen in Atmosphäre und Boden gebracht hatten. Ihre Schutzimpfung bezog sich natürlich nicht darauf, wie sollte er auch vorher wissen, was sie erwartete? Doch die gängigsten Krankheiten waren eben abgedeckt und wenigstens würde nun niemand mehr an einem Wundkrampf sterben. „Also“, ertönte neben Raphael die Stimme Michaels, welche sich irgendwie immer zwischen Teenager und jungem Erwachsenen befand. „Steh mir gleich bloß nicht im Weg rum. Wir gehen da rein, suchen die scheiß Quelle für den Dreck da und gehen wieder. Wenn unterwegs ein Dämon meint, mich anfucken zu müssen ist der Geschichte. Ich will kein „minimaler Schaden“ und „lass uns einen friedlichen Weg finden“, klar?“ „Was sagst du mir das? Mir ging es um die Leute auf unserer Seite, Dämonen kannst du rösten wie du lustig bist. Ich bezweifle aber, dass wir wirklich erfolgreich sein werden. Nicht, dass ich dir das nicht zutrauen würde“, räumte er sofort ein, da Michael einen bösen Blick in Raphaels Richtung warf; wenn er dafür sogar vom Kontrollpult aufsah, war er wirklich sauer. „Aber das Ganze ist doch seltsam, oder? Warum bist du überhaupt aufgebrochen?“ „Hab ich dir doch gestern schon erklärt. Weil man mich loswerden will. Wenn ich den Mist nicht annehme, schicken sie mich eben direkt zu Luzifer oder im Gegenteil auf die verkackte Grenzpatrouille, an der ich seit Jahrtausenden hänge. Mir ist langweilig. Raphael. Seit so vielen Jahren. Wenn ich einen nutzlosen Auftrag kriege, mach ich ihn halt manchmal. Aber ich geh nicht Babysitten und zerhackstücke weiter Dämonen, an denen der Hohe Rat rumexperimentiert hat und wie üblich abgekackt ist. Wie viele davon mal Engel waren, will ich gar nicht wissen.“ Nein, das wollte Raphael auch selber nicht. Als er gerade wieder etwas sagen wollte, unterbrach Michael ihn noch beim Luftholen: „Warum du mitkommst, würd mich viel mehr interessieren. Ich weiß, dass du mich eh anlügst also spar dir die Erklärung und kack einfach nicht ab.“ „Ich bin nicht zum ersten Mal weg, Mika-Chan. Ist lange her aber so was verlernt man ja nicht einfach. Ist wie Fahrrad fahren.“ „Was du nicht kannst.“ „Ich kann fliegen. Wozu sollte ich mich auf etwas schwingen, was mir den Schritt zerquetscht?“ Ein leises Gähnen neben ihm, dann schüttelte Michael nur voller Unverständnis den Kopf und tippte ihre letzten Koordinaten ein, lehnte sich dann zurück und fasste den Horizont ins Auge. Dabei wechselte er immer wieder zum kleinen Radar vor sich, was für Raphael nur eine Ansammlung von Strichen und Zahlen war, dennoch versuchte er, bei dem stetigen Bildwechsel mithalten zu können, entdeckte aber bei weitem nichts. Wenn Michael immer unter solcher Anspannung flog, erklärte das die müden Aussetzer auf dem Schlachtfeld, die vermutlich der Grund für die übertriebene Vorsicht waren; ein Teufelskreis also. „Hast du nichts, was rechtzeitig lospiept, wenn wer angreift?“ „Wenn sie das Schiff erreichen, ist es zu spät. Viele Dämonen kann der Radar nicht erfassen und manche Engel auch nicht.“ Den Satz ließ er in der Luft hängen, Michael hatte keine Lust auf ein Gespräch und Raphael wollte nicht schon wieder streiten, von daher ließ er ihn erst einmal in Ruhe, machte es sich aber ähnlich wie Michael zur Aufgabe, einen ganz bestimmten Punkt vor sich zu beobachten. es gefiel ihm schlichtweg nicht, was er an dem Rothaarigen immer und immer wieder diagnostizieren musste. es war sein Schicksal, seinen Beruf mit sich herumzutragen, daher interessierten ihn körperliche Mängel besonders. Innerlich legte Raphael immer und immer wieder Krankenakten an, wobei die für Michael nicht in aufgeschriebener Form existierte. Irgendwann hatte er es aufgegeben und der Feuerengel war ohnehin durch die meisten Sachen durchgelaufen. Sein Krankenblatt mit Allergien existierte irgendwo in Raphaels persönlichen Unterlagen, sollte er ihn denn wirklich mal im Krankenhaus einquartieren. Dazu gab es noch den Vermerk, ihm auf keinen Fall diverse Lebensmittel vorzusetzen, ganz oben auf der Liste das gelbe, krumme Ungetüm, mit dem der Feuerengel erschreckend präzise auf Genitalien zielte und diese damit befeuerte. Momentan sah der Heiler bei seinem Stammpatienten Anzeichen für eingerissene Mundwinkel, trockene Flecken im Gesicht und ansatzweise rissige Lippen – er trank einfach zu wenig. Das war noch kein Grund zur Sorge, doch es konnte schnell zu einer werden, wenn auch seine Organe sich zu beschweren begannen. Zumal war ein mit Kopfschmerzen gesegneter Michael absolut unangenehm. - Seit ihrer Landung unmittelbar des betreffenden Gebiets waren kaum zwanzig Minuten begannen und bereits jetzt zog Raphael sich genügend Sauerstoff aus der Umgebung, da er als Dauerheiler im Einsatz war. Bemerkenswert: Es war nicht Michael, der von einem Dämonen besprungen und in die Halsschlagader gebissen wurde. Es war auch nicht Michael, der in eine Falle trat und beinahe ein Bein verloren hatte. Zwar war er sofort zur Stelle und holte den entsprechenden Soldaten mit einigen wohlwollenden Schwerthieben zurück in ihre Truppe, doch passiert war ihm noch nichts, Gut, Raphael glaubte auch nicht, dass der Kriegsherr sich die ganze Zeit selbst auf die Füße trat aber am Ende erwischte es ihn meistens am Stärksten. „Mika-Chan. Wenn wir in zehn Minuten nichts finden, bitte ich dich zur Umkehr. Warte, Korrektur: Mir ist egal, ob ich respektlos bin, Ich verlange, dass wir in zehn Minuten umkehren, hier überall schwebt Nervengift herum, wir atmen das alle fleißig ein.“ „Kannst du die Dosis bestimmen?“ „Nicht genau, ich will aber nicht bis zum Exitus warten. Wir haben nicht alles dabei, ich kann nur auf wenige Gifte behandeln und ein Rückflug dauert. Tut mir Leid aber auf sowas war ich nicht vorbereitet.“ Es behagte ihm nicht, das sah Raphael deutlich; eine Hand fest um den griff seines Schwertes gelegt traten die Knöchel weiß hervor und der Soldat malmte mit dem Kiefer, nickte dann aber. Tot brachte er keinem mehr was. „Gut, dann aber etwas schneller, ich flieg nicht zwei Mal hier hin. War ich auch nicht. Nicht in dem Ausmaß.“ Jetzt ging alles plötzlich ganz flink, ihre kleine Formation löste sich in dem Moment, in dem Michael plötzlich an Geschwindigkeit zulegte und seine Deckung aufgab; neben Raphael gerieten auch die anderen in Bewegung und folgten ihm, behielten dabei aber einen gewissen Abstand ein, den sich der Blonde nur zu gut erklären konnte: Es wurde brüllend heiß und wenige Atemzüge später spürte Raphael, wie der Sauerstoff um ihn herum großzügig eingesammelt wurde, damit Michael brennen konnte. Er mochte diesen Anblick, wenngleich keine Zeit für solche Gedanken blieb. In Flammen stehend zog Michael die Aufmerksamkeit sämtlicher Dämonen auf sich, gleich eines Lichts inmitten unzähliger Insekten. Als in den dunklen Ecken der Kraterlandschaft Bewegung einkehrte, schickte der Feuerengel von Zeit zu zeit einen alles fressenden Stoß Flammen von sich weg und verbrannte so ganze Nester, während einzeln heraneilende, verkrüppelte Körper den Soldaten zum Opfer fielen. Raphael wartete noch einen Moment, schickte nebenbei einen Angreifer mit einer schnellen Handbewegung und der schneidenden Luft in den Tod, als er das Flackern von Michaels Seite bemerkte. Das Feuer hatte kurz nachgelassen und der Feuerengel – nicht mehr als eine in Flammen stehende Kontur seines eigentlichen Körpers – wandte Raphael das Gesicht zu. Seine Augen waren kaum etwas anderes als zwei glühende, weiß strahlende Punkte, dennoch schaute er ihn irgendwie böse an. Natürlich, weil ihm der verdammte Sauerstoff genommen wurde. Ein weiterer Grund, warum Raphael nie mit ihm in den Krieg ziehen wollte; wenn sie zusammenarbeiteten, klappte es. Aber wehe, einer von ihnen machte einen kurzen Schlenker und erledigte eine Aufgabe im Alleingang. Solange Raphael für genügend Sauerstoff sorgte, könnte Michael den Himmel verbrennen. Aber wenn er ihn selber benötigte, geriet alles ins Wanken. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren drehte der Windengel ab; die Quelle dürfte sich eigentlich leicht ausfindig machen, das war einer der wenigen Vorteile als Windengel, war sein Element doch sonst eher unscheinbar neben den Erdbeben, Eiszeiten und Waldbränden, die die anderen Drei hervorrufen konnten. Man vergaß einfach zu gern, dass Raphael der Sturm war. Er könnte sie einfach wegpusten, sie in ein Vakuum sperren oder unter Druck zerquetschen, doch wozu? Sein Leben war auf Vorteilen aufgebaut, Zerquetschen und Wegpusten gehörte nicht zu diesen, da ein gewisser Standard gewahrt werden wollte. Weder Unterwelt noch seelenlos im Wassergarten oder gar in einer Wüste – er wollte Teil dieser wundervollen Welt sein und das erreichte man nicht mit dem Ruf, Störenfriede zu zermalmen. Zwar behinderte Michael mit seinem Feuersturm die Arbeit ganz gewaltig, dennoch konnte Raphael größere Quellen verpesteter Luft ausmachen und näherte sich so mehr und mehr dem Ursprungsort, zwei der Soldaten bei sich, die geschäftig um ihn herum Wache bezogen. „Schafft er das lange genug?“, versuchte Raphael ein Gespräch zu beginnen, während sie zwischen Höhlen und Abgründen her hetzten, doch nach einem zögerlichen Seitenblick schwiegen die Soldaten und blickten stur gerade aus. Gut, also hatte Michael wie schon geahnt seine grenzen, die Raphael jedoch durchaus nachvollziehen konnte. Die restlose Zerstörung eines Körpers hatte ihn in ein künstliches Koma versetzt, doch Barbiel war es ihm wert gewesen, Hoffentlich überschritt Michael seine eigene Grenze nicht. Was dann wohl passieren würde? Fraß das Feuer ihn selber auf? Immerhin hatte er trotz Allem noch Fleisch und Blut, auch wenn dies unter dem Schutz seines Elements stand. „Stopp!“, hörte der Blonde sich selber plötzlich rufen und war irritiert, dass er zwar funktionierte, dafür aber scheinbar gedanklich nicht einmal anwesend sein musste. Desorientiert wandte er den Kopf, blickte dann nach oben und zog die Augenbrauen zusammen; die Präsenz war verschwunden. Zwar war nicht zu behaupten, dass die Luft wirklich besser wurde, aber ihre Quelle bewegte sich entweder unbemerkt fort oder existierte mit einem Mal nicht mehr. Unbewusst wischte Raphael sich den Schweiß von der Stirn, er fühlte sich wie in einem Backofen und doch beruhigte ihn der Gedanke, dass es noch jemanden zum Brennen gab. „Moment“, wandte wer an die Soldaten, die tapfer schwitzten und nicht wagten, sich ihm zu widersetzen. Dennoch warfen sie hin und wieder einen flüchtigen Blick über die Schulter, was der Heiler ihnen gewiss nicht verübeln konnte. Er wollte ein Auge auf Michael behalten und ließ ihn dann brennend wie das jüngste Gericht einfach stehen, ganz großes Kino, wirklich. „Ich kann nicht mehr einordnen, wo es ist. Entweder man hat die Quelle ganz freigelassen oder eine Möglichkeit gefunden, eine vollkommen verseuchte Stelle einfach so zu entfernen.“ „Kann sowas denn passieren?“, erhob jetzt erstmals ein Mann im äußerlichen Alter von etwa 25 Jahren die Stimme; er hatte fahles, braunes Haar und kleine Augen, über die nackte Brust zog sich ein undefinierbares Tattoo. „Ich weiß es nicht“, gab Raphael zu. Er hasste diese nutzlosen Momente, eigentlich überraschte ihn nichts sonderlich schnell, doch das überforderte ihn zugegebener Maßen. Als er die Stimme wieder heben wollte, erklang ein leises Piepen und der zweite Mann – äußerlich ebenfalls wie sein Kollege gealtert, gefärbtes, grünes Haar mit dunkelblondem Ansatz – nahm eine Art Handy von seinem Gürtel, in welches er nur ein knappes „Ja?“ hineinsprach. Einen Moment lang herrschte Stille, dann streckte er den Arm und reichte das Gerät an Raphael weiter, der gerade eben bemerkte, dass ihm ein kühler Windhauch um die Ohren strich. Alarmiert setzte er den Hörer ans Ohr. „Hallo?“ Es dauerte kaum fünf Sekunden, dann drückte er das Ding zurück in die Hand seines Besitzers und spannte seine Schwingen, er durfte verdammt noch mal so viel Luft gebrauchen, wie er jetzt brauchte! Hinter ihm war Flügelschlagen zu hören und weiße Schwingen tauchten knapp hinter ihm auf, dafür war aber wirklich keine Zeit. Im Gegensatz zu vorher war er in wenigen Augenblicken wieder da, nun sparten sie sich die ganzen Schleichpässe. Zwar stand Michael noch aufrecht und er wirkte auch ausreichend genervt, doch das tat nichts zur Sache. Nicht unweit entfernt lag ein in seinem eigenen Blut ertränktes Etwas, von dem der vermisste Giftdunst ausging – ein Dämon, keine versteckten Objekte, die den Ort verseucht hatten. Raphael landete, zog die Flügel ein und schritt auf den Rothaarigen zu, der ihn entnervt ansah und dann abdrehte, noch ehe Raphael ihn erreichen konnte, dabei direkt abwehrend eine Hand hob. „Mir geht’s gut, lass mich!“ „Einen Scheiß geht’s dir! Lass mich dich ansehen und hör auf, dich zu bewegen!“ Er fasste nach Michaels Arm und riss ihn zu sich herum, die rechte Halsseite pulsierte dunkles Blut nach draußen, die Haut war gereizt und ansatzweise verfärbt. Als würde das etwas ändern, wischte der Rotschopf sich über das laufende Blut und schüttelte die Hand, rollte mit den Augen. „Wie konnte das passieren?“ Raphael hatte sein Kinn in seine Gewalt gebracht und drehte den Kopf seiner Freundes ungefragt hin und her, während dieser mit einem Bein hibbelte. „Hast du dir das Scheißvieh mal angeguckt? Der Sack hat nicht gebrannt und mich hinterrücks gebissen.“ „Wozu hast du Leute dabei, die auf sowas aufpassen sollen, wenn du dich umdrehst?!“ Die Wut stieg in Raphael empor, jedoch konnte er diese nicht auf etwas katalysieren. Er wollte Michael dieses eine Mal nicht anschreien, viel eher traf es die Soldaten, den Hohen Rat, das tote Vieh am Boden, welches gerade pflichtbewusst in einen versiegelten Behälter gesteckt wurde… vielleicht auch auf sich selber oder die anderen beiden Elementarengel. Sicher, Jibril gewöhnte sich wieder an ein Leben und baute sich erneut einen gesellschaftlichen Stand auf und Uriel war nicht ständig zugegen aber war es denn zu viel verlangt, wenn sie sich ebenfalls mal kümmern würden? Hatten sie nicht selbst immer gesagt, sie als Elementarengel müssten zusammenhalten? „Die waren selber beschäftigt, mach nicht so ein scheiß Gewese drum.“ Raphael biss sich auf die Unterlippe, dann gestattete er sich, noch einmal vom Sauerstoff gebrauch zu machen und die Wunde wenigstens vom weiten Bluten abzuhalten, heilen konnte er ihn aber noch nicht; Gifte fielen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, das wusste Michael auch. Dass er infiziert war, stand außer Frage und deswegen mussten sie sich nun auch beeilen, wieder zurück zu kommen. „Ich kann dich im Krankenhaus behandeln, hier wird das nichts, Können wir nachts durchfliegen?“ „Sicher, krieg ich hin.“ „Oh nein, du nicht. Du kommst jetzt mit, setzt dich dann gleich hin und bewegst dich nicht.“ Den bösen Blick ignorierte Raphael, schloss seine Hand entschieden um den Oberarm des anderen und blickte in die Runde angeschlagener Männer, die alle betreten schwiegen; eine Eigenschaft, die er selten zu sehen bekam. „Noch jemand von irgendwem gekratzt, gebissen, gestochen oder sonst was?“ Kollektives Kopfschütteln, was Raphael grimmig nicken ließ, dann zog er Michael mit sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren. es schmeckte ihm nicht, dass der Rückweg so unverschämt lang war, zumal sie wirklich noch eine Strecke bis zum Flugschiff laufen mussten aber den Rotschopf tragen? Das würde der niemals zulassen. „Das sieht ganz nebenbei nicht nach einer Bisswunde aus. Eher wie viele Stiche“, bemerkte er unterwegs und schaute immer wieder runter zu Michael, an dessen verlangsamtes Tempo er sich kommentarlos angepasst hatte. „Keine Ahnung“, räumte der nun ein und kniff immer mal wieder die Augen zusammen. Solange er denn noch laufen konnte und bei Bewusstsein blieb, konnte Raphael noch was damit anfangen aber so ganz unvorbereitet mit schweren Nervengiften konfrontiert zu sein war furchtbar. Das war auch neu, es gab höchstens mal diverse Tiere, an denen Michael sich mal den Magen verdorben hatte – der Biss eines von Bakterien verseuchten Komodovarans war eben nicht ganz angenehm aber man ging ja auf diversen Inseln jagen, um neue Geschmäcker auszuprobieren. Trotzdem hatten sie es immerhin jedes Mal zu Raphael geschafft. „Wenn Symptome auftreten, die du nicht zuordnen kannst – immer her damit.“ „Fühl mich betrunken.“ „Etwas genauer?“ Er war bei weitem nicht so ruhig, wie er es äußerlich gerade verpackte, innerlich starb Raphael vor Angst ein bisschen. Immerhin war das Flugschiff schon in Sicht und wieder überholten ihn ein paar Soldaten, um vermutlich schnell zum Start bereit zu sein. Inzwischen war Raphael auch dazu übergegangen, allzeit bereit Michael zu fangen und ihn zu stützen, doch noch lief dieser langsam weiter. „Könnte kotzen, meine Augen pochen komisch und mein Kopf tut weh.“ Das waren eher Katersymptome, doch diese Korrektur ersparte er ihm einfach mal. Bedenklich war eher, wie schnell sich die Stelle am Hals verfärbte und dass dies wie viele, rissige Adern über Schultern und Wange empor wuchsen. Dass Michael immer blasser wurde, war das geringste Problem. Im Flugschiff angekommen lagen einige Decken und Kissen in einer geschützten Ecke, zu der Raphael seinen – wieder mal – Patienten kompromisslos hin schleifte, nachdem dieser eigentlich wie selbstverständlich den Weg zum Kontrollpult eingeschlagen hatte. Protest machte sich breit und mürrisch wand Michael sich in Raphaels Armen hin und her, der ihn dann aber doch niederrang und auf die Kissen drückte, aufstand und seinen Fuß auf der Brust des Kleineren abstellte, während er den direkten Weg zum Krankenhaus anordnete; sie mussten ohnehin alle behandelt werden und Michael hatte ohnehin ein paar wirklich schwere Stunden vor sich. Sie waren immerhin so nett gewesen und hatten dann wieder – nachdem Raphael versichert hatte, dass er bei ihm bleiben würde und sich schon zu Wort meldete, wenn etwas nicht stimmte – die Trennwand gezogen, sodass Ruhe herrschte und Michael sich langsam selber runterfahren konnte. Das war leichter gesagt als getan aber was erwartete Raphael auch von einer Person, die mit dem eigenen Arm unter der Achsel geklemmt in sein Behandlungszimmer kam und sagte, er solle den bitte wieder annähen und etwas pronto, wenn es denn ginge. „Ich würde dir gerne helfen, kann dir aber nichts geben.“ „Also verreck ich jetzt.“ Das klang erschreckend nüchtern und irgendwie auch seinem Schicksal ergeben, darüber würden sie später noch einmal sprechen. „Nein, ich kann deine Organe immer wieder etwas aufpushen, das ist aber keine Dauerlösung. Mach etwas Platz und schau nicht so, ich war dir schon viel näher.“ Vorsichtig ließ er sich neben ihm auf den Boden sinken und bemitleidete sich gerade dafür, keine Zigaretten rauchen zu dürfen – nicht in dem Ding hier. Allerdings galt seine Sorge gerade auch uneingeschränkt Michael, der sich auf den Kissen ausgestreckt hatte und sich die Schläfen rieb. „Du trinkst zu wenig“, rutschte es Raphael dann doch heraus, während er mit dem Finger langsam über die verschwitzte Stirn vor sich glitt, dabei rote Haarfransen zur Seite schob, wo sie nass kleben blieben. „Dein Körper kann Schadstoffe schlecht verarbeiten, wenn du dauernd dehydrierst. Ich will dir keine Vorwürfe machen aber jemand wie du sollte doch wissen, wie wichtig Flüssigkeit ist, Gerade du eigentlich, oder?“ „Kann man jetzt auch nichts mehr dran machen. Vergess das immer.“ „Ich auch“, räumte Raphael ein und strich nun mit der flachen Hand über Michaels kalte Stirn, schickte dann vorerst die Kopfschmerzen fort, was ihm wieder diesen bösen Blick einbrachte. „Lass das und spar dir das für wichtigere Organe.“ „Mir geht’s gut, ich kann simple Kopfschmerzen beseitigen. Wie fühlst du dich sonst?“ „Müde…“ „Vergiss es, du bleibst wach.“ Und das aus reiner Angst, dass er sonst nicht wieder aufwachen würde. Allein bei dem Gedanken schnürte sich in Raphael einiges zusammen, das würde er nicht überstehen. Andererseits, wenn Michael schlafen wollte… er selber könnte ja wachen. Damit konnte er immerhin etwas von dem zurückgeben, was ihm in seinem Kälteschlaf gegönnt wurde, wie man erzählt hatte. Dass er wirklich auf ihn gewartet hatte… „Fünf Minuten“, flüsterte er leise und beugte sich etwas weiter herunter, als Michael auch schon die Augen schloss, sich auf die Seite rollte und damit automatisch vor Raphaels Beinen lag, zu denen er sich nun eingerollt hatte. Besorgt strich er ihm wieder über die Haare, fuhr mit dem Zeigefinger am Ohr herunter und stoppte schließlich vor den Stichen. Das war kein Biss. Da hatte es jemand speziell auf Michael abgesehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)