Simsalabäm von Skeru_Seven ================================================================================ ✗✗✗ --- „Hey Simsala, du bist ja auch hier!“ Und schon wieder hatte ich einem Menschen den Abend versaut. Zwar verzog Simsala keine Miene, guckte also genauso wie immer, aber ich wusste einfach, dass er alles andere als glücklich war, mich zu treffen. Dabei sollte ihn das nicht überraschen, ich hatte noch nie eine Einladung zu einer Party, die stattfand, ausgeschlagen. Dafür packte ich es zu selten auf die Gästeliste. „Hallo Célestin“, antwortete er so neutral und nichtssagend wie nur möglich und so laut, dass die seicht vor sich hinsäuselnde Musik der Gastgeberin seine Begrüßung fast übertönten. Für eine coole Silvesterparty war es hier definitiv zu lahm, aber ich musste mich glücklich schätzen, dieses Jahr mich nicht wieder illegal selbst auf eine überfüllte Garagenfeier eingeladen haben zu müssen. Das wirkte erbärmlich und zeugte davon, dass ich keine Freunde hatte. Oder eher keine, die Bock auf Stress und Hektik durch Partyplanung hatten. Kurz gesagt, egal wie scheiße das hier wurde und wie sehr mich danach alle wieder aus Prinzip hassten, ich würde meinen Spaß haben, komme was wolle. Simsala wollte sich heimlich davon schleichen, um bloß seine Ruhe vor mir zu haben und den Abend nicht in einem peinlichen Desaster enden zu lassen, aber das ließ ich nicht zu, das wäre ja fürchterlich langweilig und so gar nicht typisch ich. Statt ihn also in die Küche entwischen zu lassen, wo auf der Theke neben dem Kühlschrank fein säuberlich aufgereiht Getränke aller Geschmacksrichtungen um die Wette strahlten, packte ich ihn am Arm. Provokationslevel eins. Die andere Hand schwebte nur ein paar Zentimetern von seinem Gesicht entfernt. Provokationslevel zwei. „Tu wenigstens so, als hättest du mich vermisst.“ Simsala war ein Phänomen, denn obwohl ich genau wusste, dass er sich gerade unwohl bis in die Unendlichkeit fühlte, wurde er weder, rot, panisch noch handgreiflich, sondern versuchte nur etwas ungeschickt, sein Handgelenk aus meinem Griff zu entwenden und doch noch in die Küche zu gelangen. Er motzte mich nicht einmal an, dass ich meine Griffel von ihm lassen sollte. Stattdessen versuchte er mich immer, eiskalt zu ignorieren, was ihm natürlich nicht gelang und mich immer mehr dazu animierte, ihn zu nerven. „Lessi, du scheiß Pseudohomo, nimm endlich deine verdammten Pfoten von Simson und hau ab! Merkst du nicht, dass er keinen Bock auf dich und deine hässliche Fresse hat?“ Hätte ich eine freie Hand gehabt, hätte ich sie mir gegen die Stirn geschlagen. Gut, manchmal war ich voll kindisch und ätzend und ging Menschen ohne sinnvolle Begründung auf den Zeiger, aber diese Schimpftirade meiner Mitschülerin, die mich dann jedes Mal empfing, war wirklich die Zumutung des Jahres. Indra-Maria, so der affige Name dieser Krawallschachtel auf Kellerniveau, wäre eigentlich ganz heiß gewesen, wenn seine keine krasse Mischung aus Assi-Arschlochkind und Stiefmutterdrachen gewesen wäre, komprimiert auf einen laufenden Meter mit einer Kreation aus braunblau gesträhntem Haar. Und einer ungesunden Vorliebe für Bevormundung armseliger Erscheinungen wie den lieben Simsala, der sich nicht entscheiden konnte, wer von uns beiden die schlimmere Alternative war. Ich, der ihn nur aus reinem Vergnügen angrub oder Frau Superaggressiv, die aber sofort ins Gegenteil umsprang, wenn sie sich ihrem Liebsten zuwandte. Wie immer hatte Indra-Maria es geschafft, dass nun alle Blicke der knapp zwanzig anwesenden Gäste auf uns lagen und die Leute nicht wussten, ob sie sich Popcorn oder die Polizei holen sollten. Zum Glück waren die meisten in unserer Klasse, kannten den Ablauf und warteten halbgespannt, was nun passierte. Simsala fluchte leise, ganz ganz leise, und wollte wirklich nur noch weg. Aufmerksamkeit durch viele Leute konnte er noch weniger ertragen als meine nicht ernst gemeinten Annäherungsversuche. „Hast du mich nicht verstanden, du Wichser?“, wurde ich ein zweites Mal nett angefaucht. Ich verdrehte genervt die Augen und übergab Simsala in die Freiheit, der so langsam wie möglich davonrannte, um nicht noch mehr die Beachtung aller auf sich zu ziehen. „Indra, geh mal nicht so ab, heute ist Silvester.“ „Für dich immer noch Indra-Maria, Dreckssack.“ Warum konnte man sie sich nicht in tonlos und normale Größe umtauschen lassen? Dann wäre sie echt ertragbar und sogar in die Liste „Mit der könnte man ausgehen, wenn man sonst nichts zu tun hat“ – Frauen aufgestiegen. Nicht dass ich jemals eine Chance hätte, aber man durfte noch träumen. Ich verkniff mir alle blöden Kommentare, die den Indra-Maria-Vulkan noch weiter ausbrechen ließen und ließ lieber zu, dass sie ihrem aus ihrer Sicht zukünftigen Schatz hinterher hechtete. Insgeheim wettete ich, dass er mich erträglicher fand als sie, es aber im Leben nicht zugab, weil er ansonsten etwas gesagt hätte. Und Simsala war wie ein toter Fisch, ein versiegeltes Grab, ein von Menschen adoptierter Stein. Seine Stimmbänder besaß er nur zur Zierde und wenn Lehrer ihn nötigten, sich zu Diskussionsthemen zu äußern. Nachdem sich unser unfreiwilliges Comedytrüppchen aufgelöst hatte, verloren auch die Umstehenden das Interesse an mir, widmeten sich wieder ihren Gesprächspartnern, den Plastiktellern voll mit Kuchenmatsch oder diskutierten, ob man sich nicht heimlich ins Wohnzimmer schleichen sollte und mit dem noch geschmückten Tannenbaum Knut spielen sollte. Mir war das Jacke wie Hose, solange sie nicht mich auch noch durchs Fenster warfen. Irgendein Mädchen, das ich gar nicht kannte, drängte sich mir etwas ungraziös auf, aber weil sie mir gleich zwei Dosen Energydrink in die Hand drückte, ließ ich sie schwafeln, sondierte den Raum nach einem Anzeichen von Kalinda und fragte mich, ob Indra-Maria den armen Simsala gerade in den Wahnsinn trieb. Ich hatte noch die ganze Nacht Zeit, um es herauszufinden. Eine knappe Stunde und drei Energydrinks später fiel mir mein Lieblingsopfer fast vor die Füße. Wortwörtlich. Während ich immer noch mit dem unbekannten Mädchen auf dem Fußboden hockte und immer bestätigend nickte, wenn sie mir etwas erzählte, hatte Simsala wohl etwas zu intensiv die Getränkeauswahl getestet und spielte nun Absturzkind. Und stolperte dabei fast über meine Turnschuhe. Der Zeitpunkt, um herauszufinden, ob Alkohol ihn noch mehr abstumpfte oder ihn im für ihn peinlichsten Fall noch gefügiger machte. Nicht, dass ich drauf Lust gehabt hätte, das hätte mich auf zu vielen Ebenen verstört, aber austesten war nicht verboten. „Simsala, nicht weglaufen“, befahl ich ihm, als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte und in Richtung Stereoanlage davontorkeln wollte. Erstaunlicherweise reagierte er sogar darauf. „Heißt du dann Abrakadabra?“, kam die superintelligente Frage von Mädchen ohne Namen. „Oder Hokuspokus?“ Ich entschied mich dagegen, darauf eine witzige Antwort zu suchen, sondern widmete mich wieder dem vom Alkohol verwirrten Simsala, allerdings erst, nachdem ich geprüft hatte, dass der weibliche Bodyguard gerade Sendepause hatte. Ich hoffe, dass sie irgendwo besoffen auf dem Klo hing und kotzte. Blumenbeet wäre auch noch schick gewesen. „Finger weg.“ Ich brauchte drei Sekunden, um zu realisieren, dass Indra-Maria sich nicht doch heimlich von der Lampe abseilte und mich wieder aufregen wollte, sondern dass Simsala da gesprochen hatte. Ich war so überrascht, dass er sich aktiv wehrte, während andere Leute in dem Zustand erst gar nicht damit angefangen hätten, dass ich seine Aufforderung komplett ignorierte. Und prompt einen Ellbogen in den Bauch gerammt bekam. Erstens tat das scheiße weh und zweitens kam mir das ganze Zeug, was ich in den letzten Stunden vernichtet hatte, wieder hoch. Verflucht seis du, Simsala! Der wirkte aber selbst gerade etwas überfordert von seinem plötzlichen Anflug von Heldenmut und Abwehrreaktionen und starrte mich an, als sei ich derjenige, der tätlich geworden war und nicht er. „Oh mein Gott, seid ihr verrückt!“, kreischte Mädchen ohne Namen, lenkte mal wieder alle Blicke auf uns – bald sollte ich anfangen, Strichliste zu führen – und ließ es sich nicht nehmen, mich ins Bad zu begleiten. Es passierte zum Glück kein Unglück, das der Gastgeber am Ende gezwungen war zu beseitigen, aber sowohl meine körperliche Verfassung als auch meine Stimmung befanden sich gerade auf dem Tiefpunkt. Simsala hatte sich mir widersetzt, was für ein Tiefpunkt meiner Karriere als größte Nervensäge des Jahrgangs! Und Mädchen ohne Namen tat genau das, was ich nicht mochte, nämlich wenn man wie die Glucke um einen herumtänzelte und alle paar Sekunden fragte, ob alles okay sei. Ich war zwei Köpfe größer und geschätzt fast doppelt so schwer wie sie, ich konnte gut auf mich allein aufpassen. Naja, zumindest fast. „Soll ich dir einen Kühlakku bringen?“ Sie wedelte mit ihren Armen so übertrieben theatralisch vor meinem Gesicht herum, als wäre sie dafür gebaut worden. „Oder lieber eine Wärmflasche? Ach übrigens, ich hab mich noch gar nicht vorgestellt, ich bin Vendy. Mit V. Frag nicht, meine Eltern und der Typ auf dem Standesamt waren nicht so schlau. Ich kann auch fragen, ob die dirn Tee machen können.“ „Kannst du vielleicht einfach mal kurz still sein?“ Das ‚Du nervst!‘ war so offensichtlich, dass ich es gar nicht auszusprechen brauchte. Dachte ich jedenfalls. „Hast du auch noch Kopfschmerzen? Ich hab noch irgendwo in meiner Jackentasche ne Ibu rumfliegen, du weißt ja, Frauenprobleme und so…“ Herr im Himmel, wirf Steine und ziel gut, das war ja vorhin schon hart an der Grenze gewesen, aber nun tendierte es zu seelischer Grausamkeit. Andere Kerle konnten angeben, was sie alles mit Mädchen auf einer fremden Toilette getrieben hatte; ich musste mich damit rühmen, dass Vendy mit V mir das Gehirn aussaugte, obwohl ich nur meine Ruhe haben wollte. Am besten packte ich alle meine Sachen zusammen und machte die Fliege; ja, das klang extremst gut und Simsala würde sich darüber wohl auch ziemlich freuen, so wie er mich in angetrunkenem Zustand mochte. Der Plan funktionierte solange, bis ich aus dem Bad raus war und in Richtung Treppe zum Obergeschoss zusteuerte, dann sah ich Kalinda. Und entschied mich, dass der Tag noch nicht scheiße genug verlaufen war, um das Handtuch zu werfen. Die Chance, dass wir vielleicht doch mal mehr als drei nette Worte wechselten, bevor ich es wieder vorbildlich verbockte, lockte mich doch mehr als mein unaufgeräumtes Zimmer. Vendy hatte eingesehen, mir nicht mehr zu offensichtlich auf die Pelle zu rücken und schlich mir in einigem Abstand hinterher, während ich ähnlich bei Kalinda verfuhr. Für Außenstehende mussten wir wie die Trottel wirken, die den Sinn einer Polonaise nicht ganz geblickt hatten oder dachten, sie wären die übelsten Geheimagenten. Um den ganzen noch die Krönung aufzusetzen, wollte sich Kalinda nicht zu einem der ganz coolen Typen gesellen, sondern zu einer bemitleidenswerten Person drei Schritte neben dem Fernseher. Ich hatte ja nichts gegen die Emanzipation der Frau, aber wenn das bedeutete, dass man nur noch auf die Sorte „Mein Freund ist gleichzeitig mein Adoptivkind und ohne mich heillos verloren“ Mann abfährt, dann fühlte ich mich reingelegt. Das schlimme an der Situation war, dass ich aus gesicherten Quellen wusste, dass der kleine Simsala auch in Kalinda vernarrt war; was kein Wunder war, immerhin vereinte sie alles, was man sich von jemandem in ihrem Alter wünschen konnte und war dabei noch so intelligent, bisher jedem Kerl einen Korb gegeben zu haben. Und wenn Simsala in seinem Zustand es schon schaffte, mich außer Gefecht zu setzen, während er sonst dachte, mich mit Nichtbeachten zu verjagen, dann wäre er wahrscheinlich sogar in der Lage, ein Gespräch mit ihr zu führen. Mit mehr als einem Wort! Ich lehnte pseudouninteressiert an der Stehlampe fünf Schritte entfernt und konnte mir die Szene dank der geschwätzigen Masse und der jaunernden Musikbeilage als Stummfilm ansehen. Es erinnerte ein wenig an den Moment, wenn jemand in einem Gruselfilm auf einen Geist trifft, nur dass Kalinda wesentlich lebendiger aussah und Simsala nicht kreischend davonrannte. Sein Gesichtsausdruck unterschied sich allerdings nur geringfügig. Das versprach, unterhaltsames Kino zu werden. Leider tauchte dann Indra-Maria mit einer Flasche Wasser auf, die sie Kalinda eiskalt ins Gesicht schüttete, bevor sie den völlig verwirrten Simsala hinter sich her aus dem Raum zog. Langsam kam ich mir wie in einer behämmerten Soap vor, in der jemand sich das Drehbuch in fünf Sekunden aus der Nase gezogen hatte. Leider war ich nicht der strahlende Protagonist, um den sich die Frauen prügelten, sondern nur der Quotentrottel, der von einer merkwürdigen Trulla verfolgt wurde. Und weil das Pech sich genau dieselbe Strategie überlegt hatte, kam ich erst auf die Idee, Kalinda vielleicht ein Handtuch zu bringen, als das schon irgendein komischer Vogel getan hatte. „Seid ihr immer so drauf? Das ist echt gruselig. Wollen wir Leute suchen, die mit uns Flaschendrehen spielen.“ So verzweifelt war ich wirklich nicht. Zu meiner Schande war ich dem Vorschlag im Endeffekt doch erlegen, hatte mit Vendy mit V rumgeknutscht, weil ich wirklich verdammtes Pech bei Glücksspielen hatte, eine Ein-Mann-Karaoke Einlage hingelegt, um das Niveau endgültig zu töten und natürlich nicht geschafft, Kalinda in ein Gespräch zu verwickeln. Die hatte die restlichen Zeit bei ihrem Handtuchretter in der Not gestanden, sich von ihm beschallen lassen und ihm zu meinem Entsetzen sogar ihre Handynummer verraten. Das Ende der Welt nahte, Kalinda war schwach geworden. Und immer noch nicht ganz trocken, weshalb sie das heldenhafte Handtuch als Turban um den Kopf trug. Warum sie nicht einfach den Gastgeber um einen Föhn bat, blieb ihr kleines Geheimnis. Aggrotrulla hatte man schließlich wirklich aus dem Haus entfernen müssen, da sie permanent Streit gesucht und gefunden hatte – irgendein weibliches Geschöpf hatte es gewagt, Simsala ohne Erfolg anzubaggern. Sie hatte es bisher tatsächlich geschafft, sich unbeliebter als ich zu machen, das war schon eine beachtliche Leistung, allerdings hatte mich der Ablauf dieser Silvesterparty so deprimiert, dass ich gar nicht in Hochform hatte auflaufen können. Ich hatte mich lieber peinlichen Partyspielen gewidmet und meine Seele ein wenig an die Wodkaflasche neben mir verkauft. Genützt hatte es nicht viel, ich bekam immer noch zu viel von allen Seiten mit. Schreckliche Musik, jemand, der draußen in den Geranienstrauch kübelte, Minikuchenschlacht vor dem Fernseher und Vendy die es tatsächlich schaffte, bei all dem Trubel auf der Couch einzuschlafen. Inzwischen war es kurz vor zwölf, alle, die noch halbwegs laufen konnten, versammelten sich in der Hofeinfahrt, um bloß nicht das neue Jahr und die Knallerei zu verpassen, und verglichen untereinander, wer die meisten und nervigsten Böller aus dem Supermarkt mitgebracht hatte. Ich beteiligte mich daran, meine Ausbeute lag bei grandiosen null Stück, weil mein Taschengeld für andere Sachen draufgegangen war, ich hatte vergessen, irgendwem welche abzuschnorren, und war gerade auch zu faul, mich nur ein Stückchen zu bewegen. Ich saß also auf dem Rasen, ignorierte, dass es wohl zwischendurch mal geregnet hatte, und ärgerte mich, dass ich nicht voll dicht war und alles voll lustig fand. Dabei sah die Welt gerade nicht so schlecht aus: Indra-Maria war abwesend ging mir nicht auf den Senkel, Vendy pennte munter und ging mir nicht auf den Senkel und Kalinda befand sich gar nicht so weit von mir entfernt und durfte mir ruhig so lange auf den Senkel gehen, wie sie wollte. Noch drei Minuten, ein Irrer begann tatsächlich schon die Sekunden runterzuzählen. Ich gähnte semimüde und beschloss, spätestens um zwei die Flatter zu machen, falls nicht vorher schon das Ende der Veranstaltung eingeleutet wurde. Irgendwo im Eck kotzte schon wieder oder immer noch der große Unbekannte; wie ungeil war das denn für den Start ins neue Jahr? Abschießen kein Ding, aber bitte ohne Nebenwirkungen oder nur so, dass es keiner mitbekam. Da verging einem ja echt die Lust, noch mal der Vodkaflasche hallo zu sagen. Zwei Minuten; eine aus der traditionsbewussten Ecke beschwerte sich über die Abwesenheit von Sekt. Ich hatte bis eben nicht einmal gemerkt, dass an alles gedacht worden war, nur nicht an diese Blubberbrause, die man eh nur aus Anstand runterkippte und von der ich immer Schluckauf bekam. Man sollte lieber jammern, dass dieses Jahr kein Schnee gefallen war oder nächstes Jahr immer noch genauso ätzende Klausuren geschrieben wurden wie davor. Wesentlich interessantere Themen. Etwas Schweres fiel mir fast in den Schoß und mit etwas Mühe identifizierte ich es als Simsala; ein ziemlich abgefuckter Simsala, der eindeutig schon bessere Stunden hinter sich hatte. Ob er für die hübsche Geräuschkulisse zuständig gewesen war, ließ sich nur erahnen, ich hoffte es nicht. Ich wollte nicht Neujahr mit Erbrochenem auf der Jacke beginnen. Allerdings rang ich mich schließlich doch noch dazu durch, sie Simsala umzuhängen, der aus einem unbekannten Grund seine verlegt hatte und nur im T-Shirt bei Minusgraden sich einen abzitterte, ohne es aktiv zu bemerken. Der Junge war wirklich voll durch, jetzt hätte er vielleicht doch eine Indra-Maria gebraucht, denn ich hatte eigentlich keinen Bock, Ersatzmütterchen zu spielen. Ich wollte Feuerwerk glotzen statt mir einen Schnupfen zu holen, aber das ließ sich nun nicht mehr vermeiden. Genau wie die Tatsache, dass Simsala, halb am Einpennen, seinen Kopf auf meiner Schulter platzierte und ungehemmt auf mein Oberteil sabberte. War das absichtliche Rache für mein unreifes Benehmen, wann immer ich ihm über den Weg lief, oder bekam der wirklich gar nichts mehr mit, sodass er sogar die Person, auf die er am allergischsten reagierte, als Kissen umfunktionierte? Eine Antwort blieb er mir schuldig und ich war selbst zu kaputt und antriebslos, um ihm die Sache mit dem Ellbogenstoß heimzuzahlen und ihn im nassen Gras liegen zu lassen. Stattdessen ließ ich ihn weiter dösen und stabilisierte seine ungemütliche Schlafposition, damit er nicht hinter mich fiel, da lagen Steine, die taten weh. Die ersten ungeduldigen Nachbarskinder zündeten zu früh ihr Feuerwerk und so begann das neue Jahr etwas früher als eigentlich vorgesehen; die Mehrheit zeigte sich verwirrt, mussten aber unbedingt mithalten und schon bald krachte es an allen Ecken und Enden, in den Gärten sammelten sich Pulverwölkchen und ich bewunderte Simsala, dass er nicht ein einziges Mal zusammenzuckte, wenn mit großem Getöse neben uns etwas in die Luft gesprengt wurde. Wenigstens waren die Farben hübsch. Ich beobachtete Kalinda, die munter Knallerbsen zwischen den Umstehenden verteilte, bis ihr Blick schließlich auf mich und Simsala fiel – schwer zu sagen, wen sie durch den Dunst zuerst erkannte – und zu uns herüber gelaufen kam. Obwohl ich eigentlich gelassen sein wollte, wurde ich nervös; sie war noch nie freiwillig auf mich zugekommen, hoffentlich lag das nicht an ihrer Vorliebe für diese weggetretene Erscheinung an meinem Hals. „Frohes Neues! Ich freu mich voll für euch, dass ihr endlich zusammen seid“, warf sie mir wirklich strahlend an den Kopf und wartete gar nicht auf meine Reaktion, bevor sie sich schon wieder entfernte, um den nächsten Grüße auszurichten. Sonst hätte sie vielleicht meinen verzweifelten Gesichtsausdruck mitbekommen; das war echt trauriger als jede Abfuhr, die ich bisher bekommen hatte. Simsala murmelte etwas von Pfannkuchen an der Wäscheleine und schlug seinen Kopf unsanft gegen meinen Unterkiefer. Was ein scheiß Start ins neue Jahr, das nächste Mal blieb ich daheim. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)