Von Dir und Mir von Phoenix_Michie (Fortsetzung zu 'Von Waschmitteln im Supermarkt') ================================================================================ Kapitel 8: Bonuskapitel #1: Von Augenklappen im kühlen Sapporo -------------------------------------------------------------- ================================ Bonuskapitel ================================ Vier Jahre später... "Dr. Matsumura, Sie übernehmen bitte die intraokulare Augenverletzung, die heute Nacht reingekommen ist." Er nahm die Krankenakte entgegen und überflog sie. Der Patient trug schon seit 3 Tagen einen großen Glassplitter im Auge, den man in Tokyo nicht hatte entfernen können. So hatte man den Patienten hierher nach Sapporo verlegt. In diesem Krankenhaus gab es einen berühmten Augenspezialisten, der die Verletzung operieren sollte. Und er selbst war ihm zugeteilt und würde die prä-operativen Vorbereitungen übernehmen. "Gut, danke", murmelte er und suchte mit der Akte das Zimmer des Patienten auf. Bevor er den Raum betrat, band er sich einen Mundschutz um und zog sich Schutzkleidung sowie Handschuhe über. Das Infektionsrisiko musste bei diesem Patienten gesenkt werden, da er den Fremdkörper schon vergleichsweise lange im Auge trug. Natürlich bekam er Breitbandantibiotika, jedoch waren auch zusätzliche Schutzmaßnahmen vonnöten. "Shimizu-san, guten Morgen", begrüßte er den Patienten. "Ich bin Dr. Matsumura und werde mich um die Vorbereitungen zu Ihrer Operation kümmern." -------------------- ZERO: "Dr. Matsumura...?", wiederholte ich leise und blinzelte den Arzt aus meinem gesunden Auge an. Ob das ein Zufall war? "Genau. Wie geht es Ihnen?" Wahrscheinlich war das nur ein Zufall. Wäre es Karyu, hätte dieser sich mir bestimmt schon offenbart. "Hm...ich sehe nichts auf meinem linken Auge, weil da seit 3 Tagen ein Glassplitter drin steckt. Das tut unheimlich weh. Super geht's mir da...", murmelte ich nur und beobachtete, wie der schwarzhaarige Arzt die Krankenakte beiseite legte und sich mein verletztes Auge anschaute, das notdürftig abgeklebt worden war. "Wie ist das passiert?", erkundigte er sich leise, während ich versuchte, nicht vor seinen Fingern zurück zu zucken. Ständig tatschten irgendwelche Leute daran herum, es tat doch schon genug weh! Es war wirklich unangenehm. "Ich war im Supermarkt einkaufen und plötzlich gab es eine Explosion. Ich stand beim Alkohol, wo sämtliche Flaschen zerplatzten. Und natürlich musste ich irgendwas abkriegen. Mein Auge hat dran geglaubt", erzählte ich ausdruckslos. Ich war eben vom Pech verfolgt. Es wunderte mich nicht wirklich, im Krankenhaus zu liegen. Und als Krönung war ich auch noch verlegt worden, weil man in Tokyo zu dumm war, um den Splitter ordentlich entfernen zu können. Matsumura summte nachdenklich. "Wissen Sie, was da explodiert ist?" "Nein, keine Ahnung. Darüber hat man mit mir im Krankenhaus bisher noch nicht gesprochen", erwiderte ich etwas trocken. Den Ärzten war das doch egal. Ich würde mich darüber informieren können, wenn ich endlich wieder sehen konnte und in Tokyo war. Der Arzt hielt inne und sah auf mich hinab. Ich konnte nur ein paar Strähnen seines schwarzen Haars sowieso seine schokoladigen, warmen Augen sehen. "Das ist schlimm. Was Ihnen passiert ist. Wir werden alles tun, um Ihr Auge wiederherzustellen.", sagte er sanft und schien zu lächeln. "Werden Sie bei der OP dabei sein?" "Ja, ich assistiere Dr. Hagiwara, dem Augenspezialisten", antwortete Matsumura und nahm sich das Krankenblatt, um etwas darauf zu notieren. "Haben Sie noch irgendwelche Fragen oder Bedenken? Die OP startet pünktlich um 11 Uhr.", informierte er mich. "Ok...", machte ich nur und schloss mein gesundes Auge. Ich konnte nichts Anderes mehr tun als mich auszuruhen. Die Hand des Arztes strich flüchtig über meine Beine, welche unter der Decke verborgen waren, dann verließ er das Zimmer. Ich hatte Angst. Es war erst die zweite OP meines Lebens, und die letzte lag Jahre zurück. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern. Und niemand war hier, der mich beruhigte. Mein Leben war nach wie vor im Arsch. Und jetzt auch noch mein Auge. Grummelnd atmete ich tief durch und versuchte, zu schlafen. ----------- "Hey, Doc..", murmelte ich benommen. Die Narkose war bereits eingeleitet worden. Neben mir stand Dr. Matsumura und blickte auf mich nieder. Ich versank in den gütigen Augen. "Wenn ich sterben sollte, mach ich mir nichts draus. Dagegen hätte ich nichts, also bleiben Sie...auch...ganz entspannt..." Nicht, dass er sich Vorwürfe machte, oder der Augenspezialist. Mir war das einerlei, dann hätte ich es mir. Die Augen des Schwarzhaarigen erwiderten meinen Blick milde. "Sie werden nicht sterben, da bin ich mir sicher." Durfte ein Arzt ein solches Versprechen vor einer OP abgeben? Ich konnte ihn nicht mehr fragen, da ich eingeschlafen war. =========================================== "Hallo, Sie sind endlich aufgewacht." Dr. Hagiwara stand am Fußende meines Bettes - und neben ihm Karyu. Mittlerweile trugen sie keine Schutzkleidung mehr. Die OP musste gut verlaufen sein - oder sie hatten mir gleich das ganze Auge entfernt... Aber beide sahen mich lächelnd an. "Wie fühlen Sie sich?" Ich warf einen Blick auf Karyu in seinem tollen Arztkittel. Ich fasste es ja nicht. Hatte er mich zum Narren gehalten! Mir war elend zumute. Ich unterdrückte ein Zähneknirschen und sah wieder Dr. Hagiwara an. "Gut.." Er nickte zufrieden. "Die OP ist ohne Komplikationen verlaufen. Wir konnten den Glassplitter vollständig entfernen und den Glaskörper wieder verschließen. Ihr Auge braucht noch ein paar Tage völlige Ruhe, daher müssen Sie es noch etwa 5 Tage geschlossen halten - dabei hilft Ihnen die Augenkompresse. Wir sind zuversichtlich dass Sie bis zu 80% Ihrer ursprünglichen Sehkraft zurück erhalten werden." "Ich kann also wieder sehen?", hakte ich leise nach, woraufhin Dr. Hagiwara nickte. "Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, ja. Nur inwiefern ihre Sehkraft wiederhergestellt sein wird, das können wir noch nicht sagen. Wir müssen abwarten, bis Ihr Auge abheilt, und dann müssen Sie uns sagen, wie viel Sie sehen können." Ich nickte nur langsam. "Gut, das wäre alles. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Dr. Matsumura. Er wird Ihnen während der Post-OP-Phase zur Seite stehen. Und wir beide sehen uns in 5 Tagen wieder." "Danke..", murmelte ich und sah dem Augenspezialisten hinterher, als er das Zimmer verließ. Karyu musste natürlich hier bei mir bleiben. Er schloss die Tür und setzte sich zu mir an den Bettrand. "Es ist lange her", sagte er, während er mich ansah. Er schien nicht sauer zu sein, er grinste aber auch nicht überschwänglich. Ich hatte keine Ahnung, was er dachte. Vielleicht war ich ihm größtenteils egal... "Du bist mir nicht abgeschmiert.", stellte er fest. "Ja, das merke ich", brummte ich. "Freust du dich nicht, dass dein Auge gerettet ist?", wollte er wissen, woraufhin ich seufzte. "Doch, natürlich. Ich bin heilfroh." Ich sah ihn nicht an. "Aber du hättest mir ja gleich sagen können, dass du es bist. Stattdessen führst du dich wie mein Arzt auf.." Er grinste nun leicht. "Tja, das bin ich ja zufällig auch." Sein Blick wurde wieder etwas ernster. "Als ich heute Morgen in dein Zimmer kam und dir meinen Namen gesagt habe, da...hast du nicht wirklich drauf reagiert. Ich dachte, du hast mich schon längst vergessen und..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht." Ich hielt inne und hob den Blick. "Hat dich der Gedanke gestört?" "Ja, natürlich", nickte er und schaute mich wieder an, schien leicht überrascht zu sein. "Wir waren doch so gute Freunde, oder nicht? Auch wenn 4 Jahre vergangen sind, hab ich dich nicht vergessen." Er schwieg für einen Moment. "Was machst du denn jetzt so?" "Ich arbeite in einem Verlag", antwortete ich schulterzuckend. "Englische Literatur?" Er hatte sich das wohl gemerkt. Ich nickte. "Ja, hauptsächlich übersetze ich Bücher vom Englischen ins Japanische oder umgekehrt..." Er pfiff anerkennend. "Und du bist jetzt also Arzt?" "Ja, Assistenzarzt im 2. Jahr. Es war eine harte Zeit, bis ich soweit gekommen bin. Ich hatte unglaublich viel um die Ohren. Normalerweise macht man ja erst sein Medizinstudium und kommt dann in die klinische Phase. Ich bekam durch meine Ausbildung eine Sonderstellung, so ging alles etwas schneller. Aber es war nicht weniger anstrengend", erzählte er. Ich nickte nur. "Wir können gern später weiterreden. Ich hab noch ein paar Patienten, nach denen ich sehen muss. Wenn etwas ist, ruf die Schwestern. Sie werden mich anpiepen, wenn du mich brauchst. Schlaf gut." Er lächelte mich an und verließ das Zimmer. Ich schloss die Augen. Das operierte schmerzte. Da würde ich bestimmt nicht schlafen können... Ausgerechnet bei Karyu war ich gelandet... Ich hatte ja schon Befürchtungen gehabt, als es hieß, ich solle nach Sapporo verlegt werden. Ich hatte fast schon vermutet, ihm hier zu begegnen - allerdings als Krankenpfleger, nicht als mein Arzt. Und dann hatte er mir noch nicht mal gleich die Wahrheit gesagt, sondern so getan, als kenne er mich nicht. Irgendwie war ich sauer auf ihn. Ich konnte nur nicht wirklich erklären, warum. Ich wollte nicht in diese Augen sehen, die mich mitleidig betrachteten. Und dieses züchtige schwarze Haar stand ihm auch nicht! -------------------- Ich brauchte Karyu nicht anpiepen lassen. In der Nacht bekam die Schwester es selbst hin, mir etwas mehr Schmerzmittel zu verabreichen, sodass mein Auge Ruhe gab und ich durchschlafen konnte. Als Karyu am Morgen zur Visite vorbei kam, tat ich, als würde ich schlafen. Er schien eh nur das Krankenblatt zu studieren und ging nach 2,3 Minuten wieder. Ich hatte nicht mit ihm reden wollen. Im Krankenbett liegend, hatte ich viel Zeit um nachzudenken. Lesen war mit nur einem Auge zu anstrengend, das hielt ich keine 5 Minuten durch. Für umherlaufen war es noch zu früh, das hatte die Schwester mir deutlich gemacht. Erstmal müsste sich mein Körper von der OP erholen. Einen Fernseher gab es nicht im Zimmer - es war schon Luxus genug, dass ich ein Einzelzimmer und somit meine Ruhe hatte. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass ich doch einen anderen Assistenzarzt verlangen konnte. In einer Woche war ich bestimmt aus dem Krankenhaus raus und es war wohl besser, Karyu nicht mehr zu begegnen. Wenn ich dann wieder in Tokyo war, war es einfacher ihn zu vergessen. Vielleicht könnte ich das Ganze sowieso unter Halluzinationen verbuchen - schließlich stand ich seit der Explosion unter Schmerzmitteln! Am frühen Abend sah Karyu in seinem weißen Kittel bei mir vorbei. Seine Haare waren etwas länger als sie noch in Tokyo gewesen waren, und er hatte das Deckhaar zu einem Zopf zusammen gebunden. Die größte Veränderung war aber wohl, dass sie nun eben schwarz waren. Er trug eine dunkel umrandete Brille, die er zurecht rückte. "Ah, du bist mal wach", begrüßte er mich sanft lächelnd. "Na ja, hier kann ich eben nicht besonders viel machen, außer Schlafen", sagte ich in leicht maulendem Ton. "Das wird besser. Morgen kannst du dich im Krankenhaus gern einmal umschauen. Du kannst raus in den Park gehen, aber du solltest dir etwas Warmes anziehen. Es ist kühl." Ich brummte. "Ist es irgendwann auch mal warm?" Karyu musste schmunzeln. "Im Sommer, ja, da ist es mal für 2 Monate warm. Aber sonst es immer kühl." "Zum Glück lebe ich hier nicht. Ich glaube der Norden ist nichts für mich.", erwiderte ich, während er etwas in die Krankenakte schrieb und dann zu mir ans Kopfende kam. "Ich muss die Augenkompresse wechseln. Halt das Auge bitte möglichst geschlossen und beweg den Kopf nicht. Es dauert nicht lange und du dürftest kaum etwas spüren." Ich nickte nur, während er sich Handschuhe überzog und begann, die Kompresse abzulösen. "Was machen die Schmerzen?" "Die Schmerzmittel helfen ganz gut. Das Auge pocht ab und an nur dumpf..." "Ok, das ist normal. Bald dürfte es auch ein wenig zu jucken anfangen, aber du kannst dir vielleicht denken, dass du dein Auge nicht anfassen und darüber reiben darfst. Sonst reißt nur etwas auf." Ich nickte erneut und ließ Karyu den Verband wechseln. Tatsächlich brauchte er keine 5 Minuten. "In Ordnung, ich bin fertig." Er schmiss das übrige Material samt seiner Handschuhe in den Mülleimer, bevor er sich zu mir ans Bett setzte. "Bist du eigentlich immer noch sauer auf mich? Wegen damals? Weil ich einfach gegangen bin?" "Nein", antwortete ich nur knapp, woraufhin er nachdenklich summte und mich weiter beobachtete, bis es mir zu doof wurde. "Ich bin sauer, weil du mein Arzt bist." "Ja, hm...wolltest du deshalb jemand Anderen?" Ich runzelte die Stirn. Verdammt, hatte die Schwester gepetzt? "Ja, wollte ich. Hat dir das die Blonde gezwitschert?", wollte ich wissen, woraufhin er seufzend nickte. "Ja, die Schwester hat es mir erzählt. Sie wollte wissen, ob ich etwas Falsches zu dir gesagt hätte, und als ich nachfragte, hat sie mir erzählt, dass du um einen anderen Assistenzarzt gebeten hast. Leider sind wir hier aber zur Zeit unterbesetzt." "Ja, das hat sie mir auch mitgeteilt. Ich dachte, sie behält das für sich.", brummte ich. "Die Schwestern sind gesprächig", erwiderte Karyu nur und sah mich traurig an, weswegen ich am liebsten frustriert geknurrt hätte. "Hör auf mich so anzugucken", murrte ich stattdessen. "Wie denn?" "So mitleidig." "Ich bemitleide dich nicht.", erwiderte er. "Ich finde es schade, dass du wieder versuchst, mich zu meiden, anstatt mit mir zu reden. Auch wenn die Umstände unglücklich sind, freue ich mich, dich zu sehen. Ich würde mich gern mit dir unterhalten. Was dir so alles passiert ist. Und ich möchte dir natürlich auch erzählen, wie es mir jetzt hier so geht. Du hast mir gefehlt." Er seufzte. "Du hast dich nie bei mir gemeldet..." Ich hob leicht eine Schulter. "So ist das eben. Du wohnst so weit weg, das wäre ja wie eine Fernbeziehung, und für sowas bin ich nicht gemacht." "Mit deinem Schulfreund gehst du doch auch einmal im Jahr in Urlaub. Sowas muss man doch auch immer planen, daher wirst du sicher immer einigen Kontakt zu ihm haben. Und der wohnt doch auch in einer anderen Präfektur, aber du hast es geschafft, mit ihm in Verbindung zu bleiben. Also von wegen, Fernbeziehungen sind nichts für dich." Ich starrte auf das Fußende des Bettes. "Das war was anderes.", erwiderte ich. "Außerdem ist er mittlerweile im Ausland. Ich hab nicht mehr viel von ihm gehört in den letzten 3 Jahren. Ab und an schickt er Fotos." Alle hatten sie mich verlassen. Es war ein Wunder, dass ich noch nicht depressiv in der Geschlossenen saß. Karyu schwieg für einen Moment. "Tut mir leid, das zu hören." Er sah auf. "Was ist mit deiner Katze?", wechselte er das Thema. "Ich hab den Hausmeister angerufen, er meinte einer meiner Nachbarn hätte auch eine Katze und könne sich solange ich im Krankenhaus bin, auch um meine kümmern." "Hat sie mittlerweile einen Namen?" "Ja. Sie heißt Amaya." Karyu lächelte milde. "Nachtregen. Ein schöner Name. So verträumt wie du." Ich hob zweifelnd die Augenbrauen. "Ich und verträumt?" "Ja, das warst du auf jeden Fall früher. Du hast jedenfalls oft so dreingeschaut." "Hmm...ich glaube, das ist noch schlimmer geworden." "So? Muss dich jemand aus deiner Traumwelt holen?" Ich seufzte. "Das hat schon der Glassplitter geschafft." Scheiß Ding. Karyu tätschelte mir die Schulter und wir schwiegen für viele, lange Sekunden. "Möchtest du vielleicht für 2,3 Tage zu mir kommen? Wenn wir die Kompresse abnehmen und mit deinem Auge soweit alles gut ist, kannst du entlassen werden. Dann ruhst du dich noch ein bisschen bei mir aus. wir können über dies und das reden. Und die Nachsorge kannst du in Tokyo machen lassen." Er nagte an seiner Unterlippe. "Du kannst überhaupt hierher ziehen.", meinte er plötzlich. "Wir haben hier einige Verlage, die nach Mitarbeitern suchen. Meine Eltern sind Anwälte und haben zwei der größten Verlage hier auf Hokkaido als Klienten. Also..daher weiß ich das. Du würdest hier bestimmt was finden. Die Wohnungen hier sind recht günstig. Du findest bestimmt eine in meiner Nähe..." Etwas sprachlos betrachtete ich ihn. "Wow, mach mal bitte langsam. Wie kommst du denn nun auf sowas? Hierher ziehen? Wir sehen uns nach vier Jahren zufällig wieder, und du willst, dass ich hierher ziehe? Also...nein. Das ist verrückt." Er seufzte leise. "Ok, vielleicht hast du Recht. Aber...würdest du denn für zwei, drei Tage bei mir unterkommen wollen?" Unschlüssig sah ich wieder zum Fußende des Bettes. "Ich weiß nicht... Ich denke nicht." Wenn ich ihn ansah, erkannte ich ihn kaum wieder. Vier Jahre waren vergangen... Vier lange Jahre. Ich hatte ihn doch fast schon vergessen. "Überleg dir das doch noch mal. In vier Tagen entfernen wir die Kompresse. Danach fängt mein freies Wochenende an und wir... Ich hätte Zeit für dich. Also..denk drüber nach. Deine Katze ist doch versorgt. Und meine zwei Mietzen freuen sich sicher, dich wiederzusehen." Er schenkte mir ein sanftes Lächeln und stand auf. Ich erwiderte nichts und beobachtete ihn, wie er zur Tür ging. "Deine Haare...warum sind sie nicht mehr blond?" Ich färbte meine nach wie vor blond, aber er hatte damit offensichtlich aufgehört. Karyu blieb stehen und wandte sich zu mir um. "Ich bin Arzt. Assistenzarzt. Mir die Haare blond zu färben, wirkt unprofessionell. Das kann ich vielleicht wieder machen, wenn ich ein Star in der Medizin geworden bin. Aber bis dahin...müssen sie brav schwarz sein.", erklärte er und zuckte schief lächelnd mit den Schultern. "Gefällt's dir nicht?" "Nicht wirklich", antwortete ich wahrheitsgemäß mit leiser Stimme. "Mir auch nicht." Er winkte mir und verließ das Zimmer. ================================== "Eine Augenklappe, ernsthaft?" Wieder betrachtete ich mich im Spiegel. Ich hatte eine klassische Augenklappe zum Schutz erhalten und sah nun damit aus wie ein Pirat. Allerdings war ich aus dem Alter raus, mich über sowas zu freuen. Karyu sah mich schief lächelnd an. "Wenn es dir nicht gefällt, kann ich dir gern eine einfache Kompresse anlegen. Aber ich glaube nicht, dass das besser aussieht." Ich neigte den Kopf und blinzelte ihn mit meinem gesunden Auge an. "Das könntest du hier tun?" Er nickte. "Ja, ich hab hier zu Hause auch etwas zur Wundversorgung. Da wäre die Augenkompresse locker mit drin." Ich seufzte tief. "Ach, ich vergess das lieber wieder. Es sieht beides schlimm aus. Ich bin hässlich und entstellt." Nun musste er lachen. "Du bist nicht hässlich. Und entstellt warst du höchstens, als der Splitter noch in deinem Auge steckte. Mach dir keine Gedanken. Du siehst gut aus. Sehr sogar." Er betrachtete mich aus warmen Augen. "Ich wünschte, ich könnte dasselbe über dich sagen." "Aua..." Er wandte sich schmunzelnd von mir ab und ging in die Küche. "Das war gemein." "So bin ich." Letztendlich hatte ich mich doch dazu entschieden, für 2 Tage zu ihm zu gehen. Heute war ich entlassen worden und hatte bis abends gewartet, als Karyu Feierabend hatte. In einem schicken schwarzen Toyota waren wir zu ihm nach Hause gefahren. Die Wohnung war größer als seine vorherige in Tokyo. Sie war am Tage sehr hell, hatte er mir erzählt. Die Katzen konnten an schönen Tagen Sonnenbäder nehmen und er hatte immer optimales Licht für etwaigen Papierkram und für Recherchen. "Ich würde dir ja ein Bier oder sowas anbieten, aber da du noch Tabletten nehmen musst...", murmelte er und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich winkte ab. "Schon in Ordnung. Ich trink nicht mehr besonders viel. Aber du kannst dir natürlich gern dein Feierabend-Bier gönnen. Aber nur eines!", sagte ich schmunzelnd, woraufhin er nickte. "Gut, danke. Zu gütig." Er öffnete die Kühlschrank und seufzte dann tief. "Oh...ich habe nicht besonders viel zu essen. Ich fürchte, ich werde noch schnell etwas kaufen müssen." Er sah zu mir auf. "Wäre es in Ordnung, wenn ich um die Ecke zum Konbini gehe? Lust auf groß einkaufen im Supermarkt habe ich gerade nicht." "Karyu, es ist deine Wohnung, deine Stadt....mach was du willst." Er lächelte schief. "Aber du bist mein Gast. Ich will dich nicht mit schlechten Manieren vergraulen." "Wirst du schon nicht." Solange er nicht wieder betrunken über mich herfiel, war alles im grünen Bereich. "Was möchtest du haben?" "Bring mir einfach irgendein Reisbällchen mit und einen Nudelsalat. Das reicht mir für heute Abend." "In Ordnung. Ich hab noch Wasser und Cola da, bedien dich. Ich bin in 10 Minuten zurück", versprach er mir. Ich ging nicht mit, da ich allein von diesem Tag schon geschafft war. Auch wenn nicht viel passiert war. Ich hatte lediglich Entlassungspapiere unterschreiben müssen, dann hatte ich mich umgezogen, meine Tasche gepackt und auf karyu gewartet. Anschließend waren wir zu ihm nach Hause gefahren. Und nun saß ich hier. Vermutlich steckte mir die OP noch etwas in den Knochen. Ich machte es mir auf der Ledercouch bequem und kuschelte mich in meinen Pullover ein. Jetzt hätte ich mir eine Tagesdecke gewünscht, wie ich sie zu Hause hatte. Hier in Sapporo war es kalt, aber von heizen schien man weniger zu halten. Ich schloss die Augen und hoffte, dass die Katzen ruhig bleiben würden. Ich hatte nicht wirklich die Kraft, um auf sie aufzupassen und hinter ihnen her zu jagen, falls sie spielen wollten. "Zero?" "Hmn...ich bin da!" Mit einem Ruck saß ich aufrecht und blinzelte. Karyu stand lächelnd neben mir. "Du bist eingeschlafen.." "Hab nur ein bisschen gedöst..." Ich rieb mir über das gesunde Auge und unterdrückte ein Gähnen. "Hast du was zu essen bekommen?" Er nickte und stellte die Tüte aus dem Konbini auf den Couchtisch. "Ein Thunfisch-Reisbällchen, Nudelsalat und einen Pudding für dich." "Pudding?", hakte ich schmunzelnd nach. "Den hab ich doch aber gar nicht bestellt." "Ein Extra, nur für dich.", erwiderte er grinsend und packte die Sachen aus. Ich blinzelte mir den Schlaf aus den Augen und beugte mich vor. "Wie viel bekommst du von mir?" Er wandte sich zu mir um und hob eine Augenbraue. "Zero, du bist krank. Du bist mein Gast. Ich nehme von dir bestimmt kein Geld", erwiderte er und lächelte leicht. Ich seufzte. "Was anderes als Geld? Als Entschädigung?", fragte ich. "Ja, halt einfach die Klappe und iss etwas." Er grinste mich an und setzte sich neben mich. Ausnahmsweise erwiderte ich nichts, sondern schmunzelte nur und tat, was er mir befohlen hatte: ich begann zu essen. Wenn er das schon so liebevoll gekauft hatte. --- Fortsetzung folgt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)