In einer anderen Welt von Elvea (Eine gemeinsame Zukunft) ================================================================================ Kapitel 1: Immerwährender Kampf ------------------------------- Soweit sein Auge die Landschaft zu überblicken mochte, erstreckte sich das Gebiet, das nun ganz allein auf seine Gnade angewiesen war. Allen hatte er bewiesen, dass er stärker war als der Tod und dass es nichts gab, was ihn vom Antlitz dieser Erde zu tilgen vermochte, noch nicht einmal die Grenzen seines eigenen Daseins. Überall krochen Menschen wie Insekten am Boden oder rührten sich überhaupt nicht mehr in der Lache ihres eigenen Blutes. Opfer, die für ein höheres Ziel erbracht werden mussten. Madara Uchiha verschränkte die Arme vor seinem schweren Brustharnisch und genoss das Gefühl, nur noch wenige Schritte von der Erfüllung entfernt zu sein. Er spürte das Blut im Rhythmus der Schreie durch seine Adern pulsieren. Es war die Hintergrundmusik zu seinem Sieg. Knapp hundert Meter in nordöstlicher Richtung hatte er seinen größten Triumph errungen, obwohl es aus der Sicht anderer vermutlich nicht einmal der Rede wert gewesen wäre. Schließlich war es nur eine einzige Person. Madara knirschte mit den Zähnen. Für manche mochte das nicht viel ausmachen, aber er wusste, was für eine Bedeutung dieser Mensch hatte. Chakrastäbe markierten den Ort, an dem er endlich denjenigen in die Knie gezwungen hatte, der in seinem früheren Leben zu der Mauer geworden war, gegen die er seit jeher anrennen musste. Hashirama Senju lag dort im Staub, den der Kampf aufgewirbelt hatte, auf dem dreckigen Boden. Dort, wo er früher schon hingehört hätte. Es war beinahe schon zu leicht gewesen und die Genugtuung, die er sich schon als Kind in seinen Träumen ausgemalt hatte, erreichte nicht ganz das gewünschte Ausmaß. Madara wusste, was noch zwischen ihnen stand, egal wie sehr er seinem Körper auch Schaden zufügen würde. So, wie Hashirama nun den Kopf hob, ihm sein zerkratztes Gesicht entgegenreckte und aus seinen verhassten dunklen Augen beinahe verständnisvoll anstarrte, wusste sein ärgster Rivale auch, dass es etwas gab, das Madara ihm nicht nehmen konnte. Er tauchte tief in den fesselnden Blick des Senju ein, als hätte ihn dieser mit einem Genjutsu belegt. Der Uchiha wusste jedoch, dass es seine eigenen Erinnerungen waren, die nun die unterworfene Welt verschwimmen und andere Formen annehmen ließ. Zu Beginn war es nicht mehr als ein kindisches Wetteifern um ihre Aufmerksamkeit, entsprungen aus der hitzigen Phase ihrer Jugend. Das Mädchen war in die Gemeinschaft der Senju aufgenommen worden, obwohl es der Familie der Uzumaki aus dem fernen Reich Uzushiogakure entstammte. Möglicherweise hing dieser Schritt mit der entfernten Verwandtschaft zusammen, aber hinter vorgehaltener Hand wurde viel darüber gemunkelt, dass sie als Braut für einen der Ranghöheren bestimmt war, sobald sie das heiratsfähige Alter erreichte. Schließlich galt das Blut der Uzumaki als besonders edel. Madara und Hashirama, zugleich beste Freunde und heißblütige Rivalen, kümmerten sich nicht um die Gründe, weshalb dieses Mädchen in ihr Umfeld gelangt war. Es interessierte sie bloß, wer von ihnen derjenige war, den sie am meisten schätzte – auch wenn Madara das nicht offen zugeben wollte. Er kämpfte darum im Verborgenen, doch gerade die Dunkelheit nährte seine Gefühle umso mehr. Mito Uzumaki schenkte der immer wieder aufkeimenden Spannung zwischen den beiden keine weitere Beachtung. Mit ihren zwölf Jahren hielt sie sich für viel zu jung, um sich über die Liebe und Partnerschaft Gedanken zu machen, weshalb sie die beiden nie auf diese Weise betrachtete. Sie hatte Spaß, mit ihnen am Bach zu spielen, kleinere Tiere zu jagen und die Erwachsenen zu ärgern, aber alle offensichtlichen Versuche, sie zu erobern, blockte sie ab. Obwohl es ihr an Lebenserfahrung mangelte, merkte Mito, in welchem Verhältnis die beiden Clans zueinander standen, auch wenn in Gegenwart der Kinder explizite Äußerungen dahingehend vermieden wurden. Als die drei Sprösslinge älter wurden, wuchs die Spannung zwischen Hashirama und Madara zu einem unübersehbaren Konflikt heran, als es um den Schutz ihrer jüngeren Geschwister ging, die zum Sinnbild der Schwierigkeiten zwischen den Senju und den Uchiha wurden. Dass auch der Widerwillen, zugunsten des anderen die langhaarige Uzumaki aufzugeben, darin mitspielte, wusste Mito nicht. Zu dieser Zeit mied Mito den Kontakt zu beiden, um nicht den Anschein zu erwecken, Partei für irgendeinen zu ergreifen. Sie trauerte ihrer unbeschwerten Kindheitsfreundschaft hinterher, doch auch ihr war bewusst, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis diese endgültig in ihre Einzelteile zersprungen wäre. Zu sehr beherrschte das Verhältnis ihrer Familien ihr ganzes Leben. So verfolgte Mito die Wiedervereinigung der Clans und die Gründung des Dorfes Konohagakure aus der Distanz. Es wäre ihr komisch vorgekommen, sie in Kriegszeiten zu meiden und im Frieden wieder angekrochen zu kommen, deshalb fiel es ihr schwer, wieder Kontakt zu ihnen herzustellen. Mittlerweile fast volljährig, konnte sie nicht umhin zuzugeben, dass sich unbekannte Gefühle immer stärker in ihr zu Wort melden, auch wenn sie diese noch nicht so recht deuten konnte. Madara und Hashirama, mit denen sie früher so viel verbunden hatte, waren zu den Anführern ihrer Clans ernannt worden, und sie empfand Stolz für alle beide. Von dem Balkon ihrer spartanisch eingerichteten Wohnung aus, eine der ersten, die gebaut worden waren, verfolgte sie die Festlichkeiten anlässlich der Dorfgründung. Wenn sie ehrlich war, hielt sie jedoch die offensichtliche Harmonie zwischen ihren beiden früheren Freunden für viel spannender. Hin und wieder glaubte sie zu spüren, wie einer von ihnen zu ihr hochspähte, doch sie verließ ihren Aussichtspunkt nicht. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte, wenn sie ihnen gegenüberstand. Vier Jahre waren seit dem Bruch ihrer Freundschaft vergangen, doch Mito hatte seitdem noch sehr viel Zeit damit verbracht, sich mögliche Situationen auszumalen, wenn der Weltverlauf etwas anders ausgesehen hätte. Madara und Hashirama strahlten etwas aus, das unweigerlich anzog. Mit Argusaugen beobachtete sie die Schar Frauen, die mit den Wimpern klimperten und die Aufmerksamkeit des Senju zu erregen versuchten, während er gerade in ein Gespräch mit jemand anderem vertieft war. Ihre Absicht war offenkundig und Mito schüttelte sich bei dem Gedanken, dass sie ihre Bewunderung vermutlich ähnlich zum Ausdruck gebracht hätte, würde sie das Ganze nicht aus sicherer Entfernung verfolgen. Sie hatte kein Anrecht mehr auf ihre beiden früheren Freunde, schließlich hatte sie ihnen in ihrer schwierigsten Zeit die kalte Schulter gezeigt. Jemanden, der sich ihnen näherte, nur weil sie mittlerweile eine höhere Stellung innehatten, konnte man nur verachten. Mit einem Seufzen ließ Mito von dem Geländer ab und schob die Balkontür auf. Ihre roten Haare, die sie auch an diesem Tag wieder hochgesteckt trug, klebten im Nacken, weil die pralle Sonne darauf geschienen hatte. Sie wollte ein Bad nehmen und sich dann zu einem Mittagsschlaf hinlegen, doch das Schicksal schien andere Pläne für sie parat zu haben. Er war im Vergleich zu früher geradezu in die Höhe geschossen. Sein schwarzes, seidig glänzendes Haar war noch länger geworden, stand aber immer noch strubbelig von seinem Kopf ab, wie Mito es in Erinnerung hatte. Eine leichte Rüstung bedeckte seinen muskulösen Körper, als müsste er jederzeit zu einem Kampf bereit sein. Das Jungenhafte war aus seinem Gesicht verschwunden und hatte kantigen, maskulinen Zügen Platz gemacht. Doch das Ungewöhnlichste an ihm waren seine leuchtend roten Augen, die einen geradezu hypnotisierten. Die Mangekyou-Sharingan. Mito stockte der Atem. „Madara…“, sagte sie und suchte Halt am Türrahmen. „Was machst du denn hier?“ Seine Rüstung klapperte leise, als er wortlos auf sie zuschritt. Er ließ ihr gar keine Gelegenheit, Einwände zu erheben, sondern zog in einer fließenden Bewegung die Klammer aus ihrem Haar, die es an seinem Platz hielt. Als hätte er nur darauf gewartet, befreit zu werden, ergoss sich ihr Schopf über ihren Rücken, während sich ihre Gesichtsfarbe farblich daran anpasste. Es ruinierte ihr Bemühen, sich selbst ein strenges Äußeres zu verleihen. „Wie bist du hier hereingekommen?“, fragte sie überflüssigerweise, denn Madara machte immer noch keine Anstalten zu antworten. Er war noch nie jemand gewesen, der viele Worte verlor, aber nun hatte seine Schweigsamkeit anscheinend eine neue Ebene erreicht. Stattdessen vergrub er seine Nase in ihrem Haar und legte seine Hände an die Stellen, wo ihr Hals in die Schultern überging. Empört über seine Dreistigkeit packte sie seine Hände und schob ihn weg. „Bist du verrückt geworden? Dir steigt anscheinend der Frieden zu Kopf!“ Madara biss sich auf die Lippen. Er hatte offensichtlich mit einem anderen Verhalten gerechnet. „Ich habe so lange darauf gewartet und jetzt stellst ausgerechnet du mir in den Weg?“, erkundigte er sich ungläubig und rieb sich den Nacken. Mito schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und mit ihm gleichzeitig den unpassenden Gedanken, wie sehr sie sich von ihrem einstigen Freund angezogen fühlte, so wie er dort stand und sie intensiv musterte. „Wir haben ewig nicht miteinander gesprochen und plötzlich näherst du dich mich auf diese unsittliche Art und Weise?“, fragte sie spitz und drehte ihm den Rücken zu, um sich nicht von seinem Anblick ablenken zu lassen. Sie vergrub ihre Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes, um in seiner Gegenwart möglichst wenig Haut zu entblößen. „Als ob du mich nicht früher schon aus der Ferne mit deinen Blicken ausgezogen hättest, als du in die Pubertät gekommen bist“, meinte er spöttisch und schlich sich so leise an sie heran, wie er bereits hereingekommen war. „Das ist lange her“, schnappte Mito sofort und zog eine beleidigte Schnute angesichts dieser Unterstellungen. Ihr fiel nicht auf, wie sie ihm damit noch zusätzliche Waffen in die Hand gab. „Das ändert nichts daran, wie dein Körper jetzt auf mich reagiert“, behauptete Madara plötzlich dicht an ihrem Ohr und umschlang ihren Oberkörper. Er legte eine seiner Hände, die im Vergleich zu ihren riesig wirkten, auf die Stelle, wo man ihr Herz unter der Haut wie wild schlagen spürte. „Hör auf“, verlangte Mito mit aller Souveränität, die sie aufbringen konnte. „Wir haben so lange kein einziges Wort miteinander gesprochen und jetzt kommst du her, um mich einfach bloß anzufassen? Du hast es wohl nötig!“ Er hörte nicht auf, mit seinen Lippen unter ihren Ohrläppchen entlangzufahren und die Härchen an ihren Armen stellten sich auf, auch, wenn sie es nicht wahrhaben wollte. „Ist doch egal, oder?“, murmelte er. „Was zählt ist, dass ich jetzt hier bin“. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut und unternahm einen halbherzigen Versuch, ihn erneut wegzustoßen. „Wer sagt denn, dass ich das will?“, fragte sie bissig und lehnte sich von ihm weg, damit er nicht an ihr Gesicht herankam. „Stell dich doch nicht so an“, reagierte Madara genervt und deutete auf den Punkt, wo er ihr Herz schlagen gespürt hatte. „Das sagt mehr als jegliche Beteuerungen, ich solle aufhören. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die erst freundlich um Erlaubnis bitten.“ Mit diesen Worten stürzte er sich ein weiteres Mal auf sie, diesmal ungeduldiger als zuvor. Er stieß sich die Hüfte an einem Tisch, was aber zu seinem Glück von seinem Körperschutz abgefedert wurde. Grob griff er in ihren Nacken und zwang sie mit der anderen Hand, ihr Kinn zu heben. Beinahe gewalttätig küsste er sie, doch aus irgendeinem Grund brachte gerade das Mito dazu, tatsächlich ihre Fragen und Bedenken beiseite zu schieben und sich ihm hinzugeben. Madara einmal so leidenschaftlich zu erleben, brach ihren Widerstand. „Was habe ich nur getan“, murmelte Mito und schlug die Hände vor das Gesicht. Sie hatte sich in ihre Bettdecke gewickelt, sodass nichts von ihrem Körper mehr zu sehen war. Madara hockte auf der Kante auf der anderen Seite und ignorierte ihre Selbstvorwürfe. Langsam, beinahe bedächtig, was in einem starken Kontrast zu seinem Verhalten vor dreißig Minuten stand, schlüpfte er in seine Kleidung und legte den Armschutz wieder an. Als sie erneut zu jammern begann, verlor er die Geduld. „Jetzt stell dich mal nicht so an“, verlangte er und stand auf. Er warf ihr über die Schulter einen düsteren Blick zu. „Du bist ein freier Mensch, du kannst tun und lassen, was du willst.“ „Warum hast du mich auch so bedrängt?“, fragte Mito plötzlich wütend. „Was sollte das?“ Madara streckte sich ein letztes Mal und antwortete: „Ich habe mir bloß das geholt, was mir schon seit Langem zusteht. Wenn du jetzt weitschweifige Liebesbeteuerungen erwartest, muss ich dich leider enttäuschen. Ich weiß aber, dass du das nächste Mal trotzdem schon herbeisehnst.“ Einen Wimpernschlag später war er verschwunden, sodass Mito beinahe glaubte, die letzte halbe Stunde nur geträumt zu haben. Doch der dunkle Abdruck eines schweißnassen Körpers neben ihr ließ keine Ausflüchte zu. Wütend biss sie in ihr Kopfkissen. Wie konnte man sich nur so mies verhalten wie Madara? Ernsthaft und naiv hatte sie ihn in Erinnerungen, aber er schien in den letzten Jahren mächtig an Selbstvertrauen zugelegt zu haben. Das erklärte aber immer noch nicht ihre miserable Verteidigung. Nie hätte sie geahnt, dass sie dermaßen die Kontrolle über ihren Körper verlieren könnte. Seltsamerweise kam ihr ausgerechnet in diesem Moment Hashirama in den Sinn. Der liebe, freundliche Hashirama, der sie früher immer beschützen wollte und der keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte. Was würde er wohl dazu sagen, wenn er wüsste, was sie getan hatte? Würde er sie mit Verachtung strafen und all seinen Respekt vor ihr verlieren? Sie konnte ihm nie wieder unter die Augen treten. Sie wusste, dass er zu dem engeren Kreis derjenigen gehörte, die als Ehemann für sie ausgesucht werden könnten, sobald sie ihre Volljährigkeit erreicht. Eine kleine Träne entfloh ihrem Auge und rann ihre Wange herunter. Würde sie jetzt überhaupt noch jemand wollen? Sie hatte Schande über ihre Familie gebracht und Madara war daran schuld. Er ganz allein. Warum hatte er sie nicht einfach in Ruhe gelassen? Ein Monat verging, in dem Mito niemandem begegnen wollte. Sie schloss sich in ihrer Wohnung ein, verriegelte die Fenster und verdunkelte die Räume. Hin und wieder hörte sie jemanden an ihre Tür klopfen, doch sie weigerte sich, jemanden zu empfangen. Sie wollte allein sein, um sich nicht dem stellen zu müssen, was sie draußen erwartete. An einem Morgen, als ihre eigenen verquollenen Augen ihr wieder einmal aus dem Spiegel entgegenstarrten, fasste sie einen Schluss. Sie holte sich eine Schere aus dem Küchenschrank und schnitt spontan ihre langen Haare ab. Wie lange, rote Fäden fielen sie auf die Fliesen im Bad und Mito empfand eine eigenartige Befriedigung, als sie an den Spitzen ihrer nun kinnlangen Strähnen zupfte. Sie würde einen Neubeginn wagen, indem sie heute noch das Dorf verließ und woanders ihr Glück versuchte. Hier hatte sie nichts mehr verloren. Mit neuer Entschlossenheit packte sie ihre wichtigsten Sachen in eine Tasche, schulterte sie und verließ die Wohnung, ohne einen letzten Blick zurückzuwerfen. Wohl hatte sie sich ganz allein und weit von zu Hause weg sowieso nicht gefühlt. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber Madaras emotionale Distanziertheit ärgerte sie. Andere würden es vielleicht als Kompliment ansehen, dass er sie körperlich so begehrte, aber ohne geistiges Verlangen war das für sie nichts wert. Sie hätte sich nicht auf ihn einlassen dürfen, aber im Grunde hatte sie sich für kurze Zeit in seinen kräftigen Armen die Vorstellung erlaubt, er könne sie wirklich lieben. So sehr lieben, dass er die ganze Zeit nur an sie gedacht hatte. So etwas Lächerliches. Wer weiß, bei wie vielen Frauen er sich in der Zwischenzeit ausgetobt hatte. Es gelang ihr nicht einmal die Straße zu verlassen, in der sie wohnte. Ein unangenehmes Prickeln im Nacken gab ihr das Gefühl, dass jemand sie beobachtete, obwohl es mitten in der Nacht sein musste. Unsicher lief sie noch ein paar Schritte, dann drehte sie sich unvermittelt um. Halb hatte sie erwartet, Madara aus dem Schatten hervortreten zu sehen, und sie schalt sich für ihre Hoffnung, aber die Überraschung lenkte sie kurzzeitig von ihrer Erinnerung an ihn ab. Zuerst fielen ihr die langen Haare auf, die denen des Uchiha nicht ganz unähnlich waren. Sie hüllten die Gestalt ein, waren aber viel glatter und hatten die Farbe von reifen Kastanien. Hashirama Senju. Ein weiteres Gespenst aus ihrer Vergangenheit. „Wohin willst du, Mito?“, fragte er. Im Gegensatz zu Madaras Stimme, die eher einem Knurren glich, war diese warm und freundlich. „Ich gehöre hier nicht hin“, antwortete sie nach längerem Überlegen ausweichend. „Du hast Recht“, antwortete er nickend und ihr sank das Herz in die Hose. Wusste er etwa schon Bescheid? „Diese kalten, einsamen Zimmer, die du bewohnst, passen überhaupt nicht zu dir. Du gehörst an den Ort, an dem ich lebe“, fügte er hinzu und lächelte sie schüchtern an. „Ich wollte dich schon vor einigen Tagen sprechen, doch andere Menschen haben mich leider zu sehr in Anspruch genommen.“ Dann wusste er gar nichts von ihrem Rückzug. Mito begann die Hoffnung zu schöpfen, dass er sie nicht als Abschaum ansah. Dennoch warf sie einen sehnsüchtigen Blick in Richtung des Weges, der aus dem neu aufgebauten Dorf hinausführte. Als sie immer noch nichts antwortete, erzählte er weiter. „Sie haben beschlossen, mich zum Oberhaupt des Dorfes zu ernennen. Madara wird ziemlich toben, aber sowohl er als auch ich müssen uns der Entscheidung der Mehrheit beugen.“ Bei der Erwähnung von Madaras Namen zuckte sie schuldbewusst zusammen. „Warum berichtest du mir davon? Das betrifft mich nicht.“ Eine Weile sah er sie nur stumm an, als könnte er nicht die richtigen Worte finden, um ihr sein Anliegen ausreichend zu vermitteln. „Außerdem haben sie entschieden, dass du meine Frau werden sollst“, sagte er schließlich vorsichtig, als müsste er Angst vor ihrer Reaktion haben. „Ich… Deine Frau?“ Mito konnte nicht fassen, was sie da hörte. Von einer auf die andere Woche wurde ihr Leben auf den Kopf gestellt. Natürlich hatte sie früher schon kapiert, dass sie den beiden wichtig war, das aber als harmlose Schwärmerei abgetan. Nun suchte sie Madara Uchiha zu Hause auf, um sich ihren Körper zu nehmen, und an Senju Hashirama soll sie fest gebunden werden? Ein stechender Schmerz meldete sich in ihrer Stirn und sie musste in die Hocke gehen, als ihr beinahe schwarz vor Augen wurde. Kaum erweckte sie auch nur den leisesten Anschein von Schwäche, war er an ihrer Seite und fing sie auf. Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. „Geht es dir nicht gut?“, fragte er besorgt. „Habe ich dich damit überfordert? Das wollte ich nicht, verzeih mir.“ Hatte sie so viel Fürsorge überhaupt verdient? Konnte es das Schicksal so gut mit ihr meinen, dass es ihr eine zweite Chance gewährte? „Schon in Ordnung“, beruhigte sie ihn mit zittriger Stimme. Sie befreite sich aus seinen Armen und rappelte sich auf. Musste sie ihm sagen, dass Madara bei ihr gewesen war? Konnte es nicht einfach ihr dunkles Geheimnis bleiben? Schließlich hatte sie niemanden betrogen. Einen einzigen Moment hatte sie bloß die Situation nicht unter Kontrolle gehabt. Sie erwiderte seinen Blick. Der Ausdruck seiner braunen Augen ließ sie an Sicherheit denken. An ehrliche Zuneigung. „Würdest du mich nur zur Frau nehmen, weil andere das so wollen?“, hakte sie nach. Täuschte sie die Dunkelheit oder lief Hashirama, das unbedarfte und immer fröhliche Kind von früher, rot an? „Nein… Für mich bedeutet es großes Glück, das die Wahl auf dich gefallen ist und ich mich nicht zwischen meinem Dorf und meiner Liebe entscheiden muss.“ Mito erstarrte, die Hand an ihrer heißen Stirn. Er hatte von Liebe gesprochen und dabei sie gemeint! „Du liebst mich? Aber wir haben uns so lange nicht gesehen! Du weißt doch überhaupt nicht, ob ich mich vielleicht verändert habe!“, warf sie ein und die Ungläubigkeit ließ sie schrill klingen. „Schon immer tue ich das. Es ist ein Teil meines Lebens geworden, von dem ich mich nicht einfach so verabschieden könnte, selbst wenn du eine Kriminelle geworden wärst“, erklärte er und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Das klingt jetzt vielleicht ein wenig aufdringlich in deinen Ohren, aber so ist es eben.“ Aufgrund der Absurdität der Ereignisse musste sie losprusten. „Findest du das merkwürdig?“ Man hörte Hashirama seine Nervosität, sie könnte ihn verachten, deutlich an. Er ahnte nicht, welche Welle von Zärtlichkeit Mito überschwemmt hatte. Es war eine andere Empfindung als die, die sie beim Gedanken an Madara überkam, doch sie reichte, um ihrer Entscheidung eine offensichtlich stabile Basis zu verleihen. „Es wäre mir eine Ehre, an deiner Seite leben zu dürfen“, willigte sie förmlich ein und entlockte ihm damit ein weiteres Lächeln, ein viel strahlenderes als zuvor. Es schien geradezu wie ein Stern in der Dunkelheit zu leuchten und Mito den Weg zu weisen. Er nahm ihre Hand und küsste sie, um den aufgefrischten Bund zwischen ihnen zu besiegeln. Von Freundschaft zu einer festen Beziehung war ein großer Schritt, den er allerdings am liebsten schon viel früher vollzogen hätte. Wochen vergingen, in denen Mito sich ganz auf ihr neues Leben konzentrieren konnte. Es wurde nicht viel Zeit verloren, als es darum ging, dass sie zu Hashirama zog. Niemand schien sich darüber zu wundern, dass von heute auf morgen diese zwei Menschen plötzlich unzertrennlich waren. Womöglich lag es daran, dass die Handlungen des Oberhauptes sowieso nicht in Frage gestellt wurden, oder aber auch daran, dass man ihre Beziehung für eine arrangierte Ehe hielt, welche die Ältesten in die Wege geleitet hatten. Was auch immer die Gründe dafür waren, weshalb die Bevölkerung so gelassen reagierte, es half Mito, den Übergang zu bewältigen und alles, was vorher war, gedanklich in den Hintergrund zu drängen. Natürlich streifte sie hin und wieder noch das schlechte Gewissen daran, dass sie ihrem frischgebackenen Ehemann verschwieg, dass Madara sie als erster aufgesucht hatte und wie weit er gegangen war. Da sie aber in der Zeit ihren gemeinsamen Kindheitsfreund nicht zu Gesicht bekam, gelang es ihr halbwegs, das Intermezzo bloß als Traum anzusehen, der nie wirklich stattgefunden hat, auch wenn das Betrachten ihrer gekürzten Haare ihr immer ein ungutes Gefühl in der Bauchgegend bescherte. Hashirama hatte sie noch nicht auf ihr verändertes Äußeres angesprochen. Er respektierte, dass sie nicht alles rechtfertigen wollte, was sie tat. Die Gewänder, die sie als Gattin des sogenannten Hokage, wie sie das Oberhaupt des Dorfes nannten, trug, waren kostbarer und von höherer Qualität als ihre vorherigen. Hashirama genoss es, ihr teure Geschenke zu machen, und Mito fühlte sich wohl dabei. Es verging kein Tag, an dem sie sich nicht aufrichtig geliebt fühlte, egal wie zerbrechlich sich das Ganze noch anfühlte. Zwei Monate nach ihrer Hochzeit nahm Mito sich das erste Mal vor, einen Nachmittag allein zu verbringen. Sie bevorzugte Gesellschaft, aber es würde auf Dauer nicht funktionieren, wenn sie es nicht schaffte, auch einmal ohne Hashirama auszukommen. Deswegen erklomm sie einen der Hügel, die das kürzlich getaufte Dorf Konohagakure einrahmten, und legte sich dort ins Gras, um die Wolken zu beobachten. Sie achtete automatisch darauf, ihr hellgelbes Kleid nicht zu beschmutzen oder zu verknittern. Solche Rituale waren ihr schnell in Fleisch und Blut übergegangen. In ihrer Position konnte sie sich Unachtsamkeiten nicht leisten. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, nahm sie einen herben Geruch war, der nicht in die Natur zu passen schien. Sie atmete einmal tief ein, aber der Duft verschwand nicht. Erst als sie etwas an den Armen kitzelte, riss sie die Augen auf – und blickte direkt in die eiskalten Augen Madaras. So viel zur Unachtsamkeit. Er kniete über ihr und seine Haare strichen über ihre Haut, immer wenn eine Brise für etwas Abkühlung sorgte. Dieses Mal schaute er sie wenigstens nicht mit seinen Sharingan an, die immer einen Hauch von Gefahr ausstrahlten, sondern mit seinen eigenen, die dunkel waren wie ein gieriger Schlund. Heute trug er anstelle seiner Rüstung ein weites, langärmliches Oberteil und eine dazu passende, ebenso schwarze Hose. Er vermied es, sie mit seinem Gewicht zu belasten, aber sein Zorn heizte die Luft zwischen ihnen auf. „Bist seine hörige Frau, was?“, stieß er hervor und Mito spürte angesichts der unerwarteten Konfrontation Schweißtropfen ihren Rücken hinunterlaufen. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, deswegen starrte sie ihn bloß hilflos an. „Befriedigt er deine Bedürfnisse besser als ich?“, fuhr er fort und kam mit dem Gesicht näher an ihres heran. „Sag schon!“ Diese harsche Behandlung weckte Mitos Lebensgeister. „Darum geht es nicht. Zumindest nicht um die Befriedigung, von der du sprichst. Er behandelt mich so, wie ich es verdient habe, und nicht so grob wie du!“, gab sie zurück und drehte ihren Kopf zur Seite. Sie wusste, dass der Versuch, ihn von sich herunterzuschieben, zwecklos war. Blitzschnell stieß er herab wie ein Falke auf seine Beute, als er all seine Wut in einem Kuss ausdrückte. „Als ob dir das nicht besser gefallen würde als sein Weichei-Gehabe“, sagte er, ohne sich von ihr zu lösen. Sie spürte, wie sich beim Sprechen seine Lippen auf ihren bewegten, auch wenn sie sich die größte Mühe gab, den Kuss nicht zu erwidern. Wenn sie keine Leidenschaft zeigte, wäre es vielleicht schneller vorbei. „Nur weil ich dir nicht das typische häusliche Leben und Liebe für die Ewigkeit verspreche, nimmst du gleich die zweite Wahl?“ Er ließ von ihr ab, aber nur um mit seinem Mund ihren Hals zu berühren. „Madara… Lass das“, forderte sie ihn knapp auf und brachte ihre Handfläche zwischen seine Lippen und ihre Haut. Er packte ihre Hand und drückte sie mit Leichtigkeit ins Gras. „Was ist, wenn ich ihn wirklich liebe? Du gehst automatisch davon aus, dass ich mir dich ausgesucht hätte, aber vielleicht ist das gar nicht so“ Der Uchiha lachte so verächtlich, dass Mito eine Gänsehaut bekam. Er nahm sie nicht ernst und ging auf diesen Einwand deshalb gar nicht erst ein. „Werden wir ja sehen“, meinte er nur knapp und schob ungerührt ihr Kleid herunter. Ehe er jedoch zu dem ansetzen konnte, was sie auf jeden Fall hätte schwach werden lassen, schlang sie ihm ihre Arme um den Hals und drückte ihr Gesicht an seine Schulter. Er spürte etwas Feuchtes an dem Stoff seiner Kleidung und begriff, dass sie weinte. „Du begreifst einfach nicht, was das Problem ist“, schluchzte sie. Überraschenderweise hielt er tatsächlich inne. „Ich kann mit jemandem, der nur dann kommt, wenn es ihm passt, nichts anfangen. Du bist so egoistisch! Das, was ich brauche, kannst du mir nicht geben – nämlich Sicherheit! Mag zwar sein, dass ich mich körperlich zu dir hingezogen fühle, aber unser Zeitpunkt ist einfach vorbei! Wir sind einfach nicht füreinander bestimmt, da wir zu unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung haben“, redete sie sich die Worte von der Seele, die ihr zuvor in gedanklicher Form nicht einmal bewusst gewesen waren, sondern nur in ihrer Magengegend rumorten. Abrupt ließ er sie los, sodass sie unsanft mit dem Kopf auf dem Boden gelandet wäre, hätte er diesen nicht rechtzeitig mit der Hand abgefangen. Er sah sie mit einem Ausdruck in den Augen an, den sie noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte und der zur Folge hatte, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Er war immer noch wütend, aber gleichzeitig auch tief verletzt. Sie wusste nicht einmal, dass jemand wie Madara so etwas empfinden konnte. Er bettete ihren Kopf verhältnismäßig vorsichtig auf das Gras, wandte sich aber wortlos um und wanderte den Hügel herunter. Erst, als er schon fast außer Hörweite war, drehte er sich noch einmal um. „Ich liebe anders als Hashirama“, sagte er so leise, dass sie es kaum verstand. Ehe sie darauf reagieren konnte, war er bereits verschwunden. Der Tränenstrom wollte trotzdem nicht versiegen und Mito begriff, dass sie auch die Zukunft beweinte, die ihnen beiden offen gestanden hätte, würde sie ihre Prioritäten anders setzen und Madara so nehmen können, wie er war. Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass sie sich immer wieder für das Leben entscheiden würde, dass sie nun an Hashiramas Seite führte. Allerdings änderte das nichts daran, dass derselbe Schmerz, den sie Madara zugefügt hatte, indem sie sich entschlossen hatte, seinen früheren besten Freund zu erwählen, immer ein Teil von ihr sein würde. Was daraufhin folgte, ging in die Geschichte ein. Madara verließ das Dorf, um seine Erinnerungen an die gemeinsame Zeit zurückzulassen. Er wusste, dass er Hashirama nicht gewachsen war, aber am meisten nagte an ihm, dass sich Mito für ihn entschieden hatte. Er würde den Teufel tun und ihr je seine Liebe gestehen, doch tief in seinem Inneren war ihm bewusst, dass er sie von ganzem Herzen wollte und nie jemanden wieder so begehren würde wie sie. Allerdings begrub er diese Gefühle tief in sich. Nie sollte jemand von seiner Schwäche erfahren. Ironischerweise hatte er behauptet, er könne ihr keine ewige Liebe geben, dabei empfand er genau diese. Vielleicht hatten die Götter für ihn einfach eine unglückliche, tragische Liebe festgelegt. Kurz vor seiner Flucht bot Hashirama ihm an, der nächste Hokage zu werden. Beinahe wäre er in Versuchung geraten, doch die Bedingung, die sein früherer Freund und jetziger Feind daran anhängte, trieb ihn noch weiter davon, denn er wies ihn darauf hin, dass er ihm allerdings Mito nie überlassen würde. Ein Blick in die Augen, die er besser kannte als jeder sonst, verriet ihm, dass Hashirama Bescheid wusste. Deshalb ging er, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Er verschwand spurlos, aber nur, um stärker zurückzukehren und den Hokage zum Kampf auf Leben und Tod herauszufordern. Dass es dabei um ein Leben mit Mito ging, schwebte unausgesprochen über ihnen. Das Ende ist allen Shinobi auf der Erde bekannt. Hashirama siegte und Mito nahm den Kyuubi, den Madara im Laufe des Kampfes beschworen hatte, in sich auf. Sie hielt es für ihre Pflicht einen Teil von Madaras Hass zu übernehmen, zu dessen Entwicklung sie beigetragen hatte. Der Kyuubi war ihre lebenslängliche Erinnerung daran, was aus ihrem Verzicht entstanden war. Und die Versicherung, Madara bis zu ihrem Tod nicht zu vergessen, egal was er angerichtet hatte. Sie beweinte sein trauriges Ende wochenlang, ohne jedoch ihrem Gatten die Schuld daran zu geben. Ihr war klar, dass sie einen viel größeren Anteil daran trug, was aus Madara geworden war. Madara wandte den Blick von seinem Widersacher und einstigen Konkurrenten ab, um die Erinnerungsflut zu stoppen. Seine Schande musste ihm nicht erst ins Gedächtnis gerufen werden, schließlich war sie eine der Gründe, weshalb er hier stand. Er wusste, dass er in einer anderen Welt Mitos Partner gewesen wäre. In einer Welt, in der er eine Gefühle offen aussprechen könnte und Hashirama ihm nicht in die Quere kam. In einer Welt, in der Mito nicht auf Sicherheit, sondern auf wirkliche Leidenschaft Wert legte. Es war sein dunkelstes Geheimnis, dass er seine Kraft nicht aus dem Hass auf die Welt oder Hashirama schöpfte, sondern aus der Liebe zur längst verstorbenen Mito. Er würde diese Welt erschaffen und es gab nichts, was ihn jetzt noch aufhalten würde. In dieser Welt würde sie endlich ihm gehören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)