Ocean's True Lullaby von Avalanche (Tell me something about hope - like - find - search - love) ================================================================================ Kapitel 3: Fearing ------------------ Warum … Warum hatte es nie gut enden können? Ich erfuhr, dass Julius an einem Teufel von Krankheiten litt. Meine Reise nach Frankreich wurde verschoben, vielleicht auch verlegt oder gar komplett gestrichen. Im Moment war es mir nur recht. Im Moment war mir so ziemlich alles egal. Ich wollte Julius sehen. Ich hatte Angst davor. Ich verstand mich nicht mehr. Ich konnte es nicht mehr. Es fühlte sich an, als sei … als seien meine Gedanken wieder in einem großem, schwarzem Loch. Es fühlte sich leer an. So leer, einsam und allein. Ich wusste nicht, wie ich ihm entgegen treten sollte, als der Arzt sein OK gab. Mit zitternden Händen umfasste ich die Klinke zu seiner Tür. Ich hatte Angst, ihm gegenüber zu treten. Ich wusste nicht, ob er lachen würde oder mich anklagend – aus welchem Grund auch immer, ich hätte es ihm gegönnt – ansehen würde. Würden seine Augen leer sein? Betrübt? Erdrückend? Ich wusste es einfach nicht. Ich schluckte. Und drückte die Klinke herunter. „Hallo“, sagte ich leise, als ich das Krankenzimmer betrat. Julius saß aufgerichtet im Bett und hatte sein Gesicht dem Fenster zugewandt. Er drehte sich bei meinen Worten nach mir um. Und lächelte. Mit vorsichtigen Schritten näherte ich mich ihm, die wenigen Meter, die mich von ihm trennten, schienen wie eine undurchdringliche Mauer, die ich nicht brechen konnte. Nicht alleine. Doch er lächelte mir freundlich und warm zu, sanft. Ich merkte, wie sehr ich dieses Lächeln vermisst hatte. Wie sehr ich ihn vermisst hatte. Und was ich genau für diesen so zerbrechlichen Jungen empfunden hatte, dass es mich so sehr zerriss, als er zusammengebrochen war. Ich setzte mich neben dem Bettrand hin, auf einen Stuhl, auf dem wahrscheinlich auch seine Familie schon gesessen hatte. Und wir schwiegen. Er sah mich freundlich an. So verging ein Vormittag, gehüllt in Schweigen, obwohl ich wusste, dass ich nicht mehr viel Zeit mit ihm hatte. Ich hätte mich erschlagen können. „Hier“, meinte ich kurz angebunden und reichte ihm eine kühle Getränkedose. Dankend nahm er sie an. Mit einem Klicken machte ich meine Dose auf, doch Julius schien Schwierigkeiten damit zu haben. Er stellte sich wirklich ungeschickt an. Sanft nahm ich ihm die Dose aus der Hand und machte sie für ihn auf. Etwas schmollend nahm er sie wieder an sich. Das hätte ich auch selbst gekonnt, schien er mir sagen zu wollen und ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Ja ja, es tut mir ja Leid“, murmelte ich prustend. Ich drehte die leere Dose in meiner Hand. Ich musste es ihm sagen, bevor es zu spät war, dachte ich mir. Oder ich lasse es bleiben. Dann erfährt er nie von meinen Gefühlen. „Hey ...“, fing ich an, die leere Dose noch unruhiger in meinen Händen, „Darf … darf ich etwas sagen?“ Ich sah nicht auf, starrte nur den Schriftzug auf der Dose an, doch ich wusste, dass er ermutigend nickte. Eigentlich machte ich mir aus nichts etwas, da meine Toleranz ziemlich ausgeprägt ist (mein Umfeld ist nicht gerade unschuldig daran), aber trotzdem fühlte ich, wie meine Hände anfingen zu schwitzen. Der Arzt hatte mir erklärt, dass Julius schon einmal operiert wurde, am Hals. Seine Stimmbänder wurden herausoperiert, das erklärt seine Stummheit. Durch die Entfernung des Tumors verlängerte sich sein Leben um knapp einen Monat. Er würde trotzdem sterben. Doch er wollte noch ein wenig länger leben, hatte er anscheinend gesagt. Weil er unbedingt bei jemandem sein wollte. „Ich liebe dich …“ Ich sah ihn an und beugte mich reflexartig vor. Ganz zart küsste ich ihn auf die Stirn. Nur ein Windhauch. Seine Lippen lächelten und seine Hand berührte sanft meine Wange. Er hatte glasige Augen bekommen. Warum währt Glück manchmal nur wenige Sekunden und fühlt sich doch an wie eine Ewigkeit? Die nächsten Tage plätscherten wie flüssiges Gold vor sich hin. Sie waren die schönsten Tage in meinem Leben, auch wenn ich wusste, dass sie enden würden. Ich würde sie fest in meinen Erinnerungen halten. Für immer und ewig. Mit aufgeregtem Blick sah Julius mich an. „Was ist denn los?“, fragte ich erstaunt. Sein Blick trübte sich für einige Momente, als er nicht wusste, wie er sich ausdrücken sollte. Dann startete er einen Versuch. Er streckte die eine Hand flach aus und stellte die andere in einer etwas gekrümmten Position darüber, hob sie von der Hand ab und schien in der Luft zu … „Malen?“, riet ich. Er nickte. Dann zeigte er auf sich selbst. „Du willst, dass ich dich male?“, konkretisierte ich seinen Wunsch in meinen Worten. Wieder ein Nicken. Ein Lächeln, so warm wie ein schöner Sommertag. Ich überlegte. „Na gut ...“, gab ich schließlich unter seinem bittendem Blick nach. Ich fuhr schnell zum Anwesen zurück, holte meine Sachen. Ich beeilte mich, vielleicht etwas zu sehr, denn mein Atem ging unruhig, als ich wieder in das Zimmer kam. Ich hatte in den letzten Tagen einfach viel zu viel Angst. Dass er weg sein würde. Doch er saß immer noch in seinem Bett und lächelte mich freundlich, zunächst war er etwas verwundert, aber dennoch liebevoll an. Überall wo du bist … fühle ich mich mehr zu Hause als woanders. Ich setzte mich hin, ein wenig peinlich berührt und holte meine Sachen heraus. Meinen Aquarellblock, meine Farben. Meine Pinsel. Und ich begann, ihn zu malen. Sein freundliches Antlitz, so zart und zerbrechlich und dennoch standhafter als man glauben mag. Das helle Haar, welches das Sonnenlicht reflektierte. Die ruhigen und besonnenen Augen. All das mochte ich so sehr an ihm. Alles. Einfach nur alles. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich hasste mich dafür. Er nahm einfach still meine Hand und hielt sie fest, bis das Papier, auf dem das fertige Aquarell von ihm, in so warmen und sanften Farben gemalt wie er selbst es war, trocken war. Genügsamkeit war eine Kunst, die ich nicht beherrschte. Ich starrte aus dem Fenster. Julius sah mich nachdenklich an. Er beugte sich vor und strich mir sanft über das Gesicht. Ich legte meine Hand auf seine. Sanft küsste er mich. Es würde nicht besser werden. Aber er war bei mir. Und ich bei ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)