Der Traumfänger von Sas-_- ================================================================================ Kapitel 1: 1. Eine traumhafte Nacht ----------------------------------- „Endlich kann ich richtig loslegen …“, murmelte Silver, seine behandschuhte Hand umschloss fest einen Heilball in dessen Innern sich ein frisch gefangenes Pokémon befand. Es war Nacht, der kalte Wind trieb die vom Mond beschienen Wolken wie Schafe über den Himmel, die Blätter der Bäume rauschten leise, als flüsterten sie sich gegenseitig Geheimnisse zu. Unter Silvers festen Schritten knirschte der Schutt, das Gebäude, welches hinter ihm lag, ragte als bedrohlicher Schatten in den fast ebenso finsteren Himmel hoch empor. Es war mehr eine Ruine als ein imposantes Gebäude, aber Silver stellte vor kurzem fest, dass es sich hervorragend für sein Vorhaben eignete. Silver verließ das verwilderte Grundstück, welches unter dem Namen „Traumbranche“ bekannt war und machte sich auf den Weg nach Orion City, sein Zeigefinger wanderte zum Knopf des Balls und entließ beim Drücken das darin gefangene Pokémon. Es war ein Somnivora, schweigend schwebte es neben Silver her, folgte seinem neuen Herrn. Das stumme Gespann erreichte die Stadtgrenze, der Pförtner blickte müde auf und nickte den beiden desinteressiert zu, als sie das Stadttor passierten. In Orion City herrschte unbekümmerte Stille, es ist nur eine kleine Stadt mit wenigen Anwohnern, aber dennoch groß genug, um eine Arena und gleich drei Arenaleiter ihr eigen nennen zu können. In den großen Wohnhäusern brannten hier und da noch Lichter, die meisten Anwohner hatten sich aber bereits zu Bett begeben. Silver stand mit Somnivora neben einem Häuserblock unter einer Laterne und sah sich um; seit Silvers Ankunft, hatte die Stadt sich von ihrer friedvollsten Seite gezeigt. Viele brave Bürger, die früh ins Bett gingen, kaum Nachtschwärme und Partygänger waren Silver bis jetzt auch nicht über den Weg gelaufen. Leute, die dazu neigten die Nacht zum Tag zu machen, trieben sich in den Großstädten wie Stratos City herum. Silver blickte sich noch einmal um, eine der Straßenlaternen wurde von Pudox belagert, zischend balgten sie sich um das flackernde Licht. Ihr giftiger Puder sprenkelte den Asphalt unter ihnen und ihre Flügelschläge drangen kaum an Silvers Ohr. Niemand zu sehen. Der Rotschopf eilte am Häuserblock entlang und erreichte bald darauf die Eingangstür, Klingeschilder reihten sich neben der Tür auf, wahllos drückte Silver einen der Knöpfe und wartete ab bis eine verschlafene Stimme leise aus der Gegensprechanlage murmelte: „Wer … da?“ Silver grinste Somnivora schief an und antwortete: „Ich will jemanden besuchen, bin spät dran, ich weiß. Mir ist da was dazwischen gekommen, wie auch immer, ich werde erwartet. Hätten Sie die Güte …?“ Es summte laut und Silver beeilte sich, die schwere Holztür aufzudrücken, widerwillig schwang sie wieder auf. Im Foyer flammte das Deckenlicht an und ließ die kleine Einganshalle in kränklich wirkenden Licht erstrahlen. Es flackerte unstet und erinnerte an einen schlechten Horrorfilm. Die Eingangshalle war klein und schlicht gehalten, es gab einen Aufzug als auch eine Treppe, da es sich bei der Treppe um ausgetretene Holzstufen handelte, entschied Silver sich für den Aufzug, von dem er hoffte, am wenigsten Lärm zu machen. Er schlenderte durch die geflieste Halle und wartete kurz darauf geduldig vor dem Aufzug, dessen Türen schon seit einiger Zeit geputzt gehörten. „Geduld ist eine Tugend …“, sagte Silver leise, das Somnivora musterte ihn stumm. Der Rotschopf zuckte unwillkürlich zusammen, als sich der Aufzug rumpelnd und stöhnend in Bewegung setzte; sehr viel leiser als die Holztreppen schien der Lift wahrlich nicht zu sein. Die Aufzugtüren schoben sich auseinander, aber statt einer leeren Kabine, blickte Silver einem schlecht gelaunten Punk entgegen. „Hä? Was willst du denn hier, Knirps!“, maulte der Jugendliche und zerdrückte die Bierdose in seiner Hand, Silver schaute ausdruckslos zurück. „Ich besuche wen“, antwortete er knapp, er durfte diesem Punk auf keinen Fall im Gedächtnis bleiben, er sollte Silver registrieren und am besten gleich wieder vergessen, doch dem Punk schien nicht danach zu sein, dem Rotschopf diesen Gefallen zu tun. „Jemand besuchen?! Ist mitten in der Nacht, du Zwerg! Hau wieder ab, das ist mein Block und ich hab entschieden, dass du hier nix verloren hast, schon gar nicht jetzt!“ In Silvers Bauch kochte heißer Zorn auf und bahnte sich seinen Weg durch seine Adern, was glaubte dieser nutzlose Penner eigentlich, wer er ist?! „Hast du Bohnen in den Ohren, Hosenscheißer? Ich sagte, zieh Leine!“ „Und ich sage, Hypnose.“ Es kostete Silver einiges an Überwindung seine Wut hinunter zu schlucken, aber es war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um ihr freien Lauf zu lassen. Das Somnivora schob sich vor Silver und setzte Hypnose ein, die Augen des Punks weiteten sich überrascht, gleich darauf schlossen sie sich und er sank schlafend zu Boden. Silver holte zwei weitere Pokébälle aus seiner Tasche. „Karnimani, Sniebel, packt mal mit an!“ Zu dritt schleiften sie den bewusstlosen Punk aus der Kabine, quer durch die Halle und anschließend aus dem Haus heraus. Damit die Haustür nicht wieder zu viel und Silver den nächsten Anwohner aus dem Bett jagen musste, ließ er ein erst kürzlich gestohlenes Nagelotz als Türstopper agieren. Unter viel Anstrengung gelang es ihnen schließlich, den Punk in eine Seitengasse zu bugsieren. Fluchend lehnte sich Silver keuchend an eine mit Graffiti verhunzte Wand und ballte seine Fäuste. „Verdammt, verdammt! Aber gut, betrachten wir das ganze positiv … Nightmare!“ Das Somnivora schaute auf und wartete auf einen Befehl. „Das war zwar nicht geplant, aber trotzdem … Eine ausgezeichnete Gelegenheit, deine einzigartige Fähigkeit unter Beweis zu stellen.“ Die beiden begaben sich zu dem schlafenden Jugendlichen, der wie erschossen mitten in der Gasse lag, alle Viere von sich gestreckt. Sein Mund stand offen und ein träges Schnarchen tönte aus seiner Kehle. „Traumfresser!“ Somnivora schwebte nahe an den Punk heran, dessen Körper sogleich ein violetter Schimmer umgab, welches praktisch aus seinem Körper auf Somnivora zuströmte. Eine Straße aus dunklem Licht spannte sich zwischen dem Mann und dem Halbschlafpokémon, fasziniert beobachtete Silver diesen surrealen Vorgang. Als das Somnivora fertig war, strömte aus seinem Kopf rosafarbener Rauch und schlängelte sich in den Nachthimmel. Silver war von dem Spektakel so gefesselt gewesen, dass er völlig vergessen hatte, sich vorzubereiten. Jetzt musste er sich sputen, er streifte sich seinen Rucksack von den Schultern und fischte eines der Gefäße hervor, die Silver eigens für diesen Zweck mitgebracht hatte. Er öffnete das Glas und fing damit den Traumdunst ein, den Somnivora ausgestoßen hatte. Der Dunst sammelte sich in dem speziellen Glas und verdichtete sich. Silver schraubte das Gefäß wieder zu und hielt es dicht vor seine Augen, der Rauch waberte und kroch über das Glas, als sei es eine lebendige Masse. Bilder formten sich im Rauch und das, was Silver zu sehen bekam war der Traum des Mannes, den Somnivora gefressen hatte. „Ah, du träumst von einem anständigen Leben. Du träumst davon, dass deine Freundin zu dir zurückkehrt, du vermisst sie wohl, du arme Seele“, kicherte Silver gehässig und schüttelte das Gefäß leicht. „Du möchtest, dass dein Vater dich achtet und deine Mutter dich liebt. Wie schade, dass sie schon tot sind … Was für armselige Träume!“ Silver rümpfte seine Nase und schob das Glas zurück in seinen Rucksack. „Kommt Leute, mit dem sind wir fertig. Morgen wird er sich an nichts erinnern, dafür hab ich gesorgt.“ Sie verließen die Gasse und ließen den schlafenden Punk zurück. Silver verschwand wieder im Gebäude, es war allerhöchste Zeit für ihn wesentlich wertvollere Träume, als die des Punks einzusammeln. Zehn Gefäße befanden sich in Silvers Rucksack, er hatte Platz für zehn Träume, jetzt leider nur noch für neun. Er holte eine Liste aus seiner Hosentasche und ging die Namen, die darauf standen durch. Männer und Frauen, sogar Kinder waren darunter, sie alle besaßen Träume, die Silvers Auftraggeber begehrten und er sollte sie besorgen. Die Aufzugtüren öffneten sich, Silver trat auf einen schlecht beleuchteten Gang hinaus, er passierte einige Türen und blieb schließlich vor einer augenscheinlich neuen Wohnungstür stehen. Er kontrollierte den Namen auf der Liste, nickte zuversichtlich und gab seinem Sniebel den Befehl, mit seinen langen spitzen Klauen das Schloss zu knacken. Leise, ganz leise. Keiner durfte sie hören und sehen schon gar nicht. Ein Nachteil von Orion City war eindeutig die Tatsache, dass viele Bewohner in diesen Blöcken hausten, Seite an Seite. Das Schloss knackte zu Silvers Freude und er schob sich wie ein Schatten durch den offenen Türspalt. Dunkelheit umfing ihn, jetzt galt es, das richtige Zimmer zu finden. Die richtige Person. „Karin … Karin …“, dachte Silver, neben dem Namen prangte ein kleines Passfoto, gefunden auf einer Communitysite und auf seine Echtheit geprüft, Silver machte seine Hausaufgaben, schließlich war der Traum dieser Person viel Geld wert. Er durchstreife einen kurzen Gang, landete im Wohnzimmer und fand sich wenig später in der Küche wieder. Nach kurzer Zeit hatte er das richtige Schlafzimmer gefunden, ein Mädchen, nicht viel jünger als Silver selbst, schlief geborgen in einem kleinen rosa Bett. Der Rotschopf gab seinem Somnivora zu verstehen, dass es sich ans Werk machen sollte; summend schwebte es auf das Mädchen zu und machte sich daran, ihre Träume zu fressen. Der Traumdunst quoll hervor, Silver fing ihn schon etwas geübter mit dem Gefäß ein und verschloss ihn sorgfältig. Auch dieser Traum gehörte nun ihm. Das friedliche Gesicht des Mädchens veränderte sich und wirkte nun etwas fahler, etwas blasser. Das Somnivora kehrte zu Silver zurück, in seinem Gesicht schien sich Unmut zu stehlen, es schwebte unruhig auf und ab. „Was denn, ihr Traum hat dir doch geschmeckt!“, flüsterte Silver. „Ich mache nur meinen Job und du solltest das auch tun, alles andere interessiert uns nicht, mich jedenfalls nicht.“ Silver musterte das schlafende Mädchen abschätzig, sie drehte sich in ihrem Bett und schien bald aufzuwachen. „Wir verschwinden besser … Wir haben heute noch viel vor, Nightmare.“ Lautlos verließen die zwei das Zimmer, schlichen durch die Wohnung und zurück auf den Gang, Silver zog die Liste hervor und suchte den nächsten Namen heraus. „Ich nehme mir eure Träume, damit ich mir meinen erfüllen kann. Wenn das kein gelungener Tauch ist“, keckerte Silver leise und verschwand mit Somnivora und Sniebel im Lift, knirschend schlossen sich die Aufzugtüren hinter ihnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)