Socii animas von kojikoji (Partnerseelen) ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Kapitel zwei: Leises Geplätscher war vom Wasser des schmalen Baches, der an dem jungen Mann vorbei floss, zu hören. Er mochte diesen Ort sehr gerne. Um ihn herum unberührte Natur, alles grün und blühend. Hinter Avery ein Meer aus Blumen. Vor ihm der Bach und hinter diesem, ein weiteres Blumenmeer. Hier herrschte der Frieden, welcher den Menschen dieser Welt aus Averys Sicht fehlte. Er hatte sich ans Bachufer gelegt und hielt die Füße ins Wasser. Die Pflanzen, die hier blühten, verdeckten Avery vor Blicken anderer. Ab und an kitzelte ihn mal eine Blume an der Wange oder an den Fußknöcheln, doch das war ganz angenehm. Nur wer wusste, wo man ihn zu suchen hatte, würde ihn auch finden. Doch momentan konnte er die Ruhe genießen. Avery hatte sich schon den ganzen Tag während seiner Arbeit auf dem Feld nach Erholung gesehnt. Also hatte er sich noch vor Ende der Schicht, einfach davongeschlichen und nun lag er hier. Mit seinen 22 Jahren sollte er sich nach Angaben seines Vaters eigentlich erwachsener verhalten, doch dazu hatte er oftmals einfach keine Lust. Sein Blick aus den grünen Augen war auf den leicht rötlichen Himmel über sich gerichtet. Dort zogen ein paar weiße Wolken vorbei und mit einem rötlichen Stich kündigte sich der Abend an. Aus manchen Wolken konnte Avery Formen erkennen. Seine Mutter hatte es ihm in den ersten Jahren als Spiel gezeigt. Zumindest zu der Zeit, als sein Vater ihn noch nicht auf das Feld zur Arbeit geholt hatte. Seine Mutter war eine gute Frau gewesen. Anfangs waren sie und sein Vater noch sehr glücklich gewesen, doch ihr Mann und sein Erzeuger hatte sich im Laufe der Jahre verändert. Seine Eltern hatten immer öfter gestritten, bis seine Mutter krank geworden war und kurze Zeit darauf verstarb. Sanft strich der Wind durch sein Haar und zupfte an seiner Kleidung. Wieso konnte es nicht immer so sein? In Averys Dorf gab es keine solche Ruhe. Sein Dorf war noch eines, wo sehr strenge Regeln herrschten. Eines von wenigen, da auf dem Rest der Welt mehr oder weniger bessere Regeln bestanden. Bei ihnen aber musste jeder mit anpacken und im Gegensatz zur großen Stadt rund um den Königspalast waren die Frauen aus den Dörfern nicht mit den Männern gleichgestellt. Frauen waren für die Hausarbeit und das Kinderkriegen da, nicht mehr. Ebenso mussten sie hübsch aussehen und ihren Mann lieben. Da war Avery schon froh, als Mann geboren zu sein. Nicht dass er seine Zukünftige je schlecht behandeln würde. Er war einer von der ruhigen Sorte, was sein Vater oft an ihm bemängelte. Scheinbar hatte Avery mehr von seiner Mutter vererbt bekommen als von seinem Vater. Doch ihm war es so um einiges lieber, auch wenn er sich Mühe gab, seinen Vater ansonsten zufriedenzustellen. Es war schwer, aber nicht unmöglich. Die Ruhe, die Avery daheim nicht fand, suchte er vermehrt an diesem Bach. Viele Kilometer vom Dorf entfernt, an einem Ort, den Menschen noch nicht entdeckt, eingenommen und zerstört hatten. Keiner außer ihm und … „Avery ... Avery?“, und seiner Schwester, die ihn gerade rief. Sie beide waren die Einzigen im Dorf, die rote Haare und grüne Augen besaßen und sie war Avery die liebste Person im ganzen Dorf. Seine Schwester war mit ihren 21 Jahren ein Jahr jünger als Avery und ein richtiges Großer-Bruder Kind. Jetzt aber klang sie ziemlich aufgebracht. Was konnte denn nur los sein? Obwohl, aufgebracht war das falsche Wort. Sie klang gehetzt. So setzte Avery sich auf, um zu sehen, was los war. Er sah sie von Weitem durch die schönen Blumen laufen. Je näher sie kam, desto mehr sah er auch einen möglichen Grund. Ihre sonst so einigermaßen ordentlichen roten Haare waren ganz wirr und ihr Gesicht war mit irgendetwas verschmiert. Durch was konnte er allerdings noch nicht erkennen. Ihr Kleid flog im Wind immer mal wieder leicht hoch, doch nie so sehr, dass man prekäre Stellen sehen konnte. Als sie nah genug war, sodass Avery ihr Gesicht richtig erkennen konnte, bemerkte er, dass sie aus der Nase blutete. Oder war es schon getrocknetes Blut? Sofort erhob er sich und kam ihr das letzte Stück entgegen. „Was ist geschehen, Belfi? Wer hat dir das angetan?“, wollte Avery mehr als besorgt wissen, während sie nur kurz über ihr geblümtes Kleid strich. Dann allerdings packte sie seine Hände, bevor er ihr Gesicht auch nur berühren konnte. „Wir müssen hier fort, Avery“, teilte sie ihrem Bruder panisch mit, doch er versuchte, sie zu beruhigen. Immer wieder sah sie sich hektisch um, als wolle sie nach jemandem Ausschau halten, doch Avery konnte hinter ihr niemanden sehen. „Ruhig, Belfi. Was ist denn los? War Gerd wieder grob zu dir?“, fragte Avery sie und zog ein graues Stofftuch aus seinem Ärmel, um ihr das Blut unter der Nase wegzuwischen. Gerd war ihr Ehemann seit fast zwei Jahren. Leider war dieser auch doppelt so alt wie sie und hatte einen verdorbenen Charakter. Dies war jedoch in diesen und in den Nachbardörfern nichts Ungewöhnliches. Viele Männer in dieser Gegend behandelten ihre Frauen schlecht und waren viel zu alt für diese. „Gerd ist jetzt völlig egal. Das Dorf wurde überfallen!“ Damit stieß sie seine helfende Hand zur Seite. Verwirrt sah Avery sie an, doch dann breitete sich Entsetzen in dem jungen Mann aus. Das Dorf wurde überfallen? Wie das? Sein Dorf mochte vielleicht nicht das Beste sein, doch es war seine Heimat. Der Ort, wo er geboren und aufgewachsen war. „Überfallen? Von wem?“, fragte Avery geschockt, sodass sie etwas hilflos die Hände hob. Sein Herz schien dabei einen Aussetzer machen zu wollen und es lief ihm auch eiskalt den Rücken herunter. „Ich weiß es nicht. Es waren ganz komische nackte Wesen mit scharfen Klauen und spitzen Zähnen und ganz weißen Augen“, versuchte sie die Angreifer zu beschreiben und merkte sofort das erstaunte Gesicht ihres Bruders. Er legte ihr seine Hand auf die Stirn, um zu sehen, ob sie fieberte. Was redete Belfi da nur? Wesen mit Klauen und scharfen Zähnen? Vielleicht Hunde oder ein Bär? Aber die waren weder nackt, noch hatten sie weiße Augen. Das hörte sich wie ein Wesen aus einer Gruselgeschichte aus ihrer beider Kindheit an. Damals, als sie noch klein waren und ihre Mutter ihnen noch vorgelesen hatte. „Hast du Fieber? So etwas, was du da beschreibst, gibt es doch nicht“, meinte Avery sanft und beruhigend, doch sie schlug seine Hand erneut weg. Ein wenig verwunderte es ihn, denn Belfi schlug normalerweise nie nach ihrem großen Bruder und jetzt schon mehrmals? War vielleicht doch etwas passiert? Aber Monster? Sie lebten doch in keiner Märchenwelt. „Soll das heißen, ich lüge? Ich lüge ganz gewiss nicht. Bitte, Avery. Wir müssen hier weg!“ Damit zog sie an seiner Hand. Sollte er ihr etwa folgen? Doch Avery hielt sie auf. Er verstand nicht ganz, was mit seiner kleinen Schwester los war. Für gewöhnlich war sie nur aufgelöst, wenn Gerd wieder grob zu ihr war. Avery mochte den Mann nicht, doch ihr Vater hatte ihn Belfi ausgesucht. Vor allem, dass dieser Gerd doppelt so alt, wie sie war, störte Avery neben der Gewalt am meisten an diesem Mann. Er tat wirklich sein Bestes, um Belfi in ihrer Ehe etwas zu schützen, doch es war gar nicht so einfach. „Beruhige dich. So schlimm wird es nicht sein. Komm, lass uns zurück …“, seufzte Avery und ließ dabei seinen Blick wandern. Mitten im Satz brach er jedoch abrupt ab. Seine Augen wurden immer größer. Was kam ihnen denn da entgegen? Je größer das Etwas beim Näherkommen wurde, desto mehr konnte er erkennen und Vergleiche zu dem ziehen, was Belfi ihm erzählt hatte. Graue und völlig nackte Haut, große Dornen auf dem Kopf. Weiße Augen, die ihnen böse entgegen starrten, selbst die Klauen konnte Avery sehen, als es vor ihnen anhielt. Belfi, die vor ihrem Bruder stand, wich hinter ihn zurück, doch dieser starrte einfach weiter auf das Vieh. Die bösen Augen huschten zwischen den Geschwistern hin und her. Es legte sogar den Kopf schief, bis dessen am Ohrläppchen gespaltenes Ohr die Schulter berührte. War das Ding zu blind? Oder weshalb schaute es so komisch? Es schien zusätzlich verwirrt zu sein, als es die beiden Rotschöpfe erblickte. „Was bei allen Göttern ist das?“, keuchte Avery und stellte sich halb schützend vor seine kleine Schwester. Sie krallte ihre Hände in sein Oberteil am Rücken. Das Wesen, das ein paar Schritte näherkam und sogar einen Bogen dabei beschrieb, behielt er ganz genau im Auge. Avery drehte sich mit und hielt Belfi weiter hinter sich verdeckt. So versuchte es das Geschöpf anders herum. Es wollte tatsächlich seine Schwester. Die Erkenntnis ging Avery durch und durch. Belfi, die sich näher an ihn drückte, hatte es wohl auch erkannt, sodass er die Arme schützend vor ihr ausbreitete. „Verschwinde, was auch immer du bist“, knurrte er der Kreatur laut entgegen, welche ein komisches Geräusch von sich gab. Wollte es ihnen etwas damit sagen? Wenn ja, sollte es mal deutlicher reden. Zusätzlich machte ihm die Situation auch große Angst, doch er musste stark für seine Schwester sein. „Hau ab“, knurrte Avery gleich noch mal hinterher, da es nicht hören wollte und noch näher an die beiden herantrat. Deswegen drückte er Belfi, die hinter ihm stand, mehr und mehr zurück. Er würde seine kleine Schwester vor diesem … Monster, diesem Dämon schützen. Wenige Schritte vor ihnen blieb es stehen und streckte eine seiner Klauen nach den beiden ..., nein, nach Belfi aus, doch Avery schlug sie fort. Empört kreischte es daraufhin auf. Es sollte sich ruhig wagen, seiner kleinen Schwester etwas anzutun. Er würde es fertigmachen. Dass es wütend war, war nicht zu übersehen, doch selber Schuld, würde er behaupten. Avery konnte trotzdem nicht sagen, dass er keine Angst hätte. Denn das wäre gelogen. Ein solches Wesen hatte der Rothaarige einfach noch nie gesehen. So etwas kannte Avery nur aus Horrorgeschichten, die ein paar Jungs aus dem Dorf und er sich mal zusammen ausgedacht hatten. Damals, als sie kleiner waren. Doch dies hier war real und würde gewiss nicht so schnell aufgeben. Schon allein, wie es die beiden aus seinen weißen Augen anstarrte. War es Gier? Bosheit? Listigkeit? Avery konnte es nicht erkennen oder erahnen. Die Augen sagten rein gar nichts aus, als wäre es eine Puppe oder … tot? Ein Schauder kroch durch seinen Körper. Er glaubte nicht daran, dass dies hier vor ihm eine Leiche war, schließlich bewegte es sich. Doch die weißen Augen ließen diesen Eindruck vermuten und die Gefahr, welche von dem Wesen ausging, war ebenfalls zu spüren. Es war einfach unmenschlich und es war beängstigend. Zusammen wichen die Geschwister etwas zurück, dem breiten Bach immer näher. Das Monster folgte ihnen dorthin, bis plötzlich Wind aufkam. Erst kaum zu bemerken, doch er nahm schnell zu und wurde immer kräftiger. Avery korrigierte aus reinem Instinkt ihre Richtung zu dem Baum. Er hatte das Gefühl, bald in einem Sturm zu stehen. Der Wind griff schon nach ihnen, doch sie klammerten sich an dem Baum fest. Im nächsten Moment wurde den beiden schon der Boden unter den Füßen weggezogen und sie hingen waagerecht am Baum. „Halt dich fest Belfi“, schrie Avery seiner kleinen Schwester zu und schlang seinen Arm um ihre Taille, um ihr zusätzlichen Halt zu geben. Er hielt sich, so gut er konnte, am Ast des Baumes fest und sah kurz zu Belfi runter. Deren Gesicht war angsterfüllt. Dann wanderte sein Blick zu dem Etwas herüber, welches die Geschwister wohl genau beobachtete. Es schien von dem Wind nicht betroffen zu sein und hatte einen sehr festen Stand. Mit einem Mal sprang das Vieh laut kreischend auf die beiden zu. Averys Herz schien kurz auszusetzen. So konnte er sie nicht mal beschützen, es nicht abwehren. Seine Hände waren beide schon in Aktion. So ein Mist. Gerade könnte er eine helfende Hand gut gebrauchen. Dem Ding schien der Wind ja auch im Sprung nichts anhaben zu können. Wie war das möglich? Die beiden wurden hier fast weggepustet und der bewegte sich, als wäre gar nichts los. Belfi schrie plötzlich laut vor Angst auf und zu seiner und wohl auch ihrer Verwunderung hielt das Monster noch mal inne, legte den Kopf wieder schief. Dafür aber nahm der Wind immer mehr zu. Es wurde immer schwerer, sich am Baum festzuhalten, doch loslassen kam für Avery nicht infrage, da er nicht austesten wollte, was dann passierte. Egal wie sehr seine Finger schmerzten oder wie viele Splitter er sich einfangen würde. Er durfte unter keinen Umständen loslassen. Sein Blick wurde von dem Geschöpf abgelenkt, als sich das Wasser am Bach zu kräuseln und zu bewegen begann. Dies kam jedoch nicht vom Wind, da das Wasser auch, als der Sturm begonnen hatte, ruhig weiter geflossen war. Über dem Kräuseln erschien plötzlich ein kleiner rötlicher Streifen, welcher sich schnell verbreiterte. Es pulsierte förmlich in einem Dunkelrot. Auch als es sich zu einem Bogen erweitert hatte und am Rand irgendwelche Zeichen zu erkennen waren. Das war doch nur ein Traum, oder? Zu dritt starrten sie auf das Tor, wobei das Monster zu fauchen anfing, sich etwas vorbeugte und die Klauen nach vorne streckte. Wollte es gleich noch mal angreifen? Saßen sie nicht schon genug in der Patsche? Doch erneut wurde Averys Aufmerksamkeit von der Kreatur abgedrängt. In dem dunkelroten Tor stand plötzlich eine Gestalt in einem Umhang. Die Kapuze hatte die Gestalt tief ins Gesicht gezogen. Diese blieb stehen, als sie das Tor verlassen hatte, und schien sich umzusehen. Der Kopf hielt in ihrer Richtung inne und blickte zu den Geschwistern herüber. Ein Gesicht oder gar Augen konnte Avery nicht erkennen. Unter dem Umhang erschien eine Hand mit langen scharfen Klauen, die ansonsten aber menschlich aussah. Die Hand streckte sich in Averys und Belfis Richtung. Durch das Kreischen des Wesens sah Avery hastig wieder zu diesem, doch zu spät. Es hatte sich abgestoßen und raste auf die beiden zu. Es riss ihm Belfi förmlich aus dem Arm. Er war nicht stark genug, um dem Ruck standzuhalten. „Nein, lass mich los. Finger weg“, kreischte sie und schlug nach den Armen, die sie festhielten. Avery versuchte noch nach ihr zu greifen und schrie laut nach ihr. Belfi wurde in Richtung des Portals gezogen, direkt zu dem Umhangtypen. „Loslassen“, brüllte sie und plötzlich ließ das Ding Belfi los. Sie hatte ihm ihren Arm in den Bauch gerammt. Der Wind griff nach Averys Schwester und zerrte sie weiter auf den Bogen zu. Direkt auf den Kapuzenmann, der sie zu erwarten schien und sie mit offenen Armen empfangen wollte. Bevor sie ihn erreichen konnte, rammte das nackte Wesen den Verhüllten zur Seite und Belfi flog an den beiden vorbei. Sie verschwand direkt in dem rot pulsierenden Tor, von welchem dieser Sturm auszugehen schien. Die Dunkelheit verschluckte die Rothaarige. Erneut schrie Avery nach seiner Schwester, streckte seine Hand unnütz in ihre Richtung, doch das Tor schloss sich. Es wurde immer schmaler und schmaler. Nur kurz hörte er sie noch nach ihrem Bruder schreien „AVERY …“ Dann war selbst der letzte schmale Streifen verschwunden und der Wind nahm endlich ab, bis Avery zu Boden fiel. „Belfi, nein“, wisperte er hilflos, sah dann aber wütend zu den beiden Kämpfenden herüber. Wieso hatte er den Baum nicht losgelassen? Wieso hatten es die beiden auf sie abgesehen? Sie hatten niemandem etwas getan. „Was habt ihr mit ihr gemacht? … Wo ist meine Schwester?“, brüllte Avery zornig und musste ausweichen. Die Kapuzengestalt hatte das Monster von sich getreten, direkt über den wutschäumenden jungen Mann hinweg. Eilig erhob sich der Verhüllte und auch das seltsame Geschöpf war geschwind wieder auf den Beinen. Nein, eigentlich landete es nach dem Flug auf eben diesen und kreischte den Kapuzenmann an. Dann sah es aber abrupt zu Avery, sodass er einen Schritt zurückwich. Das Ding ging jedoch auf ihn los. Bevor es Avery erreichen konnte, sah dieser, wie auf der kahlen Kopfhaut der Kreatur eine Klaue auftauchte. Es wurde mit ziemlicher Kraft zurückgerissen. Dabei durchbohrte sich der Kapuzenmann seine Hand wegen der Dornen auf dem kahlen Kopf. Der Unbekannte gab aber keinen Laut des Schmerzes von sich. Er katapultierte das Ungeheuer, mit viel Schwung, ins Wasser und stand mit dem Rücken zu Avery vor ihm. Was wurde hier nur gespielt? Avery war wütend. Sein Körper spannte sich so sehr an, dass es fast schon wehtat. Zusätzlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Die Zähne pressten sich ebenfalls hart aufeinander. „Hey. Ich will wissen, wo Belfi ist“, schrie er den Fremden vor sich an und stieß ihn in den Rücken. Dieser taumelte unvorbereitet nach vorne. Das Monster, das im Wasser gelandet war, nutzte die Chance. Es schoss auf den Taumelnden zu und jagte ihm die scharfen Klauen von oben den Rücken hinunter. Dem Verhüllten blieb keine Zeit mehr, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Er brüllte diesmal wegen der Schmerzen auf, welche die Klauen in ihm auslösten und dessen Haut samt Kleidung zerfetzte. Die schreiende Stimme ließ Avery frösteln. Sie klang so unmenschlich. Vielleicht sollte er sich besser zurückziehen, doch was würde dann aus Belfi werden? Avery wusste nicht, wo man sie hingebracht hatte, geschweige denn, wie er zu diesem unbekannten Ort gelangen konnte. Aber wenn er hier umkam, würde er ihr auch nicht mehr helfen können. Eines stand allerdings fest: Avery würde seine Schwester finden und retten. Zu einem Rückzug kam es nicht. Das Monster war auf ihn zugerannt gekommen und hatte den Rothaarigen umgeworfen. „Verschwinde“, kreischte Avery mit geweiteten Augen und drückte und schlug, um freizukommen. Die weißen Augen bohrten sich in Averys, schienen ihn verschlingen zu wollen. Averys Bewegungen wurden fahriger, als er in den weißen Augen ein Schimmern bemerkte. Was war das? Die Augen waren in einem reinen Weiß und kein Blinzeln unterbrach ihren Blickkontakt. Die Augen strahlten etwas Verzweifeltes aus, als wollten sie ihm etwas sagen. Etwas unendlich Wichtiges. Doch ehe Avery dem auf den Grund gehen konnte, wurde das Ungeheuer von ihm herunter gezerrt und auf den Boden gedrückt. Die Klaue des Unbekannten schwebte über dem Gesicht des Monsters. „Mori!(4)“ Mit diesem gezischten Wort raste die Klaue auf das Geschöpf hinab. Avery konnte nicht mal mehr etwas sagen oder schreien, da hörte er das Knirschen der Knochen, die gespalten wurden. Er sah zu, wie die ganze Hand in dem Kopf verschwand. Es war ein grausamer Anblick. Einer, den er sich noch nie hatte antun müssen. Der Körper der Kreatur erschlaffte, während die Hand wieder herausgezogen wurde. Im vorherigen Gesicht des Scheusals war ein großes Loch. Wie ging das? Knochen müssten doch viel zu hart sein, um sie einfach durchschlagen zu können. Das Ganze ließ Avery förmlich erstarren. Ein eiskalter Schauer rann ihm über den Rücken. Diese Gestalt war eine Gefahr, das hatte er sofort bemerkt, doch jetzt wurde es nur noch deutlicher. Abrupt drehte Avery sich fort und rannte los. Rannte, so schnell er konnte. Die Angst ließ ihn schneller als normal laufen. Der Wind zischte an ihm vorbei. Avery wollte nur weg, und wenn er in Sicherheit war, würde er sich auf die Suche nach seiner Schwester machen. Doch soweit dachte er nicht. Erst einmal musste er hier weg. Eine Klaue schloss sich fest um Averys Oberarm, hielt ihn fest und brachte ihn aus dem Takt. Er konnte den Sturz nicht mehr abfangen und landete hart auf dem Boden. Im nächsten Moment wurde Avery auf den Rücken gedreht und sah in rot schimmernde Augen. Diese bohrten sich in seine. Aus dem Augenwinkel nahm er die zweite Klaue wahr. Sie schwebte, genau wie vor wenigen Minuten beim Monster, nun über ihm. Avery brach der Angstschweiß aus, während seine Augen hin und her ruckten. „Nein, nicht“, hauchte er mit erstickter Stimme, doch da raste die Klaue auf ihn nieder. War das nun sein Ende? Nie hatte er sich vorgestellt, so früh zu sterben. Erst recht nicht durch etwas eindeutig Nichtmenschliches. Nein. Avery wollte nicht sterben und doch sah er die Klaue wie in Zeitlupe auf sich herunter sausen. Nein, er wollte das nicht. Er war doch viel zu jung und Belfi … Avery musste doch seine kleine Schwester retten. Sie hatte sicher gerade große Angst so ganz alleine. „NEIN“, brüllte Avery laut auf und kniff die Augen zusammen. Er wollte das alles nicht mehr sehen müssen. (4) Mori = Stirb Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)