Socii animas von kojikoji (Partnerseelen) ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Socii animas Kapitel eins: Es gab einmal eine Legende. Vor vielen Hunderten von Jahren hatten sich die Menschen, Shiras, Feen, Elfen und viele andere Wesen diese Welt geteilt. Jeder hatte sein Reich. Keiner kam dem anderen zu nahe. Außer auf dem größten Handelsmarkt der Welt. Es gab jedoch ein Volk, das nicht auf der Erde hatte leben dürfen, die Ketas. Sie waren zu machtvoll und alle anderen Völker hatten Angst vor ihnen. Niemand konnte sagen, wie die Ketas genau aussahen oder sich verhielten. Es gab nur Vermutungen und Gerüchte, die sich die Menschen zusammengesponnen hatten, um es ihren Kindern als Grusel-Geschichten zu erzählen. Handfestes gab es nicht über diese Wesen zu sagen, es waren nur Erzählungen, denen niemand Glauben schenkte. Kein Mensch hatte je eine Fee, eine Elfe oder gar einen Ketas gesehen. So etwas gab es nicht. Es gab nur Menschen und Tiere auf der Welt. Irgendwo gewiss auch die Shiras, doch nie hatte man sie gesehen. Sie hielten sich genau wie die Feen und Elfen im Verborgenen, agierten in und aus diesem. Ab und zu hinterließen sie Hinweise auf ihr Leben und ein jeder Mensch war froh, wenn ihnen die geheimnisvollen Wesen halfen. *** An einem Tag, mitten im tiefsten Winter, dem schlimmsten, den diese Welt je erlebt hatte, machten sich wieder viele Menschen auf den Weg in die Handelshauptstadt Utalis. Auch Mina war unter ihnen. Sie war eine braunhaarige Frau mittleren Alters. Ihre Kleidung zeugte von ärmlichen Verhältnissen. An ihrem Leib trug sie dünne Stoffschichten, genäht zu einem Kleid. Zusätzlich kleidete sie ein Mantel, welcher von ihrem verstorbenen Mann herrührte und sie wärmen sollte. An ihren Füßen befanden sich viel zu große, gefütterte Schuhe, die ebenfalls ihrem Mann gehört hatten. Einer dieser Schuhe war vorne zerschlissen, doch Mina hatte diesen, so gut es ging geflickt. Jetzt passte er zumindest an ihren schmalen Fuß. Den anderen hatte sie vorne ausstopfen müssen, damit er ihr nicht verloren ging. Die braune Haarpracht verbarg sie unter einer grauen Kappe. Diese sollte zusätzlich ihre Ohren schützen und wurde unter dem Kinn mit Bändern festgeknotet, damit sie nicht vom Kopf rutschte. Auf ihrem Rücken hatte sie einen Korb geschultert, dieser war mit vielen Dingen befüllt. Ganz unten waren Kräuter und selbst hergestellte Salben. Sie hatte von ihrer Mutter und ihrer Großmutter gelernt, wie man sich die Natur zunutze machte und heilende Salben, Tränke und Gemische herstellte. Über den Heilmitteln lagen Kleidungsstücke aus Wolle. Sie hatte daheim einige Schafe, von denen sie mit der nötigen Wolle versorgt wurde. Doch viel kam nicht zusammen, da die Tiere in dieser kalten Winterzeit auch nicht frieren sollten. So flocht sie aus Schnüren, biegsamen Ästen, Federn, Perlen und gelegentlich auch Stoffstücken, Traumfänger. Mina war auf dem Markt bekannt für ihre schönen Traumfänger und manche Leute kamen nur wegen diesen zu ihr. Viele Münzen bekam sie dafür nicht, doch es reichte zum Überleben. Sie lebte ganz alleine in dem Haus ihres verstorbenen Gatten und musste so nur sich selbst versorgen. Das Glück, ein Kind geschenkt bekommen zu haben, hatte sie bisher nicht. Als Mina aufsah, erblickte sie vor sich eine hohe Mauer, welche die Handelshauptstadt umgab. Utalis wurde so vor unwillkommenen Eindringlingen geschützt. Die Menschen kamen nur mit einem Handelsschein in die Stadt oder mit einem Papier, das sie als hohe Persönlichkeiten auszeichnete. Zu denen gehörten Adlige und Priester. So betrat Mina mit ihrem Handelsschein und ihrem schweren Korb den Vorplatz vor der Brücke, wo Karren und Menschen in Massen standen. Sie alle wollten hinein, sodass sich Mina einreihte. Sie trat über die heruntergelassene und massive Brücke auf die Soldaten zu. Diese blickten wie jedes Mal wachsam auf den Schein und ihr ebenso skeptisch nach, als sie weitergehen durfte. Anfangs hatte Mina sich unwohl gefühlt. Ihre Hände waren feucht geworden und ihr Bauch hatte unruhig rumort, doch jetzt ignorierte sie die misstrauischen Blicke. Sie lächelte den Wachen freundlich entgegen und ging an den ersten Häusern vorbei. Die Straßen waren sauber und frei von Unrat, was man von den Gassen nicht behaupten konnte. Von dort roch es streng nach allen möglichen Dingen. Von verfaulten Lebensmitteln bis hin zu Urin war alles dabei. Mina war froh, keiner der Menschen zu sein, die in diesen Gassen nach Unterkunft und Nahrung suchen mussten. Die Straße, auf welcher sie und viele andere gingen, wurde breiter und die ersten Stände kamen in Sicht. Von Nahrungsmitteln über allerlei Sachen aus Ton bis hin zu Kleidung und anderen Handelswaren konnte man hier alles finden. Auch Ware von fremden Kontinenten und exotischen Kulturen wurden angeboten. Sie hatte mal schwarze Menschen gesehen, ebenso Menschen in teuer aussehenden Stoffen und Mänteln. Einmal sogar eine Frau mit drei roten Flecken auf der Stirn. Mina kannte sich mit fremden Kulturen und Menschen nicht sehr gut aus, doch das musste sie nicht. Durch ihre liebenswerte Art hatte sie noch immer gut mit anderen reden und verhandeln können. So machte sie sich auf den Weg zu ihrem angestammten Platz, welcher diesmal jedoch besetzt war. Ein ruppig aussehender Mann hatte sich auf ihrem sonst nicht sehr begehrten Platz an der Ecke einer Straße niedergelassen. Er bot Hufeisen und andere metallene Gegenstände an. „Willst' was kaufen, Mädchen?“, fragte der Mann mit einer knurrigen Stimme, doch Mina schüttelte den Kopf. „Nein, doch ich saß hier immer, um meine Ware feilzubieten“, sprach Mina mit klarer, sanfter Stimme. Sie mochte den Mann jetzt schon nicht und wurde in ihrer Vermutung, dass er kein freundlicher Mann war, bestätigt. „Da bist du wohl zu spät. Jetzt sitze ich hier. Mach, dass du fortkommst, du verscheuchst mir die Kundschaft“, knurrte der Mann befehlend. Mina ging wenige Schritte rückwärts und stieß mit einer anderen Person zusammen und brachte diese sogar zu Fall. Erschrocken drehte sich Mina um. Sie hatte noch den spöttischen Blick des ruppigen Verkäufers gesehen, doch jetzt richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf den umgestoßenen Mann. „Entschuldigen Sie meine Ungeschicklichkeit, haben Sie sich etwas getan?“, entschuldigte sie sich. Sie sah ihn fragend an und reichte dem Fremden in seiner edel wirkenden Kleidung die Hand. Sie rechnete nicht damit, dass ein solcher Mann die Hand annahm, doch zu ihrer Überraschung tat dieser es doch. Ihr aufgeregtes Herz beruhigte sich nur langsam wieder und ihre Gedanken ließen sich auch in geordnete Bahnen lenken. So zog sie den Mann auf die Beine. Ihr Blick fiel dabei kurz auf die behandschuhte Hand und wanderte dann an dem feinen schwarzen Gewand nach oben. Das musste ein Vermögen wert sein. Mina fühlte sich eindeutig etwas unwohl und kleiner. Selbst die Kette um seinen Hals sah mehr als wertvoll aus. Sie zeigte ein Kreuz, gefertigt aus weinroten Steinen. Mina schaute höher und traf auf zwei unnatürlich rot schimmernde Augen. Sie waren faszinierend, sodass Mina länger als beabsichtigt hinsah. Sie wollte ihre Hand lösen, doch der Griff wurde fester und sie wurde festgehalten. Ihr Blick wurde verwirrter und ihr Pulsschlag nahm urplötzlich zu. „Würden Sie mich bitte wieder loslassen?“, fragte Mina höflich lächelnd und sah erneut in die rötlichen Augen. Sie schienen sie durchleuchten zu wollen und brachten ihren Herzschlag nur noch mehr in Wallung. Erst jetzt bemerkte sie die Kapuze, welche recht tief ins Gesicht gezogen worden war und den Blick auf das restliche Gesicht verwehrte. Die Gesichtskonturen waren zu undeutlich um Genaues erblicken zu können. Mina legte leicht den Kopf schief, versuchte den Blickwinkel zu ändern, doch dann sprach der Fremde endlich. „Potest vobis auxilium me? (1)“ Kühl und dunkel. Eine Sprache, die sie nicht verstand, da sie nur ihre eigene beherrschte. Sie hatte noch keinen auf dem Markt so reden hören. Nicht mal annähernd. Aber vielleicht war sie auch nicht aufmerksam genug gewesen. Sie wusste es nicht und schluckte einmal hart. „Entschuldigen Sie, ich verstehe Sie nicht“, kam es von Mina, die sich erneut lösen wollte und es diesmal auch schaffte. „Verzeihen Sie.“ Sie verneigte sie sich kurz, wie es sich für eine Frau ihres Standes, gehörte. Dann aber wendete sie sich ab und ging einen neuen Platz suchen. Schließlich musste sie heute noch etwas von ihrer Ware verkaufen. Sie brauchte das Gold viel zu dringend, um darauf zu verzichten. Ein ungewöhnlicher Mann. Kurz sah Mina über die Schulter zurück, doch er war verschwunden. Wirklich ungewöhnlich. Unbewusst legte sie sich eine Hand auf ihre Brust und spürte ein leichtes Ziehen. Nur kurz, dann widmete sie sich wieder dem eigentlichen Grund ihres Hierseins. Sie fand zu ihrem Glück noch eine Stelle, wo sie sich niederlassen konnte und ihrem Geschäft nachkam. Den Tag über fühlte sie sich ganz komisch. Das lag gewiss daran, dass sie heute nicht auf ihrem Stammplatz saß. *** Es wurde spät und die Straßen hatten sich geleert. Die Käufer und einzelne Verkäufer hatten sich auf den Heimweg gemacht. Sie sahen einfach keinen Sinn mehr darin, jetzt wo es dunkel wurde und ein jeder Heim ging, noch ihre Waren feilzubieten. Auch Mina packte ihre Sachen zurück in den Weidenkorb. Diesen schulterte sie auf ihren Rücken und machte sich auf den Weg nach Hause. Die Straßen der Stadt wurden nur spärlich von Ölstraßenlampen erhellt, doch es reichte, um den Weg zu finden und in keine nächtlichen Gestalten hineinzulaufen. Als Mina Utalis verließ, sah sie an der letzten Laterne noch jemanden stehen. Die Person schien auf jemanden zu warten. Mina hielt einfach den Kopf geradeaus, um sich besser auf ihren Weg konzentrieren zu können. Egal wie oft sie hier abends vorbeikam, solche Anblicke ließen sie nicht kalt. Die fremde und spärlich beleuchtete Person interessierte Mina aber dennoch nicht. Sie marschierte an ihr vorbei, so wie jedes Mal wenn sie abends von Utalis heimkehrte und eine unheimliche Gestalt an der letzten Laterne stand. Dass diese ihr folgte, bemerkte Mina anfangs nicht. Erst als sie schon ziemlich weit von der Handelshauptstadt entfernt war, versuchte sie das Gewicht des Korbes etwas besser zu verteilen. Sie sah dabei über ihre Schulter und nahm die Person hinter sich wahr. Kurz wurde sie etwas unsicher, wendete den Kopf nach vorne und ging weiter. Ein leicht flaues Gefühl im Magen stellte sich ein. Sie hoffte, dass die Gestalt hinter ihr bald einen anderen Weg einschlagen würde. Dem war aber nicht so. Mina fühlte sich die ganze Zeit, den gesamten Weg über verfolgt und ihr wurde langsam aber sicher, immer unbehaglicher zumute. Das flaue Gefühl entwickelte sich zu einem unruhigen Rumoren. Nach einer Weile blieb sie abrupt stehen und drehte sich um. Der Verfolger war ebenfalls stehen geblieben. Der Abstand war zu groß, um mehr erkennen zu können, aber gering genug, um ihr Unwohlsein zu schüren. „Was wollen Sie? Wieso verfolgen Sie mich?“, fragte Mina. Sie versuchte, ihre Unsicherheit zu unterdrücken und rückte den Korb erneut auf ihren schmalen Schultern zurecht. Einfach um sich etwas von ihrer Furcht abzulenken. Ihr Gegenüber legte den Kopf auf die Frage hin schief, fast als wolle er versuchen, sie zu verstehen. Das schien aber nicht der Fall zu sein und so kam die Person langsam näher heran. Mina verkrallte ihre feucht werdenden Finger in den Tragegriffen ihres Korbes und wich einen Schritt zurück. War das ein Überfall? Aber warum folgte die Person ihr schon seit einer ganzen Weile? Seit sie die Stadt verlassen hatte, war sonst niemand in der Nähe, der sie hätte schreien hören können. Wieso verfolgte die Gestalt sie? Bevor sie aber erneut fragen konnte, trat die fremde Gestalt an ihr vorbei und stellte sich hinter sie. Rücken an Rücken. Nachdem sie ihre Starre überwunden hatte, drehte sie sich schnell um und trat an ihm vorbei, sodass sie wieder vor ihm stand. Sein Gesicht unter der Kapuze konnte Mina dennoch nicht erkennen. Im nächsten Moment wurde sie wieder hinter seinen Rücken geschoben. Die Berührung dauerte nur kurz, ließ die Frau allerdings erschaudern. Minas Blick wurde verwundert, als der Fremde seine Arme schützend ausbreitete. Sie sah über diese und erkannte in der Dunkelheit weitere Umrisse. Sie waren klein, wie Kleinkinder. „Was soll das?“, fragte Mina mit einem Hauch Angst in der Stimme, wich zurück und wollte flüchten. Doch sie kam nicht weit. Auch hinter ihr hatten sich diese kleinen Gestalten in einem Kreis um sie beide herum positioniert. Wo kamen die alle so plötzlich her? Mina hatte nichts gehört und konnte auch nirgendwohin zurückweichen. Den schweren Korb auf ihren Schultern ignorierte sie mittlerweile vollkommen. Die kleinen Gestalten zogen den Kreis um sie beide langsam enger, sodass Mina zu ihrem Verfolger zurückwich, bis sie an diesen stieß. Mina spürte, wie die Furcht noch mehr als zuvor von ihr Besitz ergriff. Es war, als stünde ihr Körper unter Strom und auch das unruhige Gefühl in ihrem Bauch nahm zu. Die Hand, die unter dem Umhang des Unbekannten hervorschoss und nach ihrem Oberarm griff, schob Mina hinter dessen Rücken. In der anderen Hand fing es dafür an zu glühen. Mit großen Augen sah Mina zu, wie aus dem Glühen ein Flackern und daraus eine kleine Feuerflamme entstand. Wie ging das? Hexenwerk? Zauberei? Dunkle Magie? Mina ging in die Hocke und versuchte, sich ganz klein zu machen. Ihr Verfolger warf die Flammen auf ein paar der Wesen und erhellte somit deren Gesichter und Körper. Es waren kleine, teufelartige Geschöpfe mit großen Fledermausohren und Hörnern auf dem Kopf. Sie hatten große, tränende Glupschaugen, Zähne, welche über die Lippen hervorstanden und ziemlich scharf schienen. Die hakenförmigen Nasen sahen aus, als wären sie mindestens zwei Mal gebrochen. Der Körper war gekrümmt wie der einer alten, buckligen Frau und erschien so dürr, dass man denken konnte, dass die Haut einfach über die Knochen gezogen worden war. An den Händen und Füßen konnte sie dolchartige Klauen erkennen. In diesem Moment erlosch die Flamme. Diese war wohl nur zum Erleuchten gewesen oder eine Warnflamme, da die Monster, wie Mina sie gedanklich nannte, nur quietschend zurückgewichen waren. Wenige Sekunden später trauten sie sich allerdings wieder trippelnd näher heran. Minas Augen waren geweitet. Noch nie hatte sie solche Wesen gesehen. Die erneut entstehende Flamme in der Hand des Unbekannten wurde diesmal gezielter und kräftiger geworfen. Das Feuer erwischte eines der Kreaturen, welches nicht schnell genug ausweichen konnte und verbrannte es unter grausam quietschenden Schreien bei lebendigem Leibe. Dafür stürzten sich die anderen Biester mit ausgefahrenen Klauen auf sie beide. Mina schrie vor Furcht und verschränkte hastig die Arme über ihrem Kopf. Sie versuchte sich vor den Angreifern zu schützen, doch es kam nichts. Zögernd öffnete sie die Augen und sah, wie ihr Verfolger gegen die Monster kämpfte. Einen schlug er weg. Den anderen verbrannte er, wie den Ersten. Ein weiterer sprang auf seinen Rücken, wurde dort aber augenblicklich heruntergezerrt und fortgeschleudert. Die ganze Zeit gab ihr verfolgender Retter keinen Laut von sich, dabei musste er mindestens einmal verletzt worden sein. „Aaaahh“, schrie Mina unter Schmerzen auf, als plötzlich eines der Wesen an ihrem Arm hing und sich dort festkrallte. Es hatte die spitzen Klauen in ihre Haut gerammt und sah heimtückisch zu ihr auf. Minas Verfolger drehte sich abrupt zu ihr herum und packte das Biest am Kopf. Die anderen kleinen Monster nutzten die Chance der Unaufmerksamkeit sofort aus und warfen sich auf ihn. Sie versuchten ihn zu zerkratzen, ihm die Augen auszustechen und sich an ihm festzubeißen. Er zog jedoch nur das Ungetüm von Mina, was tiefe Kratzer in ihrem Arm zur Folge hatte. Mina hielt sich den zerschundenen Arm und versuchte die Blutung zu stoppen, indem sie fest auf die Wunde drückte. Der Anblick der kleinen Bestien, die sich allesamt auf die verhüllte Gestalt stürzten, lenkte sie jedoch von ihrem Tun ab. Der Unbekannte krümmte sich unter dem Ansturm, doch dann gingen mit einem Mal alle Monster in Flammen auf und verendeten jämmerlich quietschend. Regungslos blieb der Sieger auf dem Boden hocken, sodass Mina ihn beobachten konnte. Sie presste sich ihren verwundeten Arm fest an den Körper und erhob sich, um vorsichtig näher an ihn heranzutreten. Sie streckte zögerlich ihre Hand nach der fremden Gestalt aus. „Ist … ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sind Sie verletzt?“, erkundigte sie sich mit brüchiger Stimme und berührte zaghaft seinen Arm. Abrupt drehte er sich um, wobei die Kapuze, die schon während des Kampfes immer weiter gerutscht war, ganz vom Kopf herunterfiel. Mina erkannte im Dunkeln und vom Mondlicht beschienen, ein markantes Gesicht. Die Augen des Mannes waren wirklich rot. Mina fragte sich nicht, wie das sein konnte, sondern nahm es hin. Der Mann hatte sie schließlich gerade gerettet, auch wenn sie nicht wusste, wovor. Solche Monster hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie blickten einander für ein paar Sekunden in die Augen, was Mina wie eine kleine Ewigkeit vorkam. Dann senkten sich die roten Augen auf ihren Arm. Vor Minas Augen riss er ein Stück Stoff, aus seinem gewiss teurem Umhang heraus und verband die Wunde. „D… danke“, haspelte Mina, als er sie losließ. Die Angst ließ endlich nach und auch ihr Magen beruhigte sich wieder. Der Mann sah sie wieder an und sprach in einer Mina nicht bekannten Sprache. „Ich verstehe Sie nicht“, antwortete sie hilflos. Der Mann trat jedoch einfach näher und nahm ihr den Korb von den Schultern. Diesen hatte Mina schon ganz vergessen gehabt. Verwundert sah sie zu, wie er sich den Korb auf den Rücken schob und Mina dann erwartungsvoll ansah. Wollte er jetzt mit ihr mit? Mina war sich unsicher, ob sie das zulassen sollte, doch er hatte sie beschützt und wer wusste, ob der Mann nicht auch verletzt vom Kampf war. Mina bekam jetzt schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie daran dachte, ihn hier stehen zu lassen. Also ergab sie sich ihrem Schicksal und ging vor. Der Fremde folgte ihr und ging wenig später direkt neben ihr her. Mina schielte kurz zu ihm hinüber. Der Mond erhellte die Nacht heute nicht sehr gut. Schweigend gingen sie den Weg nebeneinander her, bis Mina nach gut einer Stunde Fußmarsch von Weitem ihr kleines Häuschen erblickte. Es war nicht im besten Zustand und im Winter war es ziemlich kalt im Haus. Doch es war das, was ihr Mann ihr hinterlassen hatte. „Kommen Sie“, wies sie ihren Retter mit einer einladenden Geste an. Sie öffnete die Tür und ließ ihn ins Innere. Er musste sich beim Eintreten ein wenig ducken, um nicht an den Türbalken zu stoßen und stand dann mitten im Vorraum. Mina schloss hinter ihnen die Tür, huschte an ihrem Gast vorbei und entzündete im Haus ein paar Öllampen. Feuerholz hatte sie nicht mehr im Haus. Das würde sie erst wieder hacken müssen. Mit einer Lampe, die mit einer leuchtenden Kerze versehen war, kehrte sie zu ihm zurück. Das Wachs war bereits bis auf einen winzigen Stummel heruntergebrannt. Mina stellte die Laterne auf ein wackliges Schränkchen neben dem Eingang und half dem Mann den Korb abzunehmen. Die Wunde am Arm schmerzte sofort wieder. Sie hatte es auf dem Heimweg, während sie in Gedanken war, fast vergessen gehabt. Doch sie ignorierte es. Kurz zögerte sie, bat ihn dann aber ganz ins Haus. Dafür nutzte sie einladende Gesten, da sie der Sprache des anderen nicht mächtig war. Er schien sie zu verstehen, denn er folgte ihr. Er sah sich um und nahm auch das noch so kleinste Detail in sich auf. Mina hingegen trat neben ihn und streckte die Hand nach seinem Mantel aus. Der Mann schnappte jedoch abrupt ihre zugreifende Hand und hielt sie fest, als sie zurückzucken wollte. „Ich wollte nur ihren Mantel abnehmen“, versuchte Mina sich verständlich zu machen und zupfte mit der freien Hand an besagtem Kleidungsstück. Kurz noch ruhte der Blick misstrauisch auf ihr, doch er ließ sie los und entledigte sich seines Mantels. Diesen nahm Mina lächelnd entgegen und hängte ihn weg. Für einen Augenblick hatte sie seine Kleidung mustern können. Sie sah edel und teuer aus und fühlte sich weich an. Sicher war er ein Adliger oder gut verdienender Geschäftsmann, auch wenn sie die Augen stutzig machten. Als sie zurückkam, eilte sie direkt an ihrem Gast vorbei in ihre kleine Küche. Dort setzte sie Wasser auf und füllte Kräuter in ein Sieb, welches sie in dem Teekessel, mit kochendem Wasser übergoss. Sie ließ das Getränk nicht sehr lange ziehen, um ihren Gast nicht zu sehr warten zu lassen und goss es in zwei Tassen. Mit dem Kräutertee kam sie wieder ins Wohnzimmer und reichte dem Retter eine der Tassen. Er nahm diese zwar an, beachtete sie aber nicht weiter und stellte sie auf den niedrigen Tisch im Wohnbereich ab. Der Tisch war sehr rustikal, auch wenn bereits Dutzende Kratzer und Dellen ihre Spuren hinterlassen hatten. „Zaran.“ Mit diesem Wort hob er die Hände und legte sie auf seinen Oberkörper. Mina sah ihn etwas verwirrt an. Was wollte er ihr sagen? „Zaran“, wiederholte er erneut und machte die gleiche Geste, deutete dann aber fragend auf Mina. War das vielleicht sein Name? Zaran? „Mina.“ Damit deutete sie auf sich selbst. „Mina … Zaran.“ Kurz zeigte er auf sie und dann auf sich, wohl, um sicherzugehen. Mina nickte zustimmend und nippte an ihrer Tasse, welche oben am Rand schon gesprungen war. So musste sie etwas vorsichtig sein, um sich nicht die Lippen aufzureißen. Sie kam sich komisch vor, auf diese Art und Weise mit dem Fremden zu sprechen, doch da sie seiner Sprache nicht mächtig war, blieb ihr nichts anderes übrig. Mina versuchte, Zaran im schwachen Kerzenschein zu mustern, was sie draußen in der Dunkelheit nicht gekonnt hatte. Viel war es jedoch nicht, da es auch hier drin nicht hell genug war. Ein markantes Gesicht mit einem schmalen Kinnbart. Er hatte eine reine Haut, nicht so wie viele andere Menschen, die sie bisher getroffen hatte. Narben, Pickel oder andere Hautunreinheiten waren bei Zaran nicht erkennbar. Aber vielleicht sah es bei Tageslicht auch ganz anders aus. Das Haar ging ihm bis knapp zu den Schultern und hatte einen weinroten Farbton. Dunkler als das Rot seiner Augen, was sie kurzzeitig gefangen genommen hatte. Zaran schien den Blick auf sich zu spüren und trat näher. Mina klammerte sich an ihre Tasse, doch die wurde ihr aus der Hand genommen und zur Seite gestellt. Sie wich einen Schritt zurück und stieß mahnend Zarans Namen aus. Besagter hielt kurz inne. Dann aber legte er ihr beide Hände auf die Wangen und sah ihr tief in die Augen. Mina konnte eine angenehme Wärme spüren, die von seinen Händen ausging und sie kurzzeitig schwachmachte. Er hatte wohl seine Handschuhe ausgezogen, während sie in der Küche gewesen war. Sie war versucht, sich in die warmen Hände zu lehnen und es zu genießen, doch verbat sie es sich strikt. Eben jene Hände machten sich selbstständig und lösten die Schnüre ihrer Kappe, die sie den ganzen Tag bereits getragen hatte. Ihre Kopfbedeckung verschwand und gab ihr braunes Haar frei, welches in weichen Wellen über ihre Schultern fiel. Mina wusste nicht, was sie von alledem halten sollte und das spiegelte sich auch in ihren grünen Seelenspiegeln wider. Zaran sah ihr die ganze Zeit in die Augen, was eine leicht hypnotische Wirkung zu haben schien. „Auu“, japste Mina plötzlich auf und ihre Hand ruckte zu ihrem rechten Ohr nach oben. Von dort war der plötzliche Schmerz gekommen. Irgendetwas steckte in ihrem Ohrläppchen, was sie herausziehen wollte. Doch Zaran hielt sie auf. „Lass es drin, dann können wir miteinander reden.“ Kühl und dunkel klang die Stimme, als würde ein Eisberg mit ihr sprechen. Mina blickte deswegen erstaunt auf und in die roten Augen, die im Licht der Laterne etwas zu flackern schienen. „Was haben Sie gemacht? Wieso kann ich Sie verstehen und wer sind Sie?“, fragte Mina verunsichert über diese plötzliche Wendung. „Wie bereits erwähnt, ist mein Name Zaran. Verstehen kannst du mich, weil ich dir einen Snapclip angesetzt habe“, erklärte Zaran ruhig und kühl, während er sich abwendete und die Tasse mit Kräutertee, die er vorher abgestellt hatte, wieder hochnahm und daran nippte. „Ein Snapclip?“, fragte sie verwundert nach und bekam ein knappes Nicken. Zaran streckte Mina die Hand entgegen und öffnete sie. Darauf sah sie im Flackerlicht der Laterne etwas kleines Rundes. Sie beugte sich näher und erkannte an einer der Seiten eine Öffnung mit scharfen … Zähnen. Es waren wirklich Zähne und auf der Oberseite knapp über den Zähnen, sah sie zwei gelbe Punkte, die auf und zu gingen. Augen? Und so etwas hatte sie jetzt am Ohr? Sie wurde blass. „Aber was wollen Sie von mir?“, wollte sie wissen und sah wieder auf. Zaran schien der Tee nicht zu schmecken, da er die Tasse erneut wegstellte, ohne wirklich einen Schluck getrunken zu haben und die sehr schmalen Lippen verzog. „Ich bin auf der Suche nach etwas und ich bin mir sicher, dass ich es in deiner Nähe finden kann“, antwortete er ruhig, während er einen Schritt näherkam. Mina gefiel das nicht, sodass sie zurückwich und Zaran, dies respektierend, stehen blieb. „Ich wüsste nicht, was ich in Besitz habe, dass jemand wie Sie suchen könnte.“ „Quaero secundum dimidium animae(2)“, sprach Zaran, was jedoch nur Verwirrung bei der Frau auslöste. Sie verstand ihn nicht, was wohl daran lag, dass er einen selbst für den Snapclip fremden Dialekt benutzte. Anders konnte es sich Mina nicht erklären und dennoch fragte sie: „Wie bitte?“ Zaran jedoch schüttelte nur den Kopf. „Schon gut. Hättest du vielleicht ein Nachtlager für mich? Es ist schon ziemlich spät“, erkundigte sich Zaran und kurz schien Mina noch zu zögern, nickte dann aber. Sie glaubte irgendwie nicht, dass von diesem rotäugigen Mann Gefahr für sie ausging. „Kommen Sie. Ich zeige Ihnen das Gästezimmer.“ Mit dieser Aufforderung ging sie an dem massiven Tisch mit zwei Stühlen vorbei. Durch einen angrenzenden und niedrig hängenden Türrahmen und weiter durch einen kurzen Flur. Sie öffnete die zweite Tür und ließ Zaran an sich vorbei eintreten. Damals hätte es ein Kinderzimmer werden sollen. Da Mina jedoch nie Kinder bekommen hatte, hatten sie und ihr Mann es zu einem Gästezimmer umfunktioniert. Die einzigen Gäste waren Minas Schwiegereltern gewesen, welche sehr streng waren und sie nicht mochten, gerade weil sie noch keinen Nachwuchs in die Welt gesetzt hatte. „Machen Sie es sich gemütlich. Mit einem Abendessen kann ich heute nicht mehr dienen“, entschuldigte sie sich und strich sich ein paar braune Strähnen zurück. „Ich benötige nichts. Ich wünsche eine geruhsame Nacht“, gab Zaran zurück, als würde es ihn nicht stören. Vielleicht störte es ihn auch wirklich nicht. So genau konnte Mina das nicht sagen, auch wenn Reisende zumeist immer hungrig waren. „Das wünsche ich Ihnen ebenso“, antwortete Mina, verließ das Gästezimmer, schloss die Tür und lehnte sich daneben an die Wand. Was hatte sie sich da nur eingebrockt? Zaran hatte sie gerettet, doch er war ein Fremder. Sie hatte ihn heute das erste Mal getroffen, aber etwas faszinierte sie an ihm. Er erschien ihr sehr geheimnisvoll. Was verbarg dieser Mann? Wer genau war er und woher kam er? Vielleicht war er ein wohlhabender Geschäftsmann oder ein edler Lord? Wenn sie sich die Kleidung ins Gedächtnis rief, glaubte sie gar nicht so falsch zu liegen. Es würde trotz allem nichts daran ändern, dass er fremd und seltsam war. Kurz ließ sie ihre Hand zum noch immer puckernden Ohr nach oben wandern, wo sie diesen Snapclip spürte. Wenn sie daran dachte, dass sich die Augen davon bewegt hatten, und dass es Zähne waren, die sich in ihr Ohr gruben, erschauderte Mina. So nahm sie das Ding ab. Durch bloßes Ziehen klappte es nicht, als sie jedoch mit zwei Fingern an jeder Seite zudrückte, öffnete es brav das Schnappmaul und gab ihr Ohrläppchen frei. Sie legte es sich flach auf die Handfläche und betrachtete es im Dunkeln. Doch es war nicht viel mehr zu sehen, was sie zuvor nicht auch schon gesehen hätte. Entschieden ging sie auf ihr Zimmer und legte sich zur Nachtruhe in ihr Bett, auch wenn sie die halbe Nacht wach lag. Sie hatte schon ewig keinen Gast mehr gehabt und es beunruhigte sie. Vielleicht sogar mehr, als sie in diesem Moment wahrnahm. Am nächsten Morgen wurde Mina wie immer früh, weit vor Sonnenaufgang, wach, um ihrer Arbeit nachzukommen. Sie hatte viel zu tun, da sie neben den üblichen Dingen auch die Arbeiten übernehmen musste, die ihr verstorbener Mann ihr hinterlassen hatte. Reparaturen am Haus, Ernten in ihrem großen Garten, Traumfänger herstellen, den alten Klepper und die Schafe füttern und deren Boxen reinigen, kochen und noch einiges mehr. Am liebsten wäre Mina im Bett liegen geblieben, doch sie beschwerte sich nicht. Es hätte sie auch schlimmer treffen können. Eigentlich setzte man Witwen auf die Straße, wenn der Gatte verstorben war. Doch Mina konnte trotzdem die fälligen Steuern bezahlen. Zum Glück waren sie nicht sehr hoch, doch für dieses Gold musste sie schuften. Also erhob sie sich aus dem Bett und zog sich ihre einfache Kleidung über, um sich dann nach draußen vor das Haus zu begeben und sich in einer Holzwassertonne das Gesicht zu waschen. Die zweite Wassertonne daneben war für das Kochen gedacht. Erfrischt, aber frierend wegen der kalten Jahreszeit, betrat sie das Haus, um ein schlichtes Frühstück einzunehmen. Danach wollte sie nach ihrem Gast sehen, doch Zaran war zu ihrem Erstaunen schon wach. Sie begegnete ihm im Flur auf dem Weg in die Küche. „Bonum mane(3)“, sprach er auch direkt zu ihr und Mina fiel ein, dass sie am Vorabend den Snapclip vom Ohrläppchen genommen hatte. Dies bemerkte auch ihr Gast. Also lief Mina noch einmal auf ihr Zimmer und holte das skurrile Schmuckstück, das ihr Zarans Worte übersetzen würde. Zurück bei ihrem Gast zögerte sie es an ihr Ohr zu setzen und blickte zu dem Mann auf, welcher eineinhalb Köpfe größer war. Dann aber fasste sie sich ein Herz und setzte es an. Wieder gruben sich die spitzen Zähne in ihr Ohrläppchen, was einen feinen Schmerz verursachte und sie zusammenzucken ließ. „Du solltest ihn besser dran lassen, dann vergisst du ihn nicht jeden Morgen und verstehst mich auch“, setzte Zaran erneut an, was Mina aufmerksam lauschen ließ. „Jeden Morgen? Was soll das heißen?“, fragte sie nach und ging in die Küche, um für ihren Gast ein kleines Frühstück zu bereiten. Sie holte Brot hervor, welches sie vor drei Tagen gebacken hatte und ein stumpfes Messer. Vielleicht sollte sie es endlich einmal schleifen lassen. Doch dafür hatte sie kein Gold und einen Schleifstein besaß sie nicht. Mit dem Messer und viel Kraft schnitt sie Scheiben von dem schon harten Brot ab. „Das soll heißen, dass ich noch etwas hier bei dir bleiben werde.“ Die Antwort ließ Mina erschauern und sie drehte sich langsam zu ihm um. „Hier bleiben? Aber weshalb? Und wie lange?“ „Ich sagte doch, dass ich etwas suche und sei ohne Sorge, ich werde mich die Zeit über nützlich machen“, antwortete er, trat neben sie und nahm ihr das Messer aus der Hand. Mina ließ das nur widerwillig geschehen. Ein Fremder mit ihrem Messer, war nichts, was sie beruhigte, auch wenn es nur eine stumpfe Waffe abgeben würde. „Und wie lange gedenken Sie, werden Sie bleiben?“, verlangte Mina zu wissen und beobachtete, wie Zaran ihr den Rücken zudrehte und irgendetwas mit dem Messer machte. Was tat er da? Mina versuchte, um ihn herum zu sehen, indem sie etwas zur Seite trat, doch da drehte er sich wieder zu ihr und reichte das Messer zurück. Dies erschien irgendwie anders, doch sie nahm es zurück und drehte es leicht. Dann fiel es ihr auf: Die Klinge war scharf. Doch wie hatte Zaran das in der kurzen Zeit ohne Hilfsmittel geschafft? Vielleicht ja genauso, wie er das mit dem Feuer in der vergangenen Nacht geschafft hatte. „Wer oder was sind Sie?“, fragte sie deswegen ernst und blickte in die rötlich schimmernden Augen. Jetzt, wo sie genauer hineinsah, nahm sie sogar eine Art Flackern darin wahr. Als würde ein wildes Feuer in seinen Augen brennen. Zu ihrer Verwunderung spürte sie keinerlei Angst mehr vor ihm. Etwas Unruhe, die man ihr aber nicht verübeln konnte. „Ich bin Zaran. Was ich bin, erzähle ich dir vielleicht ein anderes Mal. Aber sei dir gewiss, ich bin keine Gefahr für dich“, antwortete er ruhig, was Mina seufzen ließ. „Ich bin mir nicht sicher“, gab sie hin und her gerissen preis. Normalerweise war sie sehr gastfreundlich, doch dieser Mann ließ sie unsicher werden. Trotz dieser Eigenart mit dem Feuer und der plötzlichen Schärfe des Messers schien keine Gefahr von ihm auszugehen, was sie verwirrte. Zaran schwieg. „Nun gut. Bleiben Sie noch ein bisschen.“ Sie lächelte ihm zu und hoffte die richtige Entscheidung getroffen zu haben. *** Zaran blieb fast zwei Wochen bei Mina und half ihr, wo er konnte. Mina verlor in den ersten Tagen langsam ihre Scheu vor dem Mann und lachte auch öfter, wenn Zaran ein Missgeschick passierte. Dieser schien manche Arbeiten nicht zu kennen, doch er gab sich große Mühe und renovierte sogar Minas Haus. Natürlich nach ihren Anweisungen. Die beiden kamen sich dadurch näher, wobei in Mina Gefühle aufkeimten, die sie zuvor noch nicht erlebt hatte. Die Ehe mit ihrem verstorbenen Mann war arrangiert gewesen und hatte nichts mit Liebe zu tun gehabt. Sie hatten die Liebe auch in den Jahren danach nicht füreinander entdecken können. Doch für Zaran schienen die Gefühle aus irgendeinem Grund entflammt zu sein. Mina genoss seine Anwesenheit und Nähe immer mehr und bemerkte, wie hinter dessen kühler Art Leben steckte. Erst war es nur seine Art ihr Hilfe anzubieten, dann waren es freundliche Worte, bis er ihr sogar ein Lächeln schenkte. Ein Lächeln, in welches sich Mina auf den ersten Blick verliebt hatte. Am Morgen des zwölften Tages, als Mina für sich Essen machte, erschien ihr Zaran etwas seltsam. Dieser aß außer gelegentlich frischen Früchten nie etwas. Mina hatte sich erst gewundert, doch er erklärte ihr, dass er das Essen aus dieser Gegend nicht sonderlich gut vertrug und auch ein bis zwei Wochen ohne aushielt. Früchte hatte er sich draußen selber besorgt, da Mina derzeit keine im Haus hatte. Mina war verunsichert. Wie konnte jemand so lange ohne ein vernünftiges Essen aushalten? Man benötigte doch mehr als nur ein paar Früchte zum Leben. Doch er bewies es ihr. An diesem Morgen war Zaran noch blasser als üblich und er hatte starke Ringe unter den schönen roten Augen. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Mina, die schon am zweiten Tag vom Sie auf das Du umgesprungen war. Auch hatte sie den Snapclip seit diesem Tag nicht mehr vom Ohr genommen, um Zaran jederzeit verstehen zu können. Eben dieser blickte zu ihr auf, da er sich auf einen Stuhl gesetzt hatte, welcher extra in die Küche gestellt wurde, damit er Mina beim Kochen beobachten konnte. Er schien sie gerne zu beobachten, was Mina nicht störte. Sie genoss es sehr, seine Aufmerksamkeit zu haben. „Ich werde heute gehen müssen“, meinte er, anstatt auf die Frage zu antworten. Minas Augen weiteten sich. Sie hatte nicht erwartet, dass Zaran sie so schnell verlassen würde, auch wenn sie ihm anfangs misstraut hatte. „Was? Ich meine … wieso? Wieso musst du gehen?“, fragte sie und legte ihr Brot beiseite, welches sie am Vortag erst gebacken hatte und deswegen noch nicht so hart war wie das von vor zwei Wochen. Sie trat näher an den rothaarigen Mann heran, ging dann einfach vor diesem auf die Knie und legte ihre Hände auf seine Oberschenkel. Zaran lächelte schwach und legte eine Hand auf die ihre und die andere auf ihren Kopf. „Weil mich dieser Ort schwächt. Ich muss heim und Kräfte sammeln. Wenn nicht, würde ich dich unnötig in Gefahr bringen, da ich dich so nicht beschützen kann“, antwortete er mit ruhiger, angenehmer Stimme. „Werde ich dich denn wiedersehen?“, erkundigte sie sich leise und legte ihren Kopf auf seinen Beinen ab. Sie spürte deutlich die streichelnde Hand in ihrem Haar. „Begleite mich nach Hause“, bat er sie plötzlich, anstatt zu antworten und sie legte den Kopf schräg, um besser zu ihm hochsehen zu können. Sie begegnete seinem ernsten und intensiven Blick. Einer der sie bis tief ins innerste erwärmte. „Dich begleiten?“, fragte sie leise und sah sein Nicken. „Wo ist dein Zuhause?“, wollte sie leise wissen. „Tasis. Mein Heim ist in Tasis“, beantwortete er sanft ihre Frage und strich ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Wo ist das? Ich habe von Tasis noch nie etwas gehört?“ „Es wäre schwer es dir zu erklären, doch es würde dir dort gewiss gefallen. Bitte. Begleite mich, Mina“, bat er sie erneut und beugte sich zu ihr runter. Mina löste ihren Kopf von seinen Beinen und legte ihn in den Nacken, um Zaran besser sehen zu können. Einen Moment sahen sie einander schweigend in die Augen, doch dann nickte Mina. Sie würde Zaran überall hin folgen, seit dieser ihr das Herz gestohlen hatte. Als hätte Zaran nur darauf gewartet, dass sie sich dazu bereit erklärte mit ihm zu kommen, senkten sich seine Lippen auf die ihren. Alles in Mina seufzte auf. Ihre Augen schlossen sich, während sie den Kuss erwiderte. Doch der Moment war nur kurz, denn Zaran löste sich schon wieder, hielt aber noch ihre Hand. „Lass uns gehen, ich habe gefunden, was ich gesucht habe“, sprach er sanft und selbst seine Mimik wirkte gelöst. Zusammen erhoben sie sich und verließen das alte Haus. Sie betraten den Garten. Zaran hatte ihre Hand bestimmend in der seinen, fast als wolle er sie nie wieder loslassen. Leichter Nebel zog um das Haus und die beiden Personen auf. Er wurde immer dichter und dichter und keiner konnte erkennen, was dort geschah. Als sich der Schleier wenige Minuten später wieder auflöste, waren Mina und Zaran verschwunden. Nur der kühle Wind strich noch durch das Gras und die Bäume. *** Fast dreihundert Jahre waren seit Minas Verschwinden vergangen. Das alte Haus, in welchem sie gelebt hatte, bezog eine andere Familie, die dort über Generationen hinweg lebte. Um das Gebäude herum entstand ein Dorf, das noch bis heute bestand. Es war eine stürmische Herbstnacht. Kurz vor Mitternacht zog überall im Dorf Nebel auf. Er verdichtete sich immer mehr und plötzlich tauchte eine Frau auf. Sie rannte, so schnell sie ihre Beine trugen. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt und ihr Gewand schleifte hinter ihr her. Es war sehr lang und mit einer Schleppe versehen. Diese war nicht für so schmutzigen und schlammigen Boden gedacht, wie es hier im Dorf der Fall war. Doch der Frau war das gleich. In ihren Armen hielt sie ein Bündel, fest an ihre Brust gedrückt und sich nicht einmal umdrehend. Ihre Schritte führten sie zielstrebig zu dem Haus, um das sich die restlichen Häuser des Dorfes scharten. Sie eilte um das Gebäude zum Stall herum und hockte sich dort in eine der beiden Boxen. Dort hatte einstmals ein alter Klepper gestanden und in der Nebenbox Schafe. Das Bündel bettete sie ins Stroh und verteilte etwas davon darüber. Hastig sah sie auf. Ihre braunen Augen, in welchen ein Feuer zu brennen schien, blickten sich hektisch um. Kurz legte sie ihren Zeige- und Mittelfinger an ihre Lippen und dann auf den oberen Teil des Bündels. Ein Abschiedskuss. Doch dann stand sie eilig auf und lief aus dem Stall und durch die Straßen des Dorfes zum Ausgang. Der Nebelschleier wurde wieder dichter. Das Letzte, dass man hörte, war ein Frauenschrei, bevor alles still wurde und der Nebel verschwand. Durch den Schrei geweckt, ging in vielen Gebäuden das Licht an und viele Bewohner kamen aus ihren Häusern. Auch das junge und frisch vermählte Paar, welches in dem Haus wohnte, in dessen Stall das Bündel versteckt worden war. Alle fragten sich, was los war, woher der Schrei kam und was sie genau geweckt hatte. Dann aber erklang eine kräftig schreiende Babystimme aus dem Stall und das Ehepaar des Hauses rannte dorthin. Die Frau kniete sich vor das Bündel, streckte die Hand aus und schob ein Stück des edlen Stoffes zur Seite. Das feine Geschmeide war in einem tiefen Rot gehalten und in einer Ecke war ein Name eingestickt. Ein roter Haarschopf und ein weinendes Babygesicht kamen zum Vorschein. Die Augen waren zusammengekniffen und Tränen perlten über die Wangen, sodass die Frau das Baby auf den Arm nahm. Trotz Protest ihres Gatten nahm sie es mit ins Haus und kümmerte sich ganze vierzehn Jahre um das Kind. Dann verstarb sie allerdings und ließ ihre beiden Kinder Avery und Belfi bei ihrem vom Leben gezeichneten und wütenden Mann zurück. (1) Potest vobis auxilium me? = Können sie mir helfen? (2) Quaero secundum dimidium animae = Ich suche die zweite Hälfte meiner Seele (3) Bonum mane = Guten Morgen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)