Dynamische Systeme von Kiryava (Wichtelgeschichte für Finicella) ================================================================================ Epilog: Attraktor ----------------- Attraktoren sind Zustände von dynamischen Systemen, die diese nach einer gewissen Zeit dauerhaft oder immer wieder annehmen. Der Tisch war überhäuft mit Kuchen. Irgendein Kunde von D hatte ihm scheinbar eine Wagenladung davon zukommen lassen. Das wirklich Beunruhigende war, dass D schon mindestens die Hälfte in sich versenkt hatte. Leon hatte sich ein paar Stücke genommen, aber jetzt hatte er genug von Kuchen. Viel lieber wäre ihm ein gutes Stück Fleisch, aber so etwas suchte man in Ds Laden vergeblich. ‚Und was ist dann passiert?’, fragte Chris neugierig und schaute Leon mit großen Augen an. ‚Warum hat er denn die beiden Leute umgebracht?’ Mit der Gnade des Erzählers, an dessen Lippen alle hingen, ließ Leon seinen Blick über sein Publikum schweifen. Chris, sein Waschbär und noch ein paar andere Tiere aus dem Laden, die Leon nicht kannte, hatten sich um ihn herum versammelt und lauschten seiner Geschichte. Er erzählte ihnen grade, wie er den Mörder der Mathematiker (wie er auf dem Revier hieß) dingfest gemacht hatte. Das traf sich gerade gut, denn D war im hinteren Teil des Ladens, wo er irgendetwas aufräumen musste. Die Geschichte, die Leon erzählte, entsprach nicht ganz der Wahrheit. Selbst jetzt verstand er noch nicht, wie D es geschafft hatte, an Devaneys Affen zu kommen. Der Mörder selber hatte sich am Sonntag, kurz nach der Beerdigung in seiner Wohnung das Leben genommen. Das hatte Leon der Zeitung entnehmen können. Von D oder einem Affen stand jedoch kein Wort drin. „Nun“, setzte er seine Erzählung fort, „er war eifersüchtig auf den Erfolg dieser Wissenschaftler. Vermutlich hätte er selber gerne an diesem geheimen Projekt mitgearbeitet.“ Dies entsprach vermutlich sogar der Wahrheit. Zumindest war es Teil des offiziellen Statements, welches das LAPD abgegeben hatte. „Als mir das also klar geworden war-“ Er brach ab, denn jemand war in den Laden gekommen. Chris sprang sofort auf und lächelte breit. Es war ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren, braunen Augen und einem riesigen Verband an der Schulter. „Guten Tag“, sagte Leon langsam und lächelte. Da er es vorgezogen hatte, nicht von seiner Anwesenheit bei der Beerdigung zu sprechen, wusste nur die alte Frau mit dem Handy, die den Krankenwagen gerufen hatte, dass er dort gewesen war. Magdalena Yorke sollte ihn eigentlich nicht erkennen. Trotzdem runzelte kurz die Stirn, während sie zum ihm hinübersah, als versuche sie sich an etwas zu erinnern. „Ist Graf D nicht da?“, fragte sie zögerlich. „Doch, natürlich“, erklang eine Stimme aus dem hinteren Teil des Ladens. „Wie kann ich dir helfen?“ Sie holte tief Luft und sagte dann: „Am Sonntag war die Beerdigung meines Vaters und ... vielleicht haben Sie gehört, dass dort –“ „Ich habe es in der Zeitung gelesen“, unterbrach sie der Graf sanft. Erleichtert nicht mehr alles erzählen zu müssen, nickte sie. „Ich glaubte dort eine Frau gesehen zu haben, die ich bereits in ihrem Laden einmal getroffen habe“, fuhr sie zögerlich fort. „Niemand sonst hat sie gesehen, weder meine Mutter, noch meine Schwester. Alle reden immer nur von einer Schlange. Vielleicht ... könnte ich noch einmal mit dieser Frau sprechen, nur um sicherzugehen, dass ich nicht verrückt werde?“ Der Graf überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Das ist leider nicht möglich“, sagte er leise. „Die Frau, die du gesehen hast, war dieselbe Schlange, die alle anderen sahen. Nur für dich hatte sie die Gestalt einer Frau.“ „Aber ... wie ist das möglich?“ „Diese Schlange ist sehr alt und sie war sehr lange alleine. Einst hatte sie eine Schwester, mit der sie sich sehr gut verstanden hat, doch die ist in einem Kampf ums Leben gekommen. Vermutlich glaubt sie, dass du ihre wiedergeborene Schwester bist, weshalb sie dich als Besitzerin erwählt hat. Sie war bei der Beerdigung, um dich zu schützen.“ „Meine Mutter sagt, die Schlange habe Gwyll angegriffen“, wandte sie ein. „Nein, Gwyll hat die Schlange angegriffen, weil er sie für eine Bedrohung hielt und weil die Sicherheit seiner Besitzer oberste Priorität für ihn hat“, erklärte D. „Aber es war Bai Suzhen, die dich vor dem Mann mit der Waffe gerettet hat. Danach ist sie wieder in meinen Laden zurückgekehrt und wird hier weiter an sich arbeiten. Dich zu sehen hieße für sie nur, dass sie aus ihrem inneren Gleichgewicht gebracht wird. Aber“ - D ging zur Hintertür und öffnete sie – „ich dachte mir bereits, dass du kommen würdest. Und deshalb habe ich dir einen anderen Beschützer mitgebracht.“ Durch die Tür trottete der große schwarze Hund, nur dass er Leon auf einmal nicht mehr so groß vorkam und auch nicht mehr so gefährlich. Seltsam, dass er solche Angst vor dem Tier gehabt hatte. Das Mädchen stieß einen Freudenschrei aus und umarmte Gwyll. „Sie haben ihn gefunden! Vielen Dank, Graf D! War er verletzt?“ Der Graf lächelte unschuldig. „Ja, ein bisschen. Aber ich konnte ihn in den Laden zurücktragen und hier versorgen.“ Wie von der Tarantel gestochen sprang Leon vom Sofa auf. „D, Sie mieser Lügner!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)