Zum Inhalt der Seite

Zukunftswunsch

Winter-Wichtel-FF
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

In ihrer Erinnerung stand es noch.
 

Das kleine Backsteinhaus mit dem dunklen, spitzen Dach. Sie erinnerte sich noch genau an den Weg, der hinauf geführt hatte, wie man schon aus mehreren Schritten Entfernung die Düfte des deftigen Mittagessens riechen konnte. Oder den Duft der frisch gewaschenen Wäsche. Wie manchmal Erens Mutter den Kopf aus dem Fenster herausgestreckt hatte, lachend, und ihnen zugewinkt hatte. Jedes Mal hatten sich ihre Schritte daraufhin beschleunigt, genau wie die von Eren. Sie hatten gleich noch viel schneller zurück ins traute Heim kommen wollen, zu Mutters warmer Begrüßung.

Heute hingegen… Ihr Blick glitt über unkrautüberwucherte Steine, über die Trümmer, an denen in den letzten Jahren deutlich der Zahn von Zeit und Verfall genagt hatte. Die behagliche, warme Atmosphäre von damals, das Gefühl von Heimat, es war verschwunden. Das so traute Heim ihrer Kindheit war zerstört, zerfallen.
 

Wie das Kind in mir.
 

Sie wandte sich ab, ihr schwarzes Haar wehte sanft in einer leichten Brise, die das Geräusch von Pferdehufen nähertrug. Sie war fast da. Die zweite Einheit, die sie angefordert hatten, nachdem das Gebiet als weitgehend sicher eingestuft worden war.

Die Trümmer, die einst ihre Zuflucht gewesen waren, würden fortgeschafft werden, weggetragen, bis gar nichts mehr übrig blieb, das an die bittersüße Kindheit erinnerte, die hier begraben lag. Bis sie an den Keller herankommen konnten, die eine Tür, die immer verschlossen gewesen war, verschlossen hatte bleiben sollen – und nun, in einer Welt, die sich so anders anfühlte, in einer Welt, in der das Gebiet der Mauer Maria von der Außenwelt verschlungen war, war es nötig, dass diese Tür geöffnet wurde.
 

Sie sah Eren, Armin. Genau wie sie selbst standen sie in gemessenem Abstand zu der Ruine, an der inzwischen die ersten kräftigen Männer zu arbeiten begonnen hatten. Reiner war unter ihnen, Berthold auch. In Erens Augen lag die Wehmut, die in Mikasas Herz lag, und auch Armin, obgleich voller Aufregung und Vorfreude, sah traurig aus.

Jemand brüllte Befehle, es war ein kräftiger Mann, dessen Namen ihr gerade nicht einfallen wollte. Ein genauso kräftiger Mann, dessen Name ihr gerade genauso fremd war, antwortete in gleichem, brüllendem Tonfall.

Ihr Blick kehrte zu Eren zurück, dessen wehmütiger Blick sich langsam mit zuversichtlicher Entschlossenheit vermischte, und für einen Hauch eines Augenblicks zuckten rosige Lippen zum Anflug eines Lächelns. Ihre Hand zog den roten Schal um ihren Hals zurecht. Nicht weit von ihr stand Leutnant Levi, die Arme verschränkt, ein Sinnbild stoischer Ruhe, während er die Aufräum- und Sicherungsarbeiten überwachte, die seine Truppen ausführten. Er rührte keinen Finger, bellte kaum einen Befehl – seine Leute wussten, was er erwartete, und sie wussten es auszuführen, ohne dass er sie permanent an die Hand nehmen musste.
 

Es war ein seltsames Gefühl.

Wieder zurückzukehren, nach Shiganshina, zu ihrem letzten wirklichen Zuhause. Es erneut zu betreten, auch wenn kaum mehr etwas übrig war davon.

Sie wusste nicht, ob sie es mögen sollte. Noch einmal über die Türschwelle zu treten, in ein Heim, das kein Heim mehr war, würde unweigerlich zur Realität machen, dass ihre alte Zuflucht auf ewig verloren war.

Doch es führte kein Weg daran vorbei. Hier, unter ihnen, unter diesem Haus, lagen womöglich die Antworten auf all die Fragen, die sie nicht beantworten konnten, das Ende ihres nicht enden wollenden Leids.
 

Der Beginn einer lebenswerten Zukunft.
 

In einträchtigem Schweigen sahen sie zu, wie der Räumungstrupp einander Befehle zubrüllend mehr und mehr die Überbleibsel ihrer Vergangenheit abtrug, auseinanderriss, die ehemals noch erkennbare Ruine des Kindheitsheimes in eine groteske Ansammlung von Trümmerhäufchen verwandelte. Jeder Stein schmerzte ihr, doch mit jedem Stein keimte unter dem sengenden Schmerz die sanfte Hoffnung weiter auf, blühte zu einer zarten, scheuen Blume.

Hier und heute würden sie weiterkommen. Einen Schritt voran, zwei Schritte. Immer weiter, hocherhoben, den Titanen entgegen. Sie würden nicht mehr einknicken vor ihrer Übermacht.

Ihr Blick flackerte zu Eren hinüber, zu dem vertrauten Gesicht, dessen dunkelgrüne Augen vor feierlicher Entschlossenheit in der sich senkenden Abendsonne glühten. Ein jäher Windstoß trug fremde Gerüche mit sich, die so gar nicht mehr an die kleine Stadt erinnern wollten, an das blühende Leben, das hier einst gewesen war.

Keine frische Wäsche, kein warmes Mittagessen. Nur kalte, feuchte Pflanzendüfte, die sie hier noch nie wahrgenommen hatte.
 

„Alles ist gesichert! Der Eingang zum Keller ist freigelegt!“
 

Die kräftigen Männer hatten aufgehört zu arbeiten, standen in ordentlichem Salut nebeneinander da. Der Führer ihrer Einheit war einen Schritt vorgetreten. Es war der Mann, dessen Name ihr vorhin schon nicht eingefallen war. Ihr Blick wanderte, blieb auf Leutnant Levi ruhen. Sein Haar glomm im Sonnenuntergang wie glühende Kohlen.
 

„Ihr habt es gehört! Einheit A, vorrücken!“
 

Sie hatte die ersten Schritte schon getan, ehe Leutnant Levis Worte in der Einöde verhallt waren. Doch nur kurze Zeit später hielt sie wieder inne, neben Eren zum Stehen gekommen. Armin war nicht mehr bei ihm; er gehörte zu den Wachposten, die sie schützen sollten für den unwahrscheinlichen Fall, dass Titanen trotz ihrer Sicherheitsmaßnahmen angreifen würden. Sie hob den Blick in Erens Gesicht, sah ihn forschend an, suchend. In seinen Augen leuchtete die Abendsonne, auf seinen Lippen spielte Entschlossenheit, Zuversicht. Langsam, selbst nicht sicher, wieso, ergriff sie seine Hand, drückte sie nur sanft. Eren lächelte, nickte ihr zu, aufmunternd.

„Bald“, versprach er, seine Stimme klang warm, selbstbewusst. Und doch konnte sie das leichte Zittern dahinter hören, das sich dem unaufmerksamen Zuhörer so gut verbarg.

Eren war nervös. Vermutlich schlug ihm das Herz bis zum Halse – noch mehr, als es bei ihr selbst der Fall war. Und jetzt, so kurz davor, einen Schritt auf den Boden ihrer Kindheit zu tun, schnürte ihr die Aufregung die Kehle zu.

Wie musste es erst Eren da gehen, der mit diesem Haus noch so viele Erinnerungen mehr verband?

„Eren…“

Eren lächelte sie an, dann wandte er den Blick auf die Ruine vor ihnen. Seine Augen glühten voller Zuversicht, voller Liebe, seine Lippen waren zu einem selbstbewussten, zuversichtlichen Lächeln erhoben.
 

„Und wenn wir hier fertig sind, Mikasa, dann bauen wir es wieder auf.“
 

Sie blinzelte, spürte, wie ihre Augen sich weiteten, ihr Herzschlag sich beschleunigte aus ganz anderen Gründen als zuvor noch, der Griff ihrer Finger wurde fester. Ihr fiel das Atmen schwer, freudige Aufregung ließ ihre Brust anschwellen. Sie nickte, langsam nur, fast feierlich, warf einen letzten Blick auf die Überreste der Trümmer ihres alten Heims.

Vor ihrem inneren Auge erschien das kleine Haus in all seiner vergangenen Pracht.
 

Sie sah zwei kleine Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, die lachend zur Haustür liefen, während hinter dem Fenster eine Frau mit langem, dunkelbraunem Haar auf einem einfachen Stuhl saß, Strickzeug in den Händen. Ein halber, roter Schal lag auf ihrem Schoß; er würde nie fertig werden.

Mit einem Blinzeln veränderte sich das Bild, die Frau hatte nun schwarzes Haar, fremdländische Züge, und an dem grob gezimmerten Holztisch saß nicht mehr der Mann mit Brille, den sie in ihrer Kindheit als zweiten Vater kennengelernt hatte, sondern eine ältere Version von ihrem Eren. Die beiden Kinder, die hereinkamen, waren Geschwister, das Mädchen hatte die gleichen beeindruckend dunkelgrünen Augen wie sein Vater, die des Junge waren schwarze Edelsteine von fremdartiger Form.

Dieser Schal würde fertig werden.
 

„Und dann zeigen wir unseren Kindern, wie schön es sich hier leben lässt!“
 

Mikasa lächelte kaum merklich in stiller Vorfreude, als sie mit einem ersten Schritt über die Schwelle ihres Kindheitsheims ihre Zukunft besiegelte.

Hoffnung - Verzweiflung

Das Klicken des Schlüssels im Schloss war laut in der Stille. Wie ein Kanonenschlag zerriss es das Schweigen, und neben Mikasa zuckte Eren kaum merklich zusammen. Ob es nur der Schreck war, oder die jähe Erkenntnis, was sie alles erreicht hatten, was hier vor ihnen lag, dessen war Mikasa sich nicht sicher. Vielleicht war es beides. Sie schluckte, hielt den Atem an. Die Tür knarzte, die Scharniere kreischten gequält, und nur in regelrechtem Zeitlupentempo gab sie den Blick auf die trübe Düsternis des Kellers frei. Ein Schwall übelriechender, muffiger Luft schlug ihr ins Gesicht, als Mikasa wieder einatmete, sie hustete, würgte bemüht den Drang hinunter, sich zu übergeben. Ein kurzer Blick zeigte, dass sie nicht die Einzige war, der die Luft nicht bekam: Connie stand gekrümmt in einer Ecke, den Lauten nach zu urteilen, die aus seiner Richtung ertönten, war es mit seiner Selbstbeherrschung längst nicht so weit her wie mit ihrer.

Es war nicht wichtig, nicht für Mikasa, nicht jetzt, wo sie so kurz vor ihren Antworten standen, und sie wandte den Blick von der gekrümmten, kleinen Gestalt, trat selbstbewusst mit einer flackernden Öllampe in der Hand in den dunklen, fensterlosen Keller ein.
 

Unter einer dicken Schicht aus Staub und Schmutz lagen sie vergraben: Die Geheimnisse, die das Leben der Menschheit verändern können mochten.
 

Es war ein Forschungskeller, so viel erkannte Mikasa schon auf den ersten Blick. Glaszylinder und –Gläser hielten seltsam deformierte Präparate, die in einer klaren, leicht grünlich schimmernden Flüssigkeit schwammen. Eine Hand, ein Fuß, ein Auge, das seltsam verfärbt war, gräulich-gelb, die Iris war geradezu stechend eisblau. Ein Kopf schwamm in einem weiteren, dickbauchigen Glas, er war kaum größer als der eines Menschen, aber wies die unverwechselbaren Züge eines Titanen auf. Einige Gläser enthielten, was Mikasa als innere Organe vermutete. Sie sahen nicht ganz menschlich aus, doch so recht abschätzen konnte sie es auch nicht.

Die Wände waren gepflastert mit anatomischen Zeichnungen. Menschen. Menschenähnlich, doch nicht ganz dem Original entsprechend. Titanen. Einige Zeichnungen waren in feinsäuberlicher Handschrift beschriftet, die einzelnen Körperteile benannt, schmale Pfeile zeigten ganz genau, welcher Begriff zu welchem Teil gehörte. Auf Tischen lagen Stapeln von Papieren, Akten und Mappen, zweifelsohne Forschungsnotizen, dicke Bücher waren in hohen Regalen aufgereiht. Mehrere Kisten standen im Raum, Schränke, Kommoden, die zweifelsohne auch vollgepfropft waren mit Forschungsmaterial. Auf einem Tisch stand dick eingestaubt eine Apparatur aus Glasröhrchen und Reagenzgläsern, deren Sinn und Zweck sich ihr nicht erschloss.

Mikasa schauderte, als ihr Blick zurück auf den kleinen Titanenkopf fiel, der ihr aus tiefen Augenhöhlen tot entgegenstarrte.
 

Es war nicht zu übersehen, was hier erforscht worden war.
 

„Hanji wird hier einziehen… garantiert.“

Erens Stimme zitterte, es schwang Unglaube und ehrfürchtige Abscheu darin mit. Sein Blick war auf einen schmalen Hefter gerichtet, von dessen Deckblatt er gerade den Staub wischte. Mikasa nickte, obgleich sie wusste, ihr Eren würde es nicht sehen. Doch er hatte zweifelsohne Recht; die verrückte Titanenforscherin würde keinem Befehl der Welt gehorchen, wenn er implizierte, nicht ihre Sommerresidenz in diesen Keller zu verlegen. Es musste das Paradies für Hanji sein.

Mikasa stieß mit einem leisen Seufzen die Luft aus ihren Lungen, wandte sich erneut von Eren ab und den hohen Regalen zu. Connie war inzwischen ebenfalls eingetreten, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, betrachtete scheinbar eingehend eines der schwimmenden Präparate.

Ihr Blick blieb an einem in dunkles Leder gebundenen Buch hängen, das klein und unscheinbar zwischen wesentlich größeren Artgenossen auf dem Regalbrett geradezu unterging. Es kam ihr seltsam bekannt vor. Ein ähnliches, wenn nicht gar das gleiche Buch hatte Grisha eine Zeit lang als Notizbuch verwendet. Sie erinnerte sich noch sehr genau daran, wie sie das kleine Büchlein in seinen großen Händen fast hatte verschwinden sehen, wenn er darin schrieb. Behutsam griff sie danach, zog es aus dem Regal.
 

Auf dem oberen Rand und auf dem schmalen Buchrücken hatte sich Staub abgesetzt, den sie behutsam wegpustete. Es schien eine Art Tagebuch zu sein; ein Forschungstagebuch vielleicht? Die Tinte war ein wenig verblasst, vielleicht war sie aber auch schon immer so hell gewesen, Mikasa konnte es nicht einschätzen. Die kleine, verschnörkelte Schrift ihres Ziehvaters war für ihre Augen immer noch schwer zu lesen, besonders hier, da die Seiten unangenehm klein beschrieben waren.

Ihr Blick huschte über das gelblich-beige Papier, überflog das Geschriebene kaum, bis sie etwas fand, das ihre Aufmerksamkeit erregte: Ein Datum. Sie schluckte, strich mit den Fingern darüber. Es war weit vor Grishas Verschwinden datiert. Natürlich.
 

Wieso sollte er danach auch noch einmal in den Keller gekommen sein? Und wie?
 

Dennoch hinterließ es ein Gefühl von Bitterkeit in ihr. Ein Lebenszeichen zu finden, das jünger war als sein Verschwinden… aber das war wohl zu viel verlangt. Und sie hatten auch so genug gefunden mit diesem Keller und all seinen Geheimnissen.
 

Sie mussten sie nur entschlüsseln.
 

Es stellte sich als einfacher heraus als ursprünglich angenommen, eine bahnbrechende Entdeckung zu machen: Die letzten Seiten des Forschungstagebuchs beinhalteten knappe Berichte zu einem Mittel, das Menschen dazu befähigen sollte, willentlich die Form eines Titanen zu erlangen.
 

Ich habe es geschafft! Der Prototyp ist einsatzfähig. Noch ist es zu früh, ihn zu testen, doch bis dahin… dieser Keller ist ohnehin nicht zugänglich.
 

Mikasa spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Das Mittel, das Menschen zu Titanen machte… der Prototyp. Er war hier gewesen. War noch hier? Sie schluckte, umfasste das Buch in ihren Händen fester.

„Leutnant Levi. Ich habe etwas gefunden.“

Der Mann war nahezu sofort an ihrer Seite, eine Augenbraue kurz fragend erhoben, sein Blick scharf wie immer.

„Zeigen Sie her, Ackerman.“

Das Buch wechselte den Besitzer, sie deutete auf den Abschnitt, der ihr gerade noch den Atem geraubt hatte. Leutnant Levis Gesicht war das perfekte Exempel für Selbstkontrolle, während sein aufmerksamer Blick über das Papier huschte, scheinbar mühelos, wo Mikasa Schwierigkeiten hatte, die Schnörkel als Schrift zu entziffern. Nur einen Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Augen, selbst für Mikasas forschenden Blick kaum erkennbar. Dann klappte er das Buch zu, reichte es achtlos an sie zurück und wandte sich ab. Mit einem lauten Klatschen verschaffte er sich Gehör unter den Anwesenden.
 

„Alle herhören! Womöglich befindet sich hier noch eine Probe eines Mittels, das Menschen wie Jaeger erschafft. Suchen Sie danach! Außerdem müsste es auch eine Anleitung zur Herstellung geben. Wer etwas findet, meldet es umgehend bei mir!“
 

War bisher die Stimmung im Keller eher noch von aufgeregter, aber zurückhaltender Neugier geprägt gewesen, so war mit einem Mal die Hölle los: Papiere raschelten, Kisten wurden lautstark herumgeschoben, Anweisungen herumgerufen: „Hat hier schon jemand nachgesehen?“ – „Da hinten hinter dem Regal ist was! He, kann mal jemand schieben helfen?“

In dem hektischen Chaos verlor Mikasa selbst fast den Überblick darüber, wer gerade wo war und was tat, ihre Aufmerksamkeit ohnehin größtenteils darauf gerichtet, selbst etwas zu finden.
 

Dieses Mittel…
 

Sie schluckte, versuchte das hoffnungsvolle Schlagen ihres Herzens zu ignorieren, während sie unter einem Schreibtisch eine alte Holztruhe hervorzog. Sie war massiv, schlicht und schmucklos, und hatte ein massives Vorhängeschloss. Frustriert wischte Mikasa sich den Schweiß von der Stirn, ehe sie mit feuchten Fingern das Schloss untersuchte.

Es kam ihr vage bekannt vor. Wie an der Tür zum Keller.

„Eren!“

Es dauerte kaum eine Minute, bis Eren bei ihr war, staubverschmiert, mit einem Kratzer an der Wange. Der Anblick ließ Mikasa vergessen, was sie eigentlich gewollt hatte, und sie runzelte besorgt die Stirn, den Blick auf das bisschen Blut gerichtet, das aus der Wunde quoll. Eren blinzelte sie irritiert an, schien einen Moment ihr Problem nicht zu verstehen, dann verzog er das Gesicht erst zu einer Grimasse, grinste dann aufmunternd.

„He, das ist nur ein kleiner Kratzer, keine Sorge! Das war ein Nagel, der aus der Rückwand von dem Regal da geragt hat, keine große Sache.“

Er deutete auf entsprechendes Regal, hinter dem Connies Glatzkopf hervorlugte. Mikasa folgte seinem Fingerzeig, runzelte einen Moment nicht ganz überzeugt die Stirn. Dann nickte sie langsam, wandte sich von dem Regal ab. Es schien wirklich alles in Ordnung zu sein. Als ihr Blick wieder auf Erens traf, war sein Grinsen längst wieder verblasst und er erneut ernst geworden.

„Also, was war los?“
 

„Dein Schlüssel.“
 

Sie deutete auf die Kette um Erens Hals. Verdutzt sah der junge Mann an seiner Brust hinab, hob den Schlüssel mit einer Hand vors Gesicht.

„Brauchst du ihn?“

Mikasa nickte nur. Eren, immer noch verwirrt, zog die Kette über den Kopf, und reichte ihr den Schlüssel. Er schien fragen zu wollen, was sie damit wollte, überlegte es sich dann offensichtlich aber doch anders.

„Sag uns Bescheid, wenn du etwas findest!“

Wieder nickte sie, sah zu, wie Eren mit einem flüchtigen Lächeln wieder an seine eigene Arbeit zurückkehrte. Er brüllte Connie sofort eine Aufforderung bezüglich des Regals zu, an dem sie wohl gesucht hatten. Mikasa wandte den Blick von den Beiden ab, ließ sich vor der Truhe auf die Knie sinken. Erens Schlüssel wog schwer in ihrer Hand, ihr Herz klopfte aufgeregt. Was in dieser Truhe sein mochte…?
 

Das Schloss klickte genauso ohrenbetäubend laut wie das am Kellereingang, doch im allgemeinen Lärm ging der Laut seltsam unter. Mikasa schluckte angespannt, hob behutsam das massive Vorhängeschloss ab. Es wog schwer in ihrer Hand. Vorsichtig legte sie es neben sich auf dem staubigen Boden ab. Der Truhendeckel war schwer, quietschte vernehmlich, als sie ihn hochschob. Mit angehaltenem Atem warf sie einen ersten Blick in das Innere der Truhe.

Sie war fast leer.

Ausgekleidet mit weichem, dunklem Stoff lagen darin eine schmale Mappe, aus der vergilbte Papiere hervorlugten, eine kleine Schatulle, die erneut mit einem Schloss versehen war, das dem an der Truhe selbst deutlich ähnelte, und ein weiteres Buch. Es war dick und großformatig, sah ziemlich schwer und wuchtig aus. Mikasa hob es aus der Truhe. Es war wirklich schwer, da hatte sie ihr Blick nicht getrogen. Nachdenklich betrachtete sie es, doch der Einband war nicht geprägt, nichts deutete auf den Inhalt hin, und so schlug sie es schließlich auf einer beliebigen Seite auf.
 

Die Schrift war eindeutig die ihres Ziehvaters, den Worten vermochte sie keinen Sinn zu geben. Es klang nach einer wissenschaftlichen Abhandlung, und die Hälfte der Fachausdrücke ließen sie nur verwirrt den Kopf schütteln. Sie klappte das Buch wieder zu, legte es beiseite. Die Mappe mit den Papieren schlug sie ebenfalls kurz auf. Sie überflog nicht viel, doch sie ahnte, was sie vor sich hatte: Die Formeln für das Serum, nach dem sie suchten. Die Anleitung, die Leutnant Levi sie zu finden aufgetragen hatte. Sie fühlte Triumph, Erleichterung, stieß in einem erleichterten, leisen Laut die Luft aus. Sie kamen voran! Wenn das keinen Durchbruch brachte, wusste sie auch nicht.

Behutsam legte sie die Mappe auf das Buch, strich noch einmal nachdenklich über den unbenannten Einband. Sie würde die Fundstücke gleich zu Leutnant Levi bringen.
 

Nur das Kästchen schloss sie noch auf.
 

Es war ebenfalls gepolstert, mehr noch als die Truhe selbst, und es lag nichts darin als eine schlanke Spritze, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Eine zweite Vertiefung war in den roten Samt eingelassen. Eine weitere Spritze hatte wohl dort gelegen.

Eren…

Sie schluckte, umfasste die Spritze mit einer Hand. Das Glas fühlte sich kühl an unter ihrer Haut, strahlte eine seltsame Sicherheit aus.

„He, Mikasa, sieh mal!“

Erens Stimme riss sie aus ihren Gedanken. In einer fließenden Bewegung hatte sie sich erhoben, die Spritze unauffällig in ihrer Brusttasche verstaut.
 

Sie würde Eren noch besser beschützen können.
 

Eren stand nicht mehr bei dem Regal. Inzwischen hatte er Position bei einer Tafel bezogen, die neben einem anatomischen Abbild eines Titanen auch einige Notizen zeigte. Neugierig, was Eren ihr zeigen wollte, signalisierte sie ihm, kurz zu warten, hob ihre Fundstücke auf die Arme, brachte sie zu Leutnant Levi.

„Ich habe etwas gefunden.“ – „Was, Ackerman?“

Mikasa reichte ihm Buch und Mappe, sowie das Kästchen.

„Forschungsberichte. Es scheint sich um die gesuchte Anleitung zu handeln, außerdem habe ich den Aufbewahrungsort des Prototypen entdeckt.“

Sie nickte auf das Kästchen. Leutnant Levi öffnete es kurz, sah sichtlich unzufrieden auf die leeren Vertiefungen im Samt, klappte es dann wieder zu und nickte Mikasa zu.

„Machen Sie weiter.“

Sie nickte knapp, wandte sich von dem Mann ab und schloss nun zu Eren auf. Der sah sie einen Moment neugierig an, doch Mikasa schüttelte den Kopf. Später. Leutnant Levi würde ihre Fundsachen ohnehin noch einmal zur Sprache bringen.

„Was wolltest du?“ – „Ah, ja. Sieh mal, auf der Tafel.“
 

Während ihr Blick Erens Aufforderung folgend über die Tafel huschte, reichte sie abwesend den Schlüssel an seinen Besitzer zurück. Die vertraut verschlungene Schrift Grishas war in so großen Lettern immerhin einfacher zu lesen als klein und gedrungen in den handbeschriebenen Büchern, dennoch brauchte Mikasa einen Moment, bis sie nicht nur begriff, was sie vor sich hatte, sondern auch verstand, ihr Herz setzte einen langen Moment aus. Sie fühlte sich, als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen.
 

Vor ihr war eine Liste, die die Nebenwirkungen der Titantransformation aufzeigte.
 

„Mikasa?“

Erens Stimme erschreckte sie, sie zuckte zusammen, wirbelte herum, eine Hand schon an ihrer Klinge. Erens Stirn war gerunzelt, in seinem Blick spiegelte sich Besorgnis über die unerwartete Reaktion.

„Du siehst blass aus. Ist etwas?“

Sie schüttelte den Kopf, wandte den Blick zurück auf die Tafel. In ihrem Kopf hallte ein einziges Wort wider:

Warum?

Ihre Hand zuckte nach der Spritze in ihrer Brusttasche, ihr Blick fiel wieder auf Eren. Dessen Augen waren dunkel im diesigen Licht der Öllampen, sein Gesicht lag halb im Schatten, doch die Besorgnis strahlte ihr mehr als sichtbar daraus entgegen.

„Mikasa–“
 

Doch was auch immer Eren hatte sagen wollen, im nächsten Augenblick hatte Mikasa schon vergessen, dass er überhaupt mit ihr gesprochen hatte.
 

Schreie ließen die Kellerwände erbeben, Lärm schlug auf sie nieder, so viel dröhnender als die vorangegangene Stille. Mikasa brauchte keine Sekunde, um zur Tür zu stürzen. Ein Angriff! Warum? Wieso war keine Warnung gekommen?!

Ein Hinterhalt?

Ihr Magen krampfte, Angst schnürte ihr die Kehle zu, doch sie zwang sich, ruhig weiter zu atmen. Keine Panik. Sie musste stark sein. Kämpfen.

Wenn sie leben wollte, musste sie kämpfen.
 

Und das würde sie.
 

Sie war noch nicht einmal wieder im Freien, da hatte ihre Hand schon ihre Klinge gefunden, schloss sich um den vertrauten Griff, und eine Welle der routinierten Ruhe erfasste Mikasa. Sie hatte alles, was sie brauchte. Um zu kämpfen. Um zu schützen, was ihr lieb und teuer war. Um auch diesen Kampf zu überleben.

Levi stürmte an ihr vorbei, sie sah, wie er Buch und Mappe, die sie ihm vorhin noch übergeben hatte, an ein anderes Mitglied der Aufklärungseinheit übergab.

„Bringen Sie das zurück zu Hanji!“, bellte er einen knappen Befehl, ehe er weiterlief, gar nicht darauf wartend, dass der Mann reagierte. Er nickte, völlig verspätet, doch schon im nächsten Moment hatte er seinen Stupor abgeschüttelt, hatte ein Pferd gefunden, auf dessen Rücken er sich schwingen konnte und in polterndem Galopp ritt er in den fortschreitenden Abend.
 

Mikasa hatte längst keine Augen mehr für ihn, als seine Silhouette schnell immer kleiner wurde; ihr Blick war fixiert auf das Schlachtfeld, das sich vor ihr auftat. Es waren nicht viele Titanen, die ihnen gegenüberstanden, nicht einmal herausragend riesig, und doch überragten sie die traurigen Trümmer Shiganshinas bei weitem; die Aufklärungseinheit hatte hier kaum eine Basis für ihre 3D-Manöver-Gear. Levi hatte es trotzdem geschafft, sich in die Lüfte zu schwingen, brachte den ersten Titan zum Fall, während die Meisten von ihnen noch nicht einmal recht begriffen hatten, was gerade geschah; alle anderen waren noch am Boden.

Angestachelt von dem Sieg ihres Gruppenführers stürmte auch Mikasa los. Sie würden nicht verlieren! Nicht jetzt. Nicht, nachdem sie so viel erreicht, nachdem sie ihre Antworten gefunden hatten.

Sie spürte das Gewicht der Spritze gegen ihre Brust drücken, spürte ein dumpfes Ziehen in der Magengegend.
 

Nie wieder.
 

Eren war nur einen Moment lang neben ihr, im nächsten am anderen Ende des Schlachtfeldes. Dafür war nun Jean bei ihr. Connie brüllte einen Fluch über das Schlachtfeld, derbe genug, dass jede gute Mutter ihm den Mund mit Seife dafür ausgewaschen hätte.

Mikasa kümmerte es kaum.

Jean war wieder fort, dem fluchenden Connie zur Seite stehend. Vor ihr ragte ein Titan auf, groß, mit einem breiten, verblödeten Grinsen im Gesicht, streckte eine grobe, fleischige Hand nach ihr aus. Äußerlich ruhig brachte sie sich mit einem gezielten Sprung in Sicherheit, die Widerhaken ihrer 3D-Manöver-Gear in einem Dach verhakt, das zumindest noch mehr als zwei Mann hoch über den Boden aufragte. Sie kam schlitternd auf dem morschen Untergrund auf, richtete sich in einer fließenden Bewegung auf, ihr Blick suchte nach neuen Punkten, die ihr beim Manövrieren helfen mochten.
 

Die Welt, getaucht in zartrosafarbene und gelbe Abenddämmerung, wurde unwichtig. Das Gebrüll der Titanen dröhnte in ihren Ohren. Sie waren unerwartet wendig, unerwartet schnell, und bald fand Mikasa sich in dieser mechanischen Routine des Kämpfens wieder, in der kein Platz mehr war für Gefühle, für Gedanken. Nur die Titanen und sie, alles andere war nicht wichtig, konnte keine Aufmerksamkeit bekommen. Ihre Klinge war schon mehr als einmal gewechselt, lag ruhig und sicher in ihrer Hand. In der Luft hing der Geruch von Blut. Nicht jedem war es so gut ergangen wie ihr bisher.

Doch gerade wusste sie es nur. Sie fühlte nichts.

Eren brüllte, wütend, aber er klang nicht verletzt. Mikasas Atmung war ruhig, ihr Herzschlag auch.

Ihrer Familie ging es gut.
 

In ihrem Kampfesrausch drang es nur gedämpft bis zu ihr hindurch, doch da war zweifelsohne ein Schrei gewesen. Ihr Kopf ruckte in die Richtung des Lauts, doch sie sah die Gestalt kaum, die in der großen Pranke eines Titanen verschwand. Das Monster grinste dümmlich, ehe es sein Opfer mit voller Wucht auf den Boden klatschte, unter der flachen Hand zerdrückte.

Mikasa wandte den Blick ab, oberflächliches Mitleid – mehr gestand sie sich mitten im Kampf nicht zu, es ging einfach nicht – und Ekel vermischten sich mit dem Hass auf die Titanen, als sie erneut in den Zweikampf mit einem der wuchtigen Riesen trat.

Sie würden nicht verlieren. Durften nicht verlieren.
 

Konnten nur verlieren.
 

Sie sah es nicht kommen.

Dass der Titan ein scharfes Stück Metall als Wurfwaffe nutzen würde, hatte sie nicht erwartet. Nun saß sie hier, keuchend, zitternd, in ihrem Oberschenkel klaffte eine tiefe Wunde, aus der Blut mit jedem Herzschlag quoll. Ihr war schwindelig, ob vor Panik oder Blutverlust, das wusste sie selbst nicht. Selbst Stehen war unmöglich mit dieser Wunde. Kämpfen pure Utopie.

Ihr Blick war verschwommen, doch den vertrauten Anblick von Titan-Eren erkannte sie trotzdem. Er war umzingelt von den letzten drei ihrer Gegner, kämpfte verbissen, stur, doch seine Bewegungen waren längst nicht mehr so koordiniert, wie sie sein sollten, seine Schläge unfokussiert, ungezielt. Er war am Ende, und nicht nur er: Mikasa sah kaum noch jemanden kampffähig. Die Pferde waren in alle Winde verstreut worden von ihrer Panik. Jemand, sie hatte gar nicht recht mitbekommen, wer, war losgeritten, um Verstärkung zu holen, schon vor einer Zeit, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte.
 

Nur der Blick in den Himmel, immer noch nicht nachtschwarz, zeigte, es war gar nicht so viel Zeit vergangen.
 

Sie waren in Windeseile unterlegen. Und nun konnten sie nichts mehr tun, nur zusehen, beten, dass Verstärkung bald kommen möge. Zusehen, wie Eren mehr und mehr in die Enge gedrängt wurde.

Mikasa schluckte, Angst krallte mit kalten Fingern in ihr Herz, schnürte ihr den Atem ab, ließ ihren Magen krampfen und rebellieren.

„Eren…!“

Die Spritze in ihrer Tasche war heil geblieben, wie durch ein Wunder.
 

Ein Zeichen.
 

Sie schluckte, sah hinunter auf die klare Flüssigkeit. Ihre Finger zitterten, als sie den Ärmel ihrer Jacke hochschob. Die Haut in ihrer Ellenbeuge war hell, fast weiß.

Sie schloss die Augen, sog scharf die Luft ein, die ihre Verzweiflung ihr verwehren wollte. Sie sah die zwei kleinen Kinder, die lachend den Weg zum Haus hinauf liefen, mit dunkelgrünen und schwarzen Augen, die vor Lebensfreude strahlten, sah die fremdländische, schwarzhaarige Frau mit dem leisen Lächeln auf den rosigen Lippen, sah den angefangenen roten Schal auf ihrem Schoß. Der Mann am Küchentisch lachte sanft, seine dunkelgrünen Augen leuchteten, als seine Kinder die Haustür aufschoben und in die Wohnstube schlüpften.
 

Der Schal würde nicht fertig werden.
 

Die Kinder verschwanden vor ihrem inneren Auge, zurück blieben nur Eren und sie. Und selbst Eren drohte zu verschwinden.
 

Er wird fertig!
 

Sie stach zu.
 


 

Eine neue Silhouette erhob sich in den blau-blauen Abendhimmel. Wie ein Blitz schoss sie auf die anderen Titanen zu, griff einen von ihnen und riss ihm mit der Kraft der Verzweiflung den Kopf von den unproportional breiten Schultern. Schwarzes Haar wehte um das Gesicht des hochgewachsenen Monstrums, schwarze Augen, mandelförmig, leuchteten in dem riesigen Gesicht, dessen Proportionen fremd waren; seine Züge waren selbst für einen Titan ungewöhnlich.

Für einen Moment stand die Welt still. Titanen wie Menschen sahen zu der Gestalt, die vage weibliche Körperformen aufwies.

In den schockierten, abgekämpften Gesichtern der Menschen lag Unglaube, Entsetzen, die dümmlichen Gesichtern der großen Abklatsche menschlichen Lebens spiegelten gleichgültiges Unverständnis, nur der Titan mit dem dunklen Haar stockte einen Moment. In seinen Augen flackerte etwas. Erkennen. Unglauben.

Dann riss er das Maul zu einem Schrei auf, neugewonnene Kraft schoss ihm in die langen Glieder und erneut nahm er den Kampf mit einem Koloss auf, der kaum einen Kopf kleiner war als er selbst.

Seine Schläge fanden ihr Ziel wieder.

Auch der zweite Titan stürzte sich erneut ins Gefecht, sie kämpften Seite an Seite, nicht mehr im Nachteil vor einer schieren Übermacht, sondern gerecht zwei gegen zwei.
 

Der Kampf war entschieden.

Epilog

Heute steht es wieder.
 

Das kleine Backsteinhaus mit dem dunklen, spitzen Dach. Der Weg, der hinaufführt. Es riecht wieder nach frisch gewaschener Wäsche oder kräftigem Mittagessen. Längst ist die Umgebung nicht mehr so dicht besiedelt, wie sie es einmal gewesen ist, längst gibt es keinen Grund mehr dazu, eingepfercht wie Vieh zu leben.
 

Es ist Sommer. Eine warme Brise weht den süßen Duft von frisch gewaschener Wäsche durch die Lüfte. Ein Mann, recht groß gewachsen, dunkelbraunes Haar und dunkelgrüne Augen, sitzt an einem grobgezimmerten Tisch im Garten des Häuschens, zusammen mit einem alten Kameraden, beide haben einen Krug mit kühlem Bier vor sich stehen.

Bei den Wäscheleinen steht eine Frau mit langem, schwarzem Haar, das im Nacken lose zusammengebunden ist. Sie hängt gerade weite, weiße Betttücher auf, die im Wind sanft flattern. Ein Kind, ein Junge, blond mit grauen Augen, tänzelt dabei um sie herum. Er lacht, glockenhell und fröhlich, ein klares Kinderstimmchen, das nur zu gut zu dem kaum zehn Jahre alten Burschen passt. Immer wieder zupft und zerrt er an der Wäsche, die die Frau gerade erst aufgehängt hat.
 

„Armin!“, ruft Mikasa entrüstet. Man muss nicht einmal zu genau hinhören, um das Lachen zu bemerken, das in ihrer Stimme mitschwingt, „Wenn sie wegen dir runterfällt, wirst du die Wäsche neu waschen!“

Der kleine Junge lacht nur heiter, schlüpft unter dem Wäschekorb in den Armen seiner Mutter hindurch und läuft lachend über das weiche, wogende Gras. Um seinen Hals hängt ein roter Schal, der dabei im Wind weht. Ein Sinnbild des roten Fadens, der ihn mit seinen Eltern verbindet.

Sein Name ist Andenken an all die großen Soldaten, deren Leben der Krieg gefordert hat.
 

Doch nun ist er vorbei.
 

An dem grobgezimmerten Holztisch schnaubt es leise. Jean, der Eren Gesellschaft dabei leistet, nach einem harten Arbeitstag zu entspannen, lehnt sich weiter zurück, kratzt sich geistesabwesend den Stumpf seines rechten Armes.

„Und du hast so ein Drama gemacht“, kommentiert er, sein Tonfall changiert irgendwo zwischen belustigt und genervt, er schüttelt den Kopf, greift mit der verbliebenen Hand nach dem Krug vom Tisch und nimmt einen großen Schluck daraus. Sein Blick wandert von Eren zu Mikasa zu Armin, der inzwischen dazu übergegangen ist, Gänseblümchen zu pflücken.
 

„Scheiß auf Unfruchtbarkeit. Ihr habt eure Familie doch.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2017-10-01T17:58:33+00:00 01.10.2017 19:58
Ich hab hier nie einen Kommentar hinterlassen...? Hattest du meinen Kommentar zur FF bei den YUAL noch gelesen? Vermutlich nicht, die Details weiß ich auch gar nicht mehr, um ehrlich zu sein.
Ich hatte Attack on Titan noch nicht einmal angefangen zu lesen, als ich diese FF bei den YUAL geschnappt hatte. (Ich ging ja stets chronologisch durch xD) Ich hatte nur mein Basiswissen. Einige Monate später hatte ich dann mit dem Manga angefangen - und fand einiges wieder, was hier auch geschrieben war. Und das Lob kommt jetzt (nach ewig langer Vorrede): ich hab deine FF immer so bildlich vor mir gehabt, dass ich gar nicht mehr wusste, was nun in der FF war und was wirklich im Manga vorkam. Mir kam es so vor, als hätte ich deine Geschichte in Bildern direkt vor mir gesehen. Also richtig gut beschrieben, bildlich, vorstellbar, schön. Deswegen hat die Geschichte das YUAL absolut verdient! Ich seh die Szenen teils heute noch vor dem inneren Auge, auch wenn es gefühlt Jaaahre her ist, als ich sie verschlungen hatte. :D" Ist das ein Lob? Nein! Ein RICHTIG gutes Lob. Ich mein das ernst, ich erinner mich nicht an viele FFs xD

Dass dein Schreibstil sehr flüssig und angenehm zu lesen ist, sowie (nahezu?) fehlerfrei, muss ich ja nicht sagen. Du hast ja schon mit einigen Küren bewiesen, dass du gut schreiben kannst. ;)

Ich gebe zu, der Kommentar ist nicht sooo konstruktiv, auch weil ich die Geschichte nicht nochmal gelesen hab (überflogen aber schon, weil ich das Ende so schön fand, ich mag Happy Ends und hatte da diverse "Awwww" Momente :D), aber ich wollte mal dalassen, was ich so empfunden hab. Vielleicht... hilft es ja. Und wenn es dir nur einfach den Tag noch etwas versüßt :D"
Antwort von:  Puppenspieler
01.10.2017 21:44
Du liebes Bisschen, Fini, vielen lieben Dank für diesen tollen Kommentar!!!;v; Hast mir damit definitiv einen sonst nicht so genialen Tag sehr versüßt!!! ♥
Von:  KarasuTsubasa
2016-01-08T23:19:57+00:00 09.01.2016 00:19
Eine sehr spannende FF und ein wirklich schönes Happy End^^
Mach weiter so ^ ^
Von:  Kasumi_Ripper
2015-07-19T12:16:58+00:00 19.07.2015 14:16
Huch wo bin ich den drübergestolpert?
Ich fand diese ff durch zufall und muss sagen, dass sie richtig geil ist
Von:  Kunoichi
2014-02-03T14:23:02+00:00 03.02.2014 15:23
Der Epilog vermittelt dann nach so viel Düsternis richtig schön Wärme und Zuversicht. Perfekte Mischung! ^^ An dieser Stelle passt dann auch das Präsens, obwohl ich das sonst ja nicht so gerne lese.
Ein bisschen verwirrt hast du mich dann bei der Sache mit der Unfruchtbarkeit. xD War das die Nebenwirkung, die Mikasa im Kapitel zuvor aufgedeckt hat? Und ist das Kind dann adoptiert (weil es ja auch blond ist)? So könnte ich es mir jedenfalls vorstellen. Schade, dass der echte Armin gestorben ist, aber zumindest hast du ja Jean am Leben gelassen. <3
Hach, in jedem Fall ist das ein krönender Abschluss zu einer ganz ganz tollen Geschichte und ich bin sehr glücklich, dass du mich bewichtelt hast! *drück*
Lg, Kunoichi-X
Von:  Kunoichi
2014-02-03T14:13:02+00:00 03.02.2014 15:13
Und spannend geht es weiter. o.o Du hast mich richtig gefoltert! xD Ich hatte diesen Forschungskeller bildlich vor Augen, so gut hast du ihn beschrieben. Ich war richtig in der Szene drin. Und ein bisschen gruselig fand ich es auch, mit dem Titanenkopf, der da im Glas schwamm... Harr, das war ganz nach meinem Geschmack! <3 Spielst du zufällig auch Horrorspiele? XDD
An der Stelle, an der Mikasa das Buch findet, ist mir ein kleiner Fehler aufgefallen, da schreibst du: "Ein Lebenszeichen zu finden, das jünger war als sein Verschwinden..." Aber das Lebenszeichen müsste ja "älter" sein, damit es ihr Hoffnung macht.
Und dann findet sie ja die Spritze und ehrlich gesagt, hab ich mir ab dort schon fast gedacht, was damit am Ende passieren würde und nur drauf gelauert! ^^ Du hast Mikasas Panik richtig schön rübergebracht, als die Titanen angegriffen haben, da konnte man sich gut hineinversetzen. Auch in diese Einstellung, während des Kampfes kein Mitgefühl zu zeigen, also dass da irgendwie was aussetzt und man einfach funktioniert. Das war sehr realistisch.
Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass du Levi super getroffen hast? XDD Nein? Also, das hast du! *schwärm* Und die Abenddämmerung gefällt mir auch immer noch besonders gut!
Ich mochte es auch gern, dass du immer wieder auf den Schal zurückgekommen bist. Ob er nun fertig wird oder eben nicht. Naja, und als Mikasa sich dann entschieden hatte, war ja klar, dass sie gewinnen werden. Du weißt ja, ich mag Happy Endings. <333
Von:  Kunoichi
2014-02-03T13:54:51+00:00 03.02.2014 14:54
Hehe. xD Tut mir leid, dass ich anstrengend bin. Mit mir hat man's halt nicht leicht. *sigh* Aber ich freue mich auch, dass du etwas Neues für dich beim Schreiben dieser Story gewonnen hast. ^^ In jedem Fall hast du die Herausforderung mit Bravour gemeistert! <3
Erst mal zu deinem Stil: Der ist wirklich klasse! Er liest sich super schön und super flüssig und ich habe nicht mal Flüchtigkeitsfehler gefunden, obwohl ich doch so ein Rechtschreibnazi bin. XD
Die Stimmung, die du im Prolog vermittelst, ist toll. Also, dieser Kontrast zwischen früher und heute, zwischen "trautem Heim" und "zerfallener Ruine" und dem Ende von Mikasas Kindheit. Oder die Atmosphäre im Sonnenuntergang. Es ist so spannend, man denkt, dass jeden Moment etwas passieren könnte. Ich war richtig hibbelig, was dort in diesem Keller wohl zu finden sein möge. °_° Und Mikasas Hoffnungen haben diese Gefühle nur noch bestärkt.
Die Charaktere hast du total IC dargestellt. Es war so süß, wo Mikasa Erens Hand genommen hat!!! Da hab ich hier nur rumgequietscht. XDD Es wird sooo deutlich, was sie für ihn empfindet! Hach. Und Levi hast du auch perfekt getroffen! Danke vielmals, dass du ihn nicht Rivaille genannt hast! Da kriege ich immer Zustände, wenn ich das lese. xD"
Gleich mal weiter zum nächsten Teil...


Zurück