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Zukunftswunsch

Winter-Wichtel-FF
von

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Prolog

In ihrer Erinnerung stand es noch.
 

Das kleine Backsteinhaus mit dem dunklen, spitzen Dach. Sie erinnerte sich noch genau an den Weg, der hinauf geführt hatte, wie man schon aus mehreren Schritten Entfernung die Düfte des deftigen Mittagessens riechen konnte. Oder den Duft der frisch gewaschenen Wäsche. Wie manchmal Erens Mutter den Kopf aus dem Fenster herausgestreckt hatte, lachend, und ihnen zugewinkt hatte. Jedes Mal hatten sich ihre Schritte daraufhin beschleunigt, genau wie die von Eren. Sie hatten gleich noch viel schneller zurück ins traute Heim kommen wollen, zu Mutters warmer Begrüßung.

Heute hingegen… Ihr Blick glitt über unkrautüberwucherte Steine, über die Trümmer, an denen in den letzten Jahren deutlich der Zahn von Zeit und Verfall genagt hatte. Die behagliche, warme Atmosphäre von damals, das Gefühl von Heimat, es war verschwunden. Das so traute Heim ihrer Kindheit war zerstört, zerfallen.
 

Wie das Kind in mir.
 

Sie wandte sich ab, ihr schwarzes Haar wehte sanft in einer leichten Brise, die das Geräusch von Pferdehufen nähertrug. Sie war fast da. Die zweite Einheit, die sie angefordert hatten, nachdem das Gebiet als weitgehend sicher eingestuft worden war.

Die Trümmer, die einst ihre Zuflucht gewesen waren, würden fortgeschafft werden, weggetragen, bis gar nichts mehr übrig blieb, das an die bittersüße Kindheit erinnerte, die hier begraben lag. Bis sie an den Keller herankommen konnten, die eine Tür, die immer verschlossen gewesen war, verschlossen hatte bleiben sollen – und nun, in einer Welt, die sich so anders anfühlte, in einer Welt, in der das Gebiet der Mauer Maria von der Außenwelt verschlungen war, war es nötig, dass diese Tür geöffnet wurde.
 

Sie sah Eren, Armin. Genau wie sie selbst standen sie in gemessenem Abstand zu der Ruine, an der inzwischen die ersten kräftigen Männer zu arbeiten begonnen hatten. Reiner war unter ihnen, Berthold auch. In Erens Augen lag die Wehmut, die in Mikasas Herz lag, und auch Armin, obgleich voller Aufregung und Vorfreude, sah traurig aus.

Jemand brüllte Befehle, es war ein kräftiger Mann, dessen Namen ihr gerade nicht einfallen wollte. Ein genauso kräftiger Mann, dessen Name ihr gerade genauso fremd war, antwortete in gleichem, brüllendem Tonfall.

Ihr Blick kehrte zu Eren zurück, dessen wehmütiger Blick sich langsam mit zuversichtlicher Entschlossenheit vermischte, und für einen Hauch eines Augenblicks zuckten rosige Lippen zum Anflug eines Lächelns. Ihre Hand zog den roten Schal um ihren Hals zurecht. Nicht weit von ihr stand Leutnant Levi, die Arme verschränkt, ein Sinnbild stoischer Ruhe, während er die Aufräum- und Sicherungsarbeiten überwachte, die seine Truppen ausführten. Er rührte keinen Finger, bellte kaum einen Befehl – seine Leute wussten, was er erwartete, und sie wussten es auszuführen, ohne dass er sie permanent an die Hand nehmen musste.
 

Es war ein seltsames Gefühl.

Wieder zurückzukehren, nach Shiganshina, zu ihrem letzten wirklichen Zuhause. Es erneut zu betreten, auch wenn kaum mehr etwas übrig war davon.

Sie wusste nicht, ob sie es mögen sollte. Noch einmal über die Türschwelle zu treten, in ein Heim, das kein Heim mehr war, würde unweigerlich zur Realität machen, dass ihre alte Zuflucht auf ewig verloren war.

Doch es führte kein Weg daran vorbei. Hier, unter ihnen, unter diesem Haus, lagen womöglich die Antworten auf all die Fragen, die sie nicht beantworten konnten, das Ende ihres nicht enden wollenden Leids.
 

Der Beginn einer lebenswerten Zukunft.
 

In einträchtigem Schweigen sahen sie zu, wie der Räumungstrupp einander Befehle zubrüllend mehr und mehr die Überbleibsel ihrer Vergangenheit abtrug, auseinanderriss, die ehemals noch erkennbare Ruine des Kindheitsheimes in eine groteske Ansammlung von Trümmerhäufchen verwandelte. Jeder Stein schmerzte ihr, doch mit jedem Stein keimte unter dem sengenden Schmerz die sanfte Hoffnung weiter auf, blühte zu einer zarten, scheuen Blume.

Hier und heute würden sie weiterkommen. Einen Schritt voran, zwei Schritte. Immer weiter, hocherhoben, den Titanen entgegen. Sie würden nicht mehr einknicken vor ihrer Übermacht.

Ihr Blick flackerte zu Eren hinüber, zu dem vertrauten Gesicht, dessen dunkelgrüne Augen vor feierlicher Entschlossenheit in der sich senkenden Abendsonne glühten. Ein jäher Windstoß trug fremde Gerüche mit sich, die so gar nicht mehr an die kleine Stadt erinnern wollten, an das blühende Leben, das hier einst gewesen war.

Keine frische Wäsche, kein warmes Mittagessen. Nur kalte, feuchte Pflanzendüfte, die sie hier noch nie wahrgenommen hatte.
 

„Alles ist gesichert! Der Eingang zum Keller ist freigelegt!“
 

Die kräftigen Männer hatten aufgehört zu arbeiten, standen in ordentlichem Salut nebeneinander da. Der Führer ihrer Einheit war einen Schritt vorgetreten. Es war der Mann, dessen Name ihr vorhin schon nicht eingefallen war. Ihr Blick wanderte, blieb auf Leutnant Levi ruhen. Sein Haar glomm im Sonnenuntergang wie glühende Kohlen.
 

„Ihr habt es gehört! Einheit A, vorrücken!“
 

Sie hatte die ersten Schritte schon getan, ehe Leutnant Levis Worte in der Einöde verhallt waren. Doch nur kurze Zeit später hielt sie wieder inne, neben Eren zum Stehen gekommen. Armin war nicht mehr bei ihm; er gehörte zu den Wachposten, die sie schützen sollten für den unwahrscheinlichen Fall, dass Titanen trotz ihrer Sicherheitsmaßnahmen angreifen würden. Sie hob den Blick in Erens Gesicht, sah ihn forschend an, suchend. In seinen Augen leuchtete die Abendsonne, auf seinen Lippen spielte Entschlossenheit, Zuversicht. Langsam, selbst nicht sicher, wieso, ergriff sie seine Hand, drückte sie nur sanft. Eren lächelte, nickte ihr zu, aufmunternd.

„Bald“, versprach er, seine Stimme klang warm, selbstbewusst. Und doch konnte sie das leichte Zittern dahinter hören, das sich dem unaufmerksamen Zuhörer so gut verbarg.

Eren war nervös. Vermutlich schlug ihm das Herz bis zum Halse – noch mehr, als es bei ihr selbst der Fall war. Und jetzt, so kurz davor, einen Schritt auf den Boden ihrer Kindheit zu tun, schnürte ihr die Aufregung die Kehle zu.

Wie musste es erst Eren da gehen, der mit diesem Haus noch so viele Erinnerungen mehr verband?

„Eren…“

Eren lächelte sie an, dann wandte er den Blick auf die Ruine vor ihnen. Seine Augen glühten voller Zuversicht, voller Liebe, seine Lippen waren zu einem selbstbewussten, zuversichtlichen Lächeln erhoben.
 

„Und wenn wir hier fertig sind, Mikasa, dann bauen wir es wieder auf.“
 

Sie blinzelte, spürte, wie ihre Augen sich weiteten, ihr Herzschlag sich beschleunigte aus ganz anderen Gründen als zuvor noch, der Griff ihrer Finger wurde fester. Ihr fiel das Atmen schwer, freudige Aufregung ließ ihre Brust anschwellen. Sie nickte, langsam nur, fast feierlich, warf einen letzten Blick auf die Überreste der Trümmer ihres alten Heims.

Vor ihrem inneren Auge erschien das kleine Haus in all seiner vergangenen Pracht.
 

Sie sah zwei kleine Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, die lachend zur Haustür liefen, während hinter dem Fenster eine Frau mit langem, dunkelbraunem Haar auf einem einfachen Stuhl saß, Strickzeug in den Händen. Ein halber, roter Schal lag auf ihrem Schoß; er würde nie fertig werden.

Mit einem Blinzeln veränderte sich das Bild, die Frau hatte nun schwarzes Haar, fremdländische Züge, und an dem grob gezimmerten Holztisch saß nicht mehr der Mann mit Brille, den sie in ihrer Kindheit als zweiten Vater kennengelernt hatte, sondern eine ältere Version von ihrem Eren. Die beiden Kinder, die hereinkamen, waren Geschwister, das Mädchen hatte die gleichen beeindruckend dunkelgrünen Augen wie sein Vater, die des Junge waren schwarze Edelsteine von fremdartiger Form.

Dieser Schal würde fertig werden.
 

„Und dann zeigen wir unseren Kindern, wie schön es sich hier leben lässt!“
 

Mikasa lächelte kaum merklich in stiller Vorfreude, als sie mit einem ersten Schritt über die Schwelle ihres Kindheitsheims ihre Zukunft besiegelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kunoichi
2014-02-03T13:54:51+00:00 03.02.2014 14:54
Hehe. xD Tut mir leid, dass ich anstrengend bin. Mit mir hat man's halt nicht leicht. *sigh* Aber ich freue mich auch, dass du etwas Neues für dich beim Schreiben dieser Story gewonnen hast. ^^ In jedem Fall hast du die Herausforderung mit Bravour gemeistert! <3
Erst mal zu deinem Stil: Der ist wirklich klasse! Er liest sich super schön und super flüssig und ich habe nicht mal Flüchtigkeitsfehler gefunden, obwohl ich doch so ein Rechtschreibnazi bin. XD
Die Stimmung, die du im Prolog vermittelst, ist toll. Also, dieser Kontrast zwischen früher und heute, zwischen "trautem Heim" und "zerfallener Ruine" und dem Ende von Mikasas Kindheit. Oder die Atmosphäre im Sonnenuntergang. Es ist so spannend, man denkt, dass jeden Moment etwas passieren könnte. Ich war richtig hibbelig, was dort in diesem Keller wohl zu finden sein möge. °_° Und Mikasas Hoffnungen haben diese Gefühle nur noch bestärkt.
Die Charaktere hast du total IC dargestellt. Es war so süß, wo Mikasa Erens Hand genommen hat!!! Da hab ich hier nur rumgequietscht. XDD Es wird sooo deutlich, was sie für ihn empfindet! Hach. Und Levi hast du auch perfekt getroffen! Danke vielmals, dass du ihn nicht Rivaille genannt hast! Da kriege ich immer Zustände, wenn ich das lese. xD"
Gleich mal weiter zum nächsten Teil...


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