Eine beschwerliche Reise von Kawaii_Fruit (Kratos & Anna) ================================================================================ Kapitel 5: Aufbruch ------------------- Es hatte nicht lange gedauert, bis Anna, dicht an Noishe gekuschelt, eingeschlafen war. Kratos betrachtete sie grübelnd. Die junge Frau sah mager und kränklich aus. Geistesabwesend beobachtete er, wie ihr Umhang zu Boden rutschte, als sie sich im Schlaf drehte. Es versetzte ihm einen Stich, als er die langen Narben an ihren dürren Handgelenken entdeckte. Sie mussten von den grausamen Peitschen der Desians stammen. Seufzend stand er auf und deckte sie dürftig mit ihrem heruntergerutschten Umhang zu. Ein Stück entfernt ließ er sich rücklings in die Wiese sinken und betrachtete die Sterne. Für eine Herbstnacht war der Himmel ungewöhnlich klar. Inständig hoffte er, dass sie Palmacosta rechtzeitig erreichen würden. Sobald die typischen herbstlichen Stürme an der Küste aufzogen, war an eine Überfahrt nicht mehr zu denken. Er graute ihm vor der Vorstellung mit einem flüchtigen Experiment der Desians ausgerechnet in Palmacosta festzusitzen. An der Küste gab es keinen Fluchtweg zurück ins Land und es würde sich schwierig gestalten sich in der Stadt vor den Desians zu verbergen. Nachdenklich fuhr er sich mit der Hand durch die rostroten Haare. Es war schwer genug sich vorzustellen, wie er überhaupt mit ihr umzugehen hatte. Es musste ihr mehr als seltsam erscheinen, wie er sich benahm. Leise murrend setzte er sich auf und stützte das Kinn auf seine Handfläche. Was hatte er sich bei dieser Aktion nur gedacht? Gar nichts. Das war es. Er hatte sie gesehen und entschieden. Er hatte mit ansehen müssen, wie Kvar die junge Frau behandelt hatte und es war ihm zuwider gewesen. Doch was in aller Welt hatte ihn plötzlich dazu bewogen diese Frau zu befreien? Noch einmal warf er ihr einen verstohlenen Blick zu. Nach einer Weile zwang er sich den Blick wieder abzuwenden. Es gehört sich nicht junge Frauen beim Schlafen zu beobachten, erinnerte er sich selbst mit einem Räuspern. Noishe hob interessiert den Kopf. „Was schaust du mich so skeptisch an?“, fragte er den Protozoan. Belustigt verzog der die Lefzen zu einem schiefen Grinsen. Kratos hob eine Augenbraue. „Du liegst falsch mit deiner Vermutung, mein Freund.“ Sichtlich enttäuscht ließ Noishe die Ohren hängen und vergrub die Schnauze unter seinen breiten, lavendelfarbenen Pfoten. „Du bist gern ein wenig in ihrer Gesellschaft, hm?“, erwiderte Kratos mit einem matten Lächeln auf seinen Lippen. „Keine Sorge, Anna wird so oder so eine ganze Weile bei uns bleiben müssen.“ Der Protozoan wedelte offenkundig begeistert mit dem Schwanz und presste seine Schnauze glücklich an Annas Schulter. Ein sanftes Lächeln huschte über ihre müden Züge.   Gähnend öffnete Anna die Augen und räkelte sich in der kühlen Morgenluft. Noch immer schmerzten ihre Glieder von der Tortur durch die Wächter der Menschenfarm. Sie hatte sich kaum aufgerichtet, als eine warme Zunge genüsslich über ihre Wange schleckte. Überrascht schob sie Noishes Kopf beiseite und kraulte ihn kichernd unter der Schnauze. „Guten Morgen du Strolch.“, begrüßte sie das stürmische Tier. Mit einem suchenden Blick über die Lichtung erhob sie sich auf die Knie. Das Lagerfeuer schien schon lange erloschen zu sein. Von Kratos fehlte jede Spur. Eine jähe Nervosität verdrängte die fröhliche Begrüßung. Unsicher kauerte sie sich an Noishes Seite. „Kratos?“, fragte sie zunächst zaghaft und beobachtete die umstehenden Bäume angespannt. Nichts war zu erkennen. „Kratos Aurion?“, wiederholte sie lauter, doch niemand antwortete ihr. Noch einmal ließ sie den Blick über die Lichtung schweifen. Er hatte kein Gepäck mit sich genommen. Allmählich ebbte ihre Nervosität ab. Seit der Flucht hatte sie ständig befürchtet, dass er sie zurücklassen würde. Aber dann hätte er seine Sachen und seinen… Hund mitgenommen, bestärkte sie sich selbst und wandte sich wieder an Noishe. Er betrachtete sie neugierig und stupste seine feuchte Nase an ihren Handrücken. Geistesabwesend streichelte sie seinen warmen Hals und begann leise zu summen, um die Stille zu vertreiben. Wenig später ließ sie ein leises Rascheln verstummen. Erwartungsvoll blickte sie in den Wald und entdeckte Kratos. Er bahnte sich wortlos seinen Weg durch das Gebüsch, seine Haare waren nass und klebten an seinen Wangen. Stillschweigend stand sie auf und wartete ab. Noishe legte die Ohren an und betrachtete sie unsicher. Er schien die dunkle Aura zu wittern, die beinahe sichtbar um die junge Frau waberte. Wimmernd zog er den Schwanz ein. Anna verschränkte die Arme vor der Brust. „Kraaaatos.“ Erst jetzt schien er auf sie aufmerksam zu werden und hob den Kopf. „Ja?“, fragte er und trat auf die Wiese. Mit schnellen und erstaunlich sicheren Schritten trat sie auf den jungen Mann zu und verharrte wenige Zentimeter vor seiner Brust. Verdutzt blickte er hinab in ihr Gesicht. „Ist es zu viel verlangt, dass du mir Bescheid gibst, bevor du einfach verschwindest?“, fragte sie und etwas Drohendes lag in ihrer Stimme. Das warme Essen und der erholsame Schlaf hatten ihre Willenskraft zurückgebracht. Kaltes Wasser tropfte von seinem Pony in ihr Gesicht. Sprachlos blickte er in ihre Augen. Es dauerte einen Moment bis er sich gefasst hatte. Anna tappte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden. „Ich dachte ich lasse dich besser schlafen, du sahst so erschöpft-“ Sie schnitt ihm das Wort ab. „Ich bin dir mehr als dankbar für die Rettung und für alles andere, was du getan hast. Aber das rechtfertigt nicht, dass du einfach ohne ein Wort verschwindest!“, murrte sie. „Ich dachte du hast mich alleine gelassen.“, ergänzte sie schließlich kleinlaut nach einer unangenehmen Pause und wandte den Blick ab. Inständig hoffte sie, dass er das Beben in ihrer Stimme nicht bemerkt hatte. Ein leises Kichern ließ sie ungläubig aufblicken. „Hast du gerade … gekichert?“, fragte sie und blickte erneut auf die emotionslose Maske von Gesicht, die sie inzwischen nur allzu gut kannte. „Ich? Gekichert? Wo denkst du hin?“, brummte er und wandte sich ab. Entgeistert blickte sie ihm nach und schüttelte den Kopf. Wo bin ich hier nur rein geraten? Gerade einmal zwei Nächte waren vergangen, seit er sie befreit hatte und dennoch fühlte sie sich schlagartig unsicher, sobald er sich aus ihrer Nähe entfernte. Sobald er verschwand kehrte das einsame Gefühl zurück, welches sie in der Zelle der Desians wochenlang gequält hatte. Ein Schauder lief durch ihren Körper, als die Erinnerung zurückkehrte. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte: Sie konnte sich glücklich schätzen, dass ausgerechnet dieser Fremde sie aus ihrer Gefangenschaft befreit hatte. Wenn er tatsächlich schlechte Ziele verfolgte, hätte er schließlich nicht die Mühe auf sich genommen und ihr frische Kleider besorgt. „Anna?“ Aus den Gedanken gerissen blickte sie auf. „Kannst du laufen? Noishe wird einen Teil unseres Gepäcks tragen und ich möchte ihm nicht unbedingt zumuten dich auch noch zu tragen.“ Sie nickte und trat an seine Seite. Noishe war bereits mit zwei kleinen Seitentaschen bepackt und schien ungeduldig auf seine neue Freundin zu warten. Lächelnd tätschelte sie seinen Hals und blickte Kratos erwartungsvoll an. Er erwiderte ihren Blick und verkündete: „Unser nächstes Ziel ist Palmacosta.“   Anna hatte Schwierigkeiten mit dem Tempo ihrer Begleiter mitzuhalten. Immer wieder verfiel sie in einen Laufschritt, um auf gleicher Höhe bleiben zu können. Kratos zügelte Noishes Tempo, als er bemerkte, wie sie außer Atem zum Stehen kam. „Alles in Ordnung?“, fragte er mit einem skeptischen Blick. Anna nickte atemlos. „Keine Sorge… ich bin nur etwas aus der Form…“ Ein lautes Husten veranlasste ihn dazu umzukehren. Stillschweigend ging er mit dem Rücken zu ihr in die Knie. Anna beobachtete ihn verständnislos. „Steig auf.“, forderte er. „Was?“, erwiderte sie noch immer ächzend. „Du sollst auf meinen Rücken klettern, ich trage dich. Bei deinem Tempo schaffen wir es niemals rechtzeitig in die Hafenstadt.“, erklärte er. Anna hob die Augenbrauen. „Du willst mich tragen?“, wiederholte sie. „Ja, genau das werde ich tun und jetzt mach schon.“ Widerwillig hielt sie sich an seinen Schultern fest und ließ sich von ihm hochheben. Noch immer waren seine Haare kalt und feucht. Schnuppernd stellte sie fest, dass auch er nun nach Lavendel duftete. Das erklärte zumindest sein morgendliches Verschwinden. Es dauerte ein Moment, bis ihr Husten sich beruhigt hatte. Erschöpft legte sie das Kinn auf seine Schulter und beobachtete wie Noishe am Wegesrand einige Blumen beschnüffelte. „Sag mal, Anna…“, begann er und setzte seinen Weg durch den Wald fort. „Als ich vorhin ins Lager kam hast du etwas gesummt.“ Überrascht hob sie den Kopf. „Das hast du gehört?“ Er zögerte, dann nickte er. „Was war das für ein Lied?“ Ein wehmütiges Lächeln überschattete ihre Züge. „Ein Kinderlied. Meine Mutter hat es für mich gesungen als ich noch sehr klein war.“ Der Wald lichtete sich kaum merklich, als er erneut zu sprechen begann. „Meinst du, du kannst es mir heute Abend vorsingen?“, fragte er und ignorierte ihren interessierten Blick. Kurz hielt sie inne, dann nickte sie. „Wenn du möchtest.“ Ein kleines Feuer prasselte am Eingang einer breiten Felsspalte. Kratos hatte beschlossen den Hakonesiagipfel erst am folgenden Tag zu passieren und die Felsspalte als Lagerplatz auserkoren. Tatsächlich hatte er Anna den ganzen Weg auf seinem Rücken getragen. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass er nicht eine Pause hatte machen müssen. Nun saß er vor ihr auf dem Boden und blickte sie erwartungsvoll an. Anna wusste worauf er wartete. Mit einem zögerlichen Lächeln holte sie Luft und hob zu singen an: Leise säuselnd weht er über Wiesen, Felder, durch den Wald. Wispernd singt er seine Lieder, die schon hundert Jahre alt. Diese Weisen fand er damals, bei der Mutter in der Nacht, die aus bunten Traumgespinsten wunderschöne Lieder macht. Wenn nun dieses leise Flüstern abends durch ein Fenster dringt singt es dort die alten Weisen, dass das Kind in Träume sinkt.   Kratos hatte die Augen geschlossen und lauschte beinahe andächtig. Noch immer konnte sie nicht nachvollziehen, warum er solches Interesse an dem Lied zeigte. Als sie verstummte schwieg er mit verschlossenen Augen. Anna betrachtete ihn still. „Der Wind.“ Er öffnete die Augen. Erstaunt musterte sie ihn. „Was?“ „Der Wind. Das Lied handelt vom Wind.“ Sie nickte verwirrt. „Ja, mag sein.“ Er erhob sich und Anna meinte, den Ansatz eines Lächelns auf seinen Lippen erhascht zu haben. „Leg dich schlafen.“ Mit einer Geste zu Noishe, der schon auf sie zu warten schien, ließ er sich am Feuer nieder. Anna hob verwundert eine Augenbraue. Er mochte ein noch so netter Kerl sein. Seltsam fand sie ihn trotzdem. Gähnen kroch sie zu Noishe und schmiegte sich in sein warmes, weiches Fell. Trotz des Lagerfeuers fröstelte sie und zog ihren Umhang enger. Ein unangenehmes Kratzen im Hals ließ sie leise husten. Wenig später hatte die schwere Müdigkeit sie überwältigt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)