Impetrire von Chimi-mimi ================================================================================ Prolog: Profugere ----------------- Erdig. Salzig. Moosig. Süßlich. Herb. Tausende Gerüche und noch mehr. Leises Fauchen, wütende Schreie, fiepende Tiere. Brechende Äste, Wind im Gehölz, tapsende Laute. Immer dem Mond entgegen. Schneller, schneller, schneller. Laut heulen, den Mond anbeten. Traumhaft schöner, faszinierender Mond. Sehnsucht danach, dieses kalte Ziehen im Magen. Hecheln, heulen, immer schneller laufen. Alles und doch nichts wahrnehmen. Nur ein Ziel vor Augen, ein Wunsch: dem Mond entgegen fliegen. Laufen, sehnen, hingezogen sein. Nur dafür existierte er noch. Frei sein und doch gefangen sein im Mond. Doch dann… Schmerz, Angst, Flucht. Angsterfülltes Heulen, wuterfülltes Heulen, schmerzerfülltes Heulen. Flucht, nur noch Fluch. Je mehr Schmerz, umso mehr Menschlichkeit und so hatte er schließlich nur noch ein Ziel vor Augen: Fliehen und heimkommen. Es gab keine Freiheit in dieser Nacht, der Mond machte ihn zu einem Gefangenen und der Schmerz gab ihm seinen Verstand zurück. Er musste fliehen. Kapitel 1: Impetrire -------------------- Mit einem fast schon melancholischen Gefühl stand Snape oben auf dem Turm und sah hinunter auf den Wald, hinter dem so langsam die Sonne die ersten Strahlen hervorblitzen ließ. Es war einer der wenigen Momente, in denen er sich gestattete, sich seinen Gefühlen hinzugeben und seinen Erinnerungen nachzuhängen. Seine Schüler würden das vielleicht nicht glauben, doch auch Severus hatte Gefühle, auch bei Severus bekam die Schutzmauer, die er um sich herum aufgebaut hatte, Risse. Darum liebte er den Sonnenaufgang, den Moment, wenn die ersten Strahlen ihn langsam erwärmten und die Kälte der Nacht vertrieben. „Severus?“ Mit Mühe und Not verkniff er sich den Seufzer, der ihm fast entfahren wäre. Das war es mit dem ruhigen und friedlichen Moment des Tages, sein Typ, und zwar sein Typ als strenger, unnachgiebiger Lehrer war gefragt. „Albus?“, erwiderte er, bewusst den gleichen fragenden Unterton verwendend, bevor er sich langsam umdrehte und dem Schulleiter einen kühlen Blick schenkte. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Da war es, das verschmitzte Lächeln Dumbeldores, das bis in die Augen reichte, die für Severus dennoch stahlblau waren und die Härte, die Unnachgiebigkeit seines Vorgesetzten immer wieder aufs Neue bewusst machten. „Welch wundervoller Sonnenaufgang, nicht wahr?“ Der Schulleiter trat an seine Seite und ließ den Blick über die Landschaft Hogwarts gleiten, während er leise, als ob er den Frieden des beginnenden Tages nicht stören wollte, weitersprach: „Sie können mir in der Tat helfen, Severus. Sie sind sogar der Einzige, dem ich diese Aufgabe anvertrauen möchte.“ Obwohl Dumbledore sich auf den traumhaften Ausblick zu konzentrieren schien, wusste Snape genau, dass er nicht vergessen war und jede seiner Bewegungen wahrgenommen wurde. „Was kann ich für Sie tun, Albus?“ Seite an Seite standen sie nun in dem bodentiefen Fenster, jeder scheinbar auf seine Weise versunken und doch waren sie beide aufmerksam wie immer. Es war nicht nur Severus‘ zweite Natur geworden, er wusste, dass auch der Schulleiter sich keine derartige Nachlässigkeit erlauben konnte. In diesen Zeiten weniger denn je. „Sie kennen unser kleines Problem, Severus, und Sie wissen auch, dass aktuell, just in dieser Nacht, eine gefährliche Zeit ist.“ Dieser Satz reichte und er hatte eine Ahnung, was ihn nun erwarten würde. Hatte er nicht erst gestern wieder den Trank gebraut und ihn zu ihm gebracht? Hatte er nicht am Abend auf den Mond geschaut und mit einem leichten Schaudern das weit entfernte Heulen wahrgenommen? Reichte das nicht? Dumbledore kannte seine Vergangenheit, dennoch konnte er sie nicht ruhen lassen. „Severus, es tut mir Leid, dass ich ausgerechnet Sie wieder einmal um Hilfe bitten muss, doch Sie wissen, dass dieses kleine Geheimnis nur zu wenigen vertraut ist.“ Er presste die Lippen aufeinander, senkte den Kopf kaum merklich – es war nur die Andeutung eines Nickens, die Andeutung seines Verständnisses und die Andeutung seiner Akzeptanz. Auch wenn es ihm zuwider war, konnte er dennoch nichts entgegensetzen. Dumbledore hatte Recht, so ungern er das zugab. „Was soll ich tun?“ Nur widerwillig presst er die vier Worte hervor. Zwischen logischem Verständnis und dem freien Willen, etwas zu tun, lag einfach eine zu große Distanz, die sich nicht so leicht überwinden ließ. „Er ist noch nicht da.“ Langsam wandte der Schulleiter ihm den Kopf zu, sah ihn direkt aus den stahlblauen Augen an und Severus meinte, einen Funken Sorge zu erkennen. „Vielleicht hat er sich zu weit vom Schloss entfernt.“ Die Erinnerung an das weit entfernte Heulen kam ihm wieder in den Sinn. Er konnte sich nicht erinnern, dass dies jemals zuvor so leise erklang. „Ja. In der Nacht kam es mir so vor.“ Albus‘ Blick wurde etwas milder, als ob er in die Ferne gerichtet wäre. „Sie haben es also auch gehört, Severus.“ Dies war keine Frage, sondern nur eine Feststellung, so dass sich die Antwort für ihn erübrigte. Er sollte lieber gehen, bevor die Schüler die Flure bevölkerten und seinen Aufbruch beobachteten. Snape wollte ihnen keinen Grund für frohe Gerüchte geben, dass er nun endlich Hogwarts verlassen würde. Er bevorzugt die stillen Momente und einen ruhigen Abflug. Mit einem leichten Nicken zu Dumbledore eilte er davon, seine schwarzen Umhänge rauschten leise, während er so leicht wie eine Fledermaus die Treppen zu seinem Gemach heruntereilte. Das „Ich danken Ihnen, Severus“ hörte er zwar noch, doch wollte er nicht darauf antworten. Vielleicht war es selbstverständlich, dass man einen Kollegen unterstützte, doch konnte er von sich nicht behaupten, dass ihm dies leichtfallen würde, dass dies aus vollem Herzen geschah, denn noch immer war da dieser Widerwille, diese Unmut, die ihn langsamer machten als er hätte sein können. Dennoch brauchte er nicht lange, um seinen Besen zu holen und sich, nachdem er sich elegant darauf geschwungen hatte, in die Lüfte zu heben. Sein Zauberstab lag bereits auf seiner Hand, als er ihn ansah und ein beschwörendes „Weise mir die Richtung“ murmelte. Im Bruchteil einer Sekunde drehte sich der Zauberstab und zeigte in Richtung des Sonnenaufgangs und Severus folgte dem gewiesenen Weg. Es war kein Geheimnis, dass er ihn, den er nun suchen musste, verachtete. Zu viele Dinge waren geschehen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten, zu vieles hatte man ihm angetan, was nicht verziehen werden konnte. Und doch saß er nun hier auf dem Besen, spürte, wie sein Mantel sich hinter ihm in der Luft aufbauschte, spürte den noch nicht von der Sonne erwärmten Wind in seinem Gesicht und war auf der Suche nach dem Wolf. Nach dem Mensch, der den Wolf in sich trug. Genügte es nicht, ihm Monat für Monat den Trank zu brauen? Genügte es nicht, dass er seinen Lehrplatz genommen hatte? Es gab genug, dass seinen brennenden Groll anfeuerte, die Suche hier war nur noch ein kleiner Funke, der dazu kam. Als sein Blick auf den Zauberstab fiel, musste Severus sich eingestehen, dass er unkonzentriert war und sich zu sehr in seinen Gedanken hatte gehen lassen. Hastig wandte er sich nun in die Richtung, die sein Stab ihm verriet und beschloss, alle seine Gefühle wieder zu zügeln, sie einzusperren und sich nicht davon leiten zu lassen. Er war Severus Snape, Hauslehrer von Slytherin, Professor für Zaubertränke und enger Vertrauter von Albus Dumbledore. Er würde sich nicht von vergangenen Dingen vom Besen werfen lassen und würde stattdessen seinen Auftrag ordnungsgemäß ausführen. Sein Rücken straffte sich, seine Gesichtszüge nahmen den bekannten harten Ausdruck an, den seine Schüler bereits fürchteten. Severus Snape war wieder vollkommen entschlossen, seine Aufgabe korrekt zu erfüllen. Doch sollte es noch eine gewisse Zeit brauchen, bis er dies konnte. Konzentriert folgte er dem Zauber, hatte das Gefühl, im Kreis zu fliegen und unnötige Wege zurückzulegen, doch dann schien er sein Ziel erreicht zu haben. „Wo bist du?“, murmelte er leise und beschloss dann, mit einem Zauber seinen Blick für kurze Zeit zu schärfen. Unter ihm konnte er ohne diese Hilfe nur Bäume entdecken, die menschliche Sehkraft half ihm nicht weiter und auf dem Boden zu suchen sah Severus als reine Zeitverschwendung an. Mithilfe seines Zaubers jedoch konnte er sein Ziel auf dem Boden ausmachen, wenn auch dies einige Minuten kostete. So löste er den Zauber auf, kam schließlich sanft auf der Erde zum Stehen und schwang sich elegant von seinem Besen runter. „Lupin?“ Er hörte selbst den harten Unterton seiner Stimme, die Verachtung, die mitschwang, und hatte auch nicht vor dies zu ändern. So beschloss er auch, direkt neben dem Besen stehen zu bleiben. Keinen Meter wollte Severus sich ihm nähern. Es war die Schuld dieses Wolfes, der sich nicht an die Abmachung gehalten hatte, den er nun hier, weit außerhalb der Wälder Hogwarts finden musste. Das musste reichen. Doch als keine Antwort kam, nur ein leichtes, kaum wahrnehmbares Stöhnen von Remus‘ Lippen erklang, musste Severus seine sture Haltung aufgeben. Es war abzusehen, dass er seinen wertgeschätzten Kollegen nicht mit nur einem Wort aus dem Schlaf der Gerechten wecken konnte. Ihm war klar, dass dieser weite Weg auch den Wolf erschöpft haben musste. Lupin musste mitten auf dem Weg zurück in die Wälder Hogwarts zusammengebrochen und eingeschlafen sein. Severus hatte ihn schon einmal nach einer dieser Nächte schlafend, ohne Kleidung, mitten vor den Eingangstoren des Schlosses gefunden. Nach einigen Flüchen hatte er Remus schließlich aufgeweckt und stützend in das Zimmer des Wolfes gebracht. Nicht zu denken, wenn nicht er, sondern ein Schüler ihn gefunden hätte. Scheinbar lag es nun wieder an Snape, den Wolf zu wecken und zurückzubringen, ohne dass jemand in der Schule dies bemerkte. „Lupin!“, sprach er ihn wieder an, ließ seine Stimme noch härter werden, wenn auch nur wenig lauter. Bereits früh hatte er herausgefunden, dass Lautstärke keine Wirkung auf seine Schüler hatte – in der Ruhe lag die Kraft, ein Sprichwort, das ihm durchaus zusagte. Langsam trat er auf den Wolf zu, der in seiner Menschengestalt ungeschützt vor ihm lag, ihm den Rücken zuwendend. Je näher er kam, umso detaillierter nahm Severus ihn wahr: das Zittern, die Kratzer, die wunden Fußsohlen. Unbewusst zog er eine Augenbraue hoch, denn es war deutlich, in dieser Nacht war etwas vorgefallen. Mit jedem Schritt wurde er etwas schneller und ging schließlich hinter dem Wolf auf die Knie. Vorsichtig berührte Severus dessen Schulter, ließ jedoch gleich wieder los, als Remus mit einem schmerzerfüllten Stöhnen wegzuckte. „Lupin…“, versuchte er erneut zu dem menschlichen Wolf vor ihm durchzudringen, hatte jedoch keinen Erfolg. So leise und fließend, wie es ihm eigen war, richtete Snape sich wieder auf, um Remus zu umrunden. Als er den schmächtigen, ausgemergelten Körper des Wolfes von vorne sah, entfuhr ihm ein ungewolltes „Verdammt“. Mitleid wollte er mit ihm nicht haben, doch angesichts der Fluchwunden, die schon die Seite zierten und auf der Brust in einem grausamen Gemisch aus Blut und Erde verkrustet in voller Pracht zu sehen waren, konnte er nicht anders. Wolfsjäger. Werwolfjäger, um es präzise auszudrücken. Das Ministerium schickte immer mehr von ihnen aus, doch weder Severus noch Dumbledore oder gar der Wolf hatten gewusst, dass sie schon so nahe waren, obwohl diese Wälder ein gutes Stück von Hogwarts entfernt waren. Mit einer schnellen Bewegung löste Snape die silberne Schnalle, die seinen Umhang zusammenhielt und ließ ihn zu Boden fallen. So konnte er den Wolf nicht mitnehmen, so konnte er diesen noch nicht einmal berühren, geschweige denn auf einem Besen transportieren. Heilzauber waren nicht seine Stärke, Severus vertraute lieber auf seine Tränke, jedoch blieb ihm hier keine Wahl. Der Zauberstab lag vertraut in seine Hand, als er ihn auf die Verletzungen richtete und leise die Zaubersprüche murmelte, die langsam, aber beständig ihre Wirkung taten. Er war nicht Madame Pomfrey und wusste, dass hier seine Geduld gefordert war. Kapitel 2: Redire ----------------- Es kostete Severus viel Zeit, doch schließlich konnte er zumindest die schlimmsten Verletzungen heilen. Dabei gab es dennoch immer noch genug Fluchmale, für die seine rudimentären Kenntnisse der Heilzauber nicht reichten. Abermals kniete er neben dem Wolf und berührte in sanft an der Schulter. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass dieser dieses Mal nicht zurück zuckte und auch seine Atemzüge ruhiger geworden waren. „Schlaf…“, flüsterte er leise, bevor er seinen Zauberstab erneut nutzte und einen Schlafzauber über den Wolf aussprach. Zwar war dieser noch bewusstlos, doch Snape wollte kein Risiko eingehen. Wäre er auf dem Besen aufgewacht, hätte dies ein Unglück geben können. Es war zu gefährlich und das in erster Linie für Severus selbst. Doch bevor sie das Unterfangen Heimkehr angingen, musste er den Wolf erst einmal… bedecken. Es machte ihn nicht wirklich glücklich, doch er musste seinen Umhang nehmen und auf dem nassen Waldboden ausbreiten. Immer wieder glitt sein Blick zu dem Wolf und seinen Verletzungen, während er den schwarzen Stoff fein säuberlich hinlegte. In Zukunft müssten sie andere Vorsichtsmaßnahmen treffen, denn mit jeder Vollmondnacht wurde die Gefahr für Werwölfe größer. Das Ministerium hatte bereits in den letzten zwei Monaten das Kopfgeld für die Leiche eines Wolfes erhöht. Und Hogwarts konnte sich einen derartigen Skandal nicht leisten, das war Severus nur zu klar. Genauso bewusst war ihm jedoch, dass er den Wolf auf seinen Umgang legen musste, da dieser sich sicherlich nicht im Schlaf darauf rollen würde. Umständlich, entgegen seiner Gewohnheit, stand er auf, klopfte sich die Erde von den Knien. „Lupin. Sie sind mir viel schuldig“, zischte er zwischen seinen aufeinander gepressten Lippen hervor, bevor er den Wolf vorsichtig umbettete. Er kam nicht umhin zu merken, dass dieser trotz seiner scheinbar ausgemergelten Gestalt nicht wenig wog und schwer wie ein Stein in seinen Armen lag. Gekonnt wickelte Severus ihn in seinen schwarzen, warmen Umgang ein, nur um ihn erneut auf die Arme zu nehmen und zum Besen zu tragen. Hätte er geahnt, in welchem Zustand er den Wolf antreffen würde, hätte er sicher nicht den Besen als Transportmittel gewählt, sondern sich für einen der Thestrale entschieden, welche dieser tumbe Wildhüter so voller Liebe pflegte. Nun stand er vor einem Problem in Form eines schmalen Besenstils, der sicher nicht für Krankentransporte gedacht war. „Hoch“, befahl Severus seinem Besen leise, welcher aufs Wort still vor ihm schwebte. Noch immer trug er den Wolf auf beiden Händen, musste ihn nun jedoch absetzen. So versuchte er nun mit einer Hand den an ihn lehnenden zu stützen, während er mit der anderen Hand nach dem Besenstil griff, um beim Aufsteigen das Gleichgewicht zu bewahren. Es war keine leichte Übung und seine Geschmeidigkeit war vollkommen verloren, doch nach ein, zwei eher mühseligen Versuchen saß er schließlich, während Remus immer noch an seiner Schulter lehnte. Severus blieb nun nichts anders übrig, als den schlafenden Wolf vor sich zu ziehen. War schon sein eigener Aufstieg nicht leicht gewesen, erwies sich nun auch dies als schwere Arbeit, welche sich jedoch erleichterte als ein Bein über den Stil gezogen war. So saß Remus nun vor, lehnte sich an ihn, sein Kopf ruhte auf Severus‘ Schulter, während dieser seine Arme um ihn geschlungen hatte, um den Besen lenken zu können. Als der Besen sehr langsam hochzog, musste Severus sich eingestehen, dass er hoffte, dass sie bis nach Hogwarts kommen würden, denn eigentlich war sein Besen nicht für das Gewicht zweier erwachsener Menschen ausgelegt. Zumindest würden sie, dem Stand der Sonne nach, beide den Unterricht verpassen. Doch auch wenn seine Schüler sich heute freuen würden, war ihm zumindest die Genugtuung der erschreckten Gesichter gewiss, wenn er dann wieder erscheinen würde. Im Moment quälte ihn jedoch eher die Frage, neben der, ob sein Besen diesen Kraftakt schaffen würde, wie sie ungesehen in das Schulgebäude kommen würden. Nicht auszudenken, ein Schüler würde sie ertappen. Niemand durfte ihn so sehen. Die Wut kochte wieder in Severus hoch, als ihm diese Gedanken kamen. Das alles hatte er nur dem Leichtsinn des Wolfes zu verdanken. Für diesen Moment hoch oben im Himmel auf seinem Besen hielt sich das Mitleid wieder in Grenzen. Stattdessen kamen all die unterdrückten Gefühle hoch und Severus brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu fangen, um sich wieder an seine Aufgabe zu erinnern. Und dann erhob sich Hogwarts aus den Wolken, erst als Ruine, bis er schließlich die Grenze passierte und die majestätische Burg ihm ein kleines erleichtertes Lächeln auf die Lippen zauberte. Nicht lange ließ er dies zu, fing lieber an langsam in einen Sinkflug zu gehen, denn niemand sollte ihn frühzeitig am Himmel entdecken. Ihn und seinen immer noch schlafenden Begleiter. „Snape, hey, Snape!“ Ein Blick nach unten offenbarte Severus den schnaufenden Wildhüter, der unter ihm herlief und mit seinen großen Pranken winkte. „Dumbledore sagt, Sie sollen hier landen, kommen Sie schon!“ Das machte Sinn und so setzte er erneut zur Landung an, wenn diese nun auch nicht so sanft und elegant wie seine erste war, so hatte er zumindest sich und den Wolf sicher auf den Boden zurückgebracht. Immer noch schwer keuchend blieb Hagrid neben ihm stehen und sah mit offenem Mund auf Lupin hinab: „Was is‘ mit ihm? Is‘ er okay?“ „Nein“, erwiderte Snape schlicht und leise. „Nun nehmen Sie ihn schon, dass ich absteigen kann.“ Erstaunlich sanft und vorsichtig nahm der Wildhüter den schlafenden Wolf hoch. „Er muss zu Madame Pomfrey.“ „Aber da kann er nich‘ hin! Ein paar Schüler ham sich Streiche gespielt und liegen jetzt dort. Professor Dumbledore sagt, Sie solln ihn auf sein Zimmer bringen.“ Fast schon verlegen streckte Hagrid Severus seine Last entgegen. „Ich bin zu auffällig, wenn ich im Schloss rumlauf‘.“ Und zu trampelig und laut, fügte Snape in seinen Gedanken hinzu, bevor er – ebenfalls in seinen Gedanken seufzend – den Wolf wieder entgegen nahm. „Der Weg is‘ grad frei, is‘ grad Unterricht. Ich geb‘ Ihnen Deckung aufm Weg nach oben.“ Vorsichtig sah Hagrid sich um, als ob hinter dem Busch plötzlich ein Schüler hervorspringen würde, bevor er vor ihm her trottete. Aber immerhin war er so groß, dass er wirklich ein guter Schutz vor neugierigen Blicken aus den Fenstern der Räume war. Sollte nun ein Schüler hinausgucken, obwohl er sich doch auf den Unterrichten konzentrieren sollte, würde er nur den Wildhüter sehen, der einen Spaziergang machte. „Ich sach‘ Dumbledore Bescheid, dass Sie wieder da sind, ja?“, mit diesen Worten verabschiedete Hagrid sich an den Schlosstüren und Severus war wieder mit dem Wolf auf seinen Arm allein. Den Besen hatte er in der Hütte des Wildhüters zurücklassen müssen, und dennoch spürte er, wie seine Arme immer schwerer wurden, wie das Gewicht des Wolfes ihm immer mehr Schwierigkeiten bereitete. Leise eilte er die Gänge entlang, immer in der Hoffnung keinem Schüler zu begegnen und – war es nun Glück oder Zufall – tatsächlich erreichte er bald die Räume, die der Wolf erreichte, ohne gesehen geworden zu sein. Sollte es Glück gewesen sein, ließ dieses ihn nun im Stich, denn die Türe war verschlossen und ohne Kleidung am Leib konnte der Wolf wohl auch keinen Schlüssel bei sich tragen. So musste Severus ihn wieder vorsichtig absetzen, wieder an ihn lehnen, ihn wieder mit einer Hand stützen, während die andere die gewohnte Bewegung zu „Alohomora!“ ausführte. Ein vertrautes Klicken verriet ihm, dass das Schloss geöffnet war und er endlich seine Aufgabe erfüllt hatte. Nun ja, fast erfüllt hatte, denn erst musste er den Wolf noch einmal auf die Arme nehmen, um ihn schließlich sanft auf dem Bett ablegen zu können. „Severus.“ „Albus.“ So hatte schon einmal an diesem Tag eine Unterhaltung zwischen ihnen begonnen. „Werwolfjäger.“ „So nahe sind Sie schon?“ Aus den Augenwinkeln nahm Severus wahr, dass der Schulleiter wohl wirklich überrascht war. Er nahm auch diesen kleinen Funken Sorge, der wieder in den stahlblauen Augen aufblitzte zur Kenntnis. „Ja. Ich konnte in dem Wald seine Verletzungen nicht komplett heilen.“ Er trat einen Schritt zur Seite, um Albus das eingefallene, selbst im Schlaf erschöpft wirkende Gesicht zu zeigen. Doch erst, als er seinen Umhang an der verletzten Brust etwas zur Seite schob, bekam er eine Reaktion des Schulleiters. „Oh Remus…“ Mit einem Mal wirkte Dumbledore so alt wie er eigentlich war. Severus kannte diesen Blick, es zeigte die gesamte Sorge und das Mitgefühl, das auch er verspürt hatte, obwohl die Vergangenheit immer zwischen ihm und dem Wolf stehen würde. „Severus, ich muss Sie bitten, hier zu bleiben. Madame Pomfrey wird kommen.“ „Aber…“, rutschte es ihm heraus, bevor es sich selbst wieder zügeln konnte. Im Nu hatte der Schulleiter sich gestrafft und warf ihm einen blitzenden Blick zu. „Severus. Er kann nicht auf die Krankenstation, Madame Pomfrey behandelt gerade jemanden und ich muss etwas erledigen.“ „Natürlich, Albus. Ich verstehe.“ Zähneknirschend fügte er sich schließlich und stand etwas verloren inmitten des ihm fremden Raumes, als der Schulleiter ihn mit einem „Danke“ eilig verließ. Er hatte eine Ahnung, was Dumbledore antrieb, dennoch war er nicht begeistert davon, nun auch noch hier auf Madame Pomfrey warten zu müssen. Untätig ließ Severus seinen Blick streifen, der jedoch immer wieder vom leise atmenden Wolf angezogen wurde. Vielleicht konnte er die Zeit, bis Madame Pomfrey kam, nutzen, um seinen Umhang wieder zu erlangen. Kapitel 3: Sanare ----------------- Sanft wickelte Severus den Wolf wieder aus, zog vorsichtig den Umgang unter ihm heraus und wollte ihn eigentlich mit einer leichten Decke wieder vor der Kälte schützen. Und dennoch hielt er mitten in der Bewegung inne, nahm den Schmutz wahr, die verdreckten Wunden, die schwarzen Fingernägel, die Grasbüschel zwischen den Zehen. Er kannte Madame Pomfrey, kannte ihre Flüche, wenn wieder ein mit Matsch bedeckte Quidditch-Spieler in ihrem Krankensaal landete. Sie mochte nicht viel von der Muggel-Medizin halten, doch Sauberkeit hatte auch bei ihr oberste Priorität. Severus war vielleicht Professor und bei den Schülern nicht beliebt und gefürchtet, doch Madame Pomfrey kannte keine Gnade. Er konnte sich gut ihre Schimpfereien vorstellen, wenn sie den Wolf so sehen würde. Warum haben Sie ihn nicht dort grob gesäubert? Wie konnten Sie ihn in diesem Zustand lassen? Wissen Sie nicht, wie wichtig Sauberkeit ist? Schon oft war er ihr mit Sarkasmus entgegen getreten, Madame Pomfrey jedoch nahm dies einfach nicht wahr, wenn sie in ihrem Element war. Auch wenn er nie zugeben würde, war sie diejenige in der Schule, die ihn das Fürchten lehren könnte. Selten hatte er eine so resolute Dame erlebt, nicht einmal Albus Dumbledore kam gegen sie an. Und so konnte er es selbst nicht recht fassen, als er den Wolf plötzlich wieder auf den Armen hatte und ihn in die kleine, sich an Zimmer anschließende Nasszelle transportierte. Zumindest grob mit dem Wasser reinigen… auch wenn eigentlich schon das zu viel war. Immer wieder hielt Severus sich die schimpfende Madame Pomfrey vor Augen, als er seine Last vorsichtig absetzte und an der Wand anlehnte. „Das wirst du mir büßen, Wolf“, knurrte er leise, klang dabei dem Tier ähnlicher als ihm bewusst war. Er erhob seinen Zauberstab und die Dusche folgte diesem wie eine Schlange, die von einem Fakir beschworen wurde. Vorsichtig führte er den Schlauch über die Brust und ließ das Wasser sich sanft mit dem Schmutz vermischen, der sich in kleinen brauen Bächen seinen Weg in Richtung Boden bahnte. Kaum zu fassen, dass er hier vor einem seiner Feinde kniete, vor jemandem, der dafür gesorgt hatte, dass sein Leben eine Tortur war, dass hier mit nassen Hosen kniete und diesem… diesem Wolf den Dreck vom Leib spülte. Und doch war da immer noch dieses Mitleid angesichts der Verletzungen, dieses Mitleid angesichts des mageren Körpers, dieses… dieses Mitleid. Mitleid. Angesichts seiner Gedanken bemerkte Severus erst kurz darauf, dass er einem Automatismus nachgebend, die Wunden vorsichtig mit einem Tuch reinigte und mit der anderen Hand immer noch den Schlauch dirigiert. Er nahm es erst wahr, als der Wolf leise aufstöhnte und die Schmerzen sich in seinem Gesicht abzeichneten. Heftig fuhr er zurück, warf Waschlappen und Dusche zur Seite, steckte den Zauberstab weg und schüttelte den Kopf. Nein, nein, nein. Es war genug, er hatte nun wirklich genug für diesen Wolf getan. Mehr als er für ihn hätte tun sollen. Nun stand er hier vor Remus Lupin, der ihm seinen Traum genommen hatte, der ihn Teile einer schönen Jugend gekostet hatte, mit nasser Hose, mit nassen Ärmel und hatte ihm die Wunden ausgewaschen, hatte ihn fast schon… nein, hatte ihn umsorgt und gerettet. Severus strich sich das fettige Haar aus dem Gesicht und lehnte sich für einen Moment an die Wand hinter ihm. Er musste sich beruhigen, er musste sich konzentrieren. Er war nicht schwach, er hatte eine Aufgabe. Immer wieder atmete er tief durch und richtete sich auf, voller Stolz. Der kleine Spiegel neben der Tür zeigte ihm, dass er den gewohnt kühlen Gesichtsausdruck angenommen hatte. Ein Hauch von Spott funkelte in seinen Augen, so wie es sein sollte. Und nun würde er seine Aufgabe beenden. Der Wolf musste wieder in das Bett, während er diesen beaufsichtigte und auf Madame Pomfrey wartete. Dann würde er hocherhobenen Hauptes das Zimmer verlassen und hätte endlich seine Ruhe. So wickelte er Remus Lupin in ein Handtuch und nahm ihn noch einmal auf die Arme, spürte noch einmal das schon fast vertraute Gewicht und legte ihn sanft auf dem Bett ab. Nun lag er vor ihm, eingewickelt in das frische, reine Handtuch, während Severus‘ eigener Umhang voller Matsch und auch Blutspuren vergessen auf dem Boden lag. Wie schon einmal griff er nach der Decke, doch hielt er dieses Mal nicht inne, dieses Mal deckte er seinen Kollegen damit zu, dieses Mal ging er nicht seinen Gedanken nach, sondern war einfach Professor Snape, der kühle, konzentrierte Professor Snape. Und als dieser stellte er sich an die Wand und wartete ab. Es schienen Stunden zu vergehen, auch wenn es in Wirklichkeit nur Minuten waren, bis Madame Pomfrey erschien und ihn mit einem Blick auf ihren Patienten eilig aus dem Zimmer verscheuchte. Und so ging Professor Snape zur Tür hinaus, ohne seinen Umgang, doch dafür immer noch das leise „Ich danke dir, Severus“ im Ohr. Er hatte seine Aufgabe erfüllt. Epilog: Prodere --------------- „Severus, nun muss ich Sie doch noch um etwas bitten. Remus wird einige Zeit der Erholung benötigen. Bitte übernehmen Sie so lange seinen Unterricht.“ Die Worte Dumbledores klangen immer noch in seinen Ohren und es war ein schönes Lied, das sie da sangen. Nun würde er doch, wenn auch nur als Ersatz, in dem Fachbereich arbeiten, den er schon so lange begehrte. Und auch wenn es nur ein kleiner Trost war, wusste er schon genau, was er durchnehmen würde, welche Gestalt seine Schüler als nächstes kennen lernen würden. Ein kleines hämisches Lächeln umspielte Severus‘ Lippen, als er die Schüler hereinkommen sah, die ihn bemerkten und erstarrten. Hier stand nun er, Severus Snape, der gehasste Professor Snape, während der geliebte Professor Lupin noch seine Verletzungen auskurieren musste. Vielleicht war es nur der geringste Akt der Rache und doch konnte er sich daran erfreuen. „Ruhe, bitte. Schlagen Sie das Kapitel der Werwölfe auf und lesen Sie“, gab er leise, so leise wie immer, seine Anweisungen. Das Lächeln, das zuvor seine Lippen geschmückt hatte, hielt er nun verborgen, doch seine Gedanken waren klar wie nie zuvor: Wolf. Das ist mein kleines Geschenk an dich. Sei gewarnt, auch wenn sie diese Zusammenhänge nicht verstehen, ich weiß es und vielleicht, eines Tages… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)