Das wird doch nichts... von Pairo (Mit gebrochenen Flügeln kannst du nicht fliegen!) ================================================================================ Kapitel 1: Das beste Versteck? Das wird doch nichts! ---------------------------------------------------- Die Universität wurde in das schummrige Licht eines Winternachmittages getaucht. Die Gänge waren ruhig, denn die meisten Studenten waren bereits in ihre Wohngemeinschaften zurückgekehrt, lernten in der Bibliothek oder saßen gerade in einem späteren Seminar. Das Lachen von einigen spielenden Kindern störte die Ruhe allerdings etwas. Der Gruppe der Störenfriede voran flog ein kleines, längliches Wesen in Blau und Gelb. Auf dessen Kopf thronte ein staatliches Horn! Dahinter folgte ein knochenloses Wesen, dass klar wie Glas war und nur einige grüne Tupfen im Inneren besaß. Drei drachenartige Mädchen, die sich einen Körper teilten und ein augenloser, schlanker Junge mit schulterlangen, gestreiften Haaren liefen gleich neben ihnen. Sie lachten und scherzten, fingen sich gegenseitig und schauten in allen Ecken des alten Gebäudes herum. Alles schien so unbefangen, harmonisch und perfekt! Gerade, als sie um die Ecke biegen wollten, sprang ihnen ein echsenartiges, sechsarmiges Wesen entgegen und entblößte eine Reihe scharfer Zähne. Sein fadenartiger, geschuppter Körper war von einer dunklen, violetten Farbe, nur einige Schuppen schimmerten in schimmligen Blau und die Augen funkelten giftgrün im künstlichen Licht. Das glasklare Wesen schrie auf und wich zurück. „Boggs! Er hat uns gefunden…“ Das wendige, schnelle Reptil kroch näher, direkt auf die kleine Truppe zu und schob schließlich mit einer unsicheren Bewegung die runde Brille höher auf die nicht vorhandene Nase. Dann lächelte er die anderen genauso naiv wie vertrauensvoll an. „Hi Leute!“, seine Stimme war gehetzt und etwas schüchtern. „Hab euch! Jetzt ist aber mal wer anders dran, mit Zählen und Fangen, oder?“ Das gehörnte, mückenartige Wesen – ihr Name war Candis – fand als Erste die Fassung wieder und richtete sich an den Neuankömmling, während die Drachenmädchen leise zueinander raunten: „Und ich dachte, wir hätten ihn abgehängt…“ „Eh? Wie war das!?“, fragte Randall – und so lautete der Name des kleinen Reptils – gleichermaßen ängstlich, wie hoffnungsvoll sich verhört zu haben. „Gar nichts, gaaaaaar niiiiichtsssss!“, summte Candis und flog direkt vor Randalls Gesicht, damit dieser keinen Blickkontakt mit den lästerhaften Drachen herstellen konnte und sie womöglich ertappte. „Sie sind nur erstaunt, wie ssssschnell du uns gefunden hasssssssst!“ Dies wiederum brachte ein stolzes, wenn auch etwas verwirrtes Lächeln auf das schuppige Gesicht. „Schnell!? Ich habe euch fast eine Viertelstunde gesucht, ehe ich euch fangen konnte! Ich dachte, wir wollten draußen auf dem Campusgelände spielen! Dass ihr hier drin ward, war echt knifflig heraus zu finden!“ Ertappt knetete der blinde Junge – er hieß Jack – seine Hände und wippte vor und zurück. Aber Candis war nicht um eine Antwort verlegen! „Ach weißt du, Randy…Wir WUSSSSTEN einfach, dass du genial genug bist uns ÜBERALL zzzzu finden!!!“ Dafür erntete das summende Bündel an Kreativität nur ein verlegenes Gekicher des Brillenträgers. „Ach waaas…“ Der linke Kopf des Drachenmädchen lenkte ein: „Ja genau! Und deshalb finden wir…“, Kopf Zwei, der eine modische Frisur mit gradem Pony trug, führte weiter: „Ja, wir finden, dass DU bei dem nächsten Spiel mal der bist, der im Mittelpunkt ist!“ Kopf Drei hatte die List durchschaut, strich seine langen, rosa Haare zurück und stimmte mit ein: „Ja!!! Lasst uns Verstecken spielen! Und diesmal muss Randy NICHT suchen! Wir suchen freiwillig zuerst. Und wer das beste Versteck hat und als Letzter gefunden wird, bekommt das Maden-Lakritz-Hörnchen, dass wir noch übrig haben!“ Der Rest der Crew, hatte sofort geschaltet und stimmte eifrig mit ein. „Aber ja! Tolle Idee! Man! Hoffentlich gewinne ich!“, rief Jack in langsamen Tonfall, wie es seine Art war und stemmte die dürren Streichholzärmchen in die Seiten. „Ja! Und alssss Platzzz ist die GANZE Uni erlaubt! Dassss wird riesen Spasssssss!“, mischte Candis mit ein. Auch Randall war ganz begeistert – nicht nur, weil Made-Lakritz eine seiner Lieblingssorten war, sondern vor allem weil er endlich IN der Gruppe mitspielen sollte, statt sie ständig Ewigkeiten zu suchen, oder irgendwelche Aktivitäten weit weg von ihnen zu vollbringen. Vielleicht gehörte er ja jetzt endlich zu diesen wirklich coolen Kids? Ganz aufgeregt – und überzeugt den besten Platz zu finden – ging er in Startposition. Und als Dixi, Dinki und Dilma augenscheinlich zu zählen anfingen, sauste er gleich los. Auch die anderen taten so, als würden sie ein Versteckt suchen, kehrten aber zurück, sobald das Trio ihr Gezähle beendet hatten. „Man ssssso ein Trottel…Ich hoffe, er findet ein gutesssss Versteck!“, seufzte Candis entnervt. „Ja!“, setzte Ionin, das Glibberwesen hinzu. „Nur, dass WIR ihn nicht suchen werden!“ Alle sahen sich an und lachten zugleich leise los. Jack nickte nur langsam. „Jaaaa…unglaublich, dass wir mit ihm spielen sollen, nur weil seine Mutter hier über die Geschichte der Beinlosen unterrichtet…Da geh ich ja fast lieber in den Hort!“ Die Runde lachte erneut über das Ende des Satzes – sie alle waren Kinder von Angestellten der Universität, zwischen 9 und 10 Jahren alt und trafen sich ein paar Mal die Woche, um für ungefähr eine Stunde auf ihr Elternteil zu warten und anschließend mit diesem nach Hause zu gehen. „Komm schon! Nur wegen Randy, wäre es doch schade, wenn unsere schöne Clique zerbricht, oder!?“, fragte Dixie – der Drachenkopf, der schulterlange, weiße Locken und das größte Horn auf der Nase hatte – und Ionin setzte hinzu: „Ja! Das wäre voll schade. Ich mag euch echt gern Leute! Es macht immer so viel Spaß mit euch!“ Der Mittelpunkt dieses unglaublichen Ärgernisses hatte soeben einen Teil der Universität betreten, denn er vorher noch nie gesehen hatte. Seine vor Neugier aufgerissenen, runden Augen wirkten durch die große Brille noch viel riesiger als sonst, als er all die seltsamen Schiebetüren und Fenster sah. Diese gaben einen Blick auf kuriose, runde und gelbe…Dinger frei. Kurz glaubte der Junge, so etwas schon einmal irgendwo gesehen zu haben…aber wo? Sein Atem ging noch schnell, weil er eben in Windeseile hier her gerast war, auf der Suche nach einem guten Versteck, aber jetzt hatte ihn ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht beschlichen. Draußen fing die Sonne an, zu versinken – davon aber, konnte man in diesen lichtabgeschotteten Gängen nichts sehen. Plötzlich hörte er die Stimme von ein paar Erwachsenen – bestimmt Studenten! – und wurde vor Schock ganz steif…und unsichtbar! Drei Leute kamen aus einer der Türen – eine hübsche, junge Schnecke mit Stielaugen und kurzen Haaren, ein ast-artiger Junge mit gut und gern 20 kleinen Beinchen und ein quirliger, sehr kurzgeratener Spinnenjunge, der nicht viel größer als Randy, aber auf jeden Fall mehr als doppelt so alt wie der 9 Jährige war. „So ein stressiger Tag heute…“, kam es müde von der Schnecke, die sich übers Haar fuhr und der Spinner warf ein: „Jahaaaaaa! Aber endlich geschafft! Huhuhuuuuu! Ich spendiere heute K-K-KAffeeeeeeeee für alleeeeee!“, leise lachend entschwanden das Trio um die nächste Ecke. Randall atmete auf und wurde wieder sichtbar. Kurz stierte er in die Richtung, in der die Studenten verschwunden waren…Ob er wohl eines Tages auch ein Student sein würde? Ein richtig cooler Student? Mit bedrohlichen Gruselzähnen, einer Collegejacke, ein paar Büchern – und am wichtigsten – mit ganz vielen Freunden, die ihn liebten und immer zu ihm hielten, auch wenn andere coole Leute sich ihnen entgegen stellten? Hoffnungsvoll faltete das schnurdünne Wesen alle vier Hände vor seinem Körper und bettete inständig in Gedanken: „Lass es doch wahr werden! Mehr will ich gar nicht! Nur beliebt sein!“ Dann aber fiel ihm auf, wie blöd und untätig er hier herum stand…und dass er sich mitten in einem Spiel befand! Seine flinken Augen suchten gezielt den Korridor ab – und tatsächlich! Da stand eine Tür offen! Die Tür, aus der die drei Studenten eben gekommen waren. Schnell wie ein Luftzug war Randall in den Raum geschlüpft. Hier würde ihn ganz gewiss NIEMAND finden! Er war der definitive Gewinner- dass die anderen 6 sich gerade im Moment das Hörnchen teilten und lachten, konnte er ja nicht einmal erahnen… Dieser Raum hier, war aber so derart interessant, dass er das Spiel erneut kurz vergaß. Irgendwie überkam den Jungen ein seltsames Gefühl. Sein Magen und der Nacken fingen an wie wild zu prickeln, sein langsamer Reptilienherzschlag wurde schnell, wie bei einem Warmblüter und irgendwie fühlte seine Brust sich seltsam an. Er traute sich kaum zu atmen und fühlte sich fast wie gelähmt. Nur sein langer Schwanz schlug sacht von einer Seite zur anderen. Während er an den seltsamen, an Monstercola-Dosen erinnernden…Dingern vorbei striff, fragte er sich, ob es Angst oder Neugier war, was er hier gerade fühlte…oder beides? Nachdem er sich die Wände begutachtet hatte, sah er endlich den Mittelpunkt des Raumes. Wie hatte ihm das nicht vorher auffallen können? Alles andere war vergessen – seine Mutter, die anderen Kinder, der Ort, an dem er grade war – als er direkt in das rote Licht blickte, dass über der schönen, hölzernen Tür prangte. Davon angezogen, wie eine Motte, schritt er auf die Lampe zu. Ehe er noch ahnte was er tat, waren seine kleinen, dürren Finger bereits an der Klinke. Das Holz fühlte sich warm und glatt an und sie ließ sich ganz leicht nach unten drücken… Ganz, ganz vorsichtig steckte das junge Reptil zuerst seine Nase, dann den ganzen Kopf in den fremden Raum. Augenblicklich stockte sein Atem. Wie in Trance glitt die Hand von der Klinke – die anderen Hände waren fest in einander verankert und die freie, obere Hand umfasste das untere Handgelenk fest. Vor Randall lag ein wunderschöner, warmer und lichtgefluteter Raum. Kleine Staubpartikel tanzten sachte in den goldenen Strahlen. Wie von einer fremden Macht geführt, trat das blaugesprenkelte Wesen ein. Vor Überwältigung stand sein spitzbezahnter Mund offen, als er den Kopf zu allen Seiten bewegte. Der hölzerne, modrige Duft, den dieser Raum aussandte, lies ihn vor Wohligkeit erschauern. Die Tür fiel fast lautlos ins Schloss. Aber Randy bemerkte gar nichts davon. Langsam glitt er an den hölzernen Bücherregalen vorbei und las die seltsamen Titel. „Rehabilitation nach posttraumatischen Erlebnissen im Kindesalter“, „Moderne Tiertherapie“, „Im Kontakt mit PTBS“ Er bemerkte nicht, was auf der anderen Seite der Tür vor sich ging. Der Spinnenjunge war in den Raum zurückgekehrt und entschuldigte sich per Handy bei seiner wütenden Kommilitonin: „Jaaaaaa….tut mir leid, Hope. Jaaaa…ich hab ECHT aus Versehen den Strom angelassen!“, mit einer kurzen Bewegung drückte er einen Knopf und das rote Licht über der Tür erlosch. „So! Alles in Butter. Ist ja nix passiert! Ich komm jetzt und daaaaaann trinken wir K-K-KAffeeee!!!“, und mit diesen Worten lag der Raum wieder verlassen – und keiner ahnte, dass soeben ein Monsterkind die Ebene in die andere Welt überschritten hatte. Kapitel 2: Ein kurzes Abenteuer? Das wird doch nichts! ------------------------------------------------------ „Was soll das heißen: Ihr wisst nicht, wo er ist?“, die schlangenartige Frau, fuhr sich über die langen blauen Haare und sah scharf über ihre Brille, direkt in Candis Augen, welche wie immer der Gruppe voraus ganz vorne schwirrte. „Najaaaa...“, wie immer war das mückenartige Monster nicht um eine Erklärung verlegen: „Wir haben halt Verssssstecken gesssspielt!“, solidarisch griff Ionin ein: „Ja! Aber Randy hat sich derart gut versteckt, dass wir ihn überhaupt nich finden konnten!“, vor Nervosität schlug sein klares Inneres viele kleine Blasen. Jack wippte vor und zurück und klammerte sich an seinen Vater, der mittlerweile – wie die meisten Eltern – zu der kleinen Gruppe gestoßen war. Ernst sah Jacks Vater mit seinen 9 Augen auf seinen Sohn hinab. „Junge. Das ist wirklich wichtig. Wo könnte er denn sein? Bis wann habt ihr denn gespielt?“ Der Angesprochene zwirbelte eine seiner schwarzen Haarsträhnen und zuckte die Schultern – unwillig, schuldbewusst und zu müde dieses fiese Thema weiter zu vertiefen. „Wir spielen schon seit über einer ¾ Stunde nicht mehr.“, antwortete schließlich Dixie, das weißgelockte Drachenmädchen und ihre mittlere Schwester warf ein: „Ja! Also muss Randy ja bestimmt bald wieder herkommen! Wir waren vorhin so ziemlich genau hier...“ Radegundis – so der Name der großen, schlängelnden Frau – warf nur einen zweifelnden Blick in die Runde, ehe sie ihr schlitzartiges Auge abwandte und von dannen preschte. Noch währenddessen drehte sie sich noch einmal um und meinte – wohl aggressiver als gewollt - „Mr. Corneus, bitten sie einen meiner Hilfsstudenten, hier die Stellung zu halten. Ich gehe zum Sekretariat, mache eine Durchsage und suche dann allein weiter!“ ~ Randy war derweil noch immer ganz verzaubert von diesem hölzernen Raum mit der fremdartigen Atmosphäre. Vom Bücherregal aus, glitt er zum Fenster und spähte hinaus in die lichtgeflutete Landschaft. Erstaunt krallte er seine Spinnenfinger in den staubigen Fensterrahmen, denn der Blick führte direkt auf Nadel- und Laubbäume. Irgendwie stand dieses Zimmer direkt in einem dichten Wald! Dabei...gab es doch an der Uni gar keinen Wald? Oder war das nur eine optische Täuschung und in Wahrheit waren es doch nur ein paar Bäume? Oder vielleicht war der Wald ja erst letzte Nacht hier her gebracht worden? Randalls seltsam-ehrfurchtsvolles Gefühl wurde durch dieses Rätsel noch verstärkt. Und irgendwie sah die Sonne da draußen so warm aus – dabei war doch Herbst und es hatte es vorhin schon gedämmert... Auf einmal kam Randy dieses – eben noch so zauberhafte – Zimmer ganz unheimlich vor. Mit einem hämmernden, fast schmerzvollen Herzschlag und zittrigen Händen griff er nach einem der Bücher aus dem Regal. Er öffnete es, sah das Bild, schrie vor Entsetzen auf und lies das Buch fallen. Da war ein giftiges Menschenkind abgebildet! Daneben noch ein Erwachsener dieser Kreaturen und darüber stand: „Verständnisvoller Umgang und Hilfe für geschädigte Kinder.“ Es schien nicht darum gehen, diese Menschen erschrecken zu wollen, so wie es für ein Lehrbuch normal war. So, wie der Erwachsene in die Kamera grinste, musste dies hier ein Horrorbuch sein! Vielleicht wohnte hier ja ein ganz gestörter, menschenfreundlicher Student, der seltsame Experimente an unachtsamen Kindern durchführte? Von Panik erfüllt, stürzte Randy zur Tür zurück – war innerhalb von nur 2 Sekunden dort – und drückte die Klinke. Was er dann aber sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Da war NICHTS! Nur ein leerer Vorratsschrank! Verzweifelt schlug das Reptil die Tür zu, nur um sie sofort wieder aufzureißen – aber noch immer das selbe Bild! Kein Uniraum. Kein Zurück! Dem Brillenträger stand vor Entsetzen der breite Mund auf, seine scharfen Zähne glänzten im orangen Licht. Die Hautfarbe wechselte unkontrolliert von Lila nach Bleichgrün, zu wässrigem Blau und zurück. Er wiederholte die Prozedur des Türöffnens, aber egal, wie oft er sie auch aufriss und schloss – das Ergebnis blieb gleich. Verzweifelt japste er nach Luft. Was sollte das hier alles heißen? Befand er sich wirklich im Haus eines Zauberers? Würde er je wieder nach Hause kommen? Was würde seine Mama davon halten? Oder sein Papa? Sie machten sich bestimmt arge Sorgen...Vielleicht würde sein Papa wieder weinen und seine Mama unausstehlich zickig werden? Ob die anderen Kinder wohl nach ihm suchten und nun ganz traurig waren, dass er fort blieb? Von Angst und Verzweiflung gebeutelt, sank Randy in sich zusammen und presste die Hände an den Kopf – zwei an die Schläfen, eine unters Kinn und eine über die bebrillten Augen, aus denen ein paar dicke Tränen flossen. Wie hatte er nur in so ein Schlamassel geraten können? Schluchzend nahm er die Brille ab, seine Haut verschmolz – ohne, dass er es wollte – mit der Farbe des hölzernen Hintergrundes. Doch lange Zeit zu trauern hatte er nicht, denn auf einmal hörte er Schritte und Stimmen. Voller Verzweiflung sprang er auf und wurde augenblicklich ganz blassgrün. Vielleicht war das ja dieser Horrorfan, der nur darauf wartete, einen Eindringling wie ihn in die Finger zu bekommen, um ihm dann unaussprechliche Dinge anzutun! Voller Panik suchte das schuppige Nervenbündel nach einem Versteck, sprang in seiner Not auf den Schrank, der laut krachend zu Boden fiel. Nun hörte er hinter der anderen Tür des Raumes – bestimmt führte die auf einen Flur! - ein lautes: „Was war denn das!?“ und das Geräusch von Laufschritten. Randall quietschte ängstlich und krabbelte wendig unter eines der Doppelstockbetten. Nur eine Sekunde später öffnete die Flurtür sich und zwei schreckliche Wesen betraten den Raum. Der eine hatte braune Haut, der andere ein kränkliches, helles rosa. Beide hatten nur zwei Beine zwei Arme und zwei Augen. Sie sahen sich in ihrem Körperbau absolut ähnlich! Auf dem Kopf und unten im Gesicht hatten beide schwarzes Fell. Randy wusste, was das für Kreaturen waren! Es waren giftige, boshafte, abscheuliche Menschen! Wenn einer von beiden ihn berührte, war es aus mit ihm! Zitternd drückte er sich mehr unter das Bett, der ganze Staub kitzelte ihn in den Nasenlöchern. „Hier scheint das Regal umgefallen zu sein! Sehr merkwürdig...Na...vielleicht wars ja der Zahn der Zeit!“, meinte der braune Mensch locker und der Rosane fügte ein: „Ja...aber vielleicht waren es ja auch Holzwürmer...Das ganze Gebäude ist in Äußerst schlechten Zustand. Ich weiß wirklich nicht, ob sich eine Investition da lohnt...Vielleicht reißen wir es auch ganz ab.“ Der Erstere wirkte bestürzt: „Das Camp Summerteam abreißen? Ich bitte sie! Es hat eine langjährige Traditi-“, doch noch bevor er zu Ende sprechen konnte, musste Randall - aufgrund des ganzen Staubes – niesen und lenkte die Aufmerksamkeit so auf sich. Alarmiert sahen die Menschen sich an. Jetzt würden sie ihn finden! Der schmale Reptilienkörper zitterte wie ein Grashalm im Wind und nur mit viel Mühe hielt er die Tränen zurück. „Ach Mami...“, dachte er sich verzweifelt und sandte ein Stoßgebet in den Himmel. Der braune Mann beugte sich hinunter, während der Rosafarbene mit verschränkten Armen zurück trat. Randys Augen weiteten sich – wie in Trance nahm er die Brille ab – und genau in dem Moment, als diese furchtbaren Menschenaugen auf ihn fielen, wurde er endlich unsichtbar. Die Brille drückte er dabei schlauerweiße direkt unter die Matratze, so dass sie nicht zu sehen war. „Hier ist nichts!“, verkündete der Mann und wandte sich wieder an den anderen. Dieser gab zu verstehen, dass dieses Zimmer ihm wirklich unheimlich war und nach kurzer Zeit, gingen beide fort. Randy atmete auf. Das eben war super gefährlich gewesen! Er hatte solche Angst gehabt...hatte geglaubt, jetzt sterben zu müssen. Kurz erhellte sich sein Gesicht. Wenn er DAS den anderen erzählte, würden sie Augen machen! ER würde das absolut coolste Kind weit und breit sein. Vielleicht noch cooler, als Candis deren Mutter als Schreckerin in der Monster AG arbeitete! Vielleicht war dieser erste Kontakt mit diesen Killermaschinen, ja sein Ticket, später selbst einmal Schrecker zu werden? Aber schnell verflog diese Freude...vielleicht würde er ja nie wieder nach Hause finden… Erst nach einer ganzen Weile, traute er sich wieder unter dem Bett hervor. Dies hier war also ein Menschenraum. Mit Menschenmöbel und Menschenbüchern. Aber wie konnte das sein? Es musste etwas mit der Tür zu tun haben! Aber auch eine erneute Folge von verzweifeltem Öffnen-und-Schließen brachte nicht das erhoffte Ergebnis. Und so entschied er sich, in die immer dunkler werdende Welt hinaus zu kriechen. In die Menschenwelt! Mit einer geschickten Bewegung, öffnete er die Tür und kletterte die Wand hinab. ~~ Noch am selben Abend suchte ein ganzes Profiteam den Campus ab, doch vom 9 Jährigen Randy Boggs fehlte weiterhin jede Spur. Mittlerweile war auch der Vater eingetroffen – ein froschartiger Mann mit 3 Armen (einer war ihm bei seiner Arbeit einst abhanden gekommen) und 4 Beinen, 3 großen Kugelaugen und einer intensiven, lederartigen und violetten Hautfarbe. Während er kopflos herum rannte und laut jammerte, glitt Radegundis wie ein Raubtier an den Fenstern vorbei. Sie hatte mittlerweile höchstpersönlich jeden einzelnen Seminarraum des Campus mindestens zweimal durchsucht. Jeder ihrer Studenten hatte bereits eine Mail bekommen, in der um Mithilfe und Aufmerksamkeit geboten wurde. Der Typographieprofessor, hatte einen Steckbrief erstellt, die Polizei war landesweit eingeschaltet und viele Studenten hatten sich freiwillig zur Mithilfe gemeldet. Als sich um 1:30 Uhr in der Nacht noch immer nichts getan hatte, wurde die Suche für den Tag beendet. Das Profiteam trat an das betroffene Elternpaar und meinte: „Es tut uns wirklich außerordentlich leid. Aber ihr Sohn scheint wie vom Erdboden verschluckt-“, er musste kurz inne halten, den Mr. Boggs markerschütterndes Aufheulen verhinderte jede Konversation. Er konnte erst weiter machen, als Mrs. Boggs ihrem Mann - mit steinernder Miene und totem Blick - einen ihrer langen Arme um die Schultern legte und ihn näher an sich zog, woraufhin er das Gesicht mit einem schauerlichen Schluchzen an ihrer schwarzen Designerbluse vergrub. „Also wie gesagt...uns fehlt wirklich jede Spur von ihm. Wir werden die Suche natürlich weiter fortsetzen. Eine Entführung...kann allerdings nicht ausgeschlossen werden. Aber wir wissen nichts Genaueres, vielleicht-“, der Sicherheitsmann stockte erneut, als Radegundis die dürre Hand erhob. „Wenn sie nichts Genaueres wissen, schweigen sie bitte dazu. Ich wäre erfreut, erneut von ihnen zu hören, sobald sie reale Informationen haben.“ Wieder klang sie forscher, als geplant. Und ohne weiteres Kommentar wurde sie unsichtbar, wenige Sekunden später schlug die Tür zu. Mr. Boggs – sein Vorname war Henry – stand nur verlassen da, nickt dem Polizisten zu und verschwand – die Wand hinabkletternd und mit gruseligem Wehklagen – aus dem offenen Fenster. An diesem Abend fand irgendwie keiner, der am Nachmittag noch fröhlich spielenden Gruppe so schnell seinen Schlaf. Kapitel 3: Entspannter Landstreicher? Das wird doch nichts! ----------------------------------------------------------- Der keuchende Atem kondensierte beim Rennen in seinem Gesicht. Der moosige Waldboden fühlte sich nass und kalt wie ein See im Herbst an. Schon eine ganze Weile stach seine Lunge und die Beine schmerzten vor Anstrengung. Aber die Panik trug den Jungen voran. Er musste weg von diesem verfluchten Haus, diesen giftigen Bestien und dieser finsteren, boshaften Tür, die sein Leben zerstört hatte. Obwohl er weiter laufen wollte, brach Randall nach nur wenigen weiteren Minuten erschöpft zusammen. Das Mooswasser benetze die glatten Schuppen und der schmale Körper hob und sank sich heftig, während sein Besitzer nach Atem japste. Von Verzweiflung gebeutelt, presste er erneut die vorderen Hände an den Kopf, die anderen beiden versenkte er in dem weichen, nachgiebigen Boden. Jetzt war doch alles egal! So egal. Das abgehetzte Reptil legte erschöpft den Kopf in den Dreck. Wie hatte das passieren können? Wieso ihm? Was hatte er falsch gemacht? Wollte eine höhere Macht ihn strafen? Obwohl an diesem Ort offenbar Sommer war, begann Randall zu frösteln. Die Sonne war längst untergegangen und die Nacht war im Wald spürbar kälter, als auf einer aufgewärmten Straße. Würde er nun sterben müssen? Oder noch schlimmer: In eine Kältestarre fallen, von Menschen gefunden und dann furchtbar gefoltert werden- schlimmer als in diesen Filmen, die er im Videoschrank seiner Mutter entdeckt hatte!? Immerhin waren es Menschen. Niemand konnte ahnen, was für finstere Pläne sie sich für ihn ausdenken würden. Da war es vielleicht doch besser, direkt von ihnen berührt zu werden und tot umzufallen... Aber vielleicht gab es ja doch noch einen Ausweg? Erneut versuchte der Kleine, sich aufzurappeln, aber sonderlich weit kam er nicht. Immerhin schaffte er es – schmutztriefend zwar – auf einen Baum, was deutlich angenehmer war, als die feuchte Erde. Und obwohl er noch keine bequeme Schlafposition gefunden hatte, fielen ihm schon nach wenigen Sekunden die Augen zu... Am nächsten Morgen weckte das grelle Sonnenlicht den unruhig Schlafenden. Sie schien so hell und ungnädig, dass es ihn durch die geschlossenen Lider blendete. Noch immer schrecklich müde und am ganzen Körper frierend, rieb Randy sich über die Augen und blinzelte. Er spürte einen brennenden, stechenden Schmerz und wie das Ding, das ihn verursachte gegen die linke Seite seiner Bauchdecke drückte. Wie ferngesteuert griff eine seiner Hände nach der Stelle. Tannenzapfen! Da hatte er doch tatsächlich darauf geschlafen, ohne davon aufzuwachen. Dabei war er normalerweise sehr empfindlich und schreckte in der Nacht des Öfteren mal auf. War er wirklich derart müde gewesen? Achtlos lies das geschwächte Wesen den Zapfen fallen und erst sein Aufklatschen auf dem Moosboden, brachte Randy in die Wirklichkeit zurück. Ein tiefer Schock fuhr ihm durch den Körper und sein Herz begann zu stechen. Er hatte nicht geträumt! Er war noch immer in diesem tiefen, einsamen Wald. In der Menschenwelt! Weit weg von seinen Eltern und allem, was er kannte und liebte. Sofort fuhr ihm wieder die brennende Verzweiflung in die Brust und er kratzte sich nervös über den oberen, linken Arm. Wie schrecklich! Hatte das alles nicht nur ein böser Traum sein können? Er hatte fest damit gerechnet, zu Hause in seinem warmen Zimmer und im eigenen Bett aufzuwachen – und zwar von der sanften Stimme seines Vaters. Dann wäre er nach unten gegangen – denn es waren ausgerechnet die Ferien, die ihm hier entgingen – hätte in der Küche seine Mama kaffeetrinkend vorgefunden, sie umarmt und schließlich eine Schüssel Cornflakes gegessen....Ob es wohl je wieder so sein würde? Kurz leuchtete vor seinen Augen das Bild seiner zeitungslesenden und am frühstückstisch sitzenden Mutter auf. Wie sie ihn anlächelte, über seinen Hals strich und ihn auf den Kopf küsste. Es war fast, als könne er ihren Geruch wahr nehmen…Und im Hintergrund das leise Knistern der Cornflakes, welche sich langsam in der fermentierten Milch auflösten. Aber wo er gerade an Cornflakes dachte, fing sein Bauch auch schon an, sich zu melden. Wie ein geschlagenes Tier knurrte sein Magen auf und verlangte nach Nahrung. Bedrückt legte Randy zwei seiner Hände auf die Stelle. Er spürte jetzt richtig, was für Hunger er hatte und wie schwach er sich fühlte! Kein Wunder...sein letztes Essen war gestern Mittag gewesen! Ein köstlicher, dampfender Eintopf, denn sein Vater gekocht hatte, nachdem er von der Nachtschicht heimgekehrt war. Sicher stand davon noch ein halber Topf voll auf dem Herd! Was hätte das ausgehungerte Kind, jetzt um eine Schüssel davon gegeben? Und eigentlich war geplant gewesen, dass er seine Mama abholen und anschließend mit ihr zusammen schleimige Kartoffelecken machen wollte...Sein momentanes Lieblingsessen! Ach...hätte er doch nur niemals bei diesem doofen Spiel mitgemacht...Wäre er doch einfach allein geblieben und hätte seine neuen Schreckerkarten sortiert...oder in einem der Bücher geblättert, die im Büro seiner Mutter herum standen. Es hatte sowieso nie allzu viel Spaß gemacht, mit den anderen zu spielen! Zumindest nicht, wenn er sie immer nur finden musste. Randall holte ganz tief Luft und seufzte dann traurig und mit Nachdruck auf. Gut. Jetzt war er also in so einer Situation! Aber er war schon groß. Er würde das schon hinbekommen! Geschickt ließ er sich vom Baum hinab, indem er seinen blauen Schwanz fest um den Ast wickelte, sich nach hinten fallen ließ und mit einem gestützten Salto schließlich auf dem Boden zu Stehen kam. Langsam fing er an, ins Blaue – oder in diesem Fall eher ins Grüne - zu gehen und merkte gar nicht, wie sein Schritt dabei immer schneller und sicherer wurde. Also gut! Jetzt hatte er vielleicht kein Zuhause mehr, aber dafür würde er jede Menge Abenteuer erleben! So ein Leben als Landstreicher war ganz sicher aufregend und lustig. Manchmal hatte er sich sogar vorgestellt, wie es sein musste, so ein cooler, freier Typ zu sein. Er musste nie wieder zur Schule gehen! Das war schon mal gut. Fieberhaft überlegte Randall weiter. Ah ja! Jetzt musste er auch niemanden mehr endlos suchen, oder in irgendwelchen blöden Spielen die Wand angucken, den Ball holen, oder sich verstecken! Er konnte aufbleiben so lange er nur wollte und jetzt würde auch niemand mehr meckern, wenn er zu viel Zucker aß. Er würde eine ganz neue, seltsame Welt erforschen können. Und wie der Held Gloomwin Hood musste er dabei immer auf der Hut und der Flucht sein. Bestimmt würde er super coole Fähigkeiten entwickeln und als Held gefeiert werden, wenn er es eines Tages doch wieder nach Hause schaffte. Seine Eltern würden SO stolz auf ihn sein! Ach ja...seine Eltern. Als gleich verflog diese künstlich erschaffene Euphorie wieder und wurde durch die Angst vor dem Ungewissen und der Trennungstrauer überschattet. Was machte er sich hier eigentlich vor? Wie sollte so ein auswegloses Leben in der Menschenwelt denn nur jemals gut werden? Während Randy noch sinnierte, hatte er gar nicht bemerkt, dass der Wald bereits hinter ihm lag. Jetzt tat sich eine graue, schmale Landstraße vor ihm auf und ein köstlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Dieser kam offenbar aus einem Abfalleimer, der am Wegesrand stand. Neugierig und blitzschnell hatte das Echsenmonster sich dorthin bewegt. In der Mülltonne lag eine Tüte, die ganz ähnlich wie die, des beliebten Fastfood Restaurants Mekk-Schreck aussah! Sein knurrender Magen und der verführerische Geruch ließ den Jungen kurz vergessen, dass diese Tüte tödlich giftig sein könnte und er schnappte danach. Gespannt rollte er das Papier auf und steckte den Kopf hinein. Entzückt stellte Randy fest, dass die Reste eines modrigen und halbverschimmelten Burgers darin lagen. Eines seiner Lieblingsessen, sofern Henry mal heimlich mit seinem Sohn so ein Restaurant besuchte. Energisch biss das kleine Monster in die modrige Maße. Der Burger war sogar warm! Offenbar hatte da die Sonne direkt darauf geknallt. Hungrig wie er war, hatte er diesen kleinen Leckerbissen bereits nach nicht mal einer Minute verschlungen. Achtlos lies Randy die Tüte fallen, um voller Spannung weiter in der Tonne zu suchen. Er fand darin noch die Reste eines halb gegessenen Apfels, den er auch sofort verspeiste, aber mehr hatte dieses Gestell aus Holz und Stahl nicht zu bieten. Enttäuscht wandte das schuppige Wesen sich ab. Aber nach diesem kleinen Mahl fühlte er sich schon bedeutend besser! Die Sonne schien so schön warm, dass sein Körper sich von der Nacht ganz schnell wieder aufgewärmt hatte und nachdem er den Inhalt von noch zwei weiteren Wegesrand-Maxi-Wundertüten erfolgreich durchstöbert hatte, legte er sich auf einen großen Stein, der sich auf einem nahem Feld befand. Seine Haut nahm gleich dieselbe Farbe, wie der graue Findling an. Randy legte entspannt seinen Kopf auf die beiden Vorderarme. Alle anderen Gliedmaßen streckte er von sich und den langen Reptilienschwanz ließ er herunter hängen. Dass das Essen in der Menschenwelt so lecker und vor allem ungiftig war, hätte er niemals gedacht! Noch immer erschöpft, aber mit neuem Mut beseelt, dämmerte er zu einem kleinen Mittagsnickerchen weg. Nach ungefähr zwei Stunden weckte ihn ein lautes Geschnatter und Gekicher. Eine Gruppe abscheulicher Menschenkinder – und dazu noch zwei Erwachsene – hielten direkt auf ihn zu. Randy war vor Schock wie gelähmt und stierte nur panisch zu der Gruppe. Unfähig sich zu bewegen, spürte er Hitzewallungen in sich aufkommen und bemerkte wie die Tarnfarbe seiner Haut sich in Unsichtbar verwandelte. Einzig die Brille blieb sichtbar und gab ihm einen unverklärten Blick auf seinen Untergang frei. Am Stein angekommen, setzten die Kinder sich erst einmal auf den Boden – aber der Lautstärkepegel war gleichbleibend. Der Unsichtbare hielt sich die Ohren zu. Obwohl er Lärm aus der Schule gewöhnt war, ertrug er das Geplapper der todbringenden Mordmaschinen in diesen Augenblicken überhaupt nicht. So aus der Nähe betrachtet waren das auch wirklich abstoßende Wesen…Zumindest die meisten von ihnen. Manche hatten blonde, seidige Locken, andere glattes, manche welliges und wieder andere eine Fülle von kräuseligem Haar. Die meisten hatten runde, rosige Gesichter und große, neugierige Augen. Ihre Körper sahen alle gleich grotesk aus – wie die beiden Männer gestern Nachmittag. Einzig die Anziehsachen der Kinder gefielen ihm – sie hatten etwas Vertrautes an sich, da sie fast wie die Kleidung aus der Monsterwelt aussahen. Randy spürte, wie sein Herz vor Angst wie ein Presslufthammer gegen seine Brust schlug und er versuchte den Atem anzuhalten, um auch ja nicht aufzufallen. Plötzlich schrie eine der Killermaschinen schrill auf: „Ein Geist! Ein Geist!!!! Seht nur!!! Da schwebt eine Brille in der Luft!“ Mit entsetztem Gekreisch sprangen die Menschenkinder auseinander, während die Erwachsenen beschwichtigend auf sie einredeten und nach einer Erklärung für dies Phänomen suchten. Die gute Hälfte der Kinder suchte bereits das Weite, während die andere Hälfte in Sicherheitsabstand ging. Nur ein einziges Mädchen schien keine Angst zu haben. Von diesen gruseligen Kreaturen hier, war sie dem verängstigten Randall noch am Sympathischsten. Sie sah ganz anders aus, als die anderen Kinder – ihre Kleidung war nicht bunt, sonder in schwarz, grau und rot gehalten. Ihr schwarzes Haar war zu einem Bob geschnitten und hatte einen spitzen Pony, wie es auch in Randys Heimatstadt viele Mädchen trugen. „Ganz ruhig kleiner Geist…“, für ein Mädchen ihres Alters – er schätzte sie auf nur wenig älter, als sich selbst – hatte sie eine sehr tiefe und abwesend klingende Stimme. „Ich tue dir nichts. Mama hat mir gesagt, wie man mit euch umgehen muss…“ Aus der Ferne starrten einige der anderen Kinder zu ihnen herüber. Langsam streckte das Mädchen die Hand aus, um zu testen, ob der „Geist“ wohl kalt war, aber Randy sprang auf und zischte so bedrohlich wie er nur konnte. Fast hätte ihre todbringende Hand ihn berührt! „Lass mich einfach in Ruhe!!!“, versuchte er so bedrohlich wie möglich zu zischeln, aber es klang eher wie ein bettelndes Wimmern. Und ohne ein weiteres Wort, wandte er sich um und stob von dannen. Die verwirrten Kinder sahen nur eine einzelne Brille über die Felder fliegen und das düstere Mädchen stand wie vor den Kopf gestoßen und noch immer mit erhobener Hand da. Kapitel 4: Ein neues Zuhause? - Das wird doch nichts! ----------------------------------------------------- Der Schreck vom letzen Nachmittag, saß Randy noch am Abend in den Knochen. Er saß mittlerweile wieder auf einem Baum – diesmal am Rande eines Dorfes – und sah noch immer diese kleine, bleiche, todbringnde Kinderhand vor sich. Bei der Erinnerung an dieses Erlebnis noch immer zitternd, schlang er alle vier Arme eng um seinen Körper. Er hätte jetzt TOT sein können. Nur ein paar Zentimeter mehr, und alles wäre aus gewesen. Dieser Gedanke kam ihm so grell und stechend rot in den Kopf, dass er die oberen beiden Hände löste, um sich damit die Augen zu zuhalten. Als seine kühlen Fingerchen – er fror ungemein viel, seit er in dieser Menschenwelt hier war…obwohl es vergleichsweise sogar wärmer, als Zuhause zu sein schien! – so sicher und schützend unter seiner Brille und vor seinen Augen spürte, konnte er nicht mehr an sich halten. Leise fing das verzweifelte Kind an, erneut zu weinen. Die Tränen tropften durch die großen Zwischenräume seiner Finger. Manche fielen auf seinen schuppigen Körper, andere nach unten auf die Erde. Gänzlich in Trauer und Verzweiflung versunken, vergaß er die Welt um sich herum, hörte, sah und spürte nichts mehr. Langsam lösten seine Schuppen sich in nichts auf. Randall verschwand im Nichts. Das echsenartige Monster konnte nur noch daran denken, wie gerne er jetzt einfach aufwachen würde. Aufwachen in seinem Bett, die Treppe runter laufen und seinen Eltern in die Arme springen! Die beiden machten sich bestimmt ganz schreckliche Sorgen…und vielleicht vermissten ihn ja sogar die anderen Kinder ein wenig? Aber lange konnte Randy nicht darüber nachdenken, denn etwas berührte ihn an der Schwanzspitze, welche zuckend und krampfend vom Ast hinab hing. Vor Schock zusammenfahrend, fiel er fast vom Ast. Erst jetzt bemerkte er, dass er während des Weinens glücklicherweise unsichtbar geworden war! „Was war DAS denn?!“ Seine Sicht war verschwommen und die Brille beschlagen, aber die Stimme musste eindeutig einem Menschen gehören! Ein Zweiter antwortete ihm: „Was war WAS? Erschreck mich doch nicht so!“ Ängstlich klammerte Randy sich am Baumstamm fest, traute sich aber nicht, irgendwelche verräterischen Bewegungen zu machen, deren Geräusch ihn hätten verraten können. „Erst ein paar Tropfen und dann irgendetwas Dünnes, Kühles. Fast wie eine Liane oder so!“ Der Mensch wischte sich verwundert über das angetropfte Gesicht und spähte in die Baumwipfel, in der Hoffnung dort eine Erklärung zu finden. Steif wie ein Eiszapfen, rollte der Kleine seinen Schwanz ein – obwohl „einkrampfen“ ein trefflicherer Begriff gewesen wäre. Die Schwanzspitze des auf dem Baum Sitzenden war tatsächlich ganz kalt – eigentlich ungewöhnlich, denn normal war der Körper des Jungen warm. Mit dem „kalte Füße kriegen“ hatte er bisher nur in Schultests, oder bei neuen Leuten, unterbewusst Erfahrungen gemacht… „Eine Liane! Haha! Du bist so doof, T! Manchmal glaub ich echt, die Dinger vernebeln dir das Hirn! Regnen tut‘s auch nicht. Nur zu deiner Information!“ Lachend gingen die beiden von dannen und Randy sah ihnen mit hämmernder Brust hinterher. Bis ihm etwas FURCHTBARES einfiel: Die Haut eines MENSCHEN hatte Seine berührt! Panik stieg in dem jungen Monster auf, ihm wurde plötzlich furchtbar schwindelig und er wäre erneut fast nach hinten weg gekippt. Tapfer klammerte er sich mit allen vier Händen an der harten Rinde fest. Er würde also sterben! Sehr bald. Einfach so!!! Die Unsichtbarkeit löste sich ungewollt auf, wechselte zu rot, dann zu blau, schmutzigem grün und schließlich wieder zu rot, ehe sie beim gewohnten Violett still stand. Wie in Trance schwang Randy seinen Schwanz näher heran, nahm die Spitze dann vorsichtig in eine Hand. Seltsam…Noch tat es gar nicht weh. Noch nicht! Noch sah sie ganz normal aus… Panisch starrte er darauf, bereit jede Sekunde eine Veränderung durch die nassen Brillengläser sehen zu können. Aber nichts geschah. Nach 5 Minuten – ihm kam das Ganze, wie viele Stunden vor – entspannte er sich etwas. Vielleicht war die Berührung zu kurz gewesen? Vielleicht war der Mensch nicht jung genug gewesen? War ja möglich, dass nur Kinder giftig waren! Obwohl die beiden auch noch lange nicht erwachsen schienen… Jedenfalls sah es aber so aus, als sei er dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen! Was für ein Glück im Unglück! Langsam verschwand die Sonne gänzlich hinterm Horizont und Randall fing an, stärker zu frieren. Es war schlimm, einen ektothermen Einschlag in der Familie zu haben – sobald es zu kalt war, fühlte er sich müde, träge und ausgelaugt. Randigunde hatte immer sehr darauf bestanden, dass er abends auch unbedingt eine Jacke trug – vor allem da sein kleiner Körper viel schneller auskühlte, als der eines Erwachsenen ihrer Art. Bisher konnte Randy sich auch nicht erinnern, jemals nachts draußen geschlafen zu haben…Bis gestern versteht sich! Hätte er doch nur eine Jacke dabei…oder noch besser – eine schöne, warme Decke. Müde legte der Junge den Kopf gegen den rauen Baumstamm und spähte in ein erleuchtetes Fenster. Es wunderte ihn, dass in diesem Dorf tatsächlich Menschen zu leben schienen – er hatte sich hier nieder gelassen, weil weit und breit niemand zu entdecken gewesen war. Die beiden Jugendlichen, waren die ersten Menschen gewesen, die er hier „angetroffen“ hatte. In dem Fenster jedenfalls waren ein Mann und eine Frau zu sehen, die beide gemütlich auf dem Sofa lagen und fernsahen. Randall rollte seinen Körper so sehr ein, wie es nur ging und umklammerte sich fester. Es war erstaunlich, dass es hier fast ganz genauso aussah, wie in der Monsterwelt! Es war alles…so ähnlich. Es gab Bäume, Gras, Steine, Wolken, Mülltonnen, Häuser, Fernseher und dergleichen mehr. Das gab ihm wirklich zu denken… Und während der Kleine noch zitterte und nachdachte, stieg ihm ein angenehmer Geruch in die Nase. Den hatte er vorhin schon einmal gewittert! Es roch wie das Aftershave seines Vaters…ein weiterer Grund, weswegen er hier geblieben war. Kurzerhand fasste Randy einen Beschluss – bevor er hier noch erfror, könnte er doch diesem charismatischen Duft nachgehen! Vielleicht würde ihm das auch Glück bringen? So ließ er sich vorsichtig am Baum hinunter – ganz geschickt, indem er den Ast erst mit dem Schwanz umwickelte und anschließend einen eleganten Rückwärtssalto machte. Auf dem Boden angekommen, suchte er sofort nach der Quelle des angenehmen Geruchs…und er sollte ihn bald finden. Nicht weit entfernt, befand sich ein kleiner Stall, dessen Boden mit Heu ausgelegt war. Drinnen standen zwei ganz komische Tiere – eines war braun, das andere weiß. Sie hatten einen fransigen Pony in ihrem langen Gesicht, ganz kurzes, glattes Fell und hinten einen eindrucksvollen Schweif. Solche Wesen hatte Randy noch nie gesehen! Aus der hinteren Ecke des Stalles quietschen noch andere Tiere – von denen ging offenbar auch der Aftershave-Geruch aus! Faziniert blickte er die vorderen Tiere an, ehe ihm gleich links eine Leiter auffiel, die ganz offenbar auf den Heuboden im oberen Stockwerk führte. Ein freudiger Ausdruck huschte über das Gesicht des erschöpften Schreckerfans. Er hörte auf, die beiden komischen Tiere anzustarren und war binnen weniger Sekunden die Sprossen hochgeklettert. Seine Augen waren bestens für die Nachtsicht ausgerüstet und so konnte er das vor sich liegende Paradies gut erkennen! Ein riesengroßer, warmer, gut duftender Raum – der herrliche Gülle Geruch, der ihn so an seinen Vater erinnerte lag auch hier in der Luft – der über und über mit weichem Heu angefüllt war! Vor Überraschung und Erleichterung lachend, warf Randall sich in die weichen Fluten und kuschelte sich gleich ein. Das hier war wunderschön!!! Es war so gemütlich, entspannend, warm…und irgendwie vertraut! Vielleicht könnte er ja hier leben? Bei diesen beiden hübschen, stillen Tieren und den Quiekern aus der anderen Box! Vielleicht würden sie Freunde werden? Vielleicht würde ihm hier endlich ein Weg einfallen, wieder nach Hause zurück zukommen! Doch konnte er sich vor Müdigkeit gar nicht so sehr auf die Freude konzentrieren. Randy gähnte ausgiebig, wobei er seine lange Schlangenzunge weit herausstreckte, nahm die Brille ab, bettete den Kopf auf eine Ansammlung weichen Heus, das er in den Vorderarmen hielt und schloss die Augen. Er dämmerte bereits ins Schlummerland, so dass er den Aufschrei des Kindes im Nebenhaus gar nicht bemerkte. Als die Eltern panisch herbeigelaufen kamen, kriegten sie nur zur Antwort, da sei ein Monster aus dem Schrank gekommen… ~~ „Gibt es schon irgendetwas Neues? …Ah. Verstehe. Ja. Ja Ihnen auch…“, Henry hängte den Telefonhörer ein und bewegte sich langsam auf Radegundis zu. Diese hatte das Gespräch mitgehört und sah nicht einmal auf. Ihre Vorlesung und die beiden Seminare heute, waren entfallen. Ihr Schlangenkörper lag eingerollt auf dem Sofa und auf dem zugedecktem Schoß hatte sie ein Fotoalbum. „Ich hab seine Sachen gebügelt. Wenn er zurück kommt, soll er sich immerhin seine Lieblingsklamotten aussuchen können.“, sprach Henry leise und legte eine seiner violetten, amphibischen Hände auf Radegundis Schulter. „Gut.“, ihre Stimme klang anders als sonst – nicht beherrscht und freundlich, nicht fordernd, wütend oder herablassend. Sie hatte einen Ton angenommen, den Henry noch gar nicht kannte. Sie war hoch, leise und hatte irgendwie etwas sehr…Verletzliches an sich. „Sieh nur. Hier…an seinem sechsten Geburtstag…er hat sich so sehr über dieses Stofftier gefreut…“, das Bild zeigte einen glücklich in die Kamera grinsenden Randy – im Hintergrund noch zwei Nachbarskinder, seine Cousine und sein Cousin. Mehr Gäste hatte man nicht mobilisieren können. „Mein süßer, kleiner, schlauer, schrecklicher Randy…Mami vermisst dich so…“ Die Worte wurden wie in Trance gemurmelt und Radegundis sah nur langsam zu Henry auf, legte eine Hand auf ihren etwas gewölbten Leib und seufzte. Es klang tief, düster und einschneidend. „Er hat sich schon so sehr auf das Ei gefreut…was, wenn es bald da ist und dann schlüpft es…und sein Bruder ist nicht da, um es zu begrüßen? Das würde unserem Randy das Herz brechen…“ Henry nickte nur. „Bis dahin ist er ja wieder zurück. Ich bin mir ganz sicher…“ Kapitel 5: Endlich mal Ruhe? Das wird doch nichts! -------------------------------------------------- Als am sich nächsten Morgen die Sonne am Horizont zeigte und der erste Hahn krähte, lag Randall noch in tiefsten Träumen. So bemerkte er auch nicht, dass die vordere Luke zum Heuboden geöffnet und damit begonnen wurde, das Heu hinaus und auf einen Wagen zu schaufeln. Zum Glück lag er etwas versteckt unter den vielen Schichten getrockneten Grases und seine Schuppen hatten im Schlaf den saftigen Ockerton angenommen. So wachte er erst auf, als er sich bereits im Fallen befand, stieß einen spitzen Schrei aus und landete weich auf dem Anhänger des Heuwagens. Verwirrt streckte der Junge den Kopf heraus, schnappte nach Luft, schüttelte sich und versuchte zu registrieren, was hier gerade geschah. Ohne Brille erwies sich das als schwierig und so ging er auf die Suche, wühlte sich mit langsam aufsteigender Panik durch viele Schichten – und fand sie schließlich fast auf dem Boden des Wagens. Das war knapp! Mehrmals hatte er gedacht, dass er sie nie wieder finden und von nun an blind und völlig hilflos gewesen wäre. Richtige, echte Blinde, die konnten so leben, aber er hatte keine Übung darin und wäre dann in dieser verrückten Welt eine einfache Beute gewesen... Als er sie endlich aufgesetzt und es dazu geschafft hatte, wieder an die Oberfläche des Heumeeres zu kommen, konnte er nur noch sehen, wie der Wagen von „seinem“ leer geräumten, neu erkorenen Unterschlupf fort fuhr. „Oh neiiin!“, zischelte Randy panisch vor sich her, hatte aber keine Gelegenheit mehr, abzuspringen – denn einerseits fuhr der Wagen bereits sehr schnell und andererseits waren jetzt tatsächlich Menschen da, die den Vorgang beobachteten. Zudem war es ohne das weiche, duftende Füllmaterial sicher nur halb so gemütlich da oben... Kurz streifte sein Blick, den eines kleinen Mädchens, dass staunend neben seiner Mutter stand. Als sie den nicht mehr getarnten Randy erblickte, entfuhr ihr ein spitzer Schrei. „MAMA! Mamaaaaa!!! Da! Da ist ein Monster in dem Heu!“, der Ertappte wurde augenblicklich unsichtbar, aber die Mutter – welche sichtlich erschöpft war – seufzte nur geräuschvoll auf. „Du mit deinen Monstern Shana...Jetzt siehst du sie auch schon am Tag...“, mehr konnte Randall nicht mehr verstehen, denn schon bog der Wagen um die nächste Ecke. Seufzend lies er sich zurück fallen. Na...das konnte ja was werden! Aber immerhin war es warm und die Sonne schien direkt auf ihn, was er gleich ausnutzte, um sich etwas aufzuwärmen. Die Fahrt dauerte nicht ganz eine Stunde und führte an vielen kleinen Dörfern und Gemeinden vorbei, an goldenen Feldern, saftig grünen Wiesen – auf denen Wesen grasten, die Hörner hatten wie seine Mama und viele andere ihm bekannte Monster – an Flüssen und Seen und auch an einigen seltsamen Betonblöcken, die von weitem dem Monster AG Betriebsgebäude ähnelten. Hier war es so schön und vor allem vertraut, dass Randy ins Träumen geriet. Er stellte sich vor, dass er mit seinen Eltern, seiner Lieblingscousine und seinem Cousin UND dem neugeborenen Baby in den Urlaub aufs Land fuhr. Bisher waren sie nur am Strand an dem Lieblingssumpf seines Vaters gewesen, einmal auch in den Bergen um seine Oma mütterlicherseits zu besuchen. Aber noch nie waren sie auf einem Bauernhof gewesen. Er hatte aber die anderen Kinder davon reden gehört – dass es dort echt spaßig sein solle. Im kommenden Sommer sollte er auch endlich ins Ferienlager aufs Land fahren, worauf er sich schon Ewigkeiten wie verrückt freute. Dort würde er vielleicht niemanden kennen – aber so war die Chance am größten, in eine neue Gruppe aufgenommen zu werden, denn die meisten anderen kannten sich ja bestimmt auch nicht! Vielleicht würden sich daraus Brieffreundschaften fürs Leben ergeben...oder noch besser: vielleicht wohnte ja einer genau in seiner Nähe und sie hatten sich bisher nur nicht kennen gelernt? Und nach diesem Ferienlager könnten sie beste Freunde sein und jeden Tag abgefahrene Dinge zusammen erleben! Genau wie in den Trickfilmen, die er so oft sah... Und wenn erst mal das Baby da war und er ein Jahr älter wäre und vielleicht auch mal ganz allein drauf aufpassen dürfte, würde sein Freund dabei sein und sie würden mit dem Baby spielen, bis es schlafen ging, dann ganz allein Pizza bestellen und heimlich bis spät in die Nacht Videos sehen! Diesen Gedanken fand der Junge ganz besonders reizvoll...genau wie den Gedanken, bald ein großer Bruder zu sein! Er war schon ganz aufgeregt...was würde wohl aus dem Ei schlüpfen, dass seine Mama ganz bald legen würde? Ein Mädchen, oder doch ein Junge, oder was dazwischen? Alles hatte große Vorteile! Und wie würde das Baby wohl aussehen? Eine Amphibie wie sein Vater, oder eher ein Reptil wie Mama und er? Oder würde es am Ende gar ganz genauso aussehen wie er selbst – immerhin gab es die Mischung seiner Eltern ja jetzt schon mal! - und vielleicht nur ein bisschen andere Farben haben? Da er so viel älter war, könnte er sich ganz bestimmt hervorragend um sein Geschwisterchen kümmern! Es auf die Arme nehmen, ihm kleine Insekten geben, mit ihm spielen und es beschützen. Vor allem das Letztere würde er gewissenhaft ausführen! Wenn Randy so darüber nach dachte, konnte er die Vorfreude kaum noch aushalten. Hoffentlich war es nicht schon geschlüpft, ehe er wieder Zuhause war...und langsam wurde dem kleinen Echsenmonster wieder ganz mulmig zumute. WENN...er nach Hause käme...ja, wenn... Der Wagen hielt ruckelnd an und Randy sah sich um. Die Fahrt endete tatsächlich auf einem großen Bauernhof! Hier war es sehr laut, denn zahlreiche Kinder liefen überall lachend herum – genau wie seine „Freunde“ es in der Uni getan hatten. Ängstlich davor, entdeckt zu werden, duckte das junge Reptil sich etwas mehr in das Heu und spähte gleichermaßen abgestoßen wie interessiert zu diesen seltsamen, hässlichen Kreaturen. Irgendwie schien er sich an den Anblick gewöhnt zu haben...sie sahen gar nicht mehr ganz so gruselig aus, wie am Anfang. Trotzdem hatte er nicht die geringste Lust von ihnen entdeckt zu werden. So war ihm jetzt die Brille im Weg, denn als „Geist“ würde er erneut viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Also wartete er ab, bis der Wagen vor die Scheune gefahren wurde. In einem Moment der Unachtsamkeit, drückte er sich blitzschnell und gut getarnt an den Beinen des Ausladers vorbei und konnte sich hinter einer Ecke verstecken. Neugierig sah das junge Monster sich um. Hinter ihm befand sich eine Koppel, wo die gleichen, seltsamen Wesen wie gestern im Stall standen. Neugierig näherte er sich diesen und sie kamen vertrauensseelig auf ihn zu. Wahrscheinlich erinnerte Randys aufrechte Getstalt sie an die Kinder die kamen, um sie zu streicheln, vor allem aber zu füttern. Ehrfürchtig streckte Randall seine dreifingrige Hand aus, um den großen, langen Kopf des schnaufenden Dings zu berühren. Dieses lies die Berührung gutmütig zu und brachte damit ein Lächeln auf das Gesicht des einsamen Jungen. Mit einer flinken Bewegung, war er unter dem Lattenzaun durchgehuscht und stand nun neben dem großen Etwas, welches nur träge stehen blieb. Nachdem er das weiche, kurze Fell noch eine Weile gepattet hatte – vorsichtshalber hatte er die Farbe seiner Umgebung angenommen, allerdings stachen einige seiner Schuppen noch blau und lila daraus hervor, da diese Fähigkeit langsam vom vielen Gebauch erschöpft war – sah er sich auf der Koppel um. Glücklich stellte er fest, dass dort ein großer Bottich Äpfel stand, die den Früchten in der Monsterwelt erstaunlich ähnlich sahen. Vom Hunger geplagt fing er an, einen nach dem anderen davon zu verspeisen. Als er gerade beim 4ten angelangt war, hörte er sich nähernde Stimmen. Gehetzt blickte Randall sich um, fand aber kein Versteck und so blieb ihm nichts übrig, als sich neben den Apfelbottich zu ducken und so gut es ging unsichtbar zu werden. Es dauerte nicht lange, bis einige Menschenkinder den kurzen Rasen betraten. Ämgstlich drückte Randy sich mehr in den Schatten des großen Gefäßes. Diese unachtsamen Ungeheuer liefen über den ganzen Platz, lachten, johlten und riefen sich Dinge zu. Dabei trat ein Junge dem langsam panisch werdenden Reptil auf die Schwanzspitze, welche nervös vor ihm hin und her wackelte. Randy heulte gequält auf und der Menschenjunge sah sich alamiert um. Oh nein!!! Nun hatte er giftige Schuh ihn direkt berührt und diesmal würde er ganz sicher sterben! Völlig fertig, zitternd und mit stark schmerzenden Schwanz, rollte der Geängstigte sich zusammen und presste die Hände über dem Kopf. Die anderen Kinder kamen auf den verwirrt drinblickenden Menschenjungen zugelaufen. „Karl! Was ist denn los? Was hast du denn?“ „Was guckst du so? Ist was passiert?“ Der Angesprochene fuhr sich nur nachdenklich über den Hinterkopf und grinste entschuldigend in die Runde. „Habt ihr denn gar nix gehört Leute? Haha...da bin ich wohl langsam schon etwas crazy!“ Offenbar war die Aufmerksamkeit ihm peinlich. Randy nutzte es aus, dass die Kinder abgelenkt waren und wischte pfeilschnell davon. Wenn er jetzt sterben sollte, dann wenigstens an einem schöneren Ort! Unbemerkt konnte er in einen abgelegnen, kleinen Gerätschuppen entkommen, in dem es angenehm schwül war, da er der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt war. Entspannt seufzte der Gequälte, als er sich auf dem freien, oberen Regal niederlegte. Seine Schuppen waren nun wieder gewohnt violett und blau – ganz wie die Farben seiner Eltern. Es war Zeit mit sich und der Welt abzuschließen. Er würde sterben. Sein Schwanz pochte bedrohlich...offenbar schien das Gift bereits zu wirken. Langsam fühlte er sich schummerig – er hatte gar nicht bemerkt, dass ihm, seit er in der Menschenwelt war öfter mal schwindelig war – und schloß die Augen. So sollte es also enden. Er hatte seinem Papa neulich gar nicht richtig Tschüß gesagt...und er würde niemals das neue Baby sehen. Hoffentlich nahmen Mama und Papa seinen Tod nicht so schwer...vielleicht war es gut, dass sie bald ein neues Kind hatten. Vielleicht war es ein besseres Kind und tröstete sie schnell darüber hinweg, dass er nie wieder nach Hause kommen würde. Nach einiger Zeit weckte ein spitzer Schrei den schlafenden Randy auf. Ein entsetzter Junge – etwa in seinem Alter und mit einer mindestens genauso runden Brille wie er – stand in der Tür des Schuppens und starrte ihn an. Alarmiert riß das junge Monster den Kopf hoch und stieß sich dabei fürchterlich die drei Wucherungen an seinem Kopf. Vor Schmerz aufzischend, rieb er sich über die geschundene Haut, was das andere Kind dazu veranlasste laut „SCHLANGE! SCHLANGE!“, schreiend das Weite zu suchen. Innerhalb von wenigen Sekunden war auch Randall auf den Beinen. Wie kam es, dass er noch lebte!? Egal! Schnell lief auch er ins Freie, um ein neues Versteck zu suchen. Es dauerte keine halbe Stunde bis der ganze Bauernhof – und so langsam erkannte Randy, dass er hier tatsächlich in einem Feriencamp gelandet war – auf den Beinen war, um eine angebliche Riesenschlange zu suchen. Als er sich in einer Dachluke versteckte, konnte er zufällig den Brillenjungen von vorhin plärren hören: „Ja! Wenn ich es ihnen doch sage! Die Schlange war Lila! Und sie hatte gräßliche Stacheln auf dem Kopf! Und riesige Reißzähne! Als sie mich sah hat sie böse gezischt und ihr sind Hände gewachsen und sie hatte eine Brille!“ Der Campleiter schüttelte nur den Kopf, über so viel Gestammel und versuchte mit allerlei Worten den Jungen zu beruhigen. „Hast du dir das nicht vielleicht nur eingebildet? Aber, aber Justin. Ist ja gut. Eure Eltern holen euch ja heute abend ab. Keine Bange...“, in seinem Ton schwang etwas mit, was stark vermuten lies, dass er den heulenden Jungen für etwas...sonderbar hielt. Kein Wunder...Schlange mit Brille, der Arme wuchsen... Schon nach kurzer Zeit hatte der allgemeine Trubel im Camp sich gelegt. Nachdem es um die Mittagszeit herum sehr ruhig geworden war, trafen die Kinder sich zum Spielen auf dem Hof. Randall konnte das Durcheinander bestens von seinem geheimen Liegeplatz aus beobachten. Die Kleidung der Kinder war so bunt, wie die in der Monsterwelt...Obwohl ihre Gestalt sich erschreckend und gleichzeitig langweilig ähnlich sah, konnte man sie anhand der Farben doch nach einer Weile auseinander halten. Da war zum Beispiel ein Kind mit blonden Haaren und roten Sachen, ein anderes hatte eine andere Hautfarbe und rötliche Haare, dafür aber blau-weiße Klamotten an. Randy hätte niemals gedacht, dass es Menschen in so unterschiedlichen Haut- Haar- und Klamottenfarben gab. In den Lehrbüchern stand davon nichts – dort war das ewig gleiche, monoton stilisierte Schema abgebildet. Ein bronzefarbenes, nacktes Ding mit Glatze. Ein Kind aber fiel dem Liegenden besonders auf. Seine Sachen waren nicht bunt – das T-Shirt war weiß, aber dafür war irgendetwas in grün darauf gemalt und die Hose war beige – sie trug eine Brille wie er, nur war seine oval und es hatte nicht diese schlanke Figur wie die meisten anderen Kinder hier. Was aber am meisten auffiel, war dass es nicht mit den anderen spielte, sondern etwas Abseits stand und kleine Dinge im Gras zu beobachten schien. Die anderen Kinder liefen spielend an ihr vorbei, ein braunhaariger Mensch schupste es dabei – was gar nicht nach einem Versehen aussah! Aufmerksam spähte Randy hinab – ihm war, als hätte er dieses Szenario schon oft gesehen...Irgendwie verletzte es ihn und machte ihn ganz betroffen, wie die anderen um diesesen Menschen herum liefen und sie ansahen. Dieser aber schien krampfhaft so zu tun, als ob sihn das Alles gar nicht bemerkte. Nach einer Weile galt die Aufmerksamkeit der Kinder, jedoch etwas anderem – irgendetwas sehr Kleinem, dass Randall aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte. Der kleine Beobachter war mittlerweile völlig in seiner Rolle versunken und hatte seine ganzen Sorgen für den Moment vergessen. „Hey! Lasst sie uns einfangen!“, rief eines der Kinder und ein anderes förderte eine leere Flasche zu Tage. „Hier kann sie rein! Und wer sie fängt, darf sie dann mit nach Hause nehmen!“ Wen könnten sie damit meinen? Randy wusste es nicht und auch das einsame, ernste Menschending schien aufzuhorchen. Im Folgenden liefen die Kinder wie verrückt durcheinander, dann alle zusammen hinter einer Sache her. Dies ging eine graume Zeit so und Randy sah, wie der Brillenmensch stetig den Hals verrenkte, um zuzusehen. Schließlich schienen die anderen Kinder ihr Ziel erreicht zu haben. „Ich hab sie! Ich hab sie!!!“, rief ein dürrer Mensch mit besonders hoher Stimme und kurzen, dunkelbraunen Haaren und hielt etwas am Boden fest. Zwei weitere halfen dem Ding dabei, das Objekt in die Flasche zu bekommen. Gespannt kniff Randy die Augen zusammen, um erkennen zu können, was es denn nun war. Sogar das Einsam-Ding aus dem Abseits war aufgestanden und hinter die Masse getreten. Entsetzt stellte Randy fest, dass ein kleines, sich windendes Tier in der Flasche war, dessen Körperbau ihm selbst enorm ähnlich sah. Er konnte zwar nicht erkennen, wie viele Gliedmaßen es hatte – allerdings viel weniger, als er selbst – aber sehr wohl die Kopfform, den schlanken Reptilienkörper und den nervös wirbelnden Schwanz. Erschrocken zischte er auf – blieb aber von den anderen unbemerkt. War das etwas ein kleines Monster? So wie er auch, nur viel kleiner? Was hatten die Menschen mit ihm vor? Würden sie es nun grausig foltern, so wie sie es sicher auch bei ihm getan hätten? Er musste dem Monster helfen! Aber was konnte er tun? Ders Alleinemensch war mittlerweile auf die beiden zugetreten, die die Flasche hielten. Er murmelte etwas, aber Randy konnte es aus der Entfernung nicht hören. Die anderen Kinder verfielen in schallendes Gelächter. „Und was wenn NICHT Berry-Carrie!? Die gehört uns! Was willst DU dagegen machen?“ Die Menge lachte erneut auf. Kurz schien das Berry-Carrie unsicher, dann wiederholte sie die Worte, diesmal so laut, dass auch Randy es hörte: „Lasst die Eidechse frei! Sie gehört in die Natur und nicht in eine Flasche!“, kurz überschallte das höhnische Lachen sie, aber energisch fuhr sie fort und erhob die Stimme diesmal lauter. „Ich meins ERNST! Ich werde das sagen gehen!“ Ein Mensch aus der Gruppe war nicht verzagt und schubste die Aufbegehrende, so dass sie unelegant zu Boden fiel. Dann stimmte ein Chor ein: „Petze! Petze! Petze!“ Randys Augen weiteten sich...er hatte schon wieder so sehr das Gefühl, das alles genaustens zu kennen! Sein Nacken fing an zu stechen und sein Bauch prickelte unangenehm. Nervös krampfte er alle vier Hände zusammen. Was sollte er denn jetzt nur tun? Berry-Carrie schien mit der Situation überfordert. „Hört auf!!!“, forderte sie erneut laut, aber es war nicht klar, ob sie damit den Chor oder die Gefangenahme der Eidechse meinte. Als sie weiterhin verhöhnt wurde, sprang Berry-Carrie mit ungeahnten Nachdruck auf und rannte auf den zu, der die Flasche hielt. Dabei stieß sie einen schrillen Schrei aus. Sie versuchte ihm die Flasche abzunehmen, aber er wich tänzelnd aus und verspottete sie weiter. „Kannst ja wieder allein an den See gehen und die Fische erschrecken! Die warten schon auf Geisterbahn!“, trällerte er unter großem Applaus. Mittlerweile war sie rot vor Zorn und Anstrengung, versuchte aber erneut – wenn auch etwas halbherziger – ihm das Gefäß zu entwenden. Wieder erntete sie nur Gelächter, was noch anschwoll, als sie anfing wie ein Tier zu knurren. Das Lachen ebbte aber abrupt ab, als der spottende Mensch auf einmal nach hinten weg fiel. „Torbi, was ist denn mit dir los? Hast du gesoffen, oder was?“, fragte ein anderer lachend. „Oder hat dich das fette Vieh da mit seinem Geknurre erschreckt!?“ Berry-Carrie stürmte wütend auf den Lästerkopp zu und verfehlte ihn. Aber trotzdem ging auch dieser schreiend zu Boden. „Was war das? Sie...hat mich doch gar nicht berührt!?“ Verwirrt sahen die Kinder sich an. Das Mädchen war nicht minder erstaunt und verunsichert, witterte aber die Chance, schnappte die Flasche und lief davon. Ein paar wollten ihr nach laufen, fielen aber der Reihe nach hin, als seien sie über etwas auf dem Boden gestolpert. Dies veranlasste die anderen dazu, die Verfolgung auf keinen Fall weiter fortzusetzen und die schwerfällige Eidechsenfreundin davon laufen zu lassen. „Vielleicht ist sie ja echt wie Carrie White und hat telekin… magnetsium…Kräfte...“, meinte ein kleines, schwarzhaariges Menschlein mit einem veilchenfarbenen Stirnband und adretter Kleidung, indem es in die Runde blickte. Das folgende Gemurmel bekam Randy nicht mehr mit, denn er war – nachdem er der Fremden eben „ein bisschen“ unter die Arme gegriffen hatte – blitzschnell auf dem Weg zum Baum, um seine Brille zu holen. Anschließend kam er gerade noch rechtzeitig Berry-Carrie hinterher, um zu sehen, wie sie das Monster namens „Eidechse“ an einer sonnigen Stelle, nahe eines Flusses aus der Flasche lies. „Die anderen sind so blöd...Ich hoffe sehr, dass du dir nicht weh getan hast...“, jetzt war die Stimme des Mädchens wieder leise und heiser. Das kleine Monster antwortete nicht, sondern war blitzschnell entwischt. Randy fragte sich, wieso es nicht geredet hatte. War es zu ängstlich oder zornig gewesen? Jedenfalls sah er nun interessiert diesen Menschen an. So von Nahem betrachtet, sah sie sehr alt aus – vor allem um die Augen herum. Ihr Gesicht war ernst und stumpf und zeigte nicht sehr viel Emotion. Trotzdem schien sie irgendwie nett zu sein und wie sie die Eidechse behandelt hatte, gefiel ihm auch. Vielleicht mochte sie ja Reptilien? Vielleicht war es die Angst vorm Alleinsein, vorm Herumirren, vorm Frieren und Hungern, vielleicht aber auch etwas ganz anderes...Randy wusste nicht wieso, aber er fing leise an zu sprechen. „Hallo...“ Erschrocken wand die Angesprochene sich um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)