Tokyo: Real Vampire von Futuhiro (Zwischen Gothic und Legende) ================================================================================ Kapitel 5: getrennt ------------------- „Vor seinem Thron kniest du nieder ...“ „Der Typ hat einen Thron?“ „... bis er dich auffordert, wieder aufzustehen!“, fuhr Safall unbeirrt fort. „Sieh ihn nicht länger als 3 Sekunden am Stück an. Keinen von denen, die da vorn sitzen! Sieh am besten immer schön andächtig zu Boden. Und sag kein Wort. Überlass das Reden mir, solange der Kreuz König nicht ausdrücklich auf deine Antwort besteht.“ „Meine Fresse, die nehmen sich ja ganz schön wichtig.“ „Und hör auf, so abfällig zu reden, sonst wird man dich dafür sicher büßen lassen.“ „Wie denn? Sie können mich ja wohl schlecht umbringen oder so richtig gründlich durchprügeln. Wenn ich zur Polizei gehe, wird dieser ganze Laden hier dicht gemacht und der sogenannte König landet sicher im Knast.“ „Sei dir deiner Sache da mal nicht zu sicher.“, seufzte Safall. Sie waren gerade auf dem Weg durch ein hübsches Anwesen mit japanischem Garten. Vor ihnen zeigte sich bereits die Villa mit dem doppeltüren Eingang. Hier residierte also der Kreuz König. Ob die Könige der anderen Blutlinien auch solche Prunkbauten bewohnten? „Sag mal, was bist du eigentlich?“ Safall schmunzelte. „Ich bin das Kreuz Ass.“ „Shit ...“ Oniji wurde blass. „Ich hab dich immer für ein ganz kleines Licht gehalten. Bestenfalls für eine Lusche.“ „Ich hab dir schon mehrfach gesagt, daß du das Deck nicht so nennen sollst! Das sind hochrangige Adelige.“, seufzte Safall. Er war immer stiller geworden, seit das Haus in Sichtweite gekommen war. Also hätte er nicht mehr die Kraft oder den Willen, sich mit seinem Schüler herumzustreiten. „Du hast eine große Fede mit der Pik-Blutlinie angezettelt. In aller Öffentlichkeit!“, wetterte der dickliche Mann im fortgeschrittenen Alter sauer. Er trug einen kurzen Allerwelts-Haarschnitt und einen verhältnismäßig schäbigen Anzug von der Stange. Dazu viel Silber. Das war das einzige an ihm, was an einen Kreuz-Vampir erinnerte. Selbst seine Eckzähne waren auffallend unauffällig, dafür aber augenscheinlich fest angestückelt und nicht mehr entfernbar. Das war also Tastan, der Kreuz König. Er hockte wie eine Glucke auf der Vorderkante seines Sessels – unter „Thron“ hatte sich Oniji ja etwas pompöseres vorgestellt – und schien vor Wut jeden Moment aufspringen zu wollen. Zu seiner Linken und Rechten saßen wie ein Straftribunal zwei weitere Typen, die schon mehr nach Gothic aussahen. Ansonsten war dieser Raum hier völlig frei von irgendwelchen privaten Dingen. Es schien ein ausschließliches Arbeits- und Empfangszimmer zu sein. Gefließter Boden, nüchterne Wände, ein paar Regale an der einen, ein paar Sitzgelegenheiten an der anderen. Dort lungerten gelangweilte Schlägertypen herum, die dem Gespräch nur mit mäßigem Interesse folgten, Karten spielten und wohl nicht mehr als unterforderte Leibwache des Kreuz Königs waren. Aus dem einzigen Fenster konnte man nicht hinaussehen, es war entweder Milchglas oder mit einer entsprechenden Blickfang-Folie abgeklebt. Oniji kam dieser Raum kalt und nüchtern vor. Schmucklos. Gar nicht wie ein Thronsaal oder das Empfangszimmer eines großen Befehlshabers. Man fühlte sich durch das blickdichte Fenster lediglich unangenehm eingesperrt Safall hob den Blick nicht, sah immerzu unterwürfig zu Boden. Sicher kannte er schon alle Kacheln auf dem gefließten Boden in- und auswändig. „Es tut mir leid. Es war ein wirklich dummes Missgeschick, das ich wieder beheben werde.“ „Ich sollte dich dafür einen Kopf kürzer machen!“ „Ihr habt allen Grund und alles Recht dazu.“ „Ja.“, gab der Kreuz König säuerlich zurück. „Wenn es mich nur nicht vor solche immensen Probleme stellen würde! Wieso ausgerechnet du?“ Oniji verengte die Augen zu skeptischen Schlitzen, während er dem seit einer Viertelstunde sinnlos im Kreis laufenden Dialog wie ein Unbeteiligter folgte. Keiner hatte ihn bisher auch nur eines Blickes gewürdigt. Es nervte ein wenig. Tastan leierte immer wieder die gleiche Strafpredigt herunter, vielleicht in der Hoffnung, Safall würde endlich eine gute, entlastende Erklärung liefern. Aber er tat es nicht. Wie auch? Der König machte Safall in vollem Umfang verantwortlich und dieser nahm die Rüge auch willig an. War es in der Vampir-Szene üblich, daß Lehrmeister für die Vergehen und Fehler ihrer Schüler geradestehen mussten? „Warum verdammt hast du überhaupt ein Küken? In unserer Position ist das nicht mehr vorgesehen!“ „Aber auch nicht verboten, Herr.“ „Du hast in deiner Rolle als Kreuz Ass wirklich genug andere Probleme und Aufgaben, du solltest keine Zeit für einen Schüler haben! Und wenn doch, kann ich dich gern mit mehr Arbeit bei Laune halten!“ Safall nickte nur kleinlaut, sagte aber nichts dazu. Auch die beiden Typen links und rechts neben dem „König“ sagten nach wie vor kein Wort. Sie waren wohl Kreuz Bube und Kreuz Dame, die Minister und Berater des Chefs. Oniji schlussfolgerte zwei Dinge. Erstens mussten die „Damen“ einer Blutlinie wohl nicht zwingend weiblich sind. Und zweitens schien der Kreuz König ihren Rat nicht sehr intensiv in Anspruch zu nehmen. Der Kreuz König seufzte mürrisch und überlegte sichtlich hin und her. In seinem Gesicht zeigte sich deutlich der Konflikt zwischen der Wut auf Safall und der Anerkennung seiner bisherigen Arbeit, die er wohl ehedem tadellos, zuverlässig und loyal geleistet hatte. Man konnte unschwer erraten, daß er nicht auf sein Kreuz Ass verzichten wollte, diesen Vorfall aber auch nicht ohne Konsquenzen lassen konnte. „Ich schicke dich für 72 Stunden in die Hölle!“, urteilte er schließlich. „Verschwinde jetzt!“ Mit einer wegscheuchenden Handbewegung entließ er den Gothic und seinen Schüler. Safall schloss einen Moment verzweifelt die Augen und presste die Lippen zusammen, wandte sich dann aber mit einer Verbeugung kommentarlos ab. „Du musst morgen um 14 Uhr am Sky Tree Tower sein! Und stell nicht noch mehr Unheil an, bis ich zurück bin!“, zischte er Oniji noch zu, dann übergab er sich den am Rand stehenden Schlägertypen, die offenbar nur darauf warteten, ihn abzuführen. „Warte mal, Safall!“, rief Oniji ihm panisch hinterher. „Was soll das alles? Du hast nichts getan! Wieso bestrafen die dich für meine Fehler? Safall!“ Einer der breitschultrigen Typen packte Oniji genervt am Kragen, beförderte ihn rabiat durch den langen Flur bis vor die Tür und warf diese dann hinter ihm zu. Fassungslos starrte der Student die große, doppelflügliche, nun geschlossene Tür an. Sie hatten ihn rausgeworfen! Das war doch nicht zu fassen! Er hatte das Bedürfnis, sich gegen die Tür zu werfen und Einlass zu verlangen, seine gerechte Strafe einzufordern und um Safalls Freilassung zu bitten. Safall konnte ja nun wirklich nichts dafür, daß er sich in der Kneipe mit den Pik-Ministern angelegt hatte. Es war unfair, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings hatten die Schläger den Eindruck gemacht, daß er dieses Haus kein zweites Mal lebend verlassen würde, wenn er hier nochmal unangenehm auffiel. Schweren Herzens und unter der Last eines unglaublich schlechten Gewissens drehte er sich also weg und stapfte nach einer langen Weile des Überlegens durch den japanischen Garten aus dem Grundstück hinaus. In seinem Kopf überschlugen sich die Fragen, während er auf der Suche nach der nächsten Bus- oder U-Bahn-Haltestelle durch die Straßen streifte. Was sollte er morgen 14 Uhr am Sky Tree Tower? Der war am anderen Ende der Stadt. Wollte Safall dort jemanden treffen und schickte nun stellvertretend ihn hin? Was sollte er dort tun oder sagen oder mitbringen? Wie erkannte er denjenigen, den er treffen sollte, sofern es überhaupt jemanden gab? Nagut, an einem auffälligen Gothic-Outfit wohlmöglich? Und was war die , in die man Safall nun für die nächsten 3 Tage stecken würde? Irgendwas derart illegales, daß man besser die Polizei einschalten sollte? Oder brachte das überhaupt nichts, außer noch mehr Ärger, den auch nur wieder Safall würde ausbaden dürfen? Es war zum Verzweifeln. Wieso hatte Safall ihm bisher so wenig beigebracht? Wie sollte er Entscheidungen treffen oder seinem Freund helfen oder sich auch nur angemessen in der Szene benehmen, so ganz ohne irgendwelche Infos? Mit suchendem Blick platzte er an diesem Abend in die Rockkneipe, in der die Vampir-Szene sich hauptsächlich abspielte. Zum Glück hatte Safall ihn schon so oft mit hier hergeschleppt, daß der Türsteher ihn inzwischen kannte und auch alleine reinließ. „Zeda! Bin ich froh, daß ich dich gefunden habe!“, seufzte Oniji erleichtert, als er Safalls Freund nach einigem panischem Suchen traf. Er hatte nur hoffen können, ihn hier zu treffen. Er hätte nicht gewusst, was er hätte tun sollen, wenn er Zeda nicht hier gefunden hätte. „Ich stecke in echten Schwierigkeiten!“ „Das ist mir nicht entgangen, man.“, gab der Gothic zurück und sah sich suchend um. „Wo ist Safall?“ „Nicht hier. Er wurde vom Kreuz König eingesperrt.“ Zeda zog eine Augenbraue hoch. „Okay, dann steckt ihr ja noch viel tiefer in der Scheiße, als ich dachte.“ „Safall badet gerade den Ärger aus, den ich ihm eingebrockt habe! Wir müssen ihm helfen! Bitte, ich brauche deine Hilfe!“ „Safall ist nicht mehr zu helfen. Vampire haften für ihre Küken, das ist Gesetz. Wenn Tastan ein Urteil gefällt hat, war´s das.“ „Aber er ist doch das Kreuz Ass!“, hielt Oniji verzweifelt dagegen. „Ja. Hat ihm aber offenbar auch nicht geholfen.“ „Welchen Rang hast du, Zeda? Bist du einer vom Deck?“ Bitte sag, daß dein Name irgendwo wenigstens ein kleinen wenig Gewicht hat, dachte Oniji. Aber der Gothic lachte und kratzte sich die rasierte Kopfseite. „Wie kommst du auf sowas?“ „Weil du Safalls Freund bist.“ „Ich habe keinen Rang. Ich bin einfach nur ein gewöhnlicher Vampir. Fußvolk. Es ist reines Glück, daß ich jemand so hochrangigen als Freund habe. Und Safall redet nur sehr wenig über das, was sich in den politischen Ebenen da oben abspielt. Ich kann dir nicht helfen, Kleiner.“ „Was ist die ?“, hakte Oniji nach. Der Gothic schaute sich erschrocken um, als wolle er nicht, daß jemand mithörte. „Die Hölle? Haben sie Safall da hingesteckt?“ Fast panisch schnappte er Oniji an der Schulterpartie seiner Jacke und zerrte ihn aus der Kneipe heraus auf den Parkplatz. Wieso wurde er eigentlich immer an irgendwelchen Kleidungsstücken durch die Gegend rangiert, fragte Oniji sich missmutig. „Wie lange!“, wollte er da draußen wissen. „72 Stunden, oder so.“ Zeda verschränkte die Arme. „Nun gut, das ist verhältnismäßig mild, anbetracht der Grütze, die du da angerührt hast. Aber es ist trotzdem keine schöne Strafe. In der wird man praktisch rund um die Uhr misshandelt. Sie schlagen dich. Sie saugen dir soviel Blut aus, daß du vor Schwäche nicht mehr stehen kannst. Sie sperren dich in enge Särge ein, bis du vor Platzangst Schreikrämpfe bekommst. Manchmal wirst du auch ...“ Zeda vollendete den Satz nur mit einer vielsagenden, obszönen Geste. „Vom Schlafentzug ganz zu schweigen.“, fügte er an. Oniji schlug die Hände vor´s Gesicht. Das alles blühte Safall jetzt stellvertretend für ihn, obwohl er absolut nichts getan hatte. „Ich geh zur Polizei!“, entschied er. „Spar dir den Weg. Die Polizisten sind alle geschmiert und gekauft. Du landest dafür bloß selber in der Hölle.“ „Verflucht, was ist das hier für ein Haufen? Ich dachte, ihr wärt bloß ein paar harmlose Gothics mit ´nem kranken Spleen! Aber ihr seid ja ein Verbrecherkartell, schlimmer als die Maffia und Yakusa zusammen!“ Zeda legte mit kühlem Lächeln den Kopf schief und verschränkte die Arme. „Willkommen in der Realität. Sieh es mal so, wenn du keine Probleme machst, bekommst du auch keine.“ Oniji seufzte. „Ich will Safall helfen. Komm schon. Sag mir, was ich tun kann, bitte.“, gab er in unterwürfigem Tonfall zurück. So wie es aussah, war er voll und ganz auf die Hilfe von Zeda angewiesen. Alleine kam er hier gleich gar nicht weiter. „Sei in Zukunft ein besserer Schüler. Mehr kannst du nicht tun.“, war die beinahe tröstende Antwort. Oniji schnaubte sauer. Dann kam ihm aber ein anderer Gedanke. „Safall hat gesagt, ich soll morgen um 14 Uhr am Sky Tree Tower sein. Ich weis nicht, warum. Vermutlich wollte er dort jemanden treffen. Kannst du bitte mitkommen, Zeda? Ich trau mich nicht alleine da hin, nach all dem.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)