Weil du mich nicht kennst von Vidora (Taito) ================================================================================ Kapitel 5: Salsa für Anfänger ----------------------------- „Mit dem Tattoo werden dir jetzt alle Frauen zu Füßen liegen, hm?“ Sie hatten beschlossen, den Strand heute zu meiden. Ryo hatte Angst, das frisch gestochene Meisterwerk durch Sonneneinstrahlung zu beschädigen. Einmal mehr bewunderte Tai die Ernsthaftigkeit, mit der Ryo offenbar über die Entscheidung für oder gegen ein Tattoo nachgedacht haben musste. Der Urlaub auf einer Sonneninsel war scheinbar nicht der geeignete Zeitpunkt... Also standen Sie nun in einem der Clubs am Billardtisch und spielten. „Auf jeden Fall, aber ich muss mir noch überlegen, wie ich es richtig in Szene setzen kann. Rückenfreie Shirts wirken wahrscheinlich wieder zu...“ „Schwul?“, ergänzte Tai und machte seinen Zug. Die Kugel traf genau ihr geplantes Ziel und versenkte so gekonnt zwei andere. „Dann wohl am besten Schwimmbäder.“ Ryo grinste schief. „Ja, wahrscheinlich. Mann Tai, es macht keinen Spaß gegen dich, du brauchst ein Handicap oder sowas.“ Er lachte. „Du musst dir nur mehr Mühe geben, besser zielen, mehr darüber nachdenken, was passieren wird und wie du-“ „Jaja... Tai, das Spiel soll Spaß machen und nicht in Wissenschaft ausarten.“ „Also mir macht es Spaß.“ Tai grinste und Ryo setzte seine Kugel in den Sand. „Immerhin heißt es ja Pech im Spiel – Glück in der Liebe.“ „Na dann wirst du wohl heute Abend deine Traumfrau finden und dich unsterblich verlieben“, prophezeite Tai und stellte seinen Queue weg. „Vielleicht habe ich das ja schon.“ Mysteriös grinsend spazierte er an Tai vorbei in den anderen Raum Richtung Bar, wo er Platz nahm und Tai mit einer Geste neben sich einlud. Ryo und ernsthaft verliebt? Das war schwer zu glauben. Sollte das Ereignis, auf das er nun schon die gefühlten zehn Jahre ihrer Freundschaft wartete, ausgerechnet gestern eingetreten sein? „Erzähl mir mehr.“ Sie bestellten sich zwei Wodka Martini und dann ließ Tai sich die Geschichte über Ryos Traumfrau in allen Einzelheiten erzählen. Sie hieß Nadine, war Französin und studierte Musik in Paris. Ryo hatte den ganzen gestrigen Tag mit ihr verbracht. „Diese langen kupfernen Haare Tai, ich sage dir – einzigartig! Wunderschön! Und ihre Stimme, ihr Akzent, sie könnte tagelang reden und ich könnte tagelang dabei zuhören ohne mich zu langweilen. Im Ernst.“ „Du klingst tatsächlich ziemlich fasziniert.“ „Und ihre Augen! Das schönste Hellblau, das du je gesehen hast.“ Oh ja.. wie schöne blaue Augen aussahen, wusste er. Er wusste auch, wie diese Augen aussahen, wenn sie halb geschlossen waren, wenn sie ihn angrinsten oder wenn sie auf ihre charmante Art und Weise spotteten... „Tai? Hörst du noch zu?“ „Ja sicher. Es scheint dich ja ziemlich erwischt zu haben... aber was soll mit euch werden, wenn der Urlaub vorbei ist, Ryo? Frankreich und Japan sind nicht gerade Nachbarländer.“ Ja, er musste jetzt wieder den Buhmann spielen und die unbequemen Fragen stellen. Das war seine Pflicht als guter Freund, oder nicht? Ryos Gesichtsausdruck blieb verträumt. „Ich könnte nach Frankreich ziehen.“ Das waren ja ganz neue Töne! Ryo und das Land verlassen? Und ausgerechnet für die Liebe? Tai schmunzelte. „Sprichst du denn Französisch?“ „Das lerne ich schon.“ Gut, im Moment hatten solche Einwände offenbar keinen Sinn. Wahrscheinlich war die Sache auch noch viel zu frisch, um sich ernsthafte Sorgen darum zu machen... „Okay... und wann trefft ihr euch wieder?“ „Heute Abend. Ich gehe sie besuchen. Du hast also das Zimmer für dich allein.“ „Aber denk dran: Nicht auf dem Rücken liegen!“ Ryo boxte ihn gegen die Schulter. * Heute wollte Tai ausnahmsweise mal zeitig ins Bett gehen, nicht in einen Sturm geraten und einfach nur entspannen und Schlaf nachholen. Die Voraussetzungen waren perfekt, er hatte das Bett für sich und Ryo würde wohl nicht vor Morgen früh auftauchen um ihn zu wecken. Grinsend nahm er die letzten paar Stufen in den sechsten Stock und schlenderte dann durch die ruhigen Flure. Um diese Zeit waren die meisten anderen Gäste noch unten am Strand oder am Pool. Umso überraschter war Tai, als er um die Ecke bog und Yamato erspähte, der wohl gerade aus seinem Zimmer gekommen war. Tai wollte mit einem Gruß an ihm vorbeigehen. „Hey wie geht es deinem Kumpel?“ Tai suchte nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche und warf seinem Nachbarn ein kurzes Lächeln zu. „Danke, ihm geht’s gut. Es war ihm hoffentlich eine Lehre.“ Er hatte kaum bemerkt, wie Yamato näher gekommen war, aber plötzlich stand er direkt neben ihm und berührte ihn an der Schulter. „Gehst du schon schlafen, Taichi?“ Der verführerische Tonfall seiner Stimme reichte aus, um ihm eine Gänsehaut zu bescheren. Tai nickte und hatte endlich den Schlüssel zu fassen bekommen. Vielleicht etwas zu hektisch steckte er ihn ins Schloss und drehte daran herum. „Ganz allein?“ Heißer Atem an seinem Hals... sein Herz machte einen euphorischen Hüpfer, als sein Blick auf die blauen Augen traf und er sofort wieder darüber nachdachte, doch noch nicht sofort schlafen zu gehen.... Verdammt. Es ging nicht. Nein, er hatte sich doch schon ausgiebig mit dem Thema Yamato auseinandergesetzt! Es gab keine zweite Runde. Aus und vorbei. Nur schnell raus aus dieser Situation. Entschlossen drehte er den Knauf. „Ich.. bin ziemlich müde. G-Gute Nacht!“ Er sah noch aus dem Augenwinkel, wie Yamato ihm einen irritierten Blick hinterher schickte, dann zog er die Tür hinter sich zu. Puh. Das war ziemlich schwierig gewesen. Schwieriger als erwartet. Yamato brauchte ihn nur ansehen, um seinen Entschluss ins Wanken zu bringen. Tai schüttelte den Kopf über seine eigene Unbeherrschtheit. Seine Hände zitterten leicht. Er beschloss, noch eine kühle Dusche zu nehmen, bevor er sich schlafen legte. * Nach einer wunderbar langen Nacht voll erholsamen Schlafs und unbedenklicher Träume saß Tai im Grand Blue Restaurant und aß zusammen mit Ryo zu Mittag und übte sich als Zuhörer. Sein Kumpel schwärmte weiterhin von seiner französischen Traumfrau, erzählte von einem romantischen Abendessen und einer perfekten Nacht. Die Details ihrer intimen Liaison blendete Tais Hirn gekonnt aus, aber dann kam eine Aussage, die ihn aufhorchen ließ. „Ich will, dass du sie kennenlernst!“ Ryos erwartungsvoll leuchtende Augen machten ihm klar, wie wichtig ihm das war. Er wollte nicht nur seine Meinung, sondern seinen „Segen“. Als er sich gewünscht hatte, dass Ryo sich verlieben und etwas bodenständiger werden sollte, hatte er sich das anders vorgestellt. Er befürchtete, dass Ryo sich da in etwas verrannte. Aber wahrscheinlich war es gut, wenn er sich die junge Frau selbst mal ansah. Dann konnte er besser einschätzen, ob sie nur auf einen intensiven Urlaubsflirt aus war, oder Ryo tatsächlich ähnliche Gefühle entgegenbrachte. „Okay.“ Sein Kumpel klatschte in die Hände. „Super! Heute Abend beim Grand Blue Barbeque! Und mach dich ordentlich zurecht ja? Ich möchte mich nicht für dich schämen müssen.“ Tai unterdrückte ein Lachen und nickte. * Das Areal hinter dem Hotelgebäude war riesig. Um den großen quadratischen Pool herum drängten sich kleine runde Tischchen, zwischen denen die Kellner mit ihren Tabletts hin und her huschten. Zahlreiche Fackeln erhellten die Umgebung und die kleine Bühne am nördlichen Ende der Hotelterrasse. Die Veranstaltung sollte laut Werbetafel um acht Uhr beginnen, aber als Ryo und Nadine eintrudelten, war die Terrasse schon so überlaufen, dass sie sich regelrecht zu ihm durch drängeln mussten. Bereits aus der Ferne analysierte Tai die junge Frau. Ihre zierliche Gestalt steckte in einem kurzen dunkelroten Kleid, die Haare hatte sie hochgesteckt und riesige Kreolen baumelten an ihren Ohrläppchen. Ryo hielt ihre Hand während sie sich den Weg zu ihm bahnten. Tai stand auf, um Nadine standesgemäß zu begrüßen. Ihr Lächeln war höflich und blendend weiß. „Gut, dass du uns Plätze freigehalten hast. Ich hätte nicht gedacht, dass es so voll wird!“ Sofort kam eine der Bedienungen zu ihnen und nahm ihre Getränkewünsche entgegen. Eine Weile blickten sie einander an, Ryo natürlich hauptsächlich Nadine, sie wiederum etwas unsicher zwischen Ryo, Tai und dem Gewimmel um sie herum. „Ryo hat erzählt, dass du Musik studierst. Wie läuft es denn so und was wirst du nach dem Studium machen?“, brach Tai schließlich das leicht unangenehme Schweigen, von dem Ryo überhaupt nichts bemerkt hatte; er wirkte geradezu hypnotisiert. Nadine lächelte, dankbar über die Bemühung um einen Gesprächsanfang. „Ja das stimmt. Oh es läuft sehr gut, ich werde bald fertig sein.“ „Sie ist jetzt schon ein Star“, brabbelte Ryo verträumt dazwischen, aber sowohl Nadine als auch Tai übergingen seinen Kommentar. „Ich denke ich werde komponieren, oder Musik lehren.“ Ihr Akzent war tatsächlich sehr charmant. Tai nickte freundlich. „Dann kannst du sicher auch einige Instrumente spielen?“ „Ja, ich spiele Geige, Klavier und singe.“ „Wow, du scheinst sehr begabt zu sein. Ich bin eher unmusikalisch.“ Ryo war noch immer geistig abwesend. „Aber du bist ein großer Sportler, das hat Ryo erzählt.“ „Ich spiele Fußball, aber ob ich das Prädikat 'großer Sportler' verdient habe, wird sich dann erst noch zeigen.“ Die Kellnerin brachte ihre Getränke. „Na dann auf einen tollen Abend.“ Tai hob sein Glas und blickte zu Ryo, der nun endlich aus seiner Starre erwachte und es ihm gleichtat. Sie stießen an und tranken. Die Gespräche schleppten sich mehr oder weniger gut voran. Aber der Zustand besserte sich, als Ryo sich endlich halbwegs sattgesehen zu haben schien. Sie redeten über die Insel und den Urlaub, übers Studieren, über Sport, über Frankreich und Japan und über allerlei Unwichtigkeiten. Nadine schien Ryo zwar gern zu haben, aber sie wirkte bei weitem nicht so vernarrt, wie er. Inzwischen hatte auch die Show auf der Bühne begonnen. Es gab Livemusik und zwischendurch kleine Showeinlagen wie Feuerspucken und Artistik. Außerdem wurden kleine Snacks serviert. Die Stimmung war gut, was sicherlich auch durch die zunehmende Menge an Drinks begünstigt wurde – besonders an Ryo war der Effekt deutlich zu bemerken, denn er wurde immer zudringlicher, streichelte Nadines Wange, legte den Arm um sie, wollte sie küssen, und so weiter und so fort. Anfangs wehrte sie seine Versuche möglichst charmant ab, nach einer Weile dann vehementer, sodass Ryo sich schmollend seinem frisch gefüllten Glas zuwandte. Tai nutzte den Moment und ging kurz zur Toilette, nur um bei seiner Rückkehr feststellen zu müssen, dass sein Platz besetzt war. Von jemandem in einem modischen schwarzen Hemd, einer engen Jeans und einem spöttischen Funkeln in den Augen. Yamato hatte die Arme hinterm Kopf verschränkt und grinste ihn an. „Hallo Taichi, schön dich zu sehen.“ „Das ist mein Platz.“ „Oh entschuldige, es war der einzige, der frei war.“ „Ich hab ihm gesagt, dass der besetzt ist, aber er hat nicht drauf gehört“, brummte Ryo. Etwas unschlüssig starrte Tai den Blonden an, wie er da selbstgefällig auf seinem Platz saß und sich über ihn amüsierte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, einfach zu gehen, aber das erschien ihm selbst im leicht angetrunkenen Zustand ein wenig kindisch. Außerdem würde das wahrscheinlich einen schlechten Eindruck bei Nadine hinterlassen und das wollte er sich morgen von Ryo nicht vorhalten lassen... Suchend blickte er sich in der näheren Umgebung um. Gerade wankte ein Typ, der wohl noch mehr intus hatte, in Richtung Toiletten und ließ seinen Stuhl unbeaufsichtigt zurück. Auge um Auge! Was auch immer – eigentlich konnte man es als gute Tat betrachten, denn wenn der Kerl bei seiner Rückkehr keinen Platz mehr hatte, würde er vielleicht auch nicht mehr Alkohol in sich rein schütten und stattdessen schlafen gehen. Das war vertretbar! Tai fackelte nicht lange und schnappte sich den Stuhl. Triumphierend setzte er sich an den Tisch. Wirkte jetzt vielleicht auch nicht unbedingt höflich auf Nadine, aber sicherlich besser, als zickig abzuhauen. Er lächelte entschuldigend in ihre Richtung. Ryo schien gar keine Notiz von der Aktion genommen zu haben, denn er war schon wieder damit beschäftigt, ihre Hand zu streicheln. „Ich glaube, ich habe einen schlechten Einfluss auf dich“, raunte Yamato zu ihm herüber. Tai schüttelte den Kopf und griff sich seinen Drink. Wenigstens den hatte sich der Eindringling nicht unter den Nagel gerissen. Tai fing Nadines irritieren Blick auf und merkte erst jetzt, dass vielleicht eine Erklärung angebracht war. „Nadine, das ist unser Zimmernachbar Yamato. Er hat Ryo gestern mehr oder weniger das Leben gerettet.“ Dafür kassierte er einen halbherzigen Tritt gegen sein Schienbein. „Irgendwie kommst du mir bekannt vor Yamato, haben wir uns schonmal getroffen?“ Der Angesprochene schien kein bisschen verwundert über diese Frage zu sein. Er lehnte sich lässig zurück. „Nicht, dass ich wüsste.“ Nadine musterte ihn nun eindringlicher, sie schien weiterhin darüber nachzudenken. „Wie geht es denn deinem Rücken?“, fragte Yamato nun Ryo. „Gut, danke.“ Ryo schien mit seiner Anwesenheit nicht so recht glücklich zu sein. Yamato hingegen richtete sich häuslich ein, indem er einem vorbeihuschenden Kellner winkte und sich einen Indian Summer bestellte. „Warum hast du eigentlich kein Tattoo, Tai?“ „Es muss ja nicht jeder eins haben, oder?“ „Magst du tätowierte Männer, Nadine?“ Spielte er jetzt Talkmaster? Naja... zumindest schwiegen sie sich dann nicht an. „Ich mag Ryo.“ Das wiederum hob die Laune seines Kumpels in den Himmel. Selig lächelnd drückte er sich an sie. Fast war Tai versucht, 'ich auch' zu sagen... musste am Alkohol liegen. Aber diese Unterhaltung brachte ihn trotz allen gedanklichen Widerstands auch dazu, sich an den blauen Wolf zu erinnern, wie er ihm von Blitzen erhellt entgegen leuchtete während... Tai atmete angespannt ein und aus. Yamatos blaue Augen funkelten ihn an. Der Kellner kam zurück und reichte ihm seinen bestellten Drink. Er nippte daran und stellte das Glas dann vor sich auf den Tisch bevor er sich wieder an Tai wandte. „Hast du vielleicht Angst vor den Nadeln... ich meine, manchmal kann so ein Stich schon etwas wehtun. Aber... es ist den Schmerz wert, finde ich.“ Warum nur hatte er das Gefühl, dass dieses Gespräch in eine ganz falsche Richtung abdriftete? „Vielleicht hier...“ Yamatos Finger strichen federleicht über seinen Oberarm. Sofort überkam ihn eine Gänsehaut. Ein lautes Klimpern lenkte Tais Blick von Yamato ab. Hinter ihnen bahnte sich eine Gruppen-Showeinlage bestehend aus zwei leicht bekleideten Bauchtänzerinnen und zwei nicht stärker bekleideten Tänzern an. Alle Köpfe ruckten in deren Richtung, nur Ryo himmelte weiterhin Nadine an. Tai erkannte ihn kaum wieder. Mehrere halbnackte Frauen tanzten um ihn herum und er sah nicht hin!? Das Publikum johlte und Tai registrierte, wie sowohl Yamatos als auch Nadines musternde Blicke die beiden Tänzer abcheckten. Dann aber lehnte sich der Blonde zu ihm hinüber und flüsterte gerade noch hörbar in sein Ohr. „Ich wüsste auch noch andere Stellen...“ Die Tänzerbande rasselte hüftschwingend an ihnen vorbei aber Tai hatte keine Augen dafür. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich innerlich gegen Yamatos Anziehung zu wehren. Er kippte sich den Rest seines Drinks hinunter. Am besten Ablenkung... vielleicht würde er ja einfach von selber wieder gehen, wenn Tai es lange genug schaffte, nicht auf ihn einzugehen. Plötzlich berührte jemand seine Schulter. Es war eine der Tänzerinnen. „Tanzen, tanzen!“ Tai schüttelte freundlich lächelnd den Kopf. Er hatte wirklich keine Lust sich hier vor allen Leuten zum Affen zu machen. Aber die Dame ließ nicht locker, sie griff nach seinem Arm und zog ihn rasselnd hoch. „Los mach schon, Tai!“, feuerte Ryo ihn an. Ach, auf einmal war der werte Herr wieder ansprechbar? Menno, er wollte doch nur in Ruhe hier sitzen und seinen Drink schlürfen... aber er schien keine Wahl zu haben. Er warf den anderen einen leicht verzweifelten Gesichtsausdruck zu, als er von der Tänzerin hinterher gezerrt wurde. Er war grundsätzlich für fast jeden Sport zu haben, aber ausgerechnet Tanzen war eine der Ausnahmen. Klar, er hatte das Körpergefühl und so weiter, aber er kam sich irgendwie immer blöd dabei vor und nun saß er hier fest, in einer Art Salsa-tanzenden Karawane, jeder hielt den Nächsten bei der Hand – es gab kein Entkommen. Todesmutig stolperte er hinterher. Auf einmal stand Yamato auch auf und schloss sich dem rasselnden Mob an, indem er Tais Hand griff und sich mit perfekt anmutenden Salsa-Bewegungen in die Kette einfügte – verdammt, wieso konnte er das? Er grinste ihm zu. „Mach dich locker Tai, so schwer ist es nicht. Schau hin.“ Zweifelnd beobachtete Tai seine Bewegungen und versuchte sich in deren Nachahmung. Aber bei ihm sah es garantiert nicht halb so geschmeidig aus. Der schien das jeden Tag zu machen. Er tat sein Bestes um die Peinlichkeit in Grenzen zu halten, konzentrierte sich so sehr auf die Schritte seines Nachbarn, dass er das klatschende und johlende Publikum um sie herum völlig ausblendete. Ja, so ging es einigermaßen, langsam bekam er den Dreh raus. Erst als die Musik aufhörte und die Gruppe stehen blieb, bemerkte er, dass sie fast die komplette Terrasse umrundet hatten. Seine Hände wurden losgelassen. Erleichtert atmete Tai aus, als sie sich den Weg zurück zu ihrem Tisch bahnten. Er legte Yamato eine Hand auf die Schulter. „Danke.“ Eigentlich wäre es ja Ryos Part gewesen, ihm Beistand zu leisten, so als bester Freund, oder? Aber er war momentan zu sehr mit Verliebtsein beschäftigt. „Tolle Show!“, lobte Nadine die beiden, als sie sich hinsetzten. „Ja Tai, ich dachte immer, du kannst nicht tanzen. Damals im-“ Nein! Das musste er jetzt nicht auch noch herauskramen! Schnell unterbrach Tai ihn, indem er das Gespräch mit Nadine fortsetzte. „Erzähl uns doch noch was von deinem Studium, Nadine. Hast du Ryo schonmal was vorgesungen?“ Ryo warf ihm einen enttäuschten Blick zu, schwieg aber artig. Nochmal Glück gehabt. „Ähm, nein habe ich noch nicht. Ich fürchte, dass er klassische Musik nicht besonders mag. Dabei ist das das einzig Wahre.“ „Ich mag alles, was du magst.“ Tai verdrehte die Augen. Bevor er etwas darauf sagen konnte, hatte sich sein Sitznachbar überraschend eingemischt. „Klassische Musik, ja?“ „Ja. Alles andere ist doch nur noch Kommerz. Fließbandware. Musik für die Massen, da ist nichts kunstvolles oder besonderes mehr dran.“ Tai blickte verwirrt zwischen Nadine und Yamato hin und her. „Soso. Dann lieber Fließbandmusik als Rentnermusik.“ „Klassik ist keine Rentnermusik!“ Fast sprang sie auf, so sehr schien dieser Satz sie zu erzürnen. Ryo warf Yamato einen bösen Blick zu. Der aber blieb ganz ruhig. „Und moderne Musik ist keine Fließbandware. Das kannst du nicht so verallgemeinern.“ „Doch.“ „Vielleicht ist es besser, wenn du gehst, Yamato“, fuhr Ryo dazwischen. Stirnrunzelnd blickte der Blonde ihn an und deutete auf sein Glas. „Ich habe noch nichtmal ausgetrunken.“ „Ist mir doch egal!“, fauchte er zurück und stand auf. Mit zwei Schritten war er bei Yamato und fasste ihn am Kragen. „Ich würde dir raten, loszulassen.“ „Ach ja?“ „Stopp Ryo, das reicht!“ Tai schob seinen Kumpel ein Stück auf Abstand. „Bist du etwa auf seiner Seite?!“ „Ich bin auf gar keiner Seite, ich will nur nicht, dass man uns rausschmeißt. Du hast vielleicht etwas zu viel getrunken, Ryo.“ Jetzt stand Nadine auch noch auf. „Jungs ich bin sowieso müde. Ich werde gehen. Gute Nacht.“ Da stöckelte sie auch schon davon. „Warte!“, rief Ryo hinterher aber sie bleib nicht stehen, sondern wurde noch schneller. „Das ist alles seine Schuld!“ „Komm mal runter Mister Drachentattoo.“ Tai legte den Arm um Ryos Schultern und zog mit ihm von dannen. „Lass uns gehen. Schönen Abend, Yamato.“ Es war ziemlich anstrengend den doch recht benebelten Ryo bis ins Zimmer zu bugsieren, aber schließlich hatte er es geschafft. Er packte ihn ins Bett, deckte ihn zu und seufzte erleichtert. Was für ein turbulenter Abend. Mit diesem Ausgang hatte er wirklich nicht gerechnet. Auf dem Weg zum Bad klopfte es auf einmal an der Tür. Etwas spät schon für den Zimmerservice. „Was ist?“, fragte Tai und blieb vor der Tür stehen. „Du hast was vergessen, Taichi.“ Es war Yamatos Stimme. Seufzend öffnete er die Tür. Ein fataler Fehler, wie sich schnell herausstellte. Yamato sah verdammt sexy aus, wie er so im Türrahmen lehnte und ihn ansah. „Was denn?“ Ein paar Sekunden dauerte es, bis Tai realisierte, dass er gar nichts dabei gehabt hatte, was er hätte vergessen können. Zu spät. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)