Crystal Riders II von Rainblue (Reminiscence) ================================================================================ Kapitel 17: Wunschdenken ------------------------ Jet – Wunschdenken Noragami OST -「Fluctuation」02 Ich sah Crystal mit einer Mischung aus Sorge, Verwunderung und Betretenheit nach, bis schließlich die Tür der Mensa sie verdeckte. Aber selbst dann löste ich nicht den Blick, als wäre sie immer noch da und würde mich ansehen. Mit diesem undefinierbaren Zug um ihren Mund. Was war los? Es war fast, als hätte sie nach etwas in meinem Gesicht gesucht, es jedoch nicht gefunden. „Sie war heute Morgen schon so“, holte Moons Stimme mich zurück ins Hier und Jetzt und ich drehte mich ihr und Amber langsam wieder zu. Mit einem Blick auf die Tabletts, stellte ich fest, dass Crystal kaum etwas angerührt hatte. Ich dagegen hatte mein Bestes gegeben – hätte man die beiden Teller vertauscht, hätten sie einem das Bild der vergangenen Wochen gezeigt. „Sie sagte, sie hätte etwas Komisches geträumt.“ „Geträumt?“, echote ich und sah ungewollt zu Amber hinüber. Sicher, er hatte nicht sonderlich viel von meinen Albträumen mitbekommen können, obwohl er mein Mitbewohner war – denn ich hatte mich die letzte Zeit öfter zur Nachtwache gemeldet, damit Granite sich auf die Entschärfungsprüfung vorbereiten konnte und folglich immer tagsüber geschlafen, wenn Amber nicht da war. Die ein oder andere Nacht musste er es dennoch mitbekommen haben. „Mehr hat sie dazu nicht gesagt“, erwiderte Moon seufzend und griff nach Ambers Hand auf dem Tisch. Ich lehnte mich zurück und konzentrierte mich auf meine Atmung. Gestern Nacht hatte ich seit langem mal nicht geträumt oder vielleicht doch, aber die Erinnerung war fort. Denn ich hatte außergewöhnlich tief geschlafen und war sogar erst nach Amber wach geworden, was bis Dato noch nie vorgekommen war. Aber es war absurd, zu glauben, dass das in irgendeiner Art und Weise mit Crystal in Verbindung stand. „Jetblack… Das ist eine Bezeichnung für ‚schwärzer als schwarz‘, wusstest du das?“ Gehetzt sah ich mich um und spürte, wie Moon und Amber irritiert blinzelten. „Habt ihr das gehört?“, murmelte ich, ohne sie anzusehen. Beide zogen die Brauen hoch. „Was gehört?“, fragte Amber gedehnt. „Hier sind viele Geräusche unterwegs, Jet.“ „Egal“, stieß ich hervor, sank zurück in den Stuhl und stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte auf. „Das war bloß Einbildung.“ Man konnte Moon ihre Fragen an jeder Pore ablesen, aber sie stellte nicht eine. Genauso wie die letzten Tage – vielleicht aus Diskretion, obwohl ich nicht davon überzeugt war, dass sie das Wort überhaupt buchstabieren konnte. Aber vielleicht auch nur, weil sie wusste, keine konkrete Antwort zu erhalten. Allmählich war ich diese Geheimniskrämerei leid, aber ich selbst hatte damit begonnen. Ich war eine einzige Grube aus Vertuschung. Und lief davon, wenn es mir zu eng wurde. Und belog so ziemlich jeden, der mir näher als zwei Meter kam… „Wie haltet ihr das eigentlich alle mit mir aus?“, grummelte ich unversehens, denn ich hatte es nicht bewusst gesteuert. Seufzend ließ ich die Stirn in die Hände fallen und raufte mir die Haare. Silent Hill Shattered Memories - Hell Frozen Rain „Jet, was…?“, setzte Amber an, aber ich unterbrach ihn mit einer knappen Geste. „Es kotzt mich an, wisst ihr?“, schnappte ich, verschränkte sogar die Arme vor der Brust und ignorierte die Stimmen in meinem Kopf, die mich wie üblich abhielten, weiterzureden, mehr preiszugeben, als mein Verstand für gut hielt. Ich hatte lange genug vergessen, wie es war, ungezügelt und unbeherrscht zu sein. Für wen hatte ich das getan? Für mich selbst? Wenn ja, hatte ich einen guten Job geleistet, mich selbst in die Schlinge zu manövrieren und Labyrinthwände aufzubauen. „Wovon sprichst du?“, wagte Moon sich, zu flüstern, aber etwas ließ ihre Mundwinkel zucken. Womöglich ahnte sie, was vor sich ging und musste sich selbst daran hindern, zu grinsen. Bei Amber würde das auch nicht mehr lange dauern, er begriff nur nicht ganz so schnell wie Moon. „Jason Snow, aber Jace ist auch in Ordnung“, warf ich ihnen schulterzuckend entgegen und als sie einen verdatterten Blick tauschten, redete ich weiter. „Das ist mein richtiger Name. Meine Mutter hieß Juliet Morgan, mein Vater Ian Snow – sie waren nie verheiratet. Nach der Geburt hat meine Mutter mich im Krankenhaus abgegeben, weil mein Vater sie verlassen hatte. Ich war im Waisenhaus, bis ich sechszehn war, dann bin ich abgehauen, hab mich einer Bande angeschlossen und meine Tage auf der Straße gefristet. Irgendwann wurde ich am Hafen für einen schwarz bezahlten Job angeheuert und hab angefangen, Träume zu hegen. Aber dann…“ Ich verschränkte die Arme noch fester. Jade hätte jetzt gesagt, ich würde eine Schutzhaltung aufbauen. Fein, meinetwegen. „…wurde ich allem Anschein nach infiziert und irgendwas hat mich so sehr schockiert, dass ich infolge des Traumas meine Erinnerung daran verloren habe. Das hier ist das Einzige, was…“ Ich griff in die Tasche und wollte den Schneeflockenobsidian hervorziehen, aber ich bekam ihn nicht zu fassen. Perplex richtete ich mich auf und nahm eine jede Tasche an meinem Körper unter die Lupe, zweimal, dreimal – nichts. Sonst trug ich ihn immer an derselben Stelle. Immer. „Entschuldigt mich!“, brachte ich atemlos hervor, stand auf und rannte los, so schnell ich nur konnte. Moon und Amber kamen nicht einmal mehr dazu, meinen Namen zu rufen. „Das kann doch nicht wahr sein…!“, knirschte ich und trat so heftig gegen den Nachtisch, dass er knallend umfiel. Ich hatte das halbe Zimmer auseinandergenommen. Mein Bett war in seine Einzelteile zerpflückt, die Schranktüren standen offen und von dort aus, sowie in den ganzen Raum hinein zog sich eine Spur aus Kleidungsstücken. Alles, wirklich jeden Zentimeter hatte ich überprüft. Sogar unter den Schränken hatte ich nachgesehen und Ambers Bett ebenso inspiziert, obwohl das eigentlich nicht ansatzweise als Aufenthaltsort infrage kam. Stöhnend lehnte ich mich gegen den schmalen Fenstersims und rieb mir mit einer Hand über die Augen. Jetzt war eigentlich nicht der Zeitpunkt für überstützte Handlungen. Es wäre ratsamer gewesen, ruhig und kalkuliert an die Sache heranzugehen und darüber nachzudenken, wo ich zuletzt gewesen war und ihn hätte verlieren können. Aber das war meine übliche Vorgehensweise und die hatte gerade Sendepause. Das schien heute echt nicht mein Tag zu sein. „Entspann dich, J. Uns wird hier keiner finden, vertrau mir.“ Keuchend kniff ich die Augen zu und drückte mir eine Hand aufs Herz. Es schmerzte nicht, dabei hätte es das eigentlich tun müssen – die Hand darauf zu legen war ein Reflex. Aber da war nichts von jenem Ziehen zu vernehmen. Dieses Mal war es bloß mein Kopf, der mich in den Wahnsinn trieb. Bevor es noch schlimmer werden konnte, kam ich dem stummen Befehl in meinem Inneren nach und verließ das Zimmer. Ohne das Chaos zu beseitigen. Amber würde sich darüber freuen… Aber das war mir im Moment gleichgültig. Die Suche nach dem Stein füllte mich gänzlich aus. Ich war so unkonzentriert, dass ich im Flur sogar gegen einige Schüler stieß, weil ich rannte und sie nicht schnell genug ausweichen konnten. Etwas an diesem Gefühl kam mir vertraut vor, aber es ließ sich nicht demaskieren. Dafür fehlte mir… die Erinnerung. „Ich hab grad versucht, dir zu verklickern, dass ich dich liebe, du Trottel. Das kommt bei Menschen wie mir nur alle hundert Jahre vor!“ „Ah“, kam es ungewollt zwischen meinen Lippen hervor. Dann taumelte ich, verlor die Kontrolle über meine Beine und fand mich mit der Schulter an der Wand wieder. Der Korridor drehte sich, aber es war kein Schüler in Sichtweite. Es musste irgendwann zum Unterricht geklingelt haben. „Jet?“, wurde plötzlich eine Stimme vor mir deutlich. Die Konturen kehrten zurück und zeichneten der Person vor mir ein Gesicht auf. Füllten den Umriss mit Farbe und kurz darauf erkannte ich sie, im gleichen Augenblick, wie die Beherrschung über meine Muskeln wiederhergestellt war. „Mira?“ The Pretty Reckless – Zombie (Acoustic) „Was zum Teufel machst du da?“, kam sie mir mit schief gelegtem Kopf und misstrauisch verzogenen Brauen zuvor. „Ich hab jetzt keine Zeit für Erklärungen…“ Ich wollte mich an ihr vorbeischieben, aber sie trat mir in den Weg. „Wow, wow, warte mal!“, meinte sie mit erhobenen Händen. „Was ist denn in dich gefahren? Du siehst aus, als wärst du gerade von einem Hochhaus gefallen.“ „Kommt mir auch so vor“, erwiderte ich mechanisch, schob sie nicht grob, aber eindeutig zur Seite und rannte weiter. Aber kurz bevor ich die nächste Kurve erreichte, zischte ein tennisballgroßer Feuerschwall haarscharf an meinem Ohr vorbei und kleckste einen schwarzen Fleck auf die Wand vor mir. „Was zum…“, zischte ich im Herumdrehen. Mira trat betont langsam wieder auf mich zu und schnaubte. „Dir ist schon klar, dass du im Kreis rennst, Jet?“ Auf meinen verständnislosen Blick hin, fuhr sie fort. „Ich sehe dich hier jetzt schon zum dritten Mal langlaufen.“ „Ist das dein Ernst?“ Betroffen senkte ich die Augen. Es stimmte, darum waren mir die Gänge hier auch alle gleich vorgekommen. Weil es die gleichen gewesen waren. „Und, äh… hast du nicht eigentlich Unterricht?“ Mein Kopf schnellte so hastig wieder hoch, dass es mich schwindelte. Verdammt…! „Was ist mit dir?“, versetzte ich, um die aufkommende Panik zu überspielen. Ich war noch nie zu spät gekommen, kein einziges verfluchtes Mal. Mira strich sich das Fuchshaar aus der Stirn, welches sie heute zum Zopf trug. Geflochten. Es stand ihr, keine Frage, aber es gab ihr eine völlig andere Ausstrahlung. Und jetzt, wo mir das aufgefallen war, sah ich auch, dass sie weder Make-up noch hohe Schuhe trug. „Ich hab ‘ne Freistunde und muss etwas mit Ivory besprechen, aber du solltest jetzt vielleicht Fersengeld geben…“ „Ja“, entgegnete ich schlicht und konfus wie seit langem nicht mehr. Ich schüttelte den Kopf, wartete aber, bis Mira schließlich den ersten Schritt setzte. Sie beobachtete mich aus dem Augenwinkel, ging aber trotzdem weiter. Erst, als sie die Kurve schon fast erreicht hatte, löste sich der Widerstand in meinen Beinen und ich machte mich ebenfalls auf den Weg. Oder wollte es, denn wie aus einem Impuls heraus, drehte ich mich noch einmal um. „Mira?“, rief ich und glaubte anfangs, sie wäre schon außer Hörweite. Da lugte ihr Kopf unvermittelt hinter der Biegung hervor. „Was?“ „Danke“, sagte ich, gerade laut genug, dass sie es noch hören konnte. Dann wandte ich mich ruckartig ab und lief Richtung Sporthalle. Dustin O'Halloran - Snow + Light Keiner der Schüler ließ einen Kommentar dazu fallen, dass ich zu spät erschienen war. Und das Getuschel, das sich hin und wieder in Gang setzen wollte, ließ sich mit nur einem Blick in ihre Richtung im Keim ersticken. Amber hatte mal im Scherz gesagt, dass jeder, der von mir trainiert wurde, wusste, dass man sich mehr vor meiner Strenge als vor meiner Gabe fürchten musste. Damit hatte er wohl nicht ganz Unrecht. Die Stunde verging wie im Flug und doch quälend langsam und als ich mich schon aufmachen wollte, die Mensa abzusuchen, fiel mir wieder ein, dass die nächste Einheit, die vor dem Mittagessen, die Einzelstunde mit Crystal war. Konnte ich in dem Zustand wirklich zu ihr gehen? Ihr ging es nicht gut und wenn jetzt auch noch ich mit meinen Problemen kam… „Ach, halt doch einfach den Mund, du Idiot“, flüsterte ich mir selbst zu und drehte entschieden ab, um dem Weg zum Mädchentrakt zu folgen. Vielleicht hatte ich den Stein sogar dort verloren. Ich hatte gestern keine Nachtwache gehabt und war mir sicher, ihn das letzte Mal beim Abendessen in die Hand genommen zu haben. Die Chancen standen also nicht schlecht. Ich klopfte an, bevor ich die Tür öffnete, aber Crystal hatte sich lediglich auf ihrem Bett zusammengerollt und streichelte mit den Fingern wiederholt über den verkohlten Körper ihrer Eule. Sie hob leicht den Kopf, als ich eintrat und die Tür hinter mir zuschob, veränderte ihre Position aber nicht anderweitig. „Hey, wie geht es dir?“, fragte ich, während ich mich auf ihre Bettkante sinken ließ. Abrupt gab sie die Eule aus der Hand, stellte sie zurück auf den Nachttisch und richtete sich auf. „Nicht wirklich besser“, gestand sie – denn ja, ich hatte die zurechtgelegte Lüge über ihr Befinden schon aufwallen sehen, aber sie entschied sich für die Wahrheit. Und dasselbe sollte ich auch tun. Wie gerufen verzog sie das Gesicht. „Ist denn bei dir alles in Ordnung?“ „Nein, gar nicht. Ich hab…“ Ich holte tief Luft und griff mir ins Haar. „Der Obsidian ist verschwunden.“ Crystals Brauen fuhren überrascht in die Höhe. „Was? Wie ist das denn passiert?“ Ich zuckte die Schultern und stand auf, um den Raum abzusuchen. Es machte mich nervös. Wenn ich nicht wenigstens versuchte, ihn wiederzufinden, womit auch immer, rissen mir noch die Zügel. Und meine Nerven gleich im Anschluss. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich leise, durchmaß systematisch den Raum und heftete die Augen auf einen jeden Quadratzentimeter. „Gestern Abend hatte ich ihn noch. Vorhin, kurz nachdem du gegangen bist, ist mir dann aufgefallen, dass er nicht mehr da ist.“ „Vielleicht hat ihn jemand gefunden?“, bot Crystal an. Ein paar Sekunden lief ich noch wie ferngesteuert im Kreis, dabei wusste ich schon längst, dass ich hier nicht fündig werden würde. Es fühlte sich auch nicht so an, als wäre er hier. Allerdings konnte ich auch nicht sagen, wo sonst. Erschöpft fiel ich zurück aufs Bett. Crystal streckte die Hand nach mir aus und strich mit den Fingerspitzen beruhigend über meinen Nacken. Das tat sie immer, fiel mir auf. Wenn ich mich schlecht fühlte und ihr das bewusst war, legte sie die Hände in meinen Nacken, dort, wo die roten Spitzen waren. Wieso mir das auffiel oder vielmehr, wieso es mich zum Lächeln brachte, konnte ich nicht sagen. „Wir werden ihn wiederfinden, Jet, keine Sorge.“ Ich nickte nur. Im Augenwinkel sah ich, wie sie sich auf die Lippe biss und drehte mich so, dass ich sie direkt ansehen konnte. Ihr Haar fiel in zerzausten Strähnen über ihre Schultern und ihre Augen hatten rote Ränder. Aber selbst so war sie noch die schönste Person auf der Welt. „Hör auf, mich so anzuschauen“, murmelte sie plötzlich und schlug errötend die Wimpern nieder. „Du machst mich verlegen.“ Ich grinste und beugte mich vor, um sie zu küssen. „Tut mir leid, ich konnte nicht widerstehen.“ Einige Minuten verstrichen, die mir nur wie Sekunden vorkamen, während wir irgendwo im Rahmen des Kusses ganz aufs Bett glitten. Als wir uns schließlich lösten, befand sich ihr Bolero auf dem Zimmerboden, ebenso wie meine Uniformjacke. Meine Hände ruhten an ihren Hüften, ihre unter meinem T-Shirt, während sie so auf meinem Schoß saß, dass mein Körper ihr zu verstehen geben konnte, wie sehr sie mich um den Verstand brachte. Die Bestätigung war ihr Lächeln. „Eigentlich wollte ich dir was sagen“, flüsterte sie dann, ihre Hände zu meinem Gesicht wandern lassend. „Ich hatte gestern Nacht einen Traum, in dem… ich dich meinem Dad vorgestellt habe.“ „Und? Wie stark blamiert hab ich mich?“, fragte ich mit einem schiefen Grinsen und hätte mich mal wieder dafür ohrfeigen können, dass ich unter Einfluss von Sorge um Crystal ständig diesen bescheuerten Humor entwickelte. Aber sie lachte bloß und fuhr mit den Fingern durch meine Haare – sehr sanft, so als wäre ich etwas Zerbrechliches. Etwas von Wert… „Nein, nein, das ist es ja…“, sagte sie mit vor aufkommenden Tränen rauer Stimme. „Es war großartig. Mein Vater hätte dich sehr gemocht, Jet. Er hätte dich sofort ins Herz geschlossen.“ Das brachte mich zum Schlucken. Nicht, weil es sich schlecht anfühlte, im Gegenteil. Es machte mich sprachlos. Crystals verzweifelter Versuch, die Tränen aufzuhalten scheiterte letztendlich. Siah – Forever „Ich weiß, dass es ihn glücklich gemacht hätte, wenn ich tue, was mich glücklich macht. Und ich… das klingt langweilig, ich weiß, aber ich hatte eigentlich immer nur den Wunsch, normal zu sein.“ Langsam sank sie tiefer, bis sie ihr Gesicht in meiner Halsbeuge verbergen konnte. Ich legte ihr eine Hand auf den Hinterkopf und streichelte ihr Haar. Zwar traten schon erste Gedanken an das, was sie sagte, an die Oberfläche, aber fürs Erste wollte ich ihr nur zuhören. Und sie sollte wissen, dass ich das tat. Zu jeder Zeit. „Bei uns zuhause lief alles Mögliche ab, aber wir waren nie normal“, sprach sie nach wenigen Sekunden weiter und vergoss lautlos weitere Tränen, um die ich nur wusste, weil sie in meinen Kragen flossen. „Meine Mutter hatte so viel Angst vor den Crystal Ridern, sogar schon vor Dads Tod. Sie hat mich jeden Tag mit in die Kirche zu schleifen versucht, weil sie geglaubt hat, wenn ich bete, dann trifft mich der Virus auch nicht. Dad hat dem immer widersprochen, aber er hat sich nicht gern mit ihr gestritten, auch wegen mir. Darum hat er oftmals einfach nachgegeben.“ Vorsichtig hob sie den Kopf wieder, fegte sich die Tränen von den Wangen und suchte meinen Blick. Und wieder kam es mir so vor, als würde sie nach etwas darin Ausschau halten. „Meine… nicht Freunde, Mitschüler haben mich immer für spröde und lustlos erklärt – wie die Farbe Grau eben – weil ich keine Partys mochte, kein Interesse an den angeblich coolen Jungs hatte, mich nicht bis zur Besinnungslosigkeit betrinken wollte… Und ich hab das auch selbst geglaubt. Dass ich langweilig bin, weil ich nicht viel vom Leben will. Aber das ist die Wahrheit, das bin ich. Ich wünsche mir nicht, die Welt zu bereisen und so viel mitzunehmen, wie nur irgend möglich ist. Ich will kein aufregendes und wildes Leben, keine zehntausend Mails in meinem Postfach, keine großen Feiern oder Geld. Jet… ich hab mir immer nur gewünscht, normal leben zu können.“ Sehr langsam löste sie den Blick wieder von mir und ließ ihn stattdessen nach rechts zum Fenster schweifen, wo der Himmel voll von Wolken hing. „Mit den Menschen zu lachen, die ich liebe und die mich so annehmen und akzeptieren, wie ich bin. Jeder hat mich deswegen niedergemacht, weil ich meine Jugend ausnützen müsse und mich noch früh genug zur Ruhe setzen könnte. Und wenn ich versucht habe, es zu erklären, sagten sie, ich wüsste es eben noch nicht besser. Aber ich kenne mich und mein Vater tat es auch. Er hat mir immer geraten, das zu tun, was ich für richtig halte, denn egal, wie es aussieht, ein Leben nach den Maßstäben anderer macht nicht glücklich…“ Es war erstaunlich, dass sie so viel sprach. Sicherlich hatte sie in meiner Gegenwart schon öfters lange Reden gehalten, aber nie hatte ich erlebt, dass sie ohne Pausen derart viel von sich selbst preisgab. Wie lange musste sich all das schon angestaut haben? „Ich träume nur davon, irgendwann zu heiraten, Kinder zu haben, an Samstagen zu lunchen… was weiß ich.“ Sie strich sich verlegen grinsend das Haar aus der Stirn. „Ich wäre die perfekte Durschnittamerikanerin, wie es scheint.“ Gedankenlos wanderten ihre Finger über meine Schlüsselbeine. „Wie siehst du das?“ Statt ihr direkt zu antworten, ließ ich meine Hände an ihren Armen aufwärts gleiten, bis ich ihr Gesicht in den Händen hielt, dann zog ich sie zu mir herunter. So vorsichtig es ging streiften meine Lippen ihre. Ich wusste nicht, wieso ich das tat, denn so zaghaft war ich sonst nicht. So als würde ich dünnes Porzellan berühren. Crystal schien es ebenfalls zu irritieren, obwohl ihre Augen ganz neutral blieben, als wir uns wieder lösten, ihre Mundwinkel erzählten etwas anderes. „Ich kann nur wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe; nichts könnte aufrichtiger sein. Es erfordert unendlich viel davon, um in so einer Welt nicht zu vergessen, wer du bist und dich nicht von anderen umstrukturieren zu lassen. Sei stolz darauf, Crystal… du bist frei.“ Ich sprach all das aus und meinte es auch so, aber als ich zum Ende hin den Blick abwandte, traten die hauptflächigen Gedanken zurück in mein Bewusstsein. Diese Dinge, das normale Leben, die Familie… all das würde ich ihr niemals geben können. Und ich war ferner Schuld daran, dass auch niemand sonst es mehr konnte. Crystal spürte meinen inneren Aufruhr und hob sanft mein Gesicht an, damit ich sie wieder ansah. „Entschuldige, ich war nur in Gedanken…“ „Nein, nein, ich meine nur…“, setzte sie an, brach jedoch ab und betrachtete mich nur eingehend. Etwas war seltsam daran und als ich schließlich erkannte, dass ihre Augen zu schimmern begonnen hatten, begriff ich, was vor sich ging. Aber bevor ich etwas sagen oder mich abwenden konnte, klingelte es urplötzlich zum Unterricht. In gewöhnlicher Lautstärke, aber ich hörte es mit einem Mal dreifach so laut und Crystal offenbar auch. „Hast du noch Unterricht?“, fragte sie, kaum dass das ohrenbetäubende Läuten verebbt war. Ich räusperte mich und versuchte, den Gedanken abzuschütteln, dass sie gerade ihre Gabe auf mich anzuwenden versucht hatte. „Das nicht, aber Ivory wollte mich sprechen. Es geht um irgendwas Organisatorisches.“ Ich setzte eine kleine Pause und runzelte die Stirn. „Darum reiße ich mich also immer um die Nachtwache. Wenn ich tagsüber Zeit habe, will irgendwie immer jeder was von mir.“ Ohne auf eine Erwiderung zu warten, hob ich Crystal von meinem Schoß, setzte sie auf dem Bett ab und erhob mich. „Sehen wir uns beim Mittag?“, fragte ich noch, als ich schon die Türklinke zur Hand genommen hatte. Sie nickte nur und ich wusste, dass etwas unausgesprochen geblieben war, das hätte ausgesprochen werden müssen. Denn jetzt hing es wie schwerer Rauch im Zimmer und es gelang mir nicht, ihn zu durchbrechen. Mein Kopf überschlug sich, aber meine Stimmbänder verharrten ungetaner Dinge. Wortlos schob ich die Tür auf und zögerte kaum länger als einen Augenaufschlag, aber der genügte. „Jet?“ „Ja?“ „Entschuldigung.“ Stockend drehte ich den Kopf über die Schulter und begegnete ihrem Blick, der voller Reue war. Genauso schwer und alles überdeckend wie die Wolken am Himmel. „Schon okay“, murmelte ich mit einem seichten Lächeln. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich dasselbe getan.“ Daraufhin schlug sie bloß ein weiteres Mal die Augen nieder. Aber mir fehlten die Worte, um die Sache vollständig zu klären – ich wusste nicht einmal, woran es lag, aber es war unabänderlich. Und darum drehte ich mich lediglich um und verließ schweigend das Zimmer. Valentin Boomes – Marine Lights Die Ungewissheit gegenüber dem, was zwischen Crystal und mir vorgefallen war, nagte noch an mir, als ich den Philosophieraum erreichte. Darüber hinaus hatte ich auch den Obsidian noch nicht wieder und ertappte mich alle fünf Minuten, wenn nicht Sekunden, wie ich danach greifen wollte, um mich zu beruhigen. Die Nervosität wuchs mit jedem Schritt, weshalb ich atemlos und angespannt bei Ivory eintraf, die Tür grob zur Seite stieß und rasch die Hände den Hosentaschen verbarg, bevor noch etwas zu Schaden kam. Und als hätte sich extra jemand die Mühe für ein Sahnehäubchen gemacht, stand neben Ivory, in Nähe der Tafel, Onyx. Besser hätte es ja nicht kommen können… Noch bevor der Lehrer mit den cremefarbenen Augen dazu kam, mich zu begrüßen, trafen sich unsere Blicke und ich konnte denselben Hass und die Abscheu in Onyx‘ Augen lesen, denen er sich jetzt gegenübersehen musste. Verstärkt noch dadurch, dass wir beide schwarze Iris hatten. „Hallo, Jet“, meinte Ivory, während er Onyx eine Hand auf die Schulter legte, damit er aufhörte, mich wie Giftmüll anzustarren. „Danke, dass du gekommen bist.“ Ich seufzte und lenkte meine Konzentration von dem Kerl hinüber zu Ivory. Er würde vermutlich eh gleich gehen, es war also nur unnötiger Nervenaufwand, mich mit ihm zu befassen. Aber der Lehrer machte mir einen Strich durch die Rechnung. „Der Grund, weshalb ich dich hierher bestellt habe, ist, dass ich deinen Rat bezüglich Onyx brauche.“ Mir fiel prompt die Kinnlade runter und Onyx verschränkte schnaubend die Arme, als würde ihm das Ganze noch viel weniger gefallen. Unwillkürlich trat mir unsere erste Begegnung wieder vor Augen. Ich hatte mich lange mit diesem Rider herumschlagen müssen, denn er war zu ungefähr dergleichen Zeit hier angekommen wie ich und seitdem nicht entschärft worden. Seine Schulter trifft meine, obwohl ich schon so weit wie möglich ausgewichen bin und bei der Heftigkeit des Zusammenstoßes, verliere ich haarscharf die Balance. Der Mann, der mich angerempelt hat, verzieht keine Miene, geht aber auch nicht weiter. Also wende ich nur ruckartig den Blick ab und will verschwinden, da ruft er mir nach. „Jetstone, richtig?“ Innerlich seufzend stoppe ich und wende mich ganz leicht um, denn Augenkontakt will ich selbst bei so jemandem um jeden Preis vermeiden. „Ich bin Onyx. Ich hab ja schon einiges von dir gehört – aber mit so einer Gabe ein derartiger Jammerlappen zu sein, ist mir unbegreiflich.“ Da ich nichts erwidere, redet er weiter. „Wusstest du, dass Gagat früher als Imitationsgrundlage für Onyx genutzt wurde? Nur dass der Schwindel immer schnell aufgeflogen ist, denn Gagat ist eigentlich bloß ein Stück Kohle. Die Metapher beschreibt dich bis ins kleinste Detail, nicht wahr? Und da fällt mir auch noch mehr ein…“ „Was willst du von mir?“, zische ich ihm ins Wort, um einen Riegel vorzuhängen. Er schmunzelt gewinnend, denn das war seine Intention – mich solange zu provozieren, bis ich auf sein Geschwafel eingehe. „Nur die Standpunkte klarstellen.“ Es macht mich rasend, allein die Art, wie er es betont. Denn er tut nichts anderes, als Jades Ordnung, keine Schichten aufzubauen, mit Füßen zu treten. Es geht mir nicht den Kopf, wieso sie sich dazu bereit erklärt hat, ihn hier zu integrieren, anstatt ihn der Polizei zu überlassen. In solchen Momenten kann ich die Frau nicht verstehen und stelle ihr Einschätzungsvermögen infrage, obwohl ich es sonst nie tue. „Viel Spaß dabei“, murmele ich lediglich, drehe ab und lasse ihn stehen. Noch weiter darf ich mich nicht reizen lassen, meine Gefühle übersteuern zu schnell und ich will nicht, dass etwas geschieht. Doch Onyx genügt es nicht. Thousand Foot Krutch - Courtesy Call Mit dem Gedenken an jenen Tag, traten auch die an die darauffolgenden wieder ins Licht und ich erinnerte mich mit knirschenden Zähnen, dass Onyx ausschlaggebend für meine Verbannung aus dem Internat in das Apartment gewesen war. Er hatte mich so lange angestachelt, mir aufgelauert und versucht, mich einzubrechen, bis ich ihn geschlagen hatte. Niemand war dabei ums Leben gekommen, aber die Schüler hatten von jenem Tag daran festgehalten, dass meine überkochenden Gefühle mich früher oder später dazu gebracht hätten. Damals hatte ich Jade gehasst, auch wenn ich ihr das nie gesagt hatte. Heute wusste ich, dass es rein gar nichts gegeben hatte, was sie hätte tun können und sie nebenbei bemerkt sowieso alles in ihrer Macht stehende versucht hatte, doch damals hatte ich nur eines denken können: Für diesen Kerl kämpft sie und für mich nicht. „Was kann ich tun?“, fragte ich leicht verstimmt. Die Erinnerungen waren wie ein Zug an mir vorbeigerauscht und das Hier und Jetzt war unangenehm still. „Ich habe Onyx kürzlich auf die Prüfungsliste gesetzt“, meinte Ivory mit seiner Wogen glättenden Stimme. Dieser Mann ließ sich von nichts und niemand aus der Ruhe bringen. Anders hätte er es mit all den komplizierten Ridern wohl auch nicht aushalten können. Aber was er sagte, war mir nicht gerade neu. „Das hast du letztes Jahr auch schon getan.“ Onyx verdrehte die Augen und Ivory musste sogar etwas lachen. „Und das Jahr davor und das davor, ich weiß“, schloss er mit einer Handbewegung auf seine Unterlagen. „Aber dieses Jahr haben wir eine Veränderung auf den Gegebenheiten zu verzeichnen, Jet.“ Ich wusste sofort, was er meinte. Crystal hatte Einfluss auf Onyx ausgeübt – gewaltigen, um nicht zu sagen, sie hatte ihn allem Anschein nach in einen anderen Menschen verwandelt. Nach außen hin, aber mich täuschte er nicht. „Ferner“, fuhr Ivory fort, indem er Onyx wieder die Hand auf den Rücken legte, „hat Onyx einen Wunsch geäußert, wie es nach der Prüfung, im Falle eines Bestehen, weitergehen soll. Und hier kommst du ins Spiel.“ „Ich fürchte, ich kann nicht folgen.“ „Ich will Lehrer werden“, schaltete sich unerwartet unser Gesprächsgegenstand selbst ein. „Du willst… was?“, brachte ich völlig vor den Kopf gestoßen hervor und wechselte einen harschen Blick mit Ivory. „Das kannst du ihm nicht ernsthaft in Aussicht gestellt haben. Das ist absurd, Ivory, er…“ „Halt den Mund, Killer“, knurrte Onyx ungehalten dazwischen. „Du kennst mich nicht.“ „Ach nein?“, gab ich genauso bissig zurück und trat abrupt ein paar Schritte näher. „Wer war es denn dann, der dich in all den Nächten von bis zum letzten manipulierten Frauen weggerissen hat?! Du kannst nicht aus deiner Haut und das wirst du auch nie können.“ „Aber du kannst es, oder was?“, brüllte er unvermittelt, trat vor und packte meinen Kragen. Er hatte keine Angst, mir zielstrebig in die Augen zu starren und zwar, weil er genau wusste, ich würde das selbst ihm niemals antun. „Hört auf, alle beide!“, herrschte Ivory uns an und zog uns eilig auseinander. Zwar gehorchten wir, aber Onyx‘ Mund verzog sich beim Zurückgehen zusehends, bis er wieder das exakte Ebenbild seines alten Ego war. „Ich muss zugeben, ich handle sonst nur um meinetwillen, aber bei der kleinen Crystal… da wollte ich eigentlich nur dir eins auswischen.“ Von hier auf jetzt sah ich rot, machte einen Satz auf ihn zu und schlug ihm mit der Faust so fest ins Gesicht, dass er rückwärts gegen die Tafel stolperte. Er schüttelte sich hastig, wischte sich den Blutfaden vom Kinn und holte dann ebenfalls aus, aber ich war schneller, bekam seinen Arm im Vorwärtsschnellen zu fassen, zog ihn heran, packte auch seine Schulter und schleuderte ihn quer durch den Raum, dass er Tische umriss. „Jet!“, polterte Ivory in meinem Rücken und ich wirbelte mit einem genervten Atemzug herum. „Ivory, bitte. Gerade dir müsste klar sein, dass ich nicht einmal dran denke, meine Gabe zu benutzen.“ Onyx hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und renkte sich mit schmerzverzerrter Miene die Schulter wieder ein. Sein Schrei war nur gedämpft, für alles andere war er zu stolz, das wusste ich. Aber als ich schon glaubte, mit ihm fertig zu sein, machte sich mir nichts dir nichts ein fremdes Gefühl in mir breit. Und als ich auf Onyx‘ glühende Iris aufmerksam wurde, konnte ich ihm auch einen Ursprung zuordnen. Seine Gabe war manipulativer Natur, reagierte aber auf jeden Menschen ein wenig anders, je nachdem wie er Onyx gegenüberstand. Die absolute Mehrheit der Frauen ließ sich davon verführen, denn die Gabe wirkte auf das Gefühlszentrum anregend als auch lindernd, bis dahin, dass diejenige ihren Kopf komplett ausschaltete und sich nur noch von Emotion tragen ließ. Bei jemandem wie mir dagegen war Onyx‘ Einfluss wie der unglückliche Versuch, ein offenes Feuer mit Wasser zu löschen. „Schluss jetzt!“, ging Ivory entschieden dazwischen, als mein Herzstechen schon wieder eingesetzt hatte und ich gegen den Tisch taumelte, um nicht hinzufallen. Und da sah ich zum ersten Mal, was ich bisher nur gehört hatte. Ivory nutzte seine Gabe sonst nur zum Teil, weil sie ihm in ihrem gänzlichen Ausmaß zu viel abverlangte, aber jetzt blieb ihm kaum eine andere Wahl. Er hob den Blick, richtete ihn auf Onyx, seine Augen schillerten und dann verschwand der Druck in meiner Brust schlagartig. Audiomachine – Reunion Er hatte die Gabe wortwörtlich unterbunden. Fast so, als würde man die Lautstärke bei einem Radio runterdrehen. Onyx schüttelte den Kopf, um sich zu fangen, dann seufzte er, die Augen betreten gesenkt. „Tut mir Leid, Jet“, sagte er nach einer Weile und ich sah, dass es keine leeren Worte waren. Es war der gleiche Ausdruck, den er mir gezeigt hatte, als er sich im Flur bei Crystal entschuldigt hatte. „Ich weiß nicht, wieso ich das gesagt habe. Das war ziemlich dumm…“ Für die Annahme seiner Entschuldigung war ich noch nicht bereit, aber ich fing an, zu verstehen, wieso Ivory ihn als Lehrer wähnte. „Psychologie“, meinte ich knapp und beide schauten mich verwirrt an. „Für den Kampfsport fehlen dir die Reflexe. Und wenn du bei Nutzung deiner Gabe weniger an dich und mehr an andere denkst, dann wärst du ein wertvoller Gewinn fürs Kollegium, glaub mir. Also streng dich in der Prüfung an, Onyx.“ „Ist das dein Ernst?“, flüsterte er fassungslos und ich nickte tief. „Mein voller Ernst. Wenn du es verpatzt, belasse ich es nicht bei Worten, denn Jade hat deinetwegen lang genug kein Auge zugetan.“ Mehr brauchte es nicht und mehr wäre mir auch zu viel geworden. Darüber hinaus kamen Menschen wie er besser mit Taten zurecht, als mit Worten. Langsam wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg, bis Onyx‘ Stimme noch einmal erklang. „Hey, Mann… ich hab es nicht verdient, das weiß ich selbst und darum… na ja, danke.“ Halb drehte ich mich noch einmal um, genauso wie damals bei unserer ersten Begegnung. Nur dass ich dieses Mal nicht in ein mit Arroganz maskiertes Gesicht blickte, sondern in die klaren schwarzen Augen eines reinen Minerals. Onyx gehörte zur Quarz-Gruppe, war also am Ende ebenfalls ein purer Kristall – das war jetzt das erste Mal, dass ich das glauben konnte. „Du irrst dich“, widersprach ich ihm bestimmt. „Du hast es verdient. Und du solltest anfangen, auch selbst daran zu glauben.“ Ich wartete nicht mehr auf ein Gegenargument, geschweige denn, dass eines gekommen wäre, zog den Kopf zurück und ging hinaus, schloss jedoch noch sorgsam die Tür hinter mir. „Siehst du, wie dumm ich mich ohne dich anstelle?“, formte ich mit den Lippen, als ich reflexartig nach dem Obsidian greifen wollte, ohne ihn in die Finger zu bekommen. Aber war das wirklich dumm gewesen? Was wusste ich schon. Ich hatte keine Ahnung von diesen Dingen. Trotzdem spürte ich, wie sich während des Weges langsam aber sicher ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Onyx konnte nur von Glück reden, dass ich ihn nie in meinen Kursen gehabt hatte. Kevin MacLeod – Windswept Ich stellte den dampfenden Kaffee neben dem Bildschirm ab und ließ mich unschlüssig auf den Stuhl gleiten. Es war noch früh am Morgen, daher war außer mir niemand in der Bibliothek, was mir nur recht war. Der Computer sprang summend an, kurze Zeit später flimmerte künstliches Licht auf und gab den Blick auf ein schlichtes Hintergrundbild frei. Meine Hände fanden sich wie ferngesteuert auf der Tastatur ein und ich löste die Augen nicht mehr vom Monitor, bis die Suchmaschine erschien und der kleine schwarze Balken in der Spalte aufleuchtete und wieder verschwand, immer und immer wieder. War das wirklich eine gute Idee? Was brachte es mir? Das Internet würde mir nichts anderes erzählen können als die ganzen Wälzer in den Regalen hinter mir. Hier waren die Informationen zu Edelsteinen im Dutzend billiger. Jeder Kulturkreis wurde abgespeist und nicht ein unbedeutendes Detail außen vor gelassen. Aber ich stand mittlerweile irgendwo am Rande der Verzweiflung, vielleicht diente diese Aktion also lediglich dazu, mich auf andere Gedanken zu bringen. Schneeflockenobsidian, tippte ich zögerlich ein und ließ meinen Zeigefinger einen Moment über der Enter-Taste schweben, unsicher und schwermütig. Er war nicht wieder aufgetaucht, obgleich mir Amber, Moon und Crystal bei der Suche geholfen hatten. Wir hatten die Mensa nahezu auf den Kopf gestellt, unsere beiden Zimmer noch einmal gründlich durchkämmt, die Trainingsräume abgesucht und sogar in der Wäschekammer nachgesehen, aber er war unauffindbar. Und das hatte dafür gesorgt, dass ich gestern Nacht wachgelegen und an die Decke gestiert hatte, bis die Sonne aufgegangen war. Jetzt saß ich hier, mit vor Müdigkeit brennenden Augen und viel zu viel Kaffee auf nüchternen Magen. Mit einem Stoßseufzen bestätigte ich die Eingabe. Eine Reihe von Seitenlinks erschien, vorranging esoterischen Ursprungs. Heilsteinlexika, Astrologie, Onlineshops und darüber eine Ansammlung von Bildern. Als ich sie sah, musste ich schlucken und meine rechte Hand führte automatisch die Bewegung aus, wie ich sonst über die Bruchstelle strich. „Wo hast du dich nur versteckt?“, hauchte ich in meinen Kragen und zog ein Bein auf den Stuhl, um mein Kinn auf dem Knie abzulegen. Dann fuhr ich mit der Maus auf einen der Links und klickte ihn an. Ein violetter Sternenhimmel überflutete den Hintergrund, hier und da von Werbefenstern durchbrochen. Ich überflog die Texte, fand aber nichts, was ich nicht so oder so ähnlich schon gelesen hatte. „Erkennung oder Auslöschung eigener Schattenseiten“, formte ich die Worte ohne Ton mit den Lippen nach, „auch Wolkenobsidian genannt, Licht und Dunkel, gegen Angst…“ Stöhnend schloss ich die Augen. Ich vergeudete nur meine Zeit. Alles, was sonst noch kam, war viel zu esoterisch, um es auch nur ertragen zu können und bei der Suche nach dem Stein würde es mir erst recht nicht helfen. Eureka seveN OST 1 // Sexy Lady Bluesy Grummelnd öffnete ich die Augen wieder und wollte das Fenster schließen, als mein Blick unvermittelt an den lilafarbenen Wolken hängen blieb, die um den Mittelstreifen mit dem Text herumwogten. Lila… das war Crystals Lieblingsfarbe. Jedenfalls vermutete ich das, da sie nahezu jeden Tag etwas in diesem Farbradius trug. Bevor ich die Absicht überhaupt vergegenwärtigt hatte, fuhr ich mit dem Zeiger schon zurück auf die Suchmaschine und gab die Farbe ein. Wieder erschien eine Vielfalt von esoterischen Beratungsseiten und Magazinartikeln. Ich klickte auf den erstbesten Link und ließ meine Augen über die Erläuterungen wandern, über die Kostbarkeit der Farbe damals, der tief in sich verbissene Widerspruch, weil bei ihr Kälte und Wärme aufeinandertrafen und musste unweigerlich schmunzeln, weil vieles davon mehr als nur auf Crystal zutraf. Doch dann kam ich bei jenem Absatz an, der mir schon mit seiner Überschrift den Inhalt auf die Nase band. Lila als Zeichen sinnlicher Sehnsucht. Meine Finger stockten über dem Scrollrad, während ich las und meine Augenbrauen immer höher wanderten, jedenfalls fühlte es sich so an. Als ich den Absatz durchhatte, wechselte ich zurück und setzte nur ein S hinter die Farbe, schon bombardierte mich der Bildschirm mit neuen Anzeigen. Ich klickte mich durch einige hindurch, bis mir auffiel, dass meine Wangen zu glühen begonnen hatten. Gerade wollte ich mich straffen und den PC unverzüglich ausschalten, als sich hinter mir jemand diskret räusperte. Erschrocken wirbelte ich herum, blieb irgendwo hängen und wusste wenig später auch wo, als die Kaffeetasse mit einem lauten Knall auf dem Boden aufkam. Jades Blick wanderte fragend von dem sich über den Boden ergießenden Getränk zu mir und wieder zurück, aber ich hatte schon wieder andere Sorgen. Hastig drehte ich mich zurück und schloss das Fenster, obwohl mir längst klar war, dass sie alles beobachtet hatte. Ich wollte gar nicht wissen, wie lange sie mir schon zusah… Final Fantasy IX Soundtrack – Jesters of the Moon „Ähm…“, brachte ich hervor und stieß mir beim Aufstehen das Bein an der Lehne. Ich schnappte mir eins der Handtücher vom Fensterbrett und wischte mit akribischer Sturheit den Kaffee auf. Jade lachte leise, ehe sie in die Knie ging, um mir zu helfen. „Wieso bist du denn so rot im Gesicht?“, fragte sie betont ahnungslos, als wir das Chaos bereinigt hatten. „Bin ich doch gar nicht“, nuschelte ich, vergrub das Kinn im Kragen und huschte an ihr vorbei zum Mülleimer, um die Scherben zu entsorgen. Im Rücken hörte ich sie ein weiteres Mal kichern und dann das Geräusch einer klappernden Tastatur. Aber bevor ich sie daran hindern konnte, traf mich schon ihr Blick über den Raum hinweg. Allem Anschein nach, musste sie sich extrem zusammenreißen, nicht loszuprusten. Und so was sah ich bei ihr nicht gerade jeden Tag. „Das hätte ich von dir am wenigsten erwartet“, grinste sie und ich fluchte innerlich auf die Erfindung des Internetverlaufs. „I-Ich muss los…“, schnappte ich, stolperte beim Versuch vorwärts zu gehen jedoch beinahe über meine eigenen Füße. „Du hast heute frei, Jet“, versetzte Jade stirnrunzelnd, schaltete den PC aus und setzte sich halb auf den Tisch, um an ihrem Tee zu nippen. Gerade, dass sie ihre Seelenruhe derart bewahrte, kratzte mich nur noch mehr auf. Auch wenn ich nicht den Ansatz einer Ahnung hatte, woran das lag. „Ivory braucht mich.“ Das tat er zwar unter Garantie nicht, aber allmählich verspürte ich nur noch den Drang, hier so schnell wie möglich rauszukommen. Ich warf dem PC ungewollt einen vernichtenden Blick zu. „Ivory hat auch frei“, hielt Jade kopfschüttelnd dagegen und lachte in ihre Tasse. „Heute ist Samstag.“ Konnte sie nicht wenigstens ein bisschen entgegenkommend sein? Wieder grinste sie, als ich spürte, wie eine neue Welle von Wärme in meine Wangen aufstieg. Das war doch nicht zum Aushalten! Ohne weitere, sinnlose Rechtfertigungen wandte ich mich ab und marschierte zur Tür hinaus. Oder wollte es, aber Jade ließ es heute wirklich drauf ankommen. „Ich bin stolz auf dich, glaub mir!“, rief sie mir nach und schlimmer noch als das war das offenherzige Gelächter, das folgte und die Tatsache, dass ich mit der Jacke an der Türklinke hängen blieb und wieder um Haaresbreite der Länge nach hingefallen wäre, hätte ich nicht in letzter Sekunde das Gleichgewicht wiedergefunden. Was war hier bloß los? Ich hätte heute Morgen vielleicht doch nicht aus dem Bett kommen sollen. In all den wirren Gedankenspiralen vertieft, kam mir das Gespür für meine Umgebung abhanden und da ich mich im Laufschritt fortbewegte, konnte sie auch nicht mehr schnell genug abbremsen und prallte mit einem abgedämpften Laut gegen meine Brust. „Verdammt, tut mir leid!“, beeilte ich mich, zu sagen und packte Crystal bei beiden Schultern, damit sie nicht hinfiel. Sie schüttelte sich und rieb sich die Nase, lächelte dabei aber schon wieder und meine Augen wollten sich urplötzlich nicht mehr von ihren Lippen lösen lassen. „Alles gut bei dir?“, fragte sie nach einigen Sekunden und ich kappte meine Aufmerksamkeit zerstreut von ihrem Mund. Allerdings nur, um sie dann auf den Stoff ihres Oberteils zu lenken. Ein kräftiges Dunkelviolett. Als hätte ich mich verbrannt, nahm ich meine Hände von ihren Schultern. „J-Ja, mir geht’s fantastisch!“, stammelte ich und realisierte im selben Moment, dass ich eine solche Wortwahl hiermit zum ersten Mal benutzte. Crystal schien das auch aufzufallen, aber sie blinzelte nur ein wenig und stellte sich dann auf die Zehenspitzen, um mich zu küssen. Ich erwiderte es. Vorerst. Aber je länger ihre Lippen auf meinen lagen, je länger ihr Duft an meine Nase drang und ihr Körper gegen meinen drückte, desto heißer fing mein Blut an zu kochen. Und das, obschon der Kuss nicht länger als fünf Sekunden gedauert haben konnte. Und eine davon musste ich schon abziehen, als ich sie nicht grob, aber doch schnell von mir schob. „Ich muss aufpassen, was ich mit meinen Händen tue…“, keuchte ich fast lautlos und schluckte, wobei ich ohne Zustimmung meines Verstandes an ihrem Hals abwärts blickte. „Du musst was?“, stutzte Crystal mit gefurchter Stirn. Verflucht, trug sie schon immer so tiefe Ausschnitte?! „Nichts, gar nichts!“, winkte ich mit heiserer Stimme ab, räusperte mich und griff kurzentschlossen nach ihrer Hand, um sie mit zur Mensa zu ziehen. Sie ließ es widerspruchslos geschehen. Baten Kaitos OST - Tenkai Flower Temple Moon und Amber warteten schon am Stammtisch und starrten mich synchron an, als ich mit den Tabletts und Crystal im Schlepptau dazu stieß. Aufgrund der Suche nach dem Obsidian hatten wir gestern nicht mehr über das gesprochen, was ich ihnen in meiner Rage um die Ohren geworfen hatte. Wir kannten uns jetzt über drei Jahre lang und nie hatte ich ihnen mehr verraten, als dass ich nicht gerne über mich sprach. Jetzt lagen die Würfel anders. Einerseits wollte ich um alles in der Welt wissen, was sie diesbezüglich in ihren Köpfen vorging, andererseits wollte ich es nicht. Aber gegenwärtig hatte ich sowieso keine Konzentration mehr dafür übrig. Ich heftete die Augen mit stoischer Geduld auf meinen Teller, während ich aß, nahm aber von allen dreien hin und wieder fliegende Seitenblicke wahr. Irgendwann brachte mich das dann doch aus dem Konzept, vor allem, weil auch niemand redete und ich verschluckte mich als krönender Abschluss am Brot. „Das ist neu“, stellte Moon unvermittelt fest, stieß Amber mit der Schulter an und zeigte auf mich wie auf einen merkwürdig gefiederten Vogel oder etwas in der Größenordnung. „Sonst ist das bei dir wie mit einer Wand. Es ist absolut unmöglich, zu sagen, ob überhaupt irgendwas in dir vorgeht. Aber jetzt… was ist los?“ „Gar nichts“, hustete ich und nahm einen raschen Schluck vom Wasser. Na wundervoll. Sobald Moon auf etwas gestoßen war, konnte ich damit rechnen, keine Ruhe mehr vor ihr zu bekommen. Und die Frühstückspause hatte gerade erst begonnen. Davon abgesehen, dass heute Samstag war. Dummerweise schweifte mein Blick dabei kurzweilig zu Crystal hinüber, beziehungsweise zu ihrem Dekolletee… Reiß dich zusammen, du Idiot! Aber Moon war schon darauf aufmerksam geworden und zählte gekonnt eins und eins zusammen. „Oh, jetzt wird es gerade noch verlockender!“ „Warte, ich hab eine Idee“, schaltete sich Amber mit beängstigendem Elan ein, wühlte in seiner Tasche und zog ein dickes Lexikon mit dem Titel Sprichwörter und Redewendungen aus aller Welt hervor. Er schlug es beim Buchstaben W auf. „Es gibt doch hier bestimmt irgendwas, womit man jemandem die Wahrheit entlocken kann…“ Bleach OST - Magots Dance „Du bist ein Genie, Amber!“, rief Moon aus und beugte sich enthusiastisch zu ihm, um mit ins Buch schauen zu können. „Schau mal, das hier könnte doch was sein…“ Wortlos erhob ich mich leicht, entwendete Amber das Lexikon mit einer Handbewegung, ließ es zuschnappen und warf es in hohem Bogen über meine Schulter. „Hey!“, beschwerten sich drei Stimmen im Chor. Sekunde… drei? Verwundert wandten wir uns allesamt um und erkannten Mira, die gerade an unserem Tisch hatte vorbeigehen wollen, nur dass das schwere Buch sie auf halber Strecke erwischt und ihr das Tablett aus den Händen gerissen hatte. Wütend pflückte sie den Wälzer vom Boden auf und setzte ihn gewissenlos in Brand. Amber kreischte auf und Moon stürzte vorwärts, fegte dabei die Hälfte unseres Frühstücks vom Tisch und schleuderte mit ihrer Gabe eilig den Inhalt unserer Tassen auf die lodernde Literatur. Zischend erloschen die Flammen, aber der Einband war völlig ramponiert und die Seiten schwarz verkohlt. Darüber hinaus erhob sich stechender Qualm in die Höhe. Amber sank entgeistert davor in die Knie. „Das war das letzte Exemplar!“, keuchte er voller Angst. „Oh Gott, ich bin geliefert!“ Moon kam noch dazu, den Mund zu einem „Nicht!“ zu öffnen, aber da war es schon zu spät und anstelle von Amber lag ein großes, braunes Paket auf dem Boden. Mira, die immer noch daneben stand und bis eben versucht hatte, das, was noch von ihrem Frühstück zu retten war, aufzuklauben, schnaubte und trat kurzerhand gegen die Kartonwand. „Kannst du nicht lesen?!“, protestierte es gedämpft aus dem Inneren. „Da steht ‚Vorsicht zerbrechlich‘ auf der Außenseite!“ Im nächsten Moment hörte man es von innen klopfen. „Und könnte mir jetzt bitte mal einer helfen?“ Crystal neben mir fing an, zu lachen. „Komm, das kriegen wir wieder hin!“, meinte Moon zuversichtlich, klatschte einmal in die Hände und machte sich dann daran, das Paket seitwärts zum Tisch zurückzurollen, woraufhin sich Amber nur noch lauter beklagte, allerdings in unverständlichen Schmerzenslauten. Kurz bevor sie uns erreichten, legte sich auf einmal eine Hand auf meinen Oberschenkel und obwohl ich das natürlich von Crystal gewohnt war, zuckte ich dieses Mal heftig zusammen. Ach, richtig. Da war ja noch was… „Dieses Styropor juckt!“, drang irgendwo von links Ambers Stimme zu mir durch, ebenso wie Moons enttäuschtes „Schon wieder keine Luftpolsterfolie“. „Ist wirklich alles in Ordnung“, fragte Crystal unbefangen und ihre Hand rutschte ein ganz kleines Bisschen höher, wahrscheinlich nicht mal gewollt, aber ich krampfte automatisch die Hände zusammen. Always Look on the Bright Side of Life (from Monty Python) „Brüste!“, platzte es aus Moon hervor und ich fuhr so schnell zu ihr herum, dass ich mit der Hand gegen die Tischkante donnerte. „Ich wusste, dass er darauf reagiert.“ Sie schnippte grinsend in Ambers Richtung, dessen Fokus den Überresten des Lexikons galt. „Jet, dir wird doch nicht irgendwas Unanständiges durch den Kopf gehen?“ Ich wollte etwas erwidern, kam auch so weit, den Mund zu öffnen, aber einen Ton bekam ich nicht hervorgewürgt. Stattdessen war mein Körper erneut der Meinung, dass meine Wangen mehr Blutversorgung nötig hatten. „Uhuhu, jetzt will ich es aber genauer wissen! Amber, ran auf’n Meter!“ Wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, rutschte er über den Boden, wobei ihm das verschmorte Buch aus den Händen fiel und kam dicht hinter Moon zum Stillstand. Dass sie beiden immer noch auf dem Fußboden saßen und ringsum zerbrochene Teller, Tassen und Essenreste verstreut lagen, war mir dabei fast entgangen. Wie infolge eines Reflexes ließ ich das Gesicht in die Hand des Arms fallen, den ich auf dem Tisch abgestützt hatte. Ich war verflucht, ganz einfach. Das musste es sein. Ich benahm mich wie die Ausgeburt eines schlechten Teeniefilms… „Och, komm schon, weih’ uns ein, du alte Miesmuschel!“, bat Moon mit weinerlicher Stimme und ich hob das Gesicht leicht aus der Handfläche. Amber hatte sein Kinn auf ihre Schulter gelegt und ebenso wie auch sie den Kopf schief gelegt, die Augen groß und glasig, der Mund ein Flunsch. Ich widerstand eigentlich nur noch den Impulsen, Dinge nach ihnen zu werfen. Am besten große, schwere Dinge, die viel Schaden anrichteten. Aber bevor ich auch nur dazu kam, mich nach etwas Geeignetem umzusehen, legte Crystal plötzlich ihre Hand auf meinen Arm, kam näher und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ihr Duft traf mich wie ein Vorschlaghammer, genauso wie die Weichheit ihrer Lippen oder die Rundungen ihrer Brüste, die durch ihr Vorwärtsbeugen ganz sanft an meiner Seite spürbar wurden. Ehe ich mich versah, hatte es mich ausgehebelt und ich rutschte so vom Stuhl, dass ich mit dem Rücken vor Moon und Amber auf dem Boden landete. Meine Beine lagen noch halb oben. Erst war es totenstill. Stecknadelfallstill. Aber dann lehnte sich Crystal vor und ich sah, wie sie mich zwischen meinen Beinen hindurch anschaute und fragte, ob alles in Ordnung sei. Das gab den Ausschlag, Moon und Amber explodierten in einem Lachanfall, der geschlagene zehn Minuten anhielt. Ich stöhnte nur, ließ den Kopf nach hinten fallen, schloss die Augen und tat mein Bestes, mir vorzustellen, mich einfach in Luft auflösen zu können. Aber irgendwann – ich lag immer noch auf dem Rücken – hörte ich ein eigentümlich vertrautes Geräusch und fühlte ein Beben in meiner Brust, das sich bis hinunter zum Bauch zog und sogar im Kiefer noch zitterte. Und es dauerte tatsächlich einen Moment, bis ich begriff, dass ich mitlachte. Und zwar aus voller Kehle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)