Stille Nacht von Palaver98 (Lasst uns gemeinsam singen) ================================================================================ Kapitel 5: Lasst uns singen (3) ------------------------------- Ludwig, Arthur und Francis und ihre Männer hatten sich nach dem ersten Zusammentreffen in der letzten Nacht erneut am Vormittag auf dem Niemandsland getroffen. Es ließ sich einfach nicht verhindern. Wieder wurde geredet, getauscht und musiziert. Ludwig aber war still in Gedanken versunken. Wie es wohl seinem älteren Bruder Preußen ging? Der hatte sich ja, als Russland früher als gedacht eingefallen war, ihm sofort gegenüber gestellt. Er hatte Russland zwar rasch zurückgeworfen, aber die Bedrohung durch die zweite Front war damit noch nicht gebannt. Jetzt sollte sein Bruder eigentlich an der von hier soweit entfernten Ostfront sein. "Hey, Germany, what is it? Weswegen bläst du Trübsal?", wurde Ludwig plötzlich von Arthur angesprochen. "Weißt du", antwortete er daraufhin "es ist wegen meinem älteren Bruder Preußen. Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört." Arthur nickte verstehend. Er hatte schließlich auch viele, die ihm nahe standen. Scotland, Alice und sogar dieser vorlaute America. Auch wenn er letzteres eher ungern zugab. "Don't worry", versicherte Arthur, "so wie ich deinen Bruder kenne, geht es dem alten Saupreußen sicher gut. Weed does not perish, oder wie sagt ihr Deutschen immer?" Ludwig musste unwillkürlich grinsen. England hatte Recht. Sein älterer Bruder war ja geradezu unverwüstlich. Das hatte ja auch die Geschichte schon gezeigt, dass Preußen sich nicht so leicht unterkriegen ließ. Russland würde schon etwas zu tun haben. "Also, kommst du jetzt?", fragte Arthur erneut " dieser Idiot France meint, er wolle unbedingt mit uns tanzen und just won't give up." Ludwig verzog schlagartig sein Gesicht wieder. Trotzdem ging er mit Arthur mit. Wer weiß, wann sie sich das nächste Mal so friedlich treffen konnten. Ludwig glaubte nicht, dass diese Waffenruhe lange anhalten würde. Wenn erst die Vorgesetzten davon erfuhren, was sicher nicht lange auf sich warten lassen würde, würde das Ganze schnell vorbei sein. Und misstrauische Stimmen gab es auch unter seinen Männern. Aber er wollte den Frieden und die Freude so lange wie möglich genießen. Gilbert Beilschmidt stieg sofort rasch aus dem Wagen aus und rauschte an seinem Fahrer vorbei, der ihm die Tür aufhielt. Sein Adjutant hatte Mühe, Schritt zu halten. "Preußen, glauben sie wirklich, dass sie sich selbst vergewissern müssen?", frage der Mann zwischen den Atemstößen. Gilbert zog im Laufen den Schirm seiner Offiziersmütze tiefer ins Gesicht und schlug den Pelzkragen seines Generalsmantel hoch. "Ja", antwortete er, ohne stehen zu bleiben "das ist nötig." Schnell näherten sich die beiden dem ersten Kommandostand. Verwundert bemerkte Gilbert, dass sie niemand in Empfang nahm. Es war auch sonst weit und breit niemand zu sehen. Er bückte sich beim Heruntersteigen in den in die Erde gegrabenen Bunker. Er schaute sich um. Auch hier war anscheinend keiner. "Verzeihen Sie, kann ich ihnen helfen?", wurde der Silberhaarige plötzlich von der Seite angesprochen. Überrascht drehte er sich um. In einer Ecke stand ein Holztisch, darauf eine flackernde Petroleumlampe und eine schwarzgraue Schreibmaschine. Hinter dem Tisch saß ein einziger Offizier. "Quoi? Das war alles? Ihr seid echte Waschlappen!", rief Francis lachend. "Oh, I'm deeply sorry, aber in Wintermantel, Stiefeln und auf hartgefrorener Erde lässt es sich nunmal nur beschwerlich tanzen", erwidert Arthur spitz. "Hach, na gut, dann eben quelque chose different", resignierte Francis. Er winkte einen seiner Männer zu sich und ließ sich eine Weinflasche geben. "Et bon, santé!", sagte er grinsend. Ludwig wollte auch gerade sein Glas erheben, als er von hinten angesprochen wurde: "Verzeihen Sie, Herr Deutschland, ich muss Meldung machen!" Ludwig drehte sich überrascht zu dem Unteroffizier um. "Ihr Bruder Preußen ist soeben eingetroffen. Er wünscht Sie zu sprechen", fuhr dieser fort. Ludwig riss seine hellblauen Augen auf. Sein Bruder Preußen war hier? Mein Gott, das war das letzte, was er jetzt erwartet hätte. Himmel, und er hatte noch nicht einmal einen ordentlichen Empfang vorbereitet! Aber warum hatte er sich denn nicht angemeldet? "What? Ol' Prussia ist hier?", fragte auch Arthur, der die Neuigkeit ebenfalls mitbekommen hatte. "La Prusse? Der hat gerade noch gefehlt", meinte Francis mit verzogenem Gesicht. "Na los, ruft die Offiziere zusammen und stellt eine Ehrenformation auf!", rief Ludwig hastig. "Das wird wohl kaum nötig sein, West, Bruderherz! Keseseses!", ertönte Gilberts Stimmem begleitet von seinem einprägsamen Lachen. Ludwig riss den Kopf herum. Tatsächlich kam dort mit schnellen, festen Schritten und einem breiten, fast schon überheblichen Grinsen im Gesicht sein Bruder angestapft. "Bruder, das ist wirklich äußerst überraschend. Warum hast du dich nicht vorher angemeldet?", fragte Ludwig, während er mit ausgestreckter Hand auf Gilbert zu lief. "Nun", antwortete dieser "ich wollte dich eben einfach mal überraschen. Ist ja schließlich schon eine ganze Weile her, dass wir uns da letzte Mal gesehen haben. Aber schön zu wissen, dass sich mein kleiner Bruder bisher gut geschlagen hat." Ludwig und Gilbert schüttelten sich die Hände und umarmten sich herzlich. "Sag, hast du auch Post von Monika und Maria bekommen?", fragte Ludwig. "Natürlich. Und ich bin auch fest entschlossen, diesen Krieg so schnell wie möglich zu Ende zu bringen, um zu ihnen nach Hause zurückkehren zu können", antwortete Gilbert selbstsicher. "Natürlich. Und ich werde mein Möglichstes dazu beitragen", erwiderte Ludwig steif. Francis beugte sich zu Arthur hinüber und flüsterte ihm in Ohr, dass sei mal wieder typisch für die deutschen Brüder. "Allerdings, West", hob Gilbert plötzlich seine Stimme "glaube ich kaum, dass du das erreichen wirst, in dem du mit unseren Feinden einen friedlichen Plausch mitten auf dem Schlachtfeld hälst." Mit den letzten Worten hatte er Arthur und Francis fixiert und schien sie mit seinen leuchtend roten Augen regelrecht zu durchbohren. "Außerdem" fuhr der Preuße fort und fing an, mit kräftigem, großem Schritt die deutschen Soldaten abzulaufen "gilt das für euch alle hier. Es herrscht Krieg! Ihr hattet gestern Abend euren Spaß, aber das war auch schon zuviel! Marsch, zurück in die Gräben und das Gewehr in Anschlag!" Gilbert war immer lauter geworden und hatte immer heftiger gestikuliert. Jetzt baute er sich breitbeinig vor den deutschen Soldaten auf, mit der rechten Hand vor sich auf die Schützengräben hinter ihnen zeigend. Niemand rührte sich. Alle standen nur schweigend da und schauten ihn an. "Bruder, ich fürchte, unsere Männer sind nicht gewillt, jetzt wieder die Kämpfe aufzunehmen. Genauso wenig, wie die Männer von England und Frankreich", warf Ludwig ein. Gilbert kaute angespannt auf seiner Unterlippe. "Was ist los? Seid ihr etwa schwerhörig? Ich, Preußen, habe euch soeben befohlen, zurück auf eure Stellungen zu gehen! Also los, macht schon!", wiederholte er. Noch immer machte niemand auch nur im Entfernstesten Anstalten, dem Befehl nachzukommen. Gilbert fing an, leicht zu zittern. "Das ist unmöglich! Ihr seid Soldaten! Ich bin Soldat! Wir alle sind Soldaten! Wir sollten gegen unsere Feinde kämpfen, nicht mit ihnen singen, mein Gott!", rief Gilbert, zunehmend die Fassung verlierend. Mit wild herumfuchtelnden Armen ging er auf die einzelnen Männer zu. "Das ist Meuterei! Verrat! Ihr kommt allesamt vor's Standgericht! An die Wand! Das hier ist Krieg und kein Kindergarten!", rief er ihnen nacheinander laut ins Gesicht, seine weit aufgerissenen, roten Augen fuhren hektisch zwischen den Soldaten hin und her. "Wissen Sie was, Preußen", erhob nun doch einer seine Stimme, mit den Händen in den Manteltaschen "ihre Vorstellungen über Soldaten, verzeihen Sie mir, können uns heute mal sonstwo. Wir haben erstmal genug. Außerdem könnten Sie sich auch mal ein wenig ausruhen. Nehmen Sie sich da mal ein Beispiel an ihrem Bruder." Gilbert schnappte hörbar nach Luft. So eine Unverschäntheit war ihm bisher selten begegnet. Er war schließlich Preußen, mein Gott! Plötzlich spürte er, wie ihm eine Hand auf die Schulte gelegt wurde. "Komm schon, Bruder, lasst uns alle wenigstens diese Tage Frieden halten", sagte Ludwig. Gilbert knirschte mit den Zähnen. Dann seufzte er tief. "Also schön. Ihr habt ja Recht", gab er zu. "Magnifique, magnifique", rief Francis laut und ging mit offenen Armen auf Gilbert zu. Dieser verzog daraufhin das Gesicht. "Alles was recht ist, Franzmann, aber auf eine Umarmung von dir kann ich gut verzichten." "Mais, prusse, mon meilleur ennemi, mein boche, heute ist doch ein besonderer Tag, non?", entgegenete Francis, ignorierte Gilberts Widerstand und umarmte ihn kräftig. Gilberts Gesichtsausdruck wechselte erst von Überraschung zu Ekel, dann zu Wut, aber schließlich grinste er und fing prustend an zu lachen. "Ach, was soll's, ist ja nur für heute, alter Frosch", meinte der Preuße und erwiderte die Umarmung. Nun war die Starre, die Gilberst anfängliches, strammes Auftreten erzeugt hatte, aufgelöst. Deutsche, Briten und Franzosen hatten eine Art Musikgruppe zusammengestellt und spielten Trompete, Dudelsack und Akkordeon gemeinsam. Gilbert hatte sich ebenfalls einen Stuhl bringen lassen, um sich mit Ludwig, Arthur und Francis zusammen zu setzen. Plötzlich fingen die Musiker an, ein bestimmtes Stück zu spielen, dass alle aufhorchen ließ. Gilbert summte erst leise mit, dann stand er auf und fing er mit der Wiederholung an, laut zu singen: "Stille Nacht, heilige Nacht! Einsam wacht..." "...nur das traute heilige Paar!...", fiel Ludwig in den Gesang seines Bruders mit ein. "Holy infant so tender and mild!...!, begann auch Arthur mitzusingen. "C'est l'amour infini; C'est l'amour infini!...", stieg Francis mit dem Refrain ein, sodass nun alle vier im Stehen weiter sangen. Mit den Strophen begannen auch immer mehr Soldaten das Weihnachstlied zu singen, sodass der Gesang immer mehr anschwoll. Als sie mit dem ganzen Lied fertig waren, lächelten sich Gilbert, Ludwig, Arthur und Frqncis trotz der winterlichen Kälte warm an. "Hey, guys, hat jemand Lust auf eine Runde soccer?", fragte Arthur in die Runde und präsentierte einen etwas abgenutzten, lederbraunen Fußball. - Ende/The End/Le Fin - Der 1914 begonnene Krieg sollte insgesamt vier weitere lange Jahre dauern und Millionen von Opfern fordern. Er gilt als der erste industrialisierte und damit moderne Krieg der Menschheitsgeschichte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)