King and Lionheart von Chimi-mimi ================================================================================ Kapitel 1: Bettler und Hasenherz -------------------------------- „Also… helft ihr mir?“ Unbewusst hielt Ken den Atem an, als Davis seine kleine vorbereitete Rede beendete. Sie hatten nicht nur diese lange geübt, sondern mussten auch vorher so viel vorbereiten, durchrechnen und bedenken. In dieser Sache steckte Davis‘ gesamtes Herzblut und jetzt war der entscheidende Moment, ob alles so klappen würde, wie sie sich das erhofften. „Du willst einen Nudelsuppenstand eröffnen?“ Jun lehnte entspannte an der Tür und lächelte, ein ungutes Lächeln, so empfand es zumindest Ken. „Dir ist schon klar, dass man da auch rechnen und planen muss? Deine Suppen schmecken ganz gut, aber ehrlich, Davis, das ist nichts für dich.“ Für einen Moment schien es so, als würde Davis explodieren, doch er ballte nur kurz seine Hände zu Fäusten und wandte sich dann wieder seinen Eltern zu. „Werdet ihr mich unterstützen?“ Ken wusste, dass Davis‘ großer Traum nun wirklich an dessen Eltern hing. Sie hatten Wochen, nein, sogar Monate damit verbracht, ein Konzept auszuarbeiten, die Finanzierung durchzurechnen und zu überlegen, wie die Umsetzung letzten Endes aussehen könnte. Hinzu kam, dass Davis einen Aushilfsjob in einem Nudelsuppenrestaurant angenommen hatte und dort die Möglichkeit bekam, seine eigenen Rezepte auszuprobieren. Manchmal hatte er Ken wirklich in Erstaunen versetzt, seine Ernsthaftigkeit, die Verbissenheit und der Ehrgeiz… das war nicht immer der Davis gewesen, denn er kannte und… den er kannte. „Du…“ Schnell wandte Ken den Kopf zu Davis‘ Mutter, die mit seltsam ruhiger Stimme sprach: „Du… du willst also die Schule abbrechen, ja?“ Ihr Sohn nickte stumm, blieb ansonsten aber so ruhig, wie er es mit Ken mehrere Abende lang geübt hatte. Sein Temperament durfte dieses Mal nicht mit ihm durchgehen. „Mein Sohn will mit 17 Jahren die Schule abbrechen, verstehe ich das richtig?“ Frau Motomiyas Stimme wurde mit jedem Wort schriller und unangenehmer. Und Ken wusste, sie hatten verloren. Seine Hoffnung hatte auf Davis‘ Vater gelegen, doch dieser saß nur schweigend neben seiner Frau und starrte die Wand an. „Und dann sollen wir dir noch Geld dafür geben, dass du die Schule abbrichst? Was wird die Familie sagen? Was die Nachbarn? Ein Schulabbrecher, du weißt genau, dass das unmöglich ist. So wirst du nie eine gute Stellung erhalten.“ Für einen Moment holte sie Luft, bevor sie – nun etwas ruhiger - weitersprach: „Geh. Und komm erst wieder, wenn du Vernunft angenommen hast. Komm erst wieder, wenn du einsiehst, dass die Schule wichtig für deine Zukunft ist.“ Ein leises Lachen erklang von der Stelle, an der Jun stand, und Davis warf seiner Schwester einen vernichtenden Blick zu. Doch bevor er etwas Dummes anstellen konnte, war Ken auch schon an seiner Seite und flüsterte ihm ein „Lass uns gehen, lass es gut sein“ zu. Mit einem wütenden Glitzern in den Augen ließ Davis sich mehr oder weniger widerstandslos aus dem Zimmer drängen. Mit einer leichten Verbeugung zu den Motomiyas folgte Ken ihm schließlich nach draußen, immer noch Juns leises Lachen im Ohr. Für sie war das alles nur ein Spiel, doch er wusste genau, wie sehr Davis‘ Herz an diesem Plan, an dieser Zukunftsvision hing. Genau aus diesem Grund schmerzte es ihn auch sehr, zu sehen, wie sein Freund vor der Tür stand und ihn etwas verloren ansah. „Der Plan war gut!“ Ken nickte zustimmend, das waren sie schon hunderte Mal durchgegangen und es war eine Tatsache: Ihre Ausarbeitung war hervorragend gewesen, das Finanzierungskonzept stimmig und eigentlich war alles wirklich gut organisiert gewesen. Aber welche Mutter sah es schon gerne, wenn ihr Sohn die Schule für einen Traum abbrach? „Ich werde nicht zur Schule gehen. Ich kann sicher noch mehr arbeiten…“ Davis sah ihn herausfordernd an, als ob ausgerechnet Ken ihm das ausreden würde. Er wusste genau, das hätte keinen Zweck. Allerdings hätte auch mehr Arbeit bei Shous Ramen keinen Zweck. Wenn seine Eltern Davis nicht unterstützen würden, würden noch viele zusätzliche Faktoren hinzukommen, die in ihrem aktuellen Konzept nicht funktionieren würden. Und bevor er groß darüber nachgedacht hatte, rutschte es ihm heraus: „Wir finden eine Lösung. Du kriegst deinen Nudelsuppen-Laden. Und bis deine Mutter sich beruhigt hat…“ „Nein, ist schon gut. Ich kann bei Tai übernachten, der hat ein Gästezimmer. Du hast mir schon so viel geholfen…“ Davis lächelte ihn an. „Außerdem musst du im Gegensatz zu mir noch zur Schule gehen, oder?“ Ken schüttelte den Kopf: „Als ob mir das etwas ausmachen würde. Und du weißt, meine Mutter liebt dich für das, was… du weißt ja.“ „Ken, du bist wirklich mein bester Freund! Du hast die letzten Monate praktisch jeden Tag für mich gearbeitet und mir unglaublich geholfen.“ Wie zur Bekräftigung nickte Davis entschlossen. „Du brauchst eine Pause, du musst dich auf die Schule konzentrieren und ich muss jetzt meinen Weg allein finden. Vielleicht stellt Shou mich ja fest an. Es wäre besser als nichts.“ Mit einer Umarmung verabschiedete Davis sich, ohne Ken Widerspruch einlegen zu lassen. Dieser war auch viel zu perplex, denn das war so untypisch für seinen Freund, es passte einfach nicht zu ihm. Ein paar Minuten stand er da, bevor ihm einfiel, dass Davis ohne irgendetwas losgegangen war. Es fiel ihm nicht leicht, doch er drehte sich um und klingelte zögerlich an der Tür der Wohnung, aus der er gerade eben geschmissen wurde. „Ken?“ Davis‘ Vater öffnete ihm. Verlegen verbeugte Ken sich wieder kurz und sah Herrn Motomiya dann an: „Wäre es möglich, dass ich ein paar von Davis‘ Sachen zusammenpacke?“ „Natürlich. Ich hole dir eine Tasche.“ Mit diesen Worten verschwand er in der Wohnung und ließ Ken alleine stehen. Hatte er schon beim Klingeln gezögert, fiel es ihm nun noch schwerer, einfach in Davis‘ Zimmer durchzugehen. Langsam zog er die Schuhe aus, tappte dann so leise wie möglich in hinein. „Hier.“ Plötzlich tauchte Davis‘ Mutter mit einer gepackten Tasche auf. „Ich… ich habe... Seine Sachen… du bringst sie ihm?“ Nachdem er die Tasche mit einem stummen Nicken entgegen genommen hatte, verschwand sie so schnell wie sie vor ihm aufgetaucht war. „Sie meinte es nicht so.“ „Wie bitte?“ Ken drehte sich zu Herrn Motomiya um. „Euer Konzept. Es war gut, sogar sehr gut. Ich bin wirklich beeindruckt, ehrlich.“ Nachdenklich neigte er den Kopf. „Aber du musst verstehen, dass wir es nur gut mit Davis meinen.“ „Sie finden es also gut?“ Das war so ziemlich das Einzige, was bei Ken hängen geblieben war. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, Davis zu seinem Traum zu verhelfen. „Ja“, erwiderte der Vater schlicht. „Nur können wir auch nicht zulassen, dass Davis deshalb die Schule aufgibt. Seine Noten mögen zwar nicht die besten sein, doch es ist einfach zu wichtig, einen Abschluss zu haben.“ Er kramte in seiner Hosentasche und zog schließlich die Geldbörse vor. „Wir sind doch trotz allem für ihn verantwortlich. Und ich möchte nicht, dass er auf Kosten von anderen lebt. Nimm das als Geld für Lebensmittel und alles Wichtige, vorerst. Hör zu, Ken, wir werden ihn immer unterstützen, aber bitte, sag ihm noch nichts davon. Er muss erst zur Vernunft kommen. Wenn er die Schule beendet, dann kaufe ich ihm dieses…“ „Das Fahrrad… mit dem Anhänger.“ „Ganz genau, das kaufe ich ihm ganz, ohne dass er etwas zurückzahlen muss. Aber er braucht einen Abschluss.“ „Ohne Schulabschluss kann er nicht mehr zurück?“ „Nicht so schnell, nein. Wir müssen unserer Linie treu bleiben, das verstehst du doch, oder?“ Davis‘ Vater schüttelte traurig den Kopf, als könnte er selbst nicht so ganz glauben, was er gerade gesagt hatte. Ken wurde bewusst, dass sein Freund seinen Sturkopf nicht von ungefähr hatte, es lag wohl definitiv in der Familie. „Du bist für ihn da, oder?“ „Ja“, antwortete Ken. „Ich werde ihn unterstützen, aber ich werde ihn nicht dazu zwingen, zur Schule zu gehen.“ Überraschenderweise lachte Herr Motomiya leise vor sich hin. „Um ehrlich zu sein, ich erwarte auch nicht, dass Davis das wirklich tun würde. Ich kenne meinen Sohn. Ich hoffe, er findet den richtigen Weg.“ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Unangenehm, genauso fühlte sich das Geld in Kens Jackentasche an und doch musste er es immer befühlen. Wie stellten die Motomiyas sich das vor? Musste er jetzt jeden Monat Geld abholen und es Davis irgendwie unterjubeln? Ken hatte das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen und hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte. Er verstand Davis, er verstand dessen Eltern. Warum konnte es keine einfache Lösung geben, mit der alle Beteiligten glücklich wären? Vor lauter Grübeln hätte er fast sein klingelndes Handy überhört, war aber froh, dass er es doch noch bemerkt hatte, denn es war Tai, der ihn zu erreichen versuchte. Tai hielt sich nicht mit Begrüßungen auf und kam sofort auf den Punkt: „Was ist mit Davis los? Und warum redet er ständig davon, dass er nur für ein paar Tage bei mir einziehen muss? Bis er etwas Eigenes hat?“ „Es tut mir leid, ich hätte dich vorwarnen sollen!“ Warum war ihm das auch erst jetzt eingefallen? Von den Freunden wusste ja noch niemand, was Davis geplant hatte, geschweige denn von dem desaströsen Gespräch heute. „Ist er grad in der Nähe?“ „Nein. Er wollte zu Shous Ramen, hat irgendetwas von ‚fester Arbeitsstelle‘ geredet. Ken, was ist los?“ „Hör zu, ich bin sowieso grad auf dem Weg zu dir. In fünf Minuten bin ich da, okay?“ Mit jedem Wort, das Tai gesagt hatte, war Ken schneller geworden und rannte jetzt praktisch durch den Park. „Das ist eine zu lange Geschichte für das Telefon. Bis gleich!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er einfach auf. Untypisch für ihn, aber es wäre wirklich besser, wenn er mit Tai von Angesicht zu Angesicht sprechen könnte. Bei jedem Schritt schlug die Tasche mit Davis‘ Kleidung gegen sein Bein und erinnerte ihn schmerzhaft an die Probleme, die er… beziehungsweise, die sie lösen mussten. Ken hoffte einfach, dass Davis nur ein, zwei Tage brauchen würde, um sich wieder zu fangen. Irgendwie schien ihm einfach alles falsch zu sein, das war doch nicht Davis, der seinen Traum aufgab, um als Koch in einem drittklassigen Ramen-Laden zu arbeiten. Es musste eine Möglichkeit geben, dass sie das Geld zusammenkriegen würden, ohne die Unterstützung von Davis‘ Eltern. Und wenn Tai ihn vielleicht bei sich wohnen lassen würde… Kens Gedanken fuhren Karussell, als er die Treppen zu Tais kleiner Wohnung so schnell wie möglich hinter sich brachte. Und wie er es versprochen hatte, waren keine fünf Minuten rum, bis er vor der Tür stand und – leicht atemlos – klingelte. „Also? Was ist los?“ Tatsächlich empfand Ken den Anblick des Freundes als beruhigend, obwohl dieser so verwirrt aussah, wie er sich fühlte. „Seine Eltern haben ihn rausgeschmissen“, erwiderte er und fühlte sich sofort erleichtert, weil er nun nicht mehr allein mit den Sorgen um seinen Freund war. Ken wusste, dass er sich auf Tai verlassen konnte, wenn dieser auch gerade – immer noch verwirrt und nun auch noch beunruhigt – nachlässig sein Haar zerstrubbelte. „Okay… das ist wirklich kein Thema für ein Telefongespräch. Komm rein, zwischen Tür und Rahmen passt das auch nicht.“ Für einen kurzen Moment schwieg Tai, doch sobald sie in der Wohnung waren, fuhr er fassungslos fort: „Seine Eltern haben ihn rausgeschmissen? Warum?“ Scheinbar ruhig und entspannt stellte Ken die Tasche ab, setzte sich ordentlich auf das kleine, schon sehr oft genutzte Sofa und erzählte dann alles. Alles, was er wusste. Ihre langen Abende, die Berechnungen, die Pläne, Davis‘ Versuche, die perfekten Suppen zu kreieren, die Übungen für das Gespräch, das Gespräch selbst und zum Schluss erwähnte er auch die Unterhaltung mit Davis‘ Vater. Wort für Wort, so gut sie ihm in Erinnerung geblieben war. Während seiner Erklärungen lief Tai, wie ein gefangener Tiger auf und ab, immer wieder aufs Neue. Zwar setzte er ein, zwei Mal an, um zu unterbrechen, wartete schließlich aber doch ab und hörte lieber zu. Auch als Ken endlich fertig war, sagte er erst kein Wort, dachte sichtlich nach und fing dann mit einem „Hm…“ an, nur um dann wieder zu verstummen. „Also? Was denkst du?“ Kens Hand verkrampfte sich immer mehr um die Lehne der Couch, sodass seine Knöcheln schon weiß abstanden. „Seit wann gibt er denn so schnell auf? Oder hat er einen genialen Plan?“ Ken zuckte nur ratlos mit den Schultern. Er hatte wirklich keine Idee, was mit Davis los war und was in dessen Kopf vor sich ging. Also sah er einfach weiter Tai zu, der schließlich stehen blieb und auf die Tasche deutete: „Bring sie in Karis Gästezimmer. Ich denke, sie hat nichts dagegen, wenn Davis erst einmal eine Weile dort schläft.“ „Tai?“ „Ja?“ „Hast du eine Idee? Wir müssen ihm doch irgendwie helfen, oder?“ Tai nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Wir sollten mit den anderen reden. Und Davis muss sich erst mal wieder beruhigen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)