Itsuwari no Kamen / The World is ugly (but you are beautiful to me) von abgemeldet ((Frank x Tsuzuku)) ================================================================================ Kapitel 1: When dreams come true -------------------------------- When dreams come true Franks POV Das laute Rauschen der Turbinen, untermalt von Hunderten verschiedener Stimmen und ebenso vielen trappelnden Schuhpaaren. Unverständliche Ansagen, die aus den Lautsprechern hallen. Wohin man auch sah, fand man stets die Hektik, nie aber die Ruhe. Ich war vorher noch nie geflogen, geschweige denn verreist. Das war einer der Gründe für meine große Aufregung. Die Tatsache, dass sich ein lang ersehnter Traum endlich erfüllte, war allerdings wesentlich ausschlaggebender für meine offensichtliche Nervosität. Bis jetzt lief alles wie am Schnürchen und ich bezweifelte, dass sich daran etwas ändern würde. Ich saß im Flieger, ebenso alle anderen Passagiere und der Pilot hatte bekanntgegeben, dass wir pünktlich würden starten können. Neben mir saß ein breitschultriger, korpulenter Herr der stark nach der Fastfood-Kette seines Vertrauens und schweißigen Zwiebeln roch. Oder andersrum? Mit der Feststellung, dass mir das total egal wäre, wenn ich nicht grade mehrere Stunden neben diesem Mann würde verbringen müssen, drehte ich mich so gut es ging und so unauffällig wie möglich von ihm weg, sodass ich ihm halb meinen Rücken zuwandte, das Gesicht zum Fenster. Auf dieser Seite war die Luft etwas besser und meine Position sogar ganz aushaltbar. Dann setzte sich unsere Maschine auch schon in Bewegung und ich verabschiedete mich noch einmal im Stillen von meinem Heimatort New Jersey und von den wenigen Menschen, die mir etwas bedeuteten. Meine Reise würde drei Wochen dauern, für diese Zeit hatte mein Chef mich großzügiger weise freigestellt. Ich fehlte nämlich NIE aufgrund von Krankheiten oder was auch immer und zudem war ich so fleißig wie zuverlässig. Es begann leicht zu nieseln, doch das stellte kein Problem da. Der Start verlief reibungslos und ich beschloss die paar Stunden, die wir in der Luft verbringen würden, zum schlafen zu nutzen. Man konnte nie genug Schlaf bekommen, wenn es nach mir ging. Deshalb fischte ich meinen iPod aus der Tasche meines Moosgrünen Hoodies, schaffte es mühsam, die In-Ear-Kopfhöhrer dazu zu bringen, auch wirklich in meinen Ohren zu bleiben, drehte die Lautstärke auf und ruckelte noch ein bisschen auf meinem Sitz rum bis ich eine gute Schlafposition gefunden hatte. Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter und stellte fest, dass mein Sitznachbar in ein Blumenlexikon versunken war. Leute gibts....Den Kopf wieder der Aussicht auf den leicht grauen Himmel zugewandt schloss ich die Augen. Meine Nervosität war verflogen, was blieb war die Freude auf meine soeben begonnende Reise. In Gedanken sang ich noch einige Songs mit, welcher mir mein iPod spielte und dann verfiel ich in einen leichten, traumlosen Schlaf. 2 Wochen zuvor „Frankie!“ ...Hm? War das wer? „Frank Iero!“ Ok, da war tatsächlich jemand. Oder etwas? Langsam öffnete ich die Augen und hob den Kopf ein Stück. „Mwäääh“ entkam es mir, gleichzeitig zog ich mir die Decke über den Kopf. Die Sonne schien munter in mein kleines Zimmer, natürlich direkt auf mein Bett. Warum musste die auch so hell sein... „Monster? Lebst du noch?“, meldete sich die mir nur zu gut bekannte Stimme wieder. Es war Alice, meine Quasi-Schwester. „Nur noch fünf Minuten?“, versuchte ich sie halbherzig und das Gesicht immer noch unter der Decke vergraben davon zu überzeugen, mir etwas mehr Schlaf zu gewähren. Statt einer Antwort vernahm ich erst ein kratzendes Geräusch, wie als wenn Metall aneinander reibt und dann das Klicken des Türschlosses. Alice ließ sich unwahrscheinlich gerne selbst mithilfe einer Haarnadel rein, und mich störte es mittlerweile recht wenig. Ich sah es ohnehin nicht ein, ihretwegen mein kuschelig warmes Bett zu verlassen. Wenn sie was wollte, musste sie auch zu mir kommen und nicht anders. Zumindest galt das für den frühen Morgen. Ich spürte ihren Blick auf mir ruhen, abwartend und doch ungeduldig. „Hast du mir Kaffee mitgebracht?“, fragte ich, jedoch wusste ich, dass die Chancen schlecht standen, da Alice mich für mein unkooperatives Benehmen bestimmt nicht belohnen würde. Ich sollte Recht behalten. „Nein“, lachte sie, „aber ich hab was anderes für dich!“ Mit diesen Worten zog sie mir die Decke vom Kopf. Normalerweise fand ich das gar nicht lustig, aber die Tatsache, dass es unter dem alten Teil echt stickig geworden war, und meine Neugier sorgten dafür, dass ich es ihr diesmal nicht allzu übel nahm. Stattdessen richtete ich mich auf, gähnte herzhaft und rieb mir ein wenig Schlaf aus den Augen. „Woah! Ähh, Alice, du siehst klasse aus! Hast was machen lassen?“ „Happy Halloween“, jaulte sie. Dabei versuchte sie wohl das allseits bekannte Geistergeheule zu imitieren, was irgendwie nicht mit ihrer Jeff The Killer Maske harmonierte. Diese zog sie sich auch sogleich vom Gesicht, während sie sich neben mich auf mein Bett fallen ließ und mir ihre himmelblauen Augen erwartungsvoll entgegen strahlten. In diesem Moment ähnelte sie einem kleinem Mädchen an Weihnachten, das kurz vor dem Geschenke auspacken war. Ein kleines Mädchen mit regenbogenfarbenem Haar. Ich merkte selbst, wie ich abdriftete und erinnerte mich wieder daran, dass sie doch was für mich hatte, also warf ich ihr ein Lächeln entgegen und fragte sie, wo denn das Präsent wäre. „Nicht hier“, strahlte sie, „und jetzt beweg deinen Arsch, Iero, von alleine packen sich deine Geschenke nämlich nicht aus“, plapperte sie weiter und hüpfte nun durch den Raum, wohl bedacht darauf, weder auf CDs noch auf Comics auszurutschen, welche die Angewohnheit hatten, kreuz und quer auf dem Boden verstreut herumzuliegen. Nun waren auch die letzten Nachzügler unter meinen Hirnzellen in Wallungen gekommen und so ergab sich aus alldem auch endlich ein Sinn: Heute war mein Geburtstag!! Mein Achtzehnter um genau zu sein! In diesem Moment war mir selbst nicht klar, warum ich daran bis jetzt nicht gedacht hatte, freute ich mich doch schon seit Tagen darauf. Aber egal, denn nun war ich erst recht hellwach, sprang auf und schob Alice aus meinem Zimmer. „Bin in einer Minute fertig!“ - Damit machte ich mich auf, mir eine Jeans und ein Shirt zu suchen. Wahllos griff ich in die Kommode neben meinem Bett und erwischte eine schwarze Röhre, sowie ein rot-schwarz gestreiftes Sweatshirt. Das war das praktische an meinen Klamotten – es passte alles zu allem. Nur noch Socken und Schuhe, ich entschied mich für meine lilafarbenen Chucks, die Schnürsenkel nur halbherzig irgendwie reingestopft, ein kurzer Blick in den Spiegel und schon stand ich auf dem Flur neben Alice, packte sie am Handgelenk und zog sie Richtung Speisesaal. Bei uns im Wohnheim gab es zwei Geburtstags-Traditionen: Man durfte bestimmen, was es zum Mittag gab und man bekam einen Kuchen seiner Wahl — ich hatte mir Schokoladenkuchen gewünscht — und genau den würde ich mir jetzt holen. Wir hatten schon die halbe Strecke zurückgelegt, als Alice plötzlich stehen blieb. Mich schleuderte es dadurch ein ganzes Stück zurück und ich wäre fast auf die Schnauze geflogen – aber nur fast. „Was ist?“, fragte ich mein schwer atmendes Anhängsel. „Ich muss noch was holen. Geh du ruhig schon mal vor, ja?“, keuchte sie und ich lachte. Ich war wohl etwas zu schnell gewesen. Ich nickte ihr kurz zu und ging dann weiter, allerdings etwas langsamer als zuvor. Immer wieder kamen mir andere Jugendliche entgegen, die meisten jünger als ich, einige warfen mir ein halbherziges 'Glückwunsch' entgegen, richtig gratulieren tat mir keiner, doch das störte mich nicht. Es war nichts neues. Endlich an meinem Ziel angekommen, stellte ich fest, dass die Cafeteria recht leergefegt war. Nur eine Handvoll Menschen war hier, darunter natürlich auch Dörthe, die Dame von der Essensausgabe. Ich ging einige Schritte weiter und drehte mich dann, um einen Blick auf die alte Uhr über dem Türrahmen werfen zu können. 11.23 Uhr – kein Wunder, dass hier nix los war; die Frühstückszeit war schon lange vorüber und fürs Mittag war es noch zu früh. Heute würde es Gemüseauflauf geben, so wie ich es mir gewünscht hatte. Für Geburtstagskuchen war allerdings immer die richtige Zeit, also tänzelte ich weiter zur Theke, welche sich auf der rechten Seite des Raumes befand. Dörthe war natürlich wie immer up-to-date und wünschte mir alles Gute. Dann überreichte sie mir meinen Kuchen. Er war nicht sonderlich groß, war er doch sowieso nur für eine Person gedacht. Daneben stellte sie mir ein Glas und eine ebenfalls gläserne Flasche mit einer Schleife drumherum auf mein Tablett. „Für diese Woche gratis, Iero“, zwinkerte sie mir zu und ich lachte. In der Flasche befand sich laktosefreie Milch. Dörthe wusste, dass ich neben Kaffee Milch zum Frühstück liebte, aber außer für Wasser, Tee und Kaffee musste für alle Getränke bezahlt werden, auch wenn es nicht viel war. Die Geste ihrerseits war daher wirklich irgendwie rührend, so bedankte ich mich bestimmt einige Male zu oft und widmete mich dann der Platzsuche. Die Auswahl war groß. Ich setzte mich in die Mitte des großen Raumes und wollte grade den ersten Bissen meines leckeren Kuchens nehmen, als ich ein fast panisch geschrienes „Stopp! Nicht, Frank!“ vernahm. Vor Schreck und völlig perplex ließ ich meine Gabel samt darauf befindlichem Kuchen fallen, glücklicherweise landete beides auf dem Tisch. Ich drehte mich um und sah, wie Alice zu mir eilte, in der einen Hand zwei in buntes Papier gewickelte Objekte, in der anderen eine Schachtel Kerzen und ein Feuerzeug. Grade als sie mich erreichte, bemerkte ich noch eine andere sich mir nähernde Gestalt, mit blonden, aber schon leicht ergrautem Haar, warmen tiefbraunen Augen und einer menge Lachfalten im Gesicht, besonders um die Augen herum. Bevor ich allerdings aufstehen konnte, um besagte ältere Dame in die Arme zu schließen, musste ich feststellen, wie Rainbow Dash über meinen Kuchen herfiel, welchen sie zuvor mit 18 kleinen Kerzchen versehen hatte. „Alice, verdammt, das ist meiner! Ich hab mich schon so auf ihn gefreut, da kannst du ihn mir nicht vor der Nase wegfressen!“, nörgelte ich und angesprochene verzog das Gesicht zu einer Grimasse, bei der man nicht ernst bleiben konnte. „Alles, alles Liebe, Frankie! Herzlichen Glückwunsch“ Das waren Maggies Worte, sobald auch sie am Tisch angekommen war. „Ugh da-danke“, nuschelte ich so gut es ging gegen ihre Schulter und rang nach Atem. Für eine zierliche Dame ihres Alters hatte sie eine erstaunlich feste Umarmung inne. Sie ließ von mir ab, wuschelte mir durch meine ohnehin noch unordentlichen, braunen Haare und überreichte mir einen Umschlag aus leicht vergilbten Papier. Kurz warf ich einen Blick über die Schulter Richtung Alice, um sicherzugehen, dass die sich nicht noch am restlichen Kuchen oder womöglich sogar an meiner Milch verging. Aber sie saß nur da, rutschte unruhig auf ihrem Platz mir gegenüber hin und her und schien viel aufgeregter zu sein als meine Wenigkeit, die ja immerhin heute Geburtstag hatte, an Halloween. Deswegen hieß ich auch Frank – als Anspielung auf Frankensteins Monster. Nett, oder? „Was ist da drin?“, widmete ich nun wieder dem unbeschriftetem Umschlag in meinen Händen meine ungeteilte Aufmerksamkeit und öffnete ihn, Maggie's herzlichen Blick auf mir ruhen wissend. Auch Alli war neugierig und kletterte über den Tisch zu uns hinüber. Das, was ich nun in der Hand hielt, verschlug mir den Atem. „Ein...ein Flugticket? Nach Tokyo??“ Völlig perplex sah ich in zwei abwartende Gesichter. „Es kommt von uns beiden“, bemerkte Maggie und warf Alice einen kurzen Blick zu, welchen diese erwiderte. „Ich fliege nach Japan....“ Immer noch fassungslos starrte ich auf das Ticket und den beiliegenden Stadtplan, auf dem ein Hotel rot umkreist war, dort würde ich wohl meinen Aufenthalt über einquartiert werden. Ich starrte also vor mich hin, mein Hirn war lahmgelegt, die Überwältigung zu groß – und dann brach alles über mich herein, ich realisierte, was ich da tatsächlich in der Hand hielt und dann war ich nicht mehr zu halten. „Oh Gott, wieso? Ich meine wie...?! Woher wusstet ihr das?“ Sprudelte es nun aus mir raus und ich glaubte, mir in meinem Redeschwall auf die Zunge gebissen zu haben, aber das spielte keine Rolle. „Hahaha oh Frankie, wie könnten wir denn nicht wissen, dass du es dir gewünscht hast?? Du hast seit dem du hier lebst so oft davon geredet, eines Tages nach Japan zu reisen“, lachte Maggie auf. „Verdammt ich kann's kaum glauben! Ihr seid die besten, verdammt ich liebe euch o-ok?“ Schluchzend und mit Tränen der Freude in den Augen fiel ich erst meiner besten Freundin, dann der Heimleiterin um den Hals. Schon seit ich elf war, war es mein größter Wunsch, nach Japan zu reisen. Naja, eigentlich war es mein zweitgrößter... „Soooooo, nun zu meinen Geschenken.“ Alice krabbelte wieder auf die andere Seite des Tisches und schob das kleinere der zwei Päckchen zu mir herüber. „Im Gegensatz zu der Reise sind meine Geschenke natürlich wenig spektakulär, aber sie kommen von Herzen.“ „Ach Blödsinn, ich wette sie sind der hamma“, winkte ich ab und packte es aus. Im Inneren des bunt gestreiften Papiers lag ein Paar Handschuhe. Sie waren schwarz, nicht geschlossen, sondern sie gingen an den Fingern nur bis zur Hälfte und waren mit einem Skellet-Print versehen. „Das sind doch die aus dem Laden, den wir neulich entdeckt haben!“, freute ich mich, während ich sie anzog. „Passen wie angegossen. Ich liebe sie“, strahlte ich Alice entgegen, welche sich über meine positive Reaktion zu freuen schien und verzückt grinste. Diese Handschuhe würden ganz oben auf der Liste der Dinge stehen, die ich mit nach Japan nähme. „Happy Birthday, Monster“, entgegnete sie und überreichte mir sogleich das zweite Präsent. Darin befand sich ein pink-schwarz karierter Gitarrengurt. „Weil dein alter doch neulich bei dem Streit mit Lewis kaputt gegangen ist“, erläuterte mein Gegenüber. „Du bist ein Schatz, danke!“ Umständlich beugte ich mich über den Tisch, ohne dabei den Kerzen auf dem Kuchen zu nahe zu kommen, um Alice noch einmal zu umarmen. „Ich weiß ich weiß, Iero, aber trotz der Schleimerei hast du null Chancen bei mir“, erwiderte sie gespielt arrogant und ich boxte ihr lachend gegen den Arm. „Schade, hätt' ja klappen können... dann bleib ich eben bei Kerlen...die meisten sind wenigstens nicht ganz so anspruchsvoll wie du“, scherzte ich nun ebenfalls und streckte ihr die Zunge raus. Das Ganze ging kurz so weiter, bis sich Maggie zu Worte meldete. „Ich muss dann mal wieder, hab noch einen Termin. Bis dann ihr zwei. Ach und Alice? Lass Frank was von seinem Kuchen über, ja?“ Mit diesen Worten erhob sich die lächelnde Leiterin des Jugendheims und war schon auf dem Weg Richtung Tür, als ich ihr noch eine wichtige Frage stellte. Die gleiche Frage wie an jedem Feiertag, der letzten Jahre, seitdem ich hier wohnte. „Kam für mich was mit der Post?“ Ihr Gesichtsausdruck nahm etwas betrübtes, leicht mitleidiges an. „Nein, Frank...Tut mir sehr leid“ Und schon war sie um die Ecke in den langen Flur mit den kalten Neonröhren verschwunden. Was hatte ich auch anderes erwartet..Seit Jahren war es immer dieselbe Antwort und doch – insgeheim wünschte ich mir, das etwas käme. Ein Brief, eine Karte, irgendwas... „Ach mach dir nichts draus, Frankie“, ergriff nun wieder Alli das Wort, „iss brav deinen Kuchen und trink deine Milch“ lachte sie. Dafür erntete sie einen beleidigten Blick. Sie verstand es, mich abzulenken und das war auch gut so. Aber den Kuchen wollte ich wirklich nicht länger warten lassen, also schloss ich meine Augen und pustete die Kerzen aus, natürlich nicht ohne mir dabei etwas zu wünschen. Den selben Wunsch wie jedes Jahr. Derselbe Wunsch, der nie würde erfüllt werden können, egal wie oft ich ihn mir wünschte....... Ein poltern ließ mich aufschrecken. Ich richtete mich auf und nahm mir den einen Kopfhörer aus dem Ohr, der andere war wohl von alleine raus gefallen. Unser Pilot teilte uns mit, dass wir bald zur Landung ansetzten und bat alle Passagiere, sich anzuschnallen. Ich hatte also tatsächlich die ganze schöne Flugaussicht verschlafen. Na super gemacht, Frank....Dafür hatte man von unserer jetzigen Lage einen atemberaubenden Ausblick auf die Stadt. Von hier sah sie viel größer aus als auf meinem Stadtplan. Dann tat ich wie geheißen; setzte mich ordentlich hin und schnallte mich an. Der Typ neben mir hatte einige Probleme mit seinem Gurt, dieser schien anscheinend zu eng zu sein. Komisch, beim Start hat es doch so gepasst....Nach einem ca. 2 minütigem Kampf hatte er dann doch gesiegt und sich festgeschnallt — wobei das irgendwie alles andere als gesund aussah. Nachdem ich mein Gepäck wiedererlangt, und das Hauptgebäude des Flughafens verlassen hatte, atmete ich erstmal tiiiief durch und sah mich um. Was sich mir bot, wurde meinen Vorstellungen mehr als gerecht, alles war so groß und so...mehr halt. Mehr Menschen, mehr Verkehr, mehr Werbung und mehr Müll, aber auch mehr Kunst, mehr Vielfalt und Schönheit. Auch wenn dieser Ort noch so fremd war....wie ich hier so stand auf dem Gehweg, umringt von meinen Taschen und Koffern und die mit Abgasen gesättigte Luft einatmete, fühlte ich mich willkommen und auch irgendwie, als würde ich hierhergehören, als hätte ich mein ganzes Leben lang hierauf hingearbeitet. Glücklicherweise war nicht weit von mir ein Taxiparkplatz, auf welchen ich so gut es ging Kurs nahm. Auf den ca. 30, vielleicht 40 Metern dahin wurde ich unzählige Male angerempelt und zu allem Überfluss schnappte mir ein äußerst geschäftig wirkender Geschäftsmann das Taxi vor der Nase weg. Danke auch. So viel zum Thema 'Klein Frankie fühlt sich in einer Metropole willkommen'. Aber ich hatte dann doch noch Glück, da nur wenige Sekunden später ein neues Gefährt kam. Die Verständigung klappte einwandfrei; ich lernte seit 9 Jahren Japanisch. Anfangs hatte ich es gehasst. Nicht weil es schwer war oder so, sondern weil es nicht meine Entscheidung gewesen war. Später allerdings entdeckte ich Mangas für mich und begann mich für die Kultur und somit dann doch auch für die Sprache zu interessieren. Während der Taxi-Fahrt vom Flughafen zum Hotel versuchte ich mich anhand der Straßennamen und meiner Karte zu orientieren, was ich jedoch nach einiger Zeit aufgab und mich einfach so am Bild Tokyos erfreute. Nach gefühlten zwei Stunden Fahrt war ich endlich am Ziel angekommen, wo mir ein etwas gestresst dreinblickender Mitarbeiter des Hotels beim Ausladen meines Gepäcks half. Jenes bestand aus aus einem großem und einem kleinen Koffer, in welchem sich ein Verstärker befand, meinem Gitarrenkoffer und einem mittelgroßem Rucksack. Das Hotel, welches Maggie für mich ausgesucht hatte, war nicht besonders edel aber es machte einen recht gepflegten Eindruck. Endlich im Zimmer angekommen, ließ ich mich erst einmal aufs Bett fallen. Hier war echt nicht viel Platz, aber für mich reichte es allemal. Ich war es ja schließlich gewohnt, auf relativ kleinem Raum zu leben. Das Bett war erstaunlich bequem und so streifte ich mir einfach nur die Schuhe von den Füßen und beschloss für heute schlafen zu gehen, denn mittlerweile war es schon 'dunkel' draußen; der Mond stand am Himmel doch eine Stadt wie diese schläft ja bekanntlich nie, und so war sie dennoch hell erleuchtet durch die unzähligen Fahrzeuge und Reklametafeln. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich ja noch nicht, welch einschneidende Erlebnisse mir während meines Aufenthalts in Japan noch bevorstanden... Kapitel 2: Time is passing -------------------------- Time is passing Tsuzuku POV Ticken. Ein undurchdringliches, viel zu lautes Ticken, das keine anderen Geräusche zuließ und mit jedem Mal lauter zu werden schien. Es war schon immer da gewesen, doch jetzt in der Stille der kleinen Wohnung schien es alles daran zu setzten mich aus der Ruhe zu bringen. Doch ich sah keinen Sinn darin jetzt aufzustehen, die Stille meiner Wohnung zu durchbrechen und mir Frühstück zu machen – wenn es denn überhaupt an der Zeit für Frühstück war, denn bis auf das nerv tötende Geräusch der kleinen Uhr, die am anderen Ende des Zimmers hing, konnte sie mir im Moment nicht viel verraten und nur um zu wissen, wie spät es war, war ein zu geringer Begehr um wirklich in Erwägung zu ziehen mein warmes Bett zu verlassen. Ein röchelndes Geräusch verließ meine Kehle. Ich drehte mich auf die Seite und starrte auf die weiße Wand direkt neben meinem Bett. Wie lange ist es nun her, seit ich hier eingezogen war, seit ich meine Wohnung mehr als eine Not Unterkunft, als ein wirkliches zu Hause betrachtete, seit meine einzigen Besitztümer aus den wenigen heruntergekommenen Möbeln und dem Inhalt meines Kühlschrankes bestanden – der sich übrigens ganz stark dem Nichts entgegen bewegt. Ein weiterer Grund, warum ich hier am besten jetzt einfach liegen bleiben sollte. Wollte ich mein letztes Geld nicht für Essen ausgeben müssen. Dinge die vergingen, nach einiger Zeit ihren Nutzen verloren und eh nur ein kurzes Genussmittel waren, standen bei mir ganz unten auf der Liste, von Dingen die ich wirklich brauchte. Für viele schien diese Einstellung nicht vernünftig, sie sagten, dass es ungesund sei, so über Lebensmittel zu denken, doch ihre Meinung war mir egal. Erst recht, wenn ich besagte Menschen einen Tag vorher in irgendeiner Bar aufgegabelt hatte – sie verstehen mich nicht, kennen mich nicht – es ist eine Nacht mit ihnen. Nicht mehr und nicht weniger. Die Meisten sagten es eh nur, um irgendwie mitfühlend zu wirken, oder mir zu gefallen – manchmal hasse ich mich selber dafür, immer und immer wieder solche Frauen in mein Leben zu lassen, wenn auch nur für kurze Zeit. Ihre gespielte Fürsorglichkeit, ihre blondierten Haare, ihre kurzen Röcke, all das mehr Plage als Vergnügen und ich falle immer wieder darauf herein. Ein gequältes Lächeln legt sich auf meine Lippen – erst jetzt fällt mir auf, wie trocken mein Mund eigentlich ist. Ich verfluche den bevorstehenden Tag jetzt schon… Ein lautes Klingeln riss mich aus meinen Gedanken und ich brauchte eine kurze Zeit um es einordnen zu können – doch wie ich feststellte, musste es sich wohl um mein Handy handeln, welches mich gerade so penetrant aus meinem Bett treiben wollte. Laut stöhnend schlug ich die Decke weg und eisige Luft fuhr über meine nackten Beine und meinen Oberkörper. Genervt schlang ich meine Arme um mich und stolperte Blindlings aus meinem Bett. Eigentlich hätte es mich nicht gekümmert, wenn mein Handy klingelte, doch meistens handelte es sich um einen Typen vom Arbeitsamt, der mir für den heutigen Tag eine mehr oder minder sinnvolle Beschäftigung geben wollte und mir damit den Besuch in meiner stamm Bar ermöglichte. Wenn es eine Sache gab, die mich noch halbwegs motivierte, dann waren es alkoholische Getränke, die ich mir allerdings nur leisten konnte, wenn ich den Tag über solch einen dämlichen Job verrichtete, der an Peinlichkeit und Demütigung eigentlich nicht mehr zu übertreffen war – in zwischen war mir wirklich alles recht geworden, um am Abend an eine Flasche meiner geliebten Substanz zu kommen – ebenfalls mehr Fluch, als Vergnügen, doch bemutterte mich das Gesöff wenigstens nicht auch noch, wie es mein nächtlicher Besuch doch allzu gerne tat. Immer noch benommen, halte ich mir das laut klingelnde Gerät ans Ohr und versuche den grünen Hörer zu treffen: „Ja?“, grummel ich schlecht gelaunt in das kleine rechteckige Teil und verdrehe nur bei dem Gedanken an die über freundliche Stimme des Mitarbeiters auf der anderen Seite die Augen: „Schönen gute Morgen Herr Takayama, hier ist Herr Satoshi von ihrer Agentur für Arbeit. Wir hätte da heute einen Auftrag für sie…“ - Wie hypnotisiert nahm ich ausdruckslos den letzten Joghurt aus meinem kleinen Kühlschrank und setzte mich einfach auf den Boden, den Rücken an die schmale Küchenzeile gelehnt. Ich würde meinen ganzen Tag so verbringen. Einfach abschalten – wahrscheinlich ganz und gar nicht bei der Sache sein, mit leerem Blick diesen nervigen Job hinter mich bringen. War es nicht irgendwo traurig, dass das einzige, was mich anspornte, ein gefüllte Glas Hochprozentiges zu sein schien? Ich wusste nicht, wann es so weit gekommen war, doch etwas daran ändern wollte und konnte ich im Moment auch nicht – vielleicht würde ich es niemals können – würde immer diesen gleichen, ermüdenden Tagesablauft haben, bis ich einfach irgendwann zusammen brach und starb~ Ich war mich nicht einmal sicher, ob das irgendjemanden kümmern würde – wahrscheinlich nicht. Nicht den Barmann, der mich bereits grüßte, wenn ich die Kneipe betrat, nicht diesen Kerl vom Arbeitsamt – niemanden, der jemals in meinem Leben war, oder sein wird – ließ ich doch eh niemals jemanden näher an mich heran. Gab mich kalt und aggressiv – einfach abweisend. Wenn ich einer dieser Menschen da draußen währe, an denen ich gleich vorbei laufen werde, würde ich wahrscheinlich auch nichts mit mir zu tun haben wollen. Fast wie mechanisch stellte ich den leeren Becher auf den Boden und zog mich an der Küchenzeile wieder auf die Beine. Genau so routiniert ging ich zu der Kommode neben meinem Bett und zog das nächst beste, schwarze Shirt hervor und eine löchrige Jeans, die eigentlich auch schon ihre guten Zeiten hinter sich gelassen hatte, doch für mich reichte sie noch. Ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen, verließ ich wenig später meine kleine Wohnung, die tickende Uhr, mein ungemachtes Bett und den leeren Joghurt Becher auf dem Boden. - Die Kälte trieb mich voran, brachte mich dazu, endlich irgendwo ankommen zu wollen – einen Fuß vor den anderen zu setzten und nicht doch von den verlockend aussehenden Fastfoodrestaurants von meinem Weg abgebracht zu werden. In meiner Tasche befand sich meinen Heutiger Lohn – ganze 6000 Yen, die jetzt unbedingt auf den Kopf gehauen werden wollten, doch ich musste mich zügeln in meiner wach gewordenen Euphorie, die aus schlapp herunter hängenden Mundwinkeln und schmerzenden Armen bestand – von meinem Rücken ganz zu schweigen. Mein Magen meldete sich zu allem Überfluss nun auch noch zu Wort und verlangte nach etwas Essbaren, das nahrhafter war, als ein ungesüßter Joghurt am Morgen und irgendwelcher Fraß aus dem Automaten, den man an jeder Ecke fand. Ich steckte eine Hand in die kalten Taschen, meiner abgenutzten Lederjacke. An einigen Stellen öffneten sich die Nähte, das Leder wurde speckig, faltig und sah einfach abgenutzt aus, doch ich liebte meine Jacke – war sie doch mit das einzige, was mich in diesen Tagen warm hielt. Einige kalte Münzen klimperten zwischen meinen Finger – mein Restliches Geld, was ich vor dem heutigen Job noch gehabt hatte. Wie viel war es? 300 vielleicht 400 Yen – wieder verzog ich leicht den Mund, starrte vor mir auf den Boden und setzte meinen Weg fort, in der Hoffnung endlich in meinem Bekannten Stadtteil anzukommen. Tokyo war groß und der Job war quasi am anderen Ende der Stadt gewesen – aber eine Wahl hätte ich eh nicht gehabt… Eine leise Melodie brachte mich dazu den Kopf zu heben, nicht, weil sie mir vertraut war oder etwas ähnliches, einfach nur, weil sie so sauber und vollkommen durch die kalte Luft zu mir hinüber drang und schlichtweg zu mir zu passen schien. Sie spiegelte all das wieder, was ich fühlte, oder eben nicht fühlte – auch und vielleicht sogar gerade weil ich nicht einmal wusste woher diese leisen Töne kamen. Und konnte ich einer warmen Mahlzeit, oder einem heißen Getränk widerstehen, so lockte mich die Melodie doch immer weiter in die Richtung, aus der sie kam. Musik war alles für mich gewesen: mein größter Wunsch und mein Untergang und trotzdem konnte ich nicht von ihr lassen. Ich bog um die nächste Ecke, kam damit von meinem geplanten Weg ab und fand mich einige Schritte weiter in einer gut gefüllten Einkaufstraße wieder. Eigentlich hasste ich Menschen Aufläufe – ich mochte das Gedränge einfach nicht, die gespielte Freundlichkeit, wenn man jemanden anrempelte und einfach diese ganzen aufgesetzten Gesichter, denen man im Grunde nichts entnehmen konnte – beziehungsweise sich nicht sicher sein konnte, dass das was sie einem verrieten wirklich Echt war… Mit jedem Schritt wurden meine Zweifel größer, was genau mich eigentlich hier her trieb, doch meinen Widerwillen verdrängte das langsam lauter werdenden Gitarrenspiel und so beschleunigte ich Achseln zuckend noch etwas, um endlich diese Neugier befriedigen zu können. Ganz geheuer war mir die Sache allerdings nicht… Ich hatte schon einige Gitarristen spielen hören, einige besser, andere vollkommen unbegabt, doch diese Töne, hatten etwas an sich, das anders war – vielleicht einen Hauch von Widerstand? Ähnlich meinem Widerwillen so manchen Dingen gegenüber. Die Musik verstummte – das Lied endete, gerade als ich den Kopf hob und meine Augen leicht zusammen kniff, wie ich es gerne tat, wenn ich so wenig wie möglich von meiner Umwelt erfassen wollte – es war schlicht und ergreifend zur Gewohnheit geworden. Mein Blick traf auf einen Jungen – oder eher gesagt, einen jungen Mann. Doch ich sah seinem Gesicht an, dass er schon lange nicht mehr so jugendlich war, wie er es eigentlich sein sollte, auch wenn sich jetzt ein Lächeln auf seine Lippen gelegt hatte, erkannte ich in diesem blassen Gesicht auch noch etwas anderes. Wie er einfach dort saß, auf einem niedrigen Fassaden Vorsprung, neben ihm ein kleiner Verstärker, in seinen Händen eine weiße Le Paul. Ich beneidete Leute, die fähig waren ein Instrument zu spielen – hatte ich doch nie wirklich das Durchhaltevermögen gehabt um mich einem solchen Hobby zu widmen. Langsam trat ich noch einen Schritt an den Jungen heran, entgegen des Stromes der vielen Passanten, drehte eine der Münzen in meiner Tasche herum und stand ihm nun beinahe gegenüber. Er schien nicht aus Japan zu kommen, allgemein konnte ich keine asiatischen Wurzeln ausmachen. Seine Haare – in einem natürlich wirkendem Dunkelbraun – hinten kürzer geschnitten und nur der Pony länger gelassen, seine grünen Augen, gerichtet auf die weiße Gitarre in seinem Schoss, das schiefe Grinsen auf seinen Lippen. Meine Augen scannten ihn geradezu von oben nach unten hin ab, fuhren über seinen verwaschenen Hoodie und die engen schwarzen Jeans an seinen Beinen, bis zu den löchrigen Chucks an seinen Füßen. Er kam mir so unwirklich vor. Fast als würde er nicht in dieses Straßenbild passen, als wäre er lediglich hinterher hinein retuschiert worden und gehörte eigentlich an einen anderen Ort – doch er wirkte trotzdem glücklich… Glücklich dabei einfach hier zu sitzen und sich zu überlegen, was er als nächstes spielen sollte, als wäre dieser Moment für ihn wie die ultimative Freiheit. Meine Lippen Kräuselten sich, ich drehte erneut eine Münze in meiner Tasche herum und blickte wieder auf – er schien mich bemerkt zu haben, denn auch sein Blick lastete auf mir und ich fühlte, wie sich kriechend eine Unruhe in mir ausbreitete, wie so oft, wenn ich wusste, dass sich gerade jemand eine Meinung zu mir bildete - egal ob gut oder schlecht - oder über mich nachdachte. Und als wenn es nicht hätte schlimmer kommen können, schienen seine grünen Augen die meinen zu suchen – Blickkontakt war das letzte was ich im Moment brauchte. Mein Kopf begann bereits anzufangen, meine Entscheidung zu bereuen, den Weg hierher eingeschlagen zu haben, doch mein Körper schien da anderer Meinung. Ich ballte eine Faust in meiner Tasche, die Münzen umschlossen und zog die paar Yen heraus, die vor einigen Stunden noch mein letztes Geld gewesen waren. Wortlos bückte ich mich, den Blicken des jungen Mannes vor mir ausweichend und legte bedächtig die Münzen auf seine Gitarrentasche. Schnell zog ich meine Hand wieder weg, als wenn meine Tat giftig gewesen wäre, oder ich mir die Finger verbrannt hätte und ging einige Schritte zurück. War jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich einfach umdrehen und wieder gehen würde? Ihn wahrscheinlich niemals wiedergesehen und nach einigen Tagen sowieso wieder vergessen hätte? – spätestens nach der nächsten Sauftour? Doch ich stand einfach da, blickte auf die Tasche für seine Gitarre hinab und schwieg, fast schon vergessend, in was für einer Situation ich mich befand. „Ähm…danke.“, durchbrach seine Stimme, nach mir quälend lang vorkommenden Sekunden, das Gemurmel der Passanten. Diese Japanischen Worte – ebenfalls beinahe absurd, dass sie aus seinem Mund kamen. Ich nickte leicht und sagte in fast schon verwirrtem, aber tiefen Tonfall:„Kein Ding.“, schüttelte dann meinen Kopf und hatte endlich die Überwindung mich umdrehen zu können und durch die Menschen Massen zu verschwinde. Eigentlich war mir unsere Begegnung nicht peinlich gewesen – wahrscheinlich würde ich ihn eh niemals wieder sehen – doch andererseits hatte alles an ihm etwas, dass eine andere Wirkung auf mich zu haben schien. Sein Gitarrenspiel, seine Kleider, sein Gesicht, diese für ihn fremd scheinenden Worte aus seinem Mund, angehaucht mit einem leichten Akzent? Ich wusste nichts über ihn und trotzdem… Wieder schüttelte ich meinen Kopf ein paar Mal energisch und schmunzelte dann über mich selber – gehässig verzog sich mein Mund~ Was war ich doch für ein Idiot gewesen? Hatte ihm Geld gegeben, das ich dringend brauchte… War es schon so weit mit mir gekommen, dass ich mich mittlerweile selber nicht mehr verstand…? - Mit einem leisen Seufzen blies ich den Rauch meiner Zigarette in die ohnehin schon stickige Luft der Bar, an der ich saß. Es gab mal eine Zeit, da wollte ich aufhören mit dem Rauchen, weil ich meine Gesundheit nicht gefährden wollte, doch diese Idee hatte ich genauso schnell wieder verworfen, wie sie gekommen war – warum mit etwas aufhören, mit dem man gar nicht aufhören will? Warum mir selber damit das Leben schwer machen? Nach meinem letzten Zug drückte ich meine Kippe in einem kleinen Aschenbecher aus und widmete mich wieder dem Glas vor mir, doch anstatt zu trinken wie ein Loch, starrte ich nur auf die glatte Oberfläche der Flüssigkeit… „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, sprach mich der Mann hinter der Bar an – mittlerweile war er so etwas wie ein Bekannter geworden – oder eher ein Zuhörer – obwohl ich nicht einmal seinen Namen wusste. Wahrscheinlich war ihm auch einfach nur langweilig und nach Reden war mir, wie an den meisten Abenden, heut eh nicht zu Mute. „Gar nichts.“, grummelte ich nur knapp zu ihm herüber und starrte dann weiter in die klare Flüssigkeit vor mir. Ja Tsuzuku es ist nichts passiert – überhaupt nichts – natürlich – verdammt dieser Kerl, dieser scheiß Schnorrer war passiert… Sein Gesicht geisterte in meinem Kopf herum, seine Züge, seine Stimme, als wäre er direkt vor mir. Meine Lippen öffneten sich leicht, trocken von der kalten Luft und in der Mitte etwas aufgesprungen. Der Alkohol brannte auf der empfindlich eingerissenen Haut und ließ mich aus meinen Gedanken hochschrecken. Er war doch nur irgendein Straßen Musiker gewesen und wahrscheinlich blieb mir sein Gesicht nur im Gedächtnis, weil er nicht aus Asien kam – fast schon nervten mich die Gedanken an ihn – die Widersprüche in meinem Kopf. Gründe zu suchen, um nicht mehr an ihn zu denken und dabei doch die ganze Zeit gerade an ihn zu denken. Noch einmal floss die brennende Flüssigkeit in meinen Mund, meinen Rachen hinab. Ich würde heute weitermachen wie gehabt – mich nicht von irgendeinem Straßenmusiker ablenken, egal wie sehr er mich zu faszinieren schien… Vorsichtig rutschte ich von meinem Barhocker, nahm mein Glas in die linke Hand und zog mit der anderen eine weitere Zigarette hervor. Alkohol und Sex – so würde meine heutige Nacht noch aussehen. Keine Grübeleien, kein Selbstmitleid und am besten noch eine Prise „Vergessen“ dazu… das war es, was ich jetzt am meisten brauchte… Kapitel 3: As i watch you sleep~ -------------------------------- As i watch you sleep~ Franks POV Es regnete. Nicht stark, eher ein Nieseln. Langsam ging ich die Straße entlang, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, den Blick gen Boden gerichtet. Nur selten schaute ich auf, zur Orientierung oder wenn etwas weiter entfernt irgendwelche jüngeren Mädchen anfingen wie wild zu quietschen und andere unidentifizierbare Geräusche von sich zu geben, weil eine von ihnen entweder von ihren Schwarm angeschrieben worden war oder weil der Freund einer anderen mit ihr per SMS Schluss gemacht hatte. Der Abend des fünften Tages meines Aufenthalts war grade angebrochen und ich war auf dem Weg in eine Bar, welche mir Jake dringend empfohlen hatte. Jake wohnte in dem selben Hotel wie ich, nur drei Zimmer weiter. Wir hatten uns zwei Tage nach meiner Ankunft beim Frühstück kennengelernt und ein wenig Smalltalk betrieben, wobei wir schließlich festgestellt hatten, dass wir viel gemeinsam haben. Er lief direkt neben mir und dirigierte mich ab und zu, wenn ich von unserem Weg abkam. Wir unterhielten uns nicht, was dran lag, dass er mit seiner Freundin telefonierte. Sie waren noch nicht allzu lange zusammen und eigentlich wollten sie auch gemeinsam hierher reisen, aber sie wurde überraschend in eine andere Filiale versetzt, weshalb sie zu beschäftigt war um mitzukommen...oder so. Ganz genau erinnere ich mich nicht mehr daran. Normalerweise war ich ein wirklich guter Zuhörer aber nicht wenn ich grade eine Stadtrundführung hinter mir hatte, die geschlagene 7 Stunden gedauert hat...Im Grunde hat sie mir nichts gebracht, denn die Fakten zu den besonderen Orten in und um Tokyo hatte ich mir selbst schon angelesen. Deshalb hatte ich am Tag Vier auf den zweiten Teil der Führung verzichtet und beschlossen, lieber ein wenig in der Fußgängerzone zu sitzen und auf meiner geliebten Pensy zu spielen, in der Hoffnung, mir ein wenig zusätzliches Geld dazu zu verdienen, um am nächsten Tag, also heute, das Nachtleben Japans mit meiner werten Anwesenheit zu bereichern. „Okay, ja, ich liebe dich....du legst zuerst auf...nein du! ....Schatz, leg du auf.." hörte ich Jake jetzt in den Hörer seines Handys säuseln. Paare konnten echt anstrengend sein, in mehrerer Hinsicht, besonders wenn man als eiserner, aber eher unfreiwilliger Single daneben stand und zusehen beziehungsweise zuhören darf, wie andere im Glück der Zweisamkeit strahlen. Aber ich gönnte es ihm....Letztendlich legte der junge Mann neben mir dann doch auf und sah mich an. „Ist es noch sehr weit?", fragte ich und schob meinen überlangen, vom Regen nassen Pony zurück unter meine Kapuze. „Nein, nur noch da vorne um die Ecke und dann sind wir schon da" versicherte er mir, worauf ich nur nickte und mich dann wieder stumm dem granitfarbenen Boden zu wandte. Die Hände hatte ich in den Taschen meiner dunkelblauen, leicht abgenutzten Jeans vergraben. Maggie warf mir jedes Mal einen seltsamen Blick zu wenn ich sie zuhause trug, sie hatte mich auch schon darum gebeten, die an einigen Stellen zerschlissene Hose zu entsorgen, aber mir gefiel sie so wie sie nun war einfach viel besser als eine spießige heile Hose. Dazu hatte ich ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt gewählt, über welchem ich eine graue Strickjacke trug. Es war zwar schon Mitte November, aber noch nicht besonders kalt, lediglich etwas frisch und eben verregnet. Hätte ich gewusst, dass unser Ziel so weit vom Hotel entfernt lag, hätte ich mir noch eine richtige Jacke angezogen, was mir dieses eklige Gefühl, wenn nasser Stoff an tuu Haut klebt, erspart hätte. Ist halt dumm gelaufen, doch davon würde ich mir garantiert nicht den Abend vermiesen lassen. - „Woher kennst du die Bar eigentlich?" sprach ich, mein mittlerweile drittes Bier in der Hand, Jake an, welcher auch nicht mehr ganz nüchtern war. Soweit ich wusste, war er schon eine Woche hier. „Ein purer Glückstreffer. Die Bars inner Nähe des Hotels warn alle gerammelt voll, deshalb hab ich eben weiter weg nach etwas gesucht und schließlich bin ich dann hier gelandet" erklärte er und machte mit den Händen eine auslandende Geste. „Na dann...hast aber wirklich n gutes Händchen" erwiderte ich. Ich fand es hier wirklich schön, die Musik die lief war auch um Längen besser als das, was einem in den meisten Kneipen in meiner Heimat geboten wurde. Hier würde ich auf jeden Fall noch öfter vorbeikommen. „Pff" entkam es dann meinem neuen Kumpel welcher langsam aber sicher begann, immer mehr von der Wirkung des Alks eingenommen zu werden „aber nich was die Frauen anbelangt. Mit Clarissa isses kaum auszuhalten. Klar, sie's echt süß, aber strohdoof sach ich dir. Und sie klammert, meine Güte! Ich kann keinen Schritt tun ohne dass sie den hinnerfragt." Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und besellte sich einen weiteren Schnaps. Das war eine der vielen Tücken des Alkohols - er ließ einen Dinge sagen, die nie für die Ohren anderer bestimmt waren, aber doch meistens die bittere Wahrheit offenbarten. „Warum redest du nicht einfach mal mit ihr darüber?" „Bissu bekloppt? Dann kann ich ja gleich mit ihr Schluss machn. Mit der kann man nich redn, weil sie dann immer rumheult und sagt dass sie sich bessert aber da passiert nischts, rein garnischts sach ich dir!!" gab mein Gegenüber erregt zurück. Ok, jetzt war Vorsicht geboten, Iero. Jake war zwar echt nett im freundschaftlichen Sinne aber ich kannte ihn ja so gut wie garnicht. Zumindest konnte ich nicht einschätzen, wie er drauf ist, wenn er betrunken ist und zudem dann noch über seine Probleme redete. Manche Menschen ziehen dir gleich eine über wenn du ihnen dann mit einem ach so klugen Rat kommst, deswegen hielt ich jetzt lieber die Klappe, was von Angetrunkenem neben mir als Aufforderung weiter zu reden gedeutet wurde und er einfach über Gott und die Welt redete und wie schlimm doch alles war. Dabei versuchte ich mir allerlei sarkastische Kommentare zu verkneifen und eine passive Haltung einzunehmen. Wenn er lachte, grinste auch ich. Wenn er leiser wurde und bedrückt aussah, warf ich ihm verständnisvolle Blicke zu, hielt mich aber sonst komplett zurück. Unzählige Geschichten aus seiner Kindheit und von verflossenen Liebschaften später — ich schätze es war so kurz nach 12Uhr — entschied Jake dann, dass es an der Zeit war, zurück zum Hotel zu gehen und in seinem Zimmer den Rausch auszuschlafen. Ich hingegen war noch hellwach und bei klarem Verstand. Eben jener sagte mir, dass ich Jake eigentlich begleiten sollte um sicher zu gehen, dass er den Weg findet und nicht überfahren wird oder dergleichen, aber dann entschied ich mich dazu, es zu lassen. Er war ja schon öfter hier gewesen, da kannte er den richtigen Weg bestimmt auch so gut um ihn volltrunken zu finden. Besagter machte dann also ohne jegliche Begleitung einen ziemlich wackligen Abgang und als er draußen war, hörte ich ein lautes Scheppern und danach seine lallende Stimmte, die jemanden — oder besser gesagt etwas — anpöbelte. Ich lachte leise in mich hinein, nicht wirklich davon überzeugt, dass die umgeworfene Mülltonne beeindruckt von seinem ziemlich umfangreichen Wortschatz bezüglich Beleidigungen war. Dann widmete ich mich der restlichen, goldenen Flüssigkeit in meiner Flasche ehe ich eine weitere orderte. Das Spielen in der gut gefüllten Einkaufsstraße hatte sich wirklich gelohnt. Manche Leute waren sehr großzügig gewesen, ob man's glauben mag oder nicht; andere wiederum waren recht geizig gewesen aber ich will mich nicht beschweren, immerhin will ich die Zeit hier in vollen Zügen genießen. Plötzlich brach am Tisch schräg hinter mir ein aufgebrachtes Tuscheln aus. Dort saßen drei Männer, ich schätzte sie etwas älter als mich, und sahen alle samt verstohlen in Richtung Eingang. Ihren Blicken folgend drehte ich mich ein Stück, um ebenfalls sehen zu können, was sie sahen. Doch dort im Bereich der Tür war nichts ungewöhnliches. Nur ein anderer Mann, von relativ schlanker Statur. Einige Strähnen der schwarzen, mittellangen Haare hingen ihm ins Gesicht und die braunen Augen waren leicht zusammengekniffen. Diese Augen....und das Gesicht....irgendwoher kannte ich ihn doch. Los, Gehirn, arbeite!! Den Blick immer noch wie in Trance auf ihn geheftet, verfolgte ich aufmerksam jede seiner Bewegungen, genau wie die Typen am Tisch hinter mir, welche er zu erkennen schien, während er sich umsah. Für einen kurzen Moment hielt er inne, fokussierte die Männer, ehe er zuerst zögernd, dann etwas bestimmter auf sie zu schritt. Doch ihm war nicht wohl dabei, das konnte ich deutlich erkennen... Der Schwarzhaarige setzte sich zu den anderen an den Tisch, wobei er zu ihnen einen seltsamen, aber dennoch vorhandenen Kontrast bildete. Sie sahen allesamt nicht direkt heruntergekommen aus, sondern eher....ja wie? 'Schmierig' würde es vielleicht treffen. Ein leichter Bierbauch, sehr kurze oder zurück gekämmte Haare, unter den schwarzen Jacken weiße Tanktops und um Hals und die Handgelenke Goldkettchen. Er, der mir bekannt schien, hingegen hatte ein viel feiner geschnittenes Gesicht und auch seine Ausstrahlung schien einfach...eleganter. Elegant nicht vom Auftreten her, ich weiß selbst nicht genau was es an ihm war, doch dieses etwas ließ ihn trotz der abgewetzten Lederjacke, der verschlissenen Schuhen und der kaputten Jeans wie eine Rose aussehen. Eine Rose umringt von Unkraut. Fuck, was denk ich mir hier eigentlich? Meine pseudo-peotischen Gedanken beiseite schiebend strengte ich mich jetzt an, etwas von dem Gespräch zwischen ihnen mitzubekommen. Das war allerdings, trotz meines feinen Gehörs, schwieriger als gedacht, da wir ja schließlich nicht alleine in dieser Bar waren. Trotzdem gelang es mir hin und wieder ein paar Worte, manchmal sogar Satzteile aufzugreifen. Im Endeffekt hatte ich keine Ahnung, warum ich plötzlich anfing fremde Leute zu belauschen, dafür aber fand ich heraus, dass es anscheinend um Geld ging. Um und bei waren so die 18.000 Yen im Spiel. Das waren wie viele Dollar? 170? 180? So um den Dreh rum. Jedenfalls schien der von mir nicht aus den Augen Gelassene den anderen Typen eben jenes Geld zu schulden — und war anscheinend nicht in der Lage es ihnen zurückzuzahlen. Denn nachdem die Stimmen erst etwas lauter, herrschender wurden, sprang einer der drei anderen auf, packte den Schwarzhaarigen am Kragen und kam ihm bedrohlich nahe. „Ich will das Geld, Takayama. Und zwar jetzt, sonst wird's ungemütlich"knurrte er ihn an. Oh nein..Scheiße verdammte, was geht denn jetzt ab? Aus meinen umfangreichen Erfahrungen wusste ich, dass es auf eine Schlägerei hinauslaufen würde, und ich wusste, dass ich das nicht sehen wollte. Ich hasste es, so etwas mitanzusehen, auch wenn meine eigene Weste zugegebenermaßen ebenfalls nicht ganz unbefleckt war. Wenigstens kannte ich jetzt den Nachnamen des mir bekannten Unbekannten. Mittlerweile war auch der Barkeeper auf die ungemütliche Runde aufmerksam geworden und warf einen alarmierten Blick in Richtung der Ecke, in welcher es nun nochmals lauter wurde. Denn Takayama erhob sich ebenfalls ruckartig und verpasste dem Typen der ihn gepackt hatte einen harten Hieb in den Magen. Autsch, das musste wehgetan haben. Tatsächlich gelang es ihm dadurch, den anderen kurzzeitig zu schwächen und sich loszureißen, jedoch wurde er sogleich von den zwei anderen gepackt. Alles ging relativ schnell und wurde derweilen auch vom aufgebrachten Gezeter des Barkeepers untermalt. Der Angreifer hatte sich binnen Sekunden vom Schlag seines Schuldners erholt und revanchierte sich mit einem weit ausgeholten Kinnhaken. Getroffener konnte sich nicht wehren, geschweige denn schützen, da seine Arme ja festgehalten wurden. Ich hätte eingreifen sollen, aber hätte ich denn eine Chance gehabt? Ich alleine gegen drei ältere, körperlich überlegende Männer? Die Antwort war ja wohl offensichtlich, dennoch hatte ich tatsächlich kurz überlegt einzuschreiten, was aber nichts mehr hätte verhindern können. Takayama wurde von diesen Dreckskerlen losgelassen und kam unsanft mit dem Kopf auf dem Boden auf und ich sah, wie Blut aus seiner Nase oder Lippe lief — vielleicht auch aus beidem?— während sich seine Peiniger aus dem Staub machten. Natürlich war diese Szenerie an keinem der Gäste vorbei gegangen, alle starrten sie den am Boden liegenden an, teils unsicher und ängstlich, teils schlicht schockiert, über das was sie gesehen hatten und teils einfach nur gleichgültig. Menschen letzterer Sorte gingen mir sowas von gegen den Strich, wie konnte das einen so kalt lassen? Niemand machte große Anstalten dem Bewusstlosen zu helfen. Niemand, außer mir - Tsuzuku war sein Vorname. Das hatte ich seinem Ausweis entnehmen können, der sich nun wieder im Portemonnaie in seiner Jackentasche befand. Außer dem Ausweis und der Visitenkarte einer Jobagentur war seine Geldbörse relativ leer gewesen. Ich wollte natürlich auch gar kein Geld finden, wie armselig wäre das denn eine mehr oder weniger vollkommen weggetretene Person zu bestehlen? Ich wollte lediglich seinen Namen wissen, denn den hatte er mir nicht gesagt. Nachdem ich ihn vorhin mühsam zu den Toilettenräumen der Bar verfrachtet und ihm das Blut aus dem Gesicht gewischt hatte, war Besagter kurz wachgeworden. Naja was heißt wach....er hat die Augen geöffnet und verwirrt um sich geblickt, ehe er angefangen hat meine Hände wegzuschlagen. Aufgrund der Tatsache, dass er wohl schon ziemlich was intus hatte und grade bewusstlos geschlagen worden war, gelang ihm das Abwehrmanöver eher schlecht als recht. Irgendwann hatte er dann aufgehört und saß einfach nur da, den Rücken gegen die kalten weißen Fliesen an der Wand gelehnt, ins Leere starrend. Dieses Bild hatte mir einen regelrechten Schauer über den Rücken gejagt und würde wohl auch noch weiterhin in meinem Kopf bleiben. Glücklicherweise hatte er mir nach mehrmaliger Aufforderung verraten wo er wohnte. Ich hatte mir die Adresse auf einem Papierhandtuch notiert und dann samt stark schwankenden Tsuzuku die Bar verlassen, um ein Taxi zu ergattern. Er wohnte laut Aussage des Fahrers ganz in der Nähe, allerdings herrschte auch zu dieser utopischen Uhrzeit ein reger Verkehr auf den Straßen Tokyos, weshalb die Fahrt trotzdem von nicht ganz so kurzer Dauer war. Mein volltrunkener Sitznachbar war eingeschlafen und so nutzte ich die Zeit, um ihn mir etwas genauer zu betrachten. Er war wirklich hübsch,wie er da im Sitz des Fahrzeuges hing, seine Brust sich in einem ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus hob und senkte. Einige Strähnen des pechschwarzen Haares waren ihm wieder über das Gesicht gefallen und ich hätte sie nur zu gerne wieder zurück gestrichen, hätte zu gerne seine so unglaublich weich aussehende Haut berührt, über das Tattoo an seinem Handgelenk gestrichen.... Meine Hand hatte sich wohl selbstständig gemacht und war schon auf halben Weg, als ich wieder Herr meiner Selbst wurde und sie zurück zog. Böse Hand, das gehört sich nicht. Schweren Herzens wandte ich mich ab von seinem Anblick und sah aus dem Fenster. Hier in der Nähe hatte ich gestern gesessen und Gitarre gespielt, ich erkannte einige der Läden wieder.. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste ich wieder woher mir dieser Tsuzuku so bekannt vorkam! Er war auch da gewesen, hatte mir Geld gegeben. Jetzt wanderten meine Augen wieder zu ihm. Wenn er wirklich solche Geldprobleme hatte, warum gab er dann trotzdem etwas an einen unbedeutenden Straßenmusiker wie mich ab? Ich versuchte mir ein paar Theorien zu überlegen, wollte mein armes Hirn dann aber doch nicht überanstrengen und beschloss es zu lassen. Stattdessen holte ich mein Handy aus meiner Hosentasche, welches mir 2 neue Nachrichten anzeigte. Sie stammten beide von Alice, wahrscheinlich wollte sie sich erkundigen wie es mir hier so geht. Ich kam aber nicht dazu, die Mitteilungen zu lesen, da der Motor des Wagens abgestellt wurde und mir der Fahrer über den Rückspiegel kurz zunickte. Ich steckte mein Smartphone wieder weg, stieg aus und lief einmal um das Taxi herum, um den immer noch Schlafenden ins freie zu hieven. Zu meiner Erleichterung half dieser sogar ein wenig mit, die Augen ließ er aber geschlossen und auch sonst unterschied ihn nicht viel von einem nach Alkohol riechenden Schlafwandler. Aber er war ein äußert ansehnlicher, nach Alkohol riechender Schlafwandler. Als der von mir bezahlte Taxifahrer die Kurve kratze stellte ich fest, dass wir nun vor einem neuen Problem standen. Zwar hatte mir mein Anhängsel verraten wo es wohnte, jedoch nicht in welchem Stock und ob er alleine dort hauste oder womöglich eine wütende Lebensgefährtin auf ihn wartete. Obwohl er sich den Umständen entsprechend gut auf den Beinen halten konnte, war es dennoch ziemlich kompliziert, größere Entfernungen oder Treppen hinter uns zu bringen — was auch nicht zuletzt daran lag, dass besagte Person einen guten Kopf größer war als ich. Die Eingangstür des Wohnblocks war nicht abgeschlossen, somit musste ich nur noch rausfinden, in welchem der Apartments Takayama lebte, den Schlüssel hatte ich vorhin schon ausfindig gemacht, als ich seine Geldbörse gesucht hatte. - Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich die richtige Wohnung gefunden und aufgeschlossen. Was ich sah, verschlug mir den Atem. Ich hatte wirklich keine großen Erwartungen gehabt, aber das....war echt krass. Ich stand nun im Flur einer Ein-Zimmer-Wohnung, links von mir der Wohn-/Schlafbereich, vor mir eine kleine Küchenzeile und rechts die offenstehende Tür, die ins ebenfalls winzige Bad führte. Ich brachte Tsuzuku zum mit grauer Bettwäsche bezogenen Schlaflager. Dieser ließ sich dankbar fallen, und rührte sich danach nicht weiter. Den hat's echt mitgenommen.... Ich stand noch ein Weilchen so da, ganz still, den vor mir liegenden betrachtend. Dann wandte ich mich ab, um einen Blick auf die stetig tickende Uhr auf der anderen Seite des Raumes zu werfen. Jene verriet mir, dass es schon längst nach 2 Uhr war, dabei verspürte ich allerdings nicht das geringste Verlangen nach Schlaf oder meinem Hotelzimmer, weshalb ich beschloss, einfach hier zu bleiben. Ich wollte sichergehen, dass es dem Schwarzhaarigen gut geht und ihm erklären, was diese Nacht passiert war, sobald er wieder aufwachte. Natürlich hätte es auch das hinterlegen eines Zettels getan, aber mir war es so wie ich es vorhatte lieber. Vielleicht erkannte er mich dann ja wieder und dann....ja was dann? Es würde wahrscheinlich eh keinen Unterschied machen und sowieso war die Chance, dass er sich erinnerte sehr gering. Ich ging hinüber zur Küchenzeile und ließ mich mit dem Rücken dagegen fallen, bevor ich mein Handy wieder hervor nahm, um mich Alice's Nachrichten zu widmen. Die in der Wohnung vorherrschende Stille wurde nur durch den gleichmäßigen Atem Tsuzukus, die Uhr an der weißen Wand und weit entfernte Polizeisirenen durchbrochen. Kapitel 4: No Words spoken – Some Words written ----------------------------------------------- No Words spoken – Some Words written Franks POV Ich musste eingeschlafen sein. Etwas wirr drehte ich meinen Kopf herum, versuchte mich zu orientieren und spürte einen stechenden Schmerz in meinem Rücken. Küchenböden schienen kein besonders geeigneter Schlafplatz zu sein. Langsam reckte ich mich, schloss noch einmal kurz die Augen und rappelte mich dann umständlich aus meiner sitzenden Position auf. Die kleine Wohnung war immer noch in Dunkelheit getaucht und ein kurzer Blick zur Uhr verriet mir, dass es erst 6 Uhr in der Früh war. Etwas unwohl war mir ja schon bei der Sache, dass ich hier einfach so in Tsuzukus Wohnung blieb, ohne dass er wirklich anwesend war. Ich lugte zu dem Schwarzhaarigen hinüber, welcher allerdings immer noch beinahe regungslos auf seinem Schlafplatz lag und nur ein leises Atemgeräusch von sich gab. Aus einem mir unerfindlichem Grund wünschte ich mir aber auch, dass er aufwachte. Wahrscheinlich ganz einfach, um zu wissen wie es ihm ging. Er hatte immerhin ziemlich einen abbekommen. Ich verlagerte mein Gewicht von einen Fuß auf den anderen und spürte, wie steif meine Glieder von diesem unfreiwilligem Nickerchen doch geworden waren. Fast schleichend tat ich einige Schritte nach vorne und ließ meinen Blick durch den Raum streifen. Ich fragte mich, wie er hier sein Leben verbringen konnte – im Gegensatz zu dieser Wohnung war mein Hotelzimmer ein Palast – hier hatte ich das Gefühl mich nicht einmal um meine eigene Achse drehen zu können. Meine Hand strich über die glatte Oberfläche des kleinen Tisches, der wohl eigentlich als Esstisch dienen sollte, nun allerdings eher unter Papieren und Zeug begraben zu sein schien. Auch wenn die Stapel mehr oder weniger kreuz und quer verstreut lagen, einige sogar neben dem Tisch, wirkte das Ganze nicht unordentlich – ein organisiertes Chaos. So ließ sich diese Wohnung wohl am besten beschreiben. Ein Chaos, das gerade groß genug war, um von einem Einzelnen bewältigt werden zu können. Ja – vielleicht traf dies auf den Schwarzhaarigen zu – auf alles an ihm. Mehr beiläufig zog ich einen der Zettel aus dem Stapel heraus – an einigen Ecken war er zerknickt – an den Faltstellen leicht eingerissen und es schien, als würde er schon ewig in diesem Stapel liegen und als würde es auch niemand jemals wieder darauf anlegen, ihn in Gebrauch zu nehmen. In kleinen eckigen Schriftzeichen standen dort kreuz und quer Begriffe und kleine Sätze geschrieben – auf den ersten Blick zusammenhangslos, doch wenn man noch einmal drüber sah, wirkte es fast wie ein Gedicht – oder zumindest wie vereinzelte Verse davon. Vorsichtig strich ich das Papier glatt und hoffte, dass meine Kenntnisse ausreichen würden, um die Schriftzeichen zu entziffern, doch ich verstand zum Glück die meisten Sätze und Phrasen. „I rejected the world with my mask of lies I direct myself with my mask of lies Am I clinging to the ground with this mask of lies?“ Und an einer anderen Stelle: „When have I gotten so bad at living?“ Ich strich noch einmal über das Papier, zog ein weitere heraus, auf welchem noch mehr Worte standen. Es schienen hunderte zu sein, vielleicht sogar jeder Zettel auf diesem Tisch~ Leicht erschrak ich, zu sehr vertieft beim Wühlen in den Stapel, als ein leises, schmerz erfülltes Stöhnen zu mir herüber drang. Nicht darüber nachdenkend, was ich tat, faltete ich einiger der Zettel zusammen und stopfte sie in die Taschen meiner Hose – sofern das möglich war, bei diesem engen Röhrenteil. Dann drehte ich mich zu dem Bett hinüber, auf dem Tsuzuku lag und konnte gerade noch sehen, wie er sich aufsetzte und seine Beine aus dem Bett hievte. Sollte ich etwas sagen? Fast wie versteinert stand ich da und beobachtete den Schwarzhaarigen dabei, wie er sich nun auf seinen Händen abstützte und etwas wankend in eine stehende Position kam. Kurz fasste er sich an den Kopf, strich durch seine stufigen, schwarzen Haare und zog einige längere Strähnen nach Vorne, dann fasste er an seine Nase und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Zum Glück machte er noch keine Anstalten sich zu drehen, sondern stand einfach mit dem Gesicht zur Wand – dabei wusste ich immer noch nicht genau, wie ich und ob ich mich bemerkbar machen sollte. Leider schien mir meine neue Bekanntschaft da nicht wirklich entgegen kommen zu wollen, denn wie benommen wanderten seine Hände über seine Lederjacke und zogen diese langsam von seinen Schultern, dann tasteten sie weiter, fanden den Saum des weißen T-shirts, das er trug und auf dem verblüffender Weise kaum Blut zu sehen war. „Ähm…“, wollte ich ansetzten, doch je mehr seiner nackten Haut am Bauch enthüllt wurde, umso leiser wurde mein Versuch auf mich aufmerksam zu machen. Stattdessen stand ich einfach nur da und starrte ihn an, wie ein Stalker, der in seine Wohnung eingedrungen war, seine persönlichen Sachen stahl und ihn beim Ausziehen beobachtete - na super Frank neues Level erreicht... Und nun musste ich auch noch zugeben, dass mir sein Anblick gefiel, mehr als nur gefiel – die gut durchtrainierte Brust, die sichtbaren Bauchmuskeln~ Wie von selbst scannten meine Augen Millimeter für Millimeter die weiße Haut ab, welche in dem schwachen Licht so glatt und Makellos zu sein schien, nur vereinzelt durchzogen von Tattoos. An seinen Armen prangten Figuren und Personen, Symbole, Fratzen und Ziffern. Ich verfluchte mein Gehirn dafür, dass es sich jetzt wünschte, der Schwarzhaarige würde sich zu mir drehen und mir dadurch einen Blick auf weitere Tattoos und seine Haut verschaffen – nur angedeutet konnte ich weitere Zahlen auf seinem Becken erkennen. Er zog sich in einer letzten schwachen Bewegung das weiße Shirt komplett über den Kopf, sodass seine glatten, schwarzen Haare wieder kreuz und Quer über sein Gesicht fielen. Sie sahen schön bei ihm aus, passten zu seinem feinen Gesicht und seiner schmalen Statur – doch mir währ es viel zu anstrengend solch lange Haare zu pflegen, auch wenn es bei ihm nur einige hintere Strähnen war, die wirklich lang zu sein schienen und die er nun wieder, nach vorne holte und über seine Brust fallen ließ. Ein bisschen erinnerte mich sein Haarschnitt an einige Leute, die ich heute bei der Stadtführung durch Harajuku gesehen hatte – dieser stufige Schnitt – mehr Haare ins Gesicht hängend, als sonst wo – der Stiel gefiel mir und im Gesicht rumhängen konnte mein langer Pony auch ganz gut. Fast schon Melancholisch erschien mir dieser Mensch in dem schwachen Licht seiner kleinen Wohnung – er machte mich neugierig, alles an ihm – nicht nur sein Aussehen, oder seine Tattoos auch wenn ich gerne wissen wollte, welche Bedeutung sie für ihn hatten, liebte ich doch selber Tattoos und besaß auch selber einige. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob ich jemals ein Gespräch mit ihm führen konnte, denn wenn er mich jetzt entdeckte, lag die Wahrscheinlichkeit, dass er ausrastete erschreckend hoch, auch wenn ich ihn mir als wütende Furie nur schwer vorstellen konnte – er schien eher der stille Typ zu sein – so schätzte ich ihn immerhin. Ja, meine Vorstellungskraft schien wirklich verrückt zu spielen, wenn es um den halbnackten Fremden ging, in dessen Wohnung ich mehr oder weniger eingedrungen war und der meiner Meinung nach interessanter schien, als die meisten Sehenswürdigkeiten, die ich heute, beziehungsweise Gestern gesehen hatte. Und schon zerplatzte meine Seifenblase aus schmachtenden Überlegungen, von denen ich gedacht hatte, diese schon lange aus meinem Leben verbannte haben zu können. Tsuzuku drehte sich in meine Richtung und schien gerade den Weg in Richtung Bad antreten zu wollen, eine Hand an seinen schmerzenden Kopf gelegt, mit der Anderen sich an der weißen Wand abstützend. Er humpelte einen Schritt vorwärts, blieb dann allerdings stock steif stehen – blickte auf. „Ähm…“, ja mehr konnte ich Moment wirklich nicht von mir geben, als hätte ich alle Worte vergessen, sowohl die meiner Muttersprache, als auch die hart erlernten Japanischen. „Raus!“, hörte ich eine leise, dunkle Stimme, die mir das Blut in den Andern gefrieren ließ. Was hatte ich auch erwartet; dass er mich zum Frühstück einlud? Als ich keine Anstalten machte, mich zu rühren, trat er einen Schritt auf mich zu, allerdings mehr schlecht als recht und immer noch stark schwankend: „Verschwinde!“, raunte er noch einmal mit Nachdruck und stütze sich lieber wieder ab, denn sein Kopf schien ihm nicht wirklich ruhig handeln zu lassen. „Es… also… es tut mir leid, aber ich konnte dich doch nicht einfach in der Bar liegen lassen und ich musste doch wissen, ob es dir soweit gut geht.“, versuchte ich mich etwas stotternd zu retten und ein gewisser Anflug von Wut keimte wirklich in mir auf, hätte er sich doch eher bei mir bedanken sollen, als mich anzukeifen. Immerhin hätte ich ihn auch wirklich da liegen lassen können und ob ihm irgendwer dann geholfen hätte, bezweifelte ich einfach mal ganz stark. „Das kann dir doch egal sein.“, keuchte der Schwarzhaarige wieder und schien gerade so einem Würgen entgehen zu können. „Kann es eben nicht – dir hätte auch sonst was passiert sein können und es ist immer noch nicht sicher, ob du nicht doch mehr Schäden davon getragen hast, als die paar oberflächlichen Wunden und deine angeknaxte Nase – eigentlich hätte ich dich direkt zum Arzt schleifen sollen – wollte ich allerdings nicht ohne deine Zustimmung – aber es ist doch wohl das mindeste, dass ich dich zurück in deine Wohnung gebracht habe und geguckt habe, dass es dir einigermaßen gut geht und jetzt finde ich, dass es auch das Mindeste ist, sich bei mir zu bedanken, oder mich wenigstens nicht so anzukeifen, also sein mal schön leise!“ Ich war etwas lauter geworden, doch ich fand, dass ich damit durchaus recht hatte – er sollte sich mal nicht so anstellen. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings auch sagen, dass ich selbst ziemlich am Ende war, denn besonders bequem war der Boden nicht gewesen, ich war müde und hatte leichte Kopf- und Rückenschmerzen...da kann man schon mal ganz dezent überreagieren. Allerdings schien der Schwarzhaarige mir mehr oder minder zuzustimmen, denn er erwiderte nichts mehr darauf, taumelte nur einige Schritte zurück und suchte sofort wieder Halt. „Du kannst ja nicht einmal aufrecht stehen.“, fügte ich hinzu, dieses Mal allerdings etwas leiser. Eigentlich hatte ich mich schon innerlich auf einen Konflikt eingestellt, auf beißende Wiederworte, doch Tsuzuku blieb still – er war wohl einfach nicht der Kerl für Konflikte – dafür schaffte er es aber anscheinend leicht in welche zu geraten, wie die Platzwunde an seiner Lippe nur allzu gut verdeutlichte, aus der wie auf Kommando nun wieder anfing Blut zu laufen. Fast wie in Trance versuchte er es mit der freien Hand aufzuhalten, doch es lief über seine Finger und tropfte auf seinen Oberkörper. „Na los… setzt dich hin, ich hol dir ein Tuch.“, sagte ich seufzend über seine Dickköpfigkeit und trat einige Schritte auf ihn zu, doch er wich wie ganz von alleine schwankend zurück, als ich ihn aufs Bett bugsieren wollte und setzte sich, mehr fallend und etwas unkontrolliert zurück auf die Matratze. „Was ist dein Problem?“, regte ich mich leise auf, während ich in das winzige Bad stolperte und nach dem nächstbesten Waschlappen griff. Gut vielleicht war er etwas überrumpelt, aber musste er gleich so komplett abweisend und pissig sein? Na toll das konnte ja noch lustig werden~ Ich tränkte den Lappen in kaltem Wasser und lief zurück in den Wohnraum, wo Tsuzuku in gekrümmter Haltung auf dem Bett saß und irgendwie mehr tot als lebendig wirkte, eine Hand an seiner Lippe, um den Blutfluss etwas zu stoppen. „Okay warte.“, ich kam zu ihm herüber, wollte seine Hand von seinem Gesicht wegziehen, um besser an die Lippe heran zu kommen, doch er zog mir nur das Tuch aus der Hand und ich wich lieber mit erhobenen Händen zurück. Ich fing einfach an zu erzählen, während er mit dem nassen Tuch das Blut von seinem Gesicht wischte. „Okay ich versteh ja, dass du nicht besonders glücklich mit der Situation bist, glaub mir ich könnte mir auch was schöneres vorstellen, als dich unter diesem Umständen kennen zu lernen – aber du kommst mir bekannt vor. Vor ein paar Tagen habe ich in einer Fußgängerzone hier in der Nähe ein bisschen Gitarre gespielt und jetzt, wo ich so darüber nachdenke, erinnere ich mich ganz deutlich an dich. Ich bin übrigens Frank – wäre ja unfair, wenn ich dir gegenüber einen Vorteil mit dem Namen habe – Sorry übrigens, dass ich einfach so deinen Ausweis angeschaut habe, aber ich dachte, wenn ich dir schon helfe, könnte das von Nutzen sein und...“ „Was ist Gestern eigentlich genau passiert?“, unterbrach er mich einfach und schaute leicht auf, allerdings nicht zu mir herüber, sondern wieder vor sich an die Wand. „Ähhhm… naja da waren so drei Typen und soweit ich das mitbekommen habe, schuldest du ihnen wohl Geld und darauf haben sie gar nicht gut reagiert und jetzt sitzt du hier, vermutlich mit leichter Gehirnerschütterung, aufgeplatzter Lippe und schmerzender Nase – aber sie ist nicht gebrochen. Glaub ich zumindest.“, endete ich und schenkte meinem Patienten ein vorsichtiges Lächeln. „Redest du eigentlich immer so viel?“, sagte er wieder leise und ließ sich zurück fallen, sodass er wieder in seinem Bett lag, allerdings Quer und mit seinen Beinen Außerhalb. Mein Grinsen wurde erst etwas breiter., dann wich es allerdings einem ernsteren Ausdruck. „Jetzt mach aber mal halblang, ja? Immerhin hab ich mich ganz schön abgerackert um dich nach Hause zu bringen. Am besten hol ich dir erstmal was zu essen – willst du duschen oder so? Sag wenn du Hilfe brauchst, aber wahrscheinlich quälst du dich lieber, als dir von mir helfen zu lassen“, etwas bissig klang ich ja schon dabei, aber erstens hatte ich beschlossen ihm wenigstens ein bisschen unter die Arme zu greifen und zweitens würde er „gewinnen“ wenn ich jetzt einfach abzog und ihn alleine lies – also blieb ich. Wenn das so weiter ging, war es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns gegenseitig die Köpfe einschlugen, denn dickköpfig konnten wir anscheinen beide ganz gut sein. Tsuzuku antwortete allerdings nicht weiter, sonder lag einfach nur auf seinem Bett, den nassen Lappen auf seiner Brust. Mit einem extra genervten Seufzen schlenderte ich hinüber zu seinem Kühlschrank, welcher mich auch gleich mit gähnender Leere begrüßte. „Weißt du, langsam frage ich mich, wie du es schaffst, alleine zu überleben. Scheinst ja nicht gerade vernünftig zu sein.“ Ich drehte mich wieder zu ihm um, doch er hatte sich genau keinen Zentimeter bewegt. „Also gut ich frag mich gerade selber, warum ich das mache, aber ich geh jetzt schnell was zu essen holen, denn ich hab auch ein bisschen Hunger und ich appelliere an deine anscheinend nicht vorhandene Vernunft, mich dann bitte wieder rein zulassen, oder soll ich mich lieber auf die Suche nach einem Schlüssel begeben, bevor ich los gehe?“ „Mach doch was du willst… mir egal.“, hauchte der Liegende, sodass ich fast Schwierigkeiten hatte ihn zu verstehen, doch irgendwie schien er so fertig mit sich und der Welt, dass ich lieber in die Taschen seiner Lederjacke griff und auch sofort einen kleinen Schlüssel fand: „Nur für den Fall, dass du es nicht mal mehr bis zur Tür schaffst.“, sagte ich, dieses Mal sogar etwas beschwichtigender und tatsächlich schienen sich seine feinen Gesichtszüge etwas zu glätten. „Weißt du, ich glaub ja, dass du gar nicht so schlimm bist – vielleicht hattest du einfach nur einen beschissenen Morgen. Bis gleich.“, mit diesen letzten Worten verließ ich seine kleine Wohnung ohne eine Antwort abzuwarten – hätte ich doch wahrscheinlich eh keine von ihm bekommen. Tsuzukus POV Ich hatte das Gefühl, dass jede kleinste Bewegung meinen Kopf zum explodieren bringen könnte. Meine Lippe Pochte und ein ungutes Stechen in meinem Hinterkopf, schien von Sekunde zu Sekunde stärker zu werden. Wahrscheinlich hatte ich diese Schmerzen verdient, war ich doch dumm genug gewesen, um mir Geld zu leihen. Geld, dass schon lange wieder weg war und das ich wahrscheinlich nicht mehr in meinen Besitz bekommen würde – also endete wohl mein Leben aufgrund von ein paar tausend Yen, die ich nicht auftreiben konnte. Wirklich ruhmreich~ Ruhmreich wie mein gesamtes Leben bisher. Ja ich hatte all das hier wahrscheinlich verdient – selbst diese kleine Nervensäge, die mir meine letzte Ruhe raube wollte – meine letzte Ruhe, die ich noch hatte bevor ich von irgendeiner Band zu Tode geprügelt werden würde. Ich hatte gar nicht an meine Schulden gedacht in letzter Zeit, bis mich irgend so ein Kerl ansprach, mich auf der Straße aufgabelte und mir drohte, besser zu zahlen~ Wahrscheinlich hatte ich jede Erinnerung daran bereits versoffen, wie es so oft der Fall war – alles egal. Aber er hatte recht gehabt – Frank – der kleine Schnorrer aus der Fußgängerzone. Ja ich erinnerte mich. Fast verblüffend in meinem Zustand, dass ich sein Gesicht noch problemlos hatte einordnen können. Irgendwie gequält lächelte ich – ja, Recht hatte er gehabt – meine Unfähigkeit selber für mich zu sorgen – gut für mich zu sorgen, war schon lange begraben unter einer Sucht nach unvernünftigen Dingen – Dingen, die mir viel versprachen, mich im Grunde allerdings nur noch mehr ins Unglück trieben. Vorsichtig drehte ich mich herum und hievte mich wieder aus dem Bett – was würde ich jetzt geben für eine warme Dusche – doch warmes Wasser hatte ich schon länger nicht bezahlen können. Unglaublich, dass bei mir überhaupt noch Licht brannte. Langsam stolperte ich ins Bad und streifte mit die Jeans von den Beinen – irgendwo war ich das kalte Wasser schon gewöhnt~ Ich duschte nur kurz – eher um klar im Kopf zu werden, als sauber. Ich mochte es nicht, wenn andere Menschen mir zu nahe kamen, da reichte es schon, wenn sie sich zu einem anderen Zweck in meiner Wohnung aufhielten, als Sex. Eigentlich würde ich alles und jeden sofort wieder rausschmeißen, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten. Besonders in dieser Situation – ich zeige nicht gerne Schwäche vor anderen und schon gar nicht vor Leuten, die ich nicht kenne. Es kommt mir so vor in seiner Gegenwart, als würde alles an mir verzweifelt nach Hilfe schreien, als würde meine Nutzlosigkeit, meine Unfähigkeit mir selber zu helfen geradezu darum betteln, dass er wiederkam. Aber so war ich nicht und so wollte ich auch nicht sein. Bisher hatte ich es doch auch geschafft alleine zu Überleben, ohne das mir irgendein Touri unter die Arme greifen musste – lächerlich sowas. Noch schlimmer war allerdings, dass ich ihm etwas schuldete. Ich würde ihm gerade lieber Hunderttausende an Yen schulden, als einen Gefallen~ Aber nein, er musst mir ja unbedingt helfen und ich musste ja nun unbedingt in seiner Schuld stehen... Verarscht fühlte ich mich – ja schlicht und einfach verarscht und ein Wunsch machte sich in mir breit, einfach den kompletten letzten Tag auszuradieren – ich wünschte mir einfach die Drohungen ignoriert und meine Wohnung nicht verlassen zu haben. Ja ich wünschte mir gerade sogar mehr, irgendwo verblutend in der Kälte zu liegen, als Frank einen Gefallen zu Schulden, denn auch wenn mein Leben nichts mehr zu bieten hatte, so fühlte ich mich von solch einer simplen Sache in meinem Stolz verletzt. Meine Gefühle und vor allem mein Denken über mich selber, waren ein Widerspruch für sich. Vielleicht war auch das ein Grund, warum ich mich abschottete – fand ich doch nie die richtigen Worte und sprach allgemein nicht gerne. Früher hatte ich viel geschrieben – es gab sogar mal eine Zeit, als Leute stolz auf mich waren, weil ich „Talent“ hatte, ihrer Meinung nach. Ich hatte versucht mein Leben in Worten zu verarbeiten – etwas was mir wahrscheinlich jeder nur geraten hätte, doch ich hatte es aufgegeben, nur selten rührte ich noch die Stapel auf meinem Schreibtisch an, um an etwas weiter zu arbeiten – wusste ich doch nicht einmal mehr wofür meine Mühen gut sind. Diese Tätigkeit hatte für mich den Sinn verloren. Talent hin oder her~ Im Grunde konnte Frank auch nichts für mein Launen – meine abweisende Haltung mehr Gewohnheit, als Wille~ Franks POV Auf meinem Lippenpiercing herum beißend, eine Tüte mit Einkäufen in der einen Hand, versuchte ich etwas unkoordiniert das Schlüsselloch zu treffen – klar wäre Klingel einfacher gewesen, doch war ich mir nicht sicher, ob Tsuzuku mir überhaupt öffnen konnte, geschweige denn wollte. Wenn ich so darüber nachdachte war das meine wirklich erste echte japanische Bekanntschaft, die ich während meines Urlaubs gemacht hatte – und dann gleich so ein mies gelaunter Kerl, naja was solls.. Mit einer Schulter konnte ich endlich die Tür weiter aufdrücken und trat zurück in die kleine Wohnung ein – es war recht kühl und ich erblickte den Schwarzhaarigen, wie er am Fenster stand und den Rauch einer Zigarette in die kühle Luft blies, nur bekleidet mit einer locker um seine schmalen Hüften liegenden, grauen Jogginghose. Er hatte mir den Rücken zu gedreht und ich konnte ein weiteres Tattoo ausmachen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es würde nicht recht zu ihm passen – ein Schmetterling, gefärbt in schwarz mit leichten lila und orange Tönen. Wieder entließ er etwas Rauch aus seinem Mund und stütze seinen Kopf auf einer Hand ab. Etwas wirr im Kopf trat ich näher an ihn heran: „Ein Schmetterling?“ Ich erwartete keine Antwort auf meine Frage, auch wenn ich nur zu gerne den Hintergrund zu diesem Bild auf seinem Rücken wissen würde, doch es schien unlösbares Rätsel, wie alles bisher an ihm. Er schwieg, drehte sich nicht einmal zu mir um. „Ich hab dir n bisschen was zu essen mitgebracht. Hab eben schon was auf dem Weg gegessen, also wenn du jetzt lieber wieder alleine sein willst in deinem Trott, dann kann ich auch ruhig gehen. Scheinst ja eh nicht mit mir sprechen zu wollen.“ Ich legte das Essen kurz auf der Küchenzeile ab, stellte mich dann wieder einige Meter hinter ihm hin, sodass ich schon fast direkt an der Tür stand. „Also… ich geht dann mal. War nett dich kennen gelernt zu haben…oder auch nicht.“, fügte ich leise hinzu und mein Unterbewusstsein meinte genau jetzt mir leise mitteilen zu müssen, dass ich ihn wahrscheinlich niemals wieder sehen würde, wenn ich jetzt durch diese Tür ging. Ich drehte mich um, legte meine Hand zögerlich auf die Klinke. „Warte.“, hörte ich eine leise, ruhige Stimme hinter mir. Ich konnte ausmachen, dass er immer noch mit dem Rücken zu mir stand und aus dem Fenster schaute. Zögernd wand ich mir wieder um, glaubte schon, mir das leise Wort nur eingebildet zu haben, doch er sprach weiter mit einer melodischen Stimme, die gar nicht so tief war, wie ich anfangs gedacht hatte – wahrscheinlich grummelte er einfach nur gerne vor sich hin. „Du hast recht – weißt du das? Eigentlich würde ich jetzt lieber irgendwo leidend herum liegen, als dir das zu sagen, aber irgendwie auch nicht~“ Ich zog eine Augenbraue hoch und als ich keine Anstalten machte etwas zu Antworten, redete er weiter: „Musst du nicht verstehen aber weißt du Frank: Niemand macht etwas einfach so, weil er freundlich ist und weil sein Bewusstsein ihm sagt, dass es sich so gehört – und niemand sollte es meiner Meinung nach auch nur aus diesen Gründen tun. Ich schulde dir was – irgendwas. Sag mir, was du haben willst und ich werde mich bemühen es dir zu geben – das ist es, was mein Bewusstsein mir sagt. Eine Gegenleistung~“ Es war das erste Mal, dass er mich beim Namen nannte und ich drehte mich nun wieder vollkommen in seine Richtung, schaute auf die glatte weiße Haut seines Rückens, unter der sich leicht die Wirbelsäule und Schulterblätter abzeichneten. „Bist du eigentlich öfters in der Bar?“ Er schien kurz über meine Frage nachzudenken, nickte dann aber leicht. „Dann möchte ich, dass du mir einen ausgibst – nicht Morgen, nicht Übermorgen, aber bevor ich abreise... und ein Gespräch. Ich glaube, das du mir da wohl ein bisschen entgegenkommen kannst.“ Ich zögerte kurz: „Und bring das mit deinen Schulden in Ordnung; ich will dich nicht nachher von der Straße kratzen müssen.“ Er lachte kurz auf, doch es lag etwas Bitteres darin: „Ist in Ordnung – doch danach sind wir Quitt und unsere Wege werden sich nie wieder kreuzen. Ich bin eigentlich so gut wie jeden Abend da, also sollten wir uns nicht verpassen.“ Ich drehte mich wieder weg, legte meine Hand auf die Klinke und sprach, bevor ich die Wohnung verließ: „Geht klar.“ Dann viel auch schon die Tür hinter mir ins Schloss und ich lief die Treppen hinunter zum Eingang des Hauses – ich würde ihn wiedersehen, doch ob das gut oder schlecht war wusste ich noch nicht so genau. - Es war dunkel in meinem Hotelzimmer und ich stolperte fast über einen Stuhl, der an einer der Wände stand und dessen Zweck mir nicht ganz klar war. Es war spät und der Tag war hart gewesen – Ich war echt ein mieser Tourist, langweilte ich mich doch eh nur während den ganzen Rundführungen... Ich fühlte mich zu erschlagen, dass ich nicht einmal mehr Lust hatte ein bissen auf meiner geliebten Gitarre zu spiele, wie ich es doch eigentlich abends nur allzu gerne Tat. Ich zog mir meinen Hoody über den Kopf und meine Motivation jetzt noch ins Bad zu gehen und mich Bettfertig zu machen, ging gen Null, doch was sein muss, dass muss eben sein. Fast beiläufig fuhr meine Hand in die Tasche meiner Hose und geriet an etwas Spitzes. Ich zog ein Bündel gefalteter Papiere hervor und erinnerte mich wage an meinen kleinen Diebstahl. Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht, ob diese Papiere für Tsuzuku noch einen Wert hatten, oder nicht, doch ich schätzte jetzt einfach mal, dass diese zerknitterten Dinger schon lange nicht mehr von ihm angerührt wurden. Dafür interessierten sie mich umso mehr – was er schrieb, wenn diese Zeilen denn überhaupt von ihm waren, doch ich konnte mir nicht erklären, von wem sie sonst stammen könnten. Ich legte das Bündel Zettel auf mein Bett – ich würde sie lesen, ob er es mir erlaubte oder nicht – doch etwas in mir wollte verstehe, warum er so war wie er war, so einsilbig und wenn er schon nicht mit mir sprechen wollte so konnte ich doch vielleicht aus diesen Sätzen auf dem Papier etwas schlauer werden, bevor ich ihn wieder treffen würde.. Wenn ich ihn denn wieder treffen würde – ich hoffte, dass er ein Mensch ist, der seine Versprechen hält, wenn er welche macht. Tsuzuku… Kapitel 5: We are all a bunch of liars, tell me baby, who do you wanna be? -------------------------------------------------------------------------- We are all a bunch of liars, tell me baby, who do you wanna be? Tsuzukus POV Der Abend des dritten Tages nach meiner eher unfreiwilligen Bekanntschaft mit Frank war düster und verregnet, doch ich mochte es. Es spiegelte meine Verfassung wieder, eintönig und trist. Wie so oft stand ich an dem Fenster neben meinem Bett, blickte auf die grauen, nassen Straßen der Stadt nieder und genoss den Geschmack des Tabaks, welchen mir die Zigarette in meiner rechten Hand stiftete. Es war meine letzte und eigentlich hätte ich schon längst neue kaufen sollen, doch wovon? In den letzten Tagen hatte ich keine noch so erniedrigenden Arbeiten bekommen, um mir wenigstens etwas Geld zu verdienen, welches ja bei mir ohnehin schon knapp vorhanden war. Auf meine Besuche in meiner Stammbar hatte ich dennoch nicht verzichten müssen, hatte ich mir doch immer wieder die richtigen Frauen gesucht, die nur zu gern dazu bereit waren mir einen Drink auszugeben, doch dabei war es auch geblieben, nach mehr stand mir einfach nicht der Sinn, weshalb ich die Nächte letztendlich doch allein verbracht hatte. Die Schwellung an meiner Lippe war zwar bereits etwas abgeklungen, trotzdem bereiteten sie und meine Nase mir permanente Kopfschmerzen. Verärgert über die Gesamtsituation blies ich ein wenig Rauch in die frische Novemberluft, da meldete sich mein Magen zu Worte. Emotionslos drückte ich den Glimmstängel aus und ließ ihn achtlos in die Tiefe Richtung Hinterhof fallen, eh ich mich umwandte, das Fenster schloss und meinen sich matt fühlenden Körper Richtung Küche, beziehungsweise Kühlschrank dirigierte. Anders als sonst fand ich keine Leere vor; der kleine Braunhaarige war nicht zimperlich beim Einkaufen gewesen. Ich hatte die Wahl zwischen verschiedenem frischen Gemüse, Joghurt, einem halben Kilo Fleisch und Sushi. Zudem hatte er Reis, Brot und Mineralwasser gekauft. Warum er das getan hatte war mir zwar immer noch sehr schleierhaft aber solange er im Gegenzug nichts weiter als einen Drink und ein Gespräch verlangte, sollte es mir recht sein. Vom sich mir bietenden Angebot jedoch wenig angesprochen nahm ich einen der kleinen Joghurts heraus, griff in die klemmende Schublade des kleinen Küchenschrankes und lehnte mich an die Arbeitsfläche. In meiner Wohnung war es recht schummrig, da das Licht nicht eingeschaltet war. Es funktionierte noch — zumindest ging ich mal davon aus — allerdings vertrug es sich nicht mit dem Pochen in meinem Kopf. Das kühle Milchprodukt, welches ich nun gemächlich auslöffelte, wirkte wie Balsam auf mein schmerzendes Haupt und meinen Magen, welcher fürs erste wieder ruhiggestellt war. In Gedanken nachgrübelnd, wie ich wohl auf die Schnelle Geld für neue Zigaretten auftreiben könnte, wanderte ich weiter ins Bad, den leeren Plastikbecher bereits entsorgt. Die grauen Fliesen des nahezu winzigen Badezimmers wiesen hier und da kleine Kalkflecken und auch Risse auf und einige der Halterungen des Duschvorhanges waren defekt, sodass dieser an einer Seite schlaff herunter hing. Was Frank wohl von mir hielt seitdem er dieses —ja, ein Loch konnte man es nennen — gesehen hatte? Eigentlich konnte es mir ja egal sein, und doch schämte ich mich. Ich schämte mich vor diesem jungen Kerl, den ich kaum kannte, vor diesem jungen Kerl, dem ich etwas schuldete, vor dem, der so deplatziert an diesem Ort gewirkt hatte und der mir partout nicht aus dem Sinn ging. Müde warf ich einen flüchtigen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken und wusch mir mit kaltem Wasser übers Gesicht — warmes ging ja sowieso nicht — um einen klaren Kopf zu bekommen und Frank aus meinen Gedanken zu verbannen. Allerdings blieb die gewünschte Wirkung meines Vorgehens aus, sodass ich entnervt das Wasser abstellte, mein blasses Gesicht vorsichtig abtrocknete und zurück zum Wohnbereich stapfte, um meine Joggingshose gegen eine alte Jeans zu tauschen, mir Schuhe anzuziehen und mir meine Jacke zu schnappen. Ein Blick auf die nervtötende Uhr verriet mir, dass es bereits 20 Uhr war und ich mich langsam aber sicher auf den Weg machen konnte, allerdings nicht, ohne vorher noch einmal sämtliche Nischen und Ritzen in meiner Residenz nach Geld abzusuchen. Tatsächlich bekam ich einige hundert Yen zusammen, die zwar für meine Geliebten Nikotinlieferanten nicht reichten, dafür aber für einige Gläser des begehrten Alkohols. Sobald ich die Tür des Wohnblocks hinter mir ins Schloss zog, schlug mir der kalte Regen entgegen. Einen Schirm hatte ich nicht, mein Ziel lag allerdings eh nicht weit von hier entfernt, so zog ich die Schultern ein Stück an, senkte den Kopf und lief die Hände in den Taschen die Straße entlang. Hin und wieder rammte ich einige Passanten, welche mir ein "Pass doch auf" oder ähnliches entgegenbrummten, was ich allerdings stets unkommentiert ließ; sollten sie doch selber aufpassen. Die paar Münzen in meiner Jackentasche fest umklammert und die Haare vom Regen durchnässt kam ich nach einigen Minuten an der erst mäßig gefüllten Bar an. Ehrlich gesagt ging ich nicht davon aus, heute auf den Ich-bin-ein-guter-Mensch-und-helfe-gerne-einfach-so-Typen zu treffen, denn mein mühsam ersuchtes Geld wollte ich nicht teilen müssen und auf irgendein dämliches Gespräch hatte ich auch nicht wirklich Lust. Doch wie so oft im Leben ging es natürlich nicht danach, wie es einem grade am besten in den Kram passt.... Frank's POV „Morgen Abend schon?" Mit geknicktem Blick sah ich Jake an, welcher mir gegenüber an einem der vielen Tische im Speisesaal des Hotels saß und — genau wie ich —grade versuchte, die Nudeln mithilfe der Stäbchen irgendwie ohne zu kleckern in seinen Mund zu befördern, nur dass meine Wenigkeit sich dabei wesentlich geschickter anstellte. „Ja, leider....ich finds auch schade, aber wenn dir langweilig ist, kannst du ja wieder Gitarre spielen gehen" ,versuchte mich mein grade erst neugewonnener Freund aufzumuntern. Mit einem demonstrativen Blick aus dem Fenster deutete ich ihm, dass das nicht grade hilfreich war, denn es regnete fast ununterbrochen. „Du könntest auch diesen Typen da besuchen. Wie war sein Name doch gleich? Shizuku?" „Tsuzuku", korrigierte ich und schwups waren meine Gedanken ganz und gar auf den Schwarzhaarigen fokussiert. Auf seine Tattoos, seinen Blick, in dem neben der Lethargie und Ablehnung noch etwas ganz anderes lag, was ich allerdings nicht so ganz hatte deuten können... Er tat mir so leid mit der miserablen Situation in der er offensichtlich stecken musste und ich hatte so viele Fragen an ihn, über seine Vergangenheit, über die Typen, die ihn zusammengeschlagen hatten, über seine Familie — wenn er denn eine hatte. Doch um jeden Preis wollte ich ihm unbedingt helfen, sein Leben in den Griff zu bekommen. Ich selbst wusste nur zu gut, wie es ist, niemanden zu haben, sich in einer scheinbar ausweglosen Situation zu befinden...und ich wusste auch, wie wichtig Unterstützung und Fürsorge in so einer Situation war. Natürlich war es alles andere als verwunderlich, dass Tsuzuku nicht sehr erfreut über meinen Aufenthalt in seiner Wohnung gewesen war, aber wenn ich jetzt so darüber nachdachte, konnte ich es ihm kaum noch übel nehmen. Schließlich war ich ihm völlig fremd gewesen und hätte ja sonst was für Absichten gehabt haben können. Dabei waren alle meine Absichten durch und durch gut gewesen. „Frank?" „Äh...j-ja?" „Ich hab gefragt, wann du dich mit Tsuzuki triffst", erklärte Jake mir, welcher es tatsächlich geschafft hatte, sich einige Ladungen voll Nudeln einzuverleiben, und lächelte „Tut mir leid, ich war wohl in Gedanken...er heißt übrigens immer noch Tsuzukuuuuu, mit U am Ende", erwiderte ich nun das Lächeln. „Eigentlich wollte ich heute in die Bar gehen, aber ich weiß noch nicht...Wie lange wartet man denn bei sowas? Ich will ja nicht aufdringlich wirken aber irgendwie hab ich keine Lust länger zu warten, verstehst du?" Verzweifelt spielte ich mit der Papierserviette in meinen Händen und riss sie eher unbewusst in immer mehr, immer kleinere Stückchen. „Oh Frank, komm mal wieder runter! Es ist doch kein...kein Date oder sowas! Kein Grund sich so verrückt zu machen." „Ich weiß..", nuschelte ich meine Antwort. Er hatte Recht, es war ja tatsächlich kein Date, Tsuzuku würde mir lediglich einen Drink ausgeben und mir einige meiner Fragen beantworten, und das auch hoffentlich wahrheitsgemäß. „Dann geh ich heute Abend hin...?" Nun blickte ich von dem weißen Schnipsel-Haufen vor mir auf und registrierte das optimistische Nicken meines Gegenübers. Jener schien meine immer noch vorhandene Unsicherheit zu bemerken. „Jap, das wirst du und wenn ich dich eigenhändig dahin schleife, deine ganzen Sorgen wegen dem Kerl sind ja kaum noch zu ertragen. Aber warum liegt dir so viel daran, ihm zu helfen? Er ist doch nur ein völlig fremder Einheimischer in dieser riesigen Metropole, bei dem eben nicht alles glatt läuft. Du wusstest nichts über ihn und hast dir trotzdem den Allerwertesten für ihn aufgerissen...warum?" „Wenn ich das wüsste.....es ist halt...naja also ich hatte ihn ja schon einmal gesehen und es war als ob — jetzt lach nicht —, als ob das Schicksal gewesen wäre, dass ich ihm wiederbegegnet bin." Jetzt musste ich selber etwas amüsiert über meine Aussage grinsen, mein Gegenüber verkniff es sich weitestgehend, weshalb ich dankbar fortfuhr. „Es kann doch kein Zufall gewesen sein...meiner Meinung nach gibt es keine Zufälle, Jake. Er braucht Hilfe, jemanden der ihn stützt, auch wenn er selber sich das vielleicht nicht eingestehen will, und ich werde dieser jemand sein, ob es dem werten Herrn Takayama passt oder nicht!" Mit diesen Worten stand ich energisch, fast schon theatralisch von meinem Stuhl auf, nahm die beiden leeren Schüsseln ineinander gestellt in die eine, und mein Servietten Kunstwerk in die andere Hand und machte mich auf den Weg zu den Geschirrwägelchen. Ich hatte mir also das Ziel gesetzt diesem Menschen unter die Arme zu greifen und wenn ich mir erstmal etwas in den Kopf gesetzt habe, dann konnte daran auch niemand mehr was machen, denn es wurde konsequent durchgezogen. Allerdings wusste ich selbst nicht so ganz wie mein Vorhaben aufgehen sollte, immerhin hatte ich nur noch knapp eine Woche hier zu verbringen und diese Zeit würde sicherlich nicht reichen...mir würde schon noch was einfallen, da war ich mir sicher. Auch Jakes Bemerkung, dass ich ja nichts über ihn wisse, war für mich mehr oder minder ungültig. Fremde sind ja schließlich unbekannte Freunde, nicht wahr? Also konnte sich besagter Umstand ändern lassen. Wieder am Tisch angekommen, wechselte ich geschickt das Thema, immerhin machte ich mir aus irgendwelchen Gründen auch so schon genug Gedanken um diesen faszinierenden jungen Mann.... „Bringst du Clarissa eigentlich was mit? Also 'n Souvenir oder so?" „Ja natürlich!" Jake lächelte seelig beim Gedanken an seine Freundin; hatte er mir doch erst ein paar Tage zuvor von seinem Leid mit ihr erzählt....ich musste es nicht verstehen, wahrscheinlich war das einfach so in der Liebe... Mit einem neugierigen Blick animierte ich den Dunkelblonden, weiter zu reden. „Ich hab ihr eine Kette gekauft, mit Saphiren, das sind ihr Lieblingsedelsteine", erklärte er. Ich stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. „Da wird sie sich aber bestimmt drüber freuen." „Das hoffe ich...sonst waren die 200 Mäuse um sonst." „Ach, das wird schon." Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht blickte mir mein Gegenüber entgegen und auf seine Frage, ob wir uns die Zeit bis zum Abend mit Bowling vertreiben wollen, bejahte ich freudig. Ich liebte Bowlen und war folglich relativ gut, doch auch Jake konnte auf der Bahn seine Essstäbchen-Defizite wieder wettmachen. Es war ein Kopf an Kopf rennen, aus welchem ich letztendlich als Verlierer hervorging. „Glückwunsch", nuschelte ich gespielt beleidigt über meine Niederlage, doch sofort fand sich wieder ein Lächeln auf meinem Gesicht ein, auch Jake lachte leise auf und klopfte mir auf die Schulter. „Vielleicht beim nächsten Mal, Kleiner", neckte er mich. Nur weil ich grade mal 1,64m groß war. Pfff.... „Klein, aber oho", konterte ich und boxte ihm leicht gegen den Oberarm. Wieder lachten wir, dann warf mein Nebenmann einen Blick auf seine Armbanduhr. „Frank, ich will dich zu nichts drängen, aber es ist schon kurz vor 8 Uhr...willst du dich nicht langsam auf den Weg machen?" - Nur eine Viertelstunde später verließ ich frisch geduscht das Hotelgebäude und machte mich auf den Weg Richtung der Bar, in welcher ich hoffentlich Tsuzuku antreffen würde. Ich hatte mit die ganzen letzten Tage den Kopf darüber zerbrochen, wie es wohl sein würde, ihn wiederzusehen, weshalb ich nun doch zunehmend nervöser wurde, je weiter ich lief. Aber es war eine positive Nervosität, so ähnlich wie Freude fühlte es sich an. Und ja, ich freute mich tatsächlich wieder in die tiefbraunen Augen des Älteren sehen zu können. Denn bis auf das Bowlen vorhin war mein gesamter Tag ziemlich..sagen wir..unschön gewesen. Jake hatte mir offenbart, dass er schon am nächsten Tag abreisen und ich somit die Zeit im Hotel alleine verbringen würde. Zudem hatte ich unwahrscheinlich schlecht geschlafen, was an diesem verdammten Albtraum lag. Es kam leider nicht selten vor, dass ich schlecht träumte, wobei es sich meistens um denselben Traum handelte, aus dem ich jedes Mal unter Tränen und schweißgebadet erwachte. Und die Tatsache, dass es kein richtiger Traum, sondern eher eine Erinnerung war, die mich da heimsuchte, machte das alles nicht wirklich besser. Aber ich hatte gelernt, damit umzugehen, einfach nicht mehr daran zu denken und mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Kurz schüttelte ich den Kopf, um auch die letzten gefürchteten Bilder aus meinem Kopf zu verbannen, und mein vom Regen leicht durchnässter Pony wirbelte von der einen auf die andere Seite, was ich mit einer routinierten Handbewegung wieder richtete. Und ohne dass ich es wirklich gemerkt hatte, war der gesamte Weg bereits zurückgelegt und ich stand einige Meter vor dem Eingang der schwach beleuchteten Kneipe. Einmal tief durchatmend warf ich einen verstohlenen Blick auf ein paar wenige Personen, die unweit weg an einer Mauer lehnten, sich ausgelassen unterhielten und nach einiger Zeit meinen Blick erwiderten, sodass ich mich abwandte, die Schultern straffte und die letzten Schritte in das Trocken der Bar unsicher überwand. Tsuzukus POV Genießerisch schloss ich die Augen während ich einen weiteren Schluck meiner geliebten Substanz nahm. Das tat so gut...Meine Kopfschmerzen waren mittlerweile fast völlig verschwunden, was auch an dem Alkohol legen könnte. Bereits das zweite Glas der goldenen Flüssigkeit in der Hand sah ich immer wieder ein wenig um mich, in der Hoffnung auf potenzielle Beute, allerdings sah es heute nicht sonderlich gut aus. Ich saß in einer der hinteren Ecken und hatte somit eine gute Übersicht über den gesamten Laden. Meine Lederjacke hatte ich über die Stuhllehne gehängt, damit sie ein wenig trocknen konnte. Ein kurzer Griff in die Spitzen meines Haares verriet mir, dass auch dieses sich fast komplett von der Nässe erholt hatte und nun wieder locker über meine Schultern fiel. Einen weiter Schluck nehmend richtete ich meine Augen wieder auf die sich grade öffnende Eingangstür. Vielleicht verbesserten sich ja gleich die Aussichten auf weibliche Gesellschaft.... Doch die Person, die nun eintrat, war zwar klein und relativ zierlich, bei weitem aber nicht weiblich. Der Junge hatte dunkelbraunes Haar — was nun wirklich nichts Seltenes hier zu sein vermochte —, allerdings war es markant geschnitten. Hinten kürzer, nur der Pony länger, welcher eines der mandelförmigen grünen Augen verdeckte, jedoch sofort mit einer raschen Handbewegung wieder an seinen Platz verwiesen wurde. Verdammt! Ich konnte nur noch darauf hoffen, dass er mich hier hinten nicht entdeckte und sich stattdessen vorne an die Bar setzte. Mein Blick, welchen ich schnell abgewandt hatte, sobald ich Frank erkannt hatte, wanderte nun wieder in dessen Richtung. Er stand immer noch etwas verloren dort vorne und sah sich prüfend um, ganz offensichtlich nach jemanden Ausschau haltend. Nach mir Ausschau haltend. Schnell fixierte ich wieder einen anderen Punkt, senkte das Haupt, in der Hoffnung meine Haare würden mein Gesicht so verdecken, dass Frank mich nicht erkannte, doch das half nichts. Ich sah es nicht, aber ich spürte es, sein Blick ruhte auf mir, durchbohrte mich förmlich. Nervös biss ich mir auf die Lippe und bereute es sofort, da sie mich mit einem pulsierenden Schmerz dafür bestrafte. Und als ob das nicht schon genug wäre, vernahm ich Frank, welcher nun direkt vor meinem Tisch stand, wie er mich mit freundlicher, leiser, aber dennoch fester Stimme ansprach. „Hey" Ich ließ den Blick gesenkt, antwortete nicht. Dem Kleinen schien das aber ziemlich egal zu sein. „Ist da noch frei?" Fragte er mit derselben Tonlage und deute auf den Stuhl mir gegenüber. Na schön, ich würde wohl oder übel nicht daran vorbeikommen, mich auf diese Unterhaltung einzulassen, immerhin war ich es ihm ja schuldig. Also hob ich meinen Blick, löste ihn vom Boden und sah direkt in Franks Augen. Mir fiel erst jetzt auf, dass auch ein gewisser Braunton sich in deren grüner Färbung fand. Eben jene Augen sahen mir abwartend entgegen und um auf seine Frage zu antworten, nickte ich einfach nur. Er begann verhalten zu grinsen, nuschelte irgendwas — mit viel Fantasie klang es wie ein "danke" —, zog sich dann die Jacke von den Schultern, welche die Aussicht auf sein weißes, etwas locker sitzendes Hemd freigab, hängte sie über seinen Stuhl und setzte sich. Die Ärmel des Hemdes waren bis zur Hälfte seiner Unterarme hochgekrempelt und sofort vielen mir zahlreiche Tattoos auf, die sich vermutlich über seinen gesamten linken Arm erstreckten. Sie passten zu ihm, ließen ihn durch die bunten Farben etwas rebellisch wirken, genauso wie die Handschuhe an seinen Händen, die einen Skelett-Print trugen. Während ich ihn mir so besah, ergriff besagter wieder das Wort. „Alsoooo...wie geht’s dir so? Tut's noch weh?" erkundigte er sich nach meiner Lippe und Nase, dabei immer noch ein Lächeln auf den seinen Lippen. Reflexartig schüttelte ich den Kopf. Natürlich hatte ich noch einige Schmerzen, aber das ging ihn ja nichts an. Jetzt war es wohl an mir, etwas zu sagen. „Du siehst müde aus... Willst du was trinken?" Immerhin war es so abgemacht; ein Drink und ein Gespräch. Mit dem Getränk wäre der erste Punkt abgehakt und nach dem heutigen Abend würde ich ihn auch nie wieder sehen müssen. „Ja, bin völlig erschöpft....und wegen dem Drink, lass das mal meine Sorge sein, ich hole uns was." Damit stand er wieder auf und tänzelte Richtung Bar, nicht ohne mir vorher noch einmal zuversichtlich zuzulächeln. Warum machte er das denn nun schon wieder? Immerhin war doch abgemacht, dass ich ihm was ausgab und nicht anders rum. Resignierend seufzte ich leise und rutschte leicht auf meinem Stuhl hin und her, bis ich eine etwas bequemere Position gefunden hatte. Dann kam Frank auch schon wieder angedackelt, in beiden Händen jeweils ein Glas, vermutlich gefüllt mit Scotch. Er war schon fast am Tisch angekommen, als ein anderer Gast plötzlich aufstand und somit seinen Stuhl ruckartig zurückschob. Eines der Stuhlbeine schob sich direkt vor Franks Füße, welcher beinahe gestürzt wäre, sich jedoch abenteuerlich verrenkte und schließlich wieder sicher zum stehen kam. Das ganze sah zugegebenermaßen recht komisch aus, was durch den etwas verstörten Blick des Kleinen verstärkt wurde, welchen er im Gesicht trug während er wieder am Tisch ankam und die Gläser abstellte. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie nicht ausgekippt waren. „Hier", schob er mir eines der durchsichtigen kleinen Gefäße hinüber und nahm auch gleich einen Schluck aus seinem eigenen. „Danke." „Bist wohl nicht sonderlich gesprächig, hm?" Er hatte diese Bemerkung natürlich nicht böse gemeint, aber dennoch — ich war ja nicht derjenige, der um diese Unterhaltung gebeten hatte. „Und wenn schon", gab ich schroff zurück und ergänzte dann: „Sag einfach, was du wissen willst." Frank ließ sich nicht beirren und erhielt sein sanftes Lächeln aufrecht, während er antwortete. „So viel wie ich eben aus dir rauskriege." Ein leises Kichern entkam meinem Gegenüber. Es klang so aufrichtig und unschuldig.... Kurz sah ich von meinem inzwischen schon halbleeren Glas auf, direkt in seine strahlenden Augen, wand meinen Blick allerdings sofort wieder ab und ließ ihn ziellos durch den Raum wandern, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. „Als was arbeitest du, Tsuzuku?" „…" „Tsuzuku?" „Ja?" „Hast du einen Job?" „Naja....ja, hab ich" Anscheinend freute sich der Kleine über diese Tatsache, denn sein Grinsen wurde breiter und seine graden, weißen Zähne zeigten sich dabei ein wenig. „Ohh als was denn? Als was arbeitest du? Ich arbeite in einem Comicladen, der ist total cool, ich darf immer in meinen Pausen die Comics lesen. Also, was ist mit dir?" Gebannt blickten mich zwei große Augen an, warteten auf eine Antwort. Frank redete anscheinend gerne und ziemlich viel....ich konnte mich gar nicht daran erinnern, ihn nach seiner Arbeit gefragt zu haben~ Doch was sollte ich antworten? Am besten sagst du ihm einfach die Wahrheit! Ich würde ihn ja eh nie wieder sehen, da konnte ich ihm einfach geben, was er wollte. „Das ist verschieden. Ich hab keine Festanstellung oder so. Das Arbeitsamt hat mir jemanden zugeteilt, der mich über Tages- und Gelegenheitsjobs informiert, und damit verdien ich meinen Lebensunterhalt." „Da verdient man aber doch sehr wenig, oder?" Seine Miene veränderte sich, nahm etwas Fragendes, Besorgtes an, und seine feinen, geschwungenen Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. „Naja es reicht...zum Überleben~" „Warum suchst du dir nicht einen richtigen Job? Da würdest du viel mehr verdienen." „Ich...das kann dir doch egal sein!" „Ich möchte es aber wissen", beteuerte er nun, ließ mich nicht einen Moment aus den Augen. Mir wurde zunehmend unwohler, mein Magen verkrampfte sich etwas, was allerdings auch daran gelegen haben könnte, dass ich heute nicht wirklich viel gegessen hatte. „Ach keine Ahnung..." „Fehlt dir die...ich meine..hast du denn einen Abschluss? Einen Schulabschluss?" Ich schwieg. Warum interessierte ihn das?? Mein Blick war starr auf mein nun leeres Glas geheftet, Augenkontakt vermied ich um jeden Preis. „Na gut, du musst ja nicht drüber reden...wie sieht’s mit Familie aus? Eltern, Geschwister?" Verdammt, wollte er mich ins Grab bringen?? Weiteres, desinteressiertes Schweigen meinerseits. „Tsuzuku?" Seine Stimme war leiser geworden, vorsichtiger. Mein Ruhigsein schien ihn leicht zu verunsichern. „Es..es tut mir leid, wenn ich was falsches gemacht oder gesagt habe.." Besorgt lag sein Blick permanent auf mir, versuchte eine Reaktion auszumachen. Langsam reichte es mir, merkte er denn nicht, wie unwohl ich mich fühlte? Es war doch offensichtlich, dass ich nicht über solche Dinge reden wollte~ „Hey, hör mal, wenn du Probleme hast, dann solltest du dich irgendwem—" Ich ließ ihn nicht ausreden. „Ach komm, hör doch auf, als ob es irgendwen interessieren würde!!" „Mich interessiert es." „Tut es nicht! Weißt du, was ich glaube, Frank?? Dass du ein mieser kleiner Heuchler bist! Du hast meine Wohnung gesehen und jetzt machst du dir einen Spaß daraus, mich mit all dem vorzuführen!" Ich war ziemlich laut geworden, was mir zwar eigentlich nicht ähnlich sieht, aber ich konnte nichts dafür. Einige der anderen Gäste warfen uns seltsame Blicke zu, drehten sich dann aber schnell wieder weg. „Was fällt dir ein, mir sowas zu unterstellen?!" Jetzt war Frank es, der seinen Ton festigte und bestimmter wurde, sein Lächeln war längst einem ernsten Gesichtsausdruck gewichen. Doch rasch entspannten seine Züge sich etwas und er dämpfte seine Stimme. „Okay, pass auf...ich will dir wirklich nichts böses, ganz im Ernst. Alles was ich will ist..ist dir zu helfen, irgendwie. Ja es stimmt, ich weiß um die Zustände bei dir in der Wohnung und genau deswegen bringt es nichts, sich hier so aufzuführen. Ich weiß, wie es dir wirklich geht, glaub mir." „Ich brauche aber keine Hilfe.." Meine Stimme war nur mehr ein Flüstern, die ganze Situation überforderte meinen gesamten Organismus. Grob und verzweifelt fuhr ich mir mit meiner Rechten durch die Haare. Ich durfte keine Schwäche zeigen, denn dann wäre ich verletzlich und das durfte nicht sein.. „Oh doch, die brauchst du, und das weisst du, Tsuzuku. Du willst es dir nur nicht eingestehen, willst es nicht zugeben, weil du Angst hast. Du vertraust mir nicht, aber das ist okay. Ich möchte lediglich eine Chance, nur eine, dir zu zeigen, dass du mir vertrauen kannst. Ich meine es wirklich ernst." Der Kleine hatte wieder dieses Lächeln aufgesetzt. Es war zuversichtlich, verständnisvoll und vor allem war es ehrlich. Woher nahm er nur all diesen Optimismus? Sich mit mir abzumühen war doch reine Zeitverschwendung... „Bitte gib mir eine Chance, dir zu zeigen, dass das Leben so viel mehr zu bieten hat." „Warum sollte ein Tourist, der nichts über mich weiß, das wollen?" „Warum sollte ein Gelegenheitsjobber, der so gut wie pleite und zudem hoch verschuldet ist, einem Straßenmusiker sein letztes Geld geben?" Das war eine sehr gute Frage, auf die ich beim besten Willen keine Antwort wusste. Ja warum? Warum genau hatte ich es doch gleich getan? Mit leichtem Schulterzucken gab ich ihm zu verstehen, dass ich keine Ahnung hatte. „Na siehst du? Auf manche Fragen gibt es einfach keine gescheite Antwort, und wenn doch, dann sind sie uns einfach nicht zugänglich...also, wie sieht’s aus?" Ich schwieg lange, jedoch nicht aus Lustlosigkeit, sondern haderte ich mit mir selbst, wog die wenigen Argumente ab. Frank schien das zu spüren und gab mir die Zeit, drängte mich nicht weiter. Und vielleicht war genau diese Rücksichtnahme, ausschlag gebend für meine Entscheidung. Sowieso hatte ich nur ein paar wenige, fast gar keine Aspekte gefunden, die gegen sein Angebot sprachen. Ich schloss kurz die Augen, eh ich antwortete. „Na schön." Die Augen vorsichtig öffnend sah ich nun, wie sich Franks Miene aufhellte und er förmlich über's ganze Gesicht strahlte. „Danke!! Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen! Und ein Frank Iero Jr. hält, was er verspricht!" Am liebsten wäre er mir um den Hals gefallen, dass konnte ich meinem Gegenüber deutlich ansehen. Resignierend ließ ich mich in meinem Stuhl nach hinten fallen. „Und jetzt?" „Wenn du morgen Nachmittag Zeit hast, komm ich zu dir und dann räumen wir zusammen auf. Natürlich nur, wenn das ok für dich ist. Aber ich denke es wäre ein guter Anfang um dein Leben in Ordnung zu kriege, wenn wir mit deiner Wohnung anfangen." Er saß nun ganz grade und sah mich erwartungsvoll an, doch Frank war ziemlich geschafft — das konnte er beim besten Willen nicht verstecken —, gab sich allerdings große Mühe es sich nicht anmerken zu lassen. „Na schön..." „Super!! Uhm...aber ich hab deine Adresse nicht mehr..könntest du sie mir aufschreiben?" Noch immer überlegend, worauf ich mir da nur einließ, schnappte ich mir einen der Pappuntersetzer, welche sich in dem kleinen blechernen Halter auf unserem Tisch befanden, hielt dann aber kurz inne. „Hast du n Stift?" Mein Gegenüber machte große Augen und drehte sich ein Stück, um besser an die Taschen seiner Jacke zu gelangen, in welchen er nun ein wenig rumwühlte. „Irgendwo war doch...Ich hätte schwören können, dass ich....Aha!!" Triumphierend hielt er mir tatsächlich etwas hin, das einem Stift relativ nahe kam. „Du hast...Kajal dabei?" Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben und nahm das Schminkutensil entgegen — es würde schon den Zweck erfüllen, denn dieser heiligte ja bekanntlich die Mittel. Frank antwortete etwas leiser, und fing wieder schrecklich an, etwas vor sich hin zu nuscheln, von wegen 'man könne ja nie wissen' und er 'fühle sich damit etwas selbstbewusster'. Als ich ihm den beschriebenen Untersetzer samt Kajal wieder rüberschob, bedankte er sich, sein typisches Lächeln dabei aufgesetzt. Ich kannte keinen Menschen der so...so wie Frank war. Er war auf eine seltsame Art und Weise nett, hatte mir sogar noch einige Drinks ausgegeben, mir aber irgendwann einen Riegel vorgeschoben, mit der Begründung, dass zu viel Alk nicht gut sei. Er selbst hatte sich dabei mit dem Trinken sichtlich zurückgehalten, vielleicht vertrug er ja nicht so viel, wer weiß~ Wir hatten uns danach noch lange Unterhalten, er hatte viel von sich erzählt; von seiner Herkunft, einem Mädchen, deren Name mir leider kurzzeitig entfallen war — ich glaube Alice hieß sie —, von seinem bisherigen Urlaub, von einem Kumpel, der auch im Hotel wohnte, aber morgen abreisen würde und von seiner Gitarre. So hatten wir viel Zeit verbracht und er hatte sichtlich Spaß daran gehabt, sich mir so richtig vorzustellen, während ich geduldig zugehört hatte, allerdings meist selber schweigend. Auf die Frage, ob diese Alice seine feste Freundin sei, hatte er verneint und etwas beschämt gen Boden gestarrt, daraufhin jedoch noch etwas weitererzählt, bis wir uns schließlich schwerfällig erhoben, unsere Jacken nahmen und nach draußen gingen. An der frischen Luft angekommen atmete ich erst einmal tief durch. Der Regen hatte zum Glück nachgelassen und war nur noch als ein Herabfallen vereinzelter kleiner Tropfen zu bezeichnen. „Hoffentlich verlaufe ich mich nicht....",nuschelte Frank wieder und sah besorgt in die Richtung, in die er bald verschwinden würde. Ich wollte schon zu einer Verabschiedung ansetzen und selber meinen Heimweg einschlagen, da fiel mir noch etwas sehr wichtiges ein. „Frank?" „Hm?" „Es...es tut mir leid, dass ich..naja das mit von wegen Heuchler und so.." Etwas unbeholfen gestikulierte ich mit meinen Händen in der Luft herum, worauf ihm wieder dieses kleine verzückende Kichern entkam, er einige Schritte auf mich zu trat, zu mir empor blickte und dann, als wäre es das normalste von der Welt, seine Ärmchen kurz aber bedacht um meinen Oberkörper schlang. „Schwamm drüber, ja?" Immer noch stark irritiert und überrumpelt von seiner plötzlichen Nähe nickte ich schwach, war allerdings nicht in der Lage, die kurze Umarmung zu erwidern – war ich einfach nicht der Mensch, der mit solch kleinen Gesten umzugehen wusste. Der Kleine ließ von mir ab und brachte damit wieder ein wenig Abstand zwischen uns. „Wir sehen uns dann morgen?" „Darauf wird es hinauslaufen.", ich zog bei meinen Worten einen Mundwinkel etwas nach Oben, musste grinsen bei dem breiten Lächeln, das mir der Kleinere mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit entgegenbrachte, ~ Damit verabschiedeten wir uns und auf meinem Heimweg ließ ich unser Gespräch noch einmal Revue passieren. Ich wusste nicht, wie ich dem morgigen Treffen entgegen sehen sollte, auch wenn ich ihn nun etwas besser kannte – doch ich verspürte eine leise Stimme in meinem Kopf, die mit unaufhörlich sagte, dass es ein Fehler war, ihn an mich heran zu lassen, dass es unüberlegt gewesen war, dass ich ihn kaum kannte und ich ihm kein Vertrauen schenken sollte... Ich versuchte sie zu ignorieren. Nur ein einziges Mal, wollte ich sie ignorieren können. Wollte mir nicht anhören müssen, was ich alles für Fehler gemacht hatte und noch machen werde – wie unfähig ich bin…wie kaputt und verdreht~ Es war ein Versuch, den ich wagen musste – auch wenn ich es vielleicht bereuen würde. Erst, als ich schon wieder in meiner Wohnung angelangt war, stolperte ich über eine gewisse Tatsache, die mir jetzt im Nachhinein auffiel; Frank hatte zwar viel über sich, Gott und die Welt erzählt, allerdings hatte er kein einziges Wort über seine Kindheit oder seine Familie verloren… Kapitel 6: Black and White – there is nothing between… ------------------------------------------------------ Black and White – there is nothing between… Frank POV Tokyo bei Nacht hatte schon einen gewissen Charme. Die vielen Lichter in der Dunkelheit, kleine Menschengruppen, die meinen Weg kreuzten und sogar vereinzelt noch geöffnete Läden – kleine Supermärkte. Ja man könnte wirklich sagen, dass diese Stadt niemals schlief und ich war Froh, diese nächtliche Atmosphäre noch einmal genießen zu können. Mit einem Lächeln auf den Lippen und vollkommen zufrieden mit meinem Treffen mit Tsuzuku bog ich gerade in eine kleinere Seitenstraße ein, eine Abkürzung zu meinem Hotel, die mir Jake bei meinem ersten Besuch in der Bar gezeigt hatte. Meine Schritte verlangsamten sich etwas, als ich glaubte eine Bewegung in der Dunkelheit vor mir ausmachen zu können. Eine Gruppe etwa mittelgroßer Gestalten, die anscheinend bis vor kurzen an einer Mauer gestanden hatten, lösten sich nun von dieser und traten in die Mitte der Straße. Beinahe wäre ich komplett stehen geblieben, wie angewurzelt und hätte die vier Männer einfach nur weiter wie dämlich angestarrt, welche sich nun in meine Richtung wandten und auf mich zukamen. Sie gingen fast direkt nebeneinander, und füllten somit die schmale Straße von links nach rechts, sodass man nicht einfach an ihnen vorbei gehen könnte. Ich beschleunigte meinen Schritt wieder etwas, in der Hoffnung sie würden Platz machen, wenn ich näher an sie heran käme, doch sogar, als ich bereits in ihre Gesichter sehen konnte, gingen sie weiter geschlossen auf mich zu. Ich kniff meine Augen zusammen und fixierte das Gesicht von einem, der relativ mittig ging. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Ich betrachtete den nächsten und erinnerte mich langsam wieder. Ich hatte sie schon einmal gesehen vor ein paar Tagen in der Bar, als ich Tsuzuku half. Sie waren es, denen er Geld schuldete. Innerlich hoffend, dass sie mich nicht erkannten, wusste ich doch eigentlich bereits, dass es kein Zufall sein konnte hier auf sie zu treffen. Ich senkte den Kopf wieder etwas, tat desinteressiert, als würde ich sie nicht kennen, da sprach auch schon einer von ihnen schallend in meine Richtung: „Einen Moment bitte junger Herr.“ Seine Stimme klang irgendwie höhnisch und ich fühlte, wie meine Nackenhaare sich aufstellten. Sicher hatte ich bereits Erfahrungen mit solchen Situationen gemacht, doch vier Kerle, die auch noch größer und stämmiger als ich waren würde ich nicht auf einmal abwehren können. Ich versuchte einfach weiter verbissen den Kopf gesenkt zu halten und irgendwie an ihnen vorbei zu kommen, doch als ich ihnen direkt gegenüberstand, stieß einer von ihnen mich unsanft an der Schulter zurück, sodass ich einige Schritte nach Hinten taumelte. „Ich sagte einen Moment bitte Kleiner!“, sprach der größte von ihnen nun wieder mit Nachdruck. Ich schnaubte nur verächtlich, erwiderte allerdings nichts, um sie nicht noch mehr zu provozieren. Auf eine Prügelei, die für mich garantiert nicht glimpflich enden würde hatte ich nun wirklich keine Lust. „Du bist ja anscheinend ein Freund von unserem kleinen Schuldner – Herrn Takayama. Währst du wohl so freundlich ihm etwas auszurichten?“, wieder sprach er mit dieser verächtlich süßlichen Stimme und versuchte anscheinend eine Antwort an mir auszumachen. „Du brauchst gar keine Angst zu haben mein Kleiner wir wollen nur, dass du ihm etwas ausrichtest. Du verstehst doch, dass wir schon gerne unser Geld wieder hätten.“ Ich nickte knapp, presste allerdings immer noch meine Lippen aufeinander. Natürlich hatten sie irgendwo recht, dass Tsuzuku ihnen das Geld zurück zahlen musste, weil er es sich schließlich auch geliehen hatte, doch ihre gespielt süßliche Art ging mir zunehmend immer mehr auf die Nerven. „Siehst du wir verstehen uns mein kleiner. Weißt du dein Freund trinkt gerne mal einen über den Durst und da braucht man nun mal Geld zu und wir verleihen ja gerne etwas, nur wollen wir es dann auch zurück haben. Sonst können wir ganz schnell auch nicht mehr so spendabel und großzügig sein. Naja du wirst dich da schon drum kümmer, sonst müssen wir Takayama wohl oder übel noch einmal einen Besuch abstatten – bis nächste Woche ist das Geld da. Klar?“ Wieder nur ein Nicken von mir. Mir war schleierhaft, wie Tsuzuku in diese Lage kommen konnte, doch das er gerne trank und oft nicht wusste, was er tat stimmte wahrscheinlich. Sein häufiges Schweigen machte es mir aber auch nicht gerade leichter, ihn zu verstehen. „Sehr gut. Wir sehen uns dann hoffentlich nicht noch einmal wieder Kleiner.“, er fing an zu lachen und die vier Kerle schoben sich nun endlich an mir vorbei, und verschwanden wieder in Richtung Hauptstraße, von wo nur gedämpftes Licht in die kleine Gasse viel. Irgendwie beschlich mich langsam das Gefühl, dass ich ein gewisses Talent hatte in solche Angelegenheiten rein zugeraten. Damals hatte ein Freund von mir ebenfalls Probleme mit einer Art Bande gehabt, allerdings nicht wegen Geld oder etwas ähnlichem – mir waren die Gründe, warum er mit ihnen auf Kriegsfuß gestanden hatte immer noch nicht ganz klar – alles was ich noch wusste war, das er mich mit in die Sache hineinzog und ich nur mit einer gebrochenen Rippe und unzähligen Blessuren da wieder heraus gekommen war. Seit dem hatte ich Abstand zu dem Jungen gehalten, verging mir doch danach die Lust auf Schlägereien und dieses ganze Bandengehabe. Leider hatten nicht alle Kids aus meinem Heim diese Einstellung, so rutschten viele leicht in zwielichtige Schichten ab, verfielen dem Alkohol oder Drogen und machten sich Schulden, ganz ähnlich wie bei Tsuzuku – nur dass es bei ihm nicht aus Jugendlicher Rebellion heraus, sondern aus einem anderen Grund sein musste. Langsam hob ich meinen Kopf wieder, strich einmal fahrig durch meinen langen Pony und setzte dann etwas schwankend meinen Weg fort. Zu gerne würde ich wissen, wie tief Tsuzuku wirklich in all dem steckte, wie kaputt sein Leben wirklich war und ob sich das alles überhaupt noch gerade biegen lies. Meine gute Laune und mit ihr mein Lächeln waren nach dieser Begegnung wie weggewischt und einer Nachdenklichkeit gewichen. Ich konnte nicht sagen, warum mich das alles so beschäftigte, warum mir das alles hier so nahe ging... vielleicht weil mich vieles an mich selber erinnerte… - Immer noch meine Begegnung der gestrigen Nacht im Hinterkopf wankte ich aus meinem Hotel in die Richtung von Tsuzukus Wohnung. Glücklicherweise hatte die Dame an der Rezeption ungefähr gewusst, wo die Straße, die der Schwarzhaarige notdürftig auf den Untersetzer gekritzelt hatte lag und so hatte ich auch nicht allzu große Probleme das Wohnhaus wieder zu finden. Fast in Lichtgeschwindigkeit lief ich das Treppenhaus hinauf und stand wieder meinen Erwartungen vor einer speerangelweit offen stehenden Tür. Etwas misstrauisch tat ich einen Schritt über die Türschwelle und lugte in die Wohnung. Es war still und das Licht schien gedämpft, durch vorgezogene Vorhänge. Ganz spontan trat ich ein – wenn die Tür schon mal von alleine offen stand, konnte ich immerhin ohne weitere Proteste Seitens Tsuzuku die Wohnung betreten. Ich lugte um die Ecke in den Wohnbereich – alles schien normal und so konnte ich auch nach kurzem Umschauen den Schwarzhaarigen an seinem Schreiptisch sitzen sehen. Mit dem Rücken zu mir und wieder einmal nur bekleidet mit seiner schwarzen Jogginghose. Vielleicht war er einfach kein Fan von Oberteilen – wer weiß? Mich sollte das nicht stören. Er hatte den Kopf auf eine Hand gestützt, das glatte schwarze Haar zwischen den Fingern, mit der anderen Hand in den Papierstapeln vor ihm blätternd. Er schien ganz leise etwas zu summen, doch ich konnte weder die Melodie, noch den Text richtig verstehen. Fast schon etwas Melancholisches hatte dieses Bild von ihm. Fast schon zerbrechlich wirkt seine schlanke Statur – Schulterblätter und Wirbelsäule zeichnen sich in seiner gebeugten Position ein wenig bizarr unter der der blassen Haut ab. Wie konnte solch einem Menschen nur so viel schlechte widerfahren, dass er so einsilbig und schweigsam wird - das ihm sein Leben so aus den Fingern entgleitet. Ich habe mir schon oft diese Frage gestellt, wie solche Dinge geschehen können. Nicht nur bei ihm. Aber ich fand keine plausible Antwort darauf~ Ich trat noch einige Schritte näher und das leise Summen seinerseits verstummte allmählich. „Hey.“, flüsterte ich, als würde mir die Stimme versagen und ich musste mich räuspern. Er drehte seinen Kopf leicht zur Seite, entließ die Haare aus seinen Fingern und stand mit einer flinken Bewegung vom Stuhl auf, fast wie ein aufgeschrecktes Tier. Fast misstrauisch schien er zu beäugen, wie ich meine Umhängetasche abnahm und sie in die nächstbeste Ecke legte. Auf meinen Gruß erwiderte er nichts. Tsuzukus POV Schädlinge, Ungeziefer, ein unerwünschter Gast. Nein so konnte ich ihn nicht nennen, auch wenn mein Inneres mir sagte, dass er genau das war. Ich fühlte mich plötzlich unwohl, als er hinter mir stand und mich grüßte, als wäre es das natürlichste von der Welt. Dabei war ich es doch gewesen, der extra für ihn die Tür offen gelassen hatte, der irgendwie mit einem Ziel vor Augen heute Morgen aufgestanden war, der eine kalte Dusche und ein mehr oder weniger ordentliches Frühstück über sich ergehen lassen hatte und sich danach auch noch motiviert gefühlt hat sich an seinen Schreibtisch zu setzten, um mal wieder in… Erinnerungen zu blättern. Dieser Morgen war so anders gewesen. Doch nun schien meine gesamte Euphorie wie weggeblasen, nur durch ein einfaches „Hey“. Wie konnte ein einfaches Wort mich so aus der Fassung bringen, dass all die schlechten Gedanken zurückkehrten und in mir den Wunsch auslösten zu verschwinden – meinen Gast als einen Eindringling zu empfinden - hatte ich dem Treffen doch selber zugestimmt. Zugegeben ich hatte getrunken, am gestrigen Abend, doch nicht so viel, dass ich unüberlegte Entscheidungen treffen würde. Aber ich irrte mich wahrscheinlich auch in diesem Punkt – wenn ich jemals in etwas richtig gelegen hatte. Der sonst so quirlige Kerl, schien allerdings heute etwas ruhiger zu sein, stellte seine Tasche ab, was auch immer sich darin befand, und schaute darauf einfach zu mir herüber. Er sah mich an, ich konnte seinen Blick förmlich auf mir spüren und es war mir unangenehm, auf eine merkwürdige Art und Weise, hatte ich normalerweise kein Problem wenig bekleidet herum zu laufen. Langsam beruhigte sich mein Körper wieder, meine Gedanken liefen wieder gerichteter und ich versuchte mich an den Mann in meiner Wohnung zu gewöhnen. Normalerweise befand ich mich meistens in einer Art Delirium, wenn ich Besuch hatte und erinnerte mich nur spärlich an diesen. „Wie… geht es dir?“, fragte Frank nun wieder, anscheinend gewillt eine Unterhaltung anzufangen, doch ich schaute nur weiter verbissen im Raum herum. Mir war nicht mehr nach reden – mein Körper schien eher abwehrend zu reagieren, auf seine Anwesenheit. Ich kannte ihn kaum, er stand mitten in meiner Wohnung und mit einem Mal kam mir das alles hier so falsch vor, als hätte ich ihn niemals herein lassen dürfen. „Tsuzuku wir müssen reden… ich wurde gestern Abend von den Kerlen, denen du anscheinend Geld schuldest angehalten. Ich glaube du steckst echt in der Scheiße, wenn du nicht bis nächste Woche bezahlst. Kannst… Kannst du zahlen?“, er kratze sich etwas verlegen am Kopf. Ich fühlte mich, als wollte mich die Welt bestrafen. Was hatte er damit zu tun? Warum mischte er sich einfach so ein? Ich fühlte mich vorgeführt, fast schon peinlich war mir seine Frage. Natürlich konnte ich nicht zahlen, warum musste er mich jetzt auch noch so damit vorführen. Es schien mir alles immer mehr wie ein großer Fehler. ER schien immer mehr wie ein Fehler. „Tsuzuku ich glaube sie machen echt Stress, wenn du nicht zahlst und ich… naja ich will nicht, dass sie dir wieder was tun.“ Fast unerträglich brannten sich seine Worte in meinen Kopf. Ich wollte das alles nicht hören. Dieses Getue, als wollte er mich helfen. Nein er wollte doch nur seinen Spaß. Sie alle wollen immer nur ihren Spaß. Ich biss mir auf die Unterlippe und schwieg – wollte mir nicht ansehen lassen, was ich dachte, bis ich Blut schmeckte. Meine Augen fixieren den Mann, den Eindringling, fast schon Hass erfüllt. Konnte er nicht einfach wieder gehen? Konnte ich nicht einfach gehen? Alles in mir verlangte danach. Danach und nach Ablenkung. Wollte ich doch einfach alle Erinnerungen an das hier ertränken. „Tsuzuku?“ Er riss mich aus meinen Gedanken und ich schüttelte verbissen den Kopf. Mehr um wieder klar denken zu können, als ihm eine Antwort zu geben. Meine Gefühle schienen manchmal unberechenbar. Frank räusperte sich und drehte sich einmal um die eigene Achse, dann trat er etwas näher an den Tisch heran, an dem ich bis eben noch gesessen hatte, strich mit einem Finger, über eines der Papiere. Immer noch stand ich wie angewurzelt da und versuchte einfach an gar nichts zu denken, denn einen Wutausbruch oder etwas Ähnliches wollte ich auf gar keinen Fall bekommen. Er schien ja ohnehin schon auf mich herab zu sehen, mich zu bemitleiden – in seiner perfekten Welt, wahrscheinlich mit einer liebevollen Familie, einem gesicherten Leben. Ich schloss kurz die Augen. „Was sind das für Zettel?“, fragte er nun wieder leise. Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen: „Es ist nichts.“, sagte ich mit monoton ruhiger Stimme. Ja sie waren nichts. Nichts wert, nur Müll, nahmen Platz weg – doch was kümmerte mich das. Sie waren Vergangenheit nicht mehr und nicht weniger – zerplatze Träume, an die ich naiv genug war zu glauben. Aber das musste ihn nicht kümmern. Nein ihn hatte eigentlich absolut nichts zu kümmern, was mich anging. Wie gesagt, alles war ein großer Fehler, ein Versuch meiner Seitz gewesen auszubrechen. Jemand zu sein, der ich nicht bin. „Ich glaube es wäre besser, wenn du wieder gehst.“, höre ich meine eigene Stimme sagen – ungewöhnlich laut schien sie durch den kleinen Raum zu hallen. War es besser? Wahrscheinlich. Ich wollte nicht in seiner Schuld stehen und ich hatte mich um wichtigeres zu kümmern, als meine Wohnung herzurichten. Betrunken war ich gewesen gestern – ja betrunken. Nichts weiter hatte mich dazu getrieben. „Aber… wir haben es doch noch nicht einmal probiert.“, sprach er und erinnerte mich irgendwie an ein kleines Kind, dem man gesagt hatte, dass der Weihnachtsmann nicht existieren würde. „Ist doch egal... alles ist egal.“, sprach ich nun wieder leiser und drehte ihm den Rücken zu, starrte zu dem mit Vorhängen verdeckten Fenster. „Willst du denn wirklich schon aufgeben ohne es versucht zu haben?“ Seine Hartnäckigkeit nervte. Egal was ich sagte, es würde falsch sein in seinen Augen. Ich brauche Ruhe. Nicht ihn und seine ach so schlauen Tipps und schon gar nicht seine Hilfe – nur Ruhe. „Ja das will ich, du hast es erfasst. Du musst nicht für mich sorgen, mir versuchen zu helfen. Man kann nicht helfen, wo keine Hilfe gebraucht wird. Such dir irgendeinen anderen, dem du dich aufdrängen kannst.“, ich sprach ruhig und legte auch keinen Wert darauf mich herum zu drehen, um seine Reaktion sehen zu können. Lediglich den Vorhang zog ich mit einem Ruck beiseite und schaute durch das leicht beschlagene Fenster auf die Straße hinaus. Es ist eine Weile still – zu still. Frank schient meine Direktheit die Sprache verschlage zu haben, doch mir sollte es nur recht sein. „Jetzt reicht es aber! Kannst du bitte aufhören dich wie eine hysterische Frau mit Stimmungsschwankungen aufzuführen! Du weißt ja selber nicht einmal, was du willst. Könntest du bitte mal ganz tief in deinem Kopf kramen, ob du irgendwo noch einen Hauch von Vernunft findest oder ob du dir die Birne so zugeknallt hast, dass da drin nur noch Schwachsinn und komplett Schaden zu finden ist. Und jetzt geh gefälligst zu deinem beschissenen Schrank, zieh dir etwas an und komm mal wieder klar. Ich muss jetzt erst mal eine rauchen. Also echt…“, immer noch leise vor sich hin fluchend griff Frank wieder nach seiner Tasche und zog eine Zigaretten Schachtel hervor. „Solltest du vielleicht auch tun, wenn du damit wieder den Mist, den dein Kopf fabriziert auf die Reihe bekommst.“, nun erinnerte er mich ganz stark an eine hysterische Frau, aber man musste ihm lassen, dass er wirklich austicken konnte. Verbissen und etwas abgebremst von seinen Worten schüttelte ich wieder den Kopf, wagte allerdings auch nicht, etwas zu erwidern. Endlich schien mein Kopf leer, keine Gedanken mehr… nur Verblüffung… Franks POV Eine Weile stehe ich nur an dem offenen Fenster und rauche. Manchmal brauche ich das einfach um runter zu kommen, gibt es doch genug Dinge, die mich aus der Fassung brachten. Ich hab nie gedacht, dass es leicht wird, irgendwie auf den Schwarzhaarigen zugehen zu können, doch er schien häufig recht unüberlegt, mehr aus dem Affekt zu handeln. Nie darüber nachzudenken, was er tat und oft seine Meinung zu etwas zu ändern. Vielleicht taten ihm ein paar harte Worte mal ganz gut. Ein Versuch war es wert. Wieder führte ich die Zigarette zwischen meine Lippen und inhalierte den grauen Rauch. Es gab Menschen, bei denen musste man einfach hartnäckig bleiben. Nach einiger Zeit schnipste ich meine Zigarette aus dem Fenster, blieb allerdings noch stehen und genoss ein wenig die frische Luft. Ich wollte schon wieder rein gehen, als das Fenster noch ein Stückchen weiter auf geschoben wurde und somit etwas Platz neben mir schaffte. Etwas verblüffte schaute ich dabei zu, wie der Schwarzhaarige sich neben mich schob, sich auf das Fensterbrett lehnte und sie eine meiner Zigaretten anzündete. Die ersten paar Züge schwieg er, starrte einfach nur gerade aus und schien nachzudenken, dann drehte er den Kopf in meine Richtung, schaute allerdings nicht in mein Gesicht, sondern irgendwo Unterhalb, auf meine Brust. „Frank… ich… du musst verstehen, dass das alles bei mir ein bisschen anders funktioniert, als bei den meisten Menschen.“, sprach er leise und etwas stockend und im ersten Moment wusste ich nicht, was er meinte, doch er sprach einfach weiter. „Ich habe Schwierigkeiten die Hilfe von Menschen anzunehmen – allgemein erst mal Menschen an mich heran zu lassen. In meinem Kopf geht es so: entweder ja oder nein, ich vertraue jemandem oder nicht, ich Freunde mich mit dir an, oder nicht. Entweder das eine oder das Andere. Sicherheit und Gefahr liegen nur einen Hauch von einander entfernt. Ein Zwischending gibt es nicht und mein Kopf schwankt oft zwischen der einen und der anderen Seite. Mal habe ich kein Problem mit der Anwesenheit anderer und dann, als hätten sich auf einmal ein Schalter in meinem Kopf umgelegt, fühle ich mich unwohl und bedroht, obwohl du gar nichts gemacht hast.“ Ich schaute in sein Gesicht, welches allerdings immer noch leicht von mir abgewandt war. Er schien immer noch große Probleme zu haben, sich mir auch nur ein bisschen zu öffnen. „Deshalb verstehe es bitte, wenn ich nicht auf jede Frage eine Antwort geben will, manchmal abweisend bin und nicht möchte, dass du meine Wohnung umgestaltet, persönliche Dinge von mir anfasst. Ich möchte es nicht… noch nicht zumindest. Ich weiß nicht, ob mein Kopf meine Entscheidung nicht in den nächsten zehn Minuten zu Nichte machen wird, aber ansonsten könnten wir uns ja erst mal etwas mehr kennen lernen und wenn ich wieder mal austicke, dann gib mir Zeit und bleib hartnäckig, so wie eben. Ich glaube das ist im Moment der einzige Weg.“ Etwas verwundert, waren es die längsten Sätze, die er jemals zu mir gesagt hatte, stützte ich mich nun auch auf dem Fensterbrett ab, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. Er schielte bei Seite, doch ich sah weiter stur in sein Gesicht: „Tsuzuku es tut mir leid, wenn das alles etwas schnell für dich ging. Vielleicht überstürze ich gerne Dinge.“, ich musste lächeln: „Ich wusste ja nicht, dass du so immense Probleme damit hast. Aber glaub mich, ich würde dir niemals etwas tun. Da musst du mir einfach vertrauen. Wir kennen uns noch nicht lange, aber ich will dir wirklich nur ein wenig Gesellschaft leisten, mich vielleicht sogar ein bisschen mit dir anfreunden – weiter nichts.“ Der Schwarzhaarige lenkte seinen Blick kurz zu mir herüber, wanderte dann allerdings sofort wieder weiter: „ Frank ich weiß nicht, ob du dieses Gefühl kennst, wenn du einfach niemandem mehr vertrauen willst, weil du zu oft hintergangen und verletzt wurdest. Ich weiß nicht, ob ich es kann, vielleicht in den Momenten, in denen ich klar denken kann, aber ich versuche es – wirklich.“ Kannte ich dieses Gefühl? Verletzt zu werden? Ich wollte nicht darüber nachdenken, nicht an DAS denken. Ich schüttelte leicht den Kopf, wollte nicht, dass unterdrückte Gedanken sich in meinem Kopf breitmachten – es geschah immer, wenn ich daran dachte. „Frank?“ Ich musste einige Momente einfach nur vor mich her gestarrt haben, schaute nun wieder zu Tsuzuku herüber, der sich mir mittlerweile doch zugewandt hatte. „Ich… ja vielleicht weiß ich, was du meinst und ich verstehe dich. Ich verspreche dir, nicht zu versuchen, dich zu bedrängen. Nur eine Sache, will ich gerade biegen. Bitte lass mich dir mit den Schulden helfen. Diese Kerle haben mir nachts aufgelauert – es ist auch, um mich selber zu schützen, also verstehe das bitte.“ Er schien wieder in Gedanken vertieft, nickte dann allerdings kaum merklich. „Okay.“ Es schien ihn Überwindung gekostet zu haben, doch seine Entscheidung zauberte mir ein Lächeln auf mein Gesicht. Er ist ein faszinierender Mensch, man musste bei ihm immer um die Ecke denken, seinen Launen ausweichen, geduldig sein, doch all das würde ich aufbringen können, bis er mich akzeptiert hatte. Kapitel 7: When did the diamonds leave your bones...? ----------------------------------------------------- When did the diamonds leave your bones...? Franks POV Ein schweres, gequältes Atmen erfüllt die stickige Luft des gefliesten Raumes, es klingt wie ein armseliges Betteln um Luft. Es ist mein eigener Atem. Er geht stockend und bei jedem neuen Versuch, ein wenig Sauerstoff zu erhaschen, werde ich gestraft durch höllische Schmerzen. Sie sind überall; in meinen Beinen, meinem Rücken, in meinem Magen und in meinem Rachen, überall, ich spüre jede Faser meines Körpers. Ganz deutlich höre ich das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren, es tobt durch meine Adern wie ein reißender Fluss und ich kann es schmecken, das metallische Aroma in meinem Mund ist unverkennbar. Ich will schreien, fliehen,will dass es aufhört, doch ich rühre mich nicht. Meine Augen sind geöffnet und mit Tränen gefüllt, sie brennen von der salzigen Flüssigkeit, welche meine Wangen benetzt. Dann nehme ich noch etwas war, eine Bewegung, ein Geräusch, unmittelbar neben mir. Mein ohnehin rasendes Herz verdoppelt die Geschwindigkeit seines unregelmäßigen Rhythmus.. Wie als hätte jemand einen Schalter umgelegt schrak ich hoch. Mein Atem war flach und hektisch, mein Herz raste und ich verspürte ein starkes Gefühl der Übelkeit. Ich richtete mich noch etwas weiter auf, saß nun senkrecht, und versuchte mich zu orientieren, meine Sinne wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Raum war dunkel und bis auf mein leises Wimmern in eine tiefe Stille getaucht. Alles war okay, ich war in meinem Hotelzimmer, allein. Langsam wurde mein Atem wieder ruhiger und ich fuhr mir grob mit dem Handrücken über's Gesicht, um auch die letzten Tränen hinfortzuwischen. Ein kurzer Blick auf den Radiowecker, welcher auf dem Beistelltisch neben meinem Bett stand, verriet mir, dass es grade mal 3:24Uhr morgens war. Die hellen Ziffern reizten meine müden Augen, sodass ich sie etwas zusammenkniff, ehe ich die Bettdecke von mir strampelte und mit wackeligen Schritten die paar Meter bis ins Bad überbrückte. Dort angekommen stütze ich mich mit beiden Händen am Rand des Waschbeckens ab und wagte einen Blick in den Spiegel zu werfen, um das Ausmaß des Albtraumes begutachten zu können. Meine Haare sahen aus wie das Fell einer räudigen Katze; die kurzen standen in alle Richtungen ab, mein Pony hingegen hing verschwitzt herunter. Meine Augen waren immer noch gerötet und leicht angeschwollen, generell sah ich ziemlich erbärmlich aus und so fühlte ich mich auch. Mein ganzer Körper war erschöpft, völlig ausgelaugt, obwohl ich mich eigentlich nicht in irgendeiner Hinsicht verausgabt hatte. Doch es war normal. In Nächten wie diesen, in Nächten in denen ich aus dem immerselben Traum erwachte, fühlte ich mich, wie als ob ich grade einen Triathlon hinter mich gebracht hatte. Ich senkte mein Haupt etwas und wusch mir kurz mit kaltem Wasser übers Gesicht um die salzigen Spuren meiner Tränen zu vernichten. Zum Glück hatte immerhin die Übelkeit nachgelassen, was leider eher selten vorkam. Nun, da meine persönlichen Erste-Hilfe-Maßnahmen alle Ordnungsgemäß getätigt waren, musste ich mich irgendwie ablenken, durfte gar nicht mehr daran denken an das, was mich vor weniger als 10 Minuten aus dem Schlaf riss. Es brächte nichts, sich jetzt hinzulegen und zu versuchen, einfach wieder einzuschlafen, denn ich hatte das jetzt schon oft genug erleben müssen, um zu wissen, dass mein Unterbewusstsein mich nicht zur Ruhe kommen würde lassen. Kurz stand ich unschlüssig mitten in dem kleinen Badezimmer, wand mich dann um, zog mir das nassgeschwitze Shirt und meine Boxer aus, um in die ebenfalls winzige Duschkabiene zu schlüpfen. In solchen Momenten machte sich meine etwas geringere Körpergröße sehr nützlich. Kaum hatte ich den Hahn aufgedreht, schloss ich die Augen und genoss das Gefühl des wohligen Nass auf meiner Haut. Es war warm und sanft, gab mir ein Gefühl von Sicherheit und so verbrachte ich eine gefühlte Ewigkeit, in welcher ich einfach nur da stand und das Wasser auf mich niederprasseln ließ. Nachdem ich abgetrocknet und meine Haare geföhnt waren, zog ich mir frische Sachen an und setzte mich wieder auf's Bett. Mittlerweile war es bereits halb fünf und doch galt es noch einige Stunden tot zu schlagen, bis Leben in das große Hotelgebäude kam und das Frühstücksbuffet aufgefahren wurde. Suchend nach einem Zeitvertreib sah ich mich im dunklen Raum um, bis mein Blick auf mein Handy fiel. Relativ unmotiviert beugte ich mich ein Stück vor, um es erreichen zu können und tippte erst ein wenig gelangweilt drauf herum, ehe ich beschloss Alice anzurufen.Sie war Weltmeisterin, wenn es darum ging mich wieder aufzumuntern und das hätte ich jetzt wirklich gut gebrauchen können, doch leider ging sie nicht ran, weshalb ich ihr nur eine kurze Nachricht hinterließ. „Hey, Frank hier...ich...wollt nur mal hören wie die Lage da drüben bei dir so ist, ich ruf dann später nochmal an..bye, Rainbow." Geknickt beförderte ich das Mobiltelefon in die nächst beste Ecke und stieß frustriert ein wenig Luft aus. Niemanden zum reden zu haben war definitiv grauenvoll, es sollte gesetzlich verboten werden... Aber selbst wenn ich jemanden gehabt hätte, was hätte ich ihm oder ihr denn schon erzählt? Nichts wahrscheinlich, eine Lüge oder nur die halbe Wahrheit; dass ich einen schlechten Traum hatte, ja, aber nie im Leben hätte ich irgendwem erzählt, wovon besagter Traum handelte. Dennoch hatte ich ein Ventil, einen Zufluchtsort gefunden und er trug den Namen Musik. In ihr konnte ich mich frei und ungehindert fühlen und verarbeitete meine Erlebnisse, größtenteils die schlechten, welche leider recht zahlreich vorhanden waren... Ich schrieb aber sehr gerne und vor allem sehr viele Songs, spielte sie meist in der Fußgängerzone oder nur für mich allein, kam drauf an....manche bestanden nur aus Melodien, zu vielen sang ich jedoch auch. Zwar würde ich nie behaupten, dass ich gut darin wäre — Eigenlob stinkt ja bekanntlich — doch wenn ich mich so mit anderen Sraßenmusikern verglich,hatte ich doch schon so einiges zu bieten. Um also meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken griff ich nach dem Hals meiner Gitarre, legte mir den Gurt um und zog den Stecker des Kabels vorsichtig aus der Bugse — immerhin respektierte ich den Schlaf meiner Nachbarn — und langte, ohne meinen Platz verlassen zu müssen, in die erste Schublade des Nachtschrankes, in welchem sich neben Aspirin und Kaugummis auch ein Stift und mein ziemlich zerfleddertes Songbook fanden. Kaum hatte ich jenes aus der Schublade gefischt, fielen auch schon einige der losen Zettel heraus und breiteten sich vor meinen Füßen aus. Mit einem leichten Ächzen lehnte ich mich ein Stück vor, um die Blätter aufzuheben, als ich innehielt. Sie waren kreuz und quer übersäht mit Schriftzeichen, zweifellos handelte es sich um die Notizen, die ich neulich bei Tsuzuku hatte mitgehen lassen. Das Gefühl eines schlechten Gewissens machte sich in meiner Magengegend breit, hatte er mir doch gestern erst gesagt, er wolle nicht, dass ich seine persönlichen Sachen anfasste...aber eigentlich hatte ich es ja getan, bevor er dieses indirekte Verbot ausgesprochen hatte, also war es doch okay, oder? Von meiner eigenen Argumentation wenig überzeugt überflog ich einige der mir schon bekannten Zeilen. Verse, Reime, Gedichte — sie waren alles auf einmal und zeugten von einer Seele voll Trauer und Schmerz. Das Bild von Tsuzuku, wie er leise vor sich hin summend an seinem Schreibtisch saß und in seinen Zetteln wühlte, schob sich wieder vor mein inneres Auge. Vielleicht waren es ja auch Lyrics von selbstgeschriebenen Songs, die ich da vor mir hatte. Ob Tsuzuku sang?Ich konnte es mir gut bei ihm vorstellen, auch wenn ich noch nicht allzu oft in den Genuss seiner eher tiefen Stimme gekommen war. Wie von selbst ließen meine Gedanken nun den gestrigen Aufenthalt in der Wohnung des Schwarzhaarigen Revue passieren. Anfangs hatte jener sehr abweisend reagiert, das tat er ja aber dem Anschein nach öfter. Doch dann, nach einiger Zeit und ein paar zugegebenermaßen groben Worten, hatte er seine Haltung geändert. Er war zwar nicht wirklich aufgeschlossen gewesen, aber immerhin war er weniger..in sich gekehrt. Er hatte mir erzählt, dass es ihm schwerfiel, Hilfe zu akzeptieren und Vertrauen aufzubauen, es zuzulassen. Und er hat gesagt, ich solle hartnäckig bleiben, ich solle mich nicht beirren lassen...also wollte er es. Er wollte, dass ich nicht aufgab, was wiederum bedeutet, dass er meine Hilfe akzeptieren wollte — so fasste ich es jedenfalls auf. Und auch wenn er vielleicht nicht fähig war, es zu zeigen, dann wusste ich jetzt jedoch, dass ich mich nicht umsonst abrackerte. Alleine diese Erkenntnis zauberte mir ein sachtes Lächeln auf meine Lippen. Allerdings rückte mit jedem Tag der verging ein bestimmtes Problem immer mehr ins Rampenlicht; ein Problem namens Zeit. Die restlichen paar Tage, die mein Hotelzimmer noch mir gehörte, würden mit 200%iger Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen, um mein Vorhaben erfolgreich in die Tat umzusetzen und jetzt, da er ja wahrscheinlich hingenommen hatte, dass ich versuchte ihm zu helfen, konnte ich auch keinen Rückzieher mehr machen — mal abgesehen davon, dass ich das eh nie gewollt hatte. Mir war immernoch keine gescheite Lösung eingefallen und so legte ich die Blätter, welche ich die ganze Zeit über behutsam festgehalten hatte, wieder in die Schublade und strich mir mit einer hektisch wirkenden Geste meinen Pony aus dem Gesicht. Ich war schon drauf und dran mich endlich meinem geliebten Instrument zu widmen, als mein Blick noch einmal auf die digitale Anzeige des Weckers fiel. Schon 7Uhr?? Hatte ich wirklich solange damit verbracht, über den etwas zu schlanken Schwarzhaarigen nachzudenken? Anscheinend... Leicht perplex und auf der einen Seite erleichtert darüber, dass ich mich erfolgreich abgelenkt hatte, auf der andere traurig, dass jetzt das Frühstück anstand und ich das Gitarrespielen nach hinten verlegen musste, packte ich die relativ schwere Les Paul neben mich auf's Bett und stemmte mich hoch. Nachdenklich besah ich mir den gefüllten Porzellanteller vor mir, auf welchem ein halbes Brötchen, eine kleine Portion Nutella und einige Trauben ihren Platz gefunden hatten, entschied dann, dass es genug war und ich eigentlich eh keinen Hunger hatte und setzte mich an einen der freien Tische. Beim Hinsetzen machte mein neuer Nietengürtel ein leises klackerndes Geräusch. Erst gestern, nachdem ich bei Tsuzuku gewesen war, hatte ich ihn und ein paar rote fingerlose Handschuhe in einem Szenegeschäft gekauft. Für diese Art von Accessoires hatte ich eine richtige Sympatie entwickelt; im Gegensatz zu meinem Frühstück, welches ich noch immer nicht angerührt hatte und es auch wahrscheinlich nicht tun würde... Tsuzukus POV Als ich das dunkelrote Backsteingebäude verließ schlug mir direkt die Sonne entgegen und zwang mich, meinen Blick gesenkt zu halten. Es war bereits später Nachmittag und das machte sich in jedem meiner geschundenen Knochen mehr als bemerkbar, war ich doch den ganzen Tag seit dem Morgengrauen ununterbrochen auf den Beinen gewesen, hatte Regale ausgeräumt, geputzt und wieder eingeräumt, hatte gefegt und den Müll raus gebracht....eben das, was man als Aushilfskraft im Einzelhandel so erledigen durfte. Herr Satoshi vom Arbeitsamt hatte mich noch gestern Abend angerufen und mir die achso frohe Botschaft verkündet, dass er etwas für mich hätte. Doch ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich darüber freuen konnte oder nicht, denn mein Organismus war eigentlich nicht im geeigneten Zustand für schwere körperliche Arbeiten~ Hätte ich allerdings heute nicht los gemusst, wäre es darauf hinausgelaufen, dass Frank mich wieder meiner Ruhe und Zeitberaubte hätte. Was war das geringere Übel? Eindeutig die Arbeit, immerhin hatte ich nun endlich wieder ein wenig Geld zusammen. Im Vergleich zu anderen Unternehmen zahlte dieses sogar relativ gut, sodass ich sogar vielleicht, wenn ich etwas sparte, meine Miete und die Stromrechnung für dieses Monat zahlen konnte. Doch zum Sparen war ja noch genug Zeit und ich hatte eine Gelegenheitsanstellung über eine Woche, musste aber eben nur hin, wenn die regulären Mitarbeiter überlastet waren. Etwas zufrieden über das schwere Gefühl der Münzen in meinem Portmonnaie ging ich die gut gefüllte Straße entlang, meine Stammbar als Ziel vor Augen habend. Es würde etwas dauern, bis ich dort angelangt war, da mein derweiliger Arbeitsplatz wieder mal in der hintersten Ecke Tokyos lag, aber ich hatte ja Zeit. Das war der Vorteil, wenn man so sein Leben verbrachte, wie ich es nunmal tat — allein und zurückgezogen. Man war niemandem verpflichtet, konnte tun was man wollte und wenn es nur war, dass man den ganzen Tag lang einfach Garnichts tat. Es war eine Art Freiheit die man hatte, doch auch sie hatte ihre Tücken, wie alles im Leben hatte auch sie zwei Seiten. Aber ich hatte gelernt, mich damit zu arrangieren. Hatte ich denn je eine Wahl gehabt? Nein, nie. Also war es wohl am besten so. Und dann kam er und brachte mit seiner Lebensfreude und seinem unerträglichen Optimismus das ganze System zum Schwanken, stellte es plötzlich in Frage. Frank hatte sich einfach so die Freiheit genommen, sich in mein Leben zu drängen, hatte keine Rücksicht genommen, auch wenn er am vorigen Tag versprochen hatte, es zu tun. Er war hartnäckig gewesen, hatte nicht locker gelassen. Auf der einen Seite hasste ich ihn dafür, hasste das Gefühl der Bloßstellung welches er in mir auslöste mit seiner übertriebenen Hilfsbereitschaft. Auf der anderen Seite war ich schlichtweg verwirrt, da ich seine Beweggründe nicht nachvollziehen konnte. Der Kleine hatte beteuert, dass er mich verstehen würde, doch das war gelogen. Er konnte es nicht, niemand konnte es, nicht mal ich selbst konnte meine Launen verstehen, hatte mich einfach mit ihnen abgefunden. Doch auch, wenn es für ihn nur eine Art Spiel war, was konnte er davon haben? Ein Gefühl der Macht, der Überlegenheit? Zu verlieren hatte er jedenfalls nichts, es kostete ihn lediglich Zeit, welche er an mich verschwendete. Die leise Stimme in meinem Kopf wollte mir weiß machen, dass es nur ein Zeitvertreib für ihn war, da ja schließlich sein Freund bereits abgereist war und Frank somit sonst niemanden hatte. Ablenkung war alles, was ich für ihn war, ein Experiment, nichts weiter~ Meine Schritte verlangsamten sich kurz, ich schüttelte den Kopf und versuchte dieses gehässige Flüstern der Stimme aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich spürte deutlich, dass ich ihr nicht Recht geben wollte, doch es half nichts. War ich ihr doch hilflos ausgeliefert, war zu oft enttäuscht worden...sie hatte zu oft Recht behalten, als dass ich mich noch gegen sie wehren könnte. Verzweifelt riss ich den Kopf ein Stück in die Höhe, blickte mich hektisch um und versuchte somit meinen inneren Konflikt zu beenden. Die Gegend schien mir nun wieder sehr bekannt und ich wusste, dass ich nur noch wenige Straßen hinter mich bringen musste, ehe ich mich dem Alkohol hingeben konnte, weshalb ich mein Tempo etwas anzog, den dumpfem Schmerz meiner strapazierten Füsse keine Beachtung schenkend. An der nächsten Ecke blieb ich allerdings stehen, wusste aber selbst noch nicht so recht warum — hatten meine Sinne und die eher unzuverlässigen Reflexe wieder einmal schneller als mein Verstand gehandelt. Dann allerdings fing ich an zu verstehen und spitzte die Ohren. Viele verschiedene Geräusche wurden durch die kühle Novemberluft aus der Einkaufsstraße zu mir herüber getragen; viele Stimmen, schreiende Kinder,schimpfende Mütter, aber auch die Melodien einiger Instrumente konnte ich ausmachen. Eine fiel meinem geübten Gehör jedoch sofort ganz besonders auf, es war eindeutig eine Gitarre, welche sich etwas stärker durchzusetzen vermochte als ihre Konkurrenten. Zudem wurde ihre ruhige, fast zurückhaltende Melodie von einer festen, aber dennoch sanften Stimme begleitet. Es war eine Männerstimme, sie klang zwar nicht perfekt, aber dennoch rein und die kleinen Unebenheiten innerhalb der Stimmlagen verliehen ihr etwas Charmantes. Ich folgte der Richtung dieser Töne fast wie in Trance und wich somit mal wieder von meinem Weg ab. Je näher ich meiner Entdeckung allerdings kam, umso bekannter kam mir die Stimme vor, welche nun etwas kräftiger wurde und auch der Rhythmus,mit dem die Saiten des Instruments angeschlagen wurden, verschnellerte sich. Das durfte doch jetzt nicht war sein oder? So etwas gab es doch nur in schlechten Liebesfilmen... Ich war nun weit genug vorangeschritten, um Franks Gestalt deutlich ausmachenund erkennen zu können. Er saß genau da, wo ich ihn auch das allererste Mal gesehen hatte, was die Situation wie ein Deja Vu wirken liess. Seine Gitarre lag auf seinem Schoß und seine Finger schienen förmlich über den Hals des Instruments zu tanzen, seineAugen waren geschlossen und er hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt, während seine Lippen die Wörter des Liedtextes formten. Einige Passanten standen um ihn herum, hörten gebannt zu, auch wenn ich bezweifelte, dass sie alle verstanden, wovon er sang, denn der Kleine tat es in seiner Muttersprache. Er schenkte seinen Zuhörern nicht die gerinste Beachtung, war völlig in sein Spiel versunken, wiegte seinen Körper leicht hin und her... Ich selbst hielt mich immernoch im Hintergrund, wollte nicht von ihmgesehen werden, obwohl er ja eh nicht mitzubekommen schien, was um ihn herum war. Dennoch war ich nah genug dran,um die einzelnen Zeilen des Liedes verstehen zu können... Lie awake in bed at night, and think about your life Do you want to be different? Try to let go of the truth, the battles of your youth Cuz' this is just a game Lie.... Beautiful... Everyone's looking at me I'm running around in circles, baby A quiet desperation's building higher I've got to remember this is just a game It's a beautiful lie It's a perfect denial Such a beautiful lie to believe in So beautiful, Beautiful it makes me* Wie gefesselt hatte ich ihn angesehen, jede seiner Bewegungen verfolgt und wandte mich nun ab, obwohl sein Lied noch nicht vorbei war, doch ich hörte esnicht mehr, war bereits wieder in meine tiefe Nachdenklichkeit verfallen. Das Lied, die Traurigkeit, vielleicht auch eine Spur Verzweiflung, welche in seiner Stimme bei jedem Wort mitgeschwungen war...es passte nicht zu ihm. Es stand im totalen Kontrastzu dem, was ich von dem Kleinen kannte; stets war er aufgeweckt und fröhlig, sein verhalten wirkte manchmal etwas kindisch und hyperaktiv. Umso verwirrender waren die Tiefgründigkeit und Melancholie seiner Worte und auch die Hingabe, mit der er sie gesungen hatte. Meine umfassenden Erfahrungen und die Dinge, die Frank mir über seine Leidenschaft zur Musik erzählt hatte, ließen darauf schließen, dass er in seinen Songs seine Gefühle verarbeiete. Ich lachte leise und humorlos auf; erinnerte er mich dochirgendwie an mich selbst vor ein paar Jahren. Mein müder Geist wurde zunehmend überforderter, je länger ich versuchte, aus den gesungen Zeilen des Jüngeren schlau zu werden und wie immer in so einer Situation übernahm wieder mein pessimistisches Ich die Kontrolle über meine Gedanken. Ganz sicher wollte er nur Aufmerksamkeit. Ja, das musste es sein. Frank war ein Schauspieler, ein verdammt guter. Wahrscheinlich war er ein glücklicher Mensch, der hier nicht das bakam, was er gewohnt war, und deshalb drückter auf die Tränendrüse. Ich wandte mich ab und ging einige Schritte züruck in Richtung Bar. War er ein Lügner? War das alles für ihn nur ein Spiel? Hatte er das etwas mit seinem Lied gemeint? Dass er mir nur vorheuchelt mir helfen zu wollen... Oder aberwar es andersrum? War der fröhliche Frank, seine gute Seite, die Lüge? Steckte er in Wahrheit voller Komplexe und versuchte sich selbst nur durch sein scheinbares Selbstbewusstsein zu schützen? Natürlich nicht, warum sollte er auch. Was nützte es ihm? Meine erste Vermutung musste mit Sicherheit die Richtige sein~ Und dennoch, hatte ich es geschafft, meine innere Stimme, meine Dämonen zu verdrängen, so lange wie ich Frank's Musik gelauscht hatte...nein. Er selbst hat sie verdrängt und zum schweigen gebracht.. Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich weiter, wollte die Gedanken hinter mir lassen, was wie immer am besten mit einigen Gläsern meiner geliebten Substanz zu erreichen war. Und auch wenn mich die Vorfreude auf den Alkohol ablenkte, so blieb dort ein winziger, unbedeutender Teil irgendwo tief in mir zurück, der hoffte das meine Befürchtungen ungerechtfertigt waren. Dieser nahezu kaum vorhandene Teil war viel zu schwach, als dass er etwas hätte bewirken können, doch er war da. Und das bereitete mir noch mehr Bauchschmerzen. Jene wurden auch nicht grade weniger, als ich, kurz bevor ich mein lang ersehntes Ziel endlich erreichte, ein paar mir nur allzu gut bekannte Gesichter erblickte, aus denen mir dunkle, zwielichtige Augen entgegen spähten. Schnell sah ich mich um, prüfte die Umgebung auf Fluchtmöglichkeiten, doch es sah nicht so gut aus, da die 3 Männer bereits die halbe Distanz zwischen uns überwunden hatten. Es waren jene, denen ich Geld schuldete, jene, die Frank darauf angesprochen hatten... Erstarrt stand ich dort, machte nichts, stellte mich seelisch schonmal auf die Schmerzen ein, die mir sogleich zugefügt werden würden. Meine erschöpften Muskeln spannten sich an und dann sah ich, wie der größte von ihnen sich direkt vor mich stellte, dämlich Grinste und mit seiner Hand weit ausholte. Ohne jeglichen Protest sog ich scharf Luft ein, vielleicht würden sie es ja auch einfach beenden, mein erbärmliches, sinnloses Dahinvegetieren~ Wiedererwarten traf mich seine Hand nicht im Gesicht oder im Magen, sondern meine Schulter. Es war nicht mal ein richtiger Schlag, sondern viel eher ein schwungvolles Klopfen. Irritiert blickte ich seine Pranke an, welche nun fest auf meiner Schulter lag, ehe er sprach. „Du scheinst dir ja mal die richtigen Freunde gesucht zu haben, Takayama." Immernoch total perplex sah ich ihn aus zusammengekniffenen Augen an, wehalb er fortfuhr und seinen Griff etwas festigte; die anderen beiden standen einfach nur da und sahen teilnahmslos irgendwo anders hin. „Ich mein den Kleinen da..keine Ahnung wie der heisst, aber leih dir lieber in Zukunft bei ihm dein Geld, der scheint ja genug zu haben, wenn er uns schon auszahlt..." Ein gehässiges, süßliches Lachen seinerseits. „Wir sehen uns hoffentlich nicht so schnell wieder" Ruckartigließ er von mir ab, drängte sich an mir vorbei und schon bald verschwanden er und seine Kollegen in der Dichten Masse der Passanten. Und wieder spürte ich diesen kleinen, schreienden Teil ganz sachte in mir aufbegehren~ ________________________________ * A Beautiful Lie - 30 Seconds To Mars Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)