Crystal Riders von Rainblue (Reanimation) ================================================================================ Kapitel 1: Wintersonnenwende ---------------------------- Jet - Wintersonnenwende Bent - On the Lake Das Licht tastete sich durch die Fensterscheiben, stahl sich sacht und unsicher an den Vorhängen vorbei, als würde es versuchen, mich vor dem Bevorstehenden zu bewahren. Vor dem Anbruch des Tages, an dem eine neue Ära Einzug erhalten sollte. Kaum noch eine vollzählige Stunde trennte die Stadt vor den ersten Fanfarenklängen, den bunten, über schillernden Paraden, den Pfiffen, trommelfellzerfetzend lauten Stimmen und Konfettigewittern. Ich ließ die Augen wieder zufallen und spürte daher nur, wie sich das Licht auf meine Nase legte, um dann weiter Richtung Wangen zu pirschen. Es fühlte sich warm an, fast tröstlich. Viel zu angenehm für die Einleitung eines solchen Tages. Jemand hätte der Sonne verbieten sollen, sich heute zu zeigen. Warum war diese Art der Gabe noch nicht aufgelesen worden? Die warmen Reflexe erreichten meine Stirn, sodass die Schatten meiner wirr abstehenden Haare Flechtmuster über das Orange legten, das ich mit geschlossenen Lidern sah. Ein farbloser Schmerz schlängelte sich unterhalb meines linken Schlüsselbeins entlang und ich legte reflexartig eine Hand auf die Brust, als könnte ich ihn damit zum Schweigen bringen. „Tat schon schlimmer weh…“, murmelte ich, nur um dann die Augen aufzureißen und mich heftig aufzusetzen, sodass sich die Welt kurzzeitig schwarz färbte. Ich warf die dünne, mit feinem Pelz bespannte, Decke beiseite und betrat den ebenmäßigen Parkettboden, um genau in den Lichtkegel zu laufen. Ich blieb erst stehen, als meine bloßen Zehen die Glasfront berührten. Die Nähe erfüllte den gewünschten Effekt. „Ein Schritt weiter und du fällst ins Nichts…“ Ich flüsterte, obwohl mich niemand hören konnte. Das Licht flackerte und ich schloss noch einmal die Augen, um mir vorzustellen, es würde durch die dicht ineinander verwinkelten Äste und Blätterornamente einer Baumkrone dringen, anstatt durch die Schrauben der am Himmel wie Aasgeier kreuzenden Helikopter. Sie zogen Flaggen hinter sich her, deren Beschriftungen ich auswendig kannte, ohne es jemals gewollt zu haben. Schreiend bunte Worte. Da oben wurde überdimensionales Bonbonpapier durch die Lüfte gezogen, nichts weiter. Das Licht erhielt seine Gleichmäßigkeit zurück und ich hob die Lider gerade soweit, um nicht von der Sonne geblendet zu werden, die in rasendem Tempo an Intensität gewann. Und machte der Bedeutung dieses Tages damit alle Ehre. Death Note OST - Kira (Theme) Mit einem Ruck drehte ich dem meterhohen Glas den Rücken zu und steuerte dem Kleiderschrank entgegen, den ich wie infolge einer einstudierten Choreographie aufzog, hineingriff, den glatten, dunkelblau und schwarzen Stoff meiner Uniform zu fassen bekam, ihn herauszerrte, eine Flügeltür im Umdrehen mit der Hand und die andere schlussendlich mit dem Fuß zuwarf. Aber das war nur der Auftakt gewesen, die Ouvertüre, wenn man so wollte. Im Vorübergehen griff ich nach einem Kam, womit ich die Spuren, die die gestrige, unruhige Nacht in meinen Haaren hinterlassen hatte, ausmerzte, während ich ein Schälchen mit Reis aus dem Kühlschrank holte, um es in die Mikrowelle zu stellen. Mit einem summenden Geräusch begann sich das weiße Keramik hinter dem Glas zu drehen. Ich streifte die Schlafsachen ab, schleuderte sie hinüber aufs Bett und schlüpfte gleich darauf in die Trainingshose und das eng anliegende T-Shirt, ehe ich meine Jacke vom Haken nahm. Auf die Sekunde genau piepste die Mikrowelle und der Duft von Pfeffer und Schnittlauch stieg mir in die Nase. Jade hatte gemeint, ich sollte es mehr genießen. Allerdings hatte ich auch aufgehört zu zählen, wie oft sie mir das sagte. Ich stach den Löffel in die Mahlzeit und auf einmal schlich sich ein Gefühl von Übelkeit auf meine Zunge und nistete sich keine Sekunde später auch im Magen ein. Ich kniff die Augen zu. Planänderung. Ich ließ die Schale stehen und rauschte hinüber ins Badezimmer, spritzte mir metallkaltes Wasser ins Gesicht, putzte mir die Zähne und erlaubte mir meine üblichen fünf Sekunden, in denen ich das Spiegelbild vor mir anstarrte, als erwartete ich eine andere Reaktion als das dezente Blähen der Nasenflügel und die sekündlich blasser werdenden Lippen. Dann ging ich zurück in die Küche, nahm den Wohnungsschlüssel vom Tresen, der kurz darauf klimpernd auf die Geldstücke in meiner Jackentasche traf und stellte den Reis unangerührt zurück in den Kühlschrank. Vielleicht war nicht Schlechtes dabei, diese zweieinhalb Minuten, die ich sonst für das Frühstück einplante, früher aus dem Haus zu gehen. Vielleicht blieb mir so die erste Welle von Schaulustigen erspart. Vielleicht konnte ich es aber auch einfach nicht länger hinauszögern. Denn ich hatte lange genug auf diesen Tag gewartet… Final Fantasy XIII OST - A Brief Respite „Sooonnenwendeee!!!“, grölte es mir unangenehm schrill ins Ohr. Jedoch war es keiner der Animateure oder Touristen – die hatte ich erfolgreich umwandern können. Nur um an dem Ort, von dem ich glaubte, dort meine Ruhe vor den Feierlichkeiten zu haben, ins Zentrum des Kugelhagels zu laufen. „Geht das auch, ohne die Toten aus ihren Gräbern aufzuschrecken?“, seufzte ich und rieb mir mit den Fingerspitzen die pochende Schläfe, bevor eine warme Hand auf meine Schulter niederfuhr. „Wo denkst du hin? Das ist das 4100. Jubiläum, man wird sich vor Freigetränken nicht retten können!“ Ich warf ihm einen schiefen Blick zu. „Ebenso wenig wie vor Leuten, die sie konsumieren.“ Seine Bernsteinaugen blitzten in wilder Euphorie auf und das Grinsen schlug einen spitzbübischen Bogen ein. „Sei nicht zu sehr auf Krawall gebürstet, sonst kommt dir bald noch das letzte verbliebende Rad abhanden.“ Meine Stimme hatte sich ein wenig gelöst. Das passierte oft, wenn ich mit Amber sprach – man musste den Kerl einfach mögen, egal wie unreif er sich teilweise für sein Alter aufführte. „Pass auf“, schnappte er, der Tonfall plötzlich voller Ernst. Er legte mir den Arm um die Schulter und zog mich näher zu sich heran, um dann verschwörerisch fortzufahren, indes sein Zeigefinger vor uns in der Luft herumfuchtelte. „Dann geh ich einfach in die Werkstatt, hol mir einen Schraubenschlüssel und setz das Rad wieder da an, wo es abgefallen ist.“ Ich schob nur eine Augenbraue hoch und versuchte, mir nicht vorzustellen, was gerade in seinem Kopf vonstattenging. „Und wie lautet die Devise? Gut geölt ist halb geschweißt!“ Damit gab er meine Schulter frei und machte eine Handbewegung, als würde er eine Flasche auf Ex austrinken. „Ich mache mir Sorgen um ein Rad, das schon lange verschüttgegangen ist…“, nuschelte ich in keine bestimmte Richtung, dann räusperte ich mich. „Weißt du, wo ich Jade finde?“ Amber machte eine Siegerfaust, da es ihm offenbar gelungen war, die leere imaginäre Flasche von der Distanz in den Mülleimer zu katapultieren, bevor er mich wieder ansah. „Oh, die hast du leider verpasst. Sie ist noch vor dem Frühstück losgefahren. Ein Notfall in der Nähe der Brooklyn Ave.“ Er kratzte sich am Kopf, um die Betroffenheit zu überspielen. „Offenbar hat die Mutter die Kleine vor die Tür gesetzt…“ Ich richtete die Augen zu Boden und spürte erneut das scharfe Ziehen in meiner Brust. Mein Herzschlag hatte bei seinen letzten Sätzen an Tempo gewonnen. Es war also wirklich soweit. „Kannst du mir einen Gefallen tun, Amber?“ Er hob erwartungsvoll die Augenbrauen. „Wenn Jade wiederkommt, sag ihr bitte, dass ich bei der Eröffnungsfeier nicht dabei sein kann. Ich übernehme zum Ausgleich die nächtliche Patrouille für die ganze Woche.“ Er schürzte die Lippen und beäugte mich mit schräg gelegtem Kopf. „Hast du etwa ein Date?“ Schon griente er wieder, als hätte man ihn mit Zucker vollgepumpt. Ich unterdrückte ein Seufzen und ließ es dabei bewenden. Er mochte seinen Spaß daran haben, mich aufzuziehen, aber wenn es darum ging, ein Versprechen einzuhalten, konnte man ihm getrost sein Leben anvertrauen. „Ich erzähle es dir vielleicht, wenn du mir morgen früh beim Sprechen nicht entgegenatmest.“ Denn sein Atem dürfte nach der morgigen Nacht einiges an Aromen verschiedenster Spirituosen in sich aufgenommen haben, um es gepflegt zu formulieren. „Das kann ich nach einer durchwachten Nacht am wenigsten gebrauchen, weißt du.“ Amber gluckste sich verkniffen ins Fäustchen. „Deal, Kumpel! Dann amüsier‘ dich mal schön bei deinen geheimen Geheimaufträgen und lass nichts anbrennen, nö?“ Damit zwinkerte er mir zu und wandte sich, leise ein Trinklied trällernd, von mir ab, um Richtung Aula davonzuschlendern. Auch ich drehte mich um und presste mir im Gehen eine Hand auf die Brust, da der Schmerz mit jedem Atemzug ein wenig an Stärke gewann. Silent Hill 2 - Music Soundtrack - Heartbeat Ich lief die Tilden Ave runter und zog trotz der beißenden Sonnenstrahlen, die sich wie überdimensionale Finger anfühlten, die auf mich zeigten, mich verspotteten, die Kapuze auf. Es war zu warm für einen Wintertag, aber die Hoffnung auf weiße Weihnacht hatten die Menschen hier eh schon vor langer Zeit begraben. Dafür war die Atmosphäre in den letzten Jahren zu sehr mit künstlicher Hitze aufgepumpt worden, ein beachtlicher Teil an Landmasse hatte sich bereits an das Meer ausgeliefert. Erst jetzt, seit den letzten sieben Jahren, war die Forschung den lang überfälligen Schritt vorangegangen und hatte eine ernst gemeinte Lösung für die globale Erwärmung gefunden. Die Quintessenz dafür war ihnen ja auch sozusagen vor die Füße gestolpert, wenn es auch seine Zeit in Anspruch genommen hatte, eine helfende Hand darin zu erkennen und keine fundamentale, zum totalen Ruin führende Katastrophe. Menschen verhalten sich immer seltsam, wenn sie Angst haben. Ich atmete tief durch, als das flächige Immergrün am Horizont erschien und beschleunigte meinen Schritt, die Hand nach wie vor auf meine Brust gedrückt. Die Stiche verebbten nicht und auch wenn es unmöglich war, kam es mir noch immer so vor, als würden sie mit jedem Augenblick resoluter werden, sodass mir bald schon die Luft wegblieb. Leicht gekrümmt vor Qual, schweifte mein Blick über die beiden gelben Schilder, die am Straßenrand standen und den Eingang säumten wie Säulen. Ich hatte sie schon so oft gesehen, die Kratzer, die pudrige Rostschicht an einigen Stellen, sie waren wie alte Bekannte, die mich stumm grüßten, mit der immer gleichen Formel. Dead End. Ich ließ sie hinter mir und trat durch den rechten Bogen auf das Gelände. Ein Gärtner stand in der Nähe des Eingangs und unterhielt sich mit einem älteren Mann. Sie nahmen mich gar nicht wahr, dennoch zog ich die Kapuze etwas tiefer ins Gesicht und hielt mich nicht großartig auf. Die ersten Grabreihen rauschten an mir vorbei, gepflegt und mit seidenzarten Sträußen und Gestecken verziert. Efeu rankte sich hier und da über die Steine, schmiegte sich an ihre grauen Leiber, als wollte er sie beschützen. Er, der so filigran und feingliedrig war und sie, die unerschütterlichen und unverrückbaren Felstafeln. Es ist schon faszinierend, wie sich manchmal die natürlichen Gesetze verschoben. Abrupt blieb ich stehen, um dann ganz langsam in die Reihe einzubiegen, die ich angesteuert hatte, während ich mit der freien Hand die Kapuze abstreifte und dann in meine Jackentasche griff. Der kleine Stein fühlte sich so kalt an, als hätte er den Winter aufgesogen und in sich gespeichert. Was eine gewisse Ironie in sich trug, da seine sonst vollkommen schwarze Oberfläche von weißen, flockenartigen Mustern geprägt war. Frostfänger hatte Jade ihn genannt. Und ich konnte mir ein leises Lächeln nicht verkneifen, als der Stein kurz darauf wärmer schien, als meine Hand. Die Augen auf den Gedenkstein vor mir hebend, ging ich langsam in die Knie und ließ den Obsidian wieder zurückfallen, damit ich die Hand auf dem Rahmen ablegen konnte, der das Grab umfasste. Auch hier schlängelte sich Efeu entlang, der Blumenstrauß genau in der Mitte des Vierecks verströmte einen leichten Duft. Er war taufrisch, erst einige Stunden zuvor hier abgelegt worden. Wieder musste ich lächeln, allerdings wehmütig. „Ich hatte versprochen, Euch noch einen Besuch abzustatten, wenn es soweit ist“, murmelte ich und fröstelte, als ein Windzug meine im Nacken etwas längeren Haare auseinander blies. „Es fühlt sich befremdlich an. Zum einen kommt es mir so vor, als wären Äonen vorübergezogen, die Zeit hätte mich eingefroren und jetzt wieder aufgetaut – und alles hat sich verändert.“ Meine Augen fielen zu. „Andererseits ist es, als hätte ich jeden Tag in all seiner Länge wahrgenommen, als würde das Heute mit jeder Minute nicht näher, sondern ferner gerückt sein. Ich komme mir immer noch ein wenig so vor, als würde ich auf der Stelle laufen…“ Als ich die Lider wieder hochschlug, spürte ich, wie mein Mund trocken wurde. Es war, als wäre der Name, der auf Augenhöhe in den Stein eingraviert war, ein Blick. So durchdringend und wissend, dass ich ihm nicht standhielt und stattdessen auf die Blumen starrte. „Ich weiß. Wenn ich will, dass das aufhört, muss ich mich dem endlich stellen. Aber ich…“ Endlich gelang es mir, die Faust der Hand zu lösen, die seit ich das Internat verlassen hatte, verkrampft auf meiner Brust geruht hatte. Mittlerweile war der Schmerz so penetrant, dass es mir Tränen in die Augen trieb. „…ich habe furchtbare Angst.“ Die Stille, die folgte, musste ein Echo besitzen, denn für den Moment war jeglicher Laut ausgelöscht. Die Zeit färbte sich wieder weiß. Doch bevor sie mich erneut in diesen tiefen Strudel aus Leere werfen konnte, senkte sich eine flüsternde Kälte auf meine Nase. Reflexartig fasste ich dorthin und stellte verwundert fest, dass die Haut nass war, bevor ich den Blick gen Himmel hob. Ein verirrter Regen von hauchdünnen Kristallen taumelte im Wind umher. Es begann zu schneien. Und in der Ferne hörte ich, wie ein nahender Sturm, die Eröffnungstrommeln der Wintersonnenwenden-Parade. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)