Last Farewell von Sinistra ================================================================================ Kapitel 2: Die Krise -------------------- Seunghyun fühlte sich furchtbar beklemmt, als er sich über seinen Freund beugte, um ihm die Hände von den mit Striemen überzogenen Wangen zu nehmen. Er hatte sich und seinen Freund nur schützen wollen und was war der Dank dafür? „Jiyong“, murmelte er bitter. „Hast du mir etwas zu beichten?“ Der Jüngere sah ihn nicht einmal an, kniff krampfhaft die Augen zusammen. „Jiyong“, hakte er noch einmal nach, diesmal nachdrücklicher. Doch der Bandleader antwortete nicht, sondern riss seine Hände los und bedeckte damit wieder sein Gesicht. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit stotterte er leise: „Tut mir...tut mir Leid?“ Seunghyun konnte die Wut in sich nicht länger zurückhalten. Er packte erneut die Arme des Kleineren und riss ihn hoch auf die Beine, um ihn gegen die Wand zu pressen. Jiyong wimmerte gequält und starrte ihn aus großen, ängstlichen Augen an. Noch vor einer halben Stunde hätte Seunghyun alles getan, um den anderen zu schützen. In diesem Augenblick aber ließ ihn das Gewimmer des Jüngeren kalt. „Es tut dir Leid?“, wiederholte er in betont ruhigem Tonfall. „Es tut dir Leid?! Weißt du eigentlich, was du getan hast, du Idiot? Du hast nicht nur dir selbst ein Eigentor geschossen, ein verdammt dämliches, wenn ich das mal so sagen darf. Du hast uns alle da mit reingezogen! Verstehst du? Unsere Karrieren, unsere Freundschaft, es wird alles daran zerbrechen! Alles!“ Die letzten Worte schrie er dem jungen Mann, der inzwischen wieder unkontrolliert schluchzte, förmlich ins Gesicht. Dann ließ er ihn abrupt los, sodass er wieder zu Boden sackte. Kalt sah Seunghyun auf ihn herab. „Tritt mir lieber erstmal nicht mehr unter die Augen, Jiyong.“ Jiyongs Augen weiteten sich. „Nein...“, murmelte er leise. Seunghyun wandte sich ab und schickte sich an, die Toiletten zu verlassen. „Wir warten draußen im Wagen auf dich. Du hast fünf Minuten, dann weise ich den Fahrer an, ohne dich zu starten“, erklärte er kaltschnäuzig, dann ließ er die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Seit diesem Vorfall waren inzwischen drei Tage verstrichen und die Boyband hatte sich in ihrem Apartment verschanzt. Ihre Handys hatten sie ausgeschaltet. Yongbae hatte den Stecker vom Festnetztelefon gezogen, nachdem es fast anderthalb Tage ununterbrochen geklingelt hatte. Nun, am Morgen des vierten Tages, saßen Daesung, Yongbae und Seungri mit dem schweigsamen Seunghyun am Frühstückstisch. Seunghyun und Daesung wühlten sich seit drei Tagen täglich durch sämtliche Zeitungen und Klatschblätter, die man in Seoul bekommen konnte, ein guter Freund brachte sie ihnen jeden Abend vorbei. Die beiden verfolgten wie besessen die Berichterstattung und die Ausmaße, die der Skandal um ihre Gruppe angenommen hatte. Yongbae hatte am Abend des letzten Tages den Fernseher einschalten wollen, um die Nachrichten zu sehen. Aber Jiyong war, als er seinen Namen in den Nachrichten hörte, in hysterisches Schluchzen ausgebrochen und so hatte Yongbae auch diesen Stecker gezogen. Sie alle fühlten sich furchtbar und das lag nicht nur an dem Geschwätz, das die Medien verbreiteten. Sie mussten hilflos mitansehen, wie ihr sonst so starker Bandleader litt und sich langsam selbst zu Grunde zu richten schien. Man hatte ihn in den letzten Tagen nur selten gesehen. Seunghyun musste auf der Couch schlafen, da Jiyong das gemeinsame Zimmer von innen verriegelt hatte. Seungri beschmierte wie jeden Morgen ein Brötchen mit Jiyongs Lieblingsmarmelade und drapierte es liebevoll mit ein paar Obststücken auf einem Teller. Dann sah er flehend zu Yongbae hinüber. Der Zweitälteste war der Einzige, den Jiyong seit dem Radiovorfall in seiner Nähe duldete. Es kam Seungri seltsam vor, da der Leader sonst förmlich an Seunghyun geklebt zu haben schien, doch er konnte sich nicht erklären, warum plötzlich eine derartige Kälte zwischen den beiden herrschte. Yongbae nahm seufzend den Teller entgegen und erhob sich von seinem Stuhl. Am Ende des Flures klopfte er an Jiyongs Tür. Es kam keine Reaktion, doch Yongbae wusste, dass er nicht nachgeben durfte. Nach dem vierten Versuch hörte er, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, und schob die Tür langsam auf. Jiyong hatte sich wieder auf sein Bett gesetzt und sah zu Boden. Der Ältere stellte den Teller auf seinen Nachtschrank und legte eine Hand auf Jiyongs Schulter. „Komm schon, iss wenigstens heute alles auf. Seungri gibt sich solche Mühe für dich.“ Der Leader zuckte mit den Schultern. „Ich möchte nichts essen.“ Seufzend ließ Yongbae sich neben ihm auf die Bettkante sinken. „Hör mal, Jiyong. Ich weiß, dass das nicht leicht für dich ist. Das ist es für keinen von uns. Aber wenn du dich so hängen lässt, gibst du nur ein noch leichteres Ziel ab. Du solltest an die Öffentlichkeit gehen und erklären, dass es nur ein verdammt mieser Streich war.“ Jiyong schwieg wieder eine Weile, dann flüsterte er kaum hörbar: „Das geht nicht.“ Yongbae zog die Augenbrauen zusammen, hielt jedoch den Mund. Er befand es für klüger, nun nicht weiter nachzuhaken. „Wie auch immer“, murmelte er stattdessen und klopfte Jiyong auf die Schulter, bevor er aufstand. „Iss deinen Teller auf, sonst macht dir nicht nur die Presse die Hölle heiß.“ Erst, als er aus dem Zimmer war, registrierte er, wie unglaublich fehl am Platz sein schlechter Scherz gewesen war. Doch für eine Entschuldigung war es zu spät, er würde alles nur noch schlimmer machen. Als er in die Küche zurückkam, sah Seungri ihn erwartungsvoll an. Der Gesichtsausdruck des Jüngeren verdunkelte sich jedoch sofort wieder, als Yongbae nur mit den Schultern zuckte. „Mach dir nichts draus.“ Er rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin sicher, er weiß es zu schätzen.“ Seunghyun und Daesung waren inzwischen mit den Zeitungen durch. Der Großteil lag in Fetzen zerrissen um Seunghyuns Stuhl herum auf dem Boden und der Älteste hatte fast schon trotzig die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Daesung knabberte neben ihm lustlos, fast schon apathisch, an seinem Brötchern herum und starrte ins Leere. „Leute“, setzte Yongbae an. „Ich werde jetzt einkaufen gehen. Wir können uns nicht ewig verstecken und ich habe wenig Lust, hier morgen am Hungertuch zu nagen. Ich nehme mein Handy mit, also... wenn irgendwas ist: Ich bin gleich im Supermarkt um die Ecke. Wir...sehen uns.“ Seungri beobachtete seinen Freund dabei, wie er sich in einen langen Mantel hüllte und mit Hut und Sonnenbrille so gut wie möglich das Gesicht verdeckte. Die Tarnung war so offensichtlich, dass sie schon wieder regelrecht ins Auge stach. Normalerweise hätte Seungri über dieses Paradoxon geschmunzelt, wenn nicht gar gelacht, aber sein Lachen schien er vor kurzem auf dem Weg zwischen dem YG-Gebäude und seinem Zuhause irgendwo verloren zu haben. Bis jetzt hatte sich jedenfalls noch kein Finder bei ihm gemeldet... Yongbae war kaum zehn Minuten außer Haus, als Seunghyun ebenfalls von seinem Stuhl aufstand und die Küche in Richtung Sperrzone verließ. Vor dem Zimmer, das bis vor ein paar Tagen noch ihm gehört hatte, blieb er stehen und hämmerte gegen die Tür. Wie erwartet, gewährte man ihm keinen Einlass. Er schnaubte frustriert und klopfte erneut an. „Komm schon, GD, mach auf! Ich brauche meine Anziehsachen oder soll ich nackt hier rumlaufen?“ Von der anderen Seite hörte man ein paar schlurfende Schritte, dann wurde die Tür geöffnet und ihm gegenüber stand ein blasser, schwach wirkender Jiyong. Die Ringe unter seinen geröteten Augen zeugten von Schlaflosigkeit. Seunghyun versuchte seine Sorgen zu verdrängen und schob sich an dem Schwarzhaarigen vorbei in den miefigen Raum. „Verdammt, GD, kannst du nicht wenigstens mal das Fenster aufmachen?“, maulte er vor sich hin, während er zu seinem Kleiderschrank hinüberstapfte und die Türen aufriss, auf der Suche nach etwas Brauchbarem. Im Vorbeigehen hatte er gesehen, dass der Teller vom Frühstück noch immer unangetastet auf dem Nachtschrank stand. Es machte ihn beinahe wahnsinnig, wie egoistisch der Bandleader handelte. Konnte er sich denn nicht vorstellen, wie sehr sie alle unter dem, was er getan hatte, leiden mussten? Konnte er nicht wenigstens so tun, als würde Seungris Essen ihm schmecken? Seunghyun wusste nicht, wie oft er den Jüngsten der Band in den letzten Tagen beim Weinen erwischt hatte. Seungri wollte es nicht offen zugeben, doch er war mit der derzeitigen Situation vollkommen überfordert. Der Rapper schob die Sachen im Schrank hin und her. Letztendlich holte er einen Satz Unterwäsche, ein schwarzes, bunt besticktes Hemd und eine dunkle Jeans heraus und drehte sich wieder zu seinem Freund um. Dieser saß wieder auf seinem Bett und starrte ihn unentwegt an. „Es tut mir so Leid, Hyung“, flüsterte er schließlich heiser. Seunghyun stieß hörbar und betont ruhig den Atem aus und zog sich seinen Schreibtischstuhl ans Bett, um sich darauf niederzulassen. Seit Tagen hatten die beiden Männer kein Wort mehr als nötig gewechselt, doch Seunghyun sehnte sich nach einer Antwort auf all die Fragen, die ihn quälten. Er saß einen Augenblick lang einfach nur still da und wartete darauf, dass Jiyong das Wort ergriff. Schließlich fasste der Jüngere sich ein Herz. „Ich wollte nicht, dass so etwas passiert“, murmelte er und senkte den Blick. „Ich wollte doch nur mit dir zusammen sein können...“ Seunghyun verdrehte die Augen. „Das konntest du doch, GD...“ Aber dieser schüttelte heftig den Kopf. „Wie können wir zusammen sein, wenn du dich für mich als deinen Partner schämen musst? Wenn du mich verstecken musst, aus Angst, dich zu blamieren? Das hat mich traurig gemacht, Hyung. Und wütend... Ich... ich habe an diesem Abend nicht gewusst, wohin ich gehen sollte, ich hätte es nicht ausgehalten, mit dir in einem Zimmer zu schlafen.“ „Die Couch?“, bemerkte Seunghyun nur trocken und zog die Augenbrauen hoch. Wieder schüttelte Jiyong den Kopf. „Wie hätte ich das denn den anderen erklären sollen? Ich hätte uns sicher verraten. Ich dachte, es wäre das Beste, die Nacht außer Haus zu verbringen...“ Seunghyun sah sein Gegenüber ungläubig an. „Mit einem völlig fremden, alten Mann im Hinterzimmer eines Nachtclubs? Willst du mich verarschen??“ Er stand abrupt auf und hätte beinahe den Stuhl umgeschmissen. Erschrocken fuhr Jiyong zusammen und Tränen stiegen ihm in die Augen. „Es tut mir so Leid, was sollte ich denn machen??“, versuchte er sich zu rechtfertigen, doch er ahnte bereits, dass es keinen Sinn haben würde. Sein Geliebter hatte sich vor ihm aufgebaut und sah auf ihn herab. Sein Gesicht war von Wut verzerrt, doch in seinen hübschen Augen schillerte Enttäuschung. Jiyong kannte ihn gut genug, um zu sehen, wie verletzt er wirklich war. Und es brach ihm schlicht und ergreifend das Herz, als er eine erste Träne über Seunghyuns Wange kullern sah. Er hatte den Ältesten selten weinen gesehen. Sehr selten. Erst in diesem Moment wurde ihm die Tragweite seines Handelns wirklich klar und er blickte betroffen vor sich auf den Teppich. Seunghyuns Stimme zitterte kaum merklich, als er zum Sprechen ansetzte. „Jiyong, du hast mich betrogen. Ist dir das eigentlich klar? Du hast es mit einem anderen Mann getrieben, während ich vor Sorge fast umgekommen bin, weil du nicht nach Hause gekommen bist. Hast du seitdem eigentlich mal auf dein Handy geschaut? Die vier verpassten Anrufe in dieser Nacht kamen von mir, du verdammter Idiot! Wie soll ich dir jetzt noch vertrauen, Jiyong? Und was soll nun aus unserer Band werden, hm? Glaubst du wirklich, dass YG Entertainment keine Konsequenzen ziehen wird? Naiver Trottel...“ Inzwischen war es nicht mehr zu überhören, dass auch Seunghyun weinte. Als Jiyong aufsah, konnte er gerade noch einen Blick auf das gerötete und tränenfeuchte Gesicht des anderen erhaschen, bevor dieser sich abwandte und mit seinen Sachen unter dem Arm das Zimmer verließ. Die Tür knallte hinter ihm zu. Als Jiyong, noch benommen von den soeben gesprochenen Worten, auf ihr weiß getünchtes Holz blickte, konnte er noch nicht ahnen, was die Zukunft bringen würde. Er registrierte überhaupt nicht, dass plötzlich kein Schlüssel mehr im Schloss steckte. Yongbae hatte eine knappe Stunde gebraucht, um die 300 Meter zum Supermarkt zurückzulegen, das Nötigste zu kaufen und zum Apartment zurückzukehren. Vor dem Hochhaus, in dem sich die Wohnung befand, hatten die Reporter förmlich gelauert. Als er durch die Tür nach draußen getreten war, hatte es ihn geschockt, tatsächlich ein Campingzelt auf dem Gehsteig zu entdecken. Trotz seiner Verhüllung hatten ihn die Medienvertreter natürlich sofort erkannt und Blitzlichter und laut gerufene Fragen waren auf ihn eingeprasselt wie ein Gewittersturm. „Taeyang, ist es wahr, was über G-Dragon gesagt wird??“ „Was kannst du uns über die Club-Affäre sagen?“ „Lief da schon länger was? Wusstet ihr davon?“ Yongbae unterdrückte den Wunsch, seiner Laune durch Gewalt Ausdruck zu verleihen. Er würde es damit nur schlimmer machen. „Lassen Sie mich in Ruhe!“, sagte er ruhig, aber bestimmt, und schob die Reporter beiseite, die ihm seinen Weg versperrten. So kämpfte er sich bis zum Supermarkt vor. Ihm blieb nicht die Zeit, um sich darüber klar zu werden, dass YG sogar ihre Security abgezogen hatte, die sonst vor oder in dem Apartmentgebäude postiert gewesen war. Das Drama hatte sich im Supermarkt fortgesetzt und erst ein Ende gefunden, als Yongbae mit zwei schweren Tüten beladen und erschöpft keuchend die Tür zu ihrem Wohnhaus wieder hinter sich verschlossen hatte. Wenigstens hatten sie jetzt genug Essen und Waschzeug für die nächste Woche. Wer weiß, wie sich die Sache entwickeln würde. Dem jungen Sänger drängte sich unweigerlich das Bild einer postapokalyptischen Hölle auf und er lächelte bitter. Kam der Sache doch ziemlich nahe, oder etwa nicht? Er schleppte die Einkäufe in den Fahrstuhl und im fünften Stock zur gemeinsamen Wohnung. Als er die Tür aufschloss, kam ihm die bedrückende Stille der vergangenen Stunden und Tage wieder entgegen und nahm ihn in Empfang. Viel lieber wäre er draußen bei den Reportern geblieben, als sich dieses Elend weiter anzuschauen, doch er hatte keine Wahl. Er konnte seine Freunde unmöglich im Stich lassen. In der Küche saß inzwischen nur noch Daesung vor seinem angefressenen Brötchen. Er hatte das Kinn auf die Hände gestützt und sah seinen Kollegen an. „Dae, konntest du nicht schonmal das Geschirr spülen?“, fragte Yongbae sichtlich genervt. „Ich kann hier nicht alles allein schmeißen. Glaubst du, mir fällt das Ganze leichter, als euch?“ „Sieht jedenfalls so aus“, murrte Daesung leise, erhob sich dann jedoch und stapelte die leeren Teller aufeinander, um sie zur Spüle zu tragen. „Seunghyun hat mein Zimmer besetzt“, bemerkte er trocken. „Er hat sich eingeschlossen, nachdem er bei GD gewesen ist... Ich will nicht nochmal anklopfen - er hat mich angesehen, als wollte er mich auffressen!“ Yongbae seufzte. War er denn hier im Kindergarten gelandet? „Dann hast du die Ehre, diese Nacht auf der Couch zu verbringen, Dae“, erklärte er gelassen und verkniff sich ein Grinsen, als der Jüngere ihn entgeistert ansah. Er tätschelte ihm beschwichtigend die Schulter und lächelte flüchtig. „Gib uns allen Zeit, Dae. Die einen brauchen Ruhe, die anderen Gesellschaft, so ist das nunmal. Es wird sich alles klären, du wirst schon sehen. Irgendwie finden wir schon eine Lösung. Das verspreche ich dir... Willst du für diese Nacht 'nen Schlafanzug von mir leihen? Wenn er dich auffrisst, bin ich der einzige normale Mensch, der hier übrig bleibt.“ Daesung starrte ihn einen Moment lang an, entsetzt über diesen offensichtlichen Humor, dann lachte er. „Danke, das Angebot nehm' ich an.“ Yongbae klopfte ihm auf den Rücken. „Ist gut.“ Es freute ihn ungemein, wenigstens einen der Jungs aufheitern zu können. Er hatte in den letzten Tagen so oft den Trostspender gespielt, dass er schon Angst bekommen hatte, bald seine Kraft zu verlieren. Es waren diese kurzen Erfolgserlebnisse, die ihn nicht einknicken ließen. Bis jetzt. Auch am Abend hatten sich Seunghyun und Jiyong noch verbarrikadiert. Seungri saß in sich zusammengesunken auf der großen, schwarzen Couch im Wohnraum und vernichtete im Alleingang eine Packung Chips, die er aus Yongbaes Einkaufstüten entwendet hatte. Neben ihm saß Daesung, der ihn mit neidischen und zugleich bettelnden Blicken bedachte. Umso mehr freute er sich, als Taeyang aus der Küche eine Tafel Schokoalde mitbrachte, die er ihm zusteckte. „Das könnt ihr im Moment gut gebrauchen, hm?“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Lächelnd ließ er sich neben den beiden nieder und schaltete den Fernseher ein. Er hatte das Gerät wieder eingesteckt, nachdem feststand, dass Jiyong sich wohl erst einmal nicht mehr im Wohnzimmer blicken lassen würde. Er hatte eine DVD aus ihrer großen gemeinschaftlichen Sammlung eingelegt und hoffte, so die Stimmung etwas aufbessern zu können. Nach einer guten Stunde stellte sich heraus, dass sein Plan tatsächlich funktionierte...auf die ein oder andere Weise zumindest. Die jungen Männer zogen keine Trauermienen mehr. Stattdessen erklang neben ihm leises Schnarchen. Daesung und Seungri hatten ihr Knabberzeug restlos vernichtet. Der Jüngste hatte seinem Freund noch den letzten Riegel Schokolade streitig machen wollen, doch der war schneller gewesen. Nun saßen beide aneinander gelehnt und friedlich schlafend auf der Couch, während man sich auf dem Bildschirm noch immer wilde Schusswechsel lieferte. Es war schon nach Mitternacht, als Yongbae den Fernseher schließlich ausschaltete. Er war müde und fühlte sich ausgelaugt vom Tag. Auch er hatte keine endlosen Kraftreserven, das musste er sich, Wohl oder Übel, eingestehen. Behutsam legte er eine der Decken, die immer ordentlich zusammengelegt auf der Couch lagen, über Daesung und Seungri und ließ sie schlafen. Auf dem Weg in sein Zimmer hielt er an Jiyongs und Seunghyuns Zimmertür an. Er drückte leise die Türklinke hinunter, um vor dem Schlafengehen noch einen letzten Blick auf seinen Bandleader zu werfen – nur, um sicher zu gehen. Er war sich nicht sicher, wie weit der Bandleader gehen würde. Im Moment traute er ihm alles zu. Die Tür war zu seiner Überraschung tatsächlich offen und als er sie langsam ein Stück weit aufschob, entdeckte er Seunghyun, der mit einer großen Tasche vor seinem Schrank stand und sämtliche Anziehsachen ausräumte. Yongbae unterdrückte einen Seufzer. Wenigstens würden sie nicht wieder anfangen zu streiten, wenn Seunghyun ein anderes Zimmer bezog. Sicher würde er mit Daesung tauschen wollen. Jiyong bemerkte von alldem, was um ihn herum geschah, nichts. Er hatte sich unter seiner Decke zusammengerollt wie ein kleines Kind und schlief tief und fest. Auch Seunghyun hatte Yongbae noch nicht registriert. Vielleicht war das auch besser so, er wollte sich in ihre Angelegenheiten nicht einmischen, verstand er doch sowieso nicht, was da überhaupt zwischen ihnen vor sich ging. Leise schloss er die Tür wieder und schlurfte den Flur entlang, zurück zu seiner Zimmertür. Morgen würde die Welt sicher schon anders aussehen... Seunghyun stand im dunklen Zimmer und sah auf die Tasche hinab, die fast sein ganzes Hab und Gut beherbergte. Den Reißverschluss hatte er gerade so verschließen können. Ein letztes Mal ging er hinüber zu dem Bett, in dem sein Freund schlief, in dem sie in den letzten Monaten so oft zusammen gelegen hatten. Er spürte einen Kloß im Hals, als er an die vergangene Zeit dachte. Er würde damit abschließen, er musste es. Den ganzen Nachmittag hatte er gegrübelt und keine andere Lösung für sich und seine Freunde gefunden. Hier konnte er nicht bleiben. Er würde gehen. Wohin, das würde er niemandem sagen. Nur so konnte auch Jiyong über das Geschehene hinweg kommen, dessen war er sich sicher. Ein allerletztes Mal strich er mit der Hand durch das seidige Haar des zierlichen jungen Mannes, drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Jiyong murrte kurz im Schlaf, atmete dann jedoch ruhig weiter. Sehr gut. Seunghyun schob den Zettel, den er zuvor in seine Hemdtasche gesteckt hatte, unter das Kopfkissen und warf sich die schwere Tasche über die Schulter, um auf leisen Sohlen das Zimmer zu verlassen. Er hatte alles vorbereitet, hatte alles geplant an diesem einsamen Nachmittag. In der Wohnung war alles ruhig. Vor der Wohnungstür schlüpfte er in seine Schuhe und zog eine graue Jacke über, die er wahllos von einem der Garderobenhaken gezogen hatte. Sie saß ein bisschen merkwürdig, doch das kümmerte ihn nicht. Bevor er die Wohnung verließ, blickte er sich noch einmal um. Für einige Minuten stand er schweigend und allein im Dunkeln da und erinnerte sich mit Freude an die Jahre, die er hier mit den anderen verbracht hatte. Es war eine schöne Zeit gewesen, die schönste seines Lebens. Doch nun musste er das alles hinter sich lassen, zu seinem eigenen Schutz und auch zum Wohl der anderen. Schließlich gelang es ihm, sich loszureißen, und er schloss ein letztes Mal leise die Tür hinter sich, bevor er das Haus verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)