Long live the King! von Almyra ================================================================================ Kapitel 4: Opera ---------------- „Wie kann man so etwas nur tragen? Selbst wenn ich normal tanzen könnte, könnte ich das jetzt sicher nicht und sitzen kann man in diesem Luftballon auch nicht.“ Schon den ganzen Weg zum Opernhaus beschwerte sich Laverne am laufenden Band, während Ercillia schweigend genoss, wie die Schwarzhaarige unter ihrem Ballkleid zu leiden hatte. „Das ist kein Luftballon. Das ist ein Reifrock und wenn du dich nicht dumm anstellst, wirst du dich auch setzen können. Obwohl… Du solltest lieber den ganzen Abend stehen.“ Die letzten Stunden hatten sie damit zugebracht, Laverne wenigstens ein paar Grundschritte beizubringen und einen Crashkurs im Verhalten in der Öffentlichkeit abzuhalten. Wo hatte Ercillia das Ganze nur gelernt? Das Ganze kam der Pilotin zunehmend verdächtig vor. Auf dem Ball verstärkte sich der Verdacht nur noch weiter. Warum schien es so, als sei Ercillia voll in ihrem Gebiet? Aber es war nicht nur das. Sie war so anders als alle Untermenschen, die Laverne kannte. Zugfahren, geschwollen Daherreden, klassisch Tanzen, das passte nicht zu jemanden, der in der unteren Ebene lebte. Ercillia musste zur Rede gestellt werden, aber nicht hier. Erst brauchten sie die Perle. Sie war in einer Glasvitrine eingeschlossen, für jedermann sichtbar. Das würde sicher nicht leicht werden, aber Laverne war ein Profi, wenn es ums Stehlen ging. Sie betrachtete die Paare, die tanzten, als sei es das Natürlichste der Welt. Auch Ercillia wurde vor einiger Zeit zum Tanzen aufgefordert und schien sich, im Gegensatz zur Pilotin, sehr wohl zu fühlen. Laverne trug unter ihrem langen Ballkleid Plateauschuhe, um ihre Größe zu kaschieren. Außerdem war jedes sichtbare Fleckchen Haut geschminkt, damit man sie nicht als Untermensch erkennen konnte. Ercillia war zwar ebenfalls geschminkt, hatte aber von Natur aus die Größe, die zur mittleren Ebene passte. Noch ein Grund, Verdacht zu schöpfen. „Verzeihung? Dürfte ich Sie zum Tanz auffordern?“ Die Schwarzhaarige zuckte erschrocken zusammen und besah den Mann vor sich. Oder war es eine Frau? Die sanfte Stimme deutete auf eine Frau hin, allerdings hatte sie, oder er, kurze Haare und sehr maskuline Kleidung. Wieso durfte Laverne so etwas nicht tragen? Es wäre auf jeden Fall bequemer gewesen als dieses verdammte Ballkleid! Der Höflichkeit halber, der sie sonst nie Beachtung schenkte, ließ sie sich auf den Tanz ein und zeigte sofort, dass sie in den letzten Stunden so gut wie nichts gelernt hatte. Es tat ihr beinahe schon leid, wie oft sie ihrem Tanzpartner auf die Füße trat. Doch sie, oder er, belächelte das Ganze nur und tanzte geduldig weiter. Irgendwann hatte Laverne dann den Dreh raus, entschuldigte sich allerdings bald darauf und verließ den Tanzsaal unter einem Vorwand. Sobald sie außer Sichtweite war, entledigte sie sich sofort ihrer obersten Kleidungsschicht. Der Stoff des Kleides kratzte sie und der Reifrock nahm ihr jegliche Bewegungsfreiheit. Zum Glück hatte sie darauf bestanden, etwas drunter zu ziehen. Mit dem Korsett, welches sie unter dem Kleid trug, um überhaupt hinein zu passen, konnte sie leben, das war sie schon gewohnt, aber dieser Reifrock war der Horror. Nachdem ihre Kleidung deutlich mehr Bewegung zuließ, versteckte sie das Kleid in irgendeiner Abstellkammer. Minea würde ihr schon vergeben, dass es hier zurückblieb. Wie kam diese Hexe überhaupt an so ein Kleid? Als nächstes musste sich Laverne alles genau ansehen. Ihr Ziel war der Technikbereich. Ein Stromausfall war das, was sie brauchten. Sie vermutete, dass die Technik im Keller bedient wurde und hoffte inständig, dass sie nicht auf viele Gegner treffen würde. Das Ablenkungsmanöver versüßte sich den Abend gerade auf der Tanzfläche. Auf ihrem Weg durch den Keller stellte Laverne schnell fest, dass sie mit ihrer Annahme recht hatte. Es kam einem nicht so vor, als sei man in einem Opernhaus; es war eher wie eine Fabrik. Die Wände strahlten nichts als Kälte aus und von überall hörte man das Rattern der Maschinen. Die Pilotin beschloss, den Raum am Ende des Ganges zuerst zu untersuchen, da die Geräusche dort am lautesten waren. Abgeschlossen. Sie lächelte voller Vorfreude. Es war eine gute Idee gewesen, unter dem Ballkleid eine Schusswaffe mitzutragen. Wenigstens dazu war es gut. Die Waffe geladen atmete sie noch einmal kurz durch, ehe sie mit voller Kraft die Tür eintrat. Es blieb nicht viel Zeit, sich einen Einblick in die Lage zu verschaffen, da drei Männer, die sich in diesem Raum befanden, sofort hochschreckten und Laverne nach kurzer Schockstarre attackieren wollten. Zum Glück legte diese keinen großen Wert darauf, Leben zu verschonen, weshalb ihre Gegner nach drei gezielten Schüssen reglos am Boden lagen. Das ging schneller und wesentlich einfacher als erwartet. Andererseits war das hier auch ein Opernhaus und nicht das Sicherheitsgefängnis, in das sie mal eingebrochen war. Den leblosen Körpern keine Beachtung schenkend, sah sie sich gründlich um. Die Technik, sie hatte auf Anhieb den richtigen Raum gefunden. Es war alles auf dem neusten Stand, damit jedes Ereignis reibungslos ablief. Natürlich könnte Laverne sich jetzt die Zeit nehmen, sich in das System einzuhacken und den Strom abstellen, aber das war ihr persönlich zu aufwändig. Wieso Zeit verschwenden, wenn sie mit ein paar Schüssen den gleichen Effekt hervorrief? Sie wusste, nach dem Stromausfall blieb ihr nicht viel Zeit. In wenigen Minuten musste sie wieder in den Saal rennen, die Überraschung der Gäste nutzen, um die Perle zu stehen, ihre verdammte Begleitung finden und dann verschwinden. Vielleicht sollte sie Ercillia auch einfach dort lassen. Es würde eine Menge Ärger ersparen. Leider war sie der Rebellengruppe dafür zu loyal. „Naja, was solls?“ Ihre Waffe auf die Technikgeräte gerichtet, feuerte sie mehrere Schüsse ab, bis es um sie herum dunkel war. Der Strom war ausgefallen. Jetzt hieß es schnell sein. So zügig wie nur möglich, rannte die Schwarzhaarige die Gänge des Kellers entlang in den Tanzsaal, der, aufgrund mangelnder Fenster, stockduster war. Lavernes Augen waren, unter anderem wegen ihrem Leben in der dunklen unteren Ebene, an schlechte Lichtverhältnisse gewohnt und konnte so beinahe unerkannt zu der kostbaren Perle schleichen. Um sie herum waren einige Menschen beinahe schon panisch und fragten sich immer wieder laut, was nur passiere. Dass sie so auf Licht fixiert waren, nervte Laverne. Wenigstens ließ sich die Unbeholfenheit der Menge gut nutzen, um die Perle zu entwenden. Mit der Rückseite ihrer Waffe schlug sie die Glasvitrine ein, worauf selbstverständlich jeder in ihre Richtung blickte. Doch es erkannte keiner, was genau los war, also nahm Laverne die Perle aus der Vitrine. Es ging kein Alarm los. Wie auch? Der Strom war komplett ausgefallen und glücklicherweise betraf dies offensichtlich auch das Sicherheitssystem. Schnellen Schrittes schritt Laverne zum Ausgang. Ercillia würde schon alleine zurück zu Minea finden. Babysitter würde die Pilotin jetzt sicherlich nicht spielen. Tatsächlich stand die Rothaarige schon vor dem Tor und schien zu warten. Ohne etwas zu sagen, ging Laverne einfach weiter und ihre Begleitung folgte ihr. Als sie schon einige Meter von der Oper entfernt waren, ging dort das Licht wieder an. Anscheinend eine Notstromzufuhr. Da spätestens jetzt jeder wusste, dass die Traumperle gestohlen war, würden wohl regelmäßige Kontrollen stattfinden. Entsprechend wäre das Zugfahren zu gefährlich. „Das wird ein langer Spaziergang.“ Es war mitten in der Nacht, die Sonne ging schon auf, als sie Mineas Haus endlich erreichten. Sie waren keiner Kontrolle begegnet, aber Laverne hatte andere Dinge im Kopf. Den ganzen Weg war sie mit diesen Plateauschuhen gelaufen. Für kurze Zeit waren diese Schuhe ja erträglich – sogar die Tür konnte sie mit ihnen eintreten, aber mittlerweile musste sie die Zähne zusammenbeißen, um sich nicht über ihre Schmerzen zu beklagen. Zu ihrem Bedauern sah man ihr die Anstrengung an und auch wenn Ercillia den ganzen Weg über schwieg, so konnte man sie immer wieder grinsen sehen. Diese Sadistin! Sobald sie im Haus waren, zog Laverne diese Teufelsschuhe aus, es war allerdings nicht so erleichternd, wie sie es sich vorgestellt hatte. Ihre Füße brannten immer noch wie Feuer und es fühlte sich unsagbar seltsam an, nun zu laufen. Daher ging sie auf schnellstem Weg in Mineas Zimmer und legte ihr die Perle auf den Tisch und zu ihrer Überraschung war diese Hexe tatsächlich anwesend. Hatte sie nachts nichts Besseres zu tun? Die meisten Leute schliefen um die Uhrzeit ja. „Hier ist deine blöde Perle.“ Grinsend musterte Minea den Schatz. „Das habt ihr gut gemacht. Ruht euch doch etwas aus, nebenan ist ein Zimmer frei. Morgen Mittag dürfte ich fertig sein.“ Auch wenn Laverne nicht verstand, was Ercillia bitte beigetragen haben sollte, regte sie sich dieses Mal nicht auf. Sie war viel zu erschöpft dafür, ging also mit der Rothaarigen sofort in das freie Zimmer. Dort entledigte sie sich noch des mittlerweile auch sehr störenden Korsetts, schminkte sich erst einmal komplett ab und musterte die größere Frau. Nein, sie konnte noch nicht schlafen, ehe sie diese eine Sache nicht geklärt hatte. Müde, aber dennoch geistesanwesend stand sie auf, packte Ercillia und drückte sie grob an die Wand. „Wer bist du wirklich und für wen arbeitest du?!“ In den Augen ihres Opfers konnte man die Verwirrung deutlich sehen. „Was meinst du damit? Laverne, du bist müde und solltest schlafen gehen. Du redest wirres Zeug.“ „Das tue ich nicht! Du sprichst wie ein Mittelmensch, du scheinst öfter Zug zu fahren, du kannst klassisch tanzen und du bist zu groß für einen von uns. Du kannst kein Untermensch sein, also bist du ein Spion! Und jetzt sag mir, für wen du arbeitest!“ „Ich bin kein Spion! Lass mich das bitte erklären. Du reagierst total über.“ Laverne verstärkte den Griff und drückte Ercillia noch enger an die Wand. „Ich bin ganz Ohr.“ Egal, was die Andere nun sagen würde, es gab keinen Grund ihr zu glauben. Sie musste einfach ein Spion sein. „Ich sage sicherlich nichts, wenn du mich so grob anpackst.“ Die Pilotin murrte, ließ aber ab und stellte sich stattdessen an die Tür. Niemals würde sie so einfach einen Spion flüchten lassen. Die Rothaarige machte allerdings nicht den Anschein, flüchten zu wollen. Stattdessen setzte sie sich aufs Bett und seufzte. „Es stimmt, dass ich kein typischer Untermensch bin, aber das hat seine Gründe. Meine Eltern hatten kein Obdach. Wir haben auf der Straße gelebt und weil meine Eltern das für zu gefährlich für mich hielten, nahmen sie mich mit in die mittlere Ebene, wenn sie arbeiteten. Ich habe den ganzen Tag auf den Straßen verbracht, bis meine Eltern nach der Arbeit mit mir in die untere Ebene gegangen sind. Deshalb sah man mir nie sofort an, dass ich kein Mittelmensch war und ich konnte später unter Vortäuschung falscher Tatsachen eine Arbeit für Mittelmenschen ausführen. Deshalb habe ich viel von ihren Verhaltensmerkmalen übernommen. Ich bin wirklich keine Spionin.“ Laverne wägte ab, ob sie das Ganze glauben konnte. Es hörte sich zumindest nicht wie eine Lüge an. „Warum bist du dann in die Rebellengruppe gegangen?“ Es kam zu einer langen Stille. Ercillia schien mit sich zu kämpfen, um die Frage zu beantworten. „Meine Eltern haben sich über ihre schlechten Einkünfte beschwert, also hat man sie getötet. Das Leben eines Untermenschen ist hier nicht mehr wert als das einer Maschine.“ Nachdem sie diese Geschichte gehört hatte, tat es der Pilotin wirklich leid, Ercillia verdächtigt zu haben. Bei so einem Schicksal brauchte man nicht auch noch die Abneigung anderer Untermenschen. Seufzend setzte sie sich neben die Rothaarige und legte einen Arm um diese. „Es tut mir leid. Das war von mir taktlos, nur auf solche Sachen zu achten. Deine Eltern haben sich zu Recht beschwert. Ich wünschte, mein Vater wäre so ehrbar gewesen. Er hat die Rebellengruppe damals verraten und macht sich jetzt ein schönes Leben am Hof.“ Schon lange hatte sie nicht mehr über diese Sache geredet. Ihr Vater war damals für sie gestorben und mittlerweile würde sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken erschießen. „Das tut mir leid.“ Doch Laverne schüttelte nur den Kopf. „Mach dir nichts draus. Er war ein Idiot. Das habe ich wohl von ihm geerbt, mh?“ Die beiden sahen sich kurz in die Augen und brachen dann in Gelächter aus. Ob es Lavernes Kommentar, ihre schwierige Situation oder einfach die Müdigkeit war, war egal. Wenige Minuten später lag Ercillia schlafend im Bett und wurde von Laverne beobachtet. Nicht einmal komplett umgezogen hatte sich die Rothaarige. Vorsichtig strich die Pilotin ihr eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte. Dann legte sie sich dazu und fiel relativ schnell in einen erholsamen Schlaf. Sie begann wirklich, ihre Begleiterin zu mögen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)