Die Wahrheit über Wölfe von Idris ([Stiles / Derek]) ================================================================================ Kapitel 16: Prioritäten ----------------------- Vorwort: Eigentlich sollte das das letzte Kapitel werden ... aber na ja. Irgendwie artete das ganze alles ein wenig aus und ich musste das jetzt zweiteilen. D.h., ihr kriegt noch eins. ;) Danke für die superlieben Kommentare, die ihr mir hinterlassen habt. Ich lese sie alle unheimlich gerne und sie sind echt eine tolle Motivation. 33 Warnungen: Krankenhaus und ein bisschen medizinisches Zeug. Stiles angstet wie ein Weltmeister. Zugegeben, ich war auch sehr gemein zu ihm in den letzten Kapiteln. Aufwachen geschieht tröpfchenweise, in Splittern und Fetzen. Als Erstes kommen die Geräusche. Rascheln. Ein rhythmisches Piepsen. Schritte auf Linoleumboden. Stimmen, die mit ihm reden, manche laut und manche leise. „…Stiles…“ „STILES!“ „…ganz still halten…“ „…wird jetzt wehtun…“ „Stiles… bitte… Stiles…“ „…hören kannst, Stiles, dann…“ „…deine Finger bewegen?“ „Stiles?“ „Stiles.“ Stiles. Das ist er. Er ist sich da beinah sicher. Nicht, dass er sich grade fühlt wie irgendwer. Er fühlt sich wie eine Wolke aus Nichts, zerfastert, wabernd und schwerelos. Ihm ist klar, dass die Stimmen irgendetwas von ihm wollen. Er hat nur keine Ahnung was. Er beginnt erst wieder mehr sich wie eine zusammenhängende körperliche Einheit vorzukommen, als er anfängt wieder etwas zu fühlen. Fühlen, wird ihm schnell klar, ist nicht unbedingt was Gutes. Er wird gepiekt, und an ihm wird herumgezerrt und gezogen. Ihm ist zuerst sehr kalt und danach sehr heiß. Dann kommt der Schmerz. Es ist ein einschießender, scharfer Schmerz in der Mitte seines Körpers, der ihn spaltet wie eine Axt und ihn zu zerreißen droht. Es ist wie ein Lichtblitz, grell und metallisch in seiner Intensität, und dann sind aufgeregte Stimmen um ihn herum und das Piepsen wird schneller und schneller und schneller. Irgendjemand schreit. Möglicherweise ist er das selbst. Eine laute Stimme brüllt herum. Jemand zerrt an seinem Arm und da ist ein kurzer spitzer Schmerz, und dann fällt er in angenehme watteweiche Schwärze. Er hat keine Ahnung wie viel Zeit vergangen ist, bis er schließlich die Augen öffnet. Stiles blinzelt. Eine weiße, steril aussehende Decke schaukelt langsam in seinen Fokus. Ah. Krankenhaus, denkt er matt. Da war er ja schon seit einer Weile nicht mehr. Cool. Nicht. Vielleicht hat er ein Geräusch von sich gegeben und vielleicht nicht, aber plötzlich schwebt das Gesicht seines Vaters in sein Gesichtsfeld. Er sieht zerknittert und übermüdet aus und so, als ob er sich tagelang nicht mehr rasiert hätte, aber Stiles fühlt sich trotzdem beinah schummerig vor lauter Erleichterung. „Stiles?“ Es klingt hoffnungsvoll. „Stiles!“ „Hi Dad“, sagt Stiles, oder das ist wenigstens der Plan. Was über seine Lippen kommt ist nicht mehr als ein tonloses Hauchen. Aber sein Dad scheint es trotzdem gehört zu haben. „Oh Gott sei Dank“, hört er und dann sind da warme Hände, die über seinen Kopf streicheln und bewirken, dass Stiles sich wieder fühlt als ob er fünf Jahre alt ist. Es ist ein seltsam beruhigendes Gefühl. Er bekommt am Rande mit wie sein Vater auf sämtliche Knöpfe drückt und lautstark nach einer Schwester ruft. Seine Augenlider sind schwer wie Blei und sinken wie von selbst wieder nach unten. Stiles blinzelt heftig dagegen an. „…passiert?“ versucht er zu fragen. Irgendetwas ist passiert, so viel ist sogar ihm klar. Sonst wäre er ja nicht hier und sonst sähe sein Dad ja nicht so aus, als ob er nächtelange nicht mehr geschlafen hätte. Er kriegt nur grade nicht mehr zusammen was. „Ist okay, es ist alles okay“, versichert sein Vater. Seine Stimme wird lauter und leiser wie ein schlecht eingestelltes Radio. „Mach dir keine Gedanken. Tut dir was weh? Hast du Schmerzen?“ Stiles schüttelt den Kopf oder versucht es wenigstens. Es ist nicht mehr als ein Zucken, was er zustande bringt. Es ist ein wenig beunruhigend wie wenig Kontrolle er über seinen Körper hat. „Müde“, bringt er lautlos hervor. Großer Gott. Er fragt sich wie Leute in Filmen es immer schaffen aus dem Koma aufzuwachen und gleich ganze Monologe zu halten. Er kriegt nicht einmal einen einzigen vollständigen Satz zusammen. Augenblick. War er im Koma? Ist er im Koma? Das ist schlimm, oder? Steht es so schlecht um ihn? Das ist ein vage beunruhigender Gedanke, sogar in seinem vollkommen benebelten Zustand. Er versucht die Hand zu heben aber alles was passiert ist, dass seine Finger zucken. „…schlimm?“ bringt er hervor und vielleicht klingt er genauso klein und verängstigt wie er sich grade fühlt, denn sein Vater streichelt ihm mit der Hand über die Wange, was er das letzte Mal gemacht als Stiles tatsächlich fünf Jahre alt gewesen ist, und schüttelt den Kopf. „Es ist alles in Ordnung“, versichert er erneut. „Ich bin hier. Schlaf ruhig. Es ist alles gut.“ Schlafen? Schlafen!? Stiles hat definitiv nicht vor jetzt zu schlafen. Nicht wo er absolut keinen Plan hat was überhaupt… Und dann ist er auch schon weg. Stiles hat keine Ahnung wie viel Zeit vergeht. Es könnte Tage sein oder Stunden oder vielleicht auch Wochen. Er schwankt zwischen Bewusstlosigkeit, seltsamen Träumen und kurzen Momente der Wachheit. Wann immer er versucht auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, ist er meistens schon wieder eingeschlafen, bevor er ihn erwischen kann. Er weiß nicht, was passiert ist. Aber sein Vater ist da, wann immer er zu sich kommt. Das ist beruhigend. Manchmal stehen Ärzte um ihn herum, die ihm in die Augen leuchten, ihn auffordernd von Hundert rückwärts zu zählen, oder ihn bitten seine Finger zu bewegen. Er würde gerne den Mittelfinger bewegen, aber sogar das ist zu anstrengend. Zwischendurch träumt er von roten Augen und großen Zähnen, und einem scharfen Schmerz, der sich durch seine Brust bohrt wie ein Speer. In seinen Träumen sitzt Joanna auf ihm und sieht auf ihn hinab, ihre Zähne zu einem höhnischen Lächeln entblößt. Stiles würgt. Er kann nicht atmen. Er wird sterben, er weiß es. Gott. Er wird sterben. Er… Schweißgebadet schreckt er hoch, mit trockener Kehle und rasendem Herzen. Wildes Piepen klingelt in seinen Ohren. Das Zimmer dreht sich um ihn. Jemand umfasst seine Arme, unendlich behutsam, und Fingerspitzen streifen seine Wange. „Hey, hey, hey“, flüstert eine sanfte Stimme. „Ich hab dich. Es ist okay, es ist okay.“ Stiles sieht schwarze Haare und grün-blaue Augen wie in einem Kaleidoskop. „Bitte…“, haucht er. Sein Herz wummert schmerzhaft in seiner Brust und er fühlt sich zittrig und atemlos. Es ist wie eine Panikattacke, nur seltsam gedämpft, als ob er zehn Meter neben sich steht während es passiert. „Ich bin hier“, sagte die leise Stimme. „Ich passe auf dich auf. Niemand wird dir etwas tun.“ „Derek…?“ Seine Augen fallen zu, beinah gegen seinen Willen, und die sanfte Stimme legt sich um ihn wie eine Decke und schaukelt ihn in den Schlaf. Er fühlt sich als ob er fällt und fällt und fällt, in watteweiches Nichts. Er fühlt sich seltsam geborgen an. - Als er das nächste Mal zu sich kommt, fühlt er sich zum ersten Mal etwas weniger wie von einer Dampfwalze überfahren. Stiles kämpft eine Weile, bis seine Augenlider anfangen zu kooperieren und sich endlich nach oben schieben lassen. Draußen ist es dunkel und das Zimmer ist in das dämmrige Licht einer einzigen Nachttischlampe getaucht. Sein Dad ist da, stellt er fest. Immer noch. Er sitzt in einem Sessel und ist offenbar über einer Zeitung eingeschlafen. Das inzwischen sehr vertraute Piepen ist zu einem leisen Hintergrundgeräusch mutiert, das sich ausblenden lässt, und irgendjemand hält seine Hand. Huh. Im Schneckentempo wendet er den Kopf. Scott. Es ist Scott. Natürlich ist es Scott. Stiles spürt wie ein erschöpftes Lächeln an sein Mundwinkeln zerrt. Scott liegt halb auf einem der unbequemen Plastikstühle und halb auf dem Bett. Er hat das Gesicht in den Armen vergraben und hält mit beiden Händen Stiles Hand so fest umklammert, als ob er Angst hat, dass Stiles verschwinden könnte sobald er loslässt. Es sieht alles eher unbequem aus, aber Stiles fühlt sich als ob ein Lastwagen sein Herz zerquetscht vor lauter Rührung. „Hey“, versucht er leise. Scott schreckt hoch wie von einer Wespe gestochen, die Augen weit aufgerissen und seine Haare in alle Richtungen abstehend. Es ist offensichtlich dass er fest geschlafen hat. Sekundenlang sieht er desorientiert und erschrocken aus, aber dann fokussieren seine Augen auf Stiles Gesicht, und Stiles kann praktisch dabei zusehen wie sie sich langsam mit Tränen füllen. „Stiles…“, bringt er hervor. „Shht“, macht Stiles reflexartig und wirft einen Blick zu seinem Vater, der immer noch leise vor sich hin schnarcht. „Nicht so laut. Ich…“ Scott wirft sich ungefähr so behutsam um seinen Hals wie ein zwei Tonnen schwerer, aufgeregter Neufundländer und schlingt die Arme um ihn. Stiles macht: „Uff…?“ und dann wird er so fest umarmt wie noch nie in seinem ganzen Leben. „Oh Gott“, schluchzt Scott in seine Halsbeuge. „Ich dachte du wachst nie wieder auf. Ich dachte du stirbst!“ „Au“, japst Stiles und versucht ihm beruhigend den Rücken zu streicheln. Es ist nicht ganz leicht, weil seine Arme immer noch spagettiweich und praktisch zu nichts zu gebrauchen sind. „Ich liebe dich auch, Alter, wirklich. So sehr. Aber Vorsicht. Vorsicht, au, au! Zerbrechlich!“ Sofort lässt Scott ihn los und wischt sich hastig über das Gesicht. „Sorry, ich wollte nicht…“ „Schon okay, die geben mir hier die guten Drogen.“ Stiles hebt einen Arm und deutet auf die Kanüle in seinem Handgelenk. Seine Stimme ist immer noch rau und leise, aber immerhin kriegt er vollständige, grammatikalisch korrekte Sätze zustande. Er verbucht das als eindeutigen Fortschritt. „Was zur Hölle ist passiert?“ fährt er fort, während er sich mit Scotts Hilfe in eine etwas aufrechtere Position schiebt. „Hatten wir einen…ähm…“ Er wirft einen Blick zu seinem schlafenden Vater und senkt die Stimme. „Einen pelzigen Zwischenfall?“ „Erinnerst du dich nicht mehr?“ fragt Scott besorgt. Stiles hält inne. „Stiles… dein Dad weiß es“, sagt Scott eindringlich. Sein Gesicht fällt. „Es tut mir leid, ich weiß, du wolltest nicht, dass er es erfährt, aber es gab keine Möglichkeit es zu verheimlichen. Nicht nachdem…“ Er stockt und schüttelt den Kopf. „Stiles, du wärst fast gestorben. Wir mussten es ihm sagen.“ Seine Stimme bricht erneut. Als die Erinnerung wiederkommt, passiert es wie eine Schleuse, die sich öffnet. Es sind keine Einzelteile, es ist wie eine Welle, die schlagartig über ihm zusammen bricht und ihn unter ihrer Wucht begräbt. Die Alphas. Der Wald. Scott. Allison. Lydia. Derek. Die Hütte. Das Feuer. Joanna. „Hey, hey, shht“, macht Scott und wirft einen besorgten Blick auf den Herzmonitor. „Reg dich nicht auf, das ist bestimmt nicht gesund.“ Alarmiert nimmt er Stiles Hand wieder in seine und fährt beruhigend mit dem Daumen über sein Handgelenk. „Gott… wie sind wir …? Was…?“ fragt Stiles erstickt. „Die anderen…? Lydia? Allison?“ „Es geht allen gut“, versichert Scott eilig. „Alle sind okay, ich versprech es. Aber bitte, bitte reg dich nicht auf! Dein Dad hat gesagt, ich darf nur hierbleiben, wenn ich dich nicht aufrege.“ „Aber die Alphas…?“ „Es ist okay, ich schwöre es. Es ist okay“, sagt Scott eindringlich. „Wie lange bin ich schon im Krankenhaus?“ „Schon fast drei Wochen“, gesteht Scott leise. „Du bist erst vor zwei Tagen von der Intensivstation runtergekommen.“ Stiles klappt den Mund auf und gleich wieder zu. Entsetzt starrt er Scott an. Drei Wochen?! Lieber Himmel. Scheinbar ist das doch alles etwas schlimmer gewesen als die Blinddarm-Operation, die er mit zwölf hatte… Hilfesuchend verschränkt er seine Finger mit Scotts und lässt zu, dass Scott ihm mit der anderen Hand behutsam über den Unterarm streichelt. Ihm ist ein bisschen schwindelig, weil sein Puls so rast, und er muss kein Mediziner sein um zu wissen, dass das vermutlich nicht besonders gesund ist. Er zwingt sich langsam aus und wieder ein zu atmen. „Derek…“, sagt er leise. Es ist ein seltsam dringlicher Gedanke, direkt unter seiner Haut. Derek. Wie von selbst wandert seine Hand hoch zu seiner Brust, wo ein dicker Verband ruht. Das ist die letzte Erinnerung, die er hat. Blut, das aus seiner Brust sprudelt. Derek, der seine Hand hält. „Er hat… als ich…“ Ungläubig schüttelt er den Kopf. „Was hat er gemacht…?“ „Weißt du noch, was passiert ist?“ fragt Scott. Rote Augen flackern vor Stiles innerem Auge vorbei und er schaudert. Joanna. „Sie… sie war über mir und dann hat sie…“ Er schluckt und presst unwillkürlich seine Hand über die Stelle wo sein Herz pocht, schnell und unregelmäßig, und zweifellos, unglaublicherweise lebendig. „Da war so viel Blut…“ Etwas fällt ihm ein, und er spürt wie ihm schlagartig kalt wird. „Hat Derek mich gebissen? Bin ich…? Werde ich jetzt…?“ Scott schüttelt hastig den Kopf. „Nein. Nein! Du bist immer noch Stiles. Einfach Stiles. 100% Menschlich.“ Erleichtert atmet Stiles aus. „Aber wie…“ Ungläubig starrt er Scott an. „Ich dachte, ich sterbe“, sagt er langsam. „Ich hab gemerkt, wie ich sterbe. Ich habe mich von euch verabschiedet.“ Scott ringt mit sich. „Alpha zu sein gibt dir irgendeinen… extra Funken“, sagt er schließlich. „Derek hat diesen… „Funken“ genutzt um dich am Leben zu halten und… Guck mich nicht so an. Ich denke mir das nicht aus. Offenbar ist das ein Ding, was Alphas machen können. Das ist die Kurzfassung. Die längere Fassung kriegst du, wenn es dir besser geht.“ „Es geht mir…!“ „Stiles.“ Scotts Stimme ist belegt. „Du wärst fast gestorben!“ Stiles klappt den Mund wieder zu. Er nickt langsam. Er weiß, dass Scott Wachs in seinen Händen ist und alles ausspucken würde, wenn Stiles nur genug nachbohrt. Aber… da sind dunkle Ringe unter Scotts Augen, die eigentlich völlig unmöglich sein sollten angesichts seiner wolfigen Selbstheilungskräfte und Stiles bringt es einfach nicht übers Herz. „Wo ist Derek?“ fragt er stattdessen. Unscharfe Erinnerungen flackern durch seinen Kopf. Dereks Hand in seiner. Sein schmerzhaftes Heulen. „Ist er okay?“ „Stiles“, sagt Scott behutsam. Stiles spürt wie er blass wird. „Wo ist Derek?“ wiederholt er leise. „Er ist… okay“, sagt Scott zögernd und beißt sich auf die Unterlippe. Offensichtlich gehört das auch zu den Dingen, die Stiles potentiell aufregen könnten. Phantastisch. Sein ganzes Leben ist plötzlich zu aufregend für ihn geworden. „Scott“, bohrt er nachdrücklich. Scott seufzt. „Was immer er mit dir gemacht hat“, sagt er schließlich. „Es hat auch etwas mit ihm gemacht. Stiles, er… er ist kein Alpha mehr.“ Stiles merkt wie seine Kinnlade nach unten klappt. „Was?“ fragt er. Ungläubig versucht er diesen Satz zu verarbeiten. Nach allem was Derek dafür getan und riskiert hat, nur um endlich der Alpha zu werden. Nach allem, was er getan hat um ein besserer Alpha zu werden. Das kann nicht sein. Wieso sollte er…? Wieso würde er…? Wieso…? Das kann nicht sein. „Wo ist er?“ bringt er hervor. Er muss mit Derek sprechen. Scott schüttelt stumm den Kopf. „Er ist im Wald seit du im Krankenhaus bist. Er hat mit keinem von uns gesprochen.“ „Was? Nein, er war hier. Ich habe…“ Stiles stockt und runzelt die Stirn. „Ich dachte… er war hier und…“ „Das war vielleicht ein Traum“, sagt Scott behutsam. „Sie haben dir ziemlich heftige Schmerzmittel gegeben.“ „Aber er war da! Er hat…“ Stiles bricht ab. Scott hält seine Hand und nickt beruhigend. „Vielleicht war er wirklich da“, sagt er, aber es ist deutlich, dass er das nur sagt, damit Stiles sich nicht aufregt. ‚Ich hab dich. Es ist okay, es ist okay.‘ ‚Ich passe auf dich auf. Niemand wird dir was tun.‘ Dereks Stimme hallt immer noch in seinen Ohren, ungewohnt sanft und behutsam, und wenn er sich anstrengt, kann er immer noch seine Finger auf seinen Wangen spüren. War das wirklich nur ein Traum…? „Er ist nicht hier gewesen?“ rutscht ihm heraus. „Gar nicht?“ Es klingt klein und verzweifelt, und er bereut die Frage schon in der Sekunde, als er sieht wie Scotts Augenbrauen sich mitleidig zusammenziehen. „Er hat dir das Leben gerettet“, sagt er sanft. „Ja“, murmelt Stiles. Vermutlich ist es total undankbar, dass ihm grade nur halb so wichtig ist, wie die Tatsache, dass Derek nicht hier gewesen ist. Aber hey, richtige Prioritäten sind ja noch nie so wirklich seine Stärke gewesen. Derek hätte ja wenigstens mal… ne Karte schicken können. Oder Blumen. Aber natürlich… wieso hätte er das tun sollen. Vielleicht, und dieser Gedanke ist wie ein Stich, vielleicht ist Derek wütend auf ihn. Vielleicht ist er deswegen nicht hier gewesen. Weil er das geopfert hat, was er die ganze Zeit gewollt hat. Seinen Alpha-Status. Nur wegen Stiles. „Stiles, was…?“ Stiles schüttelt hastig den Kopf und wischt sich über die Augen. Er ist mit einem Mal bodenlos erschöpft. Vielleicht liegt es an all den widersprüchlichen Gefühlen, die gleichzeitig in ihm aufwallen und über ihm zusammenschlagen wie eine riesige Welle. Vielleicht liegt es auch daran, dass jemand seinen Brustkorb aufgerissen und seinen Lungenflügel zerfetzt hat. Wer weiß das schon. Er merkt erst, dass ihm die Augen zufallen, als Scott ihm das Kopfkissen zurechtrückt und das Kopfteil etwas nach unten fährt. „Sorry“, murmelt er schläfrig. „Ich weiß nicht was nicht was los ist.“ „Ist okay“, sagt Scott leise. „Schlaf ruhig. Hauptsache, du wirst wieder gesund.“ Stiles ist schon beinah wieder weggedriftet als ihm plötzlich etwas einfällt. Vermutlich schießt sein Puls schlagartig nach oben, denn Scott greift sofort wieder nach seiner Hand. „Hey“, murmelt er alarmiert. „Es ist alles gut.“ „Joanna?“ bringt Stiles hervor und blinzelt zu ihm hoch. „Was ist mit Joana?“ Er will nicht sagen, dass er ein Trauma hat, aber jedes Mal, wenn er die Augen schließt, sieht er rote Augen und gefletschte Zähne und ihr bis zur Unkenntlichkeit verzerrtes Gesicht und das Blut, das von ihrem Arm tropft… sein Blut… Okay, möglicherweise hat er ein Trauma. „Sie ist tot“, sagt Scott. Und Scott, ausgerechnet Scott, der im Sommer jede Fliege beweint, die von seiner Mutter erschlagen wird, klingt ruhig und kalt und hart bei dieser Feststellung. „Sie wird dir nichts mehr tun. Nie wieder.“ „Wie…?“ „Allison hat sie getötet. Frag nicht. Es war nicht…“ Er schüttelt den Kopf. „Schlaf jetzt.“ Er sagt es nicht, aber Stiles hört es trotzdem. Allison hat sie grausam getötet. Seltsamerweise ist das eine beruhigende Vorstellung. Wenn Allison etwas tötet, ist es wirklich tot. Tot, tot, tot und erledigt. Wenn Allison etwas tötet, kommt es nicht zurück. Erleichtert sinkt er zurück in das Kissen und schließt die Augen. Und dann ist er auch schon weg. - Hätte man ihn vor einem Monat gefragt, hätte Stiles Gift darauf genommen, dass es kein Gespräch zwischen ihm und seinem Dad geben wird, dass NOCH unangenehmer wird als das Aufklärungsgespräch, das sie hatten als er zehn Jahre alt war. Haha, okay, offenbar hat er sich da getäuscht. Die Messlatte nach unten geht offenbar immer weiter. Wie man Kinder macht (oder eben nicht macht - das war der wesentlich wichtigere Teil des Vortrags, soweit er sich erinnert) ist eindeutig weniger kompliziert zu erklären als... Werwölfe. Werwölfe und sonstige übernatürliche Kreaturen. Und seine Mitwirkung. Vor allem seine Mitwirkung. Die ersten paar Tage nachdem er aufgewacht ist, ist sein Vater einfach nur erleichtert, dass Stiles nicht tot ist. Aber es war ja klar, dass diese Schonfrist irgendwann vorbei ist. „Und Mr. Argent...?“ „Auch ein Jäger.“ Stiles nickt. Er hat das Kopfende hochgefahren und er hat ein Schachbrett auf dem Schoß, dessen Figuren er zweckentfremdet hat, um seinem Dad das Wesentliche zu erklären. Werwölfe, Jäger, Kanimas, Emissäre... Er kriegt selber Kopfschmerzen, wenn er nur darüber nachdenkt. „Aber Deaton ist kein Jäger?“ fragt sein Vater zum dritten Mal. „Nein. Er ist sowas wie ein Druide. In beratender Funktion.“ „Für die Jäger?“ „Nein! Dad. Dad! Für die Werwölfe!“ „Also sind die Jäger die Bösen?“ „Nicht so richtig… also nicht alle… ich meine, Allison hatte eine kurze Phase, wo sie ein bisschen Darth Vader war, aber jetzt ist sie wieder ganz auf der hellen Seite der Macht, ehrlich.“ „Sind die Werwölfe die Bösen?“ „Oh mein Gott, Dad! Scott ist ein Werwolf! Nein! Nein! Okay, einige schon… wie die Alphas… oder Peter… aber doch nicht alle. Ich meine… können wir die moralische Seite außer Acht lassen und sie einfach in ‚meine Freunde‘ und ‚nicht meine Freunde‘ einteilen?“ „Die moralische Seite?“ „Na ja, das ganz ‚Richtig und Falsch‘? Das gibt’s in dieser Geschichte nicht, okay? Nur einen Haufen Leute mit… verschiedenen Prioritäten.“ Sein Vater seufzt und reibt sich über das Gesicht. „Wie passt du in das ganze Chaos?“ fragt er schließlich. „Ich…also… das ist eine lange Geschichte?“ „Weil ich sehe hier lauter Leute, die übernatürliche Kräfte haben oder bis an die Zähne bewaffnet sind. Und dich.“ „Hey, ich bin auch bewaffnet!“ Sein Vater hebt die Augenbrauen. „…mit meinem scharfen Verstand?“ Die Augenbrauen wandern noch etwas höher. „Die Feder ist mächtiger als das Schwert?“ versucht Stiles. Sein Vater sieht unbeeindruckt aus. „Okay, ich bin Pazifist und daher meistens nicht bewaffnet“, gibt Stiles zu. „Aber mein bester Freund hat sehr scharfe Zähne? Seine Freundin hat ein Waffenarsenal im Kofferraum?“ „Hm.“ „Scott passt auf mich und ich passe auf ihn auf. Das funktioniert meistens ganz gut?“ „Und... Derek?“ Es klingt zögernd und Stiles spürt wie ihm mit einem Schlag die Luft ausgeht wie aus einem angestochenen Luftballon. Er lässt die Hände sinken. Er erinnert sich dass sein Vater vor einer gefühlten Ewigkeit schon mal danach gefragt hat. ‚Willst du mir vielleicht auch noch verraten, was es mit dir und Derek Hale auf sich hat?‘ Er zuckt mit den Schultern und senkt den Blick. „Scott sagt, er hat dir das Leben gerettet“, bohrt sein Vater unnachgiebig. Stiles nickt. Sein Gesicht glüht. „Wie?“ Stiles atmet durch und sieht überall hin nur nicht auf seinen Vater. Er bringt irgendwelche Wörter hervor, wie ‚Funke‘ und ‚Alpha‘, und Erklärungen, die er nur noch halb zusammen kriegt, und dann erstirbt seine Stimme. Er ist nicht sicher, ob es irgendeinen Sinn ergibt. „Er ist kein Alpha mehr“, endet er schließlich. „Wegen mir.“ Denn das ist die Kurzfassung von allem Wesentlichen. Das ist alles worauf es ankommt. Stiles hat ihn kaputt gemacht. Und deswegen will Derek ihn nicht mehr sehen. „Stiles“, sagt sein Vater sacht, sachter als er jemals zuvor geklungen hat und alleine das treibt Stiles die Tränen in die Augen. „Ich bin ziemlich müde,“ platzt es aus ihm heraus. „Ich- ich würde gerne eine Runde schlafen.“ Es ist unfair seine Nahtoderfahrung zu benutzen, um diesem Gespräch zu entgehen, und er weiß das, aber er kann nicht anders. Er kann nicht über Derek reden. Und schon gar nicht darüber, dass Derek ihn vielleicht hasst. Nicht jetzt. Vielleicht morgen. Oder in zehn Jahren. Oder nie. Sein Vater nickt langsam und steht auf. Einen Augenblick hält er inne, als ob er innerlich mit sich ringt. Als er schließlich etwas sagt, ist es nicht das, was Stiles erwartet hat. „Auf der Sheriffstation sind einige Meldungen eingegangen, nach denen Augenzeugen einen Wolf gesehen haben wollen.“ Ruckartig hebt Stiles den Kopf. Seine Vater macht eine vage Handbewegung. „Einen großen, schwarzen Wolf.“ Stiles‘ Herz beginnt zu pochen. „Da es keinerlei Angriffe gab, sind wir dem ganzen nicht so ausführlich nachgegangen“, sagt sein Vater langsam. „Vermutlich war es nicht mal ein Wolf. Sondern ein Berglöwe oder ein großer Hund.“ „Ja.“ Stiles nickt langsam. „Ein Berglöwe. Genau.“ In seinem Kopf rauscht es. Kann es sein…? „Wo… nur aus Neugier… wo haben sie ihn gesehen?“ bringt er hervor. „Um das Krankenhaus herum“, erwidert sein Vater und seufzt tief und inbrünstig, als ob er es kaum über sich bringt, es zu sagen. „Und in der Nähe unseres Hauses.“ Stiles schluckt. „Dad…“, flüstert er, als sein Vater schon fast an der Tür steht. „Ja?“ „Kannst du mir seine Jacke mitbringen?“ fragt Stiles leise und ohne ihn anzusehen. Seine Finger spielen mit der Bettdecke. Seine Vater pausiert mitten in der Bewegung. „Nur falls… falls er kommt und sie abholen will.“ Sein Vater ist einen endlosen Moment lang still und Stiles spannt die Schultern an, eingestellt auf eine lange Rede wieso das alles keine gute Idee ist. Stattdessen kommt sein Vater zurück an die Bettkante und fährt ihm mit der Hand über den Kopf. „Okay“, sagt er leise. Nachwort Ganz ehrlich, das Kapitel zu schreiben war wie Zähne ziehen. Nicht der Anfang aber das Ende, weil ugh. So viel Exposition. Sorry ihr kamt nicht um den klassischen "was ist passiert während du im Koma lagst" Dialog herum, aber dafür gab es jede Menge h/c und Sciles bromance. Auch was Schönes. Keine Sorge - Derek taucht im nächsten Kapitel wieder ganz viel auf. ;) Fakten und Fiktion: Ganz ehrlich? In der Serie haben sie das was Derek mit Cora gemacht hat auch nicht besser erklärt. Ich hab die Szene jetzt fünfmal gesehen, in der Hoffnung dass ich da was übersehen habe, aber nope. Alphas haben einen Funken und diese Extraportion Selbstheilungskraft hat sie dann gerettet. Okay. Whatever. Ich habe dieses Plot Device jedenfalls hier einfach benutzt und AUCH nicht besser erklärt. Nehmt es so hin. ;) Wie üblich schätze ich eure Kommentare sehr und liebe euch heiß und innig für jeden einzelnen. 33 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)